Einfluss von adjuvanten Therapien auf das Überleben der

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Aus der
Universitätsfrauenklinik und Poliklinik am Klinikum Südstadt Rostock
(Direktor: Prof. Dr. med. B. Gerber)
Einfluss von adjuvanten Therapien auf das
Überleben der älteren MammakarzinomPatientin (≥ 75 Jahre)
Inauguraldissertation
zur
Erlangung des akademischen Grades
Doktor der Medizin
der Medizinischen Fakultät
der Universität Rostock
vorgelegt von
Johannes Bonacker
geboren am 09. August 1986
in Mölln
Rostock 2014
urn:nbn:de:gbv:28-diss2015-0104-9
Dekan:
Prof. Dr. med. univ. E.C. Reisinger
1. Gutachter:
Prof. Dr. med. habil. T. Reimer,
Universitätsfrauenklinik und Poliklinik am Klinikum Südstadt Rostock
2. Gutachter:
Prof. Dr.-Ing. habil. G. Kundt,
Institut für Medizinische Informatik und Biometrie Rostock
3. Gutachter:
Prof. Dr. med. A. Rody,
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Universitätsklinikum
Schleswig-Holstein, Campus Lübeck
Einreichung:
04. November 2014
Verteidigung:
20. Mai 2015
2
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
5
1. Einleitung
6
1.1 Epidemiologie
6
1.2 Pathogenese, Ätiologie und Risikofaktoren
8
1.2.1 Alter
8
1.2.2 Ernährung und Adipositas
8
1.2.3 Lebensstil
9
1.2.4 Umweltfaktoren
10
1.2.5 Genetische Prädisposition
11
1.3 Diagnostik
12
1.3.1 Klinische Untersuchung
12
1.3.2 Bildgebende Diagnostik und Biopsie
12
1.3.3 Gendiagnostik
13
1.3.4 Histopathologie und prognostische Parameter
13
1.3.5 Klassifikation nach St. Gallen
14
1.4 Geriatrisches Assessment
15
1.5 Therapie
17
1.5.1 Chirurgische Versorgung
17
1.5.2 Strahlentherapie
18
1.5.3 Systemische Therapie
18
1.5.3.1 Endokrine Therapie
19
1.5.3.2 Chemotherapie
20
1.5.3.3 Zielgerichtete Therapie
21
1.6 Zielsetzung
2. Material und Methoden
21
22
2.1 Datenmaterial und Einschlusskriterien
22
2.2 Methoden
23
2.2.1 Datenordnung und Variablen
23
2.2.2 Leitlinienfestlegung
24
2.2.3 Deskriptive Statistik und Überlebensanalyse
27
3
3. Ergebnisse
30
3.1 Deskriptive Statistik
30
3.2 Nebenerkrankungen
35
3.3 Kaplan-Meier Überlebensanalyse
36
3.3.1 Rezidivfreies Überleben
36
3.3.2 Gesamtüberleben
43
3.3.3 Krankheitsspezifisches Überleben
49
3.4 Cox-Regressionsanalyse
55
3.4.1 Cox-Regression für das rezidivfreie Überleben
55
3.4.2 Cox-Regression für das Gesamtüberleben
56
3.4.3 Cox-Regression für das krankheitsspezifische Überleben
57
3.5 Zusammenfassung
58
4. Diskussion
59
4.1 Operation
60
4.2 Strahlentherapie
61
4.3 Endokrine Therapie
64
4.4 Chemotherapie
67
4.5 Systemische Therapie
69
4.6 Antikörpertherapie
71
4.7 Aktuelle Entwicklungen und Empfehlungen
72
4.8 Fehlerbetrachtung
73
5. Zusammenfassung
74
6. Thesen
75
7. Literaturverzeichnis
76
8. Anhang
84
8.1 Abbildungsverzeichnis
84
8.2 Tabellenverzeichnis
85
8.3 Publikationen der Arbeit
86
8.4 Eidesstattliche Erklärung
87
8.5 Danksagung
88
4
Abkürzungsverzeichnis
AGO
AI
BCSS
BEO
BET
BRCA-1/2
CAF
CAFT
CCI
CGA
CHEK-2
CMF
CT
DFS
EBCTCG
EGF
ET
ER
FISH
FEC
FNP
GGI
Gy
HER2
HR
HRT
HT
ICD 10
KM
MRT
MRM
OAS
PET
PR
RT
SERM
SLNE
SPECT
TNM
TP53
UICC
VEGF
Arbeitsgemeinschaft für gynäkologische Onkologie
Aromatase-Inhibitor
Breast cancer specific survival, krankheitsspezifisches Überleben
Brusterhaltende Operation
Brusterhaltende Therapie
Breast cancer related gene 1 + 2
Cyclophosphamid, Doxorubicin, 5-Fluorouracil, Chemotherapieschema
CAF plus Tamoxifen
Charlson Co-Morbidity Index
Comprehensive Geriatric Assessment
Cell cycle checkpoint kinase gene 2
Cyclophosphamid, Methotrexat, 5-Fluorouracil
Chemotherapie
Disease free survival, krankheitsfreies Überleben
Early Breast Cancer Trialists’ Collaberative Group
Epidermal growth factor, Epidermaler Wachstumsfaktor
Endokrine Therapie
Östrogenrezeptor
Fluoreszenz in-situ Hybridisierung
5-Fluorouracil, Epirubicin, Cyclophosphamid, Chemotherapieschema
Feinnadelpunktion
Genomic Grade Index
Gray (Einheit)
human epidermal growth factor receptor 2
Hormonrezeptor
Hormone-replacement therapy, Hormonersatztherapie
Hormontherapie
International Statistical Classification of Diseases and Related Health
Problems
Kontrastmittel
Magnetresonanztomographie
Modifizierte radikale Mastektomie
Overall Survival, Gesamtüberleben
Positronen Emissions Tomographie
Progesteronrezeptor
Radiotherapie
Selektiver Östrogenrezeptor Modulator
Sentinel-Lymphonodektomie
Single Photonen Emissionen Computertomographie
Klassifikation zur Einteilung von Tumoren
Tumorsuppressions Protein 53
Union for International Cancer Control
Vascular Endothelial Growth Factor
5
1 Einleitung
1.1 Epidemiologie
Das Mammakarzinom ist in Deutschland und anderen Industrieländern der häufigste Tumor
der Frau. Die Inzidenz hierzulande lag 2010 bei 70.340 Neuerkrankungen. Seit Einführung
des Mammographie-Screenings zur Früherkennung ab 2005 sind die Zahlen gestiegen, seit
2009 aber leicht rückläufig. Für das Jahr 2014 liegt die Prognose mit 75.000 wieder etwas
höher. Eine von acht Frauen (12,9%) erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Jede
vierte Frau ist jünger als 55 Jahre. Das Mammakarzinom ist dennoch ein bösartige Neoplasie
der älteren Frau. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei 64 Jahren [1]. Abbildung 1 zeigt die
altersabhängige Verteilung des Mammakarzinoms. Die Inzidenz steigt mit fortgeschrittenem
Alter
deutlich
an.
Aufgrund
des
demografischen
Wandels
und
einer
längeren
Lebenserwartung durch eine bessere medizinische Versorgung wird die Anzahl der
Brustkrebspatientinnen in den kommenden Jahren weiter steigen [2].
Abb. 1: Alters- und geschlechtsabhängige Verteilung des Mammakarzinoms
pro 100.000 Einwohnern 2009- 2010 in Deutschland [1]
Europaweit ist das Mammakarzinom mit geschätzt 464.000 Fällen pro Jahr ebenfalls der
häufigste Tumor der Frau. Es rangiert als Todesursache mit 131.000 verstorbenen Patienten
auf dem dritten Rang hinter dem Bronchialkarzinom und dem kolorektalen Karzinom [3].
Weltweit gesehen ist fast ein Drittel aller Patienten, die an Brustkrebs erkrankt sind, älter als
65 Jahre. In Industrienationen liegt dieser Anteil sogar bei fast 40% [4].
6
Einleitung
Die rohe Inzidenzrate in Deutschland beträgt 168,9 Frauen je 100.0000 Einwohner,
altersstandardisiert ist sie mit 119,6 Fällen etwas niedriger. Im Vergleich zu 2009 sind die
Zahlen leicht regredient [1].
Die Anzahl der absoluten Sterbefälle ist seit 1990 mit etwa 18.000 Fällen pro Jahr nahezu
konstant geblieben. 2010 verstarben 17.466 Frauen am Mammakarzinom. Die 5-JahresPrävalenzrate lag 2004 noch bei 235.800 Fällen und wurde für 2010 auf 249.600 geschätzt.
Tatsächlich lag diese 2010 bei 307.800; also deutlich höher als erwartet. In Abbildung 2 wird
die Entwicklung der Neuerkrankungs- und Sterberaten zwischen 1980 und 2004 dargestellt.
Die Inzidenzrate ist seit 1980 altersunabhängig um fast 50% gestiegen. Ab 1990 wurde der
Zuwachs fast ausschließlich in der Gruppe der 45- bis 69-Jährigen gesehen. Dies steht in
Einklang mit den Ergebnissen des Robert-Koch-Instituts, die für diese Altersgruppe das
größte Erkrankungsrisiko sehen [1, 5].
Abb. 2: Jährliche Neuerkrankungs- und Sterberate sowie altersstandardisierte
Erkrankungs- und Sterberate zwischen 1980 bis 2004 für Deutschland [5]
Trotz Zunahme der Neuerkrankungen ist die Mortalität im Laufe der Jahre durch den
medizinischen und technischen Fortschritt gesunken. Dies zeigt sich in der relativen 5-JahresÜberlebensrate. Diese betrug 2009/2010 etwa 87%, während sie vor 10 Jahren noch bei 81%
lag [5].
Das Erkrankungsrisiko für die nächsten 10 Jahre nimmt mit steigendem Alter zu. Am
höchsten ist es für eine 65-Jährige mit 3,7%, für 75-Jährige ist es minimal geringer (3.1%).
Das Mortalitätsrisiko ist für ältere Patienten am höchsten (1,2% vs. 0,3% für 45-Jährige).
7
Einleitung
Diese Entwicklungen lassen insgesamt darauf schließen, dass in Zukunft ein größerer Anteil
an geriatrischen Patienten zu behandeln sein wird. Durch eine steigende Lebenserwartung,
sowie einen besseren Gesundheitszustand sind die Überlebensraten größer denn je. Dies sollte
auch bei der adjuvanten Therapie älterer Brustkrebspatientinnen berücksichtigt werden [6-8].
1.2 Pathogenese, Ätiologie und Risikofaktoren
Die
Ätiologie
des
Mammakarzinoms
ist
multifaktoriell.
Neben
physiologischen
Veränderungen in der Brust sind es vor allem exogene Faktoren, die das Risiko für Brustkrebs
erhöhen. Auch endogene Faktoren wie Genmutationen sind für die Entstehung von hoher
Relevanz. Die Anzahl der Risikofaktoren schwankt mit dem Alter. Während die genetische
Belastung abnimmt, ist ein fortgeschrittenes Alter selbst ein Risikofaktor für Brustkrebs.
Andere Faktoren können im Laufe des Lebens beeinflusst werden und variieren
interindividuell. Im Folgenden werden wichtige Risikofaktoren aufgeführt.
1.2.1 Alter
Mit dem Alter nimmt die Inzidenz des Mammakarzinoms deutlich zu. In der Literatur wird
das Alter daher häufig als eigenständiger Risikofaktor aufgeführt. Gleichzeitig treten bei sehr
alten Patienten vermehrt Nebenerkrankungen auf, sodass häufig ein reduzierter Gesundheitsund Allgemeinstatus besteht. All diese Punkte sollten auch später in der Entscheidung über
die Therapieoptionen bedacht werden [9, 10].
1.2.2 Ernährung und Adipositas
Die Ernährung und Übergewicht haben einen signifikanten Einfluss auf das Risiko für
Brustkrebs. Während bei jüngeren, übergewichtigen Patientinnen kein erhöhtes Risiko
besteht, ist es für postmenopausale Frauen signifikant erhöht [11]. Erklärt werden kann dies
mit unterschiedlichen Östrogenhormonspiegeln. Bei prämenopausalen, adipösen Frauen führt
die extraovarielle Östrogenproduktion zu einem negativen Feedback-Mechanismus auf die
Ovarien. Es wird weniger Östrogen ausgeschüttet. Postmenopausal reduziert sich die
Östrogenbildung durch die ovarielle Funktionsabnahme, sodass die Hormonspiegel
proportional zum Übergewicht erhöht sind [12, 13]. Im Fettgewebe werden männliche
Sexualhormone (z.B. Androstendion) zeitgleich zu Östrogenen umgewandelt, die zusätzlich
das Risiko für ein Mammakarzinom steigern [14].
8
Einleitung
Berücksichtigt werden sollte, dass Übergewicht selten ein isolierter Risikofaktor ist, sondern
meistens aus einem Missverhältnis aus falscher Ernährung, Bewegungsmangel und weiteren
Indikatoren resultiert. So konnte durch Favero et al. nachgewiesen werden, dass bestimmte
Lebensmittel sowohl mit Fettleibigkeit als auch mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko assoziert
sind [15].
Ursache von Adipositas ist oft eine erhöhte Kalorien- und Fettzufuhr. Die Wirkung von Fetten
auf den Östrogenspiegel wurde in mehreren Studien untersucht. Es konnte ein vermindertes
Risiko für Frauen, die weniger Fett zu sich nahmen, festgestellt werden [16]. Für die
Aufnahme
von
Kohlenhydraten,
Phytoöstrogenen
oder
Mikrobestandteilen,
wie
Spurenelementen, konnte bisher kein Zusammenhang mit einer erhöhten Brustkrebsinzidenz
bzw. mit einer protektiven Wirkung nachgewiesen werden [17, 18]. Die Nahrungszubereitung
scheint bedeutungsvoller zu sein. Es ist bekannt, dass polyzyklische, aromatische
Kohlenwasserstoffe kanzerogen wirken [19]. Darüber hinaus konnte in einer Studie gezeigt
werden, dass die Zubereitung von Fleisch durch langes Braten zu einem signifikant höheren
Erkrankungsrisiko führen kann [11, 20].
Der Einfluss der Ernährung auf die Entstehung des Mammakarzinoms ist noch nicht endgültig
geklärt. Gesichert ist der Zusammenhang zwischen erhöhtem Brustkrebsrisiko und Adipositas
im Alter.
1.2.3 Lebensstil
Der Lebensstil kann einen großen Einfluss auf das individuelle Brustkrebsrisiko haben. Im
Laufe der Zeit haben sich die Lebensgewohnheiten verändert - nicht nur zum Positiven.
Davon betroffen sind besonders die Industrienationen. Die Einfuhr von Genussmitteln und
Veränderungen der Nahrungsgewohnheiten führten zu einem höheren Risiko für Brustkrebs
[4, 18]. Besonders der Nikotin- und Alkoholgebrauch zeigen eine Assoziation. Alkohol wird
im Körper zu Kanzerogenen umgewandelt. Im Tiermodell konnte zudem gezeigt werden, dass
Alkohol die Serum-Östrogenkonzentration erhöht [21]. Der Einfluss auf den Organismus
scheint noch nicht abschließend geklärt. In der Studie von Kinney et al. wurde nur ein
geringer Zusammenhang zwischen Alkohol und Brustkrebs gesehen, während Ferraroni et al.
ein signifikant höheres Risiko besonders für prämenopausale Patienten sahen [22, 23].
Ähnlich wie für Alkohol, verhält es sich mit dem Nikotinkonsum. In der Literatur finden sich
gegensätzliche Ergebnisse zum Einfluss von Rauchen auf das Brustkrebsrisiko. Während in
manchen Studien ein erhöhtes Risiko für Raucherinnen gezeigt werden konnte [24, 25],
9
Einleitung
fanden andere Autoren sogar einen protektiven Effekt [18]. Ein höheres Risiko wurde für
postmenopausale Patienten gesehen [26].
Stress und körperliche Aktivität sind ebenfalls Teil des Lebensstils. Während Stress keinen
Einfluss auf das Brustkrebsrisiko hat, konnte für körperliche Aktivität ein partieller
Zusammenhang gezeigt werden [27]. So wurde unter jungen Collegestudentinnen, die
sportlich aktiv waren, nach einem mittleren Follow-up von 15 Jahren eine signifikante
Reduktion des Brustkrebsrisikos gegenüber inaktiven Studentinnen gesehen. Dieser Vorteil
bestand bis in die Menopause fort [28]. In einer anderen Studie wurden postmenopausale,
sportlich aktive Frauen untersucht. Dabei zeigte sich nur eine minimale Verbesserung des
Brustkrebsrisikos durch Aktivität in der Menopause, die ausschließlich auf schlanke Patienten
begrenzt war. Aktive Übergewichtige oder inaktive Frauen hatten keinen Vorteil [29, 30].
Dies lässt vermuten, dass körperliche Inaktivität kein isolierter Risikofaktor für Brustkrebs ist,
sondern mit anderen Faktoren einhergeht [18].
Hormonale Kontrazeptiva sind ohne nachweislichen Einfluss auf das Mammakarzinomrisiko,
unabhängig vom Beginn und der Dauer der Einnahme [31]. Ausgenommen davon sind Frauen
mit einer Hormonersatztherapie (HRT) nach der Postmenopause. In mehreren Studien konnte
gezeigt werden, dass die langfristige HRT (>5 Jahre) mit einem erhöhten Risiko für
Brustkrebs einhergeht. Auch für eine kurzzeitige HRT über drei bis fünf Jahre konnte ein
vermehrtes Auftreten von Brustkrebs verzeichnet werden [32-34].
1.2.4 Umweltfaktoren
Umwelteinflüsse sind bedingt beeinflussbare Risikofaktoren für Brustkrebs, während
beispielsweise der Lebensstil und die Ernährung einen variablen Einfluss haben können.
Zwischen radioaktiver Strahlung und einem vermehrten Auftreten von Brustkrebs besteht ein
direkter Zusammenhang. Bei Überlebenden des Atombombenabwurfs über Japan wurden
altersabhängig eine größere Zahl an Mammakarzinompatienten registriert. Dabei hatten
jüngere Überlebende ein größeres Risiko als ältere Frauen [35, 36].
Eine geringere Inzidenz und auch bessere Überlebensraten wurden bei hellhäutigen Frauen
gesehen, die gegenüber der Sonne viel exponiert waren [37]. Elektromagnetische Strahlung
als exogene Noxe ist für das Mammakarzinom bedeutungslos. In der Analyse von Giftstoffen
in Gasen, Chemikalien und Dämpfen, bei denen ein Einfluss auf die Entstehung auf
Brustkrebs angenommen wurde, konnte für exponierte Frauen kein erhöhtes Risiko gesehen
werden [18]. Es lässt sich insgesamt schlussfolgern, dass das individuelle Risiko mehr duch
die Ernährung und den Lebensstil als durch Umweltfaktoren beeinflusst wird.
10
Einleitung
1.2.5. Genetische Prädisposition
Ein weiterer Risikofaktor für die Entstehung des Mammakarzinoms ist die genetische
Prädisposition. Obwohl die Mehrheit der Mammakarzinome (90%) sporadisch auftritt, gibt es
einen kleinen Teil (5-10%), der hereditär ist [38]. In epidemiologischen Studien wurde
gezeigt, dass in Familien mit Brustkrebs ein doppelt so hohes Risiko für erstgradig verwandte
Frauen gegenüber Frauen ohne familiäre Belastung besteht. Das Risiko ist abhängig von der
Anzahl an erkrankten Verwandten und von deren Alter bei Diagnosestellung [39, 40]. Claus
et al. zeigten, dass das Brustkrebsrisiko in prädisponierten Familien mit dem Alter allerdings
sinkt [41].
Dem hereditären Brustkrebs konnten zwei Gene zugeordnet werden. Im Jahre 1994 wurde das
BRCA-1 Gen auf dem Genort 17q21 entdeckt und 1995 das BRCA-2 Gen, das auf 13q12-13
lokalisiert ist [40, 42]. Bei jeweils einem vorhandenen mutierten Gen ist das Risiko im Laufe
des Lebens Brustkrebs zu entwickeln zwischen 60% und 85% sowie für ein Ovarialkarzinom
zwischen 15% und 40% erhöht [43]. Die beiden Gene unterscheiden sich hinsichtlich ihres
Risikoprofils: BRCA-1 Mutationsgenträgerinnen haben ein höheres Risiko an einem
Mammakarzinom zu erkranken als BRCA-2 Genträger, bei denen männliche Träger ein
erhöhtes Risiko für ein Prostatakarzinom haben. BRCA-2 Trägerinnen haben zudem ein
gesteigertes Risiko an einem Ovarialkarzinom zu erkranken. Es bestehen dazu Assoziationen
zu weiteren malignen Erkrankungen wie dem Kolon- oder Pankreaskarzinom [44-46].
Während das Mammakarzinomrisiko einer älteren Patientin mit BRCA-Mutation für das
BRCA-1 Gen siginifkant sinkt, konnte diese Entwicklung für das BRCA-2 Gen nicht gesehen
werden [47]. Beide Gene sind für etwa 40% der hereditären Fälle verantwortlich. Ein weiteres
Gen, dessen Mutation mit einem hohen Mammakarzinomrisiko einhergeht, ist das 2010
entdeckte RAD51C-Gen. Ebenso wie die BRCA-Gene ist es in der DNA-Korrektur als
Tumorsuppressorgen relevant [46].
Andere Gene wie das CHEK-2 Gen oder TP53 sind für etwa 5% verantwortlich. Der Großteil
der verantwortlichen Gene konnte noch nicht identifiziert werden [43].
11
Einleitung
1.3. Diagnostik
Die Brustkrebsdiagnostik beginnt mit der Selbstabtastung durch die Patientin und wird durch
ärztliche Untersuchungen mit Sonographie, Mammographie und gegebenenfalls durch eine
Kontrastmittel-Magnet-Resonanztomographie (KM-MRT) komplettiert.
1.3.1 Klinische Untersuchung
Die klinische Untersuchung umfasst die Inspektion und Palpation der Brust durch einen
erfahrenen Arzt. Dabei werden inspektorisch zunächst alle Unregelmäßigkeiten erfasst.
Anschließend wird die Brust quadrantenweise bimanuell palpiert. Indurationen, Rötungen
oder andere auffällige Befunde sollten eine weitere Diagnostik nach sich ziehen. Neben der
Untersuchung der Mammae sollten stets die zugehörigen Lymphabflussgebiete abgetastet
werden.
1.3.2 Bildgebende Diagnostik und Biopsie
Zur weiteren Diagnostik nach der klinischen Untersuchung sollte eine Bildgebung erfolgen.
Derzeit sind die Mammographie und die Sonographie die beiden wichtigsten komplementären
Methoden zur radiologischen Darstellung des Brustdrüsengewebes. Während durch die
Mammographie frühzeitig Mikrokalzifikationen dargestellt werden können, empfiehlt sich die
Sonographie besonders bei dichtem Drüsengewebe [48].
Die Mammographie ist das einzige Verfahren zur Früherkennung, für das eine signifikante
Reduktion der Mortalität nachgewiesen wurde. Die Reduktion schwankt zwischen 20% bis
45%. Den größten Benefit registrierte man in der Gruppe der 50- bis 70-Jährigen [48, 49]. Sie
empfiehlt sich sowohl zur Abklärung von Tastbefunden und nicht palpablen Vorstadien, als
auch zur Darstellung der gesamten Brust. Seit 2005 gibt es in Deutschland das
Mammographie-Screening als Früherkennungsuntersuchung für 50- bis 69-Jährige. Auch für
ältere Patientinnen über 75 Jahre ist das Screening sinnvoll [50, 51].
Ergänzend
zur
Mammographie
wird
die
Sonographie
vor
allem
bei
dichtem
Brustdrüsengewebe eingesetzt. Sie ist im Gegensatz zur Mammographie eine Untersuchung
ohne
Strahlenbelastung
und
ohne
obligate
Kontrastmittelgabe
wie
bei
der
Kernspintomographie. Die Sonographie ist als alleinige Früherkennungsuntersuchung nicht
ausreichend, da sie stark geräte- und untersucherabhängig ist [38, 48]. In einer Studie von
Berg et al. führte eine ergänzende Sonographie oder KM-MRT zur Mammographie zwar zur
12
Einleitung
Detektion von mehr Tumoren, gleichzeitig stieg aber auch die Rate der falsch-positiven
Ergebnisse [52].
Die KM-MRT wird bei speziellen Fragestellungen, wie beispielsweise bei Zustand nach
Prothesenimplantation oder bei Hochrisikopatienten, eingesetzt [53]. Weitere Verfahren sind
die Dopplersonographie zur Darstellung von Gefäßen oder nuklearmedizinische Techniken
wie PET oder SPECT.
Mit Hilfe von bildgebender Diagnostik (Sonographie oder Mammographie) können auffällige
Areale perkutan biopsiert werden. Als Verfahren haben sich die Hochgeschwindigkeitsstanze, die Feinnadelpunktion (FNP) und die Vakuumbiopsie bewährt. Die FNP eignet sich
zur Punktion zystischer Befunde, die thoraxnah oder zystisch sind. Das gewonnene
Tumorgewebe oder Aspirat wird anschließend zur histologischen Begutachtung eingereicht.
1.3.3 Gendiagnostik
Die genetische Analyse zur Ermittlung einer Prädisposition bei familiärer Belastung ist ein
weiteres diagnostisches Mittel. Seit der Entdeckung der beiden BRCA-Gene in den 1990er
Jahren ist es möglich diese mittels molekulargenetischer Methoden und Sequenzierung
nachzuweisen. Mit einer Sensitivität von über 95% und der Möglichkeit auch
Punktmutationen und kleinste Deletionen zu detektieren, kann dieses Verfahren bei
entsprechender Indikation eingesetzt werden [38]. Allerdings ist die Gendiagnostik nicht als
grundsätzliches Früherkennungsprogramm etabliert, da kaum eine Aussage zum individuellen
Risiko im Einzelfall bei unbelasteter Familienanamnese getroffen werden kann und im Falle
eines positiven Ergebnisses durchaus mit einer zusätzlichen psychischen Belastung der
Patientin zu rechnen ist. Die Gendiagnostik ist ratsam, wenn eine familiäre Belastung besteht
und die Indikationskriterien erfüllt sind [54].
1.3.4 Histopathologie und prognostische Parameter
Durch die Histopathologie kann die Dignität und das Tumorgewebe näher bestimmt werden.
Die invasiven Karzinome werden von den frühen in-situ Tumoren differenziert, die sich
