Der Weg zum inneren Frieden HTML Inhaltsverzeichnis 1 Der Weg zum inneren Frieden 2 Die Heilslehre Buddhas 2.1 Der Weg der Mitte 3 Die vier edlen Wahrheiten 3.1 Der Durst nach Werden und Vergehen 3.2 Der Durst nach Sinneslust 4 Der edle achtfache Pfad 4.1 Rechte Erkenntnis 4.2 Rechte Gesinnung 4.3 Rechte Rede 4.4 Rechte Tat 4.5 Rechter Lebenserwerb 4.6 Rechte Anstrengung 4.7 Rechte Achtsamkeit 4.8 Rechte Sammlung 4.8.1 Die erste Vertiefung 4.8.2 Die zweite Vertiefung 4.8.3 Die dritte Vertiefung 4.8.4 Die vierte Vertiefung 4.8.5 Vierzig Meditationsobjekte 5 Ursachen psychosomatischer Erkrankungen 5.1 In der Kindheit 5.2 In der Pubertät 6 Die männlichen Geschlechtsorgane 6.1 Die Hoden und Nebenhoden 6.2 Die Samenleiterampullen 6.3 Die Samenbläschen 6.4 Die Prostata 6.5 Die Cowperschen Drüsen 1 Startseite 6.6 Die Littre-Drüsen 7 Der Nachteil des sexuellen Genusses 7.1 Energieverlust durch den Orgasmus 8 Die sechs Stufen der Keuschheit 8.1 Körperliches und geistiges Brahmacharya 9 Die Sexualität des Menschen 9.1 Das sexuelle Lustzentrum 9.2 Das sexuelle Verhalten urzeitlicher Völker 9.3 Die enthaltsam lebenden Dani aus Neuguinea 10 Die vier Lebensstadien im Hinduismus 10.1 Der Brahmachari, der Schüler 10.2 Der Grihastya, der Familienvater 10.3 Der Vanaprastha, der Weltentsager 10.4 Der Sannyasin, der Waldeinsiedler 10.5 Keuschheit in der Bhagavad Gita & Yoga Sutra 11 Frauen und Brahmacharya 11.1 Einige Überlegungen zur Menstruation 12 Das Geheimnis der Sublimation 12.1 Sublimierung und Unterdrückung 13 Hinayana und Mahayana 13.1 Unterschiede zwischen Hinayana und Mahayana 13.2 Die Entstehung des Palikanons 13.3 Vajrayana, der Diamantweg 13.4 Tibetischer Buddhismus 13.5 Kritik am westlichen Tantraverständnis 13.6 Der gewöhnliche und der tantrische Orgasmus 14 Die Kundalini 14.1 Die Chakren 14.2 Das Physio-Kundalini-Modell 15 Die Keuschheit im Judentum 15.1 Elija, der Urvater des monastischen Lebens 15.2 Moses und das Zölibat 2 15.3 Die Essener 15.4 Die Therapeuten 15.5 Das Buch Jesus Sirach 15.6 Die Onanie im Buche Mose 16 Die Keuschheit im Christentum 16.1 Die Keuschheit im Urchristentum 17 Die Physiologie der Meditation 17.1 Was geschieht währ. der Meditation im Gehirn? 18 Die Ernährung des Brahmachari 18.1 Jesus und seine Jünger waren Vegetarier 18.2 Maßhalten bei der Ernährung 18.3 Wie man Pollutionen vermeidet 18.4 Fasten kontrolliert die Sinne 19 Die Geburtenkontrolle 19.1 Selbstbeherrschung oder Verhütung? 20 Inhaltsverzeichnis Version: Donnerstag 02. April 2009 © Das Copyright liegt beim Autor. Der Text kann aber, falls er nicht zu kommerziellen Zwecken genutzt wird, kopiert werden. 1. Der Weg zum inneren Frieden Top Schaut man sich unter den Menschen um, dann erkennt man, dass sie oft sehr unglücklich sind und an der Last des Lebens schwer zu tragen haben. Hin und wieder gibt es Momente, in denen sich Glück, Zufriedenheit und Entspannung einstellen. Aber solche Momente sind leider viel zu selten. Oftmals wird das Leben von Angst, Schmerz, Wut, Traurigkeit und Unzufriedenheit bestimmt. Die psychosomatischen 3 Erkrankungen sind mit Sicherheit die häufigsten Erkrankungen, die in der heutigen Zeit auftreten. Es stellt sich also die Frage, wie man sich von diesem Leid befreien kann, wie der Weg zum inneren Frieden, zur Erleuchtung, aussieht. Die Weisen, Heiligen, Yogis, Priester, Mönche, Nonnen, Sufis, Schamanen und Erleuchteten aller Zeiten und aller Religionen haben es uns vorgelebt. Sie führten ein Leben, welches vom Zölibat (Brahmacharya) und von der Meditation bestimmt war, wobei auch das Gebet als eine kontemplative Form der Meditation betrachtet werden kann. Unter Brahmacharya versteht man im allgemeinen die sexuelle Enthaltsamkeit. Aber Brahmacharya ist weit mehr. Denn Brahmacharya ist der Schlüssel zur Seligkeit. Schaut man sich einmal die Biographien der Heiligen und Erleuchteten an, so erkennt man, dass sie alle enthaltsam lebten. Durch die Enthaltsamkeit wird die sexuelle Energie in spirituelle Energie umgewandelt. Und genau dies ist der Schlüssel zur Selbstverwirklichung, die von allen Menschen so herbeigesehnt wird. Die Weisen und Yogis haben dies verwirklicht und zeigen uns, wie der Weg zur Erlösung aussieht. Brahmacharya dient als Tor zum Glück. Es öffnet die Tür zur Befreiung. Es führt zur beständigen Freude, zum ununterbrochenen und reinen Glück. Sogar Könige dienten zu Füßen des Brahmachari. Brahmacharya ist der einzige Schlüssel, um die Kundalini zu wecken. Brahmacharya bringt Glorie, Ruhm, Tugend und Seligkeit. 2. Die Heilslehre Buddhas Top Buddha (wörtlich: „der Erwachte“, oft ungenau mit „der Erleuchtete“ übersetzt) wurde im Jahre 624 vor Christus (de.wikipedia.org: 563 - 483 v. Chr.) als Prinz in Lumbini bei 4 Kapilavatthu (heute Rumindei) in Nepal an der Grenze zu Indien geboren. Buddhas Vater, König Suddhodana, stammte aus dem Adelsgeschlecht der Samkya, seine Mutter, Königin Maya, starb kurz nach der Geburt. Bei der Geburt erhielt Buddha den Namen Siddhartha Gautama. Siddhartha verbrachte seine Kindheit und Jugend in Kapilavatthu (Lumbini). Mit 16 Jahren heiratete er und als er 29 Jahre alt war, kam sein Sohn Rahula zur Welt. Kurz darauf verließ er seine Heimatstadt, um als Mönch und Asket zu leben. Ob Buddha wirklich einen Sohn hatte, ist unter Historikern allerdings sehr umstritten. Nachdem Siddhartha erkannt hatte, dass auch er der Geburt, dem Altern, den Krankheiten und dem Sterben unterlag, verließ er mit 29 Jahren den Palast in dem er bisher gelebt hatte und zog, noch jung und kräftig, schwarzhaarig, in voller jugendlicher Schönheit, im ersten Mannesalter, gegen den Wunsch der Eltern, als Mönch in die Hauslosigkeit. Er ließ sich die Haare und den Bart scheren, zog ein gelbes Mönchsgewand an, ließ seine Heimat, Reichtum Ehre und Macht hinter sich, um als Büßer und Bettler die Befreiung vom Leiden zu suchen. Mit nur einem Mönchsgewand und einer Bettelschale versehen, zog er von Ort zu Ort. Schließlich schloss er sich den Yogalehrern Alara Kalama und Uddaka Ramaputra an, die ihre Schüler in der Yogaphilosophie unterrichteten. Nach vielen Jahren Suchens und Ringens erkannte Siddhartha die Ausweglosigkeit dieser Wege und wandte sich von seinen Lehrern ab. Nun versuchte er sein Ziel durch strengste Askese zu erreichen. Er beherrschte alle Praktiken, die ihm seine Lehrer beigebracht hatten perfekt, aber er erkannte, dass sie nicht zur Befreiung des Leidens führten, die er anstrebte. Von nun an lebte Siddhartha ein ausgesprochen asketisches 5 Leben. Er lebte als Nackter, aß weder Fleisch, noch Fisch, trank weder Wein, noch Branntwein und dehnte sein Fasten so weit aus, bis er in manchen Monaten nur an zwei Tagen etwas aß. Mitunter aß er nur ein Reiskorn pro Tag. Ansonsten ernährte er sich von Gras, Grünzeug und den Wurzeln und Früchten des Waldes. Er trug Kleider aus Hanf, die man den Toten ausgezogen hatte, oder Fetzen, die er auf dem Abfall fand. Siddharte zog sich in den Wald zurück und peinigte seinen Körper auf mannigfache Weise. In kalten Winternächten verbrachte er die Nächte unter freiem Himmel und die Tage im Wald. An heißen Sommertagen dagegen verbrachte er die Tage unter freiem Himmel und die Nächte im Wald. Eine Zeit lang ernährte Siddhartha sich von einer einzigen Frucht an Tag. Da verfiel sein Körper immer mehr und es stellte sich eine übermäßige Magerkeit ein. Seine Gelenke fühlten sich wie die Gelenke eines Achtzigjährigen oder wie die Knoten einer Kriechpflanze an. Durch die geringe Nahrungsaufnahme standen seine Glieder und seine Rippen wie die Dachsparren eines zerfallenen Gebäudes hier und dort hervor. Ebenso undeutlich, wie in einem tiefen Brunnen die Wasseroberfläche zu erkennen ist, konnte man die tiefliegenden Augen in seinen Augenhöhlen erkennen. Strich er über die Bauchhaut, so dehnte sich das Rückgrat. Und strich er über das Rückgrat, so dehnte sich die Bauchhaut, so abgemagert war er. Wollte er Kot oder Urin lassen, so stürzte er vor Kraftlosigkeit kopfüber zu Boden. Um den Körper zu erfrischen, rieb er sich mitunter mit den Händen über den Körper. Aber dabei fielen ihm die wurzelfaulen Haare vom Körper. Die Ausübung dieser strengen Askese führte dem Büßer Siddhartha Gautama fünf Anhänger zu, die ihn als Heiligen verehrten. Als Siddhartha täglich nur noch ein Reiskorn als 6 Nahrung zu sich nahm, brach er entkräftet zusammen und wäre fast verhungert. Deshalb erkannte er, dass diese übertriebene Askese, nicht der richtige Weg war, um das erstrebte Ziel, die Leidensfreiheit, zu erreichen und beendete sie. Von nun an ernährte er sich wieder ausreichend. Seine Anhänger, die ebenfalls eine strenge Askese praktizierten, aber betrachteten ihn als Abtrünnigen und verließen ihn. Siddhartha aber fasste den Entschluss, weiter zu meditieren und nicht eher damit aufzuhören, bis er die ersehnte Leidensfreiheit erfahren hatte. Mittlerweile lebte er bereits sieben Jahre als Mönch in der freien Natur, in der Hauslosigkeit. Nach diesen sieben Jahren kam er in die Stadt Uruvela (heute: Bodhgaya, im nordindischen Bundesstaat Bihar). Uruvela war ein entzückender Erdenfleck mit anmutigen Baumgruppen, mit einem silbern strömenden Fluss und ringsherum von einer Menge Wiesen umgeben. In Uruvela ließ sich Siddhartha unter einem Bodhibaum, einer Pappelfeige, nieder und meditierte mehrere Tage lang. Nach sieben Tagen erfuhr er dann in einer Vollmondnacht im Mai die Erleuchtung. Nun wurde aus Siddhartha, Buddha, der Erwachte. Er fand, wie er selber sagte, einen Zustand unvergleichlicher innerer Ruhe, bei dem das Gefühl von Geburt, Alter, Krankheit und Tod verloschen waren. Er hatte das Gefühl vollkommener Befreiung und er lebte in der Einsicht, dass dieses seine letzte Geburt war und dass es keine Wiedergeburt für ihn geben würde. Der Glaube an die Wiedergeburt, die Reinkarnation, war ein fester Bestandteil des Hinduismus, von dem sich offensichtlich auch Buddha nicht frei machen konnte. So spricht Buddha in der Majjhima Nikaya 41 [7] davon, wie er sich nach der vierten Vertiefung an verschiedene Daseinsformen des früheren Lebens erinnert: „Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, 7 gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtete ich das Gemüt auf die erinnernde Erkenntnis früherer Daseinsformen. Ich erinnerte mich an manche verschiedene frühere Daseinsform, als wie an ein Leben, dann an zwei Leben, dann an drei Leben, dann an vier Leben, dann an fünf Leben, dann an zehn Leben, dann an zwanzig Leben, dann an dreißig Leben, dann an vierzig Leben, dann an fünfzig Leben, dann an hundert Leben, dann an tausend Leben, dann an hunderttausend Leben...“ 1Die Majjhima Nikaya ist die „Sammlung der mittellangen Abhandlungen“, auch Mittlere Sammlung, Kürzel: MN. Der Name Majjhima Nikaya bezieht sich auf die relative Länge der enthaltenen Sutten (Pali), (Sanskrit: Sutren = Lehrreden), die im Vergleich zu denen der „längeren Sammlung“, der DighaNikaya, Kürzel: DN, und der „kürzeren Sammlung“, der Khuddaka-Nikaya, meist mittellang sind. Buddha war weder ein Gott, noch der Prophet Gottes, so wie Mohammed, der Gründer des Islam, der sich als Prophet Gottes (Allah's) verstand, oder wie Jesus, der sich als Sohn Gottes betrachtete (Johannes 5,17; Johannes 16,28; Markus 1,1; Markus 1,11). Vielmehr war Buddha, wenn er auch ein Prinz war, ein ganz normaler Mensch, der die Befreiung vom Leiden aus eigener Anstrengung geschafft hatte. Seine Lehre ist somit keine göttliche Offenbarung, wie die Lehre Mohammeds, sondern eine Anleitung zur Befreiung, die er selbst gefunden hat. Das Ziel seiner Lehre ist die vollkommene Befreiung vom Leid. Dieser Zustand wird als Samadhi, als Erleuchtung, bezeichnet. Buddhas Lehre hat also wenig mit den drei monotheistischen, abrahamitischen Religionen des Judentums, des Christentums und des Islams gemeinsam, die sich alle auf Gott berufen und deren Wurzeln in der hebräischen Bibel (dem 8 Tanach) und dem Pentateuch (den fünf Büchern Moses) zu finden sind. Im Buddhismus gibt es deshalb keinen Gott im jüdischchristlich-islamischen Sinne. Es gibt nur das Naturgesetz, dem alle Lebewesen unterworfen sind. Da es im Buddhismus keinen Gott im jüdisch-christlich-islamischen Sinne gibt, gibt es auch keine sittlichen Gebote (zehn Gebote), sondern Sittenregeln, die eine notwendige Voraussetzung zur Verwirklichung der Befreiung sind. Es gibt daher auch keine Gottesfurcht, sondern ausschließlich die eigene Verantwortung. Somit gibt es auch keinen göttlichen Gnadenakt, der die Menschen vom Leid befreit, wie sie viele Gläubige erhoffen, denn die Erlösung vom Leiden kann nur durch eigene Anstrengung erlangt werden. Für Buddha existierte zwar kein Gott im jüdisch-christlichislamischen Sinne, aber es existierten allerlei Götter, Geister, Gespenster und Dämonen, die ebenso wie die Menschen, Tiere und Pflanzen der Wiedergeburt unterlagen. So kann ein Mensch, der ein ethisch und moralisch vorbildliches Leben geführt hat, nach dem Tod in den Bereich der Götter oder in den Bereich der eifersüchtigen Götter eingehen. Dies entspricht im Buddhismus gewissermaßen einem göttlichen Seinszustand (Himmel). Dort verbleibt er eine Zeit, um irgendwann wieder als Mensch auf der Erde wiedergeboren zu werden. Erst wenn er das Samadhi erreicht hat, beendet er den Kreislauf von Tod und Wiedergeburt und ist von jeglichem Leid befreit. Insgesamt kennt der Buddhismus sechs Daseinsbereiche, in die der Mensch hineingeboren werden kann. Diese Daseinsbereiche sind: 1. der Bereich der Götter 2. der Bereich der eifersüchtigen Götter 3. der Bereich der Menschen 9 4. der Bereich der Tiere 5. der Bereich der hungrigen Geister 6. der Bereich der Hölle Als kostbarste Wiedergeburt gilt allerdings die Geburt in den Bereich der Menschen, da nur vom Bereich der Menschen aus eine endgültige Befreiung erlangt werden kann. Die Wiedergeburt in den menschlichen Daseinsbereich wird sogar noch höher bewertet als eine Geburt in den Bereich der Götter, da sich die Seelen im Bereich der Götter so wohlfühlen, dass sie gar nicht daran denken, sich weiter fortzuentwickeln. Alle sechs Daseinsbereiche sind durch Karma, durch die Taten und Gedanken der vergangenen Leben, bedingt. In den drei niederen Daseinsbereichen (Tiere, hungrige Geister, Hölle) wird sehr viel Leid erfahren. Die Wesen in den drei unteren Daseinsbereichen sind wesentlich zahlreicher als in den drei höheren Daseinsbereichen. Die Wesen in den drei niederen Daseinsbereichen sind von Leid und Schmerz geplagt und haben im allgemeinen eine sehr negative Lebensqualität. Nächstenliebe und Mitgefühl sind nur äußerst spärlich ausgeprägt. Die hohe Anzahl der Wesen, die sich in den drei unteren Daseinsebenen aufhalten, deutet darauf hin, wie schwer es ist, sich von den negativen Tendenzen zu lösen. Da meist egoistische Tendenzen vorherrschen, werden diese Wesen in ein entsprechend qualvolles Leben hineingeboren und erfahren großes Leid. Man kann aber sagen, dass sich die entsprechenden Daseinszustände der unteren Daseinsbereiche gewissermaßen im realem Leben wiederfinden. Zumindest wird dieses von buddhistisch-hinduistischer Seite so gesehen. Überträgt man die unteren drei Daseinszustände auf das reale Leben, so kann man durchaus Parallelen erkennen. Dieses heißt mit anderen Worten, gestalte ich mein Leben nicht nach ethischen und moralischen Regeln, so füge ich mir selber 10 Schaden zu und erfahre dadurch persönliches Leid. In den drei höheren Daseinbereichen dagegen gibt es mehr Raum für Glück und Zufriedenheit. Götter bildeten für Buddha also keine wesentliche Grundlage seiner Lehre für die Menschen, die den Weg der Befreiung vom Leid anstrebten. Zwar kannte auch Buddha den von den Brahmanen als höchsten vedischen Gott angebeteten Brahma, der von den Hinduisten als Schöpfergott betrachtet wird. Brahma wird von den Buddhisten zwar als ein besonders hoch entwickeltes göttliches Wesen, aber nicht als Weltschöpfer angesehen. Buddhas Lehre richtet sich in erster Linie an die Menschen, da sie sich nur aus eigener Kraft und Anstrengung von ihrem Leid befreien können. Nachdem Buddha erwacht war, hatte er zunächst nur wenig Lust, den in Begehren und Leid verstrickten Menschen etwas von seinen Erfahrungen und Einsichten mitzuteilen. Die Legenden und Mythen sprechen jedoch davon, dass himmlische Wesen Buddha darum baten, den leidenden Menschen zu helfen. Nachdem sie zu Buddha sagten: „Es gibt einige unter den Wesen, deren Augen kaum mit Staub bedeckt sind. Sie werden die Wahrheit erkennen.“, war Buddha zur Verkündung seiner Lehre bereit. In Wahrheit hatte Buddha dies wohl selbst erkannt. Zunächst überlegte er, wem er seine Lehre zuerst verkünden sollte. Dabei dachte er an seinen ersten Lehrer Alaro Kalamo. Dieser war aber mittlerweile verstorben. Dann dachte er daran, seinem zweiten Lehrer, Uddako Ramaputto, seine Lehre zu verkünden. Aber auch dieser war mittlerweile verstorben. Dann dachte er an die fünf Mönche, die ihn einst verlassen hatten, als er sich von der Askese abwandte. Deshalb machte er sich auf den Weg zu seinen früheren fünf Anhängern, die ihn auf seinem asketischen Weg begleitet hatten, um ihnen als erste seine Lehre vorzutragen. 11 Er wanderte von Ort zu Ort, um sie zu suchen. Schließlich fand er sie im Tierpark Isipatana in Benares am Ganges. (Heute ist Benares eine indische Großstadt im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh mit 1,2 Millionen Einwohnern und heißt Varanasi.) Zunächst wollten die fünf Mönche nichts von Buddha wissen, da er sich von der Askese abgewandt hatte. Dann aber unterwies sie Buddha in seiner Lehre. Dies war die erste Rede, die Buddha hielt. Mit dieser Rede entstand die Philosophie des Buddhismus. Buddha sagte zu ihnen: „Zwei Dinge gibt es, von denen sich derjenige fernhalten muß, wenn er das Samadhi anstrebt“: 1. Die Hingabe an die Sinnengenüsse; denn sie ist niedrig, gemein, weltlich, unedel und zwecklos. 2. Die Hingabe an die Selbstpeinigung, denn sie ist leidvoll, unedel und zwecklos. Die Sinnesgenüsse können in fünffacher Art und Weise auftreten. Es sind die durch das Auge begehrten Formen, die durch das Ohr ersehnten Töne, die durch die Nase entzückenden Düfte, der durch den Mund ersehnte Geschmack und das durch die Berührung geliebte Gefühl. Wer diese beiden Enden meidet, der hat den Weg der Mitte gefunden. 2.1 Der Weg der Mitte Top Buddha hatte den Mönchen empfohlen, Sinnesgenüsse und Selbstkasteiungen zu vermeiden. In der Samyutta Nikaya 56,11 (Gruppierte Sammlung) sagt Buddha zu den Mönchen [6]: Zwei Extreme, ihr Mönche, soll der Hauslose vermeiden. Welche zwei? • Das Anhaften an die Sinneslust, denn sie ist niedrig, 12 gemein, gewöhnlich, unedel und heillos • Das Hingeben an die Selbstqual, denn sie ist schmerzlich, unedel und heillos Er sagte, wer diese beiden Enden vermeidet, der hat den Weg der Mitte gefunden, der zur Ruhe, zum Wissen, zur Erleuchtung, zum Nirvana (Pali: Nibbana), führt. Weiter sagte Buddha, dass die vier edlen Wahrheiten und der edle achtfache Pfad zum Weg der Mitte führen. Buddha hatte jahrelang einen streng asketischen Weg beschritten und sich dabei fast zu Tode gehungert. Nachdem er erkannte, dass dieser Weg ihn nicht zum gewünschten Ziel, zur Erleuchtung, führte, ließ er von dieser strengen Askese ab, die hauptsächlich aus Fasten und Selbstgeißelung bestand. Die Askese bezog sich aber nicht auf die sexuelle Enthaltsamkeit, wie viele fälschlicherweise meinen. Buddha praktizierte selbstverständlich nach wie vor das Brahmacharya (das Zölibat). Dieses brachte Buddha auch deutlich zum Ausdruck, wenn er zu den Mönchen sagte, daß sie sich von der Hingabe zu den Sinnesgenüssen fern halten sollen. Manche verstehen unter dem mittleren Weg, dass man weder ein zu ausschweifendes Sexualleben führen sollte, noch dass man auf Sexualität verzichten muss. Dies mag vielleicht für den Laien gelten, aber derjenige, der das höchste aller spirituellen Ziele, die Selbstverwirklichung, das Samadhi, anstrebt, wie es auch Buddhas Wunsch war, sollte selbstverständlich das Brahmacharya, das Zölibat, beachten. Dies kommt auch in den buddhistischen Ordensregeln [8], den 227 Regeln für die Mönche, zum Ausdruck, in der bereits in der 1. Regel gesagt wird, dass jeglicher Geschlechtsverkehr das Erlösungsbestreben vereitelt und zum Ausschluß aus dem Orden führt. Jeder absichtliche Samenerguss stellt ein Vergehen 13 dar, welches auf der Sammlung des Ordenskapitals beraten werden muß. Der Theravada-Mönch Bhante Henepola Gunaratana sagte in einem Interview über die spirituellen Fortschritte, die Laien erreichen können [9]: „Auch Laien müssen einer Disziplin im Leben folgen; sie müssen eine gewisse Beherrschung üben. Deshalb gibt es auch Vorschriften für Laien. Aber normale Laien müssen nicht enthaltsam sein. Laien können bestimmte Stufen der Erleuchtung erreichen, wir nennen sie „Mitfließende“ oder „Einmal-Wiederkehrende“, bevor sie für sich selbst erkennen, daß sexuelle Aktivität unausweichlich Schwierigkeiten und Probleme mit sich bringt. Laien können sogar die dritte Stufe der Heiligkeit erreichen, wir nennen sie „Nie-Zurückkehrende“. Aber sobald sie einmal diese Stufe erreicht haben, werden sie selbst aus ihrer eigenen Erkenntnis heraus entscheiden, daß eine Verstrickung in die Sexualität den spirituellen Fortschritt blockiert. Sobald sie das erkennen, werden sie freiwillig aufhören, sexuell aktiv zu sein. Wie sie sehen, ist Zölibat also nicht etwas, das mit Zwang oder durch ein Gebot auferlegt werden kann.“ Wenn Buddha vom Weg der Mitte spricht, so meint er damit, dass der nach Selbstverwirklichung Strebende sich von Sinnesgenüssen aller Art, in erster Linie natürlich von sexuellen Genüssen und von strenger Askese fernhalten soll. Gegen eine mäßige Askese, wie das gelegentliche Fasten, wie es auch die buddhischen Mönche an den beiden EkadashiTagen im Monat praktizieren (jeweils 11 Tage nach dem Vollund Neumond), ist dagegen nichts einzuwenden. Wie Buddhas Einstellung zur Sexualität war, geht unter anderem aus der Digha Nikaya 16.5.4 hervor. Ananda fragte Buddha wie man sich Frauen gegenüber verhalten soll: 14 „Wie sollen wir, o Herr, mit den Weibern uns verhalten?“ „Nicht anschauen, Anando.“ „Und wenn, Erhabener, wir sie bereits gesehen haben, wie soll man sich dann verhalten?“ „Nicht ansprechen, Anando.“ „Wenn mich aber eine Frau anspricht, o Herr, wie soll ich mich verhalten?“ „Achtsamkeit bewahren, Anando.“ Das ganze zielt darauf ab, Geistesklarheit zu bewahren, nicht wieder dem Anhaften zu verfallen, nicht den Reizen der Frau zu erliegen, vom Mönchsleben abzufallen und wieder in das gewöhnliche Leben zurückzukehren. In der Angutta Nikaya VIII,56 (Das Elend der Sinneslüste) [15] spricht Buddha: Warum aber, ihr Mönche, bezeichnet man die Sinnenlüste als eine Gefahr? In Sinnengier entbrannt, wird der in seiner Begehrlichkeit Verstrickte nicht frei von den Gefahren gegenwärtigen Daseins, wird er nicht frei von den Gefahren künftigen Daseins. Darum bezeichnet man die Sinnenlüste als eine Gefahr. Als Fährnis (Gefahr), Leiden, Siechtum, Schwären2, als Fessel, Stachel und als Sumpf und auch als Brutstätte der Leiden bezeichnet man die Sinnenlüste, woran die große Menge hängt. Vom Lieblich-Schönen überwältigt, zu neuem Schoße eilt sie hin. Doch wenn den Mönch, der eifrig kämpft, die Geistesklareit nicht verläßt, mag er aus diesem Sumpf sich retten, dem man nur schwer entrinnen kann, 15 und schauen, wie die Welt sich quält, versunken in Geburt und Tod. 2Schwären = eitriges Geschwür In der Majjhima Nikaya 22 III,2 sagt Buddha, dass die sinnlichen Begierden unbefriedigend, voller Leid und Qualen sind und dass das Elend überwiegt. Er vergleicht sie gar mit flammendem Stroh, glühenden Kohlen oder mit einem Schlangenrachen. (Schlangenrachen gleich sind die Begierden, hat der Erhabene gesagt, voller Leiden, voller Qualen, das Elend überwiegt. (M22) Glühenden Kohlen gleich sind die Begierden, hat der Erhabene gesagt, voller Leiden, voller Qualen, das Elend überwiegt. (M54)) Buddha spricht aber auch an anderen Stellen des Palikanon von den sinnlichen Begierden bzw. von der Keuschheit. In der Digha Nikāya, der längere Sammlung seiner Reden [37], spricht er über die Sittsamkeit. Buddha fragt die Mönche, warum der gewöhnliche Mensch über Buddha solch ein günstiges Urteil fällt. Dann zählt er die Gründe auf, warum der gewöhnliche Mensch solch ein günstiges Urteil über ihn hat. Als er auf die Unkeuschheit zu sprechen kommt, sagt er, warum der gewöhnliche Mensch so positiv über Buddha denkt: „Die Unkeuschheit hat er verworfen, keusch lebt er, der Asket Gotamo: fern zieht er hin, entraten der Paarung, dem gemeinen Gesetze.