Johann Wolfgang Bauer: Aishas Grundlagen der

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Hans-Thomas Tillschneider: Rezension von: Johann Wolfgang
Bauer: Aishas Grundlagen der Islamrechtsergründung und
Textinterpretation. Vergleichende Untersuchungen, Bern /
Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2012, in sehepunkte 13 (2013),
Nr. 9 [15.09.2013],
URL:http://www.sehepunkte.de/2013/09/22726.html
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sehepunkte 13 (2013), Nr. 9
Johann Wolfgang Bauer: Aishas Grundlagen
der Islamrechtsergründung und
Textinterpretation
"Sogt's amol! Seid's es olle Islamisten?" So unterbrach mich vor einigen
Jahren in Freiburg ein neugieriger Tourist in einer etwas zu lauten
Unterhaltung mit Kollegen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass man
im Wiener Dialekt für "Islamwissenschaft" noch die schöne alte
Bezeichnung "Islamistik" verwendet, was, wenn man einmal an
Orientalistik - Orientalist, Arabistik - Arabist etc. denkt, ja auch nicht
einer gewissen Systematik entbehrt. Leider aber ist der Begriff
problematisch geworden, seitdem alle Welt von "Islamisten" spricht und
anderes darunter versteht.
Was nun den Wiener "Islamisten" Wolfgang Bauer angeht, dessen Buch
hier in Rede und Frage stehen soll, so hat er tatsächlich einiges falsch
verstanden. Aber fangen wir von vorne an. Die zu besprechende
Publikation beruht auf einer Dissertationsschrift, die im Rahmen der
nicht-bekenntnisgebundenen Islamwissenschaft an der Universität Wien
(Prof. Lohlker) angefertigt wurde. Die Arbeit jedoch will ihrer ganzen
Ausrichtung und Deklaration nach einen Beitrag nicht zur
Islamwissenschaft, sondern zur jungen islamischen Hochschultheologie
in Deutschland sein. Um die Arbeit an den Maßstäben zu messen, an
denen sie auch tatsächlich gemessen werden darf, lege ich deshalb die
Maßstäbe der Theologie, nicht der Islamwissenschaft zugrunde. Die nicht
unerhebliche institutionengeschichtliche Problematik, die daraus
resultiert, dass diese Schrift an einem islamwissenschaftlichen Lehrstuhl
durchging, klammere ich vorerst aus.
Zur geistigen Arbeit einer modernen Theologie lässt sich sagen, dass sie
wesentlich darin besteht, den Glauben ins Gespräch mit der Wissenschaft
zu bringen, ihn aufs Spiel zu setzen, ihn zu verändern und schließlich in
einer geläuterten Form auf höherer Ebene wiederzugewinnen. Würde die
Theologie nicht so verfahren und etwa isoliert vom Tun der anderen
Geisteswissenschaft nur aus sich selbst heraus im Sinne ihrer eigenen
Tradition den rechten Glauben festschreiben, wäre sie keine
Wissenschaft, sondern bloße Dogmenpflege. Leider ist nun aber das, was
Bauer vorgelegt hat, genau dies: Dogmenpflege in einer besonders
starren Variante, und ganz gewiss keine moderne Theologie.
Bauer macht die Kernsätze der sunnitisch-orthodoxen Dogmatik zum
Rahmen, innerhalb dessen sich die Untersuchung abzuspielen hat, den
sie aber nicht in Frage stellen darf. Die Generalprämisse, die Bauer
seiner Studie zugrunde gelegt hat, besagt: Mit dem Propheten
Muḥammad und seinen Gefährten war es so, wie die kanonische
Überlieferung lehrt. Punkt. Folglich geht das, was in den Sammelwerken
der kanonischen Überlieferung auf ʿĀʾiša, die Gattin des Propheten,
überliefert wird, buchstäblich auf sie zurück. Punkt. Auf dieser
Grundlage sammelt Bauer die überlieferten Aussprüche ʿĀʾišas und
gleicht sie mit den Auslegungsregeln der juristischen Hermeneutik ( uṣūl
al-fiqh ) ab, wie sie in den Standardwerken späterer Jahrhunderte
systematisiert wurden. Wenn Bauer feststellt, dass eine von ʿĀʾiša
überlieferte Argumentation zu einer bestimmten Auslegungsregeln passt,
etabliert er diese Auslegungsregel als Teil von ʿĀʾišas juristischer
Hermeneutik. Der Rest ist Typographie. Die Auslegungsregeln stehen in
Fettdruck und von 1 bis 139 durchnummeriert als Überschrift voran. Die
passenden ʿĀʾiša-Überlieferungen folgen nach, womit bewiesen ist, dass
ʿĀʾiša, die hochweise Gattin des Propheten Muḥammad, die Klaviatur
einer Jahrhunderte später entwickelten juristischen Hermeneutik
souverän beherrscht.
In einigen wenigen Fällen lassen sich die Überlieferungen mit keiner
Position einer Rechtsschule in Einklang bringen. Bauer beschreibt dann
eine eigene ʿĀʾiša-Position unabhängig von den vier Rechtsschulen (S.
254) und lässt ʿĀʾiša eine Art eigenen maḏhab avant la lettre vertreten.
