Zahnschaden bei Intubationsnarkose

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Aus der Fallsammlung des Schlichtungsausschusses
bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz
Fachgebiet:
Diagnose:
Titel:
Autor:
Verfahren:
Anästhesiologie
Zahnschaden bei Intubationsnarkose (ICD 10: T 81.8, S 02.5)
Aufklärung über möglichen Zahnschaden bei Intubationsnarkose
Dr. med. Matthias Schäfer
207/14 - Stand der Veröffentlichung: 03.05.2016
Der Fall
Der Patient unterzog sich einer rechtsseitigen Teil-TEP des Kniegelenkes (unikondyläre
Schlittenprothese rechts) bei Varusgonarthrose in Allgemeinanästhesie. Bei der Narkoseeinleitung wurde die Krone des oberen rechten Schneidezahnes (11) beschädigt, so dass diese
im Weiteren zahnärztlich versorgt und ersetzt werden musste.
Die Einwände des Patienten
Der Zahnschaden wird den Folgen einer fehlerhaft durchgeführten Anästhesie zugerechnet,
die zu dem geklagten Zahnschaden geführt hat. Zudem wird von Seiten des Patienten ein
Aufklärungsmangel angeführt, da eine Zahnbeschädigung im Aufklärungsgespräch nicht
thematisiert worden sei.
Der Vorsitzende des Schlichtungsausschusses hat den Autor dieses Fallbeispiels mit der
medizinischen Überprüfung beauftragt, ob ein vorwerfbares ärztliches Fehlverhalten vorliegt.
Die Begutachtung
Der Patient wurde zwei Tage vor der Operation anästhesiologisch voruntersucht und aufgeklärt. Die Anamneseerhebung erfolgt anhand eines standardisierten Aufklärungs- und
Anamnesebogens (proCompliance Thieme Verlag). Die Angaben ließen auf einen im Wesentlichen stabilen Gesundheitszustand des Patienten schließen. An Besonderheiten wurden
aufgeführt:
 eine regelmäßige Medikamenteneinnahme: Lyrica, Metoprolol, Simvastatin,
Meloxicam, ASS
 drei größere Voroperationen in den letzten fünf Jahren: „LWS-Versteifung
2008“, „Hüft-TEP links 2009“, „Schulter re. 2012“, bei denen sich anamnestische keine Besonderheiten ergaben
 Herzrhythmusstörungen
 Übergewichtigkeit (112 kg/167 cm) bei gut belastbarem Allgemeinzustand (>4
MET’s) mit hypertonen Blutdruckwerten von 180/81 mmHg
 chronisches Schmerzsyndrom der LWS
 Schlaf-Apnoe-Syndrom mit CPAP-Therapie
 die Fragen nach Zahnkrankheiten, lockeren Zähnen, herausnehmbaren Zahnersatz wurde mit „nein“ beantwortet
Der Zahnstatus wurde als „fest“ ohne weitere Kommentierung dokumentiert. Die Einschätzung der Intubationsbedingungen ergab für die Kopf-Reklination sowie für den KinnspitzeKehlkopfabstand keine Auffälligkeiten. Der Status nach Mallampati wurde mit „III“ eingestuft.
Als morgendliche Prämedikation wurden 3,75 mg Midazolam (Dormicum®) appliziert.
Der Gesamtstatus des Patienten wurde nach der Klassifikation der American Society
of Anesthesiologists (ASA) mit III eingestuft. Als Anästhesieverfahren wurde eine Allgemeinanästhesie mit Larynxmaske/Intubation geplant und mit dem Patienten besprochen.
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Die Aufklärung der Patientin erfolgte nach einem von der DGAI empfohlenen System der
Stufenaufklärung mit Hilfe eines „Aufklärungs- und Anamnesebogens zur Anästhesie Erwachsener u. Jugendlicher“ (proCompliance Thieme-Verlag). In dem verwendeten Aufklärungsbogen wird unter anderem auf Seite 3 auf mögliche Zahnschäden als Nebenwirkungen
und Komplikationen der Allgemeinanästhesie explizit eingegangen.
