kult&kultur Multikulturalität und Multireligiosität prägen unsere westlichen Gesellschaften, daran zweifelt heute niemand mehr. Deshalb müssen Universitäten Studierende auch vorbereiten auf Das Weltethosprogramm Interreligiöses Lernen an der Universität durch Religions- und Kulturbegegnung ein Leben und Arbeiten in multikulturellen und multireligiösen Kontexten. Religion ist eben auch ein gesellschaftspolitischer Faktor, der jüngste Kopftuchstreit hat dies erneut deutlich gemacht. Insofern empfiehlt sich eine Auseinandersetzung mit der Religions-Thematik auch für Studierende, die nicht Theologie studieren. Allerdings ist ein primär phänomenologischdeskriptives Lernen über Religion für ein Leben und Arbeiten in multi- von Johannes Rehm kulturellen und multireligiösen Kontexten nicht hinreichend. Es bedarf eines interreligiösen Lernens mit Menschen anderer Religionszugehörigkeit. PD Dr. Johannes Rehm Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts, Studierendenpfarrer 32 | uni.vers | 06.2004 Interreligiöses Lernen hat Formen und Gelegenheiten konkreter Religions- und Kulturbegegnung zur Voraussetzung. Es meint ein Lernen im Dialog, ein Lernen vonund miteinander im interreligiösen Gespräch. Damit dieses derzeit so wichtige interreligiöse Lernen auch an der Universität geschehen kann, darf sich die universitäre Lehre nicht auf enge Fächergrenzen zurückziehen und muss gegebenenfalls auch die Hörsäle verlassen, sich an Orte der Religionsausübung begeben in Kooperation mit Vertretern lokaler Religionsgemeinschaften. In diesem Überschneidungsbereich von universitärer Lehre und religiöser Praxis fanden in den letzten Jahren an der Universität Bamberg eine Fülle von Veranstaltungen statt, die gelegentlich stärker universitär veranlasst oder von Religionsgemeinschaften selbst verantwortet und initiiert waren. Bei diesen Veranstaltungen stellte sich immer direkt oder indirekt die Frage nach Formen und Zielen des interreligiösen Dialogs. Ferner die klassische theologische Frage nach dem Verhältnis von – Perspektiven für den interreligiösen Christentum und Weltreligionen. Dialog“. Dabei wurde das von dem Ein möglicher Ansatz des interreligi- katholischen Theologen Hans Küng ösen Dialogs ist dafür das Weltethos- initiierte Weltethosprogramm aufgeprogramm, das ein Miteinander von griffen. In ihm werden GemeinsamChristentum und Weltreligionen zu keiten zwischen den Religionen im befördern versucht durch interreligi- Ethos benannt und zum Gegenstand ösen Dialog über Gemeinsamkeiten des interreligiösen Dialogs gemacht. im Ethos. Über den engeren Wissenschaftsbereich hinaus wurde der Begriff „WeltWeltethos praktisch ethos“ bekannt durch ein weltweit verbreitetes Buch von Hans Küng Diesem Erfordernis der Zeit nach aus dem Jahr 1990 mit dem Titel interreligiösem Lernen versuchte „Projekt Weltethos“. Der Weltethoseine Lehrveranstaltung im vergange- Gedanke fand insbesondere im nen Wintersemester zu entsprechen, politischen Bereich einen beachtlidie an der Fakultät Pädagogik, Psy- chen Nachhall. So machte sich das chologie und Philosophie unserer „Weltparlament der Religionen“ in Universität angeboten wurde. Ziel Chicago 1993 eine von Küng in war es, interreligiöses Lernen für Fortführung seines Buches verfasste Studierende zu ermöglichen und „Erklärung zum Weltethos“ zu Eigen, zugleich praktische Erfahrungen von die einen Minimalkonsens im Ethos in Bamberg gemachter Religions- zum Ausdruck bringen will. Dieses und Kulturbegegnung zusammen Weltethos soll für Angehörige aller zu fassen. Die Lehrveranstaltung für Religionsgemeinschaften, aber auch Hörer aller Fachbereiche hatte die säkulare Zeitgenossen zustimmungsReligions-Thematik in einer bewusst fähig sein. Der Inter Action Council allgemein gehaltenen Form zum ehemaliger Staatsmänner und RegieGegenstand: „Weltethos praktisch rungschefs unter der Federführung – interreligiös von Helmut Schmidt, dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler, gab eine Menschenpflichtenerklärung heraus, die als Fortschreibung der Küngschen Weltethos-Erklärung zu verstehen ist. Das Weltethosprogramm war und ist Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher Diskussionen und erfreut sich eines