Kapitel 16 Strangeness (1943-1959) 16.1 Entdeckung der “Strangeness1” Leprince-Ringuet (1943): Rochester, Butter (1947): Anderson, Leighton, Cowan : Hinweise für die Existenz einer neuen Art von Teilchen hat man erhalten durch das Studium der “Shower” in kosmischen Strahlen. Die entdeckten Teilchen besitzen die folgenden Eigenschaften: sie sind nicht stabil (d.h. sie zerfallen), kommen elektrisch ungeladen und geladen vor, ihre Ruhemassen sind ungefähr gleich 1000 Elektron-Ruhemassen 419 Diese Teilchen wurden als Kaonen bezeichnet. Heute weiss man, dass die geladenen Kaonen die folgenden Ruhemassen, Lebensdauer und Hauptzerfallkanäle besitzen (siehe unten und Tabelle 1). 1. Seltsamkeit Teilchenphysik 420 Strangeness (1943-1959) Geladenes Kaon: K+, K– cτ ≈ 3, 7 m mK + ≈ 493, 6 MeV τ ≈ 12 ns Der mittlere Flugweg eines Teilchens ist durch l = βγ cτ des geladenen Kaons gegeben. Für ein relativistisches Teilchen gilt l≈γcτ. Tabelle 1. Hauptzerfallskanäle → µ +π 0ν µ (Kµ 3 ) → π +π +π − (Kπ 3 ) → π +π 0 (Kπ 2 ) K + → µ +ν µ 4,8% 3,2% 5,6% 21% 64% Verzweigungsverhältnis des Zerfalls → e +π 0ν e (Ke3 ) 1,73% Zerfall → π +π 0π 0 Teilchenphysik II&III, WS 03/04-SS04, Prof. André Rubbia (ETHZ) Entdeckung der Strangeness τ ≈ 26 ns cτ ≈ 7, 8 m Das Kaon besitzt eine relativ lange Lebensdauer (“long-lived”). Die Lebensdauer des Kaons ist ähnlich der Lebensdauer des geladenen Pions: π + → µ + + νµ Wegen der langen Lebensdauer weiss man, dass das geladene Kaon (wie das geladene Pion) durch einen schwachen Prozess zerfällt. Die ungeladenen Kaonen haben eine kurzere Lebensdauer und kommen in zwei Arten mit den folgenden Eigenschaften vor: L τ ≈ 0, 8 × 10 −10 s cτ ≈ 2, 7 cm Ungeladene Kaonen: K0 K0 (“K-short”, “K-long”) S, → π 0π 0 ( 31, 4%) K → π +π − (68, 6%) 0 S Das kurzlebige Kaon K0S zerfällt oft in zwei geladene Pionen. In diesem Fall spricht man von einem “V0”, wegen der charakteristischen Form der Spuren in Detektoren. Siehe Abb. 1. τ ≈ 5, 2 × 10 −8 s cτ ≈ 15, 51 m 421 Das langlebige Kaon K0L zerfällt oft in drei Pionen aber auch “semileptonisch”, d.h. in ein Pion, ein Lepton und ein Neutrino:. K → π +π −π 0 (12, 6%) → π 0π 0π 0 (21,1%) 0 L → π ∓ µ ±ν (27, 2%) → π ∓ e±ν ( 38, 8%) Teilchenphysik 422 Ein nachgewiesenes V0 in der Blasenkammer von Rochester. Strangeness (1943-1959) Figur 1. Teilchenphysik II&III, WS 03/04-SS04, Prof. André Rubbia (ETHZ) Die Strangeness -Quantenzahl mΣ + = 1189, 4 MeV mΛ = 1115, 6 MeV cτ ≈ 2, 4 cm cτ ≈ 7, 89 cm Schwerere Teilchen, die sich auch “strange” verhalten, wurden auch entdeckt and wurden als Λ und Σ bezeichnet. Diese zerfallen auch schwach (siehe Lebensdauer) und im Gegensatz zu den Kaonen befindet sich ein Nukleon (Proton oder Neutron) in den Zerfallsprodukten: Λ → pπ − (64%) → nπ 0 ( 36%) Σ + → pπ 0 (52%) → nπ + ( 48%) 16.2 Die “Strangeness”-Quantenzahl Die Entdeckung dieser neuen Teilchen war eine Überraschung. Deshalb wurden sie als “strange” Teilchen bezeichnet. Die “strange” Teilchen sind massiv genug, so dass ein schneller Zerfall in leichte Teilchen möglich ist. Im Gegensatz dazu sind die beobachteten Lebendauern der “strange” Teilchen lang. Pais (1952): Er schlug vor, dass verschiedene Mechanismen für die Erzeugung und den Zerfall verantwortlich sind. Tatsächlich bemerkt man, dass die “strange” Teilchen häufig in starken Wechselwirkungen erzeugt werden können. Wäre die starke Wechselwirkung verantwortlich für ihren Zerfall, so wäre ihre Lebensdauer viel kürzer als beobachtet! Ein Zerfall durch die starke Wechselwirkung muss verboten sein. Häufige Produktion: starke Wechselwirkung (τ≈10–23 s) Langsamer Zerfall: schwache Wechselwirkung (τ≈10–9 s) 423 Gell-Mann, Nishijima (1953): Teilchen besitzen eine neue additive Quantenzahl, die als S=strangeness (wie Ladung, IsospinkompoTeilchenphysik 424 Strangeness (1943-1959) nente I3, usw...) bezeichnet wird. Die Antiteilchen besitzen entsprechend –S. Zusätzliche experimentelle Beobachtung: die “strange” Teilchen werden in starken Wechselwirkungen immer in Paaren erzeugt. Daraus folgt die Regel der Erhaltung und Verletzung der “Strangeness”-Quantenzahls: π − p → K 0Σ 0 0 + 0 = +1 – 1 π − p → K 0Λ 0 + 0 = +1 – 1 S wird in starken (und elektromagnetischen) Wechselwirkungen erhalten. S wird in schwachen Wechselwirkungen nicht erhalten. π − p → K +Σ − 0 + 0 = +1 – 1 Produktion von Strangeness: S S = +1 S=0 0 0 π−p → / π Σ 0 + 0 ≠ 0 –1 − + π−p → / K Σ 0 + 0 ≠ –1 – 1 = −2 S = −1 Damit haben wir die folgenden Quantenzahlen den Teilchen zugeordnet: K +,K 0 π , p, n K − , K 0 , Λ, Σ + , Σ − , Σ 0 (Beachte: Σ– ist nicht das Antiteilchen des Σ+) + − π−p → / π Σ 0 + 0 ≠ 0 –1 Verbotene Prozesse (wegen S-Erhaltung) S Teilchenphysik II&III, WS 03/04-SS04, Prof. André Rubbia (ETHZ) Die Strangeness -Quantenzahl Λ → pπ − −1≠ 0 + 0 Σ + → pπ 0 −1 ≠ 0 + 0 Σ + → nπ + −1 ≠ 0 + 0 425 Zerfälle: durch schwache Wechselwirkung, d.h. S wird nicht erhalten: S Teilchenphysik 426 Strangeness (1943-1959) Teilchenphysik II&III, WS 03/04-SS04, Prof. André Rubbia (ETHZ)