Auf dem Aufklärungsbogen finden sich unter „Ärztliche Anmerkungen zum Aufklärungsgespräch“ folgende weitere, teilweise unleserliche handschriftliche Zusätze, die, soweit leserlich, wie folgt interpretiert werden: „Patient wünscht VN.“ (Patient wünscht Vollnarkose),
„Z/SB/L/(??) Verletzungen“ (Zahn-, Stimmband-, Larynx- und ?-Verletzungen) „Heiserkeit,
Halsschmerzen“, „Aspiration Lungenentzündung“, „Beatmungsprobleme“, nächster Eintrag
nicht leserlich, „Herz-Kreislaufkom...“ (Herz- Kreislaufkomplikationen), „Allergische
R...“(Allergische Reaktionen).
Weiterhin erfolgte die Aufklärung und Einwilligung für ein supplementierendes Regionalanästhesieverfahren zur postoperativen Schmerztherapie (3-in1-Block) mit den typischen Komplikationen, die im Zusammenhang dieses Gutachtens keine Rolle spielen.
Mit seiner eigenhändigen Unterschrift willigte der Patient in die geplante Allgemeinanästhesie ein. Vermerke über weitere Fragen oder Beschränkungen finden sich auf dem Aufklärungsbogen nicht.
Die Allgemeinanästhesie wurde nach Anlage des Regionalanästhesieverfahrens (3-in1Block) unter Verwendung von Propofol (Bolus 2,5 ?) + 60 mg), Sufentanil (25µg + 10µg) und
dem Rocuronium (40 mg) als intravenöse Anästhesie eingeleitet unter Verwendung des
Hypnotikums Propofol fortgeführt.
Nach initialer Denitrogenierung und Maskenbeatmung mit 100% Sauerstoff erfolgte zunächst
der erste erfolglose Intubationsversuch, wohl mit einem konventionellen Spatel, danach der
Versuch mit einem speziellen an der Spitze beweglichen Spatel nach McCoy. Auch mit der
daraufhin eingesetzten Videolaryngoskopie, Verbesserung der Kopflage (Jackson-Position)
und Zuhilfenahme eines Mandrins gelang keine Intubation. Schließlich konnte eine Atemwegssicherung mit Hilfe einer Larynxmaske der Größe 5 etabliert werden.
Über diesen Ablauf ist handschriftlich notiert: „sehr schwere Intubation Cormack IV° Versuch
mit McCoy Spatel Führungsdraht Jackson Position Videolaryngoskopie ohne Erfolg. Nach
Rücksprache mit OÄ Dr. X LM #5 ohne Probleme platzierbar. Bei Intubationsversuch
Schneidezahn oben re. bisschen beschädigt, ein Teil ist abgebrochen“.
Die für diesen Teil dokumentierten Vitalparameter wie auch der Anästhesieverlauf zeigten
keine Auffälligkeiten.
Neben den üblichen Überwachungsparametern wurde während der Anästhesie ein prozessiertes Elektroenzephalogramm nach der BIS®-Methode abgeleitet. Die dokumentierten
Werte zeigen während der Aufrechterhaltung eine Hypnosetiefe um 32–40 an, die eine zu
tiefe, aber auch eine zu oberflächliche Anästhesie nach heutigem Kenntnisstand ausschließen können.
Die verwendeten Methoden und Medikamente, die Durchführung des verabredeten Anästhesieverfahrens, insbesondere die Verwendung der Larynxmaske nach den fehlgeschlagenen
Intubationsversuchen sowie die Dokumentation entsprechen dem heute gängigen Standard
des Fachgebietes für Operationen dieser Art und dem Vorgehen bei erschwerter Intubation.
Die gutachterliche Betrachtung fokussierte sich also im Wesentlichen auf die Frage, ob der
eingetretene Zahnschaden durch das gewählte anästhesiologische Vorgehen in der unmittelbaren Einleitungsphase vermeidbar gewesen wäre.
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Grundsätzlich gehören Verletzungen der Zähne und des Zahnhalteapparates zu den typischen Schädigungsmustern narkoseassozierter Komplikationen. Nach Literaturangaben haben die Zahnverletzungen einen Anteil zwischen 40% und 55% an den dokumentierten Narkoseschäden. Insgesamt wird für die Gesamtinzidenz von Narkosezwischenfällen in der Literatur ein relativer großer Bereich zwischen 0,06% und 10,6% angegeben, so dass sich theoretisch ein Risikobereich zwischen 0,0024% und etwa 5% für Zahnschäden errechnen lässt.