Was soll man dazu sagen? Selbst wenn alles so wäre, wie Bauer glaubt,
wenn also die Texte, wie sie uns heute in den kanonischen Sammlungen
vorliegen, ʿĀʾišas wörtliche Rede originalgetreu dokumentieren würden
und nur ein vernachlässigbarer Anteil davon verfälscht wäre - das lässt
sich zwar nach all dem, was wir von der islamischen Tradition wissen,
einfach nicht voraussetzen, aber geben wir es Bauer in "heuristischer"
Absicht zu -, selbst dann funktioniert das nicht, was er versucht. Es ist in
etwa so, als würde man dem, der eine Sprache in einer bestimmten
Weise gebraucht, unterstellen, er sei ein Grammatiker und würde mit
seinem Sprachgebrauch für bestimmte grammatische Prinzipien
argumentieren und sich an sprachwissenschaftlichen Debatten
beteiligen. Bauers Vorgehensweise sei kurz an folgender Überlieferung
aus al-Buḫārīs Ṣaḥīḥ veranschaulicht:
Als Aisha über die Bedeutung des Verses >Wir haben dir ja al-Kauthar
gegeben< (108:1) gefragt wurde, antwortete sie: "Ein Fluss, welcher
eurem Propheten (sas) gegeben wurde, auf dessen beiden Ufern sind
ausgehöhlte Perlen, seine Trinkgefäße sind wie die Anzahl der
Sterne." (376)
Diese exegetische Überlieferung belegt nach Bauer, dass ʿĀʾiša Regel Nr.
12 befolgt hat: "Offenbarung ist von den Quellen der Sunnah" (61), weil
die Auslegung, die sie liefert, nicht "durch eigene rationale
Überlegungen erlangt" (62) worden sein könne. Weiterhin zeige diese
Überlieferung, dass ʿĀʾiša Regel Nr. 19 beherzigt habe ("Die Sunnah ist
ein legitimer Beleg für ʿAqīdah-Inhalte"), weil es sich bei dem, was alKauthar sei, um eine "Zweigfrage in der ʿAqīdah
(Glaubensüberzeugungen)" (65) handele. Da der Prophet nicht erwähnt
wird, soll ʿĀʾiša sich mit dieser Aussage auch zu Regel Nr. 31 bekennen:
"Es ist zulässig ein Prophetenwort oder dessen sinngemäßen Inhalt ohne
Angabe der Quelle zu erwähnen" (80). Und schließlich vertrete sie
implizit die Auffassung, dass - damit sind wir bei Regel Nr. 80 - die
"Sunnah (Prophetenwort, -Praxis oder Billigung) ... einen mudjmal unklaren Ausdruck im Koran klären" kann (176). Ich frage mich: Woher
nimmt Bauer die Gewissheit, dass all das, was er in so einem Text sieht,
sollte er tatsächlich von ʿĀʾiša stammen, auch schon ʿĀʾiša selbst
intendiert hat? Was macht ihn so sicher, dass er nicht Dinge, die erst viel
später entwickelt wurden, in diese Texte hineinliest? Um sich gegen
derartige Einwände zu verteidigen, hätte er klarstellen können, dass er
nur untersucht, welche uṣūl al-fiqh -Regel aus dem ʿĀʾiša-Korpus heraus
begründbar sind, ohne damit etwas über die historische ʿĀʾiša aussagen
zu wollen. Aber Bauer differenziert hier nicht nur nicht, nein, er stellt
seiner Arbeit noch eine "Einführung zu Aishas Bildung und kritischen
Persönlichkeit" (33-38) voran, die die Aussagen der theologischen
Tradition über ʿĀʾiša geradezu schamlos in eine oberflächlich
psychologisierende Kurzbiographie übersetzt. Einige Kostproben:
"Neben ihrer auswendigen Kenntnis des gesamten Korans weist auch die
große Anzahl ihrer Überlieferungen darauf hin, dass sie nicht nur sehr
aufmerksam war, sondern auch eine starke Merkfähigkeit besaß" (34).
"Auch Aisha selbst war sich über ihr fundiertes Wissen im Klaren, was ihr
sicherlich maßgeblich an Selbstsicherheit verlieh, und auch die
Anerkennung ihres Wissens seitens der Prophetengefährten festigte sie
vermutlich darin" (35).
"Von ihrem breiten Horizont zeugen nicht nur ihr Bewandertsein in der
damaligen Poesie, sondern auch ihre medizinischen Kenntnisse" (38).
Selbst wenn wir von der theologisch-heilsgeschichtlichen Dimension
dieser ganzen Überlieferung absehen und probeweise davon ausgehen,
dass es sich um eine Überlieferung mit quasi historischem Anspruch
handelt, ist eine derart ungebrochene Überführung der dort getroffenen
Aussagen in eine Darstellung von ʿĀʾišas Person nicht möglich, will man
auch nur ansatzweise geisteswissenschaftlichen Ansprüchen genügen.
Die Aussagen der Überlieferung stehen - auch wenn diese Überlieferung
historisch sein wollte und echt wäre - im Horizont einer Zeit, die nicht
mehr die unsere ist. Dieser Horizont müsste also rekonstruiert werden,
wollte man sich dem Sinn der Aussagen annähern. Dabei wird unser
Lesen von Vorurteilen regiert, die wir niemals restlos aufklären können.
