Gicht Hausarzt Medizin Wenn der GroSSe Zeh schmerzt Gicht, eine Wohlstandskrankheit? Ja und nein. Eine Ernährungsumstellung trägt jedenfalls nur wenig zu Reduktion des Harnsäurespiegels bei. Eine Dr. med. Diethard Sturm Facharzt für Allgemeinmedizin, Chemnitz, E-Mail: [email protected] Ein typische Gichtkasuistik könnte folgendermaßen aussehen: Ein 63-jähriger Mann bittet um einen Hausbesuch, weil er starke Schmerzen im Fuß hat und keinen Schritt laufen kann. Das Metamizol, das er noch zur Hand hatte, brachte keine Besserung. Der linke Vorfuß ist dick und hochrot geschwollen. Das Grundgelenk der großen Zehe sieht glasig aus und ist stark berührungsempfindlich. Für die Diagnose genügt ein Blick: akuter Gichtanfall. Akuttherapie Ziel der Akuttherapie eines Gichtanfalls ist es, die Entzündung zu reduzieren. Indi- Die Gicht liebt das Großzehengrundgelenk: Typisch sind Rötung, Schwellung, Überwärmung und Schmerzen. 48 ziert sind nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR). Naproxen (2 x 500 mg) ist bei den oft multimorbiden Patienten das Mittel der Wahl im Hinblick auf das Risiko für makrovaskuläre Ereignisse. Zusätzlich sollte ein Protonenpumpenhemmer als Magen­ schutz verordnet werden. Als Alternative kommt Kortison infrage, ini­tial in einer Dosis von 0,6 mg/kg, also 40 bis 50 mg/Tag. Anschließend kann eine Reduktion der Dosis um täglich 10 mg erfolgen, je nach Begleit­ erkrankungen und Risikofaktoren. Bei Diabetikern ist eher ein NSAR empfehlenswert, bei Herzinsuffizienz eher Kortison. Eine Kombination von NSAR und Kortison ist nicht sinnvoll. In internationalen Leitlinien, nicht aber von der DEGAM, wird ergänzend oder alternativ Colchicin, ein Mitosegift aus der Herbstzeitlose, empfohlen. In hohen Dosen (initial 2 – 4 x 0,5 mg) kann Colchicin zwar zu Durchfall führen, von der Substanz geht ansonsten aber weder hinsichtlich des Stoffwechsels und der großen Gefäße eine Gefahr aus, noch steigt das Blutungsrisiko. Die Wirkung wird sowohl durch Entzündungshemmung als auch durch die Unterdrückung der Harnsäurebildung erreicht. Auch eine Kühlung des betroffenen Gelenks kann die Beschwerden lindern. Es kann aber dem Patienten überlassen bleiben, ob er das Gelenk kühlen möchte oder nicht. Die Berührungsempfindlichkeit spricht dagegen, die Hitze im Gelenk dafür. Allerdings dürfte eine starke Kühlung das Ausfällen der Der Hausarzt 13/2014 Foto: Jean-Loup Charmet / Science Photo Library / Agentur Focus Handlungsempfehlung der DEGAM hilft, eine geeignete Therapie zu finden. Hausarzt Medizin Harnsäure eher fördern. Auf den Verlauf des Gicht­anfalls hat eine Kühlung keinen Einfluss. Vorbeugung vor weiteren Anfällen Zunächst empfiehlt es sich, den Patienten zu nicht medikamentösen Optionen zu beraten. Eine Ernährungsumstellung ermöglicht eiDiagnose ne Senkung des Harnsäurespiegels um bis zu 15 %. Harnsäure entsteht aus Purinen über die Die klinische Diagnose lässt sich aus den Zwischenstufe Xanthin. ErnährungstherapeuSymptomen und dem Verlauf der Erkrankung stellen. Zur Sicherung der Diagnose ten empfehlen eine purinarme Kost, also Käse kann eine Punktion des betroffenen Gelenks und Milch anstelle von Fleisch, ausgewachseerfolgen. Allerdings ist eine