Neben den Verletzungen der Zähne und des Zahnhalteapparates gelten auch Schädigungen
des Kiefergelenks, der Zahnkeime und der sensiblen Innervation des Mund-KieferGesichtsbereichs als typische Komplikationen insbesondere der hier durchgeführten Laryngoskopie. Besonders sind dabei insbesondere die Schneidezähne betroffen. In den meisten
Fällen ereignet sich der Zahnschaden bei der Intubation dann, wenn die oberen Frontzähne
Kontakt zum Laryngoskopspatel erlangen und durch die Einstellbewegung Scherkräften
ausgesetzt sind. Bedingt durch die üblicherweise mit der linken Hand geführte Laryngoskopie sind vor allem die linken Frontzähne gefährdet. Nach einer Untersuchung von Lockhart et
al. waren im Oberkiefer in 51% der mittlere Schneidezahn links, gefolgt von linken Schneidezahn (19%) und rechten Schneidezahn (16%) betroffen.
Mehrfache Intubationsversuche und Intubationsschwierigkeiten erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Traumatisierung gegenüber einer unkomplizierten Intubation. Die Zahnschäden
können aber auch bereits durch das Einführen und die Entfernung von Tuben oder Schläuchen zur Absaugung und die damit zusammenhängende Manipulation entstehen. Dabei
können unphysiologische Kräfte auf die Zähne einwirken, z.B. Scherkräfte, insbesondere bei
der direkten Laryngoskopie vor Intubation, aber auch bei Narkosen mit Larynxmasken.
Selbst bei der Mikrolaryngoskopie ohne endotracheale Intubation wiesen Müller et al. bei
zwei von 81 Patienten (Inzidenz 2,5%) Zahnschäden nach.
Zahnschäden können auch in etwa einem Viertel der Fälle während der Extubation und der
Aufwachphase durch unkontrolliertes Aufbeißen bei noch getrübtem Bewusstsein auftreten.
Eine Zahnverletzung auf einen Guedel-Tubus wurden in einer Untersuchung von Vogel et al.
in einem Fünftel der Fälle dieser Ursache zugeschrieben.
Zahnschäden werden in den meisten Fällen bei bereits mehr oder weniger vorgeschädigten
oder fehlgestellten Zähnen beobachtet. Prädisponierende Faktoren werden vor allem in folgenden Risikokonstellationen gesehen: vorbestehende fortgeschrittene Lockerungen der
Frontzähne, Überbiss der Frontzähne (Prognathie), fortgeschrittene kariöse Veränderungen
der Zahnsubstanz, avitale Zähne, fortgeschrittene marginale Parodontitis, Wechselgebiss,
Lückengebiss, ausgedehnte Füllungen, Fehlstellungen der Frontzähne, keramische Versorgung, Gesichtsfehlbildungen und adipöser Habitus mit reduziertem Abstand zwischen Kinn
und Kehlkopf.
Der Zahnschaden kann in einer Verletzung der Zahnhartsubstanz im Sinne einer Absplitterung, den unterschiedlichen Formen der Kronen- und Wurzelfraktur mit Schädigung des
Zahnhalteapparates bis hin zur Totalluxation bestehen.
Demzufolge ist ein Zahnschaden bei einer Narkose auch bei sorgfältiger Vorgehensweise
grundsätzlich nicht immer vermeidbar. Zwar haben sich hinsichtlich voraussehbarer Intubationsschwierigkeiten, die für einen Zahnschaden prädisponieren können, eine Reihe von
Scores (Mallampati, Kinnspitze-Kehlkopfabstand, Kopfreklination) klinisch etabliert, deren
negativer Vorhersagewert ist allerdings nicht hoch genug, um auf jeden Fall Intubationsschwierigkeiten im Vorhinein auszuschließen.
Im vorliegenden Fall waren vier Risikofaktoren dokumentiert, weswegen die Möglichkeit eines Zahnschadens grundsätzlich als höher einzustufen war:
 die anatomische Konfiguration eines Mallampati-III-Status
 eine höhergradige Adipositas
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

das Vorliegen eines obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndroms als prädisponierende Faktoren einer erschwerten Intubation und
die keramische Versorgung der Frontzähne mit Kronen als Ausdruck einer erhöhten
Vulnerabilität des Zahnapparates.