nochmals in einen duktalen und lobulären Subtyp einteilen lassen. Dabei sind etwa ⅔ der
Fälle vom duktalen Typ, während weniger als 10% lobulären Ursprungs sind. Es gibt noch 20
weitere Karzinomtypen, die histopathologisch unterteilt werden können, aber deutlich seltener
vorkommen [38].
13
Einleitung
Die Einteilung maligner Tumoren erfolgt anhand der TNM-Klassifikation der UICC, klinisch
und pathologisch. Die aktuelle 7. Auflage erschien 2010 in deutscher Sprache. Sie beinhaltet
Informationen zur Tumorgröße (T), dem Lymphknotenstatus (N) und zur Fernmetastasierung
(M). Das TNM-System ermöglicht die einheitliche Einteilung der Tumoren [55]. Neben der
histologischen Bedeutung kann auch eine prognostische Aussage getroffen werden.
Zusätzlich kann das Grading, also die Unterscheidbarkeit des Tumorgewebes vom nativen
Brustdrüsengewebe, bestimmt werden. Es wird in drei Grade (G1: gut; G2: mäßig; G3:
schlecht differenziert) eingeteilt. Weitere Parameter geben den Befall von Lymphbahnen (L)
und Gefäßen (V) sowie den Resektionsrand (R) an.
Immunhistologisch kann die Hormonrezeptorsensitivität des Tumors getestet werden. Für
eine mögliche adjuvante Hormontherapie (HT) wird das Ansprechen der Hormonrezeptoren
(HR) für Östrogen (ER) und Progesteron (PR) untersucht [56]. Ein weiterer prognostisch
wichtiger Faktor ist der HER2-Status. Dieser aus der Gruppe der epidermalen
Wachstumsfaktoren (EGFs) stammende Rezeptor wird mittels Immunhistochemie oder
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) nachgewiesen. Berger et al. zeigten, dass eine
Amplifikation beziehungsweise eine Überexpression prognostisch ungünstig ist [57]. Ein
positiver Nachweis ermöglicht die gezielte Antikörpertherapie mit Trastuzumab, das 2005 für
die adjuvante Therapie zugelassen wurde [58].
Ki-67 ist ein Antigen und Marker, der mit der Proliferationsrate eines Tumors einhergeht. Es
wird mit einem monoklonalen Antikörper immunhistologisch nachgewiesen. Es gehört zu
einer Reihe von histopathologischen Parametern, für die eine Korrelation mit dem
Tumorwachstum nachgewiesen wurde. Ein für das rezidivfreie Überleben prognostisch
wichtiger Faktor scheint der „Genomic Grade Index“ (GGI) zu sein. Dieser ist aber noch in
der weiteren Erforschung [59, 60].
Ein weiterer prädiktiver Faktor neben den bereits erwähnten ist die Bestimmung des
hormonellen Menopausenstatus für eine endokrine Therapie und das Alter selbst.
1.3.5 Klassifikation nach St. Gallen
Alle zwei Jahre trifft sich in St. Gallen/ Schweiz ein Konsensus-Panel, um unter anderem über
die adjuvanten Therapiemöglichkeiten des Mammakarzinoms zu beraten.
Im Jahre 2007 wurde eine dreistufige Einteilung für Brustkrebspatientinnen zur Abschätzung
des Rückfallrisikos entwickelt. Das Ziel ist eine optimale Therapie durch eine
Risikoabschätzung
bei
gleichzeitiger
Berücksichtigung
prädiktiver
Faktoren.
Die
Kombination mehrerer Parameter systematisiert die Risikogruppe. Tabelle 1 zeigt die
14
Einleitung
St.Gallen-Klassifikation samt Kriterien. Für die drei Gruppen wurden entsprechend
spezifische Therapieempfehlungen erarbeitet [61, 62]. Diese werden weiter unten erläutert, da
sie für die Auswertungszeitraum unserer Daten relevant sind.
Anzahl befallener
Niedriges Risiko
Mittleres Risiko
Hohes Risiko
Keine (N0)
1-3 (N1) oder
> 4 (≥ N2) oder
keine (N0) und ≥ 1
1-3 (N1) und
Lymphknoten
Kriterium
≤ 2 cm (T1)
>2 cm (T2-T4)
Differenzierung
G1
G2 und G3
Tumorinvasion
Keine Gefäßinvasion
Gefäßinvasion (L1/V1)
Tumorgröße
(L0/V0)
HR-Status
HER2-Status
Alter
ER/PR positiv
ER/PR positiv
ER/PR negativ
negativ
positiv
positiv
≥ 35 Jahre
< 35 Jahre
Tab. 1: St. Gallen Klassifikation 2007 [61]; Erklärung: N0= nodalnegativ, pT= Tumorgröße, HR-Status=
Hormonrezeptorstatus, V/L= vaskuläre und lymphatische Invasion, 0= neg., 1= pos.
1.4 Geriatrisches Assessment
Bei älteren Patienten empfiehlt es sich neben den klassischen Prognoseparametern auch eine
geriatrische Beurteilung durchzuführen. Im Alter nimmt die Anzahl an Nebenerkrankungen
zu und die physiologischen Reserven ab. Die Lebenserwartung und die Fähigkeiten, die
Nebenwirkungen einer adjuvanten Brustkrebstherapie zu kompensieren, sind dadurch
herabgesetzt.
Das Ziel der geriatrischen Beurteilung ist die Abschätzung der Risiken und des Nutzens einer
Therapie bei älteren Krebspatienten. Letztendlich soll den behandelnden Ärzten eine
möglichst genaue Informationsgrundlage gegeben werden, auf welcher über den Umfang
einer Krebstherapie entschieden wird. Der Umfang der Behandlung kann zwischen einer
kompletten Therapie mit Operation und adjuvanter Radiochemotherapie, Teilbehandlungen
oder auch einer palliativen Therapie variieren [63].
Für die Evaluation der Risiken einer Therapie bei älteren onkologischen Patienten wurden
unterschiedlichste Tests entwickelt, die spezifische Funktionen untersuchen. Häufig
15
Einleitung
untersuchte Parameter sind der allgemeine und funktionelle Status, der Ernährungsstatus,
Komorbiditäten, soziale Einbindung und der psychologische Zustand [64]. Beispiele dazu
sind der Karnofsky-Index zur Bestimmung der körperlichen Funktion oder der Mini-MentalStatus-Test zur Beurteilung kognitiver Fähigkeiten. Zwei oft verwendete Tests zur
geriatrischen Beurteilung sollen hier exemplarisch aufgeführt werden.
Das Comprehensive Geriatric Assessment (CGA) ist ein gängiger Test, um Risiken, die bei
älteren Patienten oft übersehen werden, aufzudecken. Durch das CGA konnte eine
Verbesserung der Funktion und Verringerung der Hospitalisierungsrate bei älteren Patienten
erzielt werden [65, 66]. Ziel des CGA ist dabei die richtige Auswahl an diagnostischen und
therapeutischen Maßnahmen zur Wiederherstellung oder Erhaltung des Gesundheitsstatus zu
ermöglichen, aber auch eine Aussage zum Outcome für die Patienten zu machen. Albrand et
al. empfehlen das CGA bei jedem geriatrischen Krebspatienten, um einen möglichst
individuellen Behandlungsplan entwerfen zu können [63].
Ein anderes, weit verbreitetes Instrument zur prognostischen Abschätzung ist der Charlson
Co-Morbidity Index (CCI). Dieser bewährte und 1987 durch Charlson et al. entworfene Test
bezieht neben dem Alter, vor allem Nebenerkrankungen ein. Entsprechend der Kategorien
werden 1 bis 6 Punkte vergeben [67]. In einer dänischen Studie, die ältere
Brustkrebspatientinnen ≥65 Jahre untersuchte, konnte ein direkter Zusammenhang zwischen
dem CCI und dem Gesamtüberleben (OAS) gezeigt werden. Patienten mit höheren
Punktewerten, entsprechend mit mehr Nebenerkrankungen, hatten ein schlechteres Outcome
und ein höheres Risiko an Brustkrebs oder auch an anderen Erkrankungen zu versterben. Eine
weitere Studie bestätigt dieses Ergebnis [68, 69].
Während die ursprüngliche Idee des geriatrischen Assessments eine prognostische
Abschätzung einer, anhand der Tests abgeleiteten, individuellen Therapie war, konnte
zunehmend eine Verbesserung der Mortalitäts- und Morbiditätsrate erzielt werden [10, 51].
Dieses verdeutlicht die Relevanz. Um einen größtmöglichen Benefit von der gesamten
adjuvanten Behandlung zu haben, sollten ältere Patienten hinsichtlich ihrer Kapazitäten und
Möglichkeiten, die Therapie durchzuführen und Komplikationen kompensieren zu können,
bereits bei der Erstvorstellung anhand solcher Tests eingeschätzt werden.
16
Einleitung
1.5 Therapie
Das Spektrum der Brustkrebstherapie besteht aus der operativen Behandlung, der
radiologischen Bestrahlung und der systemischen Therapie, bestehend aus HT und CT und
gegebenenfalls einer gezielten Antikörpertherapie. Aus diesen Modalitäten wurden
unterschiedliche Behandlungsschemata entwickelt. Bei der Behandlung älterer Frauen werden
insgesamt weniger Therapien angeboten. Die Gründe dafür sind zahlreich [70]. Im folgenden
werden die Modalitäten vorgestellt.
1.5.1 Chirurgische Versorgung
Die operative Versorgung erfolgt entweder brusterhaltend oder durch eine Mastektomie.
Beide haben das Ziel, eine lokoregionäre Kontrolle über den Tumor zu erhalten. Die
brusterhaltende Therapie (BET) beinhaltet die Exzision des Tumors, eine Entnahme der
axillären Lymphknoten, sowie eine postoperative Bestrahlung. Die Ablatio der Brust stellt das
Alternativverfahren zur BET dar. Sie sollte durchgeführt werden, wenn eine brusterhaltende
Operation (BEO) nicht möglich ist, beispielsweise aufgrund von Kontraindikationen oder
wenn die Patientin eine Mastektomie wünscht. Eine grundsätzliche Bestrahlung nach
Mastektomie ist nicht zwingend erforderlich, sollte aber bei Hochrisikopatienten in Erwägung
gezogen werden [71]. Für die Entfernung der Lymphknoten stehen die axilläre
Lymphonodektomie und die wesentlich weniger invasive Sentinel-Lymphonodektomie
(SLNE) zur Verfügung, bei der die Lymphknoten mittels eines Tracers markiert werden, die
sich als erstes im Lymphabstromgebiet der Mamma befinden. Die SLNE hat sich in den
letzten Jahren bei Patienten mit klinisch unauffälligem Axillabefund etabliert und die
Axilladissektion als Standardmethode relativiert [72].
Bei älteren Patienten hat sich die BEO als Verfahren der Wahl bewährt [73]. Im Vergleich zur
Mastektomie ist die Operation schonender und das Ergebnis kosmetisch ansprechender, was
eine wichtige Rolle für die psychosoziale Verarbeitung spielt. Zudem besteht seit längerem
eine Gleichwertigkeit beider Verfahren [38, 74]. Insgesamt werden ältere Patientinnen
seltener operiert als jüngere Patienten mit Brustkrebs. Das Alter selbst sollte aber keine
Kontraindikation darstellen, da bei einer Operation für eine gesunde ältere Frau kein erhöhtes
Risiko verglichen mit einer jüngeren Patientin besteht [75].
17
Einleitung
1.5.2 Strahlentherapie (RT)
Die RT zur Behandlung des Brustkrebs hat sich in den letzten Jahren mit neuen Techniken
und Bestrahlungsstrategien weiterentwickelt. Sie ist als Teil einer interdisziplinären
Behandlung nicht mehr wegzudenken und trägt wesentlich zum Erfolg der Therapie bei.
Primäres Ziel der RT ist die Reduktion der Tumormasse und die lokale Tumorkontrolle. Die
alleinige Bestrahlung unter Verzicht auf eine operative Versorgung ist obsolet, da keine
ausreichende Tumorkontrolle erreicht wird [76]. Es wird die zellschädigende und
antiproliferative Wirkung der ionisierenden Strahlung ausgenutzt. Sekundäres Ziel ist die
Verbesserung der Überlebensrate. Sowohl nach BEO als auch nach Mastektomie führt eine
postoperative Bestrahlung zu einer Reduktion des Lokalrezidivrisikos und der Mortalität [77].
Die RT ist obligater Bestandteil der BET [4, 78]. Altersunabhängig konnte eine Verbesserung
des krankheitsfreien und -spezifischen Überleben durch eine adjuvante RT der gesamten
Brust gezeigt werden [79, 80]. Eine Boost-Bestrahlung führt zu einer zusätzlichen Reduktion
der Lokalrezidivrate, ist aber bei älteren Patienten mit kleinen Tumoren und niedrigem
Rückfallrisiko weniger effektiv [81].
Eine RT nach Mastektomie ist bei großen Tumoren (T3/4), positivem Nodalstatus (≥pN2) und
bei Residualtumoren (R1/R2) indiziert. Es kann dadurch das Lokalrezidivrisiko gesenkt und
bei Hochrisikopatienten das OAS verbessert werden [78]. Dieser Vorteil konnte auch für
ältere Patienten (>70 Jahre) nachgewiesen werden [82].
Akute Nebenwirkungen wie Erythem oder Ödeme treten bis zu drei Monate nach Bestrahlung
auf und klingen meistens wieder ab. Schwere chronische und kardiotoxische Komplikationen
sind aufgrund der Verbesserung und Planung der Bestrahlungstechnik selten geworden [38].
1.5.3 Systemische Therapie
Die medikamentöse Behandlung des Mammakarzinoms setzt sich aus der Chemotherapie
(CT), der endokrinen Therapie (HT) und der Antikörperbehandlung als zielgerichtete
Therapie (“targeted therapy“) zusammen.
Bezogen auf die St. Gallen-Klassifikation von 2007 wurden für die Risikogruppen
entsprechende Therapieempfehlungen erarbeitet. Tabelle 2 zeigt diese Leitlinien für die
systemische Therapie.
18
Einleitung
Risikoklassifikation
Niedriges Risiko
HR-Status positiv
HR-Status unsicher
HR-Status negativ
HT
HT
Außerhalb
Definition
Mittleres Risiko
+HER2-Status
HT allein
CT  HT
CT HT (CT+ HT)
(CT + HT)
+ Trastuzumab
+ Trastuzumab
+ Trastuzumab
CT  HT
CT  HT
CT
(CT + HT)
(CT + HT)
+ Trastuzumab
+ Trastuzumab
CT
positiv
Hohes Risiko
+HER2-Status
+ Trastuzumab
positiv
Tab. 2: Therapieempfehlungen für die systemische Therapie adaptiert an die St. Gallen Klassifikation [61];
Erklärung: CT= Chemotherapie; ET= endokrine Therapie; Trastuzumab= Antikörpertherapie
1.5.3.1 Endokrine Therapie (HT)
Die HT stellt einen wichtigen Bestandteil der adjuvanten Behandlung bei Brustkrebs dar.
Besonders im Alter zeigt sich bei der Mehrheit der Patienten ein hormonsensitiver Tumor
[83]. Die Bestimmung des HR-Status am histologischen Präparat des Tumors ist daher
unerlässlich. Eine HT empfiehlt sich bei HR-positivem und unbekanntem Status. Für HRnegative Patienten konnte durch eine HT kein Überlebensvorteil nachgewiesen werden [70].
Bei der Therapie der postmenopausalen Patientin haben sich zwei Medikamentengruppen
besonders etabliert. Zum einen Tamoxifen als Vertreter der selektiven ÖstrogenrezeptorModulatoren (SERMs) und die Aromatase-Inhibitoren (AI; Anastrozol, Letrozol). Während
bei der Behandlung mit AI noch keine Langzeiteffekte vorliegen, ist die Tamoxifentherapie
gut erforscht [4, 63].
Eine Behandlung mit einem dieser Medikamente führt zu einer deutlichen Verbesserung des
rezidivfreien Überlebens (DFS). In der ATAC-Studie konnte für Anastrozol sowohl ein
deutlicher Vorteil beim DFS als auch eine geringere Nebenwirkungsrate gegenüber der
Tamoxifen-Therapie nachgewiesen werden. Eine weitere Studie bestätigt dieses Ergebnis für
Letrozol [84, 85]. Für Exemestan, einem steroidalen AI, konnte ebenfalls ein
Überlebensvorteil beim DFS und ein positiver, wenn auch geringer, Effekt auf das OAS
gezeigt werden [86].
19
Einleitung
Die
Auswahl
des
Medikamentes
sollte
sich
bei
älteren
Patienten
nach
den
Nebenerkrankungen und dem Nebenwirkungsprofil richten. Während unter AI Frakturen und
Gelenkbeschwerden auftreten können, sind für Tamoxifen ein erhöhtes Risiko für ein
Endometriumkarzinom, thromboembolische Ereignisse und zerebrovaskuläre Ischämien
bekannt [38].
1.5.3.2 Chemotherapie (CT)
Der CT kommt als Teil der systemischen Therapie eine besondere Rolle zu. Die Indikation
wird anhand des Risikoprofils festgelegt. Während bei HR-positiven Patientinnen mit
mittlerem Risiko eine optionale CT zur obligaten HT durchgeführt werden kann, wird für alle
HR-negativen Fälle eine CT angeraten. Allerdings scheint bei HR-sensitiven Tumoren die
Behandlung weniger effektiv zu sein [10, 87]. Bei unklarem HR-Status sollte eine
kombinierte chemoendokrine Therapie erfolgen.
Verbindliche Leitlinien für die Auswahl der Chemotherapeutika existieren nicht. Die
Empfehlungen richten sich nach den klinischen Erfahrungen. Besonders anthracyclin- und
taxanhaltige Chemotherapien haben sich bewährt. Für nodalpositive und HR-negative
Patienten konnte eine Reduktion der Lokalrezidivrate durch eine anthracyclinhaltige CAFTherapie (Cyclophosophamid, Doxorubicin und 5-Fluorouracil) erzielt werden [88]. In
derselben Patientengruppe war eine taxanhaltige Kombination einer CT mit 5-Fluorouracil
überlegen [89]. Muss et al. empfehlen nicht von den Standard-Chemotherapien bei der
Behandlung älterer Patientinnen abzuweichen. Sie wiesen eine Überlegenheit der
Standardtherapie gegenüber einer alleinigen Capecitabin-Chemotherapie in einem Kollektiv
≥65 Jahre nach [90]. In weiteren Studien konnte gezeigt werden, dass hochdosierte
anthracyclinhaltige CT (CAF, FEC) oder Kombinationstherapien mit Taxanen und
Anthracyclinen derzeit den Standard für eine systemische Therapie darstellen sollten [91, 92].
Unabhängig davon, welche Chemotherapeutika zum Einsatz kommen, sollte berücksichtigt
werden, dass mit steigendem Alter die Effektivität der Therapie abnimmt, gleichzeitig die
Toxizität und die Rate an Nebenwirkungen aber steigen. Interaktionen mit anderen
Medikamenten und Komorbiditäten sind zu beachten. Das Monitoring der Patienten sollte
intensiviert werden, um einerseits die Patientin nicht zusätzlich zu belasten, andererseits
einem Therapieabbruch, der bei älteren Frauen häufiger vorkommen kann, vorzubeugen [93].
Ein neuerer Ansatz ist die Durchführung einer neoadjuvanten CT bei bereits weit
fortgeschrittenen Tumoren (T3/4), die ohne Vorbehandlung inoperabel sind. Hier konnten
ebenfalls gute Ergebnisse gezeigt werden [38].
20
Einleitung
1.5.3.3 Zielgerichtete Therapie
Die zielgerichtete Therapie (“targeted therapy“) ist darauf ausgerichtet, bestimmte Faktoren
der Karzinogenese selektiv zu erkennen und auszuschalten. In der adjuvanten Therapie ist die
Erhebung des HER2-Status neben der Bestimmung des HR-Status ein wichtiger Schritt, um
ein zielgerichtetes Vorgehen zu ermöglichen. Dazu werden Oberflächenproteine oder DNAAmplifikate im Tumorgewebe nachgewiesen, die zu einer HER2-Überexpression führen.
Diese wird bei etwa 15-20% der Brusttumoren gesehen. Zugleich konnte eine erhöhte
Aggressivität des Tumors bei positivem HER2-Status nachgewiesen werden [94]. Durch die
Entwicklung der Antikörpertherapie mit Trastuzumab konnte die Progression dieser Tumoren
gesenkt werden. Daher wird HER2-positiven Brustkrebspatientinnen die einjährige
Trastuzumabtherapie nach abgeschlossener CT empfohlen [95]. Eine Verbesserung des DFS
und OAS konnte für diese Therapie nachgewiesen werden [38, 58].
Neuere Ansätze mit Antikörpern werden bereits eingesetzt oder sind noch in der klinischen
Erprobung. Diese richten sich gegen eine intrazelluläre Tyrosin-Kinase bei HER2-positiven
Brustkrebs (Lapatinib) oder haben einen gänzlich anderen Ansatzpunkt, wie beispielsweise
den VEGF-Rezeptor (Bevacizumab) [96]. Der Einsatz dieser Medikamente sollte zusammen
mit einer CT erfolgen und ist bisher auf das metastasierte Mammakarzinom beschränkt.
Weitere Möglichkeiten werden noch untersucht und entwickelt [38].
1.6 Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist es, den Einfluss einer optimalen adjuvanten Therapie auf das Überleben
von älteren Patientinnen über 74 Jahre mit Mammakarzinom herauszufinden. Es sollen
prognostisch relevante Faktoren herausgestellt werden. Dieses Patientenkollektiv ist häufig in
klinischen Studien unterrepräsentiert, sodass eine ausreichende Informationsgrundlage für die
Entscheidung und Planung der adjuvanten Therapie fehlt. Dadurch erhalten ältere
Patientinnen seltener eine optimale Behandlung, was zu einer verkürzten Überlebenszeit
führen kann. Es soll eine Empfehlung für die adjuvante Behandlung von älteren
Brustkrebspatientinnen erarbeitet werden. Dazu wird eine Überlebensanalyse der einzelnen
Therapiemodalitäten unter Berücksichtigung der Leitlinienadhärenz durchgeführt.
21
2. Material und Methoden
2.1 Datenmaterial und Einschlusskriterien
Diese unizentrische, retrospektive Kohortenstudie befasst sich explizit mit älteren
Brustkrebspatientinnen, die zum Zeitpunkt der Diagnose mindestens 75 Lebensjahre oder
älter waren. Alle Fälle wurden im Zeitraum von 2000 bis 2009 an der Universitätsfrauenklinik
Rostock diagnostiziert. Weitere Einschlusskriterien sind das erstmalige Auftreten eines
Tumors und der Ausschluss von Fernmetastasen (M0). Jüngere Frauen, Patientinnen mit
Sekundärtumoren oder Metastasen (M1) wurden ausgeschlossen.
Das Datenmaterial für die Analyse entstammt dem Krebsregister Rostock. Das klinische
Krebsregister für die Region Rostock erfasst Daten zu allen ICD-10-kodierten Tumoren und
soll die Umsetzung der leitliniengerechten Behandlung in verschiedenen medizinischen
Bereichen fördern [97]. Die Krebsregisterdateien enthalten Angaben zum Tumor-Stadium
(TNM, Histologie, Grading), zur Behandlung, zu Nebenerkrankungen und zur Todesursache.
Der Schwerpunkt liegt auf dem Herausstellen von prognostisch wichtigen Einflussfaktoren
auf das Überleben. Mit Hilfe von IBM SPSS® Statistics, Version 16, wurden die Daten
statistisch bearbeitet. Die Dissertation wurde in Microsoft Word® 2011 erstellt.
Das Gesamtkollektiv umfasste ursprünglich 503 Patienten, davon fünf männliche. Die Daten
der männlichen Patienten wurden in der Analyse nicht berücksichtigt, ebenso wie sieben
weitere Fälle, die als Lokalrezidiv gelistet waren. 41 Fälle wurden im internen und externen
Archiv der Südstadtklinik nachträglich untersucht, da bei diesen Patientinnen wichtige
Informationen fehlten. Von diesen 41 Fällen wurden 39 nicht in die statistische Auswertung
mit einbezogen, da die Aufnahmekriterien nicht erfüllt waren. In der finalen Auswertung
wurde somit eine Kohorte von 452 Patientinnen mit Primärtumor untersucht.
22
Material und Methoden
2.2 Methoden
2.2.1 Datenordnung und Variablen
Zur Analyse der adjuvanten Therapie beim Mammakarzinom wurden die Daten
systematisiert. Dazu wurden die klinischen Inhalte zur Behandlung, Todesursache,
Histopathologie und Nebenerkrankungen in insgesamt 60 Variablen gegliedert, wobei eine
Variable ein bestimmtes Merkmal charakterisiert.
Die Variablen selbst können ein Datum (z. B. Rezidivdatum), ein qualitatives Merkmal (z.B.
Raucher ja/nein) oder einen quantitativen Wert (1=ja/ 0=nein) darstellen. Letztere Methode
wurde angewandt, um qualitativen Merkmalen einen quantitativen Wert zuzuordnen, um so
einerseits die Übersicht im Datensatz zu wahren, andererseits die Berechnungen zu
vereinfachen. Fehlende Werte wurden als solche gekennzeichnet.
Es wurden neue Variablen erstellt. Dies betrifft besonders Zeitintervalle. Zur Berechnung
wurde der Datumsassistent des SPSS-Programmes benutzt. Die Angabe erfolgt in Jahren,
Monaten oder in Wochen. Der Datenbankschluss (Cut-Off) wurde auf den 01. April 2011
festgelegt. Unter anderem wurden folgende wichtige Zeitdifferenzen ermittelt:

Rezidivfreies
Überleben
(disease-free
survival,
DFS):
Intervall
zwischen
Diagnosedatum und Rezidiv-/Metastasendatum in Monaten

Gesamtüberleben (overall survival, OAS): Intervall zwischen Diagnosedatum und
Sterbedatum bzw. Datum Datenbankschluss in Monaten

Krankheitsspezifisches Überleben (breast cancer specific survival, BCSS):
Intervall zwischen Diagnosedatum und Mammakarzinom-assoziiertem Tod bzw.
Datum Datenbankschluss in Monaten
Zur
Überprüfung
altersabhängiger
Unterschiede
bei
der
Applikation
adjuvanter
Therapiemodalitäten wurden die Patientinnen anhand des Diagnosealters in drei Alterklassen
eingeteilt.
Die Risikoeinstufung der Patientinnen erfolgte gemäß den Kriterien des Konsensus-Panel von
St. Gallen 2007 in ein niedriges, mittleres und höheres Risiko. Es konnten aufgrund von
fehlenden Informationen nicht alle Fälle klassifiziert werden. Dies betrifft besonders Daten
zum HER2-Status, der erst ab 2005/2006 routinemäßig erhoben wurde. Außerdem änderte
sich die TNM-Klassifikation während des Beobachtungszeitraumes. Die Angaben aus dem
Datensatz wurden überarbeitet und alle Tumoren anhand der aktuellen 7. Auflage (2010)
klassifiziert.
23
Material und Methoden
Die Nebenerkrankungen und Risikofaktoren wurden anhand der Informationen des
Krebsregisters in neun Kategorien gegliedert. Es wurden die Risikofaktoren Adipositas,
Rauchen und Diabetes mellitus untersucht. Eine weitere Variable bestimmt die
Multimorbidität. Sie wird für diese Arbeit als das gleichzeitige Vorhandensein von mehr als
einer bekannten Erkrankung definiert.
2.2.2 Leitlinienfestlegung
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Beurteilung der adjuvanten Therapie und deren Einfluss
auf das spezifische Überleben. Dazu wurden die Therapiemodalitäten hinsichtlich der
aktuellen Empfehlungen der AGO- und der S3-Leitlinien zur Behandlung des
Mammakarzinoms in „Standard“ und „Substandard“ kategorisiert. Zuletzt wurde die gesamte
adjuvante Therapie bewertet. Es soll analysiert werden, ob Patienten mit optimaler Therapie
einen Überlebensvorteil gegenüber einer Vergleichsgruppe mit Frauen haben, die eine
suboptimale Behandlung erhielten. In Abbildung 3 werden die Bewertungsrichtlinien
schematisch dargestellt. Die Evaluation der gesamten Therapie, also ob eine hohe
Leitlinienadhärenz zu einem Überlebensvorteil führt oder nicht, erfolgt anhand der klinischen
Parameter und Informationen.
Die operative Versorgung wurde nicht bewertet, da neben objektivierbaren Faktoren wie
Größe des Tumors oder Streuung von Tumorgewebe auch andere Faktoren wie der
Patientenwunsch oder die Operabilität berücksichtigt werden müssen. Die Indikationen für
eine brusterhaltende Chirurgie oder einer Mastektomie sind zudem unterschiedlich und nicht
auf einer Ebene miteinander vergleichbar. Für die Auswertung wurden die Patienten in
operierte und nicht operierte Fälle unterteilt.
Eine postoperative RT entspricht den Leitlinien, wenn diese immer nach BEO oder nach
Mastektomie bei Tumoren größer als 5 cm (pT3/4) oder positivem Nodalstatus (pN1-3)
durchgeführt wird. Multizentrizität, Lymph- oder Gefäßinvasion und R1/R2-Tumoren werden
als Bestrahlungskriterium in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.
Die systemische Therapie unterteilt sich in die Hormon- und Chemotherapie. Beide werden
zunächst getrennt voneinander beurteilt. In der Variablen „Systemtherapie“ werden sie
zusammengeführt. Sind sie beide optimal durchgeführt worden, entspricht dies einer
Standard-Systemtherapie. Im Falle einer suboptimalen Behandlung einer der Modalitäten, ist
auch die Systemtherapie als suboptimal zu werten. Die Indikation für eine HT besteht bei
positivem HR-Status. Die Nichtapplikation einer HT bei negativem HR-Status wird ebenfalls
24
Material und Methoden
als Standard gewertet. Gleichzeitig stellt ein negativer Status oder der Befall von vier oder
mehr Lymphknoten (pN2) eine Indikation für eine adjuvante CT dar.
Bei positivem HER2-Status sollte neben der Trastuzumab-Antikörpertherapie eine CT
durchgeführt werden, da eine alleinige Trastuzumab-Behandlung in der Primärbehandlung
nicht zugelassen ist.
Die einzelnen Therapiemodalitäten (HT, CT, RT) wurden jeweils nach den oben genannten
Kriterien bewertet und entsprechend in „Standard“ und „Substandard“ klassifiziert. Für die
gesamte adjuvante Therapie wurde dann in Zusammenschau der Ergebnisse dasselbe
Prozedere angewandt. Die adjuvante Behandlung und die Leitlinientreue wurden in der
Variable „Leitlinie“ bewertet.
25
Material und Methoden
Operation
Radiotherapie
Hormontherapie
Chemotherapie
AK-Therapie
Systemtherapie
Leitliniengerechte Behandlung:
Standard/Substandard?
Kriterien:
Erhalten= Standard (Übertherapie nicht negativ bewertet, z.B. durchgeführte, aber
nicht indizierte CT)
Bestrahlung: Standard ja/nein?
1. Immer nach BET
2. Bei MRM: bei pT3/4 oder pN1-3
Systemtherapie: Standard ja/nein?
a) Hormontherapie indiziert:
1. Bei positivem HR-Status (Östrogen- und/oder Progesteronrezeptor positiv)
b) Chemotherapie indiziert:
1. Bei negativem HR-Status
2. Bei ≥4 positiven Lymphknoten (pN2/3)
3. HER2-Status positiv
Fehlende Informationen zum Rezeptor-Status (ER/PR oder HER2) und/oder
kein bekannter Nodalstatus keine Klassfizierung
Leitliniengerechte Behandlung?:
Standard (Therapie optimal)
Substandard (Therapie suboptimal)
Keine Klassifizierung bei fehlender Beurteilbarkeit
Abb. 3: Leitlinien zur Beurteilung der adjuvanten Behandlung,
modifiziert nach AGO- und S3-Leitlinien; AK=Antikörper
26
Material und Methoden
2.2.3 Deskriptive Statistik und Überlebensanalyse
Inhalt der deskriptiven Statistik sind die absoluten und relativen Häufigkeiten. Dabei sollen
die Häufigkeitsverteilungen einen demografischen Überblick der Kohorte widerspiegeln.
Für alle statistischen Berechnungen wurde die entsprechende Funktion für deskriptive
Statistik und Kreuztabellen des SPSS®-Programms benutzt. Die tabellarische und grafische
Aufarbeitung erfolgte im SPSS®-Viewer und Microsoft Excel 2011®.
In dieser Arbeit geht es um den Krankheitsverlauf und die Überlebenswahrscheinlichkeit bei
Brustkrebs nach adjuvanter Therapie. Dazu werden die spezifischen Überlebenszeiten
untersucht.
Für die univariate Überlebensanalyse wird die Methode nach Kaplan-Meier benutzt. Diese
statistische Funktion wurde 1958 von Edward Kaplan und Paul Meier konzipiert und schätzt
die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Patientenkollektives, das über die oben genannten
Zeiträume beobachtet wurde [98]. Es wird untersucht, ob ein bestimmtes Ereignis eintritt oder
nicht. Für jedes weitere Eintreten eines Ereignisses wird die Überlebenswahrscheinlichkeit
dann neu berechnet. Es wird nur ein einzelner Faktor betrachtet.
Die Auswertung erfolgt anhand des Kaplan-Meier-Diagramms mit den charakteristischen
Überlebenskurven. Mit Hilfe des Log-Rank-Testes wird das Überleben zweier Gruppen
untersucht und das Ergebnis anhand des Signifikanzwertes p dargestellt. Man spricht von
Signifikanz, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Variablen unabhängig vom Zufall
zeitgleich eintreffen, einen kleinen Wert einnimmt. Als signifikant gelten p-Werte, die einen
Wert von p≤0,05 im Log-Rank-Test ergeben. Wenn eine Therapie A einer Therapie B mit
dem Wahrscheinlichkeitswert p=0,015 überlegen ist, so ist dieses Ergebnis verglichen mit
dem Signifikanzniveau von α= 5% hoch signifikant [98, 99].
Es werden die einzelnen Variablen mit der Kaplan-Meier Methode und dem Log-Rank-Test
berechnet und im Diagramm dargestellt. Dabei wird auf der Ordinate die kumulative
Überlebenswahrscheinlichkeit abgebildet. Die Abszisse zeigt das Überleben in Monaten. Als
Ausdruck des Unterschiedes zwischen zwei Messgrößen wird die Signifikanz berechnet und
in
tabellarischer
Form
vom
Programm
ausgegeben.
Tritt
innerhalb
eines
Beobachtungszeitraumes kein Ereignis auf, so werden die Patienten als zensiert markiert.
Abbildung 4 zeigt ein Beispiel für ein Kaplan-Meier-Diagramm. Jede Kurve entspricht einer
Altersgruppe. Die Gruppe der 75- bis 79-Jährigen hat in diesem Fall eine größere
Überlebenswahrscheinlichkeit als ältere Patienten.
27
Material und Methoden
Die mediane Überlebenszeit, also die Zeit, nach der nur noch die Hälfte lebt, liegt für eine 75bis 79-Jährige bei 115 Monaten und bei einer >85-Jährigen bei 52 Monaten. Der gesamte
Beobachtungszeitraum erstreckt sich über mehr als 125 Monate.
Abb. 4: Beispiel für ein Kaplan-Meier Diagramm
Die Cox-Regressionsanalyse ist ein weit verbreitetes, statistisches Modell zur multivariaten
Analyse von Überlebensdaten. Sie untersucht den Effekt mehrerer Faktoren auf das
Überleben. Es soll untersucht werden, ob Variablen, die univariat einen signifikanten Einfluss
auf das Überleben haben, auch bei der gleichzeitigen Betrachtung mehrerer Merkmale ihren
signifikanten Einfluss behalten [99].
Konkret wird bei der Cox-Regressionsanalyse eine Überlebensfunktion berechnet, mit der die
Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden soll, ob ein festgelegtes Ereignis während eines
Beobachtungszeitraumes für bestimmte Werte von Kofaktoren eintritt [98]. Für die CoxRegressionsanalyse
werden
die
sieben
signifikantesten
Variablen
der
univariaten
Untersuchung betrachtet.
Sowohl für die univariate als auch die multivariate Analyse wird für einen bestimmten
Beobachtungszeitraum untersucht, ob ein bestimmtes Ereignis eintritt. Beispielsweise wird für
das DFS untersucht, ob das Ereignis „Rezidiv“ eintritt. Es werden alle relevanten
28
Material und Methoden
Einflussvariablen gleichzeitig in das Modell eingebracht und untersucht. Die zeitliche oder
logische Reihenfolge spielt keine Rolle. Kategoriale Variablen werden nicht gesondert in den
Subklassifizierungen untersucht.
Das Ergebnis wird in Form einer Tabelle ausgegeben (Abb. 5). Diese enthält neben der
Signifikanz, das Hazard Ratio und dessen 95%-Konfidenzintervall mit minimalem und
maximalem Wert. Liegen beide Werte über 1 oder darunter, so deutet dies auf eine hohe
Signifikanz hin. Das Hazard entspricht dem Risiko zu einem bestimmten Zeitpunkt ein
Ereignis zu erleiden. Es kann als momentane Sterberate aufgefasst werden und kann sich
abhängig vom Zeitpunkt ändern. Das Hazard Ratio ist der Quotient zweier HazardFunktionen für zwei Gruppen, wobei eine als Referenzgruppe dient [99].
Variable
Operation
Signifikanz p
0,525
Hazard-Ratio
0,520
95%-Konfidenzintervall
0,069-3,911
Abb. 5: Beispiel für eine Cox-Regressionstabelle
29
3. Ergebnisse
3.1 Deskriptive Statistik
Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über die Häufigkeitsverteilungen der verschiedenen
Variablen. Die folgenden Tabellen zeigen ausgewählte Parameter. Die Ergebnisse werden im
Einzelnen erklärt und ausgeführt.
Variable
Alter bei
Diagnose
in Jahren
ER-Status
PR-Status
HER2-Status
Rezidiv
Tod
Klassifikation
75 – 79
80 – 84
≥ 85
ER positiv
ER negativ
ER unbekannt
PR positiv
PR negativ
PR unbekannt
positiv
negativ
unbekannt
ja
nein
Tumortod
andere Ursache
nein
absolute
Häufigkeit n
244
126
82
356
51
45
308
98
46
75
193
184
62
390
41
135
276
relative
Häufigkeit in %
54,0
27,9
18,1
78,75
11,25
10,0
68,1
21,7
10,2
16,6
42,7
40,7
13,7
86,3
9,0
29,9
61,1
Tab. 3: Häufigkeitsverteilungen allgemeiner Parameter (n=452)
Tabelle 3 zeigt allgemeine Informationen des Patientenkollektives. Bei 46%, also fast der
Hälfte aller untersuchten Patientinnen, wurde ein Mammakarzinom nach dem 80. Lebensjahr
diagnostiziert. Etwa ein Fünftel ist älter als 85 Jahre bei Diagnosestellung. Im
Beobachtungszeitraum trat in 62 Fällen ein Rezidiv auf. 176 Patienten verstarben, von denen
bei 41 Fällen ein Tod durch das Mammakarzinom festgestellt wurde.
Hinsichtlich des HR-Status sind die Ergebnisse nicht unerwartet. Fast 79% zeigen einen
positiven ER-Status (n=356), mehr als 68% einen positiven PR-Status (n=308). Insgesamt
wurde bei 363 Patientinnen ein positiver HR-Status erhoben (80,3%). Bei 184 Patientinnen
(40,7%) liegt ein unbekannter HER2-Status vor. Dabei ist zu bedenken, dass die Herceptin®-
30
Ergebnisse
Therapie erst seit 2005/2006 für die adjuvante Therapie zugelassen ist und daher vor dieser
Zeit kein routinemäßiger HER2-Status erhoben wurde.
Die Entscheidung für die spätere Therapie ergibt sich aus der Kombination des HR- und
HER2-Status. Die Kreuztabelle 4 zeigt die Häufigkeitsverteilungen aller getesteten
Rezeptoren bei Patientinnen mit bekanntem HER2-Status. Siebenundvierzig Patientinnen
(10,4%) haben einen dreifach positiven Rezeptorenstatus, sie sind triple-positiv. Die größte
Gruppe mit 189 Fällen (41,8%) weist einen zweifach positiven Status (ER/PR positiv, HER2Status negativ) auf. Vierzehn Patientinnen (3,1%) sind triple-negativ, was prognostisch als
ungünstig zu werten ist.
Anzahl (absolut)/
PR-Status
HER2-Status
HER2
Positiv
ER-Status
HER2
Negativ
ER-Status
Positiv
Negativ
Gesamt
Positiv
47
10
57
Negativ
0
18
18
Gesamt
47
28
75
Positiv
142
33
175
Negativ
1
14
15
Gesamt
143
47
190
Tab. 4: Kreuztabelle Rezeptorstatus (n= 265)
Die St. Gallen Klassifikation wurde bereits erläutert. Anhand dieser Kriterien konnten mehr
als 85% der Kohorte klassifiziert werden. Bei 13,5% war eine Einteilung nicht möglich, da
wichtige Informationen fehlten. Die Mehrzahl ist den Gruppen mit intermediärem oder
höherem Risiko zuzuordnen. Lediglich 13 Fälle weisen ein niedriges Risiko auf.
Mit 285 Fällen ist das invasiv-duktale Mammakarzinom der am häufigsten diagnostizierte
Tumor. Das invasiv-lobuläre Karzinom folgt dahinter. Beide histologischen Subtypen liegen
mit ihrer relativen Häufigkeit im Bereich der Literaturwerte [38].
Der Großteil (n=345, 76,3%) der Tumoren hat eine Größe bis maximal 5 cm. Größere
Tumoren (n=70, 15,5%) sind selten. Mehr als die Hälfte der Fälle weisen einen
nodalnegativen Status auf. Betrachtet man nur diese beiden Parameter, so ist die
Ausgangssitutation für viele Patienten als günstig anzusehen. Die Daten sind in Tabelle 5
abgebildet.
31
Ergebnisse
Variable
Klassifikation
absolute
relative Häufigkeit
Häufigkeit n
in %
Niedriges Risiko
13
2,9
St. Gallen
Mittleres Risiko
227
50,2
Klassifikation Höheres Risiko
151
33,4
nicht klassifizierbar
61
13,5
Invasiv- duktales CA
285
63,1
Histolog. Typ Invasiv- lobuläres CA
50
11,1
andere CA
117
25,8
G1
65
14,4
Grading
G2
255
56,4
G
G3 & G4
115
25,4
Gx
17
3,8
T1
182
40,2
Tumorgröße T2
163
36,1
pT
T3 & T4
70
15,5
Tx
37
8,2
pN0 (negativ)
252
55,8
Nodalstatus
pN1 (1-3 pos.)
81
17,9
pN
pN2 (4-9 pos.)
43
9,5
pN3 (≥10 pos)
29
6,4
unbekannt
47
10,4
Tab. 5: Häufigkeitsverteilungen der histopathologischen Parameter (n=452)
Anhand der ICD-10 Kodierung können die häufigsten Lokalisationen der Tumoren im
Bereich der Brust festgestellt werden (Abb. 6). Viele Fälle wurden entweder nicht zugeordnet
(n=140, 31%) oder die Tumoren waren überlappend lokalisiert (n=88, 19,5%). Dennoch sind
die Ergebnisse mit den Werten in der Literatur vergleichbar [38]: Der obere laterale Quadrant
ist vor dem Mamillen-Areola-Komplex am häufigsten betroffen, während der untere innere
Quadrant am seltensten Ausgangspunkt des Tumors ist. Die Unterschiede ergeben sich durch
die physiologische Verteilung des Brustdrüsengewebes.
Tabelle 6 zeigt Häufigkeiten der Therapie und die Behandlungsstandards, einschließlich der
Leitlinienadhärenz.
32
Ergebnisse
Lateral
Medial
n=90, 40,4%
n=28, 12,5%
n=59, 26,5%
n=27, 12,1%
n=19, 8,5%