“ Dieselbe Aussagen wiederholt Buddha im Majjhima Nikaya 27, in der mittleren Sammlung [38] Dort sagt Buddha zum Brahmanen Janussoni über den Asketen: „Er ist nun Pilger geworden und hat die Ordenspflichten der Mönche auf sich genommen. Lebendiges umzubringen hat er verworfen, Lebendiges umzubringen liegt ihm fern: ohne Stock, ohne Schwert, fühlsam, voll Teilnahme, hegt er zu allen lebenden 16 Wesen Liebe und Mitleid. Nichtgegebenes zu nehmen hat er verworfen. Gegebenes nimmt er, Gegebenes wartet er ab, nicht diebisch gesinnt, rein gewordenen Herzens. Die Unkeuschheit hat er verworfen, keusch lebt er, fern zieht er hin, entraten der Paarung, dem gemeinen Gesetze. Lüge hat er verworfen, von Lüge hält er sich fern: die Wahrheit spricht er, der Wahrheit ist er ergeben, standhaft, vertrauenswürdig, kein Heuchler und Schmeichler der Welt...“ In der Majjhima Nikaja 38 [39] sagt Buddha zum Mönch Sati über den Asketen (Mönch): „Die Unkeuschheit hat er verworfen, keusch lebt er: fern zieht er hin, entraten der Paarung, dem gemeinen Gesetze. Durch die Erfüllung dieser heiligen Sinnenzügelung empfindet er ein inneres ungetrübtes Glück. Er hat weltliche Begierde verworfen und verweilt begierdelosen Gemütes, von Begierde läutert er sein Herz.“ In der Anguttara Nikaya („Sammlung der Angliederungen“) erzählt Buddha von den acht wunderbaren Eigenschaften, die bei Ugga, einem Hausvater aus Vesali, der zum Mönch wurde, anzutreffen sind. Zuvor hatte Buddha das Elend beleuchtet und mit Ugga über die Hinfälligkeit und Unreinheit der Sinnenlüste und den Segen der Entsagung gesprochen. Nachdem Ugga die Belehrung von Buddha erhalten hatte, nahm er Zuflucht zum Erleuchteten, zur Lehre und zur Mönchsgemeinde, und nahm die Sittenregeln auf sich, mit der Keuschheit als fünftem Gebot. [40] Buddha lehnte nicht nur die übertriebenen Askese und dem Streben nach Sinneslust ab und bezeichnete das Vermeiden dieser Extreme als Mittelweg. Vielmehr lehnte er auch die „Unendlichkeitslehre“ der Sarvastivadin und die „Vernichtungslehre“ der Sautrantikas ab, die einerseits der Seele eine dauerhafte Existenz einräumte und sie als Ausdruck der höchsten Wirklichkeit (Gott) betrachtete und die 17 andererseits wie die Vernichtungslehre davon ausging, dass das Sein in einem unaufhörlichen Bewusstseinsstrom entsteht und wieder vergeht, der mit dem Tode endet. Buddha lehnte auch diese beiden Extreme ab und formulierte einen Mittelweg. Dieser Mittelweg stellte den Menschen in den Mittelpunkt und lehnt sich an die Philosophie der Vernichtungslehre an. Er akzeptierte das permanente Entstehen und Vergehen der körperlichen und geistigen Daseinszustände, beschränkte sich aber auf das jetzige Leben. Genau so, wie Buddha es ablehnte, einen philosophischen Streit über die zeitliche und räumliche Endlichkeit bzw. Unendlichkeit des Universums zu führen, weigerte er sich, Aussagen über die Existenz bzw. Nichtexistenz der Seele zu formulieren. Ihm kam es im wesentlichen auf die Befreiung des Leids im jetzigen Leben an. Das war alles, was für Buddha zählte. Warum sollte er sich also Gedanken über die Existenz einer Seele machen? 3. Die vier edlen Wahrheiten Top Die Frage nach den Ursachen des Leids ist nicht leicht zu beantworten. Wahrscheinlich kann nur jemand die Frage nach den Ursachen des Leids beantworten, dem es gelungen ist, sich von diesem Leid zu befreien. Buddha gehört zu den wenigen Menschen, denen es gelungen ist, sich von diesem Leid zu befreien. Deshalb stellte er nach seiner Erleuchtung in seiner ersten Predigt die These von den vier edlen Wahrheiten auf, die zur Grundlage des Buddhismus wurde. Diese vier edlen Wahrheiten sind: 18 ● Alles Leben ist Leiden. ● Die Ursachen des Leides sind Begehren, Abneigung (negatives Begehren) und Unwissenheit. ● Durch das Erlöschen der Ursachen erlöscht das Leid. ● Der edle achtfache Weg führt zur Aufhebung des Leidens. Der vierfache edle Weg ist also der Schlüssel zum Nirvana, zur Erleuchtung, zur endgültigen Befreiung von allem Leid. Es stellt sich nun die Frage, ob alles Leben wirklich leiden ist. Wenn wir unser eigenes Leben und das Leben anderer Menschen betrachten, dann müssen wir wohl zugeben, dass diese Behauptung richtig ist. Aber das Leiden wird uns nicht in die Wiege gelegt, sondern es entsteht im Laufe des Lebens, weil der Mensch nicht mit der Natur bzw. mit den Naturgesetzen in Einklang lebt. Wir werden also nicht automatisch in ein leidvolles Leben hineingeboren, so wie es manche Menschen behaupten, die an die Reinkarnation glauben, sondern wir erwerben uns dieses Leid im Laufe unseres (jetzigen) Lebens. Die erste der vier edlen Wahrheiten heißt also: Alles Leben ist Leiden. Dazu sagte Buddha zu seinen Jüngern: • • • • • • • Geburt ist leidvoll Altern ist leidvoll Krankheit ist leidvoll Sterben ist leidvoll mit Unlieben vereint sein, ist leidvoll von Lieben getrennt sein, ist leidvoll wenn man etwas, das man sich wünscht, nicht erlangt, ist das leidvoll 19 Buddha betrachtete dabei das Leid aus der Situation des normalen Menschen, der die oben beschriebenen Situationen als leidvoll erfährt. Der selbstverwirklichte Mensch erlebt dieselben Situationen keineswegs als leidvoll. Was sind also die Ursachen dafür, dass der normale Mensch solche Situationen als leidvoll erlebt, während sie das Leben eines selbstverwirklichten (erleuchteten) Menschen keineswegs negativ beeinträchtigen? Dazu sagt Buddha zu seinen Jüngern in der zweiten edlen Wahrheit: Dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von der Entstehung des Leidens: Es ist der Durst (die Gier, das Begehren), der alles wieder von vorne beginnen lässt, der von Freude und Leidenschaft begleitet ist; der Durst nach Sinnenlust, der Durst nach Werden, der Durst nach Vergehen. 3.1 Der Durst nach Werden und Vergehen Top Buddha sieht also in dem Durst nach Sinneslust bzw. in der Gier, in dem Begehren, nach Sinneslust und in dem Durst nach Werden und Vergehen, die Ursachen für unser Leid. Unter dem Durst nach Werden, versteht man den Wunsch nach der Wiedergeburt, nach der Reinkarnation. Viele Menschen hoffen darauf, im nächsten Leben unter einem besseren Stern wiedergeboren zu werden und somit ein angenehmeres Leben zu führen. Dieser Wunsch ist unter esoterisch gesinnten Menschen sehr häufig anzutreffen. In meinen Augen ist die Hoffnung auf eine angenehmere Wiedergeburt, nichts als ein Flucht vor der als unangenehm empfundenen jetzigen Lebenssituation. Sie beruht auf Unwissenheit. Anstatt sich mit den Ursachen seiner Unzufriedenheit, seinem Unglücklichsein, auseinander zu setzen, hofft man auf ein glückliches Leben 20 nach der Wiedergeburt, wobei natürlich niemand weiß, ob es diese Wiedergeburt jemals geben wird. Ausserdem sei darauf hingewiesen, dass jede Wiedergeburt mit neuem Leid verbunden ist. Niemand der auf die Wiedergeburt hofft, sollte also davon ausgehen, in einen paradiesischen Zustand hineingeboren zu werden. Schon allein deswegen ist die Wiedergeburt nicht erstrebenswert. Was allein erstrebenswert ist, ist die vollkommene Befreiung vom Leid im Hier und Jetzt. Dies kommt auch in einem Auszug aus Wolfgang Schumann's Karika (Reimvers) über die Wiedergeburt, das Wieder(da)sein, sehr gut zum Ausdruck: Wiedergeburt - Reinkarnation Nur Leute, deren Einsicht klein, erhoffen sich ein Wiedersein. Die erste Wahrheit sagt: Das Leiden kann kein Geborener vermeiden. Des Buddha zweite Wahrheit sagt warum ans Leid wir festgehakt. Drei Kräfte sind's, die uns verführen hier im Samsāra zu rotieren. Gier, Haß und Wahn sind die Gewalten, die uns ans Leid gefesselt halten. Was wir mit guter Absicht wirken führt uns zu höheren Bezirken. Dagegen zieh'n Gier, Haß und Wahn nach unten auf die Daseinsbahn. 21 Des Buddha Wahrheit Nummer drei ist Folgerung aus Nummer zwei: Gier, Haß und Wahn sind zu beenden, um Wiederdasein abzuwenden. Des Buddha vierte Wahrheit dann gibt uns den Weg zur Freiheit an. Es ist und bleibt ganz obligat der edle achtgliedrige Pfad. Erlösung schafft man nur alleine, Abkürzungswege gibt es keine. Ein Arahat* ist man geworden, wenn Gier und Haß und Wahn erstorben. *Arahat = Buddha, Erwachter Quelle: http://theravada-buddhismus.de/txt_karikas.html Unter dem Durst nach dem Vergehen versteht man die Beendigung des immer wiederkehrenden Daseinskreislaufes. Dieser Daseinskreislauf wird auch als Samsara bezeichnet. Das Samsara ist also der Kreislauf der Wiedergeburten, der Kreislauf des Werdens und Vergehens, des Sterbens und des Wiedergeborenwerdens. Der Kreislauf der Wiedergeburten wird im allgemeinen als leidvoll betrachtet. Darum kann der Wunsch nach einer Reinkarnation, nach einer Wiedergeburt, wie er von vielen Menschen gehegt wird, nicht unbedingt als sinnvoll angesehen werden, da jede Wiedergeburt als leidvoll angesehen werden kann. Außerdem sind die Vorstellungen von der Wiedergeburt nichts als eine Theorie, für die es keinerlei Beweise gibt und die in keinster Weise irgendwie dazu 22 beitragen, dass das momentane Leben in irgendeiner Form glücklicher wird. Ist es aber nicht unser innigster Wunsch, jeden Augenblick des Lebens auskosten zu können? Wird unser Leben aber vom Leid bestimmt, dann sollten wir nach den Gründen für dieses Leid suchen und unser Leben entsprechend verändern. Dies allein ist die Gewähr dafür, dass man das Leben nicht als leidvoll, sondern als lustvoll empfindet. Das Leid wird nach den Vorstellungen Buddhas erst ein Ende haben, wenn man den Durst nach der Sinneslust, sowie den Durst nach Werden und Vergehen abgelegt hat, wenn Gier, Hass und Wahn aus dem Leben verschwunden sind. 3.2 Der Durst nach Sinneslust Top Buddha geht auch auf den Durst nach der Sinneslust ein. Was ist unter dem Durst nach Sinneslust zu verstehen? Dazu sagt Buddha: „Es gibt, ihr Mönche, sechs Typen von Durst: Durst nach körperlichen Formen, Durst nach Tönen, Durst nach Gerüchen, Durst nach Geschmack, Durst nach Tasten und den Durst nach Vorstellungen. Dies, ihr Mönche, versteht man unter Durst.“ Diese sechs Typen des Durstes sind mit den Begierden der fünf Sinne identisch, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen, denen man den Geist (Verstand) hinzufügt, der die emotionalen, intellektuellen, bewussten und unbewussten Sinneseindrücke wahrnimmt, sie bewertet und verarbeitet. Unter dem Durst nach Formen versteht man den ästhetischen Genuss aller Dinge, die wir mit dem Auge wahrnehmen. Hierzu gehört in erster Linie die Begierde, sich an einem schönen Körper zu erfreuen, wobei das erotische Empfinden natürlich eine große Rolle spielt. Geht man durch die Straßen, 23 so sieht man immer wieder, wie sich die Männer nach hübschen Frauen umschauen. Aber auch Frauen finden natürlich an hübschen Männern gefallen. Es sind aber auch viele andere Dinge, die unser Auge erfreut. Wandern wir durch die Straßen, durch die Gärten und Parks oder bewegen wir uns in freier Natur, so erfreuen wir uns an der Architektur, an dem regen Treiben, welches auf den Straßen herrscht, am Blau des Himmels, an der Schönheit der Bäume, der Blumen, am Grün der Wiesen, an der Schönheit der Landschaften, die von Bergen, Seen und Wäldern umgeben sind. Auch Kunstwerke über einen starken Reiz auf uns aus. Geht man ins Kino, dann vor allem deshalb, weil sich das Auge an der bunten Vielfalt der Bilder berauscht. All dieses nehmen wir visuell wahr und erfreuen uns daran. Daran ist eigentlich nichts Verwerfliches. Zum Problem wird es erst, wenn der visuelle Durst zur Abhängigkeit führt. Ein Beispiel hierfür ist die Sucht nach erotischen Bildern oder Filmen. Auch der Durst nach Tönen ist im allgemeinen sehr stark ausgeprägt. An vielen Stundes des Tages sind wir von Musik umgeben. Musik kann natürlich etwas sehr Angenehmes sein. Sie kann unser Leben bereichern, sie kann uns in eine andere Welt davontragen, in der wir uns glücklich und zufrieden fühlen, in der wir die Sorgen des Alltags vergessen und in der wir genussvoll den Klängen der Musik lauschen. Musik kann uns zum Tanzen, Träumen und zum Mitsingen anregen. Musik kann aber auch eine Ersatzbefriedigung sein. Ich glaube, dass Menschen, die wirklich in sich ruhen, einen tiefen inneren Frieden in sich verspüren. Mir scheint, für sie ist die Stille die schönste Musik. Sie sind so mit sich im Einklang, dass sie keiner äußeren Geräuschkulisse bedürfen, um glücklich zu sein. Da die meisten Menschen diesen inneren Frieden 24 alledings verloren haben, entspricht die äußere Geräuschkulisse in etwa ihrer inneren Unruhe. Der Durst nach Gerüchen scheint beim Menschen nicht so stark ausgeprägt zu sein. Der Mensch ist zwar in der Lage, zwischen Tausenden von verschiedenen Gerüchen zu unterscheiden, aber er hat Schwierigkeiten, diese Gerüche im einzelnen zu benennen. Bestimmte Gerüche können ganz bestimmte Emotionen hervorrufen. In der Tierwelt haben Gerüche eine sehr viel größere Bedeutung als beim Menschen. Der Geruch ist eng an das unbewusste vegetative Nervensystem gekoppelt, dass alle Funktionen des Organismus steuert und dadurch unser Fühlen und Handeln beeinflusst. Zum Durst nach Geschmack lässt sich natürlich eine ganze Menge sagen. Wir leben mittlerweile in einer Gesellschaft, in der das Übergewicht zur Normalität geworden ist. Übergewicht, Bewegungsmangel und ein gestörtes Essverhalten gehen dabei Hand in Hand. Das übermäßige Essen kann dabei vielfach als eine Ersatzbefriedigung für eine geringe Zuwendung oder für ein erlittenes oder empfundenes Unrecht betrachtet werden. Man stopft gewissermaßen seinen Kummer in sich hinein. Hierbei spielt auch die Einnahme von zuckerhaltigen Lebens- und Genussmitteln eine große Rolle. Der Genuss des ungesunden Zuckers kann als eine seelische Streicheleinheit verstanden werden, die als Ersatz für die erfahrene Lieblosigkeit, Rücksichtslosigkeit oder emotionale Verletzung, die man erfahren hat, dienen kann. Das übermäßige Essen soll aber auch das Unglücklichsein, welches man tagtäglich verspürt, kompensieren. Anstatt sich mit den Ursachen dieses Unglücklichseins auseinander zu setzen, verschafft man sich durch das Essen einen der wenigen 25 glücklichen Momente, in dem man seinen Kummer für ein Weilchen vergisst. An die Folgen solch einer ungesunden Ernährung wird dabei oft nicht gedacht. Im Vordergrung steht die orale Sinneslust, die aus einer allgemeinen Unzufriedenheit heraus geboren wird. Unter dem Durst nach Tasten versteht man die körperliche Berührung eines anderen Menschen. Diese liebevolle Berührung ist eine wichtige soziale und emotionale Komponente im Leben der Menschen. Sie beginnt mit der liebevollen Fürsorge und Aufmerksamkeit, mit der Eltern ihrem Kind begegnen. Hat das Kind das Gefühl, von den Eltern geliebt zu werden, dann kann es gesund aufwachsen. Es kann zu einer starken und selbstbewussten Persönlichkeit heranreifen. Fehlt allerdings das Gefühl der Geborgenheit, der liebenvollen Zuwendung für das Kind, dann entwickelt das Kind meist irgendwelche Eigenheiten, um auf seine emotionalen Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Jedes Kind hat es gerne, wenn es auf den Arm genommen wird, wenn es von den Eltern liebkost und gestreichelt wird, wenn es von der Mutter an die Brust gelegt wird und die Wärme und Geborgenheit der Mutter spürt. Erfährt das Kind diese liebevolle körperliche Zuwendung nicht, dann kann es nicht gesund aufwachsen. Es hat das Gefühl, nicht geliebt zu werden. Solche Erfahrungen hinterlassen beim Kind oft eine tiefe Traurigkeit, die später in einer depressiven Lebenseinstellung zum Ausdruck kommen kann. Der Durst nach Tasten drückt sich beim Erwachsenen neben einer natürlichen Neugier und einem natürlichen Interesse am anderen (gleichem) Geschlecht, auch im erotischen Begehren aus. In erster Linie sehe ich eine sexuelle Abhängigkeit als 26 Ursache für dieses erotische Begehren, die sich bei den meisten Männern durch ihren Umgang mit ihrer eigenen Sexualität herausbildet. Welches Verhältnis Männer im Allgemeinen zu ihrer Sexualität haben, kommt durch die Worte Swami Chidanandas sehr gut zum Ausdruck: „Der einzige Vorgang, den die meisten Menschen mit Zielstrebigkeit ausführen, nach dem sie großes Verlangen haben, den sie wollen, an den sie denken, den sie planen und hinter dem sie her sind, ist die sexuelle Befriedigung. Was bedeutet, daß dies ein Vorgang ist, der ihr gesamtes Bewußtsein, ihren ganzen Geist und ihre volle Aufmerksamkeit auf das Körperliche, auf ihre physische Identität lenkt. Einerseits ist der Geschlechtsakt der Gipfel der Körperlichkeit oder Animalität. Es ist ein Prozeß, der notgedrungen die gesamte Aufmerksamkeit auf das Körperliche und noch mehr die volle Konzentration des Wünschens und Strebens auf den Teil der physischen Natur lenkt, den der Mensch mit dem gesamten Tierreich teilt. Wird dies irgendwie dazu beitragen, kosmisches Bewußtsein zu erlangen? Da ist also ein Mensch, die Krone und erhabener Ausdruck der Schöpfung Gottes, allen anderen Lebewesen weit überlegen, der sich zur grobstofflichen, physischen, materiellen und animalischen Ebene herabläßt und sich ihr völlig hingibt: Er sucht es, er will es, er bemüht sich darum, er tut alles, um es zu bekommen, er läßt sich darin gehen, und er will, daß es immer 27 verfügbar ist. Das heißt, der Mensch bindet sich mit voller Absicht an eine Ebene des physischen Bewußtseins. Wenn du ein spirituell Suchender bist, kannst du denn nicht erkennen, daß du dir selbst im Wege stehst? Du mußt das Bewußtsein aus den niederen Ebenen befreien und fortwährend zu immer höheren und höheren Ebenen feinerer und immer subtilerer Zustände erheben. Denn wenn der gesamte spirituelle Prozeß von Erleuchtung und Erkenntnis ein Prozeß des sich Erhebens zu einem höheren Bewußtseinszustand ist, impliziert das automatisch, daß man sich aus einem niederen Bewußtseinszustand befreit. Wenn du nach Norden gehen willst, bewegst du dich automatisch vom Süden weg. Und eines der Dinge, die dabei helfen, sich aus der Gefangenschaft auf dieser physischen Ebene zu befreien, ist Enthaltsamkeit. Das kosmische Bewußtsein, das absolute Bewußtsein, ist Lichtjahre entfernt, wenn man nicht die Notwendigkeit erkennt, sich von der absoluten Identifikation mit dem Körper zu befreien.[10] Zum Schluss der Betrachtung des Durstes nach Sinneslust soll über den Durst nach Vorstellungen gesprochen werden. Der Durst nach Vorstellungen kann viele Gesichter haben. Schauen wir uns einmal an, wie oft uns erotische Phantasien durch den Kopf gehen. Wie vielfältig sind unsere erotischen Phantasien? Es fallen einem ständig neue erotische Phantasien ein, die man gerne erleben würde. Die erotischen Wünsche sind schier grenzenlos. Unser Denken kreist pausenlos um alle möglichen 28 erotischen Phantasien und hält uns dadurch davon ab, unser Leben spirituell auszurichten. Dasselbe gilt für all die Dinge, die wir eines Tages gerne besitzen würden, all den Reichtum, mit dem wir uns gerne umgeben würden. Dabei vergessen viele Menschen, dass all dieser Reichtum nicht wirklich glücklich macht. Ich möchte nicht ableugnen, dass ein gewisser Reichtum, mit dem man verantwortungsvoll umgeht, den Menschen ein gewisses Gefühl der Sicherheit vermitteln kann. Dafür habe ich durchaus Verständnis. Dabei setze ich allerdings voraus, dass man verantwortungsvoll mit diesem Reichtum umgeht. Wie schnell diese Sicherheit allerdings verfliegen kann, hat die Finanzkrise im September/Oktober 2008 gezeigt, als die Börsenkurse an der Wallstreet innerhalb weniger Wochen abstürzten und viele Kapitalanleger ihr gesammtes Geld verloren. Viele Menschen aber können nicht genug bekommen. Sie häufen immer und immer mehr Reichtum an und sie gehen derart verschwenderisch und verantwortungslos mit ihrem Reichtum um, dass man sich wundert, dass sie dabei kein schlechtes Gewissen haben. Der Durst nach Vorstellungen kommt auch in unseren negativen Emotionen zum Ausdruck. Wir alle haben in unserem Leben negative und verletzende Erfahrungen machen müssen, die unser Verhältnis und unseren Umgang mit den Mitmenschen geprägt haben. Diese Erfahrungen können so traumatisch gewesen sein, dass sich in uns Angst, Wut, Traurigkeit oder andere negative Emotionen angestaut haben, die in allen unseren Entscheidungen, die wir treffen, mit einfliessen. Diese negativen Erfahrungen können sich gegen einzelne Menschen, gegen einem bestimmten Personenkreis oder gegen alle Menschen richten. Diese traumatischen Erfahrungen bilden oft die Grundlage für die Wut, die Angst 29 und die Traurigkeit, die sich tief und fest in uns eingenistet hat. Wie oft wird man von dieser Wut dominiert und verschwendet seine Zeit damit, sich in seiner Vorstellung all das auszumalen, was man dem oder den betreffenden Menschen gerne antun würde, um sich für das empfundene Unrecht zu rächen. Es gibt sicherlich noch andere Formen des Durstes nach Vorstellungen, aber die angeführten Beispiele sollen erst einmal genügen. 4. Der edle achtfache Pfad Top In der dritten edlen Wahrheit sagt Buddha: „Durch das Erlöschen der Ursachen erlöscht das Leid.“ Wie aber beseitigt man die Ursachen des Leids? Dazu sagt Buddha in der vierten edlen Wahrheit: „Der edle achtfache Weg führt zur Aufhebung des Leidens.“ Dies ist eine Aussage, die auf Anhieb vielleicht nicht in ihrer Tiefe erkannt wird, denn hinter dieser Aussage verbirgt sich eine Philosophie, die alle Bereiche des menschlichen Lebens umfasst. Wie sieht dieser edle achtfache Pfad aus? Hierzu sagt Buddha: „Dies, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit, der zur Aufhebung des Leidens führenden Weg:“ • • • • • • • • rechte Erkenntnis rechte Gesinnung rechte Rede rechte Tat rechter Lebenserwerb rechte Anstrengung rechte Achtsamkeit rechte Sammlung Buddha geht auch auf den edlen achtfachen Pfades ein und 30 erläutert, was er im einzelnen darunter versteht: • • „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Erkenntnis? Es ist das Erkennen des Leidens, der Leidensentstehung, der Leidenserlöschung und des zur Leidenserlöschung führenden edlen achtfachen Pfades.” „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Gesinnung? Es ist eine Gesinnung frei von Sinnenlust, Haß und Grausamkeit.” • „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Rede? Vermeidung von Lüge, Hinterbringung, roher Rede und törichtem Plappern.” • „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Tat? Vermeidung von Töten (Verletzen) lebender Wesen, Stehlen und sexueller Ausschweifungen.” • „Was aber, ihr Mönche, ist rechter Lebenserwerb? Daß da der edle Jünger einen verkehrten Lebenserwerb vermeidend sich auf eine rechte Weise seinen Lebensunterhalt verdient.” • „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Anstrengung? Da erweckt der Mönch in sich den Willen, unaufgestiegene üble, unheilsame Dinge nicht aufsteigen zu lassen, aufgestiegene üble, unheilsame Dinge zu überwinden, unaufgestiegene heilsame Dinge zu erwecken, aufgestiegene heilsame Dinge festzuhalten und nicht schwinden zu lassen, sondern zum Wachsen und Gedeihen und zur vollen Entfaltung zu bringen. Und er müht sich ab, bietet alle Willenskraft auf, treibt seinen Geist an und kämpft.” • „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Achtsamkeit? Da verweilt der Mönch in Betrachtung des Körperlichen, 31 der Gefühle, des Bewußtseins, der Geistobjekte, eifrig, klarbewußt, achtsam, weltliche Begierde und Kummer verwerfend.” • „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Sammlung? Da tritt der Mönch, den Wunschobjekten entrückt, losgelöst von den unheilsamen Dingen in die erste Vertiefung ein, in die zweite Vertiefung, die dritte Vertiefung und schließlich in die vierte Vertiefung.” 