Bauer wie auch seine Kollegen aus Ägypten und Saudi-Arabien aber
sehen hier überhaupt keine Probleme, weil sie - bildlich gesprochen Geschichte nur als einfache Veränderung innerhalb ein und desselben
Koordinatensystems, nicht als allumfassende perspektivische
Verschiebung denken. Das wiederum hat damit zu tun, dass die
islamische Welt nicht nur keine Aufklärung, sondern, als Folge davon,
natürlich auch keinen Historismus durchlaufen hat. Die Erkennbarkeit
von Geschichte wurde im islamischen Kulturkreis nie so tief
problematisiert wie im 19. Jahrhundert in Europa. Man sieht keine
Geschichte in unserem Sinne, keine ständige Verschiebung von
Perspektive und Horizont, sondern nur Veränderungen in Zyklen.
Quellen, die nicht absichtlich verfälscht wurden, bedürfen deshalb auch
keiner über die reine Klärung der sprachlichen Gegebenheiten
hinausgehenden Interpretation. Und so ist der Zugriff auf ʿĀʾiša durch
die ʿĀʾiša-Überlieferung hindurch nicht das geringste Problem. Es steht
ja alles da!
Halten wir also fest: Selbst wenn wir akzeptieren, dass die Texte
wortwörtlich von ʿĀʾiša stammen, lässt sich an Bauer kritisieren, dass er
ʿĀʾiša hemmungslos zur Projektionsfläche der Vorstellung macht, die er
selbst vom System der klassischen Rechtshermeneutik ( uṣūl al-fiqh ) hat.
In Wahrheit aber dürften - auch und gerade aus einer gemäßigt
(gemäßigt!) islamischen Perspektive - die Texte der Überlieferungen,
mögen sie auch im Kern auf eine real existierende Prophetengattin
namens ʿĀʾiša zurückgehen, ihre Gestalt und ihren Sinn im Laufe der Zeit
verändert haben. Sogar schon die mittelalterliche
Traditionsgelehrsamkeit ( ʿulūm al-ḥadīṯ ) gesteht ein, dass die Texte der
Überlieferungen - anders als der Koran - im Laufe ihrer Geschichte
Veränderungen erfahren haben, mögen die Gelehrten diese
Veränderungen auch nicht als Ausdruck kontextueller Verschiebungen
denken, sondern beispielsweise als abweichende Formulierung eines sich
gleich bleibenden Gedankens oder als erläuternde "Zusätze" ( ziyādāt ),
die einen ursprünglichen Sinn besser herausarbeiten. Hier könnte eine
moderne (moderne!) Reformtheologie anschließen und etwa versuchen,
Kraft ihres Denkens solche Zusätze als Ausdruck eines gewandelten
Verständnisses umzudeuten. Von da aus ließe sich dann auf die
grundsätzliche Legitimität aktualisierender Umdeutung schließen. Man
könnte sagen: Wenn Gestalt und Sinn der Überlieferungstexte sich dem
jeweils herrschenden Verständnis anpassen, wenn sie etwa in
Systematisierungsprozesse hineingezogen und dem juristischen Denken
einer späteren Zeit angeglichen wurden, dann können sie, auch wenn sie
im Kern auf frühe Autoritäten zurückgehen, kein maßstabsgetreues Bild
der prophetischen Heilszeit mehr geben. Diese Zeit erscheint dann nur
wie hinter einem durch die Ablagerungen langer Jahrhunderte getrübten
und gewölbten Glas milchig und verzerrt. Damit aber sind die Texte offen
für Umdeutungen, die sich vom Buchstaben lösen. Das nur als Andeutung
eines Weges, den ein reformislamischer Denkansatz nehmen könnte.
Bauer aber macht das genaue Gegenteil davon. Er klammert sich
auftrumpfend an den Buchstaben der Überlieferung. Er zementiert das
System der islamischen Rechtsgelehrsamkeit, wie es im sechsten
islamischen Jahrhundert voll entfaltet war und in den Darstellungen des
20. Jahrhunderts simplifizierend zusammengefasst wurde, indem er
dieses System mit Brachialgewalt auf die ʿĀʾiša der kanonischen
Sammlung, die er für eine real so existiert habende Original-ʿĀʾiša hält,
rückprojiziert. Das ist eine fundamentalistische oder mit dem islamischen
Begriff: salafistische Haltung. Bauer sagt: Zurück zu ʿĀʾiša! Er will ja
seinem eigenen Bekunden nach die späteren uṣūl al-fiqh an ʿĀʾišas uṣūl
al-fiqh (!) messen und die juristische Hermeneutik durch einen Vergleich
mit den ʿĀʾiša-Überlieferungen dort, wo sich die Texte unter keiner
bekannten Regel subsumieren lassen, auch ein wenig zur Kritik anregen,
einer Kritik freilich, die keine modernisierte, sondern nur eine andere
fundamentalistische Variante der orthodoxen Rechtshermeneutik
hervorbringen kann. Die "Kritik", die Bauer vorschwebt, ist eine
Läuterung am Ideal einer Ursprungszeit. Damit fällt Bauer weit hinter
das Niveau der Traditionskritik etwa eines Naṣr Ḥāmid Abū Zaid raḥimahū llāh - zurück. Naṣr Ḥāmid Abū Zaid hat trotz all der
Schwächen, die seinem Denken anhaften, doch zu einer ersten kritischen
Distanz gegenüber der islamischen Tradition gefunden und etwa in
seiner völlig zu Unrecht wenig beachteten Magisterarbeit zu aš-Šāfiʿī
gezeigt [ 1 ], wie sich im Grunde erst mit aš-Šāfiʿī das islamische Recht,
wie wir es heute kennen, zu formieren beginnt - ein Prozess, der dann
mit den Werken, auf die Bauer sich stützt, seinen Abschluss findet.
