THERAPIE DER GICHT Bei der Gichttherapie muss zwischen der Behandlung des akuten Gichtanfalles und der langfristigen Gichttherapie unterschieden werden. Therapie des Gichtanfalles Neben physikalischen Maßnahmen (Kühlung, Schonung) kommen entzündungshemmende Arzneimittel (siehe Tabelle 1) zur Anwendung. Am häufigsten werden Medikamente aus der Gruppe der nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) eingesetzt. Bei Gegenanzeigen für NSAR stellen Kortisonpräparate (siehe Medikamentenführer Kortison-Präparate,) ausgezeichnet wirksame und wegen der meist nur ein- bis dreitägigen Gabe sichere Medikamente dar. Das älteste, schon von Hippokrates verwendete Gichtmittel ist Colchicin, das Gift der Herbstzeitlosen. Colchicin ist sehr effektiv, hat aber auch starke Nebenwirkungen (siehe Tabelle 4), so dass Colchicin heute nur noch als Reservemittel eingesetzt wird. Die in Deutschland erhältlichen Colchicinpräparate werden übrigens aus den Samen oder Blüten der Herbstzeitlosen gewonnen, sind also echte Pflanzenheilmittel – und ein gutes Beispiel dafür, dass „pflanzlich“ nicht mit „sanft“ gleichzusetzen ist! Neben diesen entzündungshemmenden Medikamenten können zusätzlich reine Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide (z.B. Tramadol, Morphin; siehe Medikamentenführer „Schmerz- und Entzündungshemmer“), gegeben werden. Langfristige Gichttherapie Ziel der langfristigen Gichttherapie ist es, die Harnsäuremenge im Körper zu senken und so Gichtanfälle und gichtbedingte Organschäden zu verhindern. Grundlage ist eine purinarme Ernährung, d.h. Einschränkung des Fisch- und Fleischkonsums, Verzicht auf Innereien wie Herz, Leber, Bries oder Nieren, sowie Verringerung des Alkoholkonsums. Bier ist besonders problematisch, da es außer Alkohol zusätzlich noch Purine enthält. Es sollten vermehrt fettreduzierte Molkereiprodukte verzehrt werden, welche nachgewiesenermaßen schützend gegen Gicht wirken. Im Gegensatz zu früheren Annahmen erhöhen purinreiche Pflanzen wie Hülsenfrüchte, Spinat oder Blumenkohl nicht das Gichtrisiko, wie kürzlich durch eine große Studie gezeigt wurde (Choi et al. N Engl J Med 2004; 350: 1093). Ihr Arzt wird Ihnen zu weiteren Einzelheiten Informationsbroschüren aushändigen oder eine Diätberatung anbieten. Der Arzt wird außerdem prüfen, ob Harnsäure erhöhende Medikamente nicht abgesetzt oder ersetzt werden können. Wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen oder bereits eine chronische Gicht vorliegt, ist eine zusätzliche medikamentöse Senkung der Harnsäure angezeigt. Hierfür stehen zwei Medikamentengruppen zur Verfügung (siehe Tabelle 2): „Urikostatika“ hemmen die Harnsäureproduktion, „Urikosurika“ fördern die Harnsäureausscheidung über die Nieren. Es können auch Urikostatika mit Urikosurika kombiniert werden. Zu beachten ist, dass Urikosurika nicht bei den seltenen Gichtformen angewendet werden dürfen, denen eine körpereigene Überproduktion von Harnsäure (angeborene Enzymdefekte, Zerfall von Tumorgewebe) zugrunde liegt. Der Vollständigkeit halber sei noch ein drittes Medikament erwähnt, das Harnsäure direkt spaltet. Es handelt sich um das Enzym Uratoxidase (Rasburicase, Fasturtec®), dass begleitend bei der Tumortherapie zum Einsatz kommt, wenn durch den Zerfall vieler bösartiger Zellen große Mengen an Purinen freigesetzt werden. Zur Dauertherapie ist Uratoxidase nicht geeignet, da der Körper mit der Zeit Antikörper bildet, die dieses Enzym unwirksam machen. Die Therapie mit Urikostatika bzw. Urikosurika muss einschleichend erfolgen, weil es sonst zu Gichtanfällen kommen kann. Erklärt wird dieser paradoxe Effekt dadurch, dass bei abrupter Senkung der Blutharnsäurekonzentration viel Harnsäure aus Ablagerungen im Körper freigesetzt und bevorzugt in den Gelenken „zwischengelagert“ wird. Bei besonders gefährdeten Patienten ist die niedrig-dosierte Gabe von NSAR (z.B. Diclofenac 75 mg/Tag oder Colchicin (0,5 bis 1,5 mg alle ein bis zwei Tage) für ein bis drei Monate angezeigt, um Gichtanfällen in dieser kritischen Phase vorzubeugen. Zum Schluss noch ein wichtiger Hinweis: Eine leicht bis mäßig erhöhte Harnsäurekonzentration im Blut (> 6,4 bis 9 mg/dl) allein, ohne vorangegangenen Gichtanfall oder Harnsäureablagerungen in den Organen, ist kein Grund für eine Therapie mit Urikostatika oder Urikosurika. Die in Tabelle 2 aufgeführten Nebenwirkungen dieser Medikamente zwingen zu einer sorgfältigen Abwägung von Nutzen und Risiken der Therapie. 30 Prozent der Männer und drei Prozent der Frauen in Deutschland haben erhöhte Harnsäurewerte, aber nur jeder Zehnte entwickelt eine Gicht. Die Umstellung der Ernährungs- und Trinkgewohnheiten (s.o.) ist die wichtigste, sicherste und wirksamste Maßnahme! Professor Dr. med. Dirk Stichtenoth, Medizinische Hochschule Hannover