4.1 Rechte Erkenntnis Top Buddha: „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Erkenntnis? Es ist das Erkennen des Leidens, der Leidensentstehung, der Leidenserlöschung und des zur Leidenserlöschung führenden edlen achtfachen Pfades.” Die rechte Erkenntnis ist mit den vier edlen Wahrheiten identisch. Die vier edlen Wahrheiten beinhalten das Erkennen des Leidens, der Leidensentstehung, der Leidens(v)erlöschung und des zur Leidenserlöschung führenden edlen achtfachen Pfades. Nun sollen die übrigen sieben Glieder des edlen achtfachen Pfades einmal genauer betrachtet werden: rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Tat, rechter Lebenserwerb, rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung. 4.2 Rechte Gesinnung Top Buddha: „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Gesinnung? Es ist eine Gesinnung frei von Sinnenlust, Haß und Grausamkeit.” Rechte Gesinnung bedeutet: Keine Begehrlichkeiten, keine Sinneslust und keine Leidenschaften mehr in sich zu erzeugen, 32 keinen Hass mehr zu hegen und kein Leid zu verursachen. Es ist eine Gesinnung frei von Sinnenlust, Hass und Grausamkeit. Rechte Gesinnung bedeutet, allen Lebewesen gegenüber Wohlwollen zu praktizieren. Es geht darum, die eigenen Gedanken ständig zu prüfen. Handelt es sich um einen heilsamen Gedanken, also einen Gedanken, der mir und anderen Freude bereitet, oder um einen unheilsamen Gedanken, der mir und anderen Leid beschert. Gegenüber allen anderen Lebewesen ist Wohlwollen und Respekt zu praktizieren. Rechte Gesinnung bedeutet, gute Gedanken zu fördern und schlechte zu vermeiden. Diesen Zustand erreicht man normalerweise nach einem längeren spirituellen Leben. Im Laufe der spirituellen Entwicklung nimmt zunächst die Sinneslust, später nehmen aber auch Wut, Trauer, Hass, Angst und psychosomatische Erkrankungen immer weiter ab. Zuerst klingt allmählich die sexuelle Begierde ab und verschwindet am Ende ganz. Dies empfindet man, wenn man zuvor sehr von ihr bedrängt wurde, als eine große Erleichterung. Nun verändert sich der Fokus des Lebens. Die Gedanken kreisen nicht mehr um alle möglichen erotischen Fantasien, sondern sie können sich anderen Dingen zuwenden. Das Auflösen der negativen Emotionen (Wut, Trauer, Hass, Angst, usw.), geschieht am Ende des spirituellen Weges. Diese Emotionen konzentrieren sich gewissermaßen im Nabelzentrum. Das Nabelzentrum wird im japanischen Zen als Hara und im chinesischen Qi Gong als Dan Tien (Tan Tien) bezeichnet. Sie werden als Hauptenergiezentrum betrachtet. Im Nabelzentrum drücken sich unsere Emotionen aus. Wut Trauer, Hass und Angst machen sich besonders im Nabelzentrum 33 bemerkbar. Erschrecken wir uns, dann zucken wir zusammen, legen die Hände schützend auf den Bauch und bekommen Magenschmerzen. Wird die Angst chronisch, dann stellen sich permanente Magenschmerzen ein. Der Bauch ist das Zentrum der Kraft, das Zentrum unserer Energie. Ist er gesund, dann verspürt man einen sehr angenehmen und intensiven Energiestrom aus dem Nabelzentrum. Doch außerhalb des asiatischen Raums wird kaum eine andere Körperregion so lieblos betrachtet wie das Nabelzentrum. Bei der Auflösung von negativen Emotionen ist die Meditation sehr behilflich. Erreicht man tiefere meditative Zustände, dann beginnen die Energien im Körper zu fließen. Erreicht man tranceähnliche Zustände, dass spürt man, dass sehr angehme Energieströme beginnen, sich vom Nabelzentrum ausgehend, im ganzen Körper ausbreiten. Sind diese Energieströme stark genug, dann haben sie die Kraft, die Energieblockaden, die vermutlich nichts anderes sind, als jahrzehntelang verdrängte Hass- und Trauergefühle, langsam und allmählich aufzulösen. Wenn man einen spirituellen Weg beschreitet, dann sollte man sich darüber im Klaren sein, dass dies ein Weg ist, der das ganze zukünftige Leben bestimmt. Man sollte erkennen, dass man in der Regel viele Jahre bzw. Jahrzehnte ein Leben geführt hat, welches gegen die Naturgesetze verstieß, auch wenn einem dies nicht bewusst war. War das Leben z.B. Jahrzehnte lang auf die Sexualität fixiert, dann kann man die sexuelle Abhängigkeit nicht von heute auf morgen auflösen. Meist braucht man viele Jahre, um sich von dieser Abhängigkeit zu befreien. Hat jemand nicht die Geduld und Ausdauer, diese Veränderungen abzuwarten, dann wird er irgendwann resigniert seinen spirituellen Weg beenden. Ebenso ist es mit einem ungesunden 34 Essverhalten. Hat man viele Jahre lang seinen Kummer in sich hineingestopft, dann ist es ein langer und schwerer Weg, dieses Essverhalten zu verändern. Dieses gilt eigentlich für alle Abhängigkeiten. So besteht die Abhängigkeit von harten Drogen im Durchschnitt 15 Jahre, bis der Drogenabhängige, wenn er nicht zuvor gestorben ist, die Kraft gefunden hat, sich von seiner Drogensucht zu befreien. Leider wird die Drogensucht allzuoft nur durch eine Ersatzdroge, wie Methadon, Alkohol- oder Tabletten ersetzt. 4.3 Rechte Rede Top Buddha: „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Rede? Vermeidung von Lüge, Hinterbringung, roher Rede und törichtem Plappern.” Die rechte Rede zu beherrschen, ist eine Kunst für sich. Die rechte Rede beginnt im Grunde genommen bereits mit dem rechten Zuhören. Sehr vielen Menschen fällt es schwer, anderen zuzuhören. Es ruft bei ihnen sehr oft Emotionen hervor, die sie nicht kontrollieren können und deshalb reagieren sie oft sehr emotinal auf das Gesagte. Um sich diesen ungeliebten Emotionen zu entziehen, verfallen einige in einen unentwegten Redefluss. Mir ist dies in letzter Zeit besonders oft aufgefallen, wenn ich mich mit Menschen über kontroverse Themen unterhielt. Mir ist aufgefallen, dass offensichtlich viele Menschen dazu neigen, in einen permanenten Redeschwall zu verfallen, um den anderen daran zu hindern, etwas zu sagen, was sie verletzen könnte, obwohl es überhaupt nicht die Absicht des Gegenüber ist. So hält man den anderen davon ab, Dinge zu sagen, die einem nicht behagen. Dies ist eine Form des Selbstschutzes, die allerdings nicht von großem Mut 35 gekennzeichnet ist. Viele Menschen verschließen sich sehr schnell, wenn sie merken, dass Dinge angesprochen werden, die ihnen unangenehm sind. Oft stellt man sich nicht die Frage, warum dieses Unbehagen, diese Wut, überhaupt entsteht, sondern man schleudert sie in seiner Erregung einfach dem anderen entgegen. Zur rechten Rede gehört darum unbedingt das Bemühen, dem Anderen mit Freundlichkeit und Höflichkeit zu begegnen und alles zu vermeiden, was ihn verletzen könnte. Dies erfordert in einer Diskussion, in der es um persönliche Emotionen geht, ein gutes Einfühlungsvermögen. Man sollte es unter allen Umständen vermeiden, in seiner Wut Dinge zu sagen, die den anderen verletzen und die man hinterher bereut. Bemerkt man, dass man wütend ist, dann ist es besser, zu schweigen und eventuell seines Weges zu gehen, als seiner Wut freien Lauf zu lassen. Zur rechten Rede gehört natürlich auch, dass man keine Unwahrheiten verbreitet und dass man nicht schlecht über Andere redet. Zur rechten Rede gehört, dass man dem anderen zuhört, dass man ihn ausreden lässt und dass man selber freundlich und höflich bleibt, wenn man sich mit ihm unterhält. Gelingt einem dies nicht, dann sollte man sich Gedanken machen, warum einem dies schwer fällt. Rechte Rede beinhaltet auch, dass man sich nicht in obszöner oder abwertender Weise gegenüber anderen Menschen oder gegenüber dem anderen Geschlecht äußert. 4.4 Rechte Tat Top Buddha: „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Tat? Vermeidung von Töten lebender Wesen, Stehlen und Ehebrechen.” 36 Unter der rechten Tat versteht Buddha das Vermeiden des Tötens, des Stehlens und das Vermeiden des Ehebruchs. Die rechte Tat spricht zwar von der Vermeidung des Tötens, aber im Grunde genommen sollte nicht nur das Töten vermieden werden, sondern jegliches Verletzen anderer Personen. Diese Tugend hat im Jainismus einen besonders hohen Stellenwert. Die Gewaltlosigkeit gilt als oberstes Prinzip im Jainismus. Die Jains befolgen dieses Gebot konsequent. Manche tragen sogar einen Mundschutz, um die kleinsten Lebewesen (Fliegen, Mücken, etc.) nicht zufällig zu töten (einzuatmen). Andere fegen die Strasse sauber, bevor sie darüber laufen. Sie essen weder Kartoffeln, Zwiebeln, Erdnüsse oder Knoblauch, aus Angst, dass sie die daran haftenden Lebewesen töten könnten. Da die Jains alles Leben achten, sind sie Vegetarier und einige auch Veganer. Lebensmittel wie Milch, Butter, Käse und Honig, sind nicht erlaubt, da sie Tieren schaden. Im Janismus ist es den Anhängern auch verboten Alkohol zu trinken und zu rauchen. Auch bei der Kleidung müssen sich Jains einschränken und auf Leder, Seide oder Pelze verzichten. Kurzum, alle Dinge des täglichen Lebens, bei denen Tiere zu Schaden kommen können, sind im Jainismus nicht erlaubt. Diese strikte Lebensweise hat auch Auswirkungen auf die Berufswahl der Jains. Da Berufe, in denen Menschen oder Tiere getötet werden können für einen Jain Tabu sind, arbeiten sie meist im Dienstleistungssektor, in der Verwaltung, im EDVBereich oder in kaufmännischen Berufen. Ackerbau ist den Jains verboten, weil sie beim Aufreißen der Erde Insekten und Würmer töten könnten. Deswegen wurden sie Handelsleute und dadurch oft sehr reich. Viele Jains gehen nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr ins Freie, weil sie unbeabsichtigt auf ein Insekt treten könnten. 37 Strenge Jain filtern sogar ihr Trinkwasser, um Kleinstlebewesen nicht zu verschlucken. Bei all diesen Bemühungen um das Leben scheint es daher nicht erstaunlich, dass es in Delhi ein Vogelkrankenhaus gibt, welches von Jains ins Leben gerufen wurde. Im Jainismus wird auch das Brahmacharya praktiziert, welches allerdings von den Laien und Mönchen unterschiedlich praktiziert wird [1] Ich möchte damit nicht sagen, dass nun alle Menschen wie Jains leben sollten, aber mich hat diese Lebenseinstellung doch sehr beeindruckt. Obwohl der Buddhismus das Töten lebender Wesen als eine Sünde betrachtet, betrachtet Buddha den Fleischgenuss nicht unter allen Umständen als eine unmoralische Handlung. Mit dieser Entscheidung dürften manche Vegetarier oder Veganer so ihre Probleme haben. (Veganer lehnen den Konsum tierischer Produkte generell ab. Sie verzichten daher neben dem Fleisch auch auf Eier, Milch, Käse, Honig, Gelantine und andere tierische Produkte, wie etwa Leder, Seide und Pelze.) Im Buddhismus ist der Fleischgenuss aus drei Gründen verboten und zwar dann, wenn man 1. gesehen hat, dass ein Tier für einen persönlich getötet wurde, wenn man 2. davon gehört hat oder wenn man 3. vermutet, dass das Tier für einen persönlich getötet wurde. Sollte man also gesehen haben, gehört haben oder vermuten, dass das Tier für einen persönlich getötet wurde, das Fleisch aber trotzdem essen, so würde man damit das Töten des Tieres tolerieren und den Tiermörder in seinem Handeln bestätigen. Dass Buddha selber auch bisweilen Fleisch gegessen hat, geht eindeutig aus einigen Stellen des Palikanons, der Sammlung, in der die Dialoge und Lehrreden Buddhas aufgezeichnet sind, hervor. Im Korb der 38 Ordensregeln, die Buddha für die Mönche zusammenstellte, wird berichtet, daß Buddha den Vorschlag Devadattas, den Mönchen den Fleischgenuß zu verbieten, scharf zurückwies. Er verbot den Mönchen allerdings den Fleichgenuß von zehn Fleischarten und zwar des Fleisches von Menschen, Elefanten, Pferden, Hunden, Leoparden, Löwen, Tigern, Hyänen, Bären und Schlangen. Allen buddhistischen Novizen und Mönchen ist es übrigens nach den Sittenregeln untersagt, nach 12 Uhr mittags noch etwas zu essen. Ich finde, im Punkt des Tötens der Tiere war Buddha nicht besonders konsequent. Entweder betrachtet man das Töten der Tiere generell als verwerflich oder man akzeptiert es. Mir scheint, in diesem Punkt war das Christentum konsequenter, denn die ersten Christen waren offensichtlich Vegetarier. So wird von den apocryphen Schriften gesagt (die apocryphen Schriften sind die Texte, die keine Aufnahme in die Bibel fanden), dass Jesus und seine Jünger Vegetarier waren. So berichtet der Religionswissenschaftler Carl Anders Skriver in seinem Buch „Die Lebensweise Jesus und der ersten Christen“, dass Petrus, einer der bekanntesten Jünger Jesus in den „Clemetinischen Homilien (Predigten)“ um 220 nach Christus erklärte, dass er sich nur von Brot und Oliven ernähre, dem er gelegentlich Gemüse hinzufüge. Ähnliches wird von den Jüngern Matthäus und Matthias berichtet. Der Kirchenvater Clemens von Alexandrien schrieb im 3. Jahrhundert über Matthäus, dass dieser, ebenso wie der Jünger Matthias, der nach dem Tod von Judas in den Kreis der zwölf Jünger hinein gewählt wurde, „von Pflanzenspeisen lebte und kein Fleisch berührte“. Der Religionswissenschaftler Skriver ergänzt, dass nach dem Zeugnis der Schriftsteller des 2. Jahrhunderts auch die Apostel Andreas, Philippus und Thomas sowie die 39 Evangelisten Markus und Lukas Vegetarier waren. Das Vermeiden des Diebstahl versteht sich eigentlich von selbst. Jeder, der einmal bestohlen wurde, auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, weiß wie verletzend so etwas sein kann. Und trotzdem haben wohl die meisten bereits einen Diebstahl begangen. Meistens geschah es in der Kindheit und Jugend. Wird man erwachsen, dann lässt man meist davon ab. Begeht jemand im Erwachsenenalter immer noch Diebstähle, ich meine jetzt nicht aus einer Not heraus, dann sollte das zu denken geben. Das Vermeiden des Ehebruchs ist ein hohes ethisches Ziel. Viele Menschen haben schon erlebt, wie verletzend es sein kann, wenn man von seinem/seiner Freund/in oder von seinem/ seiner Ehepartner/in betrogen wird. Schon manche Ehe ist am Ehebruch gescheitert. Die Sexualität übt einen starken Reiz auf uns aus und lässt alle möglichen erotischen Fantasien aufsteigen. Mir scheint, Männer unterliegen diesen Versuchungen leichter als Frauen. Aus diesem Wunsch heraus hat sich einerseits die Prostitution und andererseits die Pornografie entwickelt, die sich überwiegend an die Männer richtet. Zehn bis fünfzehn Milliarden Dollar gibt Amerika jedes Jahr für Pornografie aus. Dies ist mehr, als für Kinokarten, Schallplatten oder Videospiele, mehr, als für die Nationalsportarten Football, Baseball und Basketball zusammen ausgegeben wird. Und bei durchschnittlichen Produktionskosten von 50.000 Dollar pro Film, fallen bei 250.000 Dollar Umsatz Gewinnspannen an, für die man in Hollywood in die Chefetage befördert würde. Die weiterhin rasante Entwicklung der neuen Medien verspricht eine goldene Pornozukunft. Branchenkenner rechnen nach den Einführungen 40 von Breitbandkabel, Internet II und Video-On-Demand mit bis zu zehnfachen Profitsteigerungen. Das wäre dann ein Branchenumsatz mit zwölf Nullen. Durchaus realisitisch, denn für die neue Medienlandschaft ist die Pornoindustrie der ideale Content Provider. Welche Blüten die Prostitution mittlerweile trägt, kann man daran erkennen, dass Zwangsprostitution, drogenbedingte Prostitution, Menschenhandel und Kinderprostitution fast zum Alltag in unserer Gesellschaft geworden sind. Auch die Pornographie geht dank der neuen Medien goldenen Zeiten entgegen. Daran in etwa kann man erkennen, welchen Stellenwert die Sexualität in unserer Gesellschaft einnimmt. Im Koran heißt es in Sure 24, Vers 2, dass die Ehebrecherin und der Ehebrecher mit je 100 Peitschenhieben bestraft werden müssen. In einigen islamischen Staaten, in denen die Scharia, das islamische Rechtswesen angewandt wird, drohen Ehebrechern teilweise drakonische Strafen (z.B. im Sudan, in Jemen und in Mauretanien). Danach wird bei Ehebruch, egal ob bei Mann oder Frau, die Todesstrafe durch Steinigung vollstreckt. Dieses Denken sollten wir uns natürlich nicht zum Vorbild machen, aber es zeigt, wie unterschiedlich der Ehebruch in verschiedenen Kulturen bewertet wird. In der einen Kultur wird es fast als Kavaliersdelikt betrachtet, in einer anderen Kultur mit stengen Strafen geahndet. Ich weiß, wie verlockend das Fremde sein kann. Diese Verlockungen entstehen aber nur dadurch, dass sich die Gedanken unentwegt in erotischen Fantasien verlieren. Der Brahmachari aber sollte sich auf die Keuschheit und seinen spirituellen Fortschritt besinnen und alle erotischen Gedanken unmittelbar verscheuchen. Nur dann wird er seine Ruhe davor haben. 41 4.5 Rechter Lebenserwerb Top Buddha: „Was aber, ihr Mönche, ist rechter Lebenserwerb? Daß da der edle Jünger einen verkehrten Lebenserwerb vermeidend sich auf eine rechte Weise seinen Lebensunterhalt verdient.” Auf den rechten Lebenserwerb legte Buddha großen Wert. Es geht dabei um die Art und Weise, wie man seinen Lebensunterhalt verdient. Unter dem rechten Lebenserwerb versteht man, einen Beruf auszuüben, der mit den ethischen Vorstellungen eines spirituellen Menschen vereinbar ist. Ein spiritueller Mensch sollte nach Buddhas Vorstellungen, keinen Beruf ausüben, bei dem einem anderen Lebewesen Leid zugefügt wird oder bei dem es womöglich sogar getötet wird. In der Anguttara Nikaya 5,177 beschreibt Buddha fünf verwerfliche Berufe: “Fünf Arten des Handels, ihr Mönche, sollte der Laienjünger nicht ausüben. Welche fünf? 1. den Handel mit Waffen 2. den Handel mit Lebewesen 3. den Handel mit Fleisch 4. den Handel mit Rauschmitteln 5. den Handel mit Giften „Diese fünf Arten des Handels, ihr Mönche, sollte der Jünger nicht ausüben.” Der Handel mit Fleisch schließt auch die Tierzucht, das Schlachten und den Verkauf der Tiere mit ein. Zu den Rauschmitteln zählt neben den Drogen auch der Alkohol. Buddha hielt den Beruf des Schlachters, Jägers, Vogelfängers, Fallenstellers, Fischers, Soldaten, Henkers, Kerkermeisters, Waffenhändlers, des Drogen- und Tierhändlers mit der rechten Lebensführung für unvereinbar. Jemand, der 42 dem Achtfachen Pfad folgt, solte also nicht im militärischen Bereich, auf einem Schlachthof, im Spirituosengeschäft, in einer Fabrik, in der Pflanzenschutzmittel, Insektizide, Rodentizide (Rattengifte) oder Kampfstoffe hergestellt werden arbeiten. Er sollte ebenfalls nicht in einem Industriebetrieb arbeiten, der den Umweltschutz vernachlässigt, wodurch wildlebende Pflanzen und Tiere gefährdet werden. Weiter sollte er in keinem Spielsalon oder in einem Bordell arbeiten. Das Jagen und Fischen sollte er ebenfalls unterlassen. Kurz gesagt, ein Buddhist sollte keine Arbeit verrichten, die anderen Lebewesen oder der Umwelt schadet. Der Lebenserwerb findet im Rahmen der Gesellschaft statt. Sie schafft die Normen unter der dieser Lebenserwerb stattfindet. Darum ist es wichtig, sich einerseits die Arbeitsverhältnisse und andererseits die Verteilung des erwirtschafteten Gewinns etwas näher zu betrachten. Es geht vor allen Dingen darum, eine gerechte Bezahlung zu finden, die allen ein zufriedenstellendes Leben ermöglicht. Was dabei unbedingt vermieden werden sollte, ist die Anhäufung von Kapital in den Händen einiger weniger. Überschüsse die erwirtschaftetet werden, sollten der Allgemeinheit für soziale Zwecke zur Verfügung gestellt werden oder für schlechtere Zeiten beiseite gelegt werden. 4.6 Rechte Anstrengung Top Buddha: „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Anstrengung? Da erweckt der Mönch in sich den Willen, unaufgestiegene üble, unheilsame Dinge nicht aufsteigen zu lassen, aufgestiegene üble, unheilsame Dinge zu überwinden, unaufgestiegene heilsame Dinge zu erwecken, aufgestiegene heilsame Dinge 43 festzuhalten und nicht schwinden zu lassen, sondern zum Wachsen und Gedeihen und zur vollen Entfaltung zu bringen. Und er müht sich ab, bietet alle Willenskraft auf, treibt seinen Geist an und kämpft.” Buddha unterscheidet also zwischen vier Anstrengungen: • • • • Anstrengung zur Vermeidung unheilvoller Dinge Anstrengung zur Überwindung unheilvoller Dinge Anstrengung zur Erweckung heilvoller Dinge Anstrengung zur Erhaltung heilvoller Dinge Was hat man unter der Anstrengung zur Vermeidung unheilvoller Dinge zu verstehen? Richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf Dinge, die wir Begehren, so sollen wir keine Anstrengung unternehmen, diesem Begehren nachzugehen. Dies kann man am Beispiel des erotischen Begehrens sehr deutlich machen. Die Erotik ist eine Kraft, die uns immer wieder in ihren Bann zieht und Begehren in uns weckt. Dieses Begehren führt dazu, dass wir uns permanent mit erotischen Phantasien beschäftigen. Unsere ganze Konzentration richtet sich darauf, diese Wünsche in der Realität ausleben zu können. Dabei sind unsere Wünsche so zahlreich, dass sie fast unser ganzes Denken in Anspruch nehmen, ohne daß wir dabei die negativen Folgen unseres Handelns bedenken. Wir werden regelrecht süchtig nach erotischen Abenteuern. Buddha empfiehlt uns, solche Gedanken zu vermeiden, sie gar nicht erst in uns aufsteigen zu lassen. Sobald sich also ein erotischer Wunsch in uns meldet, sollte man ihn einfach ignorieren und nicht weiter verfolgen. So wird er im Keim erstickt. Dadurch nimmt man ihm die Kraft, zur Lawine anzuwachsen, die unser ganzes Sein beherrscht. 44 Diese Vermeidungsstrategie empfiehlt Buddha aber nicht nur für das erotische Begehren, sondern für das Anhaften an jeder Form sinnlichen Begehrens. Dazu gehört das Anhaften an die Musik, an optische Eindrücke, an Düfte, an das Essen, an Körperempfindungen und an Geistesobjekte, wie den Zorn, die Wut und den Hass, weil sie am Ende nur Leid bescheren. Was versteht man unter der Anstrengung zur Überwindung unheilvoller Gedanken? Hat man es nicht geschafft, die Gedanken bereits im Keime zu ersticken, dann steigen sie uns auf und ergreifen von uns Besitz. Diese Gedanken können so massiv sein, dass sie uns vollkommen in Besitz nehmen. Dann schaltet oft die Vernunft ab und wir sind Opfer unserer Gier, unseres Hasses und unserer Verblendung, unserer Unwissenheit. Nun bedarf es einiger Kraft diese unheilvollen Gedanken wieder abzuschütteln. Buddha empfiehlt hierzu fünf verschiedene Methoden, um sich dieser unheilvollen Gedanken wieder zu entledigen: • • • • • man wandle unheilvolle Gedanken in heilsame Gedanken man erwäge den Nachteil der unheilvollen Gedanken man schenke den unheilvollen Gedanken keine Beachtung man stelle den Entstehungsgrund unheilvoller Gedanken fest man überwältige die unheilvollen Gedanken, indem man die Zähne aufeinanderbeißt und die Zunge gegen den Gaumen preßt Mit diesen Methoden kann man sich nicht nur von der immer wiederkehrenden sinnlichen Gier, sondern sich auch von seiner Wut und seinem Hass befreien, falls sie in uns aufsteigen und von uns Besitz genommen haben. 45 Als Drittes gibt Buddha uns den Tip, heilsame Gedanken zu erwecken. Wie aber können wir heilsame Gedanken in uns aufsteigen lassen? Buddha gibt uns den Tip, die Aufmerksamkeit auf den friedlichen Zustand, der von Gier, Hass und Wahn befreiten Gedanken, zu richten. Haben wir eine gewisse Übung darin, unheilsame Gedanken zu vermeiden und zu überwinden, dann werden wir immer weniger von ihnen bedrängt, weil das Bewusstsein erkannt hat, dass diese Gedanken kaum noch eine Chanche haben, sich durchzusetzen. Allmählich kehrt in unseren Innern eine gewisse Ruhe ein. Wir werden nicht mehr so stark von sinnlicher Gier, von Zorn und Hass regiert. Darum ist es sinnvoll, seine Gedanken auf den Zustand der vollkommenen inneren Ruhe zu richten, in der man alle unheilvollen Gedanken überwunden hat. Mit der entsprechenden Achtsamkeit und Willenskraft erwecke man heilsame Gedanken, indem man sich den Zustand des inneren Friedens und des inneren Gleichmuts vergegenwärtigt. Als letztes gibt Buddha uns den Tip, Anstrengungen zu unternehmen, die in uns aufgestiegenen heilsamen Gedanken zu erhalten. Wie festigt man die aufgestiegenen heilsamen Gedanken, damit sie nicht sofort wieder verschwinden, sondern sich weiter entfalten können? Buddha geht da recht konsequent vor. Er rät in der Anguttara Nikaya 6,29 [11] zur Überwindung der Sinneslust, sich den weiblichen (männlichen) Körper als Skelett, als einen von Würmern zerfressenen Leib oder als eine blau verfärbte und mit Eiter bedeckte aufgedunsene Leiche vorzustellen. Manch einem mögen solche Vorstellungen vielleicht hilfreich sein, sich von seiner sinnlichen Gier zu befreien. Ob man sich für solch eine drastische Vorgehensweise entscheiden will, mag jeder selbst entscheiden. Für andere ist es vielleicht sinnvoller, sich vorzustellen, wie es sein mag, 46 wenn man nicht mehr von sinnlicher Gier bedrängt wird. Vielen wird dies anfangs nicht leicht fallen, da sie diesbezüglich keine Erfahrungen haben. Mit einiger Übung stellt sich aber eine wunderbare innere Ruhe ein. Was hier am Beispiel der sinnlichen Gier dargelegt wurde, gilt im übertragenen Sinne ebenfalls für den Zorn und die Wut. Vielleicht sollte man sich einfach immer wieder daran erinnern, wie angenehm und unbeschwert das Leben wäre, gäbe es keinerlei Zorn und Wut mehr in unserem Leben. 4.7 Rechte Achtsamkeit Top Buddha: „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Achtsamkeit? Da verweilt der Mönch in Betrachtung des Körperlichen, der Gefühle, des Bewußtseins, der Geistobjekte, eifrig, klarbewußt, achtsam, weltliche Begierde und Kummer verwerfend.” Die rechte Achtsamkeit ist ein sehr umfassendes Konzept Buddhas. Es umfasst den Körper mitsamt der Gefühle und Gedanken, wobei alle körperlichen, emotionalen und mentalen Vorgänge sehr sorgfältig beobachtet werden. Es beginnt mit der Bewusstwerdung der Körperhaltungen und Positionen beim Gehen, Sitzen, Stehen und Liegen, beim Sprechen, Schweigen, Essen, Trinken, Kauen und Schmecken, selbst beim Gang auf die Toilette. Ferner beinhaltet es die bewusste Ein- und Ausatmung bei der Meditation, sowie alle emotionalen Empfindungen und alle Gedanken, die uns durch den Kopf gehen. Alle Handlungen, Emotionen und Gedanken sollen aufmerksam beobachtet und bewusst gemacht werden, um sie besser kontrollieren zu können. Es geht um das Bewusstwerden des ständigen Flusses der Gefühle, Gedanken und Handlungen. 