Es ist schon sehr bezeichnend, dass Bauer ganz bewusst gerade die
frühen uṣūl al-fiqh ausspart (28). Hier - immerhin auch schon zwei bis
dreihundert Jahre nach ʿĀʾiša! - ist nämlich das ganze Regelsystem, das
Bauer so problemlos bei ʿĀʾiša wiederfindet, erst am Aufkeimen. Die
Begriffe sind noch im Fluss, die Regeln noch nicht verfestigt. Die
juristische Hermeneutik steht im Dialog mit Theologie und griechischer
Philosophie. Hier zeigt sich sehr deutlich, wie die späten uṣūl al-fiqh
konstruiert wurden. Ich habe das en détail für die juristische ʿāmm / ḫāṣṣ
-Exegese nachgewiesen. Bauer zitiert die betreffende Studie zwar, aber
es ist ein bloßes name dropping.
Was das Verhältnis von uṣūl al-fiqh und ḥadīṯ -Text angeht, so hat man
sich das unabhängig von Bauer als einen wechselseitigen Annäherungsund Beeinflussungsprozess vorzustellen: Die juristischen Regeln werden
zum Teil aus den Texten des kanonischen Korpus entwickelt, bilden aber
auch ein eigenes System, das eigene Gesetzmäßigkeiten und
Anforderungen kennt, und in einer umgekehrten Bewegung werden dann
auch die Texte den juristischen Regeln angepasst. Deshalb beweist es
nichts, wenn die Überlieferungen auf ʿĀʾiša zu den Regeln der
juristischen Hermeneutik passen. Es ist Grundlage und Wesenskern der
juristischen Hermeneutik, solche Passungen herzustellen. Diese
Passungen sind umso genauer, je später der Zeitpunkt ist, zu dem man
die juristische Hermeneutik betrachtet. Bauers Resultat ist, gerade auch
weil er sich auf späte uṣūl al-fiqh -Werke konzentriert, hochgradig trivial.
Seine Arbeit markiert einen Tiefpunkt dessen, was bislang an
deutschsprachigen Universitäten zum Themenkreis islamisches Recht/
islamisches Überlieferungswesen geleistet wurde.
Erschwerend kommt hinzu, dass Bauer ganz gezielt provoziert. Es
beginnt schon damit, dass er sich "Islamwissenschaftler" und die
Islamwissenschaftler "Orientalisten" nennt. Ich habe als
Islamwissenschaftler keine Vorbehalte gegen den Begriff des
Orientalisten und verwende ihn bei Gelegenheit auch gerne als
Selbstbezeichnung, aber Bauer nennt die Islamwissenschaftler nur
deshalb "Orientalisten", um sich selbst "Islamwissenschaftler" nennen zu
können. Als islamischen Theologen will er sich nicht sehen, weil er
diesen Begriff für die Theologie im engsten Sinn reserviert ( kalām bzw.
uṣūl ad-dīn ). Der Umstand, dass die Dissertation an einem
islamwissenschaftlichen Institut entstanden ist, verschafft Bauer sogar
eine oberflächliche, rein juristische Legitimation, sich
"Islamwissenschaftler" zu nennen. Da das, was er macht, aber keine
Islamwissenschaft ist und auch keine sein will, steht dahinter der
unverhohlene Versuch, die Definitionshoheit über den Begriff
"Islamwissenschaft" zu erobern. Dazu stelle ich klar: Islamwissenschaft
ist eine historische Wissenschaft bzw. eine Geisteswissenschaft in der
Tradition von Humanismus, Aufklärung und Historismus und findet als
solche ihren Platz im Fächerkanon unserer Universitäten. Das hat nichts,
aber auch rein gar nichts mit dem zu tun, was " ʿilm - Wissen,
Wissenschaft" in der tradierten sunnitisch-orthodoxen Theologie
bedeutet. Was Bauer versucht, ist wiederum durchaus mit dem ʿilm der
tradierten sunnitisch-orthodoxen Theologie konform, nicht aber mit
Wissenschaft in der abendländischen Tradition, für die er den Begriff der
okzidentalen Tradition verwendet. Was Bauer macht, ist auch keine
moderne Universitätstheologie. Die moderne christliche Theologie hat
ihre dogmatischen Voraussetzungen in einem Maß reflektiert und auch
relativiert, das sich kaum von der kritischen Perspektive unterscheidet,
mit der Orientalisten, d.h. Islamwissenschaftler, sich der islamischen
Tradition nähern. Legt man die zeitgenössische evangelische
Hochschultheologie als Maßstabe zugrunde, dann ist das, was Bauer
geliefert hat, keine Theologie, sondern eine Art Frömmigkeitsliteratur,
gut 300 Seiten fromme Prosa!