Anamnestisch waren bei den Voroperationen des Patienten keine Intubationsschwierigkeiten
bekannt geworden. Dies ist der Grund, warum der Patient den eigetretenen Zahnschaden für
grundsätzlich vermeidbar hält. Inwieweit Veränderungen zwischen den zurückliegenden
Operationen 2012 und 2009 hinsichtlich der Intubationsbedingungen eingetreten sind, konnte nicht festgestellt werden. Es rechtfertigt jedoch durchaus das primär gewählte Vorgehen,
trotz eines Mallampati-III-Status eine konventionelle Intubation zu versuchen, da der positive
Vorhersagewert bei Fehlen anderer Zeichen lediglich um 40% liegt.
Zur Vermeidung von Zahnschäden ist, zumindest für gefährdete Frontzähne, der Einsatz
eines Zahnschutzes eine Möglichkeit, den Druck auf die Schneidezähne zu reduzieren. Ausführliche Messungen am Modell zeigen, dass dies grundsätzlich gelingt, jedoch nicht in einem Ausmaß, dass Zahnschäden grundsätzlich vermeidbar wären. Allerdings wird durch
Verwendung eines Zahnschutzes die Sicht auf den Kehlkopf durchaus behindert, so dass
sich hieraus erst Intubationsschwierigkeiten ergeben können.
Bei antizipierten Intubationsschwierigkeiten stehen heute alternative Verfahren zur Laryngoskopie zur Verfügung: bei der video-assistierten Laryngoskopie kommt stärker gebogene
Spatel zum Einsatz, der somit eine Sicht gewissermaßen „um die Ecke“ erlaubt. Grundsätzlich ist der Ablauf der gleiche, wie bei einer konventionellen Laryngoskopie, bei der ein Spatel zwischen die Schneidezähne in den Hypopharynx eingeführt wird und mit einer leichten
Rotationsbewegung der Kehlkopfeingang für das Einführen des Endotrachealtubus dargestellt wird. Grundsätzlich wird in der vorliegenden Literatur von einem geringeren Risiko von
Zahnschäden bei Anwendung der Videolaryngoskopie ausgegangen. Die vollständige Vermeidbarkeit wird auch von dieser Methode nicht erwartet. In diesem Fall gelang mit der Videolaryngoskopie, die nach dem McCoy-Spatel zur Anwendung kam ebenfalls keine Sicht
auf den Kehlkopfeingang, die eine sichere Intubation ermöglicht hätte.
Neben der Videolaryngoskopie kommen auch eine „fiberoptischen Intubation“ in Frage. Insbesondere bei schweren vorhersehbaren Intubationsschwierigkeiten ist dies die Methode der
Wahl, da der Patient bis zur definitiven Atemwegssicherung wach und spotanatmend bleibt.
Häufig erfolgt die Einführung des Endotrachealtubus durch ein Nasenloch in Lokalanästhesie. Diese Methode setzt einige Erfahrung voraus, da auch ihr einige schwere Komplikationsmöglichkeiten wie Blutungen, Verletzungen der Nasenbinnenraumes, Laryngospasmus,
Aspiration usw. zugerechnet werden müssen, zu denen allerdings intubationsbedingte Zahnschäden nicht gehören. Grundsätzlich wäre ein intubationsbedingter Zahnschaden einzig bei
Anwendung dieser Methode voraussichtlich vermeidbar gewesen.
In kritischer Würdigung der bei der Aufklärung bereits vorliegenden Hinweise auf eine mögliche schwierige Intubation ist es aus Sicht des Gutachters anzumerken, dass die Anwendung
einer Videolaryngoskopie in solchen Fällen Intubationsschwierigkeiten und das damit verbundene Risiko von Zahnschäden durch den Laryngoskopspatel zwar nach Literaturlage
nicht vollständig vermeiden, jedoch vermindern kann. Im vorliegenden Fall gelang allerdings
auch die Einstellung des Kehlkopfes mit dieser Methode nicht, so dass auch beim primären
Einsatz der Videolaryngoskopie von schwierigen Verhältnissen mit der Ausübung entsprechenden Druckes auf die Frontzähne auszugehen ist.
Auch der Einsatz eines Zahnschutzes bei überkronten Frontzähnen kann Beschädigungen
der empfindlichen Kronensubstanz vermindern, jedoch nicht vollständig ausschließen. Da in
diesem Falle wohl anatomische Hindernisse vorlagen, die eine Sicht mit 3 Verfahren, direkte
Laryngoskopie, Mc-Coy-Spatel und Videolaryngoskopie erfolglos machten, könnte ein Zahnschutz die Sicht weiter behindert haben und hätte entfernt werden müssen.