47 Die Aufmerksamkeit, die Buddha dem Körper, den Gefühlen und den Gedanken widmet, dient der Läuterung des Wesens, der Unterdrückung weltlicher Begierden, der Überwindung von Sorge, Kummer und Leid, dem Verschwinden von Schmerz und Traurigkeit und der Verwirklichung des Nirvana, der Erleuchtung, der immerwährenden Seligkeit. Der Achtsamkeit soll natürlich auch bei der Meditation die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt werden. Buddha empfiehlt den Mönchen, sich zur Meditation in einen Wald, an den Fuß eines Baumes oder in eine leere Hütte zu begeben, sich mit gekreuzten Beinen (Lotussitz oder andere Meditationshaltung [2] und aufgerichtetem Körper hinzusetzen und die Achtsamkeit ganz auf die Atmung zu richten. Dabei soll der Mönch achtsam ein- und ausatmen. Atmet er langsam und tief ein und aus, so sollte er dies ebenso aufmerksam beobachten, als wenn er schnell und weniger tief ein- und ausatmet. Dabei sollte er sich bemühen, besänftigend auf die Atmung einzuwirken. Die achtsame Betrachtung der Ein- und Ausatmung ist eine der wichtigsten Übungen zur Erreichung der 4 Vertiefungen. Die vier Vertiefungen entsprechen vier unterschiedlichen Meditationszuständen, die sich in der Stärke ihrer jeweiligen Konzentration, d.h. in ihrer Tiefe, unterscheiden, wobei der vierte Zustand dem Samadhi (der Erleuchtung) entspricht. Die vier Vertiefungen werden im letzten Punkt des achtfachen Pfades, der rechten Sammlung, näher erläutert. Noch ein paar Worte zur Meditation. Buddha empfiehlt eine sitzende Meditationshaltung, bevorzugt wird im Allgemeinen der Lotussitz (Padmasana). Aber vielen Menschen fällt der Lotussitz schwer, sei es aus gesundheitlichen Gründen oder weil ihnen der Lotussitz zu anstrengend oder zu unbequem ist. 48 Ich las sogar einmal, dass ein Student, der unbedingt den Lotussitz praktizieren wollte, sich dabei einen Unterschenkel brach. Wer also Probleme mit dem Lotussitz hat, sollte lieber eine weniger anstrengende Sitzhaltung bei der Meditation einnehmen. Dies könnte z.B. der halbe Lotussitz (Arda Padmasana), der Schneidersitz (Sukhasana) oder der Stuhlsitz sein. Beim Stuhlsitz (Droschkenkutschersitz) sitz man aufrecht auf einem Hocker oder einem Stuhl und legt die Unterarme auf die Oberschenkel. Ein Meditationskissen kann die Meditation in sitzender Haltung auf dem Fußboden erleichtern. Da ich selber zuerst das Autogene Training lernte, bevor ich die Meditation kennenlernte, war ich es gewohnt, im Liegen zu meditieren. Deshalb meditiere ich am liebsten im Liegen. Ich selber kann es allen sehr empfehlen. Ich halte das Autogene Training und die Meditation übrigens für zwei gute, sinnvolle und gleichwertige Entspannungsmethoden. Buddha legt großen Wert darauf, dass man alle Handlungen mit klarem Bewusstsein ausführt, dass man das Kommen und Gehen, das Hinblicken und Wegblicken, das Beugen und Strecken der Glieder, das Anziehen und Ausziehen, das Essen und Trinken, das Kauen und Schmecken, das Stehen und Gehen, das Liegen und Sitzen, das Sprechen und Schweigen mit klarem Bewusstsein ausübt. Bei allem, was der Mensch tut, soll er sich des Zweckes, der Eignung, der Pflicht und der Wahrheit, seines Handelns bewusst sein. In der Majjhima Nikaya (M 119) sagt Buddha: „Hat man nun, ihr Jünger, diese Achtsamkeit auf den Körper geübt, entfaltet, erweckt, befolgt, sie zur Vollendung gebracht, dann hat man einen zehnfachen Segen zu erwarten.“ Hierzu zählt, dass man die Lustlosigkeit, die Trauer und die Angst überwindet und nicht mehr von ihnen überwältigt wird. Man erträgt Kälte und Hitze, Hunger und Durst, Wind und Wetter, Mücken, Wespen 49 und plagende Kriechtiere, boshafte, böswillige Redeweisen und körperliche Schmerzen. Man gewinnt die vier Vertiefungen (Meditationsebenen), die das Herz erquicken und das Leben in Seligkeit überströmen lassen, in ihrer ganzen Fülle und Weite. Der Weise kann auf vielfältige Weise seine Macht entfalten. Er besitzt solch eine Ausstrahlung, Kraft und Intelligenz, dass es ihm leicht fällt, sie zum Nutzen aller Menschen einzusetzen. Außerdem gewinnt er durch die Versiegung der sinnlichen Triebe bereits zu Lebzeiten Weisheit und ein von Gier befreites goldenes Gemüt. Interessant ist auch was Buddha zu den fünf Hemmungen sagt, die uns daran hindern, das Leben in Seligkeit zu genießen: „Da verweilt der Mönch in der Betrachtung der als Geistobjekte geltenden fünf Hemmungen (Sinneslust, Hass, Gewohnheiten, Unruhe, Zweifel). Er weiß, wenn Sinnengier in ihm ist: „In mir ist Sinnengier“. Er weiß, wenn keine Sinnengier in ihm ist: „In mir ist keine Sinnengier“. Er weiß, wie die noch nicht aufgestiegene Sinnengier zum Entstehen kommt, wie die aufgestiegene Sinnengier überwunden wird und wie die überwundene Sinnengier künftig nicht mehr aufsteigt. Er weiß, wenn Übelwollen in ihm ist..., wenn Starrheit und Mattheit in ihm ist..., wenn Aufgeregtheit und Gewissensunruhe in ihm ist.... Er weiß, wenn Zweifelsucht in ihm ist: „In mir ist Zweifelsucht“, er weiß, wenn keine Zweifelsucht in ihm ist: „In mir ist keine Zweifelsucht“. Er weiß, wie die noch nicht aufgestiegene Zweifelsucht zum Entstehen kommt, wie die aufgestiegene Zweifelsucht überwunden wird und wie die überwundene Zweifelsucht künftig nicht mehr aufsteigt.“ (Samyutta Nikaya 47,5) [3] 4.8 Rechte Sammlung Top Buddha: „Was aber, ihr Mönche, ist rechte Sammlung? Da tritt 50 der Mönch, den Wunschobjekten entrückt, losgelöst von den unheilsamen Dingen, in die erste Vertiefung ein, in die zweite Vertiefung, die dritte Vertiefung, die vierte Vertiefung.” Mit der rechten Sammlung ist das rechte Vertiefen (das rechte Versenken) in die Meditation gemeint. Die rechte Sammlung bezeichnet die Fertigkeit den unruhigen und abschweifenden Geist zu kontrollieren. Häufig wird dies als Einpünktigkeit oder als höchste Konzentration bezeichnet. Sie ist ein zentraler Teil der buddhistischen Spiritualität. Um zur rechten Sammlung zu kommen, haben die buddhistischen Schulen viele Meditationstechniken entwickelt. Es geht im wesentlichen um eine Konzentrationsmethode, die Einfluss auf die Atmung und das Gehirn nimmt, wodurch einerseits der Geist von allen Gedanken befreit wird, allmählich zur Ruhe kommt und andererseits eine gesunde Atmung geübt wird. Buddha sagt in der Majjhima Nikaya 44: „Was aber ist rechte Sammlung? Das Gerichtetsein des Geistes auf ein einzelnes Objekt (wörtlich: Einspitzigkeit oder Einpünktigkeit des Geistes), das ist rechte Sammlung.“ 4.8.1 Die erste Vertiefung Top Buddha nennt die rechte Sammlung (Meditation) auch rechte Vertiefung. Hierbei unterscheidet er vier Stufen der Vertiefung, die jeweils einer intensiveren Konzentration entsprechen. Sie zeichnen sich durch das zeitweilige Schwinden der fünf Sinne und der fünf Hemmungen aus (Sinneslust, Hass, Gewohnheiten (geistige Trägheit), Unruhe, Zweifel), die bereits bei der rechten Achtsamkeit angesprochen wurden. In der Majjhima Nikaya 43 sagt Buddha über die erste Vertiefung: Da, o Bruder, gewinnt der Mönch, den sinnlichen Dingen entrückt, frei von unheilsamen Geisteszuständen, die mit „Gedankenfassung“ und 51 „Diskursivem Denken“ verbundene, in der Abgeschiedenheit geborene, von „Verzückung“ und „Glücksgefühl“ erfüllte erste Vertiefung. In der ersten Vertiefung ist der Mönch (Mensch) frei von unheilsamen Geisteszuständen. Er ist also frei von den fünf Hemmungen: Sinneslust, Hass, Gewohnheiten (geistige Trägheit), Unruhe und Zweifel. Dagegen besitzt er folgende fünf Eigenschaften: 1. Gedankenfassen, 2. Diskursives Denken, 3. Verzückung, 4. Glücksgefühl und 5. Sammlung. In der ersten Vertiefung konzentriert sich der Meditierende z.B. auf die Atmung oder auf das „Dritte Auge“. Alle geistigen Anstrengungen, die die Konzentration auf das Meditationsobjekt (z.B. die Atmung oder das Dritte Auge) richten, nennt man Gedankenfassen. Gedankenfassen ist also die geistige Aktivität, die hilft, die Konzentration auf das Meditationsobjekt zu richten. Gelegentlich entstehen aber geistige Aktivitäten, die versuchen, genau dies zu verhindern, und die immer wieder versuchen, die Konzentration vom Meditationsobjekt abzulenken. Diese geistigen Tätigkeiten bezeichnet man als diskursives Denken. Diskursives Denken ist also das Umherwandern, das Hin- und Herwandern des Geistes, das Abschweifen des Geistes vom Meditationsobjekt. Es äußert sich in fortgesetzter Geistestätigkeit. Wichtig ist darum während der Meditation eine geistesgegenwärtige Bewusstheit, die dieses Abschweifen wahrnimmt und die Konzentration wieder auf das Meditationsobjekt zurückführt. Gedankenfassen und diskursives Denken (die Meditation störende Gedanken) sind jedoch in der ersten Vertiefung nur noch in einem sehr abgeschwächten Grad vorhanden. Ebenso ist in der ersten Vertiefung eine Verzückung und ein Glücksgefühl vorhanden. 52 Während der Meditation sollte deshalb immer eine hohe Bewusstheit über den fortwährenden Zustand der Meditation vorhanden sein. Dazu sind sowohl Achtsamkeit als auch Konzentration erforderlich. Durch immer intensiveres Gedankenfassen, erhöht sich die Konzentration, die Meditation vertieft sich, und infolge dessen stellt sich eine Verzückung ein, die mit einer vertieften inneren Ruhe einhergeht. Stellt sich diese Verzückung anfänglich nur in kurzen Momenten, vielleicht in Form eines Satori3 ein, so entwickelt sich bei erfahrenen Meditierenden daraus ein Glücksgefühl, ein Gefühl der Seligkeit, welches sich immer weiter ausbreitet. Dies entspricht der ersten Stufe der Vertiefung. Gelingt es, die Konzentration vollkommen auf das Meditationsobjekt zu richten, ohne dass der Geist davon abschweift, so spricht man von absoluter Sammlung oder von der Einspitzigkeit des Geistes (Sanskrit: Ekagrata). Dieser Zustand wird als Samadhi, Erleuchtung, bezeichnet. 3Ein Satori ist ein Schlüsselerlebnis im Zen-Buddhismus, welches von einem tiefem Glücksgefühl oder dem Gefühl der Verschmelzung, einer allumfassenden Einheit begleitet ist. Buddha beschreibt die erste Vertiefung (erste Schauung) in der Majjhima Nikaya 27 wie folgt: „Durch die Erfüllung der heiligen Sinnenzügelung empfindet er ein inneres ungetrübtes Glück. Treu dieser heiligen Tugendsatzung, treu dieser heiligen Sinnenzügelung, treu dieser heiligen klaren Achtsamkeit sucht er einen abgelegenen Ruheplatz auf, einen Hain, den Fuß eines Baumes, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene. Nach dem Mahle, wenn er vom Almosengange zurückgekehrt ist, setzt er sich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegt der Achtsamkeit. Er hat 53 weltliche Begierde verworfen und verweilt begierdelosen Gemütes, von Begierde läutert er sein Herz. Gehässigkeit hat er verworfen, haßlosen Gemütes verweilt er, voll Liebe und Mitleid zu allen lebenden Wesen läutert er sein Herz von Gehässigkeit. Matte Müde (geistige Trägheit) hat er verworfen, von matter Müde ist er frei; das Licht liebend, einsichtig, klar bewußt, läutert er sein Herz von matter Müde. Stolzen Unmut hat er verworfen, er ist frei von Stolz; innig beruhigten Gemütes läutert er sein Herz von stolzem Unmut. Skeptischen Zweifel hat er verworfen, der Ungewißheit ist er entronnen; er zweifelt nicht am Guten, vom skeptischen Zweifel läutert er sein Herz. Er hat die fünf Hemmungen aufgehoben, hat die Schlacken des Gemütes kennengelernt, die lähmenden; gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen lebt er in sinnend gedenkender ruhegeborener seliger Heiterkeit, in der Weihe der ersten Schauung.“ 4.8.2 Die zweite Vertiefung Top Nach Stillung von Gedankenfassen und diskursivem Denken gewinnt der Mönch die innere Ruhe und Einheit des Geistes. Nun ist er frei von Gedankenfassung und diskursivem Denken. Er ist erfüllt von Verzückung und Glücksgefühl. So erlangt er die durch Sammlung erzeugte zweite Vertiefung. In der zweiten Vertiefung hat also das Gedankenfassen, die Konzentration auf das Meditationsobjekt aufgehört, weil der Meditierende gewissermaßen mit dem Meditationsobjekt verschmolzen ist. Demzufolge hat auch das diskursive Denken aufgehört, weil es keine Gedanken mehr gibt, die die Meditation stören könnte. Demzufolge sind nur noch drei Vertiefungsglieder vorhanden: die Verzückung, das Glücksgefühl und die Sammlung. Vom Gedankenfassen und diskursiven Denken dagegen hat der Meditierende sich gelöst. 54 Er erlebt die innere Stille, Buddha nennt sie in der Majjhima Nikaya 27, die innere Meeresstille, die Einheit des Gemüts, die von Sinnen und Gedanken freie selige Heiterkeit. 4.8.3 Die dritte Vertiefung Top Nach Abwendung von der Verzückung verweilt der Mönch gleichmütig, achtsam, klar bewußt und er empfindet in seinem Innern ein Glück, von dem die Edlen sagen: „Der Gleichmütige, Achtsame lebt glücklich“. So gewinnt er die dritte Vertiefung. In der dritten Vertiefung ist der Meditierende frei von Gedankenfassen, diskursivem Denken und von der Verzückung. Die Vertiefungsglieder der dritten Vertiefung sind Glücksgefühl und Sammlung. In heiterer Ruhe verweilt er gleichmütig und beglückt. 4.8.4 Die vierte Vertiefung Top Nach dem Schwinden von Freud und Leid und dem Überwinden von Frohsinn und Trübsinn gewinnt er die freudlos-leidlose, durch Gleichmut und Achtsamkeit geläuterte vierte Vertiefung. In der vierten Vertiefung schwinden Gedankenfassen, diskursives Denken, Verzückung und Glücksgefühl. Die Vertiefungsglieder der vierten Vertiefung sind: Sammlung und Gleichmut. Der Meditierende erreicht einen freudlosen, leidlosen und gleichmütigen Zustand. Der thailändische Theravadamönch Ajahn Chah (1918-1992) sagte in einem Vortrag zum Thema „Der Weg in die Freiheit“ über die vier Stufen der Vertiefungen: „Wir können die vier Stufen der Meditation die 55 erste, zweite, dritte oder vierte Vertiefung nennen, wir können es aber auch einfach den Geist im Zustand des Friedens nennen. Wenn der Geist fortschreitend ruhiger wird, hören Gedankenfassen und diskursives Denken auf und Entzücken und Glückseligkeit verbleiben. Warum werden Gedankenfassen und diskursives Denken losgelassen? Weil der Geist immer feiner wird, sind die Tätigkeiten von Gedankenfassen und diskursives Denken zu grob, um zu verbleiben. In dem Moment, wenn Gedankenfassen und diskursives Denken losgelassen werden, können Gefühle von starkem Entzücken auftreten. Aber mit weiterer Vertiefung der Konzentration und der damit verbundenen Vertiefung der Ruhe und Veredelung des Geistes hört auch das Entzücken auf. Nur Glückseligkeit und die absolute Sammlung des Geistes in einem Punkt verbleiben, bis schließlich auch die Glückseligkeit sich auflöst, und der Geist seine größte Veredelung erlangt. Es bleiben nur Gleichmut und die absolute Sammlung des Geistes, alles andere ist losgelassen worden. Der Geist verbleibt unbewegt. Diese unerschütterliche Ruhe ist die Kraft des friedlichen Geistes. Wenn der Geist erst einmal völlig zur Ruhe gekommen ist, kann dieser Zustand eintreten. Wir sollten nicht zu viel darüber nachdenken, denn es passiert von ganz alleine. In diesem Zustand ist der Geist nicht schläfrig. Keines der fünf Hindernisse, sinnliches Begehren, Aversion (Hass), Unruhe, 56 Stumpfsinn (geistige Trägheit) und Zweifel, ist vorhanden. Wenn die geistige Kraft noch nicht stark genug entwickelt ist und unsere Achtsamkeit schwankt, werden gelegentlich geistige Eindrücke auftreten. Der Geist befindet sich zwar im Zustand der Ruhe, aber die Stille wird von Unachtsamkeit unterwandert.“ In der Samyutta Nikaya 56,23 (Der vollkommen Erwachte) sagt Buddha: „Es gibt, ihr Mönche, diese vier edlen Wahrheiten. Welche vier? Die edle Wahrheit vom Leiden, von der Leidensentwicklung, von der Leidensauflösung und von dem zur Leidensauflösung führenden Vorgehen. Weil der Vollendete, ihr Mönche, bei diesen vier edlen Wahrheiten wirklichkeitsgemäß voll erwacht ist, deshalb wird er der Heilige, vollkommen Erwachte genannt. Daher habt ihr euch, meine Mönche, anzustrengen, um zu erkennen: Das ist das Leiden, das ist die Leidensentwicklung, das ist die Leidensauflösung, das ist das zur Leidensauflösung führende Vorgehen“. Der zur Leidensauflösung führende Weg ist der edle achtfache Pfad, dessen acht Stufen zuvor behandelt wurden. Beschreitet der Mönch (Mensch) den edlen achtfachen Pfad, so wird er mit der Leidensauflösung, dem Samadhi, der Erleuchtung, belohnt. 4.8.5 Vierzig Meditationsobjekte Top Im Visuddhi Magga [4] werden vierzig Meditationsobjekte genannt, durch welche die Vertiefungen erreicht werden können. Alle 40 Meditationsmethoden kann man in der Visuddhi Magga III von Buddhagosa nachlesen [5]. Buddhagosa ist ein indischer Philosoph und TheravadaBuddhist, der Ende des 4. Jahrhunderts lebte. In der Visuddhi 57 Magga nennt Buddhagosa folgende 40 Meditationsobjekte: 10 Kasinas: 1. Erde, 2. Wasser, 3. Feuer, 4. Wind, 5. Blau, 6. Gelb, 7. Rot 8. Weiß, 9. Raum, 10. Bewußtsein. Die Kasina Meditation besteht darin, dass man die Konzentration auf einen sichtbaren Gegenstand, etwa auf eine bunte Scheibe (blau, gelb, rot, weiß), einen Fleck Erde, einen Teich, auf ein Feuer, den Wind, den Raum oder das Bewusstsein konzentriert, bis man schließlich einen geistigen Reflex sowohl bei offenen wie geschlossenen Augen wahrnimmt. Innerhalb des Raumes ist man imstande, mit dem Himmlischen Ohre Töne zu vernehmen, mit dem Himmlischen Auge Formen zu erblicken, und der anderen Wesen Herzen im Geiste zu erkennen. 10 Ekelobjekte: 1. das aufgedunsene, 2. das blauverfärbte, 3. das eitrige, 4. das aufgespaltene, 5. das angenagte, 6. das umhergestreute, 7. das zerhackte, 8. das blutige, 9. das wurmige 10. das knochige Objekt. Die Meditation über die zehn Ekelobjekte sollen dem Meditierenden helfen, sich von seinen sinnlichen Begierden zu befreien und ihm die Endlichkeit des Seins verdeutlichen. 10 meditative Betrachtungen: 1. der Erleuchtete, 2. das Gesetz, 3. die Gemeinde, 4. die Sittlichkeit, 5. die Freigebigkeit, 6. die Himmelwesen, 7. den Tod, 8. den Körper, 9. die Ein- und Ausatmung, 10. den Frieden. Bei diesen 10 Betrachtungen soll der Meditierende über die oben angesprochenen Themen meditieren. 58 4 Göttliche Verweilzustände: 1. Güte, 2. Mitleid, 3. Mitfreude, 4. Gleichmut 4 unkörperliche Vertiefungen: 1. Raumunendlichkeit, 2. Bewusstseinsunendlichkeit, 3. Nichtheit, 4. Weder-Wahrnehmung noch NichtWahrnehmung. Diese Meditationsmethoden lernte Buddha u.a von seinen Lehrern Alara Kalama und Uddaka Ramaputta. 1 Meditationsobjekt: über die Betrachtung des Ekels der Nahrung (stoffliche Nahrung, Bewußtseinseindruck, geistiger Wille und Bewußtsein) 1 Meditationsobjekt: über die die Analyse der vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Wind Ich muss gestehen, von allen vierzig Meditationsobjekten ist mir die Konzentration auf die Ein- und Ausatmung, die Konzentration auf das Dritte Auge (Stirnchakra) und die Konzentration auf das Nabelzentrum, wobei die letzten beiden Meditationsobjekte gar nicht aufgeführt sind, die liebste Form der Meditation. 5. Ursachen psychosomatischer Erkrankungen Top 5.1 Psychosomatische Erkrankungen in der Kindheit Top Ich betrachte jedes Kind, dass in diese Welt hineingeboren wird, als rein und unschuldig. Die Annahme, jeder Mensch wird entsprechend seinem Karma, also der Summe seiner guten und schlechten Taten aus möglichen Vorleben, erneut in die 59 Welt hineingeboren, um ihm die Chanche zu geben, sich durch ein ethisch und moralisch geläutertes Leben von negativem Karma zu befreien, kann ich nicht teilen. Die Reinkarnation ist zunächst nichts als eine Vermutung, ein Glaube, die durch nichts bewiesen werden kann. Sicherlich gibt es Kinder, die bereits durch die Geburt benachteiligt sind. Viele Kinder sind nicht gesund oder wachsen in einem Elternhaus auf, in dem es schwer ist, sich positiv zu entwickeln. Manche Kinder sind auch körperlich oder geistig benachteiligt, so dass sie es nicht leicht im Leben haben. Dafür aber das Karma oder die Reinkarnation verantwortlich zu machen, halte ich für unredlich. Die große Mehrheit der Kinder wird gesund geboren und wächst in einem normales Elternhaus auf. Sie werden von ihren Eltern geliebt und fürsorglich behandelt. Damit haben sie die besten Vorausetzungen, sich zu glücklichen, zufriedenen und erfolgreichen Menschen zu entwickeln. Warum aber geschieht dies so selten? Wird ein Kind in die Welt hineingeboren, dann ist es noch unschuldig. Es kennt nicht die Gesetze und Regeln, die in der Familie und der Gesellschaft bestehen. Jedes gesunde Kind ist natürlich mit einer großen Neugier ausgestattet und ist sehr daran interessiert, diese Welt in allen seinen Facetten kennenzulernen. Die Liebe der Eltern und das Gefühl der Geborgenheit ermuntern das Kind, diese Welt Stück für Stück zu erobern. Im Allgemeinen, wenn die Kinder in ein liebevolles und fürsorgliches Elternhaus hineingeboren werden, sind sie noch an Leib und Seele gesund, wobei ich mit der Seele den emotionalen Bereich meine. Sie schweben geradezu in Seligkeit. Sie sind vollkommen frei von Angst und Leid. Im Grunde genommen, sind alle Kleinkinder zunächst kleine Erleuchtete. Man erkennt es an ihren strahlenden Augen, an der 60 Lebenslust die sie ausstrahlen und an der liebevollen Art, die sie allen Menschen entgegenbringen. Seligkeit ist also der natürliche Zustand, mit dem wir als Menschen in die Welt hineingeboren werden. Im Laufe der Entwicklung, in der Zeit der Kindheit, wenn die Kinder heranwachsen, sind sie von vielen Seiten den Einflüssen der Mitmenschen ausgesetzt. In den ersten Lebensjahren haben natürlich die Eltern den stärksten Einfluss auf die Kinder. Im Laufe der Jahre wird das Kind mit all den Ängsten und Problemen seiner Eltern und Mitmenschen konfrontiert. Es erfährt oftmals Mahnungen, Zurechtweisungen oder Strafen, die es oft als sehr verletzend und schmerzhaft empfindet, die vielfach in der Seele des Kindes tiefe Narben hinterlassen. Diese emotinalen Verletzungen führen dazu, dass das Kind seine Offenheit und seine Ungezwungenheit gegenüber den Menschen verliert. Einerseits entstehen dadurch psychosomatische Erkrankungen, die den Handlungsspielraum des Kindes einschränken und andererseits beginnt das Kind zu taktieren. Die psychosomatischen Erkrankungen können solche Ausmaße annehmen, das sie das Leben des Kindes stark beeinträchtigen. Hier hilft oft nur noch eine Therapie, die möglichst die gesamte Familie mit einbeziehen sollte. Wenn auch die seelischen Verletzungen nicht immer so gravierend sind, so bleiben doch in der Regel viele kleinere emotionale Verletzungen, die das ursprünglich bestandene Gefühl der uneingeschränkten Lebensfreude, ja der Seligkeit, irgendwann verschwinden lassen. Dann erlebt das Kind das Leben nicht mehr als freudvoll, sondern als leidvoll. Statt Seligkeit zu erfahren, leidet es nun unter Angst, Wut und Traurigkeit und psychosomatische Störungen rauben dem Kind die Lebensfreude. 61 Alle Ängste und negativen Erfahrungen, die das Kind gemacht hat, sind im Gehirn gespeichert und beeinflussen seine Handlungen und Entscheidungen. Solange es von seinen Ängsten dominiert wird, ist es nicht frei in seinen Entscheidungen, sondern alle seine Entscheidungen werden durch die bewussten oder unbewussten Ängste beeinflusst. Dadurch entstehen energetische Blockaden im Körper, die den freien Energiefluss behindern und zu chronischen Verspannungen und Erkrankungen führen. Sie verhindern eine gesunde Atmung und zeigen sich in Form psychosomatischer Erkrankungen. Solche Erkrankungen bestimmen oft viele Jahre lang das Denken, Fühlen und Handeln des Kindes. Sie können meist auch im Erwachsenenalter nicht abgelegt werden und machen die Menschen unglücklich, depressiv, mutlos, launisch, ängstlich und rauben ihnen die Lebensfreude. Ein Teil unserer psychosomatischen Erkrankungen ist also auf verletzende und traumatische Erfahrungen in der Kindheit zurückzuführen. Dabei sind sexuelle Missbräuche und das Erleben von Gewalt besonders traumatisierend. Aber auch die vielen kleinen täglichen emotionalen Verletzungen prägen sich tief ins Unterbewusste ein und sind oft der Grund für vielfältige psychosomatische Erkrankungen, unter denen die Menschen zu leiden haben. Sie sind oft die Ursache für eine depressive und ängstliche Lebenseinstellung. Dabei sind es nicht nur die Eltern, die ihren Kindern dieses Leid zufügen, denn auch Kinder untereinander können sehr rücksichtlos miteinander umgehen. Wenn man sich ansieht, wie sehr die Gewalt an den Schulen in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, wenn man sich ansieht, wie grausam Kinder oft untereinander sind, dann ist das schon erschreckend. Aber die Schulen und die Gewalt der Kinder und Jugendlichen untereinander, sind nur 62 ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Man hat allgemein das Gefühl, dass diesen Problemen von politischer Seite zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. 