Mit dem Einwand, dass wir in der islamischen Überlieferung eine
Heilsgeschichte vor uns haben, die möglicherweise - ausgemacht ist hier
gar nichts - auf einen historischen Kern zurückgeht, aber trotzdem
Heilsgeschichte bleibt, hält Bauer sich gar nicht erst auf. En passant
wischt er in zwei längeren Fußnoten (Nr. 63 und Nr. 75) alles beiseite,
was eine durch Aufklärung und Historismus gegangene Orientalistik bzw.
Islamwissenschaft zur islamischen Tradition zu sagen hätte. Goldzihers
und Schachts Auffassung, dass wir es bei den Prophetenüberlieferung
mit Legitimationserzählungen zu tun haben, die bestimmte theologischen
oder juristischen Auffassungen untermauern sollen, hält Bauer mit
Motzkis Kritik an Schacht und Juynboll für erledigt. Motzki ist in der Tat
weniger skeptisch als Schacht und hat auch Juynboll kritisiert, wobei es
aber um technische Feinheiten der isnād-cum-matn -Analyse ging. Für
alle Islamwissenschaftler, auch Motzki, gilt nach wie vor das, was
Juynboll am Beginn seines Aufsatzes zu einigen frauenverachtenden
Überlieferungen gesagt hat: Während Muslime eine Überlieferung vom
Propheten als authentisch akzeptieren, sobald sie in den kanonischen
Sammlungen auftaucht, fordern Islamwissenschaftler einen davon
unabhängigen Nachweis mithilfe textkritischer Methoden. [ 2 ] Das gilt
so auch für Motzki, der vielleicht der am wenigsten skeptische und
gegenüber den skeptischen Islamwissenschaftlern kritischste
Islamwissenschaftler ist, aber nichtsdestotrotz auf Schacht aufbaut.
Schacht hat die Methode, die Motzki weiter entwickelt, überhaupt erst
erfunden. So zu tun, als sei Schacht mit Motzki erledigt, ist grob
irreführend. [ 3 ] Motzki veranschlagt die textuelle Verfestigung der
islamischen Überlieferung so früh wie kein anderer Islamwissenschaftler;
was aber die Zeit des Propheten und seiner Gefährten angeht, so wagt
auch Motzki nicht mehr als die bloße Vermutung, dass manche
Überlieferungen einen historisch wahren Kern haben könnten. Bauer
entledigt sich auf unredliche Weise der intellektuellen Pflicht, sich auch
und gerade als islamischer Theologe mit der Grundsatzkritik an der
islamischen Tradition auseinanderzusetzen. Er spielt den Namen
"Motzki" wie einen Trumpf gegen die Namen "Schacht", "Juynboll" und
"Goldziher" aus und glaubt, so die Zweifel an der islamischen Tradition
wohlfeil entsorgen zu können. Dagegen sage ich: Die islamische
Tradition deutet eine ursprüngliche Zuschreibung von Texten und
Aussagen an eine Prophetenfigur als Überlieferung von dieser Figur um.
Das ist ihr versteckter Grundimpuls. Erfolgreich ist diese Umdeutung
insofern, als sie von den meisten Muslimen geglaubt wird, was aber nicht
heißt, dass sich ihre Spuren in den Texten nicht nachweisen ließen. Die
Zweifel an der islamischen Tradition lassen sich begründen, und also
muss auch eine moderne islamische Theologie darauf eingehen.
Es gäbe bestimmt mehrere intelligente Möglichkeiten, aus einer
reflektiert-gläubigen Perspektive darauf zu reagieren und mit der
Islamwissenschaft ins Gespräch zu kommen, aber Bauer ignoriert diese
Zweifel einfach. Er tut so, als gäbe es sie nicht. Eine Theologie, die
diesen Namen verdient, hätte sich damit auseinandersetzen müssen.
Eine "infantile Theologie", wie sie Bülent Ucar in unfreiwilliger
Selbstironie und wohl auch aus der Absicht, möglichst harmlos zu
wirken, gefordert hat, sollte - Spaß beiseite! - an unseren Universitäten
nicht möglich sein. [ 4 ]
Bauer tut so, als käme er aus dem islamischen Mittelalter und als hätte
sich seitdem geistesgeschichtlich nichts getan. Nicht nur sein Umgang
mit den Überlieferungen auf ʿĀʾiša ist anachronistisch, diese ganze Arbeit
ist ein einziger großer Anachronismus. Bauer reproduziert die tradierten
Formen der ḥadīṯ -Gelehrsamkeit ohne nennenswerte Modifikation. Soll
das, diese Scheuklappentheologie, die neue islamische Theologie sein,
die mit viel staatlicher Förderung an unseren Universitäten
herangezüchtet wird?