sofortige polanes Gemüse (Möhren, Kohlrabi) statt knosrisationsmikroskopische Untersuchung erpendem Gemüse (Spargelspitzen, Rosenkohl). forderlich, da sich die nadelförmigen HarnDarüber hinaus kann durch die Ernährung die säurekristalle rasch auflösen. Die DEGAM Säure-Basen-Bilanz beeinflusst werden, denn rät von einer diagnostischen Punktion ab. In die Löslichkeit von Harnsäuunklaren chronischen Fällen, z. B. bei Kniere in Wasser ist vom SäureVorbeugung vor Gichtanfällen gelenkserguss, kann sie jedoch diagnoseBasen-Gleichgewicht abhänund therapieentscheidend sein. gig. Säuerung verschlechtert Nicht medikamentöse Optionen: Die Bestimmung des Harnsäurespiegels im die Löslichkeit. Das Auftreten ▪▪ Purinarme Kost Serum kann die Diagnose im Anfall nicht von Gichtanfällen nach über▪▪ Alkalisierende Pflanzenkost bestätigen, weil die Harnsäure sich zu diemäßigem Fleischverzehr oder ▪▪ Keine Hungerkuren sem Zeitpunkt im Gelenk angesammelt hat. nach Fasten sprechen dafür. ▪▪ Verzicht auf Saluretika ▪▪ Warmhalten von Händen und Füßen Als Vergleichswert taugt der Akutbefund Pflanzenkost alkalisiert dageaber doch, denn ein deutlicher Harnsäure­ gen eher. Medikamentöse Therapie: anstieg in den nächsten (4) Wochen spricht Abzuraten ist von Hungerku▪▪ Colchicin für die Erkrankung, ebenso jegliche Harnren. Gerade beim forcierten ▪▪ Allopurinol, Febuxostat, säurespiegel über 6 mg/ml bzw. 357 µmol/l. Abspecken wird durch ZellverBenzbromaren fall viel Harnsäure freigesetzt, die nicht so schnell ausgeVerlauf schieden werden kann. So entsteht ein hoher Serum-Harnsäurespiegel mit Meist dauert es ein bis zwei Wochen, bis ein der Tendenz zum Ausfallen von HarnsäureBetroffener wieder einigermaßen schmerzkristallen in den Gelenken, in den Nierentufrei gehen kann, unabhängig davon, ob eine buli, in Knorpel, Sehnen und anderem bradyTherapie erfolgt oder nicht. Die Therapie betrophem Gewebe. Ein bereits einflusst aber die Lebensgeschädigtes Gelenk ist präqualität. Auch bei hartnäckigen destiniert für Folgeattacken. Nach der Monarthritis am oder unerwartet verlauNicht zuletzt ist der Verzicht Anfang werden nach und fenden Erkrankungen auf Saluretika erforderlich, nach weitere Gelenke einder Sehnen ist an eine Gicht zu denken. die die Ausscheidung von bezogen, Sehnen und BurHarnsäure behindern. sen, Knorpel und andere Weichteile, z. B. durch die Gichtpatienten sollten auAblagerung von Harnsäußerdem Hände und Füße re in Gichttophi. Selten sind Sehnen die Anwarm halten, weil die Löslichkeit von Harnfangslokalisation. Dennoch ist bei hartnäsäure von der Temperatur abhängig ist. Bei ckigen Erkrankungen der Sehnen, vor allem Unterkühlung der Akren wird die Präzipitabei unerwartetem Verlauf, auch an Gicht als tion in ein Gelenk oder Gewebe begünstigt. Ursache zu denken und danach zu suchen. Der Beginn eines Anfalls erfolgt oft morgens, Das gilt ebenso für chronische Ergüsse im wenn die Körpertemperatur und der KortiKniegelenk und andere Monarthritiden. sonspiegel niedrig sind. Der Hausarzt 13/2014 49 Hausarzt Medizin Die Anfallsvermeidung kann durch 500 mg Naproxen oder 0,5 mg Colchicin unterstützt werden. Medikamentöse Therapie Als medikamentöse Unterstützung zur Senkung des Harnsäurespiegels