5.2 Ursachen psychosomatischer Erkrankungen in der Pubertät Top Neben den soeben beschriebenen Ursachen, die vorwiegend in der Kindheit für das Entstehen psychosomatischer Erkrankungen verantwortlich sind, sehe ich eine zweite Ursache für das Entstehen psychosomatischer Erkrankungen, die mit dem Erwachen der Pubertät einhergeht. Mit dem Erwachen der Pubertät beginnt im Allgemeinen das Interesse an der Sexualität. Schaut man sich dieses Interesse an der Sexualität einmal genauer an, so stellt man fest, dass das Erwachen des Interesses an der Sexualität keineswegs an die Pubertät gebunden sein muss, denn das Interesse an der Sexualität entsteht oftmals bereits Jahre vor der Pubertät, nämlich dann, wenn das heranreifende Kind die Erfahrung gemacht hat, dass die Sexualität, besonders der Orgasmus, mit einer großen sexuellen Lust verbunden ist. Untersuchungen von Markus Reder und Andreas Lehofer von der Universität in Linz ergaben, dass nur rund 13 Prozent aller untersuchten pubertierenden Jungen ihre erste Ejakulation als nächtliche Pollution erleben. Dabei wird davon ausgegangen, dass die erste Ejakulation bei männlichen Jugendlichen ein bis zwei Jahre nach Beginn der Pubertät auftritt. [12] Damit kann also gesagt werden, dass der größte Teil der männlichen Jugendlichen bereits lange vor der ersten Ejakulation sexuell aktiv ist. Die dabei am häufigsten angewendete Sexualpraktik ist die Selbstbefriedigung 63 (Masturbation). Diese Masturbation bleibt allerdings nicht ohne Folgen, denn in der Regel entwickelt sich daraus ein sexuelles Verlangen, dass man auch als sexuelle Sucht bezeichnen kann, die meist bis ans Lebensende beibehalten wird. Diese Sucht entsteht durch psychische und physiologische Prozesse und drückt sich dadurch aus, dass sich ein permanentes Verlangen nach sexuellen Höhepunkten einstellt. Allgemein herrscht unter Männern die Ansicht, dieses permanente sexuelle Begehren sei naturgegeben, entspringe also einem natürlichen Trieb, der von Natur aus vorhanden sei. Dieses würde ich allerdings bestreiten, denn kein selbstverwirklichter spiritueller Meister hat irgendein sexuelles Verlangen. Das hat er längst abgelegt. Stattdessen wandelt er die sexuelle Energie in spirituelle Energie um. Wie dieses zu verstehen ist, darauf soll später noch ausführlicher eingegangen werden. Zunächst soll erst einmal darauf hingewiesen werden, dass das sexuelle Begehren, von dem viele Männer glauben, es entspringe einem Naturgesetz, erst durch die eigene sexuelle Aktivität entsteht. Einerseits prägt sich der „göttliche“ Moment des Orgasmus natürlich tief ins Unterbewusstsein ein. Andererseits hat jede sexuelle Aktivität auch einen tiefgreifenden Einfluss auf die Physiologie. Beides zusammen ruft den Wunsch hervor, diesen „göttlichen“ Moment der Seligkeit, den der Orgasmus den Menschen bereitet, immer und immer wieder zu erleben. Dieses kann man eigentlich nur als ein Suchtverhalten interpretieren, zumal dieses Verlangen so stark ist, dass sich normalerweise kein Mann diesem Verlangen über einen längeren Zeitraum entziehen kann, selbst wenn er es wollte. Früher oder später wird die Begierde so stark, dass er sich ihr nicht widersetzen kann. Somit beherrscht also nicht der 64 Mann seine Triebe, sondern er wird von seinen Trieben beherrscht. Da Frauen meist nicht so leicht sexuell erregbar und nicht so sehr auf die Sexualität fixiert sind wie Männer, werden Frauen von dieser Begierde meist nicht so stark bedrängt. Wäre dieses sexuelle Begehren naturbedingt, dann müssten alle Männer diesen permanenten Wunsch nach Sexualität verspüren. Dies ist aber nicht der Fall. Wie ich bereits sagte, empfindet kein spiritueller Meister ein sexuelles Begehren. Genau so wie man dieses sexuelle Begehren nämlich erwecken kann, so kann man es wieder abklingen lassen. Die sexuelle Begierde läuft im Prinzip genau so wie jedes andere Suchtverhalten ab, egal ob es sich dabei um die Nikotinsucht, Alkoholsucht, Tablettensucht, Drogensucht, Spielsucht, Esssucht, Kaufsucht, um die Sucht nach Süßigkeiten oder um irgendeine andere Sucht handelt. Stets rufen psychologische und physiologische Prozesse dieses Suchtverhalten hervor, dass dazu führt, dass man sich dieser Sucht nicht so ohne weiteres wieder entziehen kann. Mit der notwendigen Einsicht, der entsprechenden Motivation und der notwendigen Disziplin ist es allerdings möglich, sich von der entsprechen Sucht zu befreien. Manch einer hat diese Erfahrung vielleicht bereits bei der Nikotinsucht oder einer anderen Form der Sucht gemacht. Ist es einmal gelungen, sich von einer Sucht zu befreien, so erkennt man, dass das Leben ohne diese Sucht eigentlich viel angenehmer ist. Hat man nicht mehr das Verlangen, permanent zur Zigarette zu greifen, dann wird das Leben ein wenig entspannter. Hat man nicht mehr das Verlangen, sexuell aktiv zu sein, dann empfindet man das als eine große Erleichterung. Man sagt allerdings, dass die Sucht nach Sexualität, die stärkste aller Süchte sei. Dies gilt 65 allerdings in erster Linie für Männer, weil Männer im Allgemeinen leichter für erotische Reize empfänglich sind. Und aus diesem Grunde schafft es kaum ein Mann, sich von seiner sexuellen Abhängigkeit zu befreien. 6. Die männlichen Geschlechtsorgane Top Will man die sexuelle Abhängigkeit verstehen, dann mus man sich mit den physiologischen Vorgängen des Menschen beschäftigen. Da es in erster Linie die Männer sind, die von dieser Abhängigkeit betroffen sind, möchte ich mich auf die Anatomie des Mannes beschränken. Sehen wir uns also zunächst einmal die männlichen Geschlechtsorgane an. Abbildung 1: Männliche Anatomie Für die Befruchtung der weiblichen Eizelle sind in erster Linie die männlichen Spermien zuständig. Das männliche Ejakulat 66 besteht aber nicht nur aus Spermien, sondern setzt sich aus mehreren Drüsenflüssigkeiten der männlichen Geschlechtsdrüsen zusammen. Das Ejakulat setzt sich aus folgenden 6 Drüsenflüssigkeiten zusammen, deren Aufgaben später im einzelnen besprochen werden sollen: • Spermien aus dem Hoden • ein Sekret aus der Samenleiterampulle - die Samenleiterampulle (lateinisch: Ampulla ductus deferentis) ist in Abbildung 1 zwar eingezeichnet, aber nicht gekennzeichnet. Es ist die kleine Drüse am Ende des Samenleiters, die links neben dem Samenbläschen eingezeichnet ist. (siehe auch: Nr. 4 in Abbildung 2) ein basisches Sekret aus dem Samenbläschen (Vesicula seminalis) • • ein dünnes und trübes Sekret der Prostata (Vorsteherdrüse) • ein Sekret der Cowper-Drüse (Bulbourethraldrüse, lateinisch: Glandula bulbourethralis), das Sekret der Cowper-Drüse wird meist vor der eigentlichen Ejakulation abgegeben und wird deshalb als Präjakulat oder Lusttropfen bezeichnet • ein Sekret der Littre-Drüsen (Glandulae urethrales), die in der Harnröhre angeordnet sind 67 Abbildung 2: Männliche Genitalien Erläuterung zu Abbildung 2 – Männliche Geschlechtsdrüsen 1. Hoden (Testis) 1a. Ductuli efferentes (Verbindung zwischen dem Hoden und dem Nebenhoden), nicht gekennzeichnet 2. Nebenhoden 2a. Nebenhodenschwanz (Cauda epididymidis), n.g. 3. Samenleiter (Ductus deferens) 4. Samenleiterampulle (Ampulla ductus deferentis) 5. Samenbläschen (Glandula vesiculosa) 68 6. Ductus ejaculatorius (Endabschnitt des Samenleiters in der Prostata) 7. Prostata 8. Ausführungsgänge der Prostata in die Harnröhre 9. Cowper-Drüsen (Glandulae bulbourethrales) 10. Littre Drüsen (Glandulae urethrales) 11. Harnröhre (Urethra) 12. Harnblase Bevor die Vorgänge während der Ejakulation betrachtet werden, sollen zunächst einmal die unterschiedlichen Drüsensekrete und ihre Funktionen beschrieben werden. Die männlichen Drüsensekrete sind aus folgenden Drüsen: ● ● ● ● ● ● den Hoden und Nebenhoden (2 = paarig angeordnet) den Samenleiterampullen (2) den Samenbläschen (2) der Prostata (Vorsteherdrüse) (1) den Cowperschen Drüsen (Bulbourethraldrüsen) (2) den Littre-Drüsen (mehrere) 6.1 Die Hoden und Nebenhoden Top Der Hoden wird in der medizinischen Fachsprache Testis genannt. Jeder Mann hat zwei etwa pflaumengroße Hoden im Hodensack, die ein Gewicht von 25 bis 30 Gramm haben. Die Hoden hängen an einem Samenstrang, einem Bündel aus Muskeln, Gefäßen, Nerven und Samenleitern frei beweglich im Hodensack. Die Hoden produzieren etwa 2.500 Spermien pro Sekunde und das männliche Sexualhormon Testosteron. Das Testosteron wird über das Blut zu vielen anderen Organen 69 transportiert. Ein hoher Testosteronspiegel fördert die Libido, das Imponiergehabe, sowie aggressive Verhaltensweisen. Es ist aber auch für die männliche Stimme, die Muskulatur, den Knochenaufbau, die männlichen Gesichtszüge und die männliche Behaarung verantwortlich. Das Testosteron reguliert auch die Spermienproduktion. Ein hoher Testosteronspiegel fördert das Entstehen bzw. die Steigerung von sexuellem Verlangen, den Antrieb, die Ausdauer und die Lebenslust, sowie dominante und aggressive Verhaltensweisen. Bei Tieren fördert es das Imponiergehabe, die Kampfbreitschaft sowie den Begattungsdrang. Dies sind im Tierbeeich bewährte Verhaltensweisen. Bei Frauen produzieren die Eierstöcke und die Nebennierenrinde geringe Mengen an Testosteron. Sie führen zu einer Vermännlichung der Frau: (Stimme, Muskulatur, Gesichtszüge, Behaarung und Vergrößerung der Klitoris). Es gibt von Mann zu Mann große individuelle Unterschiede in der Testosteronkonzentration. Manche Männer weisen mit 70 Jahren noch Testosteronspiegel im Normbereich auf. Sie sind auch im hohen Alter noch zeugungsfähig. Andere Männer haben schon mit 50 deutliche Anzeichen für einen Testosteronmangel. Diese Unterschiede sind zum Teil genetisch bedingt. Aber auch viele äußere Faktoren wirken sich auf die Hormonproduktion aus. So können folgende Faktoren eine Verminderung der Hormonproduktion begünstigen: • Übergewicht 70 • dauerndes Fasten oder ständige Diäten • psychischer und körperlicher Stress • Drogen und Alkohol • schwere akute Erkrankungen, z. B. Herzinfarkt, Infektionskrankheiten oder Operationen) • chronische Erkrankungen, z. B. Arteriosklerose, Diabetes, Aids, Lebererkrankungen, Nierenerkrankungen o.ä. • verschiedene Medikamente, die langfristig eingenommen werden müssen Quelle: medizininfo.de Die Spermien (Samen) reifen in etwa 250 Kammern (Hodenläppchen) heran, in die jeder Hoden unterteilt ist. Die Hodenläppchen entstehen durch ein Knäuel von Hodenkanälchen, in denen die Spermien gebildet werden. Insgesamt machen die Kanälchen eines Hodens eine Länge von fast 200 Metern aus. Männliche Samenzellen sind während der Reifephase sehr temperaturempfindlich, weshalb sie in kühlere Regionen ausgelagert werden: Im Hodensack ist die Temperatur etwa zwei bis zweieinhalb Grad niedriger als im Bauchraum. Hinter den Hoden liegt der Nebenhoden. Er besteht aus einem sechs Meter langen, zu einem engen Knäuel gewickelten Röhrensystem, in dem die von den Hoden gebildeten Spermien bis zu ihrem Einsatz aufbewahrt werden. Die Nebenhoden produzieren für die Lagerung ein bestimmtes Sekret, durch das 71 die sehr bewegungsfreudigen Spermien vorübergehend „ruhig gestellt“ werden. Wird das Basislager zu voll, hilft sich die Natur durch einen unkontrollierten Samenabgang (Pollution). Dies geschieht meist nachts im Schlaf. [13] Abbildung 3: Hoden und Nebenhoden Der Hoden ist die männliche Keimdrüse. Er besteht aus etwa 250 Läppchen, die durch Bindegewebe voneinander getrennt sind. Jedes Läppchen besteht aus einigen stark geschlängelten Hodenkanälchen. Im Hodenkanälchen erfolgt die Entwicklung der Spermien. Bis zur vollständigen Reife der Spermien (Spermatozoen) verbringen sie ungefähr 72 Tage im Hodenkanälchen, wo sie über verschiedene Vorstufen im Keimepithel (Keim- und Stützzellen) der Hodenkanälchen gebildet werden. Die im Hoden produzierten Spermien wandern durch den Ductili efferentes in den Nebenhoden. Im Nebenhoden werden die Spermien so lange gelagert, bis sie zur Samenabgabe (Ejakulation) benötigt werden. Der Nebenhoden ist ein 4 bis 6 Meter langer röhrenartig verschlungener Nebenhodengang. Er dient der Reifung und Lagerung der vom 72 Hoden produzierten Samenzellen (Spermien) und geht in den Samenleiter über. Bei der Ejakulation wird der Samen durch rhythmische Kontraktionen der Muskulatur des Samenleiters, der Samenblase, der Prostata, der Schwellkörper (das männliche Glied besitzt 3 Schwellkörper) und des Beckenbodens stoßweise aus dem Penis freigesetzt. Ejakulation (lateinisch: eiaculari) bedeutet „herausspritzen“. Während der Ejakulation wird das Seminalplasma, welches zusammen mit den Spermien des Hodens den Samen (das Ejakulat) bildet, herausgespritzt. Dabei werden den Spermien weitere Sekrete verschiedener Geschlechtsdrüsen beigemischt. (Samenleiterampulle, Samenbläschendrüse, Prostata, Cowpersche Drüse, Littre-Drüsen) Der Samenleiter hat eine Länge von etwa 50 - 60 cm und führt vom Nebenhoden ausgehend, im Samenstrang durch den Leistenkanal und mündet gemeinsam mit dem Ausführungsgang der Samenbläschen innerhalb der Prostata in der Harnröhre. Im Hoden und Nebenhoden, die nur 3–5% des gesamten Volumens eines Samenergusses beisteuern, wird neben den Spermien unter anderem auch Testosteron, das regulierend auf die Produktion der Samenzellen wirkt und eine Flüssigkeit ist, die zum Reifen und Ruhigstellen der Samenzellen beiträgt, produziert. 6.2 Die Samenleiterampullen Top In die Wand des Endabschnitts des Samenleiters (in der Nähe der Prostata) sind Drüsenpakete eingelagert, die als Glandulae ampullae bezeichnet werden. Beim Menschen und den meisten Tierarten führen diese Drüseneinlagerungen auch zu einer äußerlich sichtbaren Auftreibung des Samenleiters, die als 73 Samenleiterampulle bezeichnet wird. Die Samenleiterampulle gehört zu den akzessorischen (untergeordneten) Geschlechtsdrüsen und erzeugt einen Teil der Samenflüssigkeit. Das Sekret der Samenleiterampullen beinhaltet neben Citrat (Zitronensäure) und Fructose verschiedene Proteine, die an Reifungsprozessen auf der Spermienoberfläche beteiligt sind. Im Inhalt der Samenleiterampulle konnte ein trypsin-ähnliches Enzym nachgewiesen werden. Dieses Enzym ist an die Spermien gebunden. Durch die Waschung der Spermien wird die enzymatische Aktivität gesteigert, da durch den Waschvorgang ein aus den Sekreten stammender Hemmstoff entfernt wird. 6.3 Die Samenbläschen Top Die Samenblase ist eine etwa 5 cm lange Drüse. Ihr Ausführungsgang verbindet sich mit dem Samenleiter zum Spritzkanal, der in der Harnröhre mündet. Die Samenbläschen sind paarig angelegte Drüsen, die aus einer verschlungenen Röhre besteht. Die Innenwand dieser Röhre besteht aus sekretorischem Drüsengewebe. Das Sekret der Samenbläschen steuert das meiste Volumen, ca. 50–70%, des Ejakulats bei. Es dient der Verflüssigung des Ejakulats und enthält Fruktose (Fruchtzucker) und andere Stoffe, die der Ernährung der Samenzellen dienen. Außerdem enthält es große Mengen an Prostaglandinen (Hormone mit hoher Wirkungsvielfalt, schmerzbekämpfend, fiebersenkend, gerinnungsund entzündungs-hemmend) und Fibrinogen (ebenfalls ein gerinnungshemmendes Protein). Die Prostaglandine (Hormone) tragen zur Befruchtung bei, in dem sie die Gebärmutterschleimhaut empfänglicher für die befruchtete Eizelle machen, und möglicherweise, in dem sie die glatte 74 Muskulatur in der Gebärmutterwand zu peristaltischen Bewegungen (wellenförmige Einschnürungen von Ringmuskeln) anregen, die die Spermien in Richtung der Eierstöcke transportieren. Außerdem verhindern sie Infektionen im männlichen Geschlechtstrakt. Ebenfalls als Samenblasen werden im Tierreich Behältnisse zur Aufbewahrung der Spermien benannt, die sowohl beim Weibchen (etwa bei Ameisen) als auch beim Männchen (etwa bei den Libellen) vorkommen können. Beim Menschen scheint es aber so zu sein, dass die fertigen Spermien ausschließlich im Nebenhoden gelagert werden. (Quelle: wikipedia.org) 6.4 Die Prostata Top Die Prostata ist ein etwa kastaniengroßes Organ, das den Anfangsteil der Harnröhre unter der Harnblase umgibt. Bei der Ejakulation steuert die Prostata (Vorsteherdrüse) etwa 10–33% des Samens in Form einer dünnflüssigen, milchigen Flüssigkeit bei. Die Prostata zieht sich ebenso wie die Samenbläschen während der Ejakulation zusammen, so das die Flüssigkeit der beiden Organe vermischt und ausgestoßen wird. Das Sekret der Prostata enthält Ionen (Natrium, Kalium, Zink und Magnesium, Kalzium, Citrationen (Zitronensäure) und Phosphationen), ein Gerinnungsenzym und Profibrinolysin (zur Blutgerinnung). Der pH-Wert der Prostata ist leicht sauer (pH 6,4). Dies ist besonders bedeutsam, da Spermien erst bei einem pH-Wert von 6.0 bis 6.5 optimal beweglich werden. Weiterhin ist PSA (ein Prostata Spezifisches Antigen) enthalten, um die Spermien beweglich zu machen. Die Prostata entlässt außerdem weiße Blutkörperchen (Granulozyten) ins Samenplasma. Sie dienen zur Abwehr von Bakterien, Parasiten und Pilzen. 75 Normalerweise werden 1 bis 2 Millionen weiße Blutkörperchen pro Milliliter Prostataflüssigkeit ins Sperma abgegeben. Der charakteristische Geruch des Spermas wird durch das von der Prostata bereitgestellte Spermin (nicht zu verwechseln mit den Spermien) verursacht. 6.5 Die Cowperschen Drüsen (Bulbourethraldrüsen) Top Die Cowperschen Drüsen sind beim Menschen etwa erbsengroß und 5 cm lang. Ihr Ausführungsgang mündet in der Harnröhre. Die Cowperschen Drüsen werden durch die sexuelle Erregung vom vegetativen Nervensystem, dem Parasympathikus, angeregt, bereits vor der eigentlichen Ejakulation, einen kleinen Anteil klaren Schleims abzusondern. Dieser Schleim macht etwa 2 bis 5 Prozent des Ejakulats aus. Das schleimige Sekret dient vor allem der Neutralisierung von Harnresten, eventuell auch des sauren Scheidenmilieus. Beim Austritt aus dem Penis kann das Sekret bereits Samenzellen enthalten und daher möglicherweise eine Schwangerschaft auslösen. Diese Spermien stammen dabei nicht aus der Bulbourethraldrüse, sondern sind entweder Rückstände von früheren Ejakulationen in der Harnröhre oder es sind Spermien, die die Prostata bereits passiert haben, beispielsweise durch die Ejakulationsphase ohne erfolgte Ejakulation. Man spricht beim Sekret der Cowperschen Drüse auch vom Lusttropfen (auch Lusttröpfchen, Vorlusttropfen, Sehnsuchtstropfen, Glückstropfen oder Liquor of love genannt). Die Lusttropfen bestehen aus einem klaren Schleim aus verschiedenartigen Drüsenzellen und können schon mit Sperma vermischt sein. Deshalb können Frauen auch durch den darin enthaltenen Samen schwanger werden. Das Sekret der Bulbourethraldrüse wird meist vor der eigentlichen Ejakulation abgegeben 76 (Vorsekret des Spermas). 6.6 Die Littre-Drüsen Top Die Littre-Drüsen sind Schleimdrüsen, die vorwiegend der Schmierung der Harnröhre dienen. 7. Der Nachteil des sexuellen Genusses Top Beginnen möchte ich mit einem Zitat Swami Muktanandas aus seiner spirituellen Autobiographie „Spiel des Bewusstseins“: „Ich hatte die Welt gesehen, Menschen aller Art und in allen Lebenslagen, ich hatte vom König bis zum Mann auf der Strasse alle gesehen und auch, was mit ihnen am Ende geschah. Alle möglichen Menschen kamen nach Ganeshpuri zu meinem Guru, denn ein Heiliger gehört allen. Da waren Geschäftsleute, Reiche, große Künstler, berühmte Filmstars, Sänger, Redner und hohe Regierungsbeamte. Sie hatten alle irgendein Problem, über das sie sprechen wollten. Und ganz gleich, was sie sonst hatten, eines fehlte ihnen allen - ein gesunder Körper. Sie sagten: „Ich habe alles, was ich mir wünsche, aber mein Herz ist nicht gesund. Meine Sinnesorgane sind schwach. Die Ärzte erlauben mir nicht, zu reisen oder eine volle Mahlzeit zu essen.“ „Mein Magen tut schrecklich weh. Ich habe Tausende von Rupien in England und Amerika dafür ausgegeben, aber die Krankheit ist immer noch da.“ „Ich habe alles, aber ich kann nichts verdauen. Ich kann nicht schlafen. Ich habe schon zweihunderttausend Rupien für Behandlungen ausgegeben.“ Der eine hat ein krankes Ohr, der andere ein krankes Auge. Jeder brachte meinem Guru seinen Kummer und sein Leid. Jeder brachte seine Sorgen und Nöte zu ihm. Jeder war irgendwie arm, allen fehlte etwas, und sie weinten 77 herzzerreißend. Einer war reich, aber er hatte eine schlechte Gesundheit. Ein anderer war gesund, aber er hatte kein Geld. Ein dritter war ungebildet, arm an Wissen. Ein vierter war hässlich, arm an Schönheit. Die eine hatte keinen Mann, der andere keine Frau, der dritte hatte keinen Sohn. So brachte jeder, der kam, seine eigene Armut mit und erzählte von seiner armseligen Lage. Ich hörte mir alles still an und fragte mich, was ich von all diesen Menschen lernen und welchen Nutzen ich daraus ziehen könnte. Um die Wahrheit zu sagen, meine Lage war genau so wie ihre - arm an Selbsterkenntnis und Verwirklichung. Ich sah sie mir genau an, sie waren bleich, ruhelos, krank, oder reich, aber nicht zufrieden. Sie hatten keine Kraft und Energie, nur immer neue Krankheiten. Ich erkannte, dass die Ursache von all dem die Vergeudung der Geschlechtsflüssigkeit, die Sinnlichkeit, und vor allem eine unregelmäßige Lebensweise war.“ Soweit die Aussage Swami Muktanandas. Diese Aussage erscheint mir typisch für die menschliche Gesellschaft. Der Normalzustand der Menschen ist von Leid und von allen möglichen Krankheiten gekennzeichnet. Die meisten Menschen leben ziemlich unbewusst in den Tag hinein. Sie leiden zwar, aber sie machen sich keine Gedanken darüber, wo die Ursachen ihres Leids zu finden sind. Dass ein großer Teil ihres Leid mit ihrer zügellosen Sexualität in Verbindung steht, wollen viele Menschen nicht wahrhaben. Dies gilt in erster Linie für Männer, da Männer leichter für erotische Reize empfänglich sind. Den meisten Männern ist nicht klar, dass die permanente sexuelle Befriedigung ein tiefer Eingriff in die Physiologie ist, der weitreichende Folgen hat. Der Taoist Mantak Chia schrieb einmal: „Jedesmal, wenn der Mann ejakuliert (einen Samenerguß hat), nimmt der Körper an, daß er ein neues Leben zeugen soll. Dem Tao zufolge opfern 78 sämtliche Organe und Drüsen dafür ihre besten Energien.