Man sieht es im Grunde schon an den Fußnoten: Selbst wenn Bauer alles
gelesen hätte, worauf er verweist, hätte er so gut wie nichts von unserer
abendländischen Geistestradition rezipiert, weder von der
Islamwissenschaft noch darüber hinausgehend. Die in ihrer Verbindung
von thematischer Breite und Gründlichkeit bislang unübertroffene
Darstellung der gesamten uṣūl al-fiqh von Bernhard Weiss, "The Search
for Gods Law", - das Standardwerk für uṣūl al-fiqh -Studien schlechthin steht nicht im einmal Literaturverzeichnis. Von Schacht führt Bauer nur
zwei kürzere Aufsätze an, von Goldziher gar nichts, nicht mal seine
thematisch passende und immer noch lesenswerte Studie über die
Ẓāhiriten. Die Koranübersetzung von Paret hat Bauer nicht verwendet,
dafür eine saudi-arabische (!) Übersetzung.
Die in der Einleitung angekündigte "Verortung des ʿāmm -Ausdrucks in
der Semantik" stellt sich als ein Exkurs von dreieinhalb Druckseiten
(256-259) heraus. Bauer zitiert und kommentiert einige Definitionen des
Begriffsumfangs u.a. aus Metzlers Lexikon "Philosophie" oder von der
Internetplattform Wikipedia (!), wobei Belanglosigkeiten herauskommen
wie etwa die Feststellung "Die Auffassung der Extension in der
Mengenlehre / im mathematischen Gebrauch scheint grundsätzlich dem
ʿāmm -Ausdruck zu entsprechen" (257). Bauer nimmt das, was er
"okzidentale Hermeneutik und Semantik" nennt, nur so weit zur
Kenntnis, wie es sich bruchlos in seinen Horizont einfügen lässt, der
mithin keinerlei Erweiterung erfährt. Bauers Herangehensweise erinnert
an die Art, wie man in Saudi-Arabien die technischen Errungenschaften
der westlichen Welt rezipiert, nämlich rein äußerlich-instrumentalistisch,
ohne sich auf die intellektuellen Hintergründe einzulassen. Bauer
versteht das, was er "Hermeneutik und Semantik" nennt, als eine Art
Hilfswissenschaft, die er zum lästigen, aber eben obligaten Nachweis
einer gewissen Interkulturalität und Interdisziplinarität dort einfügt, wo
es die Glaubensprämissen nicht gefährdet.
Wenn Bauer es mit seiner Horizonterweiterung ernst gemeint hätte,
hätte er anderes lesen, und vor allem nicht nur lesen, sondern auch
verarbeiten müssen. Ich empfehle Bauer, sollte er seinen Horizont
ernsthaft erweitern wollen, einmal das Studium von Lessings
theologiekritischen und philosophischen Schriften, um zu erfahren, was
sich so alles an dem Konzept der Offenbarungsreligion kritisieren lässt.
Danach sollte er die unter dem Titel "Hermeneutik und Kritik"
veröffentlichten Vorlesungen von Friedrich Schleiermacher zur Hand
nehmen, um einen ersten Sinn dafür zu entwickeln, dass wir ständig in
Gefahr sind, die Texte der Vergangenheit, und erst recht die religiösen
Traditionen, falsch zu verstehen. Schließlich soll er zu Dibelius
("Formgeschichte des Evangeliums") und Bultmann ("Geschichte der
synoptischen Tradition") greifen, um zu erfahren, zu welch kritischer
Leistung christliche Theologen fähig waren. Wenn das Bauer zu viel ist,
sollte er vielleicht nur das lesen, was Naṣr Ḥāmid Abū Zaid für seinen
Aufsatz Iškāliyāt al-qirāʾa wa-āliyāt at-taʾwīl gelesen hat: "Hermeneutics"
von Richard Palmer, eine handliche Einführung in die Thematik. Ein
vergleichbarer Titel auf Deutsch wäre Jean Grondins "Einführung in die
philosophische Hermeneutik". Speziell zur Kritik der Evangelien
empfehle ich von Sanders und Davies: "Studying the Synoptic Gospels".
Würden die sunnitisch-orthodoxen ḥadīṯ -Studien sich einmal gründlich
und ernsthaft damit auseinandersetzen, wie die christliche Theologie mit
ihrer heiligen Tradition umgeht, dann wäre das zumindest ein erster
Schritt in Richtung Horizonterweiterung.
Aber ich fürchte, dass es dazu nicht kommen wird, denn fremde, d.h.
nicht-islamische Einflüsse bereiten Bauer sichtliches Unbehagen. In der
langen Fußnote Nr. 75 sagt er dazu: Islamische Gelehrte, zu denen er
sich auch selbst rechnet, seien sich einig über den göttlichen Ursprung
des islamischen Rechts und könnten die Entwicklung des islamischen
Rechts daher aus den Offenbarungstexten und mit Gottes Handeln
erklären. Anders die Ungläubigen. "Vor allem nichtmuslimische Forscher
müssen für das Auftreten des Islams im Allgemeinen und dessen
Islamrecht und seine Wissenschaften im Speziellen andere
Begründungen finden, da dies, wenn nicht von Gott offenbart und
angeleitet, nicht aus einem Vakuum entstehen konnte" (29). Aha. Die
historische Kontextualisierung religiöser Texte ist also nur etwas für
Ungläubige. Weil sie nicht glauben können, dass Muhammad göttlich
inspiriert ist und etwa der Koran schon seit Urewigkeit auf der
wohlverwahrten Tafel verzeichnet ist, "müssen" sie ersatzweise nach
historischen Einflüssen suchen. Islamische Gelehrte sind, da sie
annehmen können, dass Gott selbst den Koran offenbart und Muhammad
angeleitet hat, natürlich in einer überlegenen Position.
