Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns Schädigungen des Gehirns 1. Einleitung 2. Die häufigsten Ursachen für Hirnschäden 3. Neurologische Erkrankungen mit neuropsychologischen Störungen Quelle: Pinel Kap. 10 (bedingt B&S, Kap. 13 & 27) 1. EINLEITUNG • Die Erforschung von Hirnschädigungen verfolgt im wesentlichen zwei Ziele: 1. Erkenntnisgewinn über die Funktionsweise des ungeschädigten Gehirns 2. Erforschung von Behandlungsstrategien, prognostischen Faktoren, Diagnoseverfahren etc. ( {Klinische} Neuropsychologie) Abb. Gliederung Fallbeispiel Prof. P., Abb. Hirnnervern, Pinel 10.3 2. DIE HÄUFIGSTEN URSACHEN FÜR HIRNSCHÄDEN 2.1. • Hirntumoren Allg.: Tumor oder Neoplasma Unkontrolliertes Überschusswachstum körpereigenen Gewebes; wenn bösartig (maligne) Bezeichnung als „Krebs“ Abb. Pinel 10.1 • Meningeome: o etwa 20% aller Tumoren o wachsen zwischen den 3 Hirnhäuten (Meningen) o immer abgekapselt mit eigener Membran o meist benigne, dennoch Schädigung des Gehirns über Raumforderung; geringes Rezidivrisiko • Infiltrierend wachsende Tumoren: o Keine Abkapselung bei Mehrzahl der Tumoren o Diffuses Wachstum durch gesundes Gewebe maligne o Chirurgisch meist keine vollständige Entfernung möglich Reste können weiter wachsen. Abb. Pinel 10.2 • Primärtumoren bzw. Metastasierende Tumoren 1/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns Ca. 10% der Hirntumoren sind KEINE Primärtumoren, o d.h. Entstehung aus Tumorfragmenten, die mit dem Blutstrom ins Gehirn gelangen o Metastase („Wanderung“); o Bei umfangreicher Metastasierung ist eine komplette Funktionsherstellung / Heilung meist nicht möglich Neuer (experimenteller) Therapieansatz Bei o Tumorwachstum scheinen Mechanismen ausgefallen zu sein, die normalerweise von Tumorsuppressorgenen ausgehen man versucht diese Funktionen wiederherzustellen. 2.2. • Cerebrovaskuläre Störungen Schlaganfall = Apoplexia cerebri („Apoplex“) = apoplektischer Insult („Insult“ {insultare taumeln}) • Unterscheidung: 1. Einblutung / Hämorrhagie 2. Mangeldurchblutung / Ischämie ( siehe unten) • Begriff „Infarkt“ Gewebeverlust infolge Schlaganfall • Allgemein zählt zu den häufigsten Todesursachen (USA: Platz 3) o und häufigsten Ursachen für Behinderungen Häufigste Folgen Amnesie, Aphasie, Paralyse und o Koma 1. Hämorrhagie (Einblutung) • = „hämorrhagischer Insult“ • Folge eines Gefäßrisses im Gehirn Blut läuft in das umliegende Gewebe Schädigung • Ca. 20% aller Schlaganfälle; Letalität bei ca. 50% • Ursache häufig Aneurysmen (congenital oder infolge von Gefäßgiften oder Infektionen) oder Arteriosklerose • Bei Aneurysmen Hypertonie unbedingt vermeiden (Existenz von Aneurysmen jedoch meistens nicht bekannt) • Beobachtbar: Meist plötzlich einsetzende Bewusstseinsstörung mit ausgeprägter motorischer Lähmung 2/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns 2. Cerebrale Ischämie • = „ischämischer Hirninfarkt“ • Mangelnde Blutversorgung in Hirnregion Mangelhafte Glucose- und Sauerstoffversorgung Verlust von Neuronen • Drei Hauptursachen: o Thrombose Pfropfenbildung (Thrombus) aus Blutgerinnsel, Fetttröpfchen, Luftblase oder Tumorzellen o Embolie Ebenfalls ein Pfropfen (Embolus), der jedoch in einem größeren Gefäß gebildet wurde und in kleinere Gefäße wandert. Häufigste Ursache. o • Arteriosklerose ( s.o.) Ca. 80% aller Schlaganfälle; Letalität bei ca. 20% Abb. Pinel 10.4 Glutamatexzitotoxizität: • o Paradox: Entgegen der klassischen Auffassung, dass O2- und Glucosemangel Hauptursache der Schädigung von Neuronen ist, geht man heute davon aus, dass die exzessive Glutamatausschüttung nach einer Ischämie die Hauptursache für Schädigungen ist. Abb. Pinel 10.5 o Blockade eines Gefäßes Hyperaktivität der mangeldurchbluteten Neurone Glutamat Hypererrgegung der postsynapt. Glutamatrezeptoren (vor allem NMDA+ ++ Rezeptoren) Massiver Na - und Ca Einstrom Postsynapt. Neuronen schütten Glutamat aus Kettenreaktion (u.a. von Bedeutung: neurotoxische sog. Freie Radikale). o Therapeutischer Ansatz Bei Versuchstieren kann eine Gabe von NMDA-Rezeptorblockern oder Calciumkanal-Blockern die Entwicklung von Hirnschädigungen signifikant verringern. • Durch Ischämie bedingte Hirnschäden weisen drei wichtige Merkmale auf: 3/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns o Gewisse Latenz. Nach ca. 10 Minuten noch keine Schädigung; dann aber über Tage o Nicht alle Hirnstrukturen sind gleich anfällig (besonders anfällig sind Areale im Hippocampus) o Die Mechanismen, die letztlich zur Schädigung führen, sind nicht für alle Strukturen gleich. 2.3. Gedeckte Schädel-Hirn-Traumata • Gedeckte Schädel-Hirn-Traumata: Hirnverletzungen nach „stumpfer“ Gewalteinwirkung (z.B. Schlag, Aufprall, Sturz) • Oft (nicht immer!) beobachtbar Verwirrtheit, sensomotorische Störungen, Bewusstlosigkeit, Erbrechen. • Hirnquetschung (Contusio cerebri): Ged. Schädel-HirnTraumata mit Verletzung des Gefäßsystems Hämatom • Oft Gehirn prallt gegen Innenseite des Schädels. Abb. Pinel 10.6 • Abbildung zeigt ein subdurales Hämatom mit Gewebekomprimierung (rasche chirurgische Entfernung notwendig!) • Contre-Coup-Verletzungen: Schädigungen auf der gegenüberliegenden Seite der Gewalteinwirkung (GegenstoßVerletzungen) • Gehirnerschütterung (Commotio cerebri): Bewusstseinstrübung nach Schlag ohne Anzeichen für anatomische Schädigungen. Langzeitfolgen ?? • Punch-Drunk-Syndrom: Demenz und deutliche Hirnvernarbung. Fallbeispiel Boxer Jerry Quarry. 2.4. Gehirninfektionen • allgemein Encephalitis: Gehirninfektion mit entzündlichen Veränderungen infolge des Eindringens von Mikroorganismen • Bakterielle Infektionen o Meningitis: Entzündung der Hirnhäute (z.B. bakt. Infektion mit Borreliose-Bakterien, Zecken) o Hirnabszesse: Lokale Eiteransammlung im Gehirn 4/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns o Syphilis: Bekannteste bakt. Infektion, schwere Hirnschäden wenn unbehandelt progressive Paralyse. Virusinfektionen • o Neurotrope Viren: • Viren, die speziell Nervengewebe infizieren. • Bspl. Tollwut Wirkt langfristig tödlich; Impfung aber noch ca 1 Monat nach Übertragung möglich o Pantrope Viren: • Viren, die nicht speziell, aber auch Nervengewebe angreifen • Bspl. Mumps- und Herpes-Viren Eiweißmoleküle PRIONEN • o Eiweißmoleküle, die eine veränderte Molekülstruktur aufweisen, die den Hirnstoffwechsel stört Abb. Prionenkonformation o Veränderte Struktur führt zu verschiedenen schädigenden Eigenschaften (u.a. Nicht abbaubar durch versch. Enzyme; sehr druckund hitzeresistent) o Prionen können ihre „kranke“ Struktur anderen Eiweißmolekülen „aufzwingen“ o ABER WIE??? SIE HABEN KEINE EIGENE DNA / RNA! o Hirngewebe wird zerstört und schließlich schwammartig ( spongiform) o Spongiforme Encephalopathien: CreutzfeldtJakob-Krankheit ... Abb. BSE o ... und Sonderform BSE (Bovine Spongiforme Encephalopathie) 2.5. Intoxikationen / Neurotoxine • Toxische Psychose: Hirnschädigungen durch Chemikalien. Z.B. Schwermetalle wie Quecksilber und Blei. • Alkohol: Häufige Erkrankung bei chronischem Alkoholismus Korsakow-Syndrom (Leitsymptom: 5/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns schwere Gedächtnisstörungen); entsteht vermutlich vorwiegend durch Thiaminmangel (Vitamin-B1-Mangel). o Alkoholiker nehmen i.d.R. sehr wenig Thiamin auf o • Alkohol selbst stört den Thiaminstoffwechsel Viele weitere Stoffe wie z.B. Mittel zur „Unkrautvernichtung“ (Lindan, DDT) • (...) • Endogene Neurotoxine: Bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose Antikörper gegen eigenes Nervensystem. 2.6. Genetische Faktoren • Verschiedene Erbkrankheiten Hirnschädigungen • Bsple: Down-Syndrom („Trisomie 21“), HuntingtonErkrankung Abb. Pinel 10.7 • 2.7. (...) siehe Vorlesung „Genetik“ Programmierter Zelltod (Apoptose) • Einleitende Bemerkung: o Infolge einer Hirnschädigung werden eine Reihe von Prozessen auf zellulärer und physiologischer Ebene ausgelöst, welche direkt oder indirekt das Absterben weiterer Neurone bewirken. o Hier wird etwas genauer auf Apoptose eingegangen wg. aktueller Therapeutischer Forschung. • Apoptose: genet. programmierter Zelltod (nicht nur Neurone) • „Sinnvolles“ Prinzip zur Zerstörung dysfunktionaler Zellen • Neuronale Apoptose überwiegend (aber nicht nur!) in früher Embryonalentwicklung • Wichtige Rolle bei Entwicklung und Plastizität des Gehirns • HIER WICHTIG WEIL Auswirkungen aller Ursachen von Hirnschädigungen z.T. via Apoptose. • Arten des Zellsterbens: 6/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns • Zellnekrose: Verletzung Anschwellen und Platzen der o Zelle o Entzündungsprozess in dieser Region o Immunzellen vertilgen die Restbestandteile o Läuft relativ schnell ab (z.B. massiver Neuronenverlust innerhalb weniger Stunden nach cerebraler Ischämie) • Apoptose: o Zelle schrumpft und wird runzlig o Verdauung d. Immunzellen ohne Entzündungsreaktion Zellsterben um nekrot. Region innerhalb von o Tagen. Wichtig sog. Neurotrophe Faktoren, die in o intakter Struktur das genet. Zelltodprogramm unterdrücken. bei Wegfall Apoptose Forschung: u.a. Einsatz neurotropher Faktoren o (z.B. NGF, „Nerve Growth Factor“) nach Hirnschädigungen. 3. NEUROLOGISCHE ERKRANKUNGEN MIT NEUROPSYCHOLOGISCHEN STÖRUNGEN (einige Wenige!) Exemplarische neurologische Erkrankungen die zu • neuropsychologischen Störungen führen. 3.1. Parkinson-Krankheit • Synonym: Morbus Parkinson, Parkinsonismus • Bewegungsstör. ca. 0.5% der Bevölk., meist mittl. bis höh. Lebensalter • Symptomatik o Langsamer Beginn, z.B. leichtes Zittern und Steifigkeit in Fingern o Vollbild: • Akinese: gestörte Bewegungsinitiation; Bewegungsverlangsamung (Bradykinese), • Rigor: Erhöhter Muskeltonus, „wächsener“ Widerstand; bei pasiver Bewegung „Zahnradphänomen“ • Ruhetremor: v.a. in Händen 7/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns • Und auch: („Madonnengesicht“), Festination (kleine schneller werdende Trippelschritte) • Meist keine / geringe intellektuelle Störungen; dennoch Depressivität & kogn.Defizite in manchen Fällen feststellbar. • Erhöhte Mortalität • Ursachen im Einzelfall meist unklar, aber sicher multifaktoriell und heterogen Parkinson in Subgruppen bei Genmutation und nach Hirninfektionen, Schlaganfällen, Tumoren, Traumata & Neurotoxinen Abb. Pinel 3.22 • Degeneration der Substantia nigra (Dopaminerge Neurone), die über nigrostriatale Bahn ins Striatum der Basalganglien projiziert. • Parkinson erst bei 80-90% DA-Verlust; im Vollbild fehlt DA in praktisch völlig. • Therapie o L-Dopa und DA-Agonisten (nur temporär, Nebenwirkungen) o Implantation fetalen dopaminergen Gewebes (mediz. & ethische Probleme) o Verhaltenstherapie (Verlangsamung der Symptomverschlechterung o 3.2. Elektrische Tiefenhirnstimulation (THS) Huntington-Krankheit • Synonym: Chorea Huntington, „Veitstanz” • Progressive, seltene Bewegungsstör. ab mittlerem Lebensalter • Erbkrankheit (Gendefekt auf Chromosom 4; dominant) • Symptomatik o Zunächst milde, später starke motorische Unruhe o Vollbild: schnelle ruckartige Zuckungen über ganze Gliedmaßen, Verrenkungen, Grimassieren o Starke Demenz und Amnesien Tod nach 10-20 Jahren • Fortschreitender Neuronenverlust vor allem in Striatum und Pallidum aber auch im gesamten Frontalcortex • Keine ursächliche Therapie möglich; Genetische Beratung ist indiziert 8/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns 3.3. • Multiple Sklerose (MS) Progressive Erkrankung, bei der das Myelin im ZNS zerstört wird • Beginn meist im frühen Erwachsenenalter Abb. Pinel 10.11 • Symptomatik o Sehr heterogen, abhängig von Größe, Lokalisation & Anzahl sklerotischer Läsionen o Anfang: Oft leichte Stör. der Feinmotorik, hinkender Gang o Vollbild: Ataxie , Sehstörungen, Muskelschwäche, Taubheit der Gliedmaßen, Inkontinenz • Schubartiger Verlauf mit längeren schubfreien Phasen • Zunächst nur kleine degenerierte Areale auf Myelinscheiden • Später Neuronenverlust Narbengewebe („Sklerose“ = Verhärtung) • Epidemiologische Studien legen ursächlichen Einfluss von Umwelt- und Erbfaktoren nahe. • Tierexp. Befunde lassen MS als Autoimmunerkrankung erscheinen, möglicherweise infolge einer langsam wirkenden Infektion • Keine ursächliche Therapie möglich 3.4. • Alzheimer-Krankheit Progressive Alterskrankheit (selten aber auch Ausbruch um 40. LJ.), Prävalenz: 3% der über 65-jährigen, 10% der über 85jährigen häufigste Ursache für Auftreten von Demenz • Symptomatik o Frühstadium: Gedächtnisschwäche, depressive Verstimmungen, aphasische Symptome o Zwischenstadium: Reizbarkeit, Ängstlichkeit, vollständiger Sprachverlust o Fortgeschrittenes Stadium: Verlust einfacher motorischer Fähigkeiten (Schlucken, Blasenkontrolle), Verlauf meist tödlich • Typische Neuronenveränderungen bei Alzheimer o Neurofibrillenknäuel: Fädige Strukturen im Cytoplasma von Neuronen 9/10 Biopsychologie WiSe – Schädigungen des Gehirns o Amyloidplaques: Klumpen degen. Neurone mit Kernregion aus unvollständig abgebauten sog. Amyloidproteinen; Abb. Pinel 10.12 o • Substantieller Neuronenverlust Plaques, Fibrillen und Neuronenverlust in gesamtem Gehirn, aber in unterschiedlicher Ausprägung o stärker in entorhinalen Cortex, Amygdala, Hippocampus (alle mit Bezug zu Gedächtnis) o auf dem Cortex inferiorer temporal, poster. parietal, präfrontal (alle mit Bezug zu kognitiven Funktionen) Abb. Pinel 10.13, Abb. B&S 27.41 • Starker genetischer Faktor (deutliche familiäre Häufung, Identifikation einiger weniger Gene, die mit Unterform von Alzheimer im Zusammenhang stehen); Häufung u.a. auch bei vorangegangenen schweren Kopftraumen • Derzeit keine wirksame Therapie möglich; Fortschreiten wird scheinbar durch einige bekannte Medikamente verzögert Aspirin, Ibuprofen (Rheuma, Schmerzen), entzündungshemmende Medikamente, Antioxidantien (Vit. E). WEITERE: ... Leider keine Zeit für weitere Erkrankungen mit neurologischen / neuropsychologischen Anteilen, ... • Epilepsie • Schizophrenie ... oder Störungen infolge von Hirnschädigungen, wie ... • Aufmerksamkeitsstörungen • Gedächtnisstörungen • Sprachstörungen • Etc. 10/10