Abb. 6: Brustschema mit Lokalisationshäufigkeiten von Brustkrebs, n=223
Variable
Operation
HT absolut
HT
Standard
CT absolut
Systemtherapie
Standard
RT absolut
Klassifikation absolute
relative Häufigkeit
Häufigkeit n
in %
BEO
177
39,2
Mastektomie
238
52,6
keine OP
37
8,2
Erhalten
341
75,4
Nicht erhalten
111
24,6
Standard
380
84,1
Substandard
58
12,8
Fehlend
14
3,1
Erhalten
39
8,6
Nicht erhalten
413
91,4
Standard
254
56,2
Substandard
139
30,8
Fehlend
59
13,0
Erhalten
244
54,0
Nicht erhalten
Standard
Substandard
Fehlend
Standard
Leitlinienadhärenz Substandard
Fehlend
RT
Standard
208
331
85
36
192
211
49
46,0
73,2
18,8
8,0
42,5
46,7
10,8
Tab. 6: Adjuvante Therapiemodalitäten und Leitlinienadhärenz (n=452)
33
Ergebnisse
Bei 192 Patientinnen wurde eine leitlinienkonforme Behandlung durchgeführt. Mit 42,5% ist
der Anteil etwas geringer als die Anzahl von Brustkrebspatientinnen, die eine suboptimale
Therapie erhielten (46,7%). Aufgrund fehlender Daten können 10,8% nicht eingeteilt werden.
Der Großteil der Erkrankten (n=415, 91,8%) wurde operiert. Die Mehrheit erhielt eine HT,
die bei 84,1% auch dem Standard entsprach. Es ist zu berücksichtigen, dass auch HR-negative
Patienten eingeschlossen sind. Deutlich seltener wurde eine CT appliziert, was die 30,8% der
Fälle erklären kann, die mit einer suboptimalen Systemtherapie behandelt wurden. Bei der
Strahlentherapie des Mammakarzinoms zeigt sich wiederum eine höhere Applikationsrate und
Leitlinenadhärenz. Eine Radiatio wurde insgesamt bei 244 Patientinnen durchgeführt. In 85
Fällen (18,8 %) war die Strahlentherapie suboptimal.
Vergleicht man den Einsatz der Therapien in Bezug auf die Altersgruppe, so präsentiert sich
über alle Analysen hinweg dasselbe Bild. Mit steigendem Alter nimmt die Anzahl an
durchgeführten Therapien und zugleich auch die Leitlinienadhärenz ab. Exemplarisch dafür
sind in den Tabellen 7 bis 9 die Bestrahlung und die Leitlinienadhärenz aufgeführt.
Absolute Anzahl
Altersgruppe
Bestrahlung - Häufigkeiten
Erhalten
Nicht erhalten
Gesamt
166
78
244
58
68
126
20
62
82
208
244
452
75 - 79
80 - 84
≥ 85
Gesamt
Tab. 7: Altersabhängige Häufigkeiten der Strahlentherapie
Absolute Anzahl
Standard
Altersgruppe
75 - 79
80 - 84
≥ 85
Gesamt
209
82
40
331
Bestrahlung – Leitlinienadhärenz
Substandard Gesamt
Quotient
(Stand./Substand.)
29
238
7,2
31
113
2,7
25
65
1,6
85
416
3,9
Tab. 8: Altersabhängige Häufigkeiten der leitlinienadhärenten Strahlentherapie
Absolute Anzahl
Standard
Altersgruppe
75 - 79
80- 84
≥ 85
Gesamt
137
39
16
192
Leitlinienadhärenz gesamt
Substandard
Gesamt
Quotient
(Stand./Substand.)
91
228
1,5
74
113
0,5
46
62
0,4
211
403
0,9
Tab. 9: Altersabhängige Leitlinienadhärenz
34
Ergebnisse
Zusammenfassend lässt sich folgende Durchschnittspatientin beschreiben: Eine 75 bis 79
Jahre alte, nodalnegative Frau mit einem kleinen (pT1), mäßig differenzierten Tumor (G2)
vom invasiv-duktalen Typ; der HR-Status ist positiv und der HER2-Status negativ.
Die Analyse der Therapiemodalitäten zeigt, dass es deutliche Unterschiede bei der
Anwendung von Operation, Chemo- und Hormontherapie, sowie Bestrahlung gibt. Daraus
resultiert eine große Anzahl von suboptimal behandelten Patienten. Weiterhin ist
festzustellen, dass die Therapien altersabhängig eingesetzt werden. Bei älteren Patientinnen
ist der Therapieumfang geringer als bei jüngeren.
Inwieweit sich die einzelnen Therapieschritte auf das kumulative Überleben auswirken, und
welche Rückschlüsse für deren Einsatz bei älteren Brustkrebspatientinnen gezogen werden
können, wird in den folgenden Kapiteln untersucht.
3.2 Nebenerkrankungen
Anhand der Daten des Krebsregisters wurden die Fälle auf vorhandene Nebenerkrankungen
untersucht. Es wurden acht bedeutsame Kategorien festgelegt. In einer weiteren Variablen
wird der Raucherstatus erfasst. Die Daten sind in Tabelle 10 aufgeführt.
Krankheit/Status
Erkrankt (positiv)
Gesund (negativ)
unbekannt
Diabetes mellitus
107 (23,7%)
202 (44,7%)
143 (31,6%)
Kardiovaskulär
272 (40,2%)
37 (8,2%)
143 (31,6%)
36 (8%)
273 (60,4%)
143 (31,6%)
Neurologisch
48 (10,7%)
261 (57,7%)
143 (31,6%)
Renal
29 (6,5%)
280 (61,9%)
143 (31,6%)
Gastrointestinal
18 (4,0)
291 (64,4%)
143 (31,6%)
Adipositas
36 (8%)
273 (60.4%)
143 (31,6%)
Osteoporose
36 (8%)
273 (60,4%)
143 (31,6%)
19 (4,2%)
351 (77,7%)
82 (18,1%)
Pulmonal
Raucher
Tab. 10: Häufigkeitsverteilungen der Nebenerkrankungen (n=452)
Die Mehrzahl der Patienten weist einen normalen oder gering reduzierten Gesundheitsstatus
auf. Zwei Krankheiten fallen jedoch mit einer erhöhten Inzidenz auf. Es leiden 23,4% an
Diabetes mellitus. Zu berücksichtigen sind hier die Komplikationen des Diabetes auf das
Gefäß- und Nervensystem. Andererseits sind mehr als 40% der Patienten kardiovaskulär
35
Ergebnisse
erkrankt. In welchem Umfang das Herz-Kreislaufsystem belastet ist, wurde nicht untersucht.
Andere Begleiterkrankungen treten seltener auf. Die postmenopausale Osteoporose oder
Adipositas sind beispielsweise seltene Komorbiditäten.
Multimorbidität bei älteren Patienten stellt meistens eine Kontraindikation für die Applikation
von Therapien dar [4]. In dieser Studie wird Multimorbidität als das gleichzeitige
Vorhandensein von mehr als einer Nebenerkrankung definiert. In 190 Fällen (42%) trifft dies
zu. Verglichen mit dem Alter nimmt die Anzahl an Behandlungen mit Multimorbidität zwar
ab, jedoch um ein deutlich geringeres Ausmaß. Der Faktor „Alter“ scheint einen größeren
Einfluss auf die Entscheidung der adjuvanten Therapie zu haben als der Faktor
„Multimorbidität“.
In der Überlebenszeitanalyse zeigt sich hinsichtlich der Nebenerkrankungen ein signifikant
negativer Einfluss auf das OAS durch Diabetes mellitus (p=0,02) und renale Erkrankungen
(p=0,021). Alle übrigen Erkrankungen sind ohne Einfluss auf die spezifischen
Überlebenszeiten.
3.3. Kaplan-Meier Überlebensanalyse
Mit Hilfe der Kaplan-Meier Überlebensanalyse kann der Einfluss einer Variablen auf das
Überleben in einem bestimmten Zeitraum untersucht werden. Unterschiede beim Überleben
werden in den Überlebenskurven im Diagramm ersichtlich.
Untersucht werden das rezidivfreie Überleben (DFS), das Gesamtüberleben (OAS) und das
krankheitsspezifische Überleben (BCSS). Kategoriale Variablen werden zusätzlich paarweise
verglichen.
3.3.1 Rezidivfreies Überleben
Bei 62 (n=13,7%) der Patienten trat ein Rezidiv auf. Das DFS betrachtet das krankheitsfreie
Intervall von der Diagnosestellung bis zum Auftreten eines Rezidives oder einer Metastase.
Das Alter ist für das Auftreten eines Rezidives und für die Überlebenszeit kein signifikanter
Faktor (p=0,977).
Der HR-Status ist eine relevante Einflussgröße auf das DFS. Sowohl für den ER- als auch den
PR-Status ist ein negatives Ergebnis mit einem deutlich schlechteren Überleben verbunden.
Die Ergebnisse des ER-Status (p≤0,001) und des PR-Status (p=0,001) sind hoch signifikant
(Abb. 7 & 8). Das Ergebnis für den HER2-Status ist nicht signifikant (p=0,063). Tendenziell
ist jedoch zu erkennen, dass das DFS für HER2-positive Patientinnen vermindert ist.
36
Ergebnisse
Abb. 7: Kaplan-Meier Diagramm des ER-Status und des DFS
Abb. 8: Kaplan-Meier Diagramm des PR-Status und des DFS
37
Ergebnisse
Den histopathologischen Parametern wird eine besonders prognostische Bedeutung für das
Überleben zugesprochen. Unter anderem finden sich diese auch in der St. Gallen
Klassifikation wieder. Erwartungsgemäß ergibt sich bei der Auswertung, dass Patienten mit
einem mittleren oder höheren Rezidivrisiko auch ein kürzeres DFS aufweisen. Bei der Gruppe
mit niedrigem Risiko (n=13) gab es keinen Rezidivfall. Das Ergebnis ist hoch signifikant
(p<0,001).
Die Tumorausdehnung spielt hinsichtlich der Prognose und des DFS eine wesentliche Rolle
(p<0,001). Je größer der Tumor, desto schlechter ist die Prognose. Es besteht besonders eine
hohe Signifikanz zwischen der Gruppe mit T1-Tumoren und ausgedehnteren Befunden (T2T4; Tab.11). Der Unterschied zwischen T2- und T3/T4-Tumoren ist nicht mehr signifikant.
Diese Kurven verlaufen nahezu ähnlich (Abb.9).
pT/
Log-Rank
T1
T2
T3&T4
T1
T2
T3&T4
0,001
<0,001
0,001
0,559
<0,001
0,559
-
Tab. 11: Log-Rank-Test für die Tumorgröße (DFS), paarweise ausgewertet
Abb. 9: Kaplan-Meier Diagramm der
Tumorgröße und des DFS
38
Ergebnisse
Einen vergleichbaren Einfluss auf das DFS wie die Tumorgröße hat auch der Nodalstatus.
Abbildung 10 zeigt das Kaplan-Meier-Diagramm von nodalpositiven und –negativen
Patientinnen.
Zunächst
wird
deutlich,
dass
Patientinnen
mit
unauffälligem
Lymphknotenbefund ein deutlich besseres Outcome haben (p<0,001). Betrachtet man die
Nodalstadien, nimmt die krankheitsfreie Überlebenszeit mit steigender Anzahl an befallenen
Lymphknoten ab (Abb.11). Dieses Ergebnis ist ebenfalls hoch signifikant (p<0,001).
Zusammen mit dem Nodalstatus und der Tumorgröße ist auch das histopathologische Grading
für das DFS von signifikanter Bedeutung (p=0,013). Je besser das Tumorgewebe differenziert
ist, desto besser ist die Prognose. Zur weiteren Analyse sind die Unterschiede der
Differenzierungsgrade in Tabelle 12 aufgeführt.
Histolog. Grading/
Log -Rank
Gut differenziert
Mäßig differenziert
Schlecht differenziert
Gut differenziert
0,295
0,016
Mäßig
differenziert
0,295
0,018
Schlecht
differenziert
0,016
0,018
-
Tab. 12: Log-Rank-Test für das Grading (DFS), paarweise ausgewertet
Abb. 10: Kaplan-Meier Diagramm des
Nodalstatus und des DFS
39
Ergebnisse
Abb. 11: Kaplan-Meier Diagramm der
Nodalstadien und des DFS
Die Untersuchung der adjuvanten Therapiemodalitäten und der Leitlinienadhärenz wird im
Folgenden dargestellt.
Eine Operation selbst bringt keinen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber nicht
operierten Frauen (p=0,448). Hinsichtlich der Operationsmethode haben Frauen, die
brusterhaltend operiert wurden, einen Vorteil gegenüber Patienten, die mit einer Mastektomie
behandelt wurden.
Für eine leitliniengerechte HT konnte kein signifikanter Effekt auf das DFS nachgewiesen
werden (p=0,533).
Eine systemische Therapie zeigt einen Trend zugunsten optimal behandelter Patienten
(Abb.12). Allerdings ist dieser Einfluss nicht signifikant (p=0,069).
Für eine optimale RT konnte ein signifikant positiver Einfluss auf das DFS nachgewiesen
werden (p=0,005). Patienten, die nach den aktuellen Empfehlungen bestrahlt wurden, hatten
ein besseres Outcome als diejenigen, die keine Radiatio erhielten. Abbildung 13 zeigt das
dazugehörige Kaplan-Meier Diagramm.
40
Ergebnisse
Abb. 12: Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Systemtherapie und des DFS
Abb. 13: Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Bestrahlungstherapie und des DFS
41
Ergebnisse
Nach Auswertung aller Daten konnte durch eine hohe Leitlinienadhärenz keine Verbesserung
des DFS erzielt werden. Es besteht ein marginaler Vorteil für Patienten, die mit einer
optimalen Standardtherapie behandelt wurden (Abb.14). Dieses Ergebnis ist jedoch nicht
signifikant (p=0,219).
Zusammenfassend zeigt sich, dass für das DFS beim Mammakarzinom der HR-Status und die
histopathologischen Parameter prognostisch wichtige Einflussfaktoren sind. Der Strahlentherapie kommt bei der adjuvanten Therapie eine große Bedeutung zu, da sie als einzige
Modalität zu einer Verbesserung DFS führt.
Abb. 14: Kaplan-Meier Diagramm der
Leitlinienadhärenz und des DFS
42
Ergebnisse
3.3.2 Gesamtüberleben
Die Analyse des OAS ist ein wichtiger Teil dieser Arbeit. Es wird untersucht, welche
Faktoren einen signifikanten Einfluss auf das OAS haben. Dabei wird der Zeitraum von der
Diagnosestellung bis zum Tod (n=176, 38,9%) oder bis zum Erreichen des Datenbankschlusses (Cut-off 01.04.2011, n=276, 61,1%) beobachtet.
Das Alter ist erwartungsgemäß ein signifikanter Einflussfaktor auf das OAS (p<0,001).
Jüngere Patientinnen haben ein besseres Outcome als ältere. Dabei zeigte sich kein
Unterschied zwischen den beiden älteren Patientengruppen (Abb.15). Im Median überleben
jüngere Patienten etwa 115 Monate nach Diagnose. Ab dem 80. Lebensjahr sinkt die
Überlebenszeit auf 61 Monate und bei noch älteren Patienten sinkt sie auf 52 Monate.
Abb. 15: Kaplan-Meier Diagramm der
Altersgruppen und des OAS
Der HR-Status ist für das OAS von untergeordneter Rolle. Weder ein positiver ER-Status
noch ein positiver PR-Status gehen mit einem Überlebensvorteil einher. Beim HER2-Status
haben Frauen mit einem negativen Status einen leichten Überlebensvorteil. Alle Ergebnisse
sind nicht signifikant (ER: p=0,247, PR: p=0,432, HER2: p= 0,282).
Die Überlebenszeit für die Gruppen der St. Gallen-Einteilung nimmt mit steigendem Risiko
ab. Dabei haben Patienten aus der Gruppe mit mittlerem und höherem Risiko ein deutlich
schlechteres Outcome. Das spiegelt sich auch in der medianen Überlebenszeit wider.
43
Ergebnisse
Während nach 105 Monaten die Hälfte der Frauen mit mittlerem Risiko noch lebt, sind es
nach etwa 63 Monaten nur noch 50% der Hochrisikopatientinnen. Dieses Ergebnis ist
signifikant (p=0,018).
Ein prognostisch entscheidender Parameter mit Einfluss auf das OAS ist erneut die
Tumorgröße. Dabei korreliert die Ausdehnung des Tumors mit einer schlechteren
Überlebenswahrscheinlichkeit (p≤0,001). Während die mediane Überlebenszeit für einen T1Tumor 115 Monate beträgt, sind bei Frauen mit größeren Tumoren (T3/4) nach weniger als
der Hälfte dieser Zeit (50,4 Monate) 50% der Fälle verstorben. Abbildung 15 zeigt das
entsprechende Kaplan-Meier Diagramm. Tabelle 13 zeigt den paarweisen Vergleich der
Tumorstadien.
Abb. 16: Kaplan-Meier Diagramm der
Tumorgröße und des OAS
pT/
Log-Rank
T1
T2
T3&T4
T1
T2
T3&T4
0,014
<0,001
0,014
0,018
<0,001
0,018
-
Tab. 13: Log-Rank-Test für die Tumorgröße (OAS), paarweise ausgewertet
44
Ergebnisse
Der Nodalstatus ist neben der Tumorgröße die zweite entscheidende Variable hinsichtlich der
Prognose für des OAS. Wie bereits beim DFS korreliert ein negativer Nodalsstatus mit einer
deutlich längeren Überlebenszeit. Während nach etwa 63 Monaten nur noch die Hälfte der
nodalpositiven Patienten lebt, wird dieser Zeitpunkt erst nach 105 Monaten bei
nodalnegativen Patienten erreicht.
Vergleicht man die Nodalstadien untereinander, bestätigt sich das Ergebnis. Je mehr
Lymphknoten befallen sind, desto schlechter ist das Outcome und die Überlebenswahrscheinlichkeit. Das Ergebnis ist hoch signifikant (p=0,001). Tabelle 14 zeigt den
paarweisen Vergleich der Überlebenskurven. Eine Besonderheit zeigt die Gruppe der
Patienten im Stadium pN2. Diese Gruppe hat sogar ein noch schlechteres Outcome als
Brustkrebspatientinnen im Stadium pN3. Das sollte kritisch hinterfragt werden. Es könnte auf
ein besseres Ansprechen auf die adjuvante Therapie bei fortgeschrittenem Tumor
zurückzuführen sein. Die mediane Überlebenszeit sinkt vom Stadium pN0 mit 105 Monaten
auf 57 Monate (pN3) und auf 52 Monate (pN2).
Abb. 17: Kaplan-Meier Diagramm der
Nodalstadien und des OAS
45
Ergebnisse
pN/LK pos./
Log-Rank
pN0
pN1 (1-3)
pN2 (4-9)
pN3 (≥10)
pN0
pN1 (1-3)
pN2 (4-9)
pN3 (≥10)
0,337
<0,001
0,059
0,337
0,021
0,265
<0,001
0,021
0,489
0,059
0,265
0,489
-
Tab. 14: Log-Rank-Test für den Nodalstatus (OAS), paarweise ausgewertet
Der dritte, prognostisch wichtige Faktor ist das Grading. Patientinnen mit mäßig
differenziertem Tumorgewebe haben einen Überlebensvorteil gegenüber Brustkrebspatienten
mit gut differenziertem Gewebe. Das Ergebnis ist zwar signifikant (p=0,05), sollte aber