Die islamische Theologie soll dem unkontrollierten Treiben in den
Hinterhofmoscheen ein Ende bereiten. Nachdem ich Bauers Studie
gelesen habe, muss ich sagen: Wenn Bauers Stil sich innerhalb der
islamischen Theologie durchsetzen sollte, dann kommt die
Hinterhofmoschee an die Universität. Bauer kultiviert eine
ultraorthodoxe Glaubenslehre, von der ich niemals gedacht hätte, dass
man sie an europäischen Universitäten zur Verhandlung zulassen würde.
Es ist auch überhaupt nicht einzusehen, wie sich auf dieser Grundlage
die weiten Teile des islamischen Rechts, die mit unserer
Gesellschaftsordnung schlechthin unvereinbar sind, aufheben und
relativieren lassen sollten. Die jungen Christen, die aus den streng
evangelikalen Gemeinden des Erzgebirges nach Leipzig kommen, um
Theologie zu studieren, klagen darüber, dass so viel von dem, was ihnen
bisher heiligste Überzeugung war, leichtfertig aufs Spiel gesetzt und in
Frage gestellt wird. Viele quälen sich während der ersten Semester nur
mit innerem Ekel durch ihr Studium, das sie als nicht gerade
ungefährliche Prüfung ihrer Glaubensfestigkeit erleben. Der Kölner
Salafist, der künftig nach Osnabrück geht, um sich bei Bauer zum Imam
oder Religionslehrer ausbilden zu lassen, wird solcherart Anfechtung und
Gewissensnot nicht fürchten müssen.
Auch der Stil der Arbeit ist übrigens eine Zumutung. Bauer ist seinem
Namen nach kein Migrant, aber sein Deutsch, insbesondere in den
Übersetzungen, ist sperrig und verquast. Einige Kostproben: Den Satz "
iḏā arāda llāhu bi-ʿabdihī l-ḫaira ʿaǧala lahū l-ʿuqūba fī d-dunyā "
übersetzt Bauer als "Wenn Allah mit (für) Seinem Diener das Gute will,
gibt Er für ihn die Strafe (bereits) frühzeitig im Diesseits" (403). In
halbwegs passablem Deutsch könnte das ungefähr so lauten: "Wenn Gott
einen Menschen zum Heil bestimmt hat, beeilt er sich, ihn (noch) im
Diesseits zu bestrafen." Sätze mit Partizip aktiv als Prädikat, wie sie im
Arabischen recht häufig sind, übersetzt Bauer stets eins zu eins ins
Deutsche: " wa-huwa ṣāʿim - während er fastend war" (394), " wa-hiya
ṭāmiṯ - während sie menstruierend ist" (400) usw. Nur leider kann im
Deutschen das 1. Partizip nicht als Prädikatsteil verwendet werden. Es
besteht auch überhaupt keine Not, sich so zu verrenken. Die
betreffenden Sätze lassen sich sehr gut verbal wiedergeben. Vgl. hierzu
W. Fischer, Grammatik des Arabischen, § 201ff. Ein interessanter Fall von
Bauer-Deutsch ist auch der Satz "Ich hoffe, dass ich der Gottesfürchtigste
unter euch bin und der Wissendste, vor was ich mich zu hüten habe!" So
übersetzt Bauer " innī la-arǧū an akūna aḫšākum li-llāhi wa-aʿlamakum
bi-mā attaqī ". "Der Wissendste" als Wiedergabe von aʿlam soll, wieder
streng analog zum Arabischen, ein Superlativ zu "wissend" sein,
allerdings können im Deutschen Partizipien nur dann gesteigert werden,
wenn das Partizip von seinem Verb isoliert ist. Eine Möglichkeit, den Satz
grammatisch zu übersetzen, wäre: "Ich denke doch, dass ich der
Gottesfürchtigste unter euch bin und am besten weiß, wovor ich mich zu
hüten habe!" Ich empfehle Bauer dringend, sollte er wieder eine seiner
Verschriftlichungen veröffentlichen wollen, vorher die Kapitel einer
Dudengrammatik zu Gebrauch des Partizips durchzuarbeiten. Ein letztes
Beispiel stellvertretend für Dutzende andere: Die Exegeseregel " alʿibratu bi-ʿumūmi l-lafẓi lā bi-ḫuṣūṣi s-sabab " übersetzt Bauer als "Das
Augenmerk ist auf der Umfassendheit des Ausdrucks und nicht auf der
Spezifität des Anlasses". Die Regel besagt, dass man sich bei der
Rechtsableitung aus normativen Texten, zu denen die Umstände ihrer
Äußerung bzw. Offenbarung überliefert werden, trotzdem nur an den
allgemeinen Wortlaut hält, also: "Zu berücksichtigen ist der allgemeine
Wortlaut, nicht der besondere Äußerungsanlass!" Diese Beispiele sind
durchaus repräsentativ. Bauers Übersetzung ist - gemessen an der
Wiedergabe des arabischen Sinns - nicht krass falsch, aber ohne Not
schwer lesbar und im Deutschen zwar nicht unverständlich, aber oft
schwerfällig und ungrammatisch. Bauer klebt an der arabischen Syntax,
was eine gute Übersetzung ja bekanntlich vermeiden soll. Bauers
ungelenker Stil dient dabei nicht dazu, irgendwelche Nuancen besser
herauszuarbeiten, die anders nicht zu haben wären, nein, ganz und gar
nicht. Oft verzerrt die Übersetzung den Sinn, und oft gerade in einer der
Orthodoxie genehmen Weise. Qāṣṣ beispielsweise übersetzt Bauer als
"Freitagsprediger" (385), ein qāṣṣ jedoch ist kein Freitagsprediger,
sondern ein Geschichtenerzähler. Die Geschichtenerzähler aber haben
einen schlechten Leumund. Sie verwenden viel Material, das nicht aus
der islamischen Tradition kommt - Stichwort: isrāʾīlīyāt -, weshalb man
ihnen misstraut. Allerdings waren sie wichtig und haben den frühen
Islam stärker geprägt, als es der Orthodoxie lieb ist, wovon sich in den
Quellen Spuren erhalten haben, Spuren, die Bauer mit seiner
Übersetzung tilgt. Hierzu grundlegend Goldziher, Muhammedanische
Studien II , 153-174, und Neue Materialien zur Litteratur des
Ueberlieferungswesens bei den Muhammedanern , 478f.. Hätte ich die
Übersetzung nicht abgeglichen, hätte ich gedacht, dass im Arabischen
ḫaṭīb o.dgl. steht. Von einer apologetischen Tendenz kündet auch die
Übersetzung von fatḥ im Zusammenhang mit der Eroberung von Mekka
als "Eröffnung" (363, 397). Dass Bauer raʾā auch an den Stellen, an
denen es besser "Denken" heißen sollte, konsequent mit "Sehen"
übersetzt, scheint mit der orthodoxen Abneigung gegen den raʾy , die
rationale Spekulation, zusammenzuhängen. Soweit die Übersetzungen.
Mit seinem eigenen, nicht aus dem Arabischen übersetzten Text, sieht es
kaum besser aus. Eine Kostprobe: "Obwohl diese Fragestellung der
Zulässigkeit des Küssens während des Fastens nicht die Verordnung
dieses Gottesdienstes an sich betrifft, steht sie doch direkt damit in
Zusammenhang. Offensichtlich erachtet Aisha die Erlaubnis zum Küssen
während des Fastens als vernunftgemäß nachvollziehbar damit
begründet und verknüpft, die Lust im Zaum halten zu können, was
gemäß der Bedeutung des Fastens sehr nachvollziehbar erscheint" (97).
330 Seiten in diesem Stil! Abschließend will ich noch darauf hinweisen,
dass der hanafitische Jurist "Abū al-Ḥasan al-Karakhī" (9) in Wahrheit
Abū al-Ḥasan al-Karḫī heisst, nach dem Bagdader Stadtviertel Karḫ. Und
es heisst šarʿ man qablanā , nicht " man qablinā ". Siehe Fischer,
Grammatik des klassischen Arabisch , § 291 b.
Kurz und gut: Ich wünsche dieser Arbeit einen breiten Leserkreis, nicht,
damit das darin enthaltene Gedankengut gedeihe, sondern, a) weil man
es nicht glaubt, bevor man es nicht selbst gelesen hat, und b) weil ich
davon überzeugt bin, dass diese Arbeit sich selbst richtet.
Anmerkungen :
[ 1 ] al-Imām aš-Šāfiʿī wa-taʾsīs al-īdiyūlūǧīya al-wasaṭīya, Kairo 1992.
[ 2 ] Siehe Juynboll: Some isnād-analytical methods illustrated on the
basis of several woman-demeaning sayings from ḥadīṯ-literature, alQantara 10 (1989), 343f.
[ 3 ] Außerdem ist natürlich auch Motzki nicht über jeden Zweifel
erhaben. Wenn es die Kritik an der islamischen Tradition zu kritisieren
gilt, bietet er so viel Scharfsinn auf, dass er den Bogen seiner
Argumentation mitunter überspannt. Seine eigenen Schlussfolgerungen
aber haben natürlich auch ihre blinden Flecken und beruhen auf
Voraussetzungen, die mindestens genauso problematisch sind wie die
Voraussetzungen derer, gegen die er seine Kritik richtet. Und was die
islamische Tradition selbst angeht, so bekommt sie die Schärfe seiner
subtilitas kaum je zu spüren. Es würde nun aber zu weit führen, von
Bauer auf Motzki zu kommen. Eine sehr fundierte Kritik an Motzkis
Methoden hat kürzlich Stephen J. Shoemaker vorgelegt: In Search of
ʿUrwa's Sīra: Some Methodological Issues in the Quest for "Authenicity"
in the Life of Muḥammad, Der Islam Bd. 85 (2011), 257-344.
[ 4 ] Bülent Ucar: "Islamische Theologie in Deutschland? Die Ausbildung
von Religionslehrern und Theologen an staatlichen Hochschulen", in:
Herder Korrespondenz Spezial 2-2009, 33.
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