ungewöhnlich lebhaften Interesses einer breiten Öffentlichkeit. Es will einen interreligiösen Dialog zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften anregen auf der Grundlage einer Übereinstimmung in grundlegenden ethischen Werten und Normen. Es versteht sich als Alternative zu einer ‚Theologie der Religionen’, die eine Übereinstimmung in den Grundlagen des Glaubens konstruiert und in Gefahr ist, in einen verallgemeinernden Synkretismus oder in eine konturenlose Einheitsreligion abzugleiten. Dieser grundsätzlichen Gefährdung jeder Auseinandersetzung mit anderen Religionen entgeht man allerdings bei der Beschäftigung mit dem Weltethosprogramm nur dann, wenn die Übereinstimmungen im Ethos zurückgebunden werden an die Grundlagen des Glaubens. Denn Dogma und Ethos sind im christlichen Glauben nicht voneinander zu trennen, sondern wechselseitig aufeinander bezogen. In diesem Sinne lässt sich das Weltethosprogramm verstehen als Ausdruck von Religionen übergreifenden Erfahrungen gelingenden Lebens, die zum Ausgangspunkt von interreligiösen Dialogen gemacht werden können und einen religionspädagogischen hermeneutischen Schlüssel zum Kennenlernen anderer Religionen bilden. Angehörigen anderer Religionen in der Lehrveranstaltung breiten Raum ein. Hinzu kamen Besuche in einer Bamberger Moschee und der Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde. Für die Studierenden war es dabei eine besondere Erfahrung, authentische Vertreter einer anderen Religion, aber auch sich selbst als Vertreter des Christentums zu erleben. Dabei wurde die Erfahrung gemacht, dass durch die Auseinandersetzung mit anderen Religionen das Interesse an der eigenen Religion und an der Vertiefung des eigenen Glaubenswissens zunimmt. Aber auch die Schwierigkeiten des interreligiösen Dialogs, wie die Wahrnehmung stereotyper Bilder voneinander und Erfahrungen der Ungleichzeitigkeit des Bewusstseins, blieben nicht aus. Bei den Besuchen in Moschee und Synagoge konnte angeknüpft werden an interreligiöse Dialogbeziehungen zwischen den Religionsgemeinschaften in Bamberg, wie sie seit der Gründung einer Regionalgruppe der „Weltkonferenz der Religionen für den Frieden – WCRP“ im Jahr 1996 gepflegt werden durch regelmäßige Veranstaltungen der Erwachsenenbildung, aber auch durch multireligiöse Gebete in Bamberger religiösen Zentren, vornehmlich in St. Martin. Die Initiative für die Gründung von WCRP-Bamberg kam damals aus der Evangelischen Studierendengemeinde. Denn in der kirchlichen Hochschularbeit hatten die Arbeit mit ausländischen Studierenden und als Konsequenz daraus die interreligiöse Kontaktpflege bereits eine lange Tradition. Studierenden- und Hochschulgemeinden sind an deutschen Universitäten „Schnittstellen-Institutionen“, welKulturbegegnung che die Möglichkeit bieten, durch in Bamberg ihre Veranstaltungen wissenschaftliche Erkenntnisse einer größeren, Neben Entstehung, Interpreta- die Fächer- und Hochschulgrenzen tion und Rezeption der „Erklärung überschreitenden Öffentlichkeit zum Weltethos“ nahmen praktische vorzustellen, aber auch die univerFormen interreligiösen Dialogs mit sitäre Arbeit von den Grundlagen v.l.n.r.: Joachim fulda, Imam Karpak, Jan-Philipp Möller, Dr. Rehm, Dr. Hasir in der Bamberger Moschee des christlichen Glaubens, oder allgemeiner, von den Grundlagen der Religionen her kritisch zu hinterfragen. Schnittstelle „interreligiöser Dialog“ Der für unsere Zeit so wichtige interreligiöse Dialog bewegt sich ebenfalls an einer Schnittstelle zwischen Universität und Beruf, zwischen Lernen und Arbeiten sowie zwischen Bildungsinstitution und Religionsgemeinschaft. Wo Leben und Lernen, Wissen und Weisheit, Lernende und Lehrende ins selbstkritische Nachdenken und ins existentielle Reden kommen über Grundlagen des Ethos, Erfahrungen gelingenden Lebens und dahinter stehende Grundlagen des Glaubens, da ist interreligiöser Dialog bereits gelungen und teilnehmende Studierende haben Entscheidendes gelernt, was sie in ihrer späteren beruflichen Praxis wie im persönlichen Leben mit Sicherheit dringend brauchen, heute mehr denn je. Literatur: Johannes Rehm: Weltethos praktisch – Perspektiven des interreligiösen Dialogs, Mainz 2004 uni.vers | 06.2004 | 33