ebenfalls hinterfragt werden. Abbildung 18 zeigt das Kaplan-Meier Diagramm und Tabelle 15
den paarweisen Vergleich.
Abb. 18: Kaplan-Meier Diagramm des
Gradings und des OAS
Gut
Mäßig
Schlecht
Histolog. Grading/
differenziert differenziert differenziert
Log-Rank
0,392
0,213
Gut differenziert
0,392
0,018
Mäßig differenziert
0,213
0,018
Schlecht differenziert
Tab. 15: Log-Rank-Test für das Grading (OAS), paarweise ausgewertet
46
Ergebnisse
Im paarweisen Vergleich des histologischen Gradings zeigt sich, dass zwischen der Gruppe
mit mäßig differenziertem Tumor (G2) und der Gruppe mit entdifferenziertem Tumor (G3)
ein signifikanter Unterschied besteht (p=0,018). Im Vergleich zu anderen Differenzierungsgraden liegt kein signifikanter Unterschied vor.
Während das DFS nur von der Strahlentherapie signifikant positiv beeinflusst wird, wird das
OAS von allen adjuvanten Therapiemodalitäten beeinflusst.
Eine Operation hat einen positiven Einfluss auf das OAS (Abb. 19). Die mediane
Überlebenszeit ist bei operierten Patientinnen um mehr als 30 Monate verlängert (89 vs. 53
Monate). Mit einem Wahrscheinlichkeitswert von p=0,007 ist das Ergebnis hoch signifikant.
Abb. 19: Kaplan-Meier Diagramm des
Operationsstatus und des OAS
Unterscheidet man den Operationstyp, so zeigt sich, dass Patientinnen mit BEO ein deutlich
besseres Outcome haben als mastektomierte Patienten. Es ist anzumerken, dass letztere
Gruppe häufiger größere Tumoren und somit eine schlechtere Ausgangssituation aufweist.
Davon abzugrenzen ist die Gruppe von nicht operierten Fällen, deren Überlebenserwartung
noch deutlich darunter liegt.
Während nach 105 Monaten die Hälfte der mit einer BEO behandelten Frauen noch lebt, sind
bereits nach 53 Monaten 50% der nicht operierten Brustkrebspatientinnen verstorben. Das
Ergebnis ist hoch signifikant (p<0,001).
47
Ergebnisse
Eine leitlinienadhärente HT verbessert das OAS signifikant (p=0,006). Patienten, die eine
optimale endokrine Therapie erhielten, haben ein besseres Outcome als Frauen, bei denen die
HT nicht dem Standard entsprach. Die Überlebenszeiten unterscheiden sich nur geringfügig
(89 vs. 63 Monate).
Gleiches gilt für die systemische Therapie (Abb.20). Eine Behandlung nach den aktuellen
Empfehlungen führt zu einem Überlebensvorteil für diejenigen, die leitlinienkonform
behandelt wurden. Die mediane Überlebenszeit dieser Gruppe ist mit 115 Monaten fast
doppelt so hoch wie die der suboptimal behandelten Vergleichsgruppe (62 Monate, p<0,001).
Abb. 20: Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Systemtherapie und des OAS
Neben den bereits erwähnten Therapiemodalitäten, die einen signifikanten Einfluss auf das
OAS haben, bewirkt auch eine leitliniengerechte RT einen Überlebensvorteil. Patienten, die
adjuvant bestrahlt wurden, haben eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit (p=0,001). Die
mediane
Überlebenszeit
ist
fast
doppelt
so
hoch
wie
bei
nicht
bestrahlten
Brustkrebspatientinnen (100 vs. 53 Monate).
Die Gesamtbeurteilung der adjuvanten Therapie zeigt das gleiche Ergebnis. Wurde eine
Patientin mit einer hohen Leitlinienadhärenz therapiert, so besteht für sie ein
Überlebensvorteil gegenüber einer Patientin, die suboptimal behandelt wurde (p<0,001). In
Abbildung 21 sind die Überlebenskurven dargestellt.
48
Ergebnisse
Die mediane Überlebenszeit veranschaulicht das Ergebnis. Während nach etwa 63 Monaten
die Hälfte der suboptimal Behandelten verstorben ist, kann dieser Wert für die
Standardgruppe nicht angegeben werden. Nach 125 Monaten leben noch zwischen 50% bis
60% der optimal behandelten Mammakarzinompatientinnen.
Abb. 21: Kaplan-Meier Diagramm der
Leitlinienadhärenz und des OAS
Zusammenfassend wird festgestellt, dass eine leitliniengerechte Therapie zu einem besseren
Outcome beim OAS führt. Weitere prognostisch wichtige Parameter sind der Nodalstatus, die
Tumorgröße und die histologische Differenzierung des Tumors.
3.3.3 Krankheitsspezifisches Überleben
Das BCSS beschreibt die Überlebenszeit von der Diagnose bis zum Tod durch den Tumor.
Insgesamt betrifft dies 41 Fälle aus dem gesamten Kollektiv (9%).
Für das BCSS konnte kein altersabhängiger Einfluss nachgewiesen werden. Es besteht kein
signifikanter Unterschied zwischen den einzelnen Gruppen (p=0,155).
Ein positiver ER-Status hat einen signifikanten Einfluss auf das BCSS verglichen mit HRnegativen Patientinnen (p=0,033; Abb.22). Für den PR-Status besteht der gleiche
Zusammenhang: Brustkrebspatienten mit einem positiven Status haben einen signifikanten
Überlebensvorteil (p=0,043).
49
Ergebnisse
Der HER2-Status hat ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf das BCSS (p=0,031). Es
ergibt sich wie bereits beim DFS und OAS ein identisches Bild. Ein negativer HER2-Status
geht mit einem Überlebensvorteil einher (Abb.23).
Abb. 22: Kaplan-Meier Diagramm des
Östrogenrezeptorstatus und des BCSS
Abb. 23: Kaplan-Meier Diagramm des
HER2-Status und des BCSS
50
Ergebnisse
Die bisher prädiktiven histologischen Parameter haben auf das BCSS einen geringen Einfluss.
Für das Grading (p=0,275) und die Tumorgröße (p=0,128) konnte kein Einfluss auf das BCSS
nachgewiesen werden. Nur der Nodalstatus bleibt ein relevanter Faktor. Er ist der einzige
Parameter, der einen signifikanten Einfluss auf das BCSS hat (p=0,001). Grundsätzlich haben
Patientinnen mit einem negativen Nodalstatus ein besseres Outcome (Abb.24). In
Abhängigkeit
von
der
Anzahl
der
befallenen
Lymphknoten
nimmt
die
Überlebenswahrscheinlichkeit ab. Bei mehr als 10 befallenen Lymphknoten beträgt die
mediane Überlebenszeit etwa 82 Monate. Das Ergebnis ist signifikant (p<0,001). Tabelle 16
zeigt die paarweise Auswertung.
Abb. 24: Kaplan-Meier Diagramm des
Nodalstatus und des BCSS
pN/LK pos./
Log-Rank
pN0
pN1 (1-3)
pN2 (4-9)
pN3 (≥10)
pN0
pN1 (1-3)
pN2 (4-9)
pN3 (≥10)
0,270
<0,001
<0,001
0,270
0,070
0,022
<0,001
0,070
0,645
<0,001
0,022
0,645
-
Tab. 16: Log-Rank-Test für den Nodalstatus in Stadien (BCSS), paarweise ausgewertet
51
Ergebnisse
Die adjuvante Therapie hat insgesamt einen begrenzten Einfluss auf das BCSS. Den größten
Einfluss hat eine Operation. Operierte Frauen haben einen Überlebensvorteil gegenüber nicht
operierten Patientinnen (p=0,024). Bezüglich der Operationsmethode haben Frauen, die
brusterhaltend operiert wurden, ein besseres Outcome als mastektomierte Frauen. Die
geringste Überlebenswahrscheinlichkeit haben nicht operierte Brustkrebspatientinnen.
Eine optimale HT bleibt ohne Einfluss auf das BCSS (Abb.25). Zwar ist aus dem KaplanMeier Diagramm ein geringfügiger Trend für optimal behandelte Patienten ersichtlich, im
Log-Rank-Test ist das Ergebnis jedoch nicht signifikant (p=0,457).
Abb. 25: Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Hormontherapie und des BCSS
Die systemische Therapie ist die einzige Modalität, die das BCSS ansatzweise beeinflusst.
Das Ergebnis ist zwar nicht signifikant (p=0,065), es konnte jedoch ein Trend ermittelt
werden. Patienten, die eine systemische Therapie nach den aktuellen Empfehlungen erhielten,
haben ein besseres Outcome als Brustkrebspatientinnen, die suboptimal therapiert wurden.
Abbildung 26 zeigt das zugehörige Kaplan-Meier Diagramm.
Eine RT bleibt ohne Wirkung auf das BCSS (p=0,230). Nach einem gleichsinnigen Verlauf
über die ersten 35 Monate divergieren die Kurven mit einem Vorteil für bestrahlte Patienten
(Abb.27).
52
Ergebnisse
Abb. 26: Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Systemtherapie und des BCSS
In den bisherigen Abschnitten konnte gezeigt werden, dass das BCSS von mehreren Faktoren
beeinflusst wird. Dabei sind vor allem der Nodal- und HR-Status besondere Prädiktoren.
Andere histopathologische Parameter sind nicht relevant.
Die wichtigste Therapiemodalität mit Einfluss auf das BCSS ist die Operation. Andere
Schritte der adjuvanten Therapie verändern das BCSS nicht signifikant. Lediglich eine
optimale systemische Therapie zeigt ansatzweise einen positiven Einfluss.
Die Leitlinienadhärenz bei der adjuvanten Therapie bekräftigt dieses Ergebnis: Patienten, die
eine optimale Standardtherapie erhielten, haben einen Überlebensvorteil (Abb.28). Dieses
Ergebnis ist allerdings nicht signifikant (p=0,070), kann aber als Trend gewertet werden. Es
ist zu berücksichtigen, dass nur in 41 Fällen ein tumorassozierter Tod eintrat, während beim
OAS alle 176 Fälle todesursachenunabhängig in die Berechnungen einbezogen werden. Dies
kann die nicht signifikanten Ergebnisse beim BCSS erklären.
53
Ergebnisse
Abb. 27: Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Bestrahlungstherapie und des BCSS
Abb. 28: Kaplan-Meier Diagramm der
Leitlinienadhärenz und des BCSS
54
Ergebnisse
3.4 Cox-Regressionsanalyse
Die Cox-Regressionsanalyse untersucht den Einfluss mehrerer Faktoren auf eine Zielvariable.
Für die drei Beobachtungszeiträume wurden die jeweils sieben signifikantesten Variablen
untersucht. Das Ergebnis wird in tabellarischer Form präsentiert. Die Tabellen zeigen die
Variablen, die Signifikanz, die Hazard Ratio oder auch das relative Risiko und dessen 95%Konfidenzintervall. Liegen dessen unterer und oberer Wert über 1 oder darunter, so kann von
einem signifikanten Einfluss ausgegangen werden. Divergieren beide Werte stark, sollten sie
kritisch hinterfragt werden. Anhand des Hazard Ratio kann das Risiko gegenüber einer
Vergleichsgruppe angegeben werden.
3.4.1 Cox-Regression für das rezidivfreie Überleben
Für das DFS lagen insgesamt 57 Fälle (12,6%) vor, für die das Ereignis „Rezidiv“ eintrat.
Tabelle 17 zeigt die Daten.
Variable
Signifikanz
Hazard Ratio
95%-Konfidenzintervall
1 Operation
0,875
0,950
0,501
1,8
2 Strahlentherapie
0,114
0,616
0,337
1,123
3 ER-Status
0,033
2,196
1,067
4,518
4 PR-Status
0,272
1,434
0,754
2,727
5 Histolog. Grading
0,514
1,159
0,743
1,808
6 Tumorgröße
0,206
1,311
0,862
1,994
7 Nodalstatus
0,007
1,451
1,109
1,9
Tab. 17: Cox-Regression für das rezidivfreie Überleben
Nach der multivariaten Analyse verbleiben zwei Prädiktoren, die bereits univariat schon
signifikant waren: der ER- und der Nodalstatus. Die übrigen Variablen haben im
multivariaten Modell keinen relevanten Einfluss.
Die Hazard Ratio für den ER-Status beträgt 2,196. Dies bedeutet, dass das Risiko, an einem
Rezidiv zu erkranken, mehr als doppelt so hoch für eine ER-negative Patientin ist wie für eine
ER-positive Patientin.
Für den Nodalstatus ist die Risikosteigerung etwas geringer. Eine Patientin mit
nodalpositivem Befund hat ein 1,45-fach höheres Risiko an einem Rezidiv zu erkranken. Dies
entspricht einer Erhöhung um 45%.
55
Ergebnisse
Die Strahlentherapie war in der univariaten Untersuchung ein signifikanter Einflussfaktor auf
das DFS. In der multivariaten Analyse besteht dieser Zusammenhang nicht mehr. Das Risiko
an einem Rezidiv für bestrahlte Patienten zu erkranken ist um das 0,616-fache niedriger. Das
bedeutet, dass die Rezidivrate durch eine Radiatio um etwa 39% gesenkt wird. Dieses
Ergebnis ist nicht signifikant.
3.4.2 Cox-Regression für das Gesamtüberleben
Während des Beobachtungszeitraumes für das OAS trat in insgesamt 135 Fällen das Ereignis
„Tod“ ein. Tabelle 18 zeigt die Ergebnisse.
Variable
Signifikanz
Hazard Ratio
95%-Konfidenzintervall
1 Operation
0,710
0,684
0,093
5,045
2 Alter
0,014
1,360
1,065
1,737
3 Systemtherapie-Standard
0,749
1,093
0,633
1,890
4 Strahlentherapie-Standard
0,591
1,141
0,706
1,844
5 Leitlinienadhärenz
0,077
0,598
0,338
1,058
6 Tumorgröße
0,039
1,297
1,013
1,659
7 Nodalstatus
0,067
1,198
0,987
1,453
Tab. 18: Cox-Regression für das Gesamtüberleben
Für das OAS sind das Alter und die Tumorgröße wichtige Einflussfaktoren. Beide Kovariaten
sind in der uni- und multivariaten Überlebensanalyse signifikante Größen. Je älter die
Patientin ist, desto größer ist das Risiko vorzeitig zu versterben. Gegenüber der jüngsten
Patientengruppe ist das Risiko 1,36-fach erhöht.
Patientinnen, die einen Tumor größer als 2 Zentimeter aufweisen (>pT1), haben ein etwa 1,3fach höheres Risiko zu versterben. Die Tumorgröße bleibt damit ein hoch relevanter
Prädiktor.
Für den Nodalstatus, der univariat wichtig war, besteht ein Trend in der CoxRegressionsanalyse. Das Risiko, vorzeitig zu versterben, ist für nodalpositive Patientinnen
1,2-fach erhöht (20%).
Während die Therapiemodalitäten in der multivariaten Analyse nicht signifikant sind, besteht
für eine hohe Leitlinienadhärenz bei der adjuvanten Therapie ein Trend (p=0,077).
Leitliniengerecht behandelte Patienten haben einen Überlebensvorteil von etwa 40% (HR:
0,598) gegenüber suboptimal behandelten Frauen.
56
Ergebnisse
3.4.3 Cox-Regression für das krankheitsspezifische Überleben
Die Fallzahl für das BCSS ist mit 18 Ereignisfällen (4%) gering. 230 Fälle (50,9%) sind
zensiert und werden nicht berechnet. Tabelle 19 zeigt die Ergebnisse.
Variable
Signifikanz
Hazard Ratio
95%-Konfidenzintervall
1 Operation
0,058
3,68
0,956
14,165
2 Systemtherapie Standard
0,908
0,881
0,103
7,558
3 Leitlinienadhärenz
0,736
1,443
0,172
12,139
4 ER-Status
0,920
0,710
0,161
3,460
5 PR-Status
0,205
0,747
0,659
7,035
6 HER2-Score
0,222
0,502
0,166
1,519
7 Nodalstatus
0,058
1,493
0,987
2,259
Tab. 19: Cox-Regression für das krankheitsspezifische Überleben
Im Cox-Modell für das BCSS ergibt sich für die multivariate Untersuchung kein signifikanter
Einflussfaktor. Der univariat wichtige HR-Status ist ohne Relevanz. Für zwei Variablen kann
ein Trend gezeigt werden. Einerseits der Faktor „Operation“ andererseits der Nodalstatus.
Letzterer geht mit einem erhöhten Risiko am Mammakarzinom zu versterben einher, wenn
mehrere Lymphknoten befallen sind (pN+). Das relative Risiko ist gegenüber nodalnegativen
Patienten 1,493-fach erhöht.
Eine Operation hat keinen signifikanten Einfluss auf das BCSS. Für nicht operierte Frauen ist
das Risiko 3,68-fach für einen tumorassoziierten Tod erhöht. Die Streubreite des 95%Konfidenzintervalles ist zu beachten.
Alle übrigen Therapiemodalitäten oder prognostischen Faktoren sind in der CoxRegressionsanalyse ohne signifikanten Einfluss.
57
Ergebnisse
3.5 Zusammenfassung
In den vorangegangenen Abschnitten konnte der Einfluss von prognostischen Parametern und
verschiedenen Modalitäten der adjuvanten Therapie auf die spezifischen Überlebensformen
gezeigt werden.
Besonders relevante Faktoren sind der Nodalstatus und die Tumorgröße. In fast allen
spezifischen Beobachtungszeiträumen haben diese beiden Faktoren einen signifikanten
Einfluss. Ferner ist das Grading für das DFS wichtig. Sowohl für das DFS, als auch für das
BCSS ist der HR-Status von Bedeutung.
Die adjuvanten Therapiemodalitäten haben unterschiedliche Auswirkungen auf das
Überleben. Eine optimale Strahlentherapie hat einen signifikant positiven Einfluss auf das
DFS bei älteren Patientinnen. Für das BCSS wurde für eine leitlinienkonforme, systemische
Therapie ein Trend zugunsten optimal behandelter Patienten nachgewiesen.
Das OAS wird signifikant durch alle adjuvanten Therapiemodalitäten beeinflusst, sodass ein
Überlebensvorteil
für
ältere
Brustkrebspatientinnen
festgestellt
wurde.
Eine
hohe
Leitlinienadhärenz führt zu einem besseren Outcome. Dieser Aspekt ist deshalb interessant,
weil älteren Brustkrebspatientinnen insgesamt weniger Therapien angeboten werden als
jüngeren
Patientinnen.
Aufgrund
der
Ergebnisse
dieser
Arbeit
sollte
älteren
Brustkrebspatientinnen auf jeden Fall eine RT und eine HT empfohlen werden. Deren
Nebenwirkungen sind überschaubar und der positive Einfluss auf das Überleben ist groß.
Darüber hinaus kann die Applikation einer Systemtherapie (HT und CT) zur Verbesserung
des BCSS und OAS führen. Allerdings sind in dieser Patientengruppe die zu erwartenden
Komplikationen durch die CT deutlich größer.
Die Entscheidung für eine adjuvante Theapie bei älteren Patientinnen mit Mammakarzinom
kann mit dem positiven Effekt, der hier gesehen wurde, begründet werden. Zu
berücksichtigen sind aber der aktuelle Gesundheitsstatus und individuelle Wünsche der
betroffenen Frauen.
58
4. Diskussion
Die Auswertung der Daten dieser Kohorte mit Hilfe der Kaplan-Meier-Methode und dem
Cox-Modell haben gezeigt, dass es Prädiktoren gibt, die die Überlebenszeit signifikant
verändern. Der Einfluss adjuvanter Therapiemodalitäten bei Brustkrebs und deren
leitliniengerechter Einsatz bei älteren Patientinnen soll in den nächsten Abschnitten nun mit
der aktuellen Literatur verglichen und diskutiert werden.
In unserer retrospektiven Studie wurden Patientinnen untersucht, die deutlich älter als 70
Lebensjahre sind. In der Literatur beziehen sich viele Studien auf ein jüngeres
Patientenkollektiv und die Altersdefinition variiert stark. Während einige Autoren bereits ab
55 Lebensjahren von einer älteren Patientin sprechen [100], werden diese in anderen Studien
erst ab 70 oder 80 als „älter“ definiert [73, 101]. Den Cut-Off bei 75 Lebensjahren zu setzen
macht dabei Sinn, da inzwischen viele Patientinnen noch älter werden.
Ältere Patienten werden oft von klinischen Studien ausgeschlossen oder sind in diesen
unterrepräsentiert, woraus eine limitierte, unzureichende Datenlage resultiert [70, 102].
Obwohl bekannt ist, dass gerade in dieser Altersgruppe das Brustkrebsrisiko und die Inzidenz
stark erhöht sind, werden diese Patienten oft nicht berücksichtigt [1, 10, 103]. Die Gründe
dafür sind zahlreich. Ein Hauptgrund für den zurückhaltenden Einsatz von Therapien und dem
Ausschluss von älteren Brustkrebspatientinnen in wissenschaftlichen Studien ist die
Annahme, dass von einer erhöhten Toxizität und Komplikationsrate ausgegangen wird [87].
Ein weiterer Grund ist die Multimorbidität. Bei älteren Patientinnen liegen häufig mehrere
behandlungsbedürftige Nebenerkrankungen vor, die zu einem geringeren Ansprechen und
unerwünschten Nebenwirkungen während der Therapie führen können [104]. Daneben
konnten für den restriktiven Einsatz auch der allgemeine Gesundheitsstatus, eine schwächere
Unterstützung durch das soziale Umfeld und eine geringere Lebenserwartung als weitere
Ursachen ausgemacht werden [100, 103-105]. Die Lebenserwartung gewinnt zunehmend an
Bedeutung: Eine heute 70-jährige Patientin hat eine Lebenserwartung von mehr als 15 Jahren
und kann daher von einer leitliniengerechten Behandlung profitieren [101]. Aus der obigen
Problematik lassen sich schwerlich eindeutige Empfehlungen für die Behandlung älterer
Brustkrebspatientinnen ableiten. Kernpunkt dieser Arbeit ist es darzustellen, welche
adjuvanten Therapiemodalitäten das Überleben beeinflussen.
59
Diskussion
In der Auswertung konnte gezeigt werden, dass die Anzahl an Behandlungen und die
Leitlinienadhärenz mit steigendem Alter abnehmen. Hancke et al. sehen diesen Zeitpunkt, an
dem ältere Patientinnen mit Brustkrebs zurückhaltender behandelt werden und die Leitlinien
weniger eingehalten werden, um das 70. Lebensjahr [70]. Grundsätzlich gilt: Alter ist keine
Kontraindikation für den Einsatz von Operation, CT oder RT [10, 106].
Dennoch bleibt das Alter ein signifikanter Einflussfaktor auf die Therapieentscheidungen. Die
multivariate Überlebensanalyse des OAS hat gezeigt, dass das Alter entscheidend für die
Prognose ist. Das Ergebnis ist nicht unerwartet, da eine 80-Jährige Patientin ein geringere
Lebenserwartung als eine 70-Jährige Patientin hat.
4.1 Operation
Eine Operation bringt einen Überlebensvorteil, unabhängig davon, ob brusterhaltend oder
radikal operiert wurde. Dies konnte anhand der Auswertung vor allem für das OAS und das
BCSS gezeigt werden. Da das Alter allein keine Kontraindikation für eine Operation ist und
auch von älteren Patientinnen gut toleriert wird, sollte sie bei Brustkrebspatientinnen höheren
Alters empfohlen werden [106]. Ältere Brustkrebspatientinnen stellen die ideale Gruppe für
eine Behandlung mit der minimal-invasiven, brusterhaltenden Tumorchirurgie dar; auch in
Hinsicht auf mögliche Komplikationen bei größeren Eingriffen [107]. Verglichen mit
jüngeren Patienten geht eine BEO bei einer gesunden älteren Patientin mit keinem erhöhten
Risiko für Komplikationen einher [108]. Dennoch werden ältere Patienten seltener operiert als
jüngere Frauen, häufig aufgrund von Nebenerkrankungen, die die Operabilität und
Compliance
einschränken
[109,
110].
Bouchardy
et
al.
zeigten,
dass
ältere
Brustkrebspatientinnen seltener eine BET erhielten als jüngere, obwohl für ≥80-Jährige eine
BET zu einer besseren 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit als eine alleinige Mastektomie
führte [73, 111].
Eucker et al. führen mehrere Studien auf, in denen die Ergebnisse nach BET mit denen nach
Mastektomie verglichen wurden. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass nach
durchgeführter BEO eine adjuvante Radiatio sehr empfehlenswert ist. Es wird demgegenüber
der Vorteil einer einmaligen Mastektomie aufgeführt [103]. Weitere Studien untersuchten den
Unterschied zwischen alleiniger BEO und BET. In einer Metaanalyse von Vinh-Hung konnte
bei Verzicht auf eine Bestrahlung nach BEO ein dreifach höheres Risiko für ein Lokalrezidiv
bei den Patienten gezeigt werden, die keine adjuvante Bestrahlung erhielten [112]. Allerdings
60
Diskussion
wurden in wenigen Studien Patienten über 70 Jahre berücksichtigt. Viele Mammakarzinompatientinnen wurden aufgrund eines höheren Alters aus den Studien ausgeschlossen.
In einer Arbeit von Lavelle et al. wurden nur 34% der über 85-Jährigen operativ versorgt,
während 86% der Patientinnen zwischen 65 und 69 Jahren operiert wurden. Die Gründe dafür
sind unterschiedlich. Ein direkter Zusammenhang zu Komorbiditäten konnte in der Studie
nicht nachgewiesen werden [75, 113]. In einer aktuellen Studie wurden 800 Patientinnen, die
älter als 75 Jahre waren, zwischen 2010 und 2013 untersucht. Bezüglich der Operation
kommen die Autoren zu dem Schluss, dass ältere Patienten zwischen 75 und 84 Jahren
aufgrund ihres reduzierten Gesundheitsstatus seltener operiert werden. Bei den über 85Jährigen sinken die Operationsraten unabhängig vom Gesundheitsstatus, also auch bei
gesunden Frauen [114].
In dieser Arbeit konnte für operierte Frauen ein deutlicher Überlebensvorteil gezeigt werden.
Im Gegensatz zu Hancke et al. konnte ein signifikanter Einfluss einer Operation auf das OAS
und das BCSS gezeigt werden [70]. Das DFS wird nicht beeinflusst.
Hinsichtlich der Operationsmethode kann die allgemeine Auffassung in der Fachliteratur
bestätigt werden. Die BEO plus nachfolgende Bestrahlung führt bei allen Überlebenszeiten zu
einem Vorteil gegenüber mastektomierten Patienten. Es sollte allerdings bedacht werden, dass
die Indikationen für BEO und Mastektomie unterschiedlich sind und korrekterweise nicht auf
einer Ebene miteinander verglichen werden dürfen. Letztendlich ändert dies aber nichts an der
Aussage, dass eine BEO mit adjuvanter Bestrahlung einer alleinigen Mastektomie mit oder
ohne Bestrahlung überlegen ist [73].
Bei der Behandlung befallener, axillärer Lymphknoten wird die minimal-invasive SentinelLymphonodektomie (SLNE) einer ausgedehnteren axillären Dissektion vorgezogen, da die
Lebensqualität nach letzterer besonders für ältere Patientinnen häufig durch Armbeschwerden
oder funktionelle Probleme reduziert ist [63]. Die Datenlage für Patienten über 70 Jahre ist
auch hier limitiert, um einheitliche Leitlinien festlegen zu können.
4.2 Strahlentherapie
Es konnte gezeigt werden, dass eine leitliniengerechte RT zu einer signifikant besseren
Überlebenswahrscheinlichkeit führt. Sowohl das DFS als auch das OAS sind bei bestrahlten
Patienten zugunsten einer längeren Überlebenszeit verändert. Das OAS kann durch eine
postoperative RT fast verdoppelt werden.
61
Diskussion
Die Ergebnisse dieser Arbeit sind allesamt vergleichbar mit Angaben in der Literatur. In
verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass eine adjuvante RT zu einer niedrigeren
Rezidivrate nach brusterhaltender Chirurgie führt [115]. Vinh-Hung et al. fanden heraus, dass
das Weglassen einer RT nach Operation zu einem Anstieg der Mortalität um 8,6% führte
[116]. Ring et al. sahen in der Oxford-Analyse ebenfalls einen Vorteil bei der adjuvanten
Bestrahlung. Allerdings ist die Reduktion des Lokalrezidivrisikos bei älteren Patienten
deutlich geringer als bei jüngeren Patientinnen (11% bei >70-Jährigen vs. 22% bei >50Jährigen). Weiterhin profitieren ältere Patienten von der gesamten Behandlung weniger als
jüngere Vergleichsgruppen [117].
In der Studie von Hughes wurden HR-positive und nodalnegative Brustkrebspatientinnen, bei
denen ein kleiner Tumor (pT1) diagnostiziert wurde, beobachtet. Es wurden zwei Gruppen
untersucht: eine, die nach BEO nur mit Tamoxifen behandelt wurde, und eine
Vergleichsgruppe, die nach BEO neben Tamoxifen zusätzlich bestrahlt wurde. Bei gleichem
Outcome für das BCSS und OAS war die lokoregionäre Rezidivrate für die erste Gruppe nach
10 Jahren leicht erhöht (90 vs. 98% rezidivfreie Patienten) [118].
In einer Kohortenstudie konnte nachgewiesen werden, dass eine RT nach Operation zu einer
signifikanten Reduktion des Rezidivrisikos von 15,4 % führt [103, 116].
In einer von der EBCTCG veröffentlichen Metaanalyse wurden 10.801 Frauen mit negativem
und positivem Nodalstatus auf die 10-Jahres Lokalrezidivrate und die 15-Jahres
krankheitsspezifische Mortalitätsrate bei BEO mit und ohne Bestrahlung untersucht. Dabei
konnte altersabhängig neben einer Reduktion des Lokalrezidivrisikos von 8,9% (BEO+RT vs.
BEO: 8,8% vs. 17,7%) auch eine Risikoreduktion für die mammakarzinomspezifische
Mortalität ermittelt werden. Verglichen dazu lag die Reduktion in der Gruppe der 60- bis 69Jährigen bei 14,2% vs. 28.3% [77].
In den Arbeiten von Hughes und Fyles wurden brusterhaltend operierte Krebspatientinnen mit
Tamoxifen ± RT hinsichtlich der 5-Jahres-Lokalrezidivrate untersucht. Beide kommen zu
dem Schluss, dass eine HT mit zusätzlicher RT zu einer signifikanten Reduktion des lokalen
und axillären Rezidivrisikos bei nodalnegativen Brustkrebspatientinnen mit kleinen und
hormonsensitiven Tumoren führt [80, 118].
In einer anderen Studie konnte nachgewiesen werden, dass der Verzicht auf eine
postoperative Bestrahlung zu einem signifikant schlechteren Ergebnis bezüglich des DFS und
BCSS, sowie des OAS führt. Bei älteren Patienten über 75 Jahren wird vor allem das OAS
und das BCSS beeinflusst [119].
Eine RT mit lokaler Dosisaufsättigung, der sogenannten Boost-Bestrahlung, kann bei
Patientinnen mit einem Alter über 70 Jahre unter Abwägung der Komplikationen erwogen
62
Diskussion
werden, wobei die relative Risikoreduktion für ein Lokalrezidiv bei älteren Patienten
identisch mit jüngeren Vergleichsgruppen ist, während die absolute Risikoreduktion
schlechter ausfällt [81, 103].
Laut den neuesten Erkenntnissen der EBCTCG von 2014 führt eine Bestrahlung nach
Mastektomie und axillärer Lymphonodektomie bei nodalpositiven Patientinnen zu einer
Reduktion des Lokalrezidivrisikos und zu einer Verbesserung des BCSS. Eine Radiatio nach
Mastektomie sollte daher bei Frauen mit einem hohen Rezidivrisiko (pT3/4 oder pN+)
empfohlen werden [120]. Obwohl laut Smith et al. nur etwa 50% der Patientinnen mit „highrisk“-Tumoren und einem Alter über 66 Jahren eine Bestrahlung nach Mastektomie erhalten,
konnte im Gegensatz zur Gruppe mit niedrigem und intermediärem Rezidivrisiko ein
Überlebensvorteil beim DFS und OAS gezeigt werden. Daher sollte sie auch für diese
Patientengruppe empfohlen werden [71, 78, 82].
Die in dieser Arbeit ausgewerteten Daten zeigen, dass das Überleben signifikant durch eine
RT beeinflusst wird. Die Applikationsrate nimmt aber mit steigendem Alter ab. Häufig
werden ältere Patientinnen mit weniger aggressiven Therapien behandelt, wenn diese durch
Krankheit
oder
Nebenerkrankungen
vorbelastet
sind
[71,
121].
Die
Ergebnisse
korrespondieren mit denen von Hancke et al., die zeigen, dass Patienten mit steigendem Alter
weniger Standardtherapien erhalten, und somit eine suboptimale Bestrahlungstherapie zu
signifikant geringeren Überlebenszeiten führt [70].
Bei älteren Patientinnen mit einer Lebenserwartung von weniger als fünf Jahren sollte eine
individuelle Enscheidung abhängig vom Patientenstatus und –wunsch, sowie zugunsten der
lokalen Tumorkontrolle getroffen werden [4]. Die ambulante RT ist nur bei Patienten
möglich, die ausreichend mobil sind und für die eine Behandlung zu keiner Mehrbelastung
führt [103].
Ring et al. prognostizieren, dass hypofraktionierte Bestrahlungsformen, Teilbrustbestrahlung,
intraoperative Radiatio und Brachytherapie in naher Zukunft besonders für ältere Patienten zu
einer effektiveren und einfacheren Behandlung führen können [117]. Wildiers et al.
postulieren, dass bei der adjuvanten RT besonders Ko-Faktoren wie der Gesundheitsstatus
und die Durchführbarkeit der Behandlung, sowie Nebenwirkungen von großer Bedeutung sein
werden. Diese sollten bei der Planung der adjuvanten Behandlung einbezogen werden [4].
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Alter keine grundsätzliche Kontraindikation für
eine RT ist. Ein großer Benefit konnte besonders für brusterhaltend operierte Patientinnen mit
kleinen Tumoren [77, 78] und für Frauen mit hohem Rezidivrisiko nach Mastektomie
nachgewiesen werden [4, 82]. Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Arbeit sollte einer älteren
Brustkrebspatientin eine adjuvante Strahlentherapie empfohlen werden.
63
Diskussion
4.3 Endokrine Therapie
Die HT stellt eine weitere, sehr relevante Modalität bei der Behandlung des
Mammakarzinoms dar. Während für die RT lediglich Empfehlungen bei der Behandlung
älterer Brustkrebspatientinnen bestehen, gibt es für die HT präzise Vorgaben. Eine absolute
Indikation ist gegeben, wenn die Patientin einen hormonsensiblen Tumor aufweist oder der
HR-Status unbekannt ist. In Fällen, in denen der Tumor nicht hormonsensibel ist, sollte keine
Therapie initiiert werden [4, 70]. Ein sehr interessanter und positiver Aspekt beim Einsatz
einer HT ist die Tatsache, dass Tumoren bei älteren Patientinnen häufig HR-positiv sind.
Verglichen mit einer Gruppe von 55- bis 64-Jährigen (83%), wiesen in der Gruppe der über
85-Jährigen 91% einen hormonsensiblen Status auf [83]. Eine HT sollte auf jeden Fall
erwogen werden, falls keine Kontraindikationen bestehen [63]. Es ist daher wenig
überraschend, dass sowohl die Applikationsrate von Hormonpräparaten als auch die
Leitlinienadhärenz bei der Behandlung mit einer HT hoch ist [70, 122].
Pharmakologisch
wird
der
Einsatz
von
Tamoxifen,
einem
selektiven
Östrogen-
rezeptorantagonisten (SERM), von den AI unterschieden. Gonadotropin-Releasing-HormonAnaloga finden bei jüngeren, prämenopausalen Frauen Verwendung.
Die Therapieschemata unterscheiden sich in der Dauer und Reihenfolge der Medikamente. Es
gibt folgende Modelle für Behandlungsintervalle innerhalb unserer Auswertung:

5 Jahre alleinige Tamoxifentherapie oder alleinige AI-Therapie

2 bis 3 Jahre Tamoxifen mit anschließendem Wechsel auf einen AI

Initialtherapie mit einem AI mit anschließendem Switch auf Tamoxifen.
Die Medikamente unterscheiden sich vor allem im Nebenwirkungsprofil, sowie am
metabolischen Angriffspunkt. Die Datenlage zu beiden Medikamenten ist unterschiedlich. Für
Tamoxifen liegen Untersuchungsdaten von mehr als 20 Jahren vor [10], während für die AI
die Untersuchung der Langzeit-Effekte und des Einsatzes bei älteren Patientengruppen noch
fehlen [63].
Gajdos et al. zeigten in ihrer Studie mit 1126 Patienten, dass 57% der älteren Frauen (n=206)
mit Tamoxifen behandelt wurden, während von den jüngeren Frauen nur 36% (n=920) diese
Therapie erhielten. Weiterhin stellten sie fest, dass eine Tamoxifentherapie zu einer
signifikanten Reduktion des lokalen und regionalen Rezidiv- und Metastasenrisikos führt
[122]. Die EBCTCG konnte einen altersunabghängigen Reduktionseffekt von Tamoxifen auf
die Mortalität im Beobachtungszeitraum über fünf Jahre von 31% gegenüber einer
Kontrollgruppe nachweisen, die nicht mit Hormonderivaten behandelt wurde [92]. In einer
aktuellen Studie von Davies et al. wurde untersucht, ob eine verlängerte Tamoxifentherapie
64
Diskussion
über zehn Jahre anstatt der üblichen fünf Jahre eine Reduktion der Mortalität und des
Rezidivrisikos bewirkt. Sie kommen zu dem Schluss, dass eine längere Behandlung über zehn
Jahre zu einer Halbierung der Mortalitätsrate nach Diagnose führt [123]. Tamoxifen geht mit
einem Überlebensvorteil auch für ältere Patienten einher, selbst wenn diese die Therapie nur
ein Jahr lang durchführen [10, 101].
AI stellen eine weitere Variante der adjuvanten HT dar. In der ATAC-Studie wurden
Patienten mit Anastrozol oder Tamoxifen allein oder in Kombination behandelt und im
Follow-up hinsichtlich des DFS, BCSS, des OAS und unter anderem auf das Risiko für einen
kontralateralen Tumor untersucht [85]. Dabei zeigte sich, dass Anastrozol einen signifikanten
Vorteil beim DFS gegenüber Tamoxifen bei hormonsensiblen Tumoren aufweist [124-126].
Ein weiterer Vorteil gegenüber einer alleinigen Tamoxifentherapie konnte beim Switch einer
initialen Tamoxifentherapie auf einen AI nach zwei bis drei Jahren gesehen werden. Hierbei
zeigte sich ein deutlicher Überlebensvorteil beim DFS [127, 128].
Während in der älteren Literatur überwiegend über einen signifikanten Vorteil beim DFS mit
AI berichtet wird, zeigen neueste Untersuchungen, dass auch das OAS durch einen Wechsel
von Tamoxifen auf Anastrozol positiv beeinflusst wird [86, 129]. Es konnte bisher weder für
Tamoxifen noch für einen AI ein signifikanter Einfluss auf das OAS nachgewiesen werden
[63].
In weiteren Studien wurden AI und ihr Effekt auf das Überleben im Vergleich zu Tamoxifen
untersucht. In der MA.17-Studie wurden 5187 Patientinnen untersucht, die nach fünf Jahren
Tamoxifentherapie Letrozol erhielten. Die Kontrollgruppe bekam ein Placebo-präparat. Die
Autoren empfehlen älteren Patienten mit Brustkrebs nach fünfjähriger Tamoxifentherapie
Letrozol zu verordnen, da hierdurch das DFS und das OAS besonders bei nodalpositiven
Patientinnen signifikant verbessert wird. Hinsichtlich der Toxizität und der Veränderung der
Lebensqualität konnte kein Unterschied zur Kontrollgruppe über 70 Jahre gefunden werden
[130].
Die Nebenwirkungen, Komorbiditäten und der allgemeine Gesundheitsstatus sind wichtige
Faktoren, die bei der korrekten Auswahl der Medikamente von Bedeutung sind. Die
Nebenwirkungsprofile für AI und Tamoxifen unterscheiden sich deutlich. Tamoxifen kann
Endometriumkarzinome verursachen und erhöht das Risiko für thromboembolische oder
zerebrovaskuläre Komplikationen. Insgesamt wird Tamoxifen als adjuvante HT gut vertragen
[10, 101]. Auch wenn das Risiko, an den Komplikationen zu versterben, erhöht ist, steht dies
in keiner Relation zur Reduktion der Mortalität durch einen kontralateralen Brustkrebs oder
durch kardiovaskuläre Ursachen [131]. Gegebenenfalls könnte eine geringere Dosis zur
65
Diskussion
selben Wirkung und geringeren Nebenwirkungen bei älteren Patientinnen führen, weil deren
Metabolismus verlangsamt ist [131, 132].
Aromatasehemmer weisen ein anderes Nebenwirkungsprofil auf. Thromboembolische
Komplikationen sind seltener [10, 63, 133]. Vielmehr stehen muskuloskelettale Probleme
neben einem deutlichen Knochenmasseverlust und damit einer medikamentös-induzierten
Osteoporose im Vordergrund [133]. Besonders für ältere Patientinnen sollten diese
Komplikationen in die Entscheidung über eine adjuvante Therapie einbezogen werden, da
Frakturen im hohen Alter, die durch eine Osteoporose begünstigt werden, nicht nur mit einem
Mobilitäts-, sondern häufig auch mit einem Unabhängigkeitsverlust einhergehen [63, 133,
134].
Die Entscheidung für den Einsatz einer HT sollte von den Nebenwirkungen, den individuellen
Wünschen der Patientin und dem allgemeinen Gesundheitsstatus abhängig gemacht werden.
Sowohl Tamoxifen als auch AI haben einen signifikant positiven Einfluss auf das DFS. Die
individuelle Risikoevaluation sollte vorab präzise erfasst werden, da eine Verschlimmerung
der Beschwerden ein häufiger Grund für einen Therapieabbruch ist [127].
Zu Anfang sollte die adjuvante HT mit einem AI oder Tamoxifen allein begonnen werden.
Eine Empfehlung für den Switch des Medikamentes kann im Verlauf der Behandlung
abgegeben werden. Mehrere Autoren empfehlen nach initial zwei- bis dreijähriger
Tamoxifentherapie den Wechsel auf AI, um einerseits das OAS und das DFS zu verlängern,
andererseits das Nebenwirkungsspektrum zu verringern [10, 62, 134, 135]. Kritisch ist hier
anzumerken, dass ältere Patientinnen (>70 Jahre) in diesen Studien unterrepräsentiert sind
[63]. Eine verlängerte adjuvante HT wie bei Muss et al. wäre ebenfalls denkbar, da keine
erhöhte Toxizität bei gleichbleibender Lebensqualität nachgewiesen werden konnte. Nach
fünf Jahren Tamoxifen wurde hier auf einen AI umgestellt [130]. Eine Entscheidung
zugunsten von AI sollte immer berücksichtigen, dass diese gegenüber Tamoxifen zwar eine
bessere Effekitivtät für das DFS haben, die Langzeit-Effekte aber noch nicht hinreichend
geklärt sind und Nebenwirkungen besonders für ältere Frauen einen Verlust der
Lebensqualität bedeuten [4, 63].
Mehr als 75% der Patienten erhielten in dieser Arbeit eine HT. Zu fast 85% wurde bei den
Patienten eine endokrine Therapie leitlinienkonform angewendet. Es konnte kein signifikanter
Einfluss einer leitlinienadhärenten HT auf das DFS und BCSS gezeigt werden. Für das OAS
konnte ein signifikanter Effekt nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis entspricht den neueren
Quellen, die ebenfalls einen Vorteil einer HT für das OAS, zum Teil auch für das BCSS sehen
[123, 129]. Aufgrund der überschaubaren Nebenwirkungen und dem möglichen
66
Diskussion
Überlebensbenefit empfehlen wir daher älteren Brustkrebspatientinnen eine HT mit
Tamoxifen oder einem AI zu verabreichen.
4.4 Chemotherapie
Neben der endokrinen Therapie stellt die CT die zweite Säule der systemischen Behandlung
dar. Die CT sollte als eigenständige Modalität in Hinblick auf das Überleben untersucht
werden. Eine adjuvante CT kann zu einem Überlebensvorteil führen. In einer Metaanalyse
konnte die EBCTCG 2005 diesen Vorteil altersunabhängig nachweisen. Allerdings verringert
sich dieser Vorteil mit steigendem Alter. Der Benefit der Patientinnen über 70 Jahre
entspricht in etwa dem der Frauen in der Altersgruppe zwischen 50 und 70 Jahre. Es besteht
kein signifikanter Unterschied, da nur 4,3% aller Frauen in den Studien älter als 70 Jahre sind,
und somit die Fallzahl zu gering ist [70, 117, 123].
Auch wenn ein Überlebensvorteil durch den Einsatz einer CT besteht und die Verträglichkeit
gut ist, nimmt die Anzahl behandelter Patientinnen mit zunehmendem Alter ab [136, 137]. In
dieser Arbeit wurden von 208 Patientinnen über 80 Jahre nur vier mit einer CT behandelt.
Insgesamt waren es nur 39 Fälle (8,6%) im Kollektiv. Auch andere Autoren beschreiben diese
Problematik in ihren Arbeiten [70, 73, 122].
In der Literatur finden sich zwei wichtige Aspekte bezüglich der CT und deren Einsatz bei
älteren Brustkrebspatientinnen. Mustacchi et al. zeigten, dass die HT bei älteren Patienten die
erste Wahl der systemischen Behandlung darstellt, da ältere Frauen überwiegend HR-sensible
Tumoren mit einem niedrigen Rezidivrisiko aufweisen [2]. Dem gegenüber verbleibt die
Gruppe der HR-negativen Patientinnen, die von einer CT beim OAS vermehrt profitieren
können als bei HR-sensiblen Tumoren [87, 105]. Die CT stellt dennoch eine zweitrangige
Therapieoption dar, deren limitierender Faktor meistens das Alter oder der allgemeine
Gesundheitsstatus der Patientin ist [2]. Da das Alter eine entscheidende Rolle bei der
Entscheidung für eine CT spielt und oft als Kontraindikation gesehen wird, ist die Anzahl
älterer Patienten in den Studien häufig unterrepräsentiert [51, 70, 90, 117].
Während Hancke et al., ebenso wie die EBCTCG, keinen signifikanten Benefit für ältere
Patienten beim DFS und OAS sahen [70, 92], konnte von Giordano et al. eine signifikante
Reduktion der Mortalität und ein Vorteil bei über 70-Jährigen für das OAS durch eine CT
nachgewiesen werden. Dieser Vorteil konnte allerdings nur bei nodalpositiven Patientinnen
gezeigt werden [4, 70, 87]. Diese Ergebnisse wurden in der Studie von Berry et al. bestätigt.
Sie zeigten, dass HR-negative Patienten von einer adjuvanten CT profitieren. In drei
67
Diskussion
verschiedenen
Gruppen
mit
unterschiedlichen
Therapieregimen
konnte
zu
einer
Vergleichsgruppe HR-positiver Patientinnen ein absoluter Vorteil von 16,7% zu 4,0% beim
OAS nachgewiesen werden [89]. Ähnlich wie Berry et al. untersuchte die Gruppe von Elkin
et al. den Einfluss einer adjuvanten CT auf das OAS bei älteren, HR-negativen Patientinnen.
Beide kommen zu dem Schluss, dass nodalpositive und HR-negative Patienten am meisten
von einer CT profitieren [105].
Während bei HR-negativen Tumoren ein signifikanter Vorteil der CT nachgewiesen wurde,
ist dieser bei HR-sensiblen Tumoren geringer und weniger offensichtlich [4]. In der Studie
von Albain et al. wurde der Einfluss einer anthracyclinhaltigen CT mit Tamoxifen (CAFT/CAFT) gegenüber einer alleinigen Tamoxifentherapie auf das DFS bei HR-sensiblen und
nodalpositiven Frauen untersucht. Die Gruppe, die neben Tamoxifen auch eine CT erhielt,
profitierte gegenüber einer alleinigen HT [88]. In einer ähnlichen Studie konnte dieser Vorteil
bei Behandlung mit einer Cyclophosphamid, Methotrexat und 5-Fluorouracil-Chemotherapie
(CMF) mit Tamoxifen nicht nachgewiesen werden. Ältere Patientinnen über 65 Jahre zeigten
eine geringere Compliance, und die Effektivität der Therapie hinsichtlich des DFS war
reduziert [138].
In der CALGB/CTSU 49907 von 2006 wurde der Einfluss von Capecitabin (X, n=307, 6
Zyklen) mit dem einer Standardchemotherapie (S, n=326) bei 633 Frauen mit
Mammakarzinom verglichen. Die Standardtherapie bestand aus vier Zyklen Doxorubicin/
Cyclophosphamid (AC) oder sechs Zyklen CMF. Die Standardtherapie war der
Capecitabintherapie beim 3-Jahres-DFS (X=68% vs. S=85%) und beim OAS (X=85% vs.
S=91%) bei Patientinnen über 65 Jahre überlegen. Das Risiko für ein Rezidiv war bei der
Capecitabingruppe auf das 2,4-fache, die Mortalitätsrate auf das 2,1-fache erhöht [90, 107].
Obwohl die Behandlung bessere Ergebnisse unter der Standardchemotherapie zeigte, wurde
eine größere und bessere Lebensqualität bei der Capecitabingruppe angegeben [107, 139].
Jones et al. verglichen den Effekt von AC als Standardchemotherapie mit Docetaxel und
Cyclophosphamid (TC) und kamen zu dem Schluss, dass das TC-Schema zu einem besseren
Outcome beim DFS führt, wobei das Nebenwirkungsprofil und die Toxizität zur AC-Therapie
unterschiedlich sind. Bei älteren Patientinnen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen könnte
das TC-Schema Vorteile hinsichtlich der Verträglichkeit bringen [51, 140].
Die Auswahl der Chemotherapeutika sollte nach Verträglichkeit und Toleranz ausgewählt
werden. Ergebnisse wie die der CALGB-Studie zeigen, dass bei gesunden älteren
Brustkrebspatientinnen eine Polychemotherapie durchaus anzuraten ist, da sie gegenüber
einer Monochemotherapie profitieren können [90, 117, 140]. Eine weitere Studie zeigt, dass
die Toxizität weniger vom Alter sondern von den Nebenerkrankungen abhängt [141].
68
Diskussion
In der ICE- und ICE-II-Studie wurde der Einfluss von Capecitabin analysiert. Beide Studien
haben den Einsatz von Capecitabin bei älteren Mammakarzinompatientinnen gemeinsam. In
der ICE-Studie werden zwei Gruppen untersucht: eine, die mit dem Bisphophonat Ibandronat
allein und eine andere, die zusätzlich mit Capecitabin behandelt wurden. Es soll das DFS
beider Gruppen nach adjuvanter Therapie untersucht werden. Die Ergebnisse stehen aus und
werden auf dem SABCS 2014 vorgetragen [142]. In der multizentrischen ICE-II-Studie wird
die adjuvante CT mit Epirubicin und Cyclophosphamid (EC) oder CMF mit einer Behandlung
mit Nab-Paclitaxel und Capecitabin (PX) bei älteren, gesunden Brustkrebspatientinnen ≥65
Jahre und hohem Rezidivrisiko untersucht. Die abschließenden Ergebnisse zur Effektivität
liegen noch nicht vor. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass die EC-Therapie trotz
hämatologischer Nebenwirkungen insgesamt verträglicher ist als die PX-Therapie, die
aufgrund der Nebenwirkungen zu einer geringeren Therapietreue bei den Patienten führte
(91,6% vs. 71,4%) [143].
Muss et al. stellen fest, dass nur eine intensivere CT zu einer besseren Effektivität und
letztendlich zum Überlebensvorteil führen kann. Das ist aufgrund der gesteigerten Toxizität
und eingeschränkten Kompensationsfähigkeit älterer Frauen aber nur schwer durchführbar
[63, 144].
Es sind weitere Studien nötig, um die Wechselwirkungen von Risikofaktoren und einer
adjuvanten CT zu untersuchen [70, 104]. Dazu ist es auch nötig, ältere Patienten über 70 Jahre
in die Studien miteinzubeziehen, um eine ausreichende Datengrundlage zu erhalten [4]. Das
Alter sollte keine Kontraindikation per se für den Verzicht auf eine CT sein. Eine exakte
Anamnese mit Komorbiditäten, das Toxizitätsprofil und ein geriatrisches Assessment, sowie
engmaschige Kontrollen während der CT sind obligat, um Komplikationen zu vermeiden [4].
4.5 Systemische Therapie
Bei fortgeschrittener Tumorerkrankung ist eine Kombination aus CT und HT der Standard
[83]. Wir haben diese beiden Behandlungsmodalitäten als „systemische Therapie“
zusammengefasst.
Wir konnten einen signifikanten Einfluss auf das OAS zeigen. Die mediane Überlebenszeit
bei optimaler systemischer Therapie war gegenüber einer suboptimalen Therapie mehr als
verdoppelt. Ein signifikanter Effekt auf das DFS und BCSS konnte nicht nachgewiesen
werden.
69
Diskussion
Obwohl gezeigt werden konnte, dass die einzelnen Therapien bei konformer Anwendung
bereits zu einem Überlebensvorteil führen, wird der kombinierte Einsatz empfohlen.
Eine Studie untersuchte Frauen mit einem Alter ≥65 Jahre und positivem Lymphknotenstatus,
die entweder drei Jahre lang mit Tamoxifen oder mit einer Kombination aus Tamoxifen plus
einer wöchentlichen Gabe Epirubicin behandelt wurden. Nach einer mittleren Follow-up-Zeit
von sechs Jahren konnte gezeigt werden, dass das DFS in der Gruppe mit kombinierter
Therapie signifikant verlängert war. Der Vorteil war allerdings gering (3,3%) und das OAS
unverändert, verglichen zur Gruppe, die nur eine Monotherapie erhielt [103, 145].
Für den Erfolg einer CT mit oder ohne HT scheint der HR-Status und das Tumorstadium eine
wichtige Rolle zu spielen. Giordano et al. zeigten in ihrer Studie, dass das DFS signifikant
durch eine CT verbessert wurde, wenn sich die Patienten in einem fortgeschrittenen Stadium
(pN+) befanden und einen negativen HR-Status aufwiesen [87]. Diese Ergebnisse und die
Tatsache, dass der HR-Status ein prognostisch entscheidender Faktor ist, werden durch die
EBCTCG-Studie
von
2005
bestätigt.
Es
zeigte
sich
bei
älteren
HR-sensitiven
Brustkrebspatientinnen, dass das DFS durch eine zusätzliche CT signifikant verbessert wurde
[92]. Auch in anderen Studien kamen die Autoren zu diesem Schluss. Es konnte gezeigt
werden, dass ein Vorteil einer kombinierten Systemtherapie vor allem bei Brustkrebspatienten
im fortgeschrittenem Tumorstadium, d.h. größerem Tumor oder auch Lymphknotenbefall und
HR-negativem Status, zu erwarten ist [4, 103].
Wildiers et al. empfehlen eine CT zusätzlich zu einer HT in den Fällen, bei denen die HRSensitivität vollständig geklärt ist. Die Wahrscheinlichkeit durch die CT ein besseres Ergebnis
bei HR- negativen Patienten zu erzielen, ist höher als bei HR-positiven Tumoren [4].
Der positive Einfluss einer Systemtherapie bei fortgeschrittenem Brustkrebs ist vergleichbar
mit einer metastasierten Situation. Hier zeigten sich im Vergleich zu jüngeren Frauen keine
Unterschiede beim Ansprechen auf die Therapie, bei der Progression oder Toxizität [146].
Überhaupt scheint die Toxizität ein Schlüsselfaktor bei der Entscheidung für oder gegen eine
Systemtherapie zu sein, da bei älteren Patienten aufgrund des reduzierten Allgemeinstatus und
der Nebenerkrankungen von einer erhöhten Komplikationsrate durch die systemische
Therapie ausgegangen werden sollte [117, 141].
In einer Untersuchung von Crivellari et al. wurden nodalpositive Patienten mit CMF oder mit
CMF plus Tamoxifen behandelt. Dabei zeigte sich eine erhöhte Toxizität bei gleichzeitig
verminderter Toleranz und Effektivität hinsichtlich des DFS und OAS für ältere Patienten
(>65 Jahre). Es wurden mehr drittgradige Toxizitätskomplikationen wie hämatologische
Nebenwirkungen in der älteren Gruppe festgestellt (17% vs. 7%) [138]. Dies wird durch die
Studie von de Maio et al. unterstützt, die die CMF-Standardchemotherapie zwischen einer
70
Diskussion
jüngeren (<65 Jahre) und einer älteren (>65 Jahre) Kohorte untersuchten. Die Toxizität war in
der Gruppe der über 65-Jährigen deutlich erhöht. Allerdings wurden alte Patienten (≥75 Jahre)
von der Studie ausgeschlossen, genauso wie Patienten mit schweren Nebenerkrankungen [93].
Häufig ist eine erhöhte Toxizität ein Grund für das Abbrechen der CT, was in einer Arbeit
dargestellt wurde, die die Compliance und Toxizität einer CMF-Therapie untersuchte [147].
Eucker et al. fassen zusammen, dass bei der Entscheidung für eine adjuvante Systemtherapie
prognostische Faktoren einbezogen werden müssen [103]. Hier würde sich auch ein
geriatrisches Assessment empfehlen, um Risiken durch die Behandlung abschätzen zu
können.
Wir konnten in unserer Studie einen signifikant positiven Vorteil beim OAS für Frauen sehen,
die eine leitliniengerechte systemische Therapie erhielten. Wegen der Gefahr von
Nebenwirkungen ist eine CT bei der Behandlung älterer Brustkrebspatienten kritisch zu
überdenken, während die Indikation für eine HT großzügig gestellt werden sollte. Ein
geriatrisches Assessment wurde für diese Kohorte nicht durchgeführt.
4.6 Antikörpertherapie
Der Einsatz von Antikörpern empfiehlt sich bei nachgewiesener HER2-Positivität. Dann
sollte Trastuzumab in Kombination mit einer CT appliziert werden. Auf die kardiotoxische
Wirkung von Trastuzumab ist besonders bei älteren Patienten zu achten [4]. Das Alter ist
nicht der wichtigste prognostische Faktor; sehr wohl sind es aber Komorbiditäten. Bei
gesunden Patienten fand sich kein Unterschied zu jüngeren Frauen durch eine
Trastuzumabtherapie ein Herzversagen zu erleiden [148]. Bei der Behandlung mit
Bevacizumab plus CT sollte das Risiko für thromboembolische Ereignisse, Bluthochdruck
oder Proteinurie berücksichtigt werden, da diese bei Patienten über 65 Jahre häufiger
auftreten. Derzeit besteht jedoch keine Indikation für den Einsatz von Bevacizumab in der
adjuvanten Brustkrebstherapie [149].
In dieser Arbeit wiesen nur 75 Patientinnen einen positiven HER2-Status auf. Die Mehrheit
wies einen negativen oder unbekannten Rezeptorstatus auf. Es ist zu beachten, dass erst ab
2005/2006 der HER2-Status standardmäßig erhoben wurde und eine adjuvante Trastuzumabtherapie eingeführt wurde.
71
Diskussion
4.7 Aktuelle Entwicklungen und Empfehlungen
Auf der St. Gallener Konferenz von 2013 wurden neue Erkenntnisse und Therapieansätze
vorgestellt und diskutiert. Einige davon sind auch für die Behandlung älterer
Brustkrebspatienten von Bedeutung [150].
In einer Studie von 2010 wurde der Langzeit-Einfluss einer hypofraktionierten Bestrahlung
(42,5 Gy über 16 Zyklen in 22 Tagen) gegenüber einer Standardbestrahlung (50 Gy in 25
Zyklen über 35 Tage) untersucht. Es konnte hinsichtlich der 10-Jahres Lokalrezidivrate kein
Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt werden (6,2% vs. 6.7%), sodass eine
hypofraktionierte Behandlung auch bei der Behandlung älterer Frauen in Betracht kommen
kann [151]. Dieses Ergebnis wird auch durch die Untersuchungen von Haviland et al.
unterstützt, die zudem bei hypofraktionierten Bestrahlungsformen weniger Komplikationen
sahen [152].
Für die HT konnte gezeigt werden, dass eine zehnjähirge Tamoxifentherapie einer
fünfjährigen Behandlung überlegen ist. Davies et al. berichten von einer Reduktion des DFS
und BCSS, besonders in der zweiten Lebensdekade des Beobachtungszeitraumes bei HRpositiven Frauen. Dieses Therapieregime könnte bei entsprechender Lebenserwartung und
unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen von Tamoxifen auch bei älteren Patienten
angewandt werden [123].
Die von der EBCTCG vorgestellte Metaanalyse konnte keine Patientengruppe definieren, die
keinen Vorteil von einer CT hat. Sie sehen die besten Ergebnisse für eine taxan- und
anthracyclinhaltige Therapie. Ein Benefit ist auch bei 55- bis 69-Jährigen zu erwarten, wenn
sie eine CT nach fünfjähriger HT erhalten [91]. Es sollte daher eine CT unter den
Gesichtspunkten, die in der Diskussion aufgeführt wurden, eingesetzt werden.
Eine Trastuzumabtherapie sollte standardmäßig ein Jahr lang dauern. Zwei Studien dazu
zeigen, dass sich aus einer zweijährigen Behandlung kein Vorteil ergibt. Auf der anderen
Seite konnte kein Vorteil oder eine Gleichwertigkeit bei einer halbjährlichen Behandlung
gesehen werden [153, 154].
72
Diskussion
4.8 Fehlerbetrachtung
Es ergeben sich nicht für alle Berechnungen die erwarteten Werte. So ist die Anzahl der an
Brustkrebs verstorbenen Patienten sehr gering (n=41). Für eine Verifizierung der Ergebnisse
sollte ein größeres Kollektiv untersucht und eine genauere Todesursachenstatistik geführt
werden.
Ein weiteres Defizit dieser Arbeit besteht in der ungenauen Angabe des HER2-Status. Da die
routinemäßige Untersuchung und die damit verbundene Antikörpertherapie von der
Trastuzumab-Zulassung abhing, gibt es viele Fälle mit unklarem Status (n=184). Dadurch
wären auch mehr Fälle hinsichtlich der leitliniengerechten Behandlung einteilbar gewesen, da
der HER2-Status als wichtiger Faktor integriert ist. Ebenso spielt er eine entscheidende Rolle
für die Einteilung der St. Gallen Klassifikation. Hierdurch lassen sich fehlende Werte
erklären.
Die TNM-Klassifikation für den Nodalstatus hat sich 2005 geändert. Da der
Beobachtungszeitraum zwischen 2000 bis 2009 liegt, war ein Teil der Daten noch in der alten
TNM-Einteilung kategorisiert.
Die oben genannten Fehler können trotz großer Sorgfalt nicht ausgeschlossen werden.
Abschließend muss berücksichtigt werden, dass es sich um eine unizentrische Auswertung
handelt. Eine multizentrische Analyse könnte abweichende Ergebnisse zeigen.
73
Zusammenfassung
5. Zusammenfassung
Nach Auswertung der Literatur und unserer Ergebnisse kann man sagen, dass älteren
Patientinnen die gleichen therapeutischen Optionen zur Behandlung offenstehen sollten wie
jüngeren Frauen. Es hat sich gezeigt, dass einzelne Modalitäten das spezifische Überleben
verbessern können. Der Einsatz sollte unter Berücksichtigung von Risikofaktoren und
Nebenwirkungen, individuellen Wünschen und dem allgemeinen Gesundheitsstatus
abgewogen werden. Es sollte dabei möglichst eine schonende Therapie gewählt werden, da
ältere Patientinnen anfälliger für Nebenwirkungen sind. Dennoch präsentieren sich ältere
Frauen oft in einem guten Gesundheitszustand. Ihnen sollte nicht grundsätzlich aufgrund des
Alters eine leitliniengerechte Therapie vorenthalten werden. Ebenso ist festzustellen, dass die
Datenlage für ältere Patienten ≥75 in manchen Bereichen sehr limitiert ist. Das Fehlen von
älteren Patientinnen in Studien erschwert es, allgemeingültige Leitlinien zu finden. Für
manche adjuvanten Therapien, besonders für die systemische Therapie, sind noch weitere
Untersuchungen notwendig. Die Datenlage für die HT und für operative Behandlung ist
hingegen gut.
In dieser Arbeit mit 452 Patienten, die allesamt älter als 74 Jahre sind, führte eine hohe
Leitlinientreue bei der adjuvanten Therapie zu einer Verbesserung des OAS. Das DFS wird
durch eine leitlinienadhärente Bestrahlung signifikant positiv beeinflusst. Für das BCSS
besteht ein Trend bei einer optimalen Systemtherapie.
Ältere Patienten profitieren von einer stadiengerechten, adjuvanten Behandlung. Es ist
empfehlenswert, älteren Brustkrebspatientinnen eine RT und eine HT anzubieten, da diese das
Überleben verbessern können. Eine CT sollte unter Abwägung von Risiko und Nutzen in
Betracht gezogen werden. Die Nebenwirkungen wiegen allerdings deutlich schwerer als bei
jüngeren Brustkrebspatientinnen.
74
Thesen
6. Thesen

Ältere Brustkrebspatientinnen werden häufig aus klinischen Studien ausgeschlossen und
sind daher unterrepräsentiert.

Mit steigendem Alter werden weniger adjuvante Therapien appliziert.

Operation und Hormontherapie werden bei über 74-Jährigen breit eingesetzt, während
eine Indikation für Strahlen- und Systemtherapie zurückhaltender gestellt wird.

Neben dem Alter sind Komorbiditäten Hauptursachen für eine suboptimale Behandlung
älterer Brustkrebspatienten.

Das rezidivfreie Überleben wird signifikant durch eine leitliniengerechte Strahlentherapie
beeinflusst.

Das Gesamtüberleben wird signifikant durch eine optimale Behandlung aller
Therapiemodalitäten verbessert.

Die Leitlinenadhärenz nimmt mit steigendem Alter ab und hat einen signifikanten Einfluss
auf
das
Gesamtüberleben.
Sie
hat
nur
einen
marginalen
Einfluss
auf
das
krankheitsspezifische Überleben.

Wichtige prognostische Parameter sind der Nodalstatus und die Tumorgröße für das
rezidivfreie Überleben, sowie der Hormonrezeptorstatus für das krankheitsfreie und spezifische Überleben.

In der multivariaten Analyse ist der Nodalstatus für das rezidivfreie Überleben ein
prognostischer Parameter. Die Tumorgröße und das Alter behalten im Cox-Modell einen
signifikanten Einfluss auf das Gesamtüberleben.

Älteren Brustkrebspatientinnen sollte unter Berücksichtigung des Gesundheitsstatus eine
Bestrahlungstherapie und eine Hormontherapie angeboten werden. Unter Abwägung aller
Risiken ist auch eine Chemotherapie zu erwägen.
75
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Haviland, J.S., et al., The UK Standardisation of Breast Radiotherapy (START) trials of
radiotherapy hypofractionation for treatment of early breast cancer: 10-year follow-up
results of two randomised controlled trials. Lancet Oncol, 2013. 14(11): p. 1086-94.
Pivot, X., et al., 6 months versus 12 months of adjuvant trastuzumab for patients with HER2positive early breast cancer (PHARE): a randomised phase 3 trial. Lancet Oncol, 2013. 14(8):
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Goldhirsch, A., et al., 2 years versus 1 year of adjuvant trastuzumab for HER2-positive breast
cancer (HERA): an open-label, randomised controlled trial. Lancet, 2013. 382(9897): p. 10218.
83
Anhang
8. Anhang
8.1 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Alters- und geschlechtsabhängige Verteilung des Mammakarzinoms pro
100.000 Einwohnern 2009- 2010 in Deutschland
Abbildung 2:
Jährliche Neuerkrankungs- und Sterberate sowie altersstandardisierte
Erkrankungs- und Sterberate zwischen 1980 bis 2004 für Deutschland
Abbildung 3:
Leitlinien zur Beurteilung der adjuvanten Behandlung, modifiziert
nach AGO- und S3-Leitlinien
Abbildung 4:
Beispiel für ein Kaplan-Meier Diagramm
Abbildung 5:
Beispiel für eine Cox-Regressionstabelle
Abbildung 6:
Brustschema mit Lokalisationshäufigkeiten von Brustkrebs
Abbildung 7:
Kaplan-Meier Diagramm des ER-Status und des DFS
Abbildung 8:
Kaplan-Meier Diagramm des PR-Status und des DFS
Abbildung 9:
Kaplan-Meier Diagramm der Tumorgröße und des DFS
Abbildung 10:
Kaplan-Meier Diagramm des Nodalstatus und des DFS
Abbildung 11:
Kaplan-Meier Diagramm der Nodalstadien und des DFS
Abbildung 12:
Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Systemtherapie
und des DFS
Abbildung 13:
Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Bestrahlungstherapie
und des DFS
Abbildung 14:
Kaplan-Meier Diagramm der Leitlinienadhärenz und des DFS
Abbildung 15:
Kaplan-Meier Diagramm der Altersgruppen und des OAS
Abbildung 16:
Kaplan-Meier Diagramm der Tumorgröße und des OAS
Abbildung 17:
Kaplan-Meier Diagramm der Nodalstadien und des OAS
Abbildung 18:
Kaplan-Meier Diagramm des Gradings und des OAS
Abbildung 19:
Kaplan-Meier Diagramm des Operationsstatus und des OAS
Abbildung 20:
Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Systemtherapie
und des OAS
Abbildung 21:
Kaplan-Meier Diagramm der Leitlinienadhärenz und des OAS
Abbildung 22:
Kaplan-Meier Diagramm des Östrogenrezeptorstatus und des BCSS
Abbildung 23:
Kaplan-Meier Diagramm des HER2-Status und des BCSS
84
Anhang
Abbildung 24:
Kaplan-Meier Diagramm des Nodalstatus und des BCSS
Abbildung 25:
Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Hormontherapie
und des BCSS
Abbildung 26:
Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Systemtherapie
und des BCSS
Abbildung 27:
Kaplan-Meier Diagramm der leitliniengerechten Bestrahlungstherapie und des BCSS
Abbildung 28:
Kaplan-Meier Diagramm der Leitlinienadhärenz und des BCSS
8.2 Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
St. Gallen Klassifikation 2007
Tabelle 2:
Therapieempfehlungen für die systemische Therapie adaptiert an die
St. Gallen Klassifikation
Tabelle 3:
Häufigkeitsverteilungen allgemeiner Parameter
Tabelle 4:
Kreuztabelle Rezeptorstatus
Tabelle 5:
Häufigkeitsverteilungen der histopathologischen Parameter
Tabelle 6:
Adjuvante Therapiemodalitäten und Leitlinienadhärenz
Tabelle 7:
Altersabhängige Häufigkeiten der Strahlentherapie
Tabelle 8:
Altersabhängige Häufigkeiten der leitlinienadhärenten Strahlentherapie
Tabelle 9:
Altersabhängige Leitlinienadhärenz
Tabelle 10:
Häufigkeitsverteilungen der Nebenerkrankungen
Tabelle 11:
Log-Rank-Test für die Tumorgröße (DFS), paarweise ausgewertet
Tabelle 12:
Log-Rank-Test für das Grading (DFS), paarweise ausgewertet
Tabelle 13:
Log-Rank-Test für die Tumorgröße (OAS), paarweise ausgewertet
Tabelle 14:
Log-Rank-Test für den Nodalstatus (OAS), paarweise ausgewertet
Tabelle 15:
Log-Rank-Test für das Grading (OAS), paarweise ausgewertet
Tabelle 16:
Log-Rank-Test für den Nodalstatus in Stadien (BCSS), paarweise
ausgewertet
Tabelle 17:
Cox-Regression für das rezidivfreie Überleben
Tabelle 18:
Cox-Regression für das Gesamtüberleben
Tabelle 19:
Cox-Regression für das krankheitsspezifische Überleben
85
Anhang
8.3 Publikationen der Arbeit
Daten dieser Arbeit wurden publiziert:
Deutscher Krebs Kongress (DKK), Februar 2014 in Berlin als Posterbeitrag
Kongress der Norddeutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (NGGG),
Mai 2014 in Rostock als Posterbeitrag
Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG),
Oktober 2014 in München als Posterbeitrag
86
Anhang
8.4 Eidesstattliche Erklärung
Hiermit erkläre ich eidesstattlich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig und ohne
fremde Hilfe verfasst, andere als die von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht
benutzt und die den benutzten Werken wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als
solche kenntlich gemacht habe.
Weder diese noch eine andere Dissertation habe ich bisher an einer anderen
wissenschaftlichen Fakultät vorgelegt.
Ich erkläre, dass ich bisher kein Promotionsverfahren erfolglos beendet habe und dass eine
Aberkennung eines bereits erworbenen Doktorgrades nicht vorliegt.
Ich bestätige, dass mir die Promotionsordnung der Universität Rostock bekannt ist.
Rostock, den 06. Juni 2015
Johannes Bonacker
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Danksagung
8.5 Danksagung
Mein herzlicher Dank gilt Prof. Dr. med. T. Reimer für die Vergabe des Themas, die
Betreuung und Unterstützung bei der Promotionsarbeit.
Frau Dr. med. H. Zettl und Frau Klöcking vom Krebsregister Rostock gilt mein Dank für die
Bereitstellung und die Hilfestellung bei der Organisation der Daten.
Weiterhin möchte ich mich bei Prof. Kundt und Frau Helga Krentz für die Hilfe mit dem
Umgang des SPSS-Programmes bedanken.
Ich danke meiner Familie, die mich auf meinem bisherigen Lebensweg in allen Dingen
begleitet und unterstützt hat.
Ich danke Henrike Rohrmann für die liebevolle Unterstützung und die Mühe bei der
Korrektur der Arbeit.
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