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Aus der ex-post-Sicht hätte die Spinalanästhesie und die fiberoptische Intubation den intubationsbedingten Zahnschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert.
Die Spinalanästhesie lehnte der Patient im Vorhinein ab. Für die primäre Anwendung der
fiberoptischen Intubation ergaben sich jedoch in der Vorbereitung keine zwingenden anatomischen und anamnestischen Gegebenheiten. Der Patient hatte in relativ kurzem Abstand
vor dem Eingriff bereits zwei Allgemeinanästhesien offensichtlich ohne größere Intubationsschwierigkeiten überstanden. Die vorliegenden Risikofaktoren zeigen auf eine erhöhte statistische Wahrscheinlichkeit, von der angesichts der diesbezüglich leeren Anamnese davon
ausgegangen wurde, dass sie sich im vorliegenden Einzelfall nicht zwangsläufig verwirklicht.
Insoweit ist es durchaus gerechtfertigt, das aufwendige und ebenfalls mit ernsten Komplikationsmöglichkeiten verbundene Verfahren der fiberoptischen Intubation nicht primär zu Erwägen.
Die zusammenfassende Wertung des Gutachters
Der eingetretene Zahnschaden stellt eine typische, auch bei sorgfältiger Vorgehensweise
nicht immer vermeidbare Komplikation der Narkose dar. Die Vorbereitung des Patienten entsprach dem üblichen Vorgehen des Fachgebietes. Soweit aus den Unterlagen ersichtlich,
wurden alle anästhesierelevanten Befunde aus der Anamnese und der körperlichen Untersuchung sorgfältig erhoben und nachvollziehbar dokumentiert. Im Hinblick auf den streitgegenständlichen Zahnschaden bei der Durchführung der Intubation wurden vom prämedizierenden Anästhesisten Zeichen einer möglicherweise erschwerten Intubation durch Erkennen
eines Mallampati-III-Status bei ansonsten unauffälligen anderen Anzeichen dokumentiert.
Das Risiko, im Rahmen einer Narkose einen Zahnschaden bis hin zum Zahnverlust zu erleiden, kommt in dem verwendeten vorgelegten Aufklärungsbogen ausdrücklich zur Sprache.
Zusätzlich war dies, dem handschriftlichen Zusatz zufolge, Gegenstand des individuellen
Aufklärungsgesprächs. Somit ist davon auszugehen, dass dem Patient zum Zeitpunkt der
Einwilligung in die Intubationsnarkose das Risiko des dann auch tatsächlich eingetretenen
Zahnschadens ausreichend bekannt gewesen sein musste. Es ist aus der Dokumentation
nicht nachzuvollziehen, ob bei Vorliegen eines Mallampati-III-Status hinsichtlich des Umstandes einer möglichweise erschwerten Intubation und Zahnkronen das erhöhte Risiko einer Zahnschädigung im Sinne einer speziellen Risikoaufklärung mit dem Patient besprochen
wurde oder ob es sich um eine vertiefende, jedoch ohne Zusammenhang mit einer möglicherweise erschwerten Intubation um eine Wiederholung dieses Aufklärungsinhalts gehandelt
hat.
Hinweise auf ein unsorgfältiges Vorgehen bei der Durchführung der Anästhesie ergeben sich
nicht. Dass der Zahnschaden tatsächlich während der Einleitungsphase durch die Intubation
eingetreten ist, steht nach der Dokumentation außer Zweifel. Vorbestehende Zahnversorgungen mit Kronen disponieren zu einer Verschlechterung des Zahnstatus durch Maßnahmen, die während einer Narkose notwendigerweise getroffen werden müssen. Auch die hier
nicht (Zahnschutz) oder erst in zweiter Linie zur Anwendung gekommenen Verfahren (Videolaryngoskopie) können das Risiko eines Zahnschadens zwar vermindern, jedoch nicht vollständig ausschließen.
Über die Möglichkeit der dann auch eingetretenen Komplikation wurde der Patient im Vorhinein entsprechend aufgeklärt.
Die Entscheidung des Schlichtungsausschusses
Der Schlichtungsausschuss ist der Argumentation und Wertung des Gutachters gefolgt und
hat ein vorwerfbares ärztliches Fehlverhalten verneint.
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