im Serum wird zunächst Allopurinol 100 bis 300 mg/Tag eingesetzt. Allopurinol ist ein Urikostatikum (Xanthinoxidase-Hemmer), es mindert die Harnsäurebildung im Körper. Als Alternative bei UnverträgBereits im Mittelalter war die Gicht bekannt lichkeit oder unzureichender Wirksamkeit steht neuerdings Febuxostat zur Verfügung. Die Kombination mit Benzbromaren, das die Ausschwemmung der Harnsäure über die Nieren fördert, kombiniert verschiedene Mechanismen. Dadurch Friedrich II. Karl V. benötigt man geringere Dosen der KompoDie Gicht gab es schon bei den Habsburgern und Hohen­ nenten. zollern: Friedrich der Zweite litt sehr unter Gichtanfäl­ len, obwohl an seinem Hof sprichwörtliche Kargheit den Die Leitlinie der euSpeiseplan diktierte. Karl dem V. werden ebenfalls Gicht­ ropäischen und ameanfälle nachgesagt, die ihn in seinen Aktivitäten schwer rikanischen rheubehinderten. matologischen Fach­gesellschaften nennen als Zielwert einen Harnsäurespiegel unter 6 mg/dl = 357 µmol/l. Für die DEGAM ist das Befinden des Patienten der Maßstab: Therapieziel ist die Vermeidung von Gichtabfällen und der Abbau der Harnsäureablagerungen im Gewebe. Langfristige Komplikationen Wichtig ist, die Patienten über mögliche langfristige Komplikationen der Erkrankung und ihre Therapie zu informieren. Dafür gibt es gute Gründe: Neben der fortschreitenden Ablagerung von Harnsäurekristallen im bradytrophen Gewebe besteht die Tendenz zur Uratsteinbildung in der Niere und zur Entwicklung einer schweren chronischen Niereninsuffizienz. Die Uratnephropathie entsteht, wenn sich Uratkristalle in den Tubuli bilden und dort ablagern. Aus größeren Konglomeraten entstehen Steine. Uratsteine sind in der Sonografie schlecht darstellbar, daher ist eine Computertomografie zum Nachweis zweckmäßig. Eine konsequente Alkalisierung des Harns durch die Ernährung und die Zufuhr von Natriumbikarbonat, das in Form von magensaftresistenten Tabletten gut verträglich ist, oder Kaliumhydrogencarbonat reduziert diese Gefahr. Darüber hinaus haben Gichtpatienten ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Englische und taiwanesische Autoren berichten anhand großer Register über eine 1,8-fach höhere Inzidenz von Schlaganfall und Myokardinfarkt bei Patienten, die bereits wegen Gicht im Krankenhaus behandelt wurden. Bisher ist eine Reduktion dieses Risikos durch eine Senkung des Harnsäurespiegels nicht erwiesen. In einer in Australien und Kanada durchgeführten Studie wurde jedoch Colchicin (0,5 mg/d) erfolgreich zur Prävention von Koronarsyndromen und Schlaganfällen eingesetzt. Literatur beim Verfasser. Keine Interessenkonflikte. Fazit Ein akuter Gichtanfall ist anhand des klinischen Bilds leicht zu diagnostizieren. Auch bei skopischen Kristallnachweis im Gelenkpunktat nachzuweisen. Eine Umstellung der Ernäh­ rung und Medikamente können zur Vermeidung von Gichtanfällen beitragen und die Pro­ gredienz der Erkrankung verhindern. Folgeerkrankungen an den Nieren und am Herzen kommen bei Gichtpatienten häufig vor, daher sollte der Hausarzt auch auf Erkrankungen dieser Organe achten. 50 Der Hausarzt 13/2014 Fotos: iStockphoto chro­nischen Gelenkbeschwerden ist an eine Gicht zu denken und diese ggf. durch mik­ro­­