P O L I T I K MEDIZINREPORT Werbung für die Aktion durch persönliches Anschreiben seitens der BKK lief, verbunden mit Aufklärungen über Sonne und Hautpflege sowie Hautschutz. Dies hat die Zusammensetzung der Teilnehmer in den einzelnen Jahren beeinflusst. Wichtig war, weil epidemiologisch wünschenswert, dass das Durchschnittsalter der untersuchten Personen während der Kampagne von 48,6 (1995) über 43,6 (1996) auf 40,9 Jahre gesunken ist. Dies bedeutet, dass die Chance, Frühstadien von Melanomen (< 0,75 mm TU-Dicke) zu finden, steigt. Die Heilungschancen könnten dadurch erheblich verbessert werden, denn der Altersmedian der MelanomErkrankung liegt heute bei 54 Jahren – das heißt: 50 Prozent aller Erkrankungen werden (erst) zu diesem Zeitpunkt diagnostiziert. Die während der untersuchten Zeiträume steigenden Anteile weiblicher Teilnehmer (von 43,4 auf 53,1 Prozent) korrelieren gut zu dem beobachteten Trend, dass Frauen gesundheitsbewusster sind und Verhaltensweisen eher ändern. Positiv ist auch zu interpretieren, dass die Zahl der Untersuchten unter 35 Jahren während der Aktion deutlich angestiegen ist; bei den unter 20-Jährigen sogar von unter zwei Prozent auf 18 Prozent. Auffällig ist der hohe Anteil der Patienten, bei denen – obwohl sie sich subjektiv für gesund hielten – ein Hautkrebs oder eine Präkanzerose aufgedeckt wurde. So hielten sich 60 Prozent der Melanompatienten für hautgesund. Bei 10 186 Teilnehmern (16,5 Prozent) wurde eine notwendige Behandlung durch die Ärzte eingeleitet. Bei den meisten Untersuchten konnte dies ambulant und somit extrem kostengünstig in der Praxis erfolgen. Nur bei 2,4 Prozent der Untersuchten war eine ambulante oder stationäre Behandlung im Krankenhaus erforderlich: Es fand sich bei den 61 581 Untersuchten 151-mal der dringende Verdacht auf ein Melanom! In 30 Fällen war die Verdachtsdiagnose bis zum Studienende histologisch belegt. Wegen der langen Laufzeit der Abrechnungen wurde auf ein endgültiges Vorliegen aller Histologien verzichtet, zumal die Sicherheit der Melanomerkennung von Dermatologen bei über 90 Prozent liegt. Die Zahl der entdeckten Melanome liegt weit (circa 16fach) über der „offiziellen“ Inzidenz von mindesten zehn bis 15/ 100 000 EW, was wiederum die Selbstselektion der Risikopatienten belegt und möglicherweise auch Zweifel an den Inzidenzzahlen nährt. Vergleichba- res gilt übrigens auch für die oben erwähnten anderen großen Studien. Man hat sich in den verschiedensten Ländern mit der Kosten-NutzenRelation bei Screeninguntersuchungen befasst. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass bei Screeningaktionen bis zu 70 Prozent der Melanome Low-risk-Melanome sind, die eine besonders kostengünstige Therapie ermöglichen. Die „Haut OK“Aktion, mit der Entdeckung von 151 Melanomen, kostete nach der teuren Anfangsphase von 131 DM pro untersuchter Person später etwa 52 DM pro Teilnehmer. Daraus lässt sich abschätzen, dass die Entdeckung eines Melanoms circa 28 000 DM erfordert (bei 4 229 212 DM Gesamtkosten der Aktion). Wenn man nur die Kosten für eine Melanomtherapie in Spätstadien mit chirurgischer Intervention und adjuvanter Therapie mit 150 000 bis 200 000 DM rechnet, war auch unter Kostengesichtspunkten eine hohe Effizienz gegeben. Ein längeres Zögern, die Hautkrebs-Vorsorge in die Versicherungsleistungen zu implementieren, scheint somit – finanziell und ethisch – kaum länger vertretbar. Dr. med. Klaus Gebhardt Dr. med. Markus Steinert Chronische Erkrankungen: Psychische und körperliche Komponenten nicht trennen Etwa 20 Prozent aller Patienten suchen ihren Hausarzt aufgrund psychosomatischer Störungen auf. Einerseits werden diese Störungen häufig nicht charakterisiert und daher nicht behandelt, andererseits wollen einige Patienten nicht durch psychische Aspekte ihrer Erkrankung stigmatisiert werden. In anderen Fällen wird das „Psychische“ zu früh als Ursache einer schwierig zu erklärenden Erkrankung akzeptiert. Folge: Der somatische Hintergrund der Erkrankung besteht weiter. Somit nimmt die Chronifizierung, die für viele psychosomatische Erkrankungen typisch ist, ihren Lauf. Wie Prof. Michael Wirsching (Freiburg) anlässlich des 7. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin in Freiburg berichtete, verändert sich im Verlauf der Chronifizierung nicht nur der leidende Mensch, sondern auch die Reaktionsweise seines Organismus und damit der Charakter der Störung, die sich allmählich verselbstständigt. Das Resultat ist die chronische Erkrankung, deren Ursache oft nicht mehr feststellbar und deren Auslöser beziehungsweise Verstärker atypisch, zusammenhanglos und – weil häufig mit psychischem Stress verbunden – als „seelisch bedingt“ erscheinen. Besonders eindrückliche Beispiele dafür sind chronische Schmerzleiden, Migräne und Schwindel, denen besonders A-824 Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 13, 31. März 2000 häufig und hartnäckig das Etikett des „nur Psychischen“ anhaftet, weil ihre Ursachen nicht mehr lokalisiert werden können. Immerhin litten 40 Prozent der Bevölkerung an Kopfschmerzen, die für jeden fünften Arbeitsunfähigkeitstag verantwortlich sind, unterstrich Dr. Rolf Durian (Stuttgart). Zehn Prozent aller Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen würden aufgrund von chronischen Rückenschmerzen ausgestellt; rund ein Fünftel der Bevölkerung leide an Schwindel. Die Trennung zwischen seelischer oder körperlicher Bedingtheit könne bei chronischen Erkrankungen nicht aufrecht erhalten werden, betonten Durian und Wirsching. Daher sei eine multimodale Therapie, die beide Aspekte berücksichtige, erforderlich. Wurde medikamentös eine Symptomreduktion erreicht, müssen zusätzlich die psychisch bedingten Triggerfaktoren von Migräne-, Schmerz- oder Schwindelattacken identifiziert und überwunden werden. Psycho-, verhaltens- und/oder familientherapeutische Verfahren sind erforderlich. Allgemeinärzte, Internisten, Orthopäden und Neurologen sollten daher beim Verdacht auf eine psychosomatische Erkrankung die Zusammenarbeit mit einem Facharzt für Psychotherapeutische Medizin suchen, so Durian. Elisabeth B. Moosmann