“ Bei jedem Orgasmus geht also ein nicht unbeträchtlicher Teil der Energie verloren, die der Mensch benötigt, um glücklich zu sein. Ich habe ja bereits dargestellt, dass die sexuelle Begierde sich bei den meisten Männern bereits vor der Pubertät entwickelt. Mit anderen Worten, die meisten Männer entwickeln bereits in der Kindheit eine sexuelle Abhängigkeit, von der sie sich ihr Leben lang nicht mehr befreien können. Fortan bestimmen sexuelle Fantasien ihr Leben. Das ganze Leben wird darauf ausgerichtet, diese Fantasien in irgendeiner Form ausleben zu können. Genau so wie sich das Denken des Drogebabhängigen auf den nächsten Kick ausrichtet, so kreist sich das Denken des meisten Männer um die nächste sexuelle Befriedigung. Wenn ich von Abhängigkeit spreche, dann geschieht dies deshalb, weil die Menschen nicht in der Lage sind, ohne die permanente sexuelle Befriedigung zu leben, selbst wenn sie es wollten. (Ich weise noch einmal darauf hin, dass dies in erster Linie für Männer gilt.) In unserer Gesellschaft hat sich die Vorstellung verbreitet, dass es ein Gesetz der Natur sei, dass der Mann seinen Samen an möglichst viele Partnerinnen weitergeben möchte, um seine Gene an möglichst viele Nachkommen zu vererben. Ich halte diese Vorstellung für falsch. Meiner Meinung nach entspringt diese Ansicht patriarchalischem Denken und soll lediglich das eigene zügellose sexuelle Verhalten entschuldigen. Die oben beschriebene Ansicht, dass der Mann eigentlich gar nicht anders kann, als sich den Gesetzen der Natur zu beugen, kann ich deshalb nicht befürworten. Wenn die sexuelle Begierde wirklich natürlich wäre, dann müssten alle Männer davon betroffen sein. Dies ist aber keineswegs der Fall. Kein Selbstverwirklichter hat ein erotisches Verlangen. Es ist kennzeichnend für den spirituellen Weg, dass sich der 79 Yogaschüler, Mönch oder Priester, der sich für das Zölibat entschieden hat, immer stärker von seiner sexuellen Abhängigkeit löst, bis sie sich eines Tages vollkommen auflöst und irgendwann verschwindet. Dann verschwinden auch alle erotischen Fantasien. Man denkt überhaupt nicht mehr daran. Im Prinzip geschieht bei allen Abhängigkeiten dasselbe. So kann sich der Nikotinsüchtige zunächst nicht vorstellen, mit dem Rauchen aufzuhören. Hat er dies aber doch geschafft, so verschwindet im Laufe der Zeit der Gedanke an die Zigarette immer mehr, bis er irgendwann gar nicht mehr daran denkt. Bewegt er sich aber in einer Gesellschaft von Rauchern, so könnte die permanente Inhalation des Tabakrauches ihn doch wieder dazu verführen, eines Tages zur Zigarette zu greifen. Dafür sind psychische und physiologische Prozesse verantwortlich, die durch den Tabakrauch ausgelöst werden. So ähnlich verhält es sich auch mit der Sexualität. Hat jemand sich von der sexuellen Abhängigkeit gelöst, so ist er doch weiterhin erotischen Verlockungen ausgesetzt. Dies gilt natürlich besonders in der Zeit, in der er sich für die Enthaltsamkeit entschieden, sich aber noch nicht von ihr gelöst hat. Immer wieder wird er allen möglichen Versuchungen ausgesetzt sein und es ist eine Frage der inneren Stärke, ob er die Kraft besitzt, diesen Versuchungen zu widerstehen. Sicherlich wird es ihm anfangs nicht immer gelingen, diesen Verlockungen zu widerstehen. Wenn er stark genug ist, wird er aber aus seinen Fehlern lernen und sie beim nächsten Mal vermeiden. Wie schwer es ist, im Zölibat zu leben, kann man sicherlich daran erkennen, dass etwa 100.000 katholische Priester in den letzten 30 Jahren von ihrem Amt suspendiert wurden oder ihr Amt von selber niederlegten. Wir sollten uns daran erinnern, 80 dass katholische Priester einst den Sinn ihres Lebens darin sahen, die Nachfolge Christi anzutreten. Dazu gehört selbstverständlich auch das Zölibat und zwar aus einem guten Grund. Schaut man sich nämlich das Neue Testament an, dann sieht man, dass das Neue Testament an etlichen Stellen die Notwendigkeit des Zölibats betont, um das „Himmelreich zu erlangen“ (Matthäus 19,12). Auf diesen Punkt möchte ich später noch etwas ausführlicher eingehen. Man sollte also davon ausgehen, dass jemand, der katholischer Priester werden möchte, sich zuvor intensiv mit dem Zölibat auseinander gesetzt hat, denn kein Mensch wird gezwungen, Priester zu werden. Darauf wird jeder katholische Seminarist (Priesteranwärter) hingewiesen, bevor er zum Diakon geweiht wird. Jeder Mönch absolviert eine zwei- bis sechsjährige Probezeit als Novize, in der er jederzeit ins bürgerliche Leben zurückkehren kann. Hat ein Seminarist sein fünfjähriges Priesterseminar erfolgreich absolviert und wird zum Diakon geweiht, so ist auch er nicht immer frei von Versuchungen und so mancher Priester unterliegt diesen Verlockungen. (Nach katholischem Kirchenrecht entspricht das Diakonat der ersten Weihestufe und der letzten Stufe für Priesteramtskandidaten vor ihrer Priesterweihe. Diakone können verheiratet sein oder sich zum Zölibat verpflichten. Für Priester und Bischöfe dagegen ist das Zölibat in der römisch-katholischen Kirche verpflichtend.) Man kann wohl davon ausgehen, dass es nicht am guten Willen der Priester mangelt, das Zölibat zu beachten. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Deshalb würde ich davon ausgehen, dass es vielen Priestern nicht gelungen ist, sich von der sinnlichen Begierde zu lösen, so dass sie stets einen inneren Konflikt in sich austrugen, der sie natürlich für sinnliche Reize empfänglich macht. Und manch ein Priester kann ihnen nicht widerstehen. 81 Wenn jemand sich zum Zölibat entschließt, so sollte dies aus Einsicht, aus Überzeugung und aus freiem Willen geschehen. Es wird sich ohnehin niemand zum Zölibat zwingen lassen. Ist jemand nicht von der Sinnhaftigkeit des Zölibats überzeugt, so sollte er davon Abstand nehmen, egal ob Laie, Priester oder Mönch. 7.1 Energieverlust durch den Orgasmus Top Dr. Raymond Bernard schreibt in seinem Buch „The physiological value of continence“ (Der physiologische Wert der Enthaltsamkeit): „Studien über die Physiologie der Sexualität zeigten, dass ein Hengst, wenn er zum ersten Mal mit einer Stute kohabitiert, nach einem kurzem und kräftigem Geschlechtsverkehr in eine kurze Ohnmacht fällt, die als Gehirnanämie (Sauerstoffarmut im Gehirn) erkannt wurde. Er gab sogar den Fall einer Stute, die nach einer Kohabitation tot umfiel. Junge Bullen fallen nach dem ersten sexuellen Kontakt mit einer Kuh häufig in Ohnmacht und es ist sehr häufig zu beobachten, dass ein junger Bulle so ausgelaugt ist, dass er sich in eine ruhige Ecke schleicht, um sich für einige Stunden zu erholen. Hunde dagegen fallen nicht in Ohnmacht, weil die sexuelle Vereinigung zwischen Hunden ausdauernder ist, wodurch der Schock vermieden wird. Beim Eber steigt der Orgasmus auf eine solche Höhe, dass das Tier an Schmerzen zu leiden scheint. Danach ist es für mehrere Stunden erschöpft. Wenn wir verstanden haben, wie tief die organische Erschütterung ist, die mit dem Vorgang der Detumeszens, dem Abschwellen der Gefäße und Muskeln, verbunden ist, und wie groß die begleitende motorische Erregung ist, können wir verstehen, dass der Koitus (Geschlechtsverkehr) sehr ernste Auswirkungen haben kann. Auch bei Tieren ist dies mitunter der Fall. Junge Stiere und Hengste sind nach ihrem ersten 82 sexuellen Kontakt in Ohnmacht gefallen. Eber sind nach einem Koitus in ähnlicher Weise davon betroffen. Und von Stuten ist bekannt, dass sie sogar unmittelbar nach einem Koitus sterben können. Die Menschen, vor allem die Männer, sterben zwar nicht, aber sie leiden unter unzähligen Störungen. Unfälle unmittelbar nach dem Koitus sind bekannt. Sie resultieren hauptsächlich aus der Gefäß- und Muskelspannung, die mit der Abschwellung der Gefäße und Muskeln einhergehen. Frauen sind durch die größere Langsamkeit der weiblichen Detumeszens, der Abschwellung der Gefäße und Muskeln, besser geschützt. Bei einigen Personen ist das Ende des Orgasmus von mehr oder weniger starken epileptischen Zuckungen begleitet. Danach stellt sich eine große Erschöpfung ein. Dies ist ebenfalls beim männlichen Kaninchen (Rammler) zu sehen, das nach jeder Kopulation in einer Art epileptischen Anfall auf die Seite fällt, wobei das weiße des Auges sich nach oben dreht. Das Tier zuckt dann krampfartig mit den Hinterbeinen und hechelt einige Zeit, bis das Nervensystem sich wieder erholt hat. Man hört auch immer wieder von Todesfällen, die in den Bordellen und im Ehebett durch den negativen Einfluss des sexuellen Orgasmus auf das Nervensystem und den Körper geschahen, insbesondere bei empfindlichen Personen. In der Insektenkunde (Entomologie) finden sich reichlich Hinweise, dass der Tod des männlichen Insekts unmittelbar nach der Kopulation eintritt. Es ist bekannt, dass einige Spinnen nach der Befruchtung sterben. Der Tod des männlichen Tieres ist ebenfalls bei anderen Arten zu finden. Die Verbindung der Fortpflanzung mit dem Tod, ist ebenfalls bei einigen fliegenden Insekten, wie der gemeinen Eintagsfliege, bekannt. Nachdem der Liebestanz, die Befruchtung, die Eiablage und der Tod der Eltern, sich 83 innerhalb weniger Stunden vollzieht, kann sich neues Leben entwickeln. In höheren Tieren ist die Sterblichkeitsrate der Fortpflanzung stark verringert, doch tragische Todesfälle bestehen auch im menschlichen Leben, als Gegenspieler der (körperlichen) Liebe. Die Wirkung einer vorübergehenden Erschöpfung, sowie eine verstärkte Anfälligkeit für alle Formen von Krankheiten und eine individuelle Verminderung der Lebensenergie, die sich sogar bei einer mäßigen sexuellen Ausschweifung einstellt, ist hinlänglich bekannt.“ Woher kommt die totale Erschöpfung, die sich nach dem Orgasmus einstellt. Es wurde bereits gesagt, dass das Abschwellen der Muskeln und Blutgefäße eine Ursache hierfür ist. Man sollte aber auch wissen, dass der Körper bei jedem Orgasmus davon ausgeht, dass neues Leben gezeugt wird. Und dafür opfert er seine besten Energien. Deshalb gehen bei jedem Orgasmus nicht nur Natrium, Kalium, Zink, Magnesium, Kalzium, Citrationen und Phosphationen verloren, die der Körper unbedingt braucht, um sich wohl zu fühlen. Die Samenflüssigkeit enthält außerdem Salz, Protein, Dopamin, Noradrenalin, Tyrosin, Oxytocin und Vasopressin sowie verschiedene Östrogene, Pheromone, Antidepressiva und ßEndorphin. Die Energie, die der Körper für das Produzieren neuer Samenzellen aufbringen muss, geht für das Wohlbefinden, die Vitalität und die Lebensfreude verloren. Dadurch fühlt der Mann sich in den Tagen nach einem Orgasmus müde, schlapp und ausgelaugt. Der Körper braucht im Durchschnitt 72 Tage, um neue befruchtungsfähige Spermien zu produzieren. Hat jemand regelmäßigen sexuellen Kontakt oder befriedigt er sich regelmäßig selber, so gehen dem Körper ebenso regelmäßig diese wertvollen Mineralien, Vitamine, Spurenelemente, Proteine, Hormone, usw. verloren. Dies bleibt natürlich nicht 84 ohne Folgen, sondern führt, infolge des Mangels an Mineralien, Vitaminen, Spurenelementen, usw.; meist sehr schnell zu chronischen Stoffwechselstörungen, die in der Regel mit Depressionen, Ängsten, Wut, Hass, Eifersucht, Misstrauen, usw. einhergehen. Die Lebenslust, die Lebensfreude, geht dabei verloren und das Leben wird zur Qual. Fortan wird das Leben vom Leid bestimmt. Dass jeder Orgasmus dem Menschen wertvolle Energien raubt, ist vielen Menschen auch deshalb nicht bewusst, weil sie über die verloren gegangenen Energien gar nicht weiter nachdenken. Sie sehen ihr Leben, betrachten ihr Leben als vollkommen normal und erkennen gar nicht, dass ihr Leben auch ganz anders aussehen könnte. Um sich wirklich intensiv und kritisch mit ihrem Leben auseinander zu setzen, dafür fehlt ihnen oft die Intelligenz oder das Wissen. Dass die fehlene Intelligenz oder das fehlende Wissen etwas mit ihrer ausschweifenden Sexualität zu tun haben könnte, darüber machen sie sich keine Gedanken. Ebenso trifft dies auch auf ihre Ängste, ihre psychosomatischen Beschwerden, auf ihre Wut, ihre Unzufriedenheit, ihre Unfähigkeit, sich zu entspannen, auf ihre Unfähigkeit, während der Meditation einen tieferen meditativen Zustand zu ereichen und auf ihr depressives Verhalten zu, welches ihr Leben beeinträchtigt. Sie machen sich keine Gedanken darüber, dass dies alles etwas mit ihrer Sexualität zu tun haben könnte. Damit möchte ich nicht sagen, dass die Sexualität der einzige Grund für ihr Leiden ist, sie ist aber sicherlich einer der Hauptgründe dafür. Würden sie ihre sexuellen Energien nicht pausenlos so achtlos vergeuden, so könnte ihr Leben in einem Licht erstahlen, wie sie es selber nicht für möglich halten. Man hat eher das Gefühl, dass das Leben der meisten Menschen Lichtjahre von dieser Seligkeit entfernt ist. Und das hat natürlich etwas mit ihrem 85 auschweifenden Sexualleben zu tun. Ich stelle immer wieder fest, dass vielen Frauen nicht bewusst ist, wieviel Energien bei jedem Orgasmus verloren gehen. Ebenso wie vielen Männern ist auch vielen Frauen nicht bewusst, auf welchen Ebenen sich dieser Energieverlust überall bemerkbar macht. Dies wurde ja im letzten Absatz bereits angedeutet. Hinzu kommt allerdings auch, dass Frauen nicht so leicht für sexuelle Reize empfänglich sind und auch nicht so leicht zum Orgasmus kommen. Deshalb haben Frauen im Allgemeinen auch nicht so häufig einen Orgasmus wie Männer. Laut Angabe der amerikanischen Sexualtherapeutin Lou Paget haben etwa 29 Prozent aller Frauen nur selten oder niemals einen Orgasmus beim Geschlechtsverkehr. 84 Prozent der Frauen erhalten durch orale Befriedigung einen Orgasmus. Nur 40 Prozent aller Frauen sind mit ihrem Sexualleben zufrieden. 63 Prozent aller Frauen gehen davon aus, dass Männer die weiblichen Wünsche nicht kennen. Hinzu kommt, dass etwa 30 Prozent aller Männer einen vorzeitigen Orgasmus haben. Für viele von ihnen ist damit das Liebesspiel beendet. Etwa 34 Prozent der Frauen täuschen häufig auch nur einen Orgasmus vor. Weil Frauen beim Sex also wesentlich seltener einen Orgasmus haben als Männer, mitunter auch gar keinen Orgasmus, können sich manche Frauen offensichtlich gar nicht vorstellen, wie energiezehrend ein Orgasmus sein kann. Vielleicht will man so etwas auch einfach nicht wahrhaben, weil es den eigenen Wünschen und Erwartungen widerspricht. Swami Sivananda, der Arzt und Leiter eines Krankenhauses war, sagte hierzu in seinem Buch „The practice of brahmacharya“: „Das am stärksten entkräftende und entmutigende Vergnügen ist das sexuelle Vergnügen. Es geht einher mit Schmerzen, Schwächen, Anhaftungen, mit einem schwachen Willen, einer Sklavenmentalität, mit großer 86 Anstrengung im Kampf gegen die sinnliche Begierde und mit Nervosität. Aber sinnliche Menschen kommen niemals zur Vernunft, obwohl sie harte Schläge, Tritte und Prügel aus allen Richtungen beziehen. Der streunende Straßenhund schleicht sich immer wieder in die Häuser, obwohl er dort jedes mal mit Steinen beworfen wird. Bedeutende westliche Mediziner sagen, dass verschiedene Arten von Krankheiten aus dem Verlust des Samens entstehen, besonders im jungen Alter. Sie zeigen sich als Blutgeschwüre auf dem Körper, Bläschen oder Akne auf dem Gesicht, als blaue Linien unter den Augen, als Fehlen von Barthaaren, als eingefallene Augen, als Bleichgesicht mit Blutarmut, als Gedächtnisverlust, als Verlust des Sehvermögens, als Kurzsichtigkeit, als Verlust des Samens zusammen mit dem Urin (Spermatorrhoe = Samenverlust ohne Orgasmus), als Vergrößerung der Hoden, als Schmerz im Hoden, als Erschöpfung, Schläfrigkeit, Trägheit, Depression, Herzklopfen, als Atemnot oder Schwierigkeit mit der Atmung, als Schwindsucht (Tuberkulose), als Rückenschmerzen, Lendenschmerzen, Kopfschmerzen, Gelenkschmerzen, als schwache Nieren, als Urinieren im Schlaf, als Wankelmütigkeit, Denkfaulheit, als schlechte Träume, feuchte Träume (Pollutionen), als Unruhe und Rastlosigkeit.“ Bei Dr. Raymond Bernard lesen wir weiter: „Der Samen ist eine sämige, eiweißhaltige Flüssigkeit, mit basischem Charakter, der sehr reich an Kalzium, Phosphor, aber auch an Lecithin, Cholesterin, Eiweiß, Nukleoproteinen, Eisen, Vitamin E, usw. ist. Bei der Ejakulation eines normalen Mannes werden etwa 226 Millionen Spermien ausgeschieden. Diese sind reich an phosphorisierenden Fetten (Lecithinen), Cholesterinen, dem Ursprung der Sexualhormone, Nukleoproteinen und Eisen. Der Samen enthält wertvolle Bestandteile, die unter anderem über die Vitalität eines Menschen entscheiden. Der Samen enthält 87 also Stoffe mit hohem physiologischen Wert, vor allem in Bezug auf die Ernährung des Gehirns und des Nervensystems. Wird der männliche Samen durch die weiblichen Genitalien aufgenommen, so hat er einen vitalisierenden Effekt auf den weiblichen Organismus. Dasselbe geschieht im Körper des Mannes, wenn er den Samen erzeugt und bewahrt. Umgekehrt, entzieht der Velust des Samens dem Körper seine Vitalität und wertvolle Substanzen, wie Lecithin, die für die Ernährung der Nerven sehr wichtig sind. Lecithin wird z.B. mit sehr großem therapeutischem Erfolg für die Heilung von Neurasthenie, einer Nervenschwäche aufgrund körperlicher und/oder seelischer Überlastung infolge sexueller Exzesse, eingesetzt.“ Die folgenden Aufzählungen gehören zu den vielen physiologischen Beweisen, die den Wert der Enthaltsamkeit verdeutlichen: 1. Es besteht eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen der chemischen Zusammensetzung des Samens und des zentralen Nervensystems, die beide besonders reich an Lecithin, Cholesterin und Phosphorverbindungen sind. Dies weist darauf hin, dass die Vergeudung des Samens, dem Körper Substanzen entzieht, die für die Ernährung des Nervensystems unbedingt notwendig sind. 2. Übermäßiger freiwilliger Samenverlust durch Masturbation, Geschlechtsverkehr und andere sexuelle Praktiken, ist schwächend und schädlich für den Körper und das Gehirn. 3. Übermäßiger unfreiwilliger Samenverlust durch nächtliche Pollution, am Tage auftretende 88 (unfreiwillige) Orgasmen, Spermatorrhea (Abfluß von Samen, evtl. nur Samenblasensekret, aus der Harn(samen)röhre ohne Wolllustgefühl, z.B. beim Stuhlgang oder Wasserlassen), schwächen das Nervensystem und können Neurasthenie auslösen. 4. Beobachtungen der unmittelbaren Folgen eines Orgasmus' weisen darauf hin, dass sie vorübergehend das Nervensystem erschöpfen. Findet dagegen häufig ein Orgasmus statt, dann führt dies zu einer chronischen Nervenschwäche. 5. Enthaltsamkeit ist heilsam für das Gehirn, da es das Lecithin, welches als Nervennahrung betrachtet werden kann, bewahrt. Aus diesem Grunde führten einige der größten Intellektuellen Genies der Antike und der modernen Zeit ein enthaltsames Leben. Dazu gehören Pythagoras, Plato, Aristoteles, Leonardo da Vinci, Spinoza, Newton, Kant, Beethoven, Herbert Spencer, usw.. 6. Neuere physiologische Erkenntnisse, die darauf hinweisen, dass der Samen Substanzen enthält, die von großem physiologischen Wert für den Körper sind, unterstützen die Idee der Enthaltsamkeit, die sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Lecithin ist leicht brennbar und enthält eine große Menge gespeicherter potentieller Energie. Es ist gut geeignet die unaufhörlichen Aktivitäten des Gehirns, des Nervensystems und der Atmungsorgane zu unterstützen. Wie Öl in den feinen Verästelungen des Dochts brennt, so brennt Lecithin in den 89 feinen Verästelungen der Nervenfasern. Der einzige andere Teil des Körpers, der mit dem Gehirn, den Nerven und dem endokrinen (inneren) Gewebe verglichen werden kann, der ebenfalls einen hohen Gehalt an Lecithin hat, sind der Samen und die Spermien. Ebenso wie das Gehirn ist der Samen eine fetthaltige Substanz, reich an phosphorisierten Fetten, den Phosphatiden oder Phospholipiden. Dass beachtliche Mengen an Lecithin für die Bildung der Spermien erforderlich sind, ist bekannt. Wird dieses Lecitin aber durch den Orgasmus verausgabt, so geht dem Menschen dadurch wertvolle Energie verloren, die er sonst über die Blutbahn den Nerven, dem Gehirn und der Lunge zur Verfügung stellen könnte, um für einen ausgeglichenen Stoffwechsel, der ein entsprechendes Wohlbefinden mit sich bringt, zu sorgen. Das, was über das Lecithin gesagt wird, gilt im Prinzip ebenso für das Cholesterin und die Phosphorverbindungen. Geht der Same einmal verloren, so kann er nicht so ohne weiteres ersetz werden, denn viele Hormone, Proteine, Vitamine, Lecithin, Cholesterin, Phosphate usw. brauchen Zeit, um ersetzt zu werden. Sind sie einmal verloren gegangen, so kann man sie nicht einfach von außen zuführen, wie manche meinen. Auch der Körper braucht seine Zeit, um die verloren gegangenen Substanzen zu erneuern. Die permanente Verausgabung führt in der Regel dazu, dass der gesamte Stoffwechsel gestört wird, so dass es längerer Zeit bedarf bis der Körper sich wieder erholt. Dabei sollte man bedenken, dass sich die psychosomatischen Erkrankungen, die sich infolge einer jahre- oder jahrzehntelangen sexuellen Ausschweifung eingestellt haben, nicht von heute auf morgen heilen lassen. Man kann also davon ausgehen, dass die regelmäßige sexuelle Aktivität in der Regel zu einem mehr oder weniger gestörten Stoffwechsel führt, der einige Monate oder gar einige Jahre 90 benötigt, um wieder zu genesen. Tiere, wie Menschen, werden zu Opfern eines übertriebenen sexuellen Verlangens, wenn sie sich falsch ernähren und in Gefangenschaft gehalten werden. Daher werden Affen, wenn sie in einem Käfig eingesperrt sind und mit Fleisch und anderer sexuell anregender Nahrung gefüttert werden, extrem zügellos und bösartig, während sie zuvor, als sie noch mit Früchten gefüttert wurden, sanft und zahm waren. Dann masturbieren sie exesssiv und haben täglich Geschlechtsverkehr und die Weibchen menstruieren so häufig wie menschliche Frauen. Andere weibliche Säugetiere, die ein natürliches Leben führen, menstruieren nicht. Nur durch Domestizierung und übermässige Fütterung geschieht dies bei Kühen und anderen Arten. Daraus kann man ersehen, dass die Menschen mit der Ablösung traditioneller Lebensformen und der Gründung der „Zivilisation“, inklusive der Verhütungstechniken und der Sexualaufklärung, sich immer weiter von der natürlichen Lebensweise entfernten und eine immer ungesundere Lebensweise führten, in der die Sexualität plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses rückte. 8. Die sechs Stufen der Keuschheit Top Wenn von der Keuschheit, dem Zölibat, die Rede ist, dann versteht man darunter im Allgemeinen ein sexuell enthaltsames Leben. Die Keuschheit sollte aber nicht als ein einheitlicher Zustand betrachtet werden. Der Anfänger, der soeben beginnt, keusch zu leben, wird die Keuschheit sicherlich anders erleben, als jemand, der sie schon längere Zeit praktiziert. Beginnt jemand keusch zu leben, so brodeln in ihm immer noch viele erotische Fantasien, die immer wieder in ihm aufsteigen und mit denen er sich in irgendeiner Weise auseinander setzen muss. Das Vernünftigste ist es, sofort alle aufkommenden 91 Gedanken, Wünsche und Fantasien beiseite zu schieben. Dies bedarf aber einer gewissen Erfahrung und Willensstärke, die man zunächst einmal lernen muss. Jemand der bereits längere Erfahrungen mit der Keuschheit hat, hat sich womöglich bereits von allen sinnlichen Wünschen und Fantasien gelöst. Er lässt sich nicht mehr von solchen Reizen verführen, falls sie überhaupt noch vorhanden sind. Interessant in diesem Zusammenhang sind die Äusserungen des katholischen Priesters, Mönchs, Abts und Schriftstellers Johannis Cassianus (360 – 435), der später heilig gesprochen wurde. Zunächst pilgerte er als junger Mann, vermutlich aus Süd-Rumänien, wo er um 360 n.Chr. geboren wurde, nach Palästina, wo er in einem Kloster in Bethlehem mit dem christlichen Mönchstum in Berührung kam. Von dort zog er über 10 Jahre nach Ägypten, um bei den christlichen Mönchen in der ägyptischen Wüste das Koinobitentum (griechisch koinos bios = gemeinsames Leben) kennenzulernen. Das Koinobitentum steht im Gegensatz zum Eremitentum (Anachoretentum), bei dem die Einsiedler völlig abgeschieden und zurückgezogen in der Wüste leben. Die Koinobiten dagegen leben in einer klösterlichen Gemeinschaft. In seinem Buch „Vierundzwanzig Unterredungen mit den Wüstenvätern“ spricht er von sieben unterschiedlichen Stufen der Keuschheit, die wir uns einmal ansehen sollten. Cassianus schreibt: [14] „Es gibt viele Stufen der Keuschheit, auf welchen man zu jener unverletzlichen Reinheit hinaufsteigt. Obwohl meine Kraft nicht hinreicht, diese in würdiger Weise zu erkennen oder gar aufzuzählen, so will ich doch, weil es der Verlauf der Unterredung fordert, nach meiner geringen Erfahrung irgendwie darüber sprechen, indem ich das Vollkommenere den Vollkommeneren überlasse und durchaus denen nicht vorgreifen will, die durch glühendern Eifer eine größere 92 Keuschheit besitzen und sich also durch eine um so hellere Einsicht auszeichnen, je eifriger sie sind. So will ich also den hohen Berg der Keuschheit in sechs Stufen theilen, die freilich an Höhe sehr voneinander verschieden sind. Dabei will ich gewisse Mittelstufen, deren sehr viele sind, übergehen, denn ihre feinen Unterschiede entziehen sich so sehr dem menschlichen Verstand, daß weder ein Geist einsehen noch eine Zunge aussprechen kann, wie allmählich die Vollkommenheit der Keuschheit durch täglichen Fortschritt heranwächst. Denn ähnlich wie die sichtbaren Körper täglich unbemerkbar ihr Wachsthum haben und so, ohne es zu wissen, zu der Vollendung ihrer Gestalt gelangen, so wird auch die Vollkraft der Seele und die Reife der Keuschheit erlangt. Der erste Grad der Schamhaftigkeit ist nun, daß der wachende Mönch nicht durch fleischliche Anfechtung gestürzt werde. Der zweite, daß sein Geist nicht bei lüsternen Gedanken verweile. Der dritte, daß er durch den Anblick eines Weibes auch nicht leichthin zu einer Begierde gereizt werde. Der vierte, daß er im Wachen nicht einmal eine einfache Regung des Fleisches erdulde. Der fünfte, daß seinen Geist auch nicht die leiseste Beistimmung zu der Lust treffe, wenn der Inhalt einer Abhandlung oder eine nothwendige Lesung ihm die Erinnerung an die menschliche Zeugung beibringt, sondern daß er dies; als eine ganz einfache Sache und als eine dem menschlichen Geschlechte nothwendig zugewiesene Leistung mit ruhigem und reinem Herzensauge betrachte und nicht mehr daran denke, als wenn es sich um die Bereitung von Ziegelsteinen oder irgend ein anderes Geschäft handeln würde. Der sechste Grad ist, daß er selbst im Schlafe nicht durch verführerische Vorstellungen von Weibern betrogen werde. Denn obwohl wir nicht glauben, daß diese Bethörung mit Sündenschuld behaftet sei, so ist sie doch ein Zeichen der noch 93 im Innersten verborgenen Begierlichkeit. Es ist bekannt, daß dieser Trug auf verschiedene Weise entstehe. Denn gemäß dem, was einer wachend zu thun oder zu denken gewohnt ist, wird er auch im Schlafe versucht; anders nämlich werden die verführt, welche die fleischliche Verbindung nicht kennen, anders die, welche die Vereinigung mit dem Weibe erfahren haben. Die Ersteren werden gewöhnlich durch einfachere und weniger unreine Träume belästigt und können so auch mit weniger Anstrengung und Mühe gereinigt werden. Die Zweiten aber werden durch schmutzigere und deutlichere Vorstellungen verführt, bis der Geist allmälig nach dem Maße der Reinheit, wonach einer strebt, selbst in der Schlaftrunkenheit zum Hasse jener Dinge sich wendet, die er vorher freiwillig fühlte. Dann wird ihm vom Herrn gewährt werden, was den tapfern Männern als höchster Lohn ihrer Mühen durch den Propheten versprochen wird: „Bogen und Schwert und Krieg will ich bannen aus euerm Lande und euch schlafen lassen in Sicherheit;“ (Ose. 2, 18) und so wird endlich einer zu jener Reinheit des frommen Serenus (christlicher Märtyrer) und der wenigen ähnlichen Männer gelangen. Diese (siebte) Stufe habe ich deßhalb von den oben genannten sechs weggelassen, weil sie nur von den Wenigsten erreicht, ja auch nur geglaubt werden kann; und weil Das, was jenem durch eine besondere Reichlichkeit der göttlichen Gnadengabe verliehen wurde, nicht als allgemeines Gebot vorgelegt werden kann, daß nämlich unser Geist so sehr zu keuscher Reinheit sich gestalte, daß selbst die natürliche Regung des Fleisches erstirbt und also jenen unreinen Fluß gar nicht mehr hervorbringt. Endlich darf ich die Meinung, welche einige über diesen fleischlichen Erguß festhalten, nicht verschweigen. Sie sagen: nicht deßhalb begegne dieser (der nächtliche Erguß) den Schlafenden, weil der Traumestrug ihn hervorbringe, sondern weil der Überfluß 94 dieser Säfte in dem ungesunden Herzen gewisse reizende Regungen entstehen läßt. In jener Zeit, sagen sie, in welcher eine solche Ansammlung nicht beunruhigt, sei wie der Fluß, so auch das Traumspiel weg.“ 8.1 Körperliches und geistiges Brahmacharya Top Willst du ein Brahmachari sein, dann muss dein Verstand rein sein. Geistiges Brahmacharya ist ebenso wichtig wie körperliches Brahmacharya. Geistiges Brahmacharya ist aber um einiges schwerer zu verwirklichen, als körperliches Brahmacharya, denn geistiges Brahmacharya entspricht einem inneren Zustand, der sich erst nach längerer Zeit des körperlichen Brahmacharya einstellt. Darum sollte man zunächst das körperliche Brahmacharya anstreben. Hat man das geistige Brahmacharya noch nicht verwirklicht, dann treten immer wieder Versuchungen an den Brahmachari heran, die seine Sinne zum lodern bringen. Ist dies der Fall, dann sollte der Brahmachari jeden sinnlichen Gedanken sofort vertreiben. Oft denkt man, man könnte ein wenig mit seinen Fantasien spielen, ohne dass dies Konsequenzen hätte. Aber das ist ein Irrtum, den man meist erst bemerkt, wenn es zu spät ist. Dann ist man betrübt, weil das Verlangen wieder einmal stärker war als die Vernunft. Daraus sollte man die Konsequenz ziehen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Man wird nur Erfolg im körperlichen Brahmacharya haben, wenn man jeden sinnlichen Gedanken sofort konsequent vertreibt. Dann stellt sich wieder innere Ruhe ein und die lodernden Flammen des sinnlichen Verlangens erlöschen wieder. Du solltest Erfolg im körperlichen Brahmacharya, aber auch im geistigen Brahmacharya anstreben. Der Geisteszustand, bei dem kein sexueller Gedanke mehr vorhanden ist, wird geistiges Brahmacharya genannt. Wenn es auch nur einen einzelnen 95 sexuellen Gedanken gibt, kann man nicht erwarten, geistiges Brahmacharya zu verwirklichen. Vollkommenes geistiges Brahmacharya stellt sich aber erst nach längerer Zeit des körperlichen Brahmacharya ein. Dann sind keine erotischen Begierden mehr vorhanden. Sind die Gedanken erregt, dann ist das sexuelle Verlangen sehr stark. Wenn du die lüsternen Gedanken nicht kontrollieren kannst, dann kontrolliere zumindest den Körper. Körperliches Brahmacharya muss anfangs streng geübt werden. Kontrolliere den Körper, wenn sinnliche Begierden dich beunruhigen. Geistige Reinheit oder geistiges Brahmacharya wird sich dann ebenfalls allmählich einstellen. Auf alle Fälle ist es besser, die Sinne zu kontrollieren, als sich dem sinnlichen Vergnügen hinzugeben. Meditiere täglich, dann werden allmählich deine Gedanken gereinigt. Ein sexueller Akt belebt alle sinnlichen Fantasien auf's neue und gibt ihnen neue Nahrung. Nichts ist darum schädlicher für den Brahmachari, als seinen sinnlichen Begierden zu folgen. Darum sollte zuerst der Körper kontrolliert werden. Erst danach wird sich geistiges Brahmacharya einstellen. Der Brahmachari sollte in der Lage sein, für Monate oder Jahre auf jegliche sexuelle Aktivität zu verzichten. Allmählich verändert sich dann die Physiologie seines Körpers und das permanente sexuelle Begehren klingt immer weiter ab, bis es eines Tages ganz verschwindet. Man sollte aber bedenken, dass mit den Verschwinden des sexuellen Begierden keineswegs alle Probleme gelöst sind. Die Lösung von der sexuellen Abhängigkeit ist erst der erste Schritt auf der spirituellen Leiter, dem weitere Schritte folgen sollten. Vergleicht man die spirituelle Leiter mit dem klassischen indischen Chakramodell (1. Wurzelchakra, 2. Sexualchakra, 3. Sonnengeflecht, 4. 96 Herzchakra, 5. Kehlkopfchakra, 6. Stirnchakra, 7. Scheitelchakra) worauf ich später noch ausführlicher eingehen möchte, dann entspricht die Ablösung von der sexuellen Abhängigkeit gewissermaßen dem Erreichen des Sexualchakras. Hat der Brahmachari geistiges Brahmacharya verwirklicht, so wird einiges in seinem Leben leichter, weil unter normalen Umständen keine erotischen Wünsche und Fantasien mehr in ihm erwachen. Er sollte aber weiterhin allen Versuchungen aus dem Wege gehen. Erst in einem späteren Stadium ist er stark genug, selbst erotischen Versuchungen zu widerstehen. Hat der Brahmachari geistiges Brahmacharya verwirklicht, so ist er damit aber noch nicht von seinen Ängsten, von seiner Wut, von seinen Depressionen und psychosomatischen Erkrankungen befreit. Dies geschieht erst zu einem späteren Zeitpunkt des spirituellen Aufstiegs. 9. Die Sexualität des Menschen Top Die eigentliche Aufgabe der Sexualität ist die Fortpflanzung. Allein hierfür wurde sie von der Natur erschaffen. Um die Fortpflanzung zu gewähren, hat die Natur sich einen Trick einfallen lassen, denn sie hat die Fortpflanzung mit einem äussert intensiven Lustempfinden verbunden. Gäbe es dieses Lustempfinden nicht, so würde sich womöglich kaum ein Lebewesen für die Fortpflanzung interessieren und die Rassen würden nach und nach aussterben. Irgendwie scheint der Natur der Fortbestand der Lebewesen am Herzen zu liegen, denn sonst hätte sie womöglich nicht solch ein lustbetontes Konzept entwickelt. Dieses lustbetonte Konzept hat aber auch einen gravierenden Nachteil, denn die Sexualität besitzt auch die Eigenschaft, dass man von ihr abhängig werden kann. Diese sexuelle Abhängigkeit beginnt bei den meisten Jungen bereits in der Kindheit und sie ist meist so stark, dass sie bis ans 97 Lebensende bestehen bleibt. Für diese Abhängigkeit sind physiologische Veränderungen verantwortlich, die eine permanente sexuelle Begierde hervorrufen. Es sind ähnliche physiologische Prozesse, die die Drogen-, Nikotin-, Tablettenund Alkohol-Abhängigkeit hervorrufen. Wenn man davon ausgeht, dass die Sexualität naturgemäß eigentlich dafür gedacht ist, Nachwuchs zu zeugen, so bräuchten die Paare eigentlich nur miteinander intim zu sein, wenn sie Nachwuchs zeugen wollten. Die Realität aber sieht anders aus, denn unsere Gesellschaft hat die Sexualität fast auf die sexuelle Befriedigung reduziert und sie gewissermaßen vom eigentlichen Zeugungsakt getrennt. Die Menschen sind in der Regel wegen der sexuellen Befriedigung miteinander intim, aber nicht um Nachwuchs zu zeugen. Es wird sogar einiges getan, um genau diesen Nachwuchs zu verhindern. Und damit wird die Sexualität ausschliesslich auf die sexuelle Befriedigung reduziert. Die Reduzierung der Sexualität auf die sexuelle Befriedigung hat natürlich ihre Gründe. Einerseits liegt es daran, dass die Sexualität die Fähigkeit besitzt, eine sexuelle Abhängigkeit, ein sexuelles Suchtverhalten, zu erzeugen. Hiervon sind die meisten Männer betroffen. Dieses Suchtverhalten äußert sich in der Form, dass diese Männer immer wieder das Recht auf regelmäßige intime Stunden von ihrer Partnerin fordern, ohne dabei unbedingt die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Partnerin zu berücksichtigen. Notfalls wird dies auch mit Schmeichelein, Geschenken, Drohungen oder Erpressungen eingefordert. Über kurz oder lang stößt dies natürlich meist auf Ablehnung bei der Partnerin und führt zu Spannungen in der Partnerschaft. Aber auch Frauen können ein suchtähnliches Verhalten entwickeln. Einerseits verwechseln manche Frauen Sexualität 98 mit Liebe und sind mit ihrem Partner intim, weil sie meinen, ihm dadurch ihre Liebe zu schenken. Dies mag vielleicht sogar ehrlich gemeint sein, aber ich glaube, dass es vielen Männern in Wirklichkeit nur um die eigene sexuelle Befriedigung geht. Liebe steht oft erst an zweiter Stelle. Ich habe weiter das Gefühl, dass es manchen Frauen schmeichelt, wenn sie das Gefühl haben, von einem Mann begehrt zu werden. Nicht zu verleugnen ist sicherlich auch der Aspekt, dass die Sexualität von Frauen oft als Mittel zum Zweck benutzt wird, dass sie also benutzt wird, um sich materielle Vorteile zu verschaffen. Umgekehrt nutzen Männer materielle Anreize, um sich sexuelle Vorteile zu verschaffen. Die These, dass Frauen es durchaus verstehen, die Sexualität zu ihrem Vorteil einzusetzen, wird durch eine Studie zweier englischer Evolutionspsychologen von der Newcastle University bestätigt, die zuvor im Fachblatt „Evolution and Human Behavior“ veröffentlicht wurde. Männer, die wohlhabend sind und/oder einen hohen gesellschaftlichen Status haben, sind für Frauen attraktiver. Wohlhabenden und erfolgreichen Männern fällt es wesentlich leichter Frauen kennenzulernen, als weniger erfolgreichen Männern. Dies ist allgemein bekannt und relativ gut belegt. Eine Studie der britischen Psychologen Prof. Daniel Nettle und Dr. Thomas Pollet, die am 18. Januar 2009 von der britischen Tageszeitung „The Times“ vorgestellt wurde, geht noch einen Schritt weiter in den Folgen der Partnerwahl und dürfte Aufsehen erregen. Nach dieser Studie gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Reichtum eines Mannes und der Zahl der Orgasmen seiner Partnerin: „Die Häufigkeit der weiblichen Orgasmen nimmt mit dem Einkommen ihrer Partner zu.“, erklärt Dr. Thomas Pollet. Reichere Männer sind zwar nicht besser im Bett, aber der Sex mit ihnen wird von Frauen womöglich als besser 99 erlebt, weil sie sich damit einen Zugang zu Reichtum und Macht verschaffen können und diesen erhalten wollen. Dr. Thomas Pollet glaubt, dass dieses Phänomen auf einer evolutionären Anpassung der Frau beruht, die fest in ihren Genen einprogrammiert ist. Sie führt dazu, dass sie sich Partner sucht, der ihr und ihrer Familie die größte Sicherheit bietet. [46] Schaut man sich einmal an, warum sich viele Partnerschaften bilden, dann versteht man auch, warum die Sexualität innerhalb der Partnerschaft solch eine Bedeutung bekommt. Viele Menschen sind einsam und sehnen sich nach einem Partner oder einer Partnerin. Sie setzen sich meist nur wenig mit den Ursachen ihrer Einsamkeit auseinander, sondern wollen ihr einfach nur entkommen, indem sie in die nächste Partnerschaft fliehen. Mit Liebe hat das meist wenig zu tun, sondern es entspricht eher einer Flucht aus der Einsamkeit. Dieses Verhalten ist eher ein Nehmen, ein Habenwollen, und ist auch von dem Wunsch bestimmt, seine erotischen Fantasien ausleben zu können. Viele Menschen glauben, man könne nur in einer Partnerschaft glücklich sein. In Wirklichkeit laufen sie nur vor ihrer inneren Unzufriedenheit, ihrer Langeweile und ihrer Einsamkeit davon. Sie könnten die Zeit des Alleinseins ebenso nutzen, sich diesen Problemen zu stellen, um daran etwas zu ändern. Statt dessen aber flüchten sie lieber in die nächste Partnerschaft. Ich möchte keineswegs bestreiten, dass man den jeweiligen Partner bzw. die Partnerin nicht gerne mag und daran interessiert ist, eine harmonische Beziehung miteinander zu führen. Man sollte aber bedenken, dass man alle ungelösten Probleme mit in die neue Beziehung einbringt. Die ungelösten Probleme lösen sich also nicht auf, sondern treten nur für ein Weilchen in den Hintergrund, um sich irgendwann wieder bemerkbar zu machen. Bekanntlich macht 100 Liebe blind. Hat sich die stürmische Leidenschaft erst einmal gelegt, dann betrachtet man manches mit anderen Augen. Schließlich ist auch das Verliebtsein nur ein Trick der Natur, die auf diesem Wege dafür sorgt, dass Nachwuchs gezeugt wird. Das Verliebtsein entspricht ebenso wie dem Wütendoder Traurigsein einem bestimmten physiologischen Zustand, bei dem das Gehirn bestimmte Hormone in den Körper ausschüttet. Ist man verliebt, so produziert das Gehirn Endorphine, sogenannte „Glückshormone“, also körpereigene Drogen, die dafür sorgen, dass man die Welt durch die rosarote Brille sieht. Dieser körpereigene Drogencocktail vertreibt nicht nur die Sorgen und die Einsamkeit, unter der man vielleicht zuvor litt, sondern verstärkt den Wunsch, eine Familie zu gründen und Kinder zu zeugen. Diese sogenannten „Liebeshormone“ sorgen sogar dafür, dass die Geburt nicht so schmerzhaft verläuft, denn sie sind nicht nur schmerzlindernd, sondern wirken antidepressiv, aufmunternd und lindern die Angst. Irgendwann aber kehrt der graue Alltag wieder ein und es ist die Frage, ob die Partnerschaft dann immer noch so harmonisch verläuft. 9.1 Das sexuelle Lustzentrum Top Es ist interessant, sich einmal anzusehen, warum die Menschen sich so sehr von der Sexualität angezogen fühlen. Wie bereits gesagt, geraten die meisten Männer bereits in der Kindheit in die Fänge der Sexualität, aus der sie sich fortan nicht mehr befreien können und aus der sie sich auch nicht befreien wollen, denn schließlich bereitet die Sexualität ihnen ein großes Vergnügen. All die negativen Folgen, die damit verbunden sind, werden nicht weiter zur Kenntnis genommen, schließlich ist das Gefühl des Orgasmus so überwältigend, dass man darauf auf keinen Fall verzichten möchte. Wie stark das 101 Gefühl des Orgasmus ist, wurde in einem Tierexperiment nachgewiesen, welches mit Ratten durchgeführt wurde. Ratten wurden in einen Käfig gesetzt und eine Elektrode wurde im sexuellen Lustzentrum des Gehirns eingepflanzt. War der Strom eingeschaltet, dann konnte das Lustzentrum der Ratten erregt werden. War der Strom ausgeschaltet, war eine Erregung nicht möglich. Nun wurde den Ratten beigebracht, einen Hebel zu bedienen, der das Lustzentrum im Gehirn stimulierte. Immer wieder berührten sie den Hebel, was eine lustvolle Empfindung bei ihnen auslöste. Sie taten es so lange, bis sie völlig erschöpft waren und bewusstlos umfielen. Nachdem sie wiederbelebt wurden und man sie wieder in den Käfig setzte, taten sie genau das gleiche; immer und immer wieder. Dann gaben die Forscher den Ratten die Möglichkeit, den Schalter selbst zu betätigen. Das hat sie dann endgültig süchtig gemacht. Später nahmen sie extreme Schmerzen und Elektroschocks in Kauf, nur um an den Schalter zu kommen. Dabei vergaßen sie alles andere, selbst das Essen und Trinken und sind letztendlich verdurstet. Das extrem intensive Gefühl eines Orgasmus resultiert aus der Aktivierung eines Bereichs des Mittelhirns, dem ventralen Tegmentum, der das Glückshormon Dopamin ausschüttet. Das ventrale Tegmentum scheint der wichtigste Bestandteil des Belohnungssystems zu sein, in dem auch verschiedene Drogen ihre Wirkung entfalten. So weiss man aus den Untersuchungen englischer Wissenschaftler, dass die Injektion von Heroin die gleichen Regionen aktiviert, die auch bei der „Orgasmus-Studie“ sichtbar wurden. Das „High“ nach Einnahme der Droge wird von Süchtigen zudem häufig mit dem Gefühl eines sexuellen Höhepunkts verglichen. Aus diesen Experinenten ist ersichtlich, wie stark die 102 Abhängigkeit von der Sexualität sein kann. Diese Abhängigkeit bringt allerdings auch alle bereits beschriebenen negativen psychosomatischen Erkrankungen mit sich. Da die meisten Menschen (Männer) aber nicht die Kraft, den Willen und die Einsicht haben, sich von ihrer sexuellen Abhängigkeit zu lösen, werden sie einerseits zu Sklaven ihrer sexuellen Begierden und andererseits zahlen sie dafür einen hohen Preis, der von der ganzen Vielfalt psychosomatischer Leiden gekennzeichnet ist. Sie haben sich durch ihre sexuelle Abhängigkeit gewissermaßen selber aus dem Paradies vertrieben, welches eigentlich nur darauf wartet, ihnen permanente Seligkeit zu bereiten und haben sie gegen kurze Momente der Seligkeit und ein ansonsten qualvolles und beschwerliches Leben eingetauscht. Um diesem Leid wenigstens hin und wieder für einen kurzen Moment zu entrinnen, flüchten sie sich, wie die Ratten im Experiment, immer und immer wieder in neue sexuelle Höhepunkte. Dadurch wird das Leben insgesamt zur Qual und entbehrt, bis auf die kurzen Momente der sinnlichen Lust, jeglicher Seligkeit. Da diese Seligkeit also vollkommen aus dem Leben der Menschen verschwunden ist, versuchen sie diese Seligkeit wenigstens für kurze Momente in der Sexualität zu finden. Dabei vergessen sie allerdings, dass ihr ganzes Leben aus Seligkeit bestehen könnte, würden sie ihre sexuellen Energien nicht permanent verschleudern, sondern bewahren und sublimieren. Auf die Sublimation der sexuellen Energie wird später noch eingegangen. 9.2 Das sexuelle Verhalten urzeitlicher Völker Top Dr. Raymond Bernard verweist in seinem Buch „The physiological value of continence“ auf die Studien einiger Wissenschaftler, die das sexuelle Verhalten urzeitlicher Völker untersuchten. Aus diesen Studien geht hervor, dass die Urvölker, die meist in Stämmen lebten und ein natürlicheres 103 Leben führten als die sogenannten zivilisierten Menschen. Sie waren nicht so auf die Sexualität fixiert, wie die zivilisierten Menschen. Sie waren in der Regel nur miteinander intim, um Kinder zu zeugen und praktizierten in einem weit größerem Umfang ein keusches Leben, als die zivilisierten Menschen. Dies ist nicht nur auf andere ethische, moralische und kulturelle Vorstellungen zurückgeführen, sondern auch auf eine andere Ernährungsweise. Die urzeitlichen Menschen ernährten sich weit weniger von proteinreicher (eiweißreicher) Nahrung, wie Fleisch, Fisch, Eier und Geflügel, denen im Allgemeinen nachgesagt wird, dass sie die Libido und damit das erotische Begehren fördern, sondern sie ernährten sich in weit höherem Maße von Getreide, Nüssen, Samen, Obst und Gemüse. Unsere artnächsten Verwandten, die Menschenaffen, ernähren sich durchschnittlich zu 52% von Früchten und Beeren, zu 35% von Blättern, Wildpflanzen und Sprossen, zu 7% von Wurzeln, Samen, Rinden und Gallen (Gallen = Pilze, Bakterien und Kleintiere, die auf Blättern wachsen), zu 5% von Blüten und zu 1% von Kleingetier und Insekten. Kaffee, Schwarzer Tee, Tabak und Alkohol, denen man ebenfalls eine aphrodisierende Wirkung nachsagt, war ihnen entweder unbekannt oder wurde nur selten von ihnen genossen. Da Verhütungsmittel unbekannt waren, war die Keuschheit die verbreitetste Verhütungsmethode. Erotische Bilder und Texte, wie sie uns in der zivilisierten Welt in Form von Film, Literatur, Werbung, Fernsehen und Internet täglich berieseln, waren den urzeitlichen Menschen ebenfalls unbekannt. Schauen wir uns einmal an, wie die Sexualität bei einigen urzeitlichen Völkern aussah. Auf den Andamanen, einer Inselgruppe östlich von Indien, war der sexuelle Wunsch unter den Männern nur sehr gering vorhanden. Normalerweise erwuchs die Sexualität der Männer auf den Andamanen erst mit 104 18 Jahren und sie wurde erst nach der Heirat befriedigt, wenn der Mann etwa 26 Jahre alt war. Daran kann man erkennen, wie prägend das Vorbild und der kulturelle Einfluss der Gesellschaft auf das sexuelle Verhalten der Menschen ist, in der man aufwächst. Auch die Ureinwohner Feuerlands an der Südspitze Südamerikas waren in ihrer Sexualität äußerst zurückhaltend. Von den Eskimos im nördlichen Polargebiet ist bekannt, dass sie in der langen dunklen Winterzeit keine Sexualität praktizierten. Deshalb geht man davon aus, dass der sexuelle Instinkt der Urzeitvölker weniger stark ausgeprägt war als bei den zivilisierten Menschen und dass die Urvölker Sexualität nur praktizierten, um Nachwuchs zu zeugen. Es ist bekannt, dass die Indianer Amerikas weit weniger wollüstig waren, als die fleischessenden weißen oder afrikanischen Rassen. Indische Jungen, die sich vegetarisch ernährten, masturbierten nicht und sie lebten bis zur Heirat in Keuschheit. Keuschheit vor der Ehe, war einst in vielen Teilen Afrikas die Regel. Unter den Ba Henda war Geschlechtsverkehr vor der Ehe nicht erlaubt. Bei den Syntengs, lebt der Ehemann mit seiner Frau nicht im selben Haus. Er besucht sie nur gelegentlich im Hause seiner Mutter, wo die Braut ebenfalls wohnte. Unter den Seri, werden junge Männer angeleitet, ein Jahr vor der Ehe eine Probezeit zu absolvieren, in der sie enthaltsam leben, um ihre Fähigkeit der sexuellen Selbstkontrolle zu testen. In Uganda wurde nach der Geburt eines Kindes, eine Enthaltsamkeit von zwei Jahren praktiziert. Laut Havelock Ellis sind die Afrikaner weit weniger wollüstig als die weißen Männer. Unter den Fidschis im Südpazifik lebten Ehemann und Ehefrau nach der Geburt eines Kindes drei bis vier Jahre getrennt, so 105 dass kein weiteres Baby geboren werden konnte und die Mutter die notwendige Zeit zum Stillen und zur Erziehung des Kindes hatte. Der sexuelle Impuls der Belendas auf den malayischen Inseln war nur schwach entwickelt. Sie waren nicht sexuell. Es gab wenig oder keine Liebesspiele in den sexuellen Beziehungen. Unter den Malayen herrscht in Zeiten des Krieges strikte Keuschheit. Unter den Kambodschanern herrschte strenge Keuschheit und wenn man den Himalaya nach Norden überschritt, so fand man dort wild lebende Völker, denen sexuelles Begehren unbekannt war. So wird das frisch verheiratete Paar bei den Turcomians einige Tage nach der Hochzeit für ein Jahr getrennt. Bei Edvard Westermarck (1862-1939), einem finnischen Ethnosoziologen und Philosophen, heißt es, um so weiter die Zivilisation voranschreitet, desto größer ist die Zahl der unehelichen Geburten und die Verbreitung der Prostitution. Diese Probleme treten eher in Städten, als auf dem Lande auf. Er behauptet, dass Promiskuität, der Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern, kein ursprünglicher und natürlicher Zustand des Menschen ist, sondern ein Produkt der Zivilisation, oder besser gesagt, der Pseudo-Zivilisation. Die „primitiven“ Rassen der Menschheit, lebten vergleichsweise keusch. Die antiken Spartaner in Griechenland verkörperten eine Rasse, mit einem hohen moralischen Anspruch, die die Keuschheit beachtete. Die Geschlechter lebten selbst nach der Hochzeit getrennt. Die Männer schliefen zusammen in einem Schlafsaal und die Frauen in einem anderen. Zur Erreichung der Keuschheit, die er als wesentlich für die Erhaltung der Vitalität der spartanischen Rasse hielt, verbot Lykurk, der Gesetzgeber der Spartaner, den Konsum von Fleisch und anderen stimulierenden Nahrungsmitteln und setzte eine vegetarische 106 Kost durch. Alkohol war ebenso verboten. Er verbot das Essen zu Hause und und ernährte die Spartaner an einer öffentlichen Tafel. Durch die Kontrolle ihrer Nahrung, konnte er ihre Moral kontrollieren. In Sparta, einem Matriarchat, in dem Frauen große Macht hatten, wurden die Jungen zur Keuschheit erzogen. Der athenische Politiker, Feldherr und Schriftsteller Xenophon (426-355 v.Chr.) sagte, dass die Jungen schamhafter seien als die Mädchen. Der Mut und die körperliche Perfektion der spartanischen Rasse machte sie durch alle Zeitalter berühmt. 9.3 Die enthaltsam lebenden Dani aus Neuguinea Top Durch den amerikanischen Anthropologen Prof. Karl Gustav Heider (geboren 1935) von der Harvard Universität, der die Dani 1961 und 1963 insgesamt 26 Monate lang in Westirian (Westneuguinea) studierte, ist das sexuelle Verhalten der enthaltsam lebenden Dani recht gut bekannt. [19] Die Dani sind ein Volk aus Neuguinea, mit 370.000 Einwohnern. Sie hatten in den ersten beiden Jahren nach der Heirat keinen Geschlechtsverkehr und lebten für 4 bis 6 Jahre nach der Geburt eines Kindes vollkommen enthaltsam. Vorehelicher und außerehelicher Geschlechtsverkehr sind praktisch unbekannt. Es gibt scheinbar keine Homosexualität oder andere sexuelle Formen der sexuellen Befriedigung (Onanie). Darüber hinaus scheint niemand irgendwelche Anzeichen von Unglück oder Stress zu zeigen. Nach der Befragung, sagten die Stammesangehörigen, die Verletzung der Enthaltsamkeit nach der Schwangerschaft würde Probleme mit den Geistern des Stammes verursachen. Dennoch wirkten die Dani keineswegs gezwungen gegenüber ihren Geistern, und Heider stellt fest, dass die Befolgung dieser übernatürlichen Bestimmungen als ziemlich zwanglos verstanden werden muss. 107 Die Dani scheinen einfach keinen größeren Drang zu kennen, weder sexuell noch in anderer Weise. Es gibt kaum starke Gefühle, wenig künstlerische Ambitionen und nur wenig Streit. Anstatt seiner Wut Ausdruck zu verleihen, entfernt sich der Dani lieber von der belastenden Situation. Kriege haben, laut Heider, den emotionalen Charakter der Rotwildjagd in Amerika. Die Krieger unterhalten sich eine längere Zeit, kämpfen dann eine Stunde lang und setzen danach die Unterhaltung fort. Wut und Rache spielen dabei nur selten eine Rolle. Die Dani wollen einfach nur ihre Geister besänftigen und den Kampf so schnell wie möglich beenden. Ihr einzig wirkliches Interesse gilt der Schweinehaltung und dem Anbau der Süßkartoffel. Heider kann es sich nicht erklären, warum das Energieniveau der Dani so niedrig ist (warum sie so ein geringes sexuelles Verlangen haben). Der Stamm scheint eine geringe Kindsterblichkeitsrate, eine ausreichende Ernährung und keine ernsten Krankheiten zu haben. Heider glaubt nicht, dass genetische oder biologische Faktoren die Ursachen für dieses „niedrige Energiesystem“ der Dani sind, sondern dass sie kulturell bedingt ist. Wenn das so ist, dann müsste die westliche Theorie über den angeborenen sexuellen Trieb, der vor allen Dingen von Freud postuliert wurde, neu überdacht werden. 10. Die vier Lebensstadien im Hinduismus Top Traditionell wurde das Leben eines Hindu in vier Lebensstadien unterteilt. Diesem Konzept folgten viele gläubige Hindus. Das Konzept der vier Lebensstadien soll dem gläubigen Hindu helfen, sein Wesen zu läutern und im Zustand reinen Bewusstseins Befreiung vom Rad der Wiedergeburt zu erlangen. So kann er sich von den Fesseln des Leids befreien und mit dem Göttlichen vereinen. Man unterscheidet zwischen folgenden vier Lebensstadien: 108 ● Brahmacharya, Schülerschaft (10/14 - 20/25 Jahre) ● Grihastya, Berufs- und Familienleben (20/25 – 50/60) ● Vanaprastha, Weltentsager (50/60 bis 70/75 Jahre) ● Sannyas, Waldeinsiedler (70/75 Jahre bis zum Tod) 10.1 Der Brahmachari, der Schüler Top In früheren Zeiten lebten etwa 30 Prozent aller indischen Kinder, insbesondere die Kinder aus der Oberschicht, in einem Ashram bei einem Lehrer (Guru). Der Schüler wurde als Brahmachari bezeichnet. Er lebte enthaltsam und wurde von seinem Lehrer, der oft mit seiner Frau zusammenlebte, in häuslichen, schulischen und spirituellen Dingen unterrichtet. Man kann die Brahmacharis fast als kleine Mönche betrachten. Die wichtigste Aufgabe des Brahmachari ist das Studium der Heiligen Schriften. Der Brahmachari legte ein zeitliches Gelübte ab, auf Sexualität, Fleisch, Drogen, Alkohol und Glücksspiel zu verzichten. Brahmacharya bedeutet Zölibat. Ein Brahmachari ist jemand, der das Zölibat, die Keuschheit, beachtet. Der Zölibat stammt vom lateinischen Wort „caelebs“ ab und bedeutet allein oder unverheiratet zu leben. Das Brahmacharya bedeutet nicht nur die Kontrolle der Fortpflanzungsorgane, sondern die Kontrolle aller Sinne. Es bedeutet Reinheit in Gedanken, Worten und Taten. Das Leben eines Brahmachari beginnt mit der Upanayana Zeremonie, der Aufnahmeprozedur, die als zweite Geburt betrachtet wird. Dabei verpflichtet sich der Brahmachari seine ganze Aufmerksamkeit dem Studium der heiligen Schriften zu widmen. Während dieser Studienperiode sollte der Schüler unter der Aufsicht eines Lehrers leben. Es sei daran erinnert, dass auch heute noch in einigen 109 buddhistischen Ländern z.B. in Myanmar, Thailand, Laos, Sri Lanka, Kambodscha, Vietnam und Indien, viele Jungen für Wochen, Monate, Jahre, oder gar ihr ganzes Leben in ein Kloster gehen. Dieser Aufenthalt im Kloster, bei dem die Kinder die heiligen Schriften studieren und meditieren, wo sie zu Freundlichkeit, Nächstenliebe und Bescheidenheit angeleitet werden, hat einen großen Einfluß auf ihr späteres Leben. Ich täte mir wünschen, die europäischen Kinder hätten ebenso die Gelegenheit, sich intensiv mit Yoga, Meditation und mit ethischen, spirituellen, psychologischen, soziologischen, religiösen und humanistischen Themen zu beschäftigen. Es käme der Gesellschaft sicherlich zu Gute. Statt dessen verkümmern ihre Talente vielfach an Schulen, an denen Gewalt, Egoismus und Rücksichtslosigkeit den Ton angeben. Vor der Aufnahmeprozedur wird der Knabe geschoren, gebadet, geschmückt und gespeist. Dann wird ein Feuer entzündet, welches drei Tage lang brennen soll, denn so lange dauert die Zeremonie. Im Laufe der Zeremonie wird dem Schüler eine Mönchsrobe, ein Fell, ein Gürtel, ein Stab und ein Gefäss zum Betteln überreicht. Der Stoff aus dem die Mönchsrobe und der Gürtel gewebt sind, hängen von der jeweiligen Kaste ab, dem der Schüler angehört. Die Robe kann aus Leinen, Hanf, Baum- oder Schafswolle gewoben sein. Der Gürtel kann aus Munjagras, aus einer Bogensehne, aus Kashagras, aus Wolle oder aus Hanf sein. Das Fell bildet das Obergewand. Je nach Kastenzugehörigkeit wird dem Schüler das Fell eines schwarzen Antilopen, eines Hirsches, einer Kuh oder einer Ziege angelegt. Der Stab ist etwa mannshoch und aus Palashaholz, Bilvaholz, Badara oder Udumbara. In einem Zwiegespräch zwischen Schüler und Lehrer wird der Schüler auf seine Pflichten hingewiesen. Am Schluss der Zeremonie erhält der Lehrer eine Liebesgabe als Opferlohn. Nach Ablauf 110 von drei Tagen werden die Brahmanen (Priester) gespeist und der junge Brahmachari wird zu seinem Schritt gratuliert. Ein Brahmachari ist jemand, der durch ein Leben in absoluter Keuschheit versucht, Brahman (Gott) zu realisieren. Brahmacharya ist der Versuch, ein zölibatäres Leben zu führen. Ein Brahmachari sollte bis zum 25. Lebensjahr die heiligen Schriften studieren. Hat er die Entscheidung getroffen, das Gelübde der Enthaltsamkeit bis ans Ende seines Lebens beizubehalten, möchte er also ein Naishtika Brahmachari werden, dann braucht er die Lebensphase des Ehemannes (Grihastya) nicht zu beachten. Er sollte also keine Heirat eingehen und Leidenschaftslosigkeit und Unterscheidungskraft entwickeln. Erst dann wird er ein erfolgreicher Brahmachari sein. Er kann sein ganzes Leben dem spirituellen Streben widmen. Traditionell besteht die Vorstellung, dass ein Brahmachari seinen Lehrer mit der gebotenen Ehrfurcht verehren soll. Der Guru ist die Verkörperung aller Veden (Heiligen Schriften) und aller Devas (Gottheiten). Deshalb sollten Gott und Guru als eins betrachtet und der Guru täglich verehrt werden. Ein Brahmachari sollte seinem Guru mit Glauben und Hingabe zwölf Jahre lang dienen. Er sollte Japa (Mantrameditation) als seinen wertvollsten Schatz betrachten und niemals darauf verzichten. Durch die Meditation allein erlangt er Erfolg. Der Kontakt der Sinne mit den Objekten der Begierde führt unweigerlich zur Sünde. Darum wird er nur Erfolg haben, wenn er seine Sinne kontrolliert. Die Kontrolle der Sinne ist für den Brahmachari nur durch Meditation möglich. Nur ein wahrer Brahmachari kann Bhakti (Liebe und Hingabe zu Gott) kultivieren. Nur ein wahrer Brahmachari kann Yoga praktizieren. Nur ein wahrer Brahmachari kann Jnana (Wissen) erlangen. Ohne Brahmacharya ist kein weltlicher und 111 spiritueller Erfolg möglich. Brahmacharis sollten Zigaretten, Tabak, Schnupftabak, Schwarzen Tee und Kaffee meiden. Brahmacharya verleiht eine gute Gesundheit, inneren Frieden, Stärke, Frieden des Geistes und ein langes Leben. Es kräftigt den Geist und die Nerven. Es hilft physische und geistige Energie zu bewahren. Es vergrößert die Stärke, die Kraft und die Vitalität. Es gibt Kraft zur Bewältigung der Schwierigkeiten im täglichen Kampf des Lebens. Brahmacharya ist der Weg, um Glück und Gesundheit zu erlangen. Es ist der Eckstein zur Seligkeit und zu ungetrübtem Glück. Es ist das einzige Mittel, wahre Männlichkeit zu bewahren. Darum versuche unter allen Umständen Brahmacharya zu bewahren. Brahmacharya bedeutet Freiheit von sexuellen Gedanken und Wünschen. Darum bewahre die lebenswichtige Flüssigkeit (den Samen), denn sie ist deine Lebenskraft. So wirst du höchste Glückseligkeit erlangen. Brahmacharya bringt materielle Vorteile und psychische Gesundheit. Es ist die Grundlage für ein Leben in Frieden. Brahmacharya ist eine wirksame Waffe im Kampf gegen die inneren Dämonen (gegen alle falschen Vorstellungen, die man verinnerlicht hat). Es verleiht beständige Freude, ununterbrochene und nicht versiegende Seligkeit, solange sie beachtet wird. Sie verleiht enorme Energie, einen klaren Verstand, eine starke Willenskraft, ein gutes Gedächtnis, ein klares Verständnis und eine gute Unterscheidungskraft. Nur durch Brahmacharya sind körperliche, geistige und spirituelle Fortschritte möglich. Brahmacharya, makellose Keuschheit, ist das beste aller Heilmittel. Wer die perfekte Kontrolle über die sexuelle Energie erreicht, erlangt eine Energie, die auf keinem anderen Weg erreicht werden kann. Brahmacharya ist die Tür zum Nirvana, zum Samadhi, zur Erleuchtung. Das vollendete Zölibat ist der Schlüssel, um das Tor zur himmlichen 112 Glückseligkeit zu öffnen. Der Weg zum Wohnsitz des höchsten Friedens beginnt mit Reinheit und Brahmacharya. Bewahrte sexuelle Energie wird als spirituelle Energie im Gehirn gespeichert. Diese Energie kann für spirituelle Fortschritte genutzt werden, um die lang ersehnte Seligkeit zu verwirklichen. Wie wir bereits in der Diskussion über den Energieverlust durch den Orgasmus gesehen haben, gehen bei jedem Orgasmus wertvolle Mineralien, Spurenelemente, Vitamine, Lecithine, Enzyme, Phosphatide und Hormone verloren. Bewahrt man dagegen den Samen, so wird er vom Blutkreis aufgenommen, um Nerven und Gehirn zu stärken. Damit trägt er zu einer besseren Gesundheit und zum Wohlbefinden des Menschen bei. Es ist also das physiologische Gleichgewicht, das über die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen entscheidet. Der Mensch, der sich in der sexuellen Abhängigkeit befindet, wird niemals Selbstverwirklichung erlangen. Mag sein, dass er ausgezeichnete künstlerische, wissenschaftliche, sportliche, politische oder kulturelle Leistungen vollbringt. Das heißt aber noch lange nicht, dass er ein glücklicher und zufriedener Mensch ist. Wirkliche Zufriedenheit wird er erst finden, wenn er sich von seiner sexuellen Abhängigkeit löst. Dazu müsste er aber seine sexuellen Neigungen bändigen. Aber sexuelle Neigungen sind wie Wellen, die sich aufgrund der schlechten Gesellschaft dem Meer anpassen. Es gibt nichts, was den Charakter so negativ beeinflusst, wie schlechte Gesellschaft. Darum vermeide schlechte Gesellschaft. Wer seine vitale Energie verschwendet, wird leicht nervös und reizbar. Er wird schnell wütend und verliert sein Gleichgewicht. Ist jemand wütend, dann verhält er sich oft rücksichtslos, ungerecht und verletzend. Er reagiert oft unüberlegt. Er beleidigt seine Eltern, seinen Guru oder Respektspersonen. Er weiß nicht, was er tut, 113 denn er ist nicht in der Lage, vernünftig zu unterscheiden und zu argumentieren. Daher muss ein Brahmachari unter allen Umständen seine vitale Lebensenergie bewahren. Die Bewahrung dieser wertvollen Energie führt zur Erlangung einer starken Willenskraft, zu gutem Benehmen, zu spirituellen Fortschritten und schließlich zum Moksha, zur Befreiung von allem Leid. Jeder Brahmachari sollte lernen, zunächst das physische Brahmacharya zu beherrschen. Er sollte im Zölibat leben, selbst wenn noch sexuelle Begierden in ihm schlummern. Im Laufe der Zeit wird sich auch das mentale Brahmacharya einstellen. Dann verschwinden allmählich seine erotischen Fantasien und Begierden. Sieht er dann eine hübsche Frau, dann sieht er in ihr nicht mehr das begehrte Sexualobjekt, sondern betrachtet sie als ganz normalen und liebenswerten Menschen. Er erfreut sich vielleicht an ihrem hübschen Aussehen ohne lustvolle Hintergedanken zu haben. Führe daher ein moralisches Leben, denn moralische Stärke ist das Rückgrat des spirituellen Fortschritts. Das Entwickeln einer ethischen Kultur ist Teil der spirituellen Praxis. Der Verlust der vitalen sexuellen Energie bringt großes Leid mit sich. Der permanente Verlust dieser Energie führt zu chronischen psychosomatischen Erkrankungen, die nur durch die strikte Enthaltsamkeit wieder genesen kann. Darum bewahre unter allen Umständen diese wertvolle vitale Energie. Praktiziere das Brahmacharya, lege das Gelübte des Zölibats ab und du wirst schon bald eine neue Kraft, Vitalität und Stärke in dir entdecken. Das Leben wird wieder lebenswert und die Lebensfreude kehrt wieder in dein Leben zurück. 10.2 Der Grihastya, der Familienvater Top Mit 20/25 Jahren beginnt das zweite Lebensstadium, das 114 Grihastya, die Zeit des Berufs- und Familienlebens. Hat der Brahmachari sich entschieden, kein Mönch zu werden, so denkt er darüber nach, einen Beruf zu ergreifen und eine Familie zu gründen. Den Beruf sollte er seinen Neigungen, Fähigkeiten und Interessen entsprechend wählen. Auch im Berufsleben sollte sich der Grihastya von ethischen Vorstellungen leiten lassen. Es spricht nichts dagegen, wenn jemand erfolgreich seinen Beruf ausübt und dabei ein gutes Einkommen hat. Dies sollte aber nicht auf Kosten anderer Menschen geschehen. Da Reichtum verpflichtet, sollte er einen Teil seines Einkommens denen spenden, denen es nicht so gut geht. Auch in seinem Berufs- und Familienleben sollte sich der Grihastya ausreichend Zeit für seine spirituelle Praxis nehmen. Er sollte also weiterhin täglich meditieren, Yogaübungen machen und an seinem Charakter arbeiten. Dabei sollte die Spiritualität nicht nur im kleinen Kämmerlein stattfinden, sondern sie sollte sein ganzes Leben bestimmen. Die Spiritualität sollte in das Berufs- und Familienleben mit einfließen, sie sollte zur ethischen und moralischen Richtlinie seines Handelns werden. Sie sollte sich im liebevollen, freundlichen, rücksichtvollen, verständnisvollen und sozial verantwortlichen Umgang mit anderen Menschen auszeichnen. Stelle dich als Grihastya nicht in den Mittelpunkt und sei nicht nur auf deinen eigenen Vorteil bedacht. Praktiziere Karmayoga und hilf anderen Menschen, auf ihrem spirituellen Weg vorwärts zu kommen. Schenke ihnen deine Liebe, deine Aufmerksamkeit und wo es möglich ist auch deine Wohltätigkeit. Swami Sivananda sagte einmal: „Diene den Menschen mit göttlicher Hingabe und der Krebs der Individualität wird verschwinden. Selbstloses Dienen reinigt. Was ist das Ziel des Dienens? Warum dienst du den Armen und der leidenden Menschheit im allgemeinen? Warum dienst Du 115 der Gesellschaft und dem Land? Durch Dienen wird das Herz gereinigt. Egoismus, Haß, Eifersucht und Überheblichkeit verschwinden. Demut, reine Liebe, Sympathie, Toleranz und Barmherzigkeit entwickeln sich. Die Vorstellung des Getrenntseins von anderen Menschen verschwindet. Selbstsucht wird beseitigt. Deine Sicht des Lebens weitet sich. Du beginnst das Einssein und die Einheit des Lebens zu spüren. Dein Herz wird weit, und deine Ansichten werden weit und großzügig. Schließlich erlangst du Selbsterkenntnis. Du erkennst das „Eine in allem“ und „Alles im Einen“. Deine Freude ist überwältigend.“ Mit der Gründung einer Familie beginnt ein ganz neuer Lebensabschnitt. Vorher war man nur für sein eigenes Leben verantwortlich. Mit der Gründung einer Familie hat man gleichzeitig Verantwortung für Frau und Kinder. Das Familienleben bringt zwar viel Verantwortung mit sich, aber es bringt gleichzeitig auch sehr viel Freude mit sich. Das Leben eines Familienvaters ist genau so schwierig und anstrengend, wie das Leben eines Mönches, der im Zölibat lebt, denn der Familienvater ist stets den Verlockungen der Sinnlichkeit ausgesetzt. Aber auch ein Ehemann sollte das Brahmacharya praktizieren. Wie sieht das Brahmacharya in der Ehe aus? Wenn beide Eheleute das Brahmacharya beachten, dann sind sie nur miteinander intim, um Kinder zu zeugen. So berichtete Paramahansa Yogananda in seiner Autobiographie, dass seine Eltern nur einmal im Jahr miteinander intim waren, um Kinder zu zeugen. Insgesamt zeugten sie 8 Kinder, 4 Jungen und 4 Mädchen. 1906 legten Mahatma Gandhi und seine Frau Kasturbai das Gelöbnis zur Keuschheit ab, nachdem sie 4 Kinder bekommen hatten. Mahatma Gandhi war zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre alt. Brahmacharya bedeutet im Eheleben also eine Mäßigung im sexuellen Verkehr. Normalerweise 116 wurde den Eheleuten empfohlen, einmal im Monat intim zu sein. Dies sollte aber nur geschehen, um Nachwuchs zu zeugen. War die Familienplanung abgeschlossen, so sollten die Eheleute ebenfalls das Zölibat praktizieren. Das Brahmacharya erlaubt also im Familienleben auch das intime Zusammensein der Eheleute, um Kinder zu zeugen. Dies ist kein Verstoß gegen das Brahmacharya. Leider ist diese Einstellung immer mehr verloren gegangen. Eigentlich hat die Natur uns die Sexualität geschenkt, um Kinder zu zeugen. Aber mit dem Erlöschen des spirituellen Feuers verschwand auch die Enthaltsamkeit und sexuelle Ausschweifungen bestimmten fortan immer stärker das Leben der Menschen. Im Mittelpunkt der Familie aber sollte die Ausrichtung auf gemeinsame spirituelle Ziele stehen, die die Eltern nicht nur selber beachten, sondern auch ihren Kindern vermitteln. Die heutigen Menschen aber haben diese spirituelle Einstellung größtenteils verloren. Sie sind zu Opfern ihrer sinnlichen Leidenschaften geworden. Gleichzeitig haben sie damit jede Seligkeit aus ihrem Leben vertrieben. Swami Sivananda schreibt in seinem Buch „Practice of brahmacharya“: „Die Manu, das altindische Gesetzbuch, sagt: „Das erstgeborene Kind wird durch Dharma (Ethik, Moral) und die folgen Kinder durch Karma, durch Sinneslust, geboren. Der sexuelle Akt zum bloßen Vergnügen ist nicht vertretbar.“ Familienväter, die den Weg der Selbstverwirklichung beschreiten und älter als 40 Jahre sind, sollten den sexuellen Kontakt zu ihrer Partnerin einstellen, da ein sexueller Kontakt alle sinnlichen Ideen wiederbelebt und ihnen immer wieder neue Nahrung gibt. Die Ehe sollte als ein gottgewolltes heiliges Bündnis zweier Seelen betrachtet werden, deren Lebensziel die Selbstverwirklichung ist. Die Eheleute sollten vollkommenes Brahmacharya beachten, wenn sie schnelle spirituelle 117 Fortschritte und Selbstverwirklichung erreichen wollen. Bist du ein Familienvater von über vierzig Jahren? Dann solltest du nun ein perfekter Brahmachari werden. Deine Frau sollte (ebenso wie du) am Ekadasi, am 11. Tag nach Voll- und Neumond, fasten. Du solltest nicht sagen: „Swami, was soll ich tun? Ich bin ein Familienvater.“ Das ist eine faule Ausrede. Wie lange möchtest du noch wie ein leidenschaftlicher Familienvater leben? Bis an dein Lebensende? Gibt es keine edlere Mission in deinem Leben als Essen, Schlafen und sich fortzupflanzen? Hast du nicht schon genug von diesem irdischen Vergnügen gekostet? Du hast das Stadium des Familienvaters bereits überschritten. Ich kann dich entschuldigen, wenn du ein junger Mann bist, aber jetzt nicht mehr. Nun solltest du dich vom Weltlichen lösen, in das Stadium eines Vanaprastha (Weltentsagers) eintreten und dein Leben der Spiritualität widmen. Bringe zuerst dein Herz zum leuchten. Es wird in der Tat ein edles Leben sein. Bereite dich auf die Waldeinsamkeit als Sannyasin vor. Diszipliniere deine Gedanken. Reales Sannyasa ist geistiges Nichtanhaften. Reales Sannyasa bedeutet, das Erlöschen der Wünsche, des Egoismus, der Anhaftung an die Kinder, an den Körper, an die Frau und an den Besitz. Du brauchst dich nicht in die Himalajahöhlen zurückzuziehen. Du solltest aber einen höheren Geisteszustand entwickeln. Lebe mit der Familie und den Kindern in Frieden und Wohlstand. Lebe in der Welt, aber lass dich nicht von ihren Verlockungen verwirren. Löse dich von der Weltlichkeit. Das ist wirkliches Sannyasa. Das ist es, was ich gerne sehen würde. Dann wirst du zum König der Könige. Ich schreie diese Botschaft seit vielen Jahren in die Welt hinaus, aber nur sehr wenige folgen meiner Bitte. [20] 10.3 Der Vanaprastha, der Weltentsager 118 Top Ist der Familienvater etwa 50 bis 60 oder gar 70 bis 75 Jahre alt und geht langsam auf den Ruhestand zu, dann sollte er sich auf das Vanaprastha vorbereiten. Seine Kinder sind mittlerweile erwachsen, haben das Elternhaus vielleicht bereits verlassen, haben vielleicht schon eine eigene Familie gegründet und gehen ihre eigenen Wege. Langsam und allmählich kehrt im Leben des älteren Familienvaters wieder etwas mehr Ruhe ein. Nun sollte er sich langsam vom weltlichen Leben und aus seinen beruflichen und gesellschaftlichen Verantwortungen zurückziehen, um sein Leben ganz der Spiritualität zu widmen. Haus und Hof und das Geschäft übergibt er an seine Kinder, um mehr Zeit für seine spirituelle Praxis zu haben. Allmählich löst er sich auch aus der Partnerschaft, um sich in der nächsten Lebensphase, dem Sannyasa, als Waldasket in den Wald zurückzuziehen, um sein Leben ganz auf Gott auszurichten. Den Weg, der Welt zu entsagen, wählten in der Regel nur Menschen aus den oberen Kasten und Menschen, die sich mit der Yogaphilosophie verbunden fühlten. Viele ältere Ehepartner lebten weiterhin zusammen und gingen gemeinsam einen spirituellen Weg, ohne gänzlich der Welt zu entsagen und ohne den Weg des Waldasketen zu wählen. Die Lebensweise des Vanaprastha zeichnet sich besonders durch eine sehr intensive spirituelle Praxis aus. Man meditierte sehr viel, lebte asketisch, fastete regelmäßig, lebte einfach und bescheiden, beachtete das Zölibat, las in den heiligen Schriften, widmete den Yoga- und Atemübungen mehr Zeit, ging häufiger in den Tempel und unternahm Pilgerreisen. In den vedischen Schriften wird dem Vanaprastha empfohlen, kein Essen mehr zu kochen, sondern sich von ungekochter Nahrung, hauptsächlich von Früchten, Wurzeln, Samen und Blättern zu ernähren. Belebte Orte sollte man meiden. Stattdessen sollte man die Abgeschiedenheit aufsuchen. Der Yogi widmete seine 119 Zeit verstärkt seiner spirituellen Praxis, ohne dabei seine Familie zu vernachlässigen. 10.4 Der Sannyasin, der Waldeinsiedler Top Nach der allmählichen Trennung des Vanaprastha vom Weltlichen, erfolgt im letzten Lebensstadium, dem Sannyas, auch die Trennung vom Lebenspartner. Nun verlässt der gläubige Hindu sein Haus und zieht sich in den Wald oder in eine Höhle im Himalaya zurück. Andere leben in der Nähe eines Tempels oder sind als Bettelmönche auf ständiger Wanderschaft. Er befreit sich von allen Anhaftungen und lebt in völliger Besitzlosigkeit. Sein ganzes Bestreben richtet sich auf die Befreiung vom Rad der Wiedergeburt und die Vereinigung mit Gott. Sannyasin tragen traditionell orangefarbene Gewänder. In der Realität gab es selbst in Indien nur wenige Menschen, die Sannyasin wurden. Wenn die Eheleute sich gut verstanden, dann blieben sie meist so lange zusammen, bis der Lebenspartner gestorben war. Danach wurde man Sannyasin. Verstanden die Eheleute sich nicht so gut, dann waren beide froh, wenn sie Sannyasin werden konnten, denn in Indien konnte man sich nicht scheiden lassen, aber man konnte Sannyasin werden. Das Leben eines Sannyasin, eines Waldasketen oder Bettelmönches, fand natürlich in Indien statt, wo es eine lange Tradition hat. Zwar gab es auch in Europa vereinzelt christliche Eremiten, wie den Heiligen Bruno von Köln, den Heiligen Coelestin, den Heiligen Meinrad von Einsiedeln oder den Heiligen Gunther von Niederaltaich und andere Asketen, aber sie waren eine seltene Ausnahme. Würde sich heute jemand in Europa in die Waldeinsamkeit zurückziehen, so würde dies wohl seltsam anmuten. Wir haben in Europa keine Fruchtbaumwälder wie in Indien, wo u.a. Bananen, Quitten, 120 Datteln, Papaya, Kokospalmen, Mango, Nüsse und Brotfruchtbäume mitten im Wald wachsen. Wir haben auch kein so mildes Klima, wie es vielfach in Indien anzutreffen ist. Wollte also jemand in Europa im Wald leben, so müsste er damit rechen zu verhungern oder zu erfrieren. Er würde überall auf Unverständnis stoßen, weil das Leben eines Waldasketen nicht in der europäischen Tradition verankert ist. 10.5 Die Keuschheit in der Bhagavad Gita & im Yoga Sutra Top Brahmacharya ist ein göttliches Wort. Es ist die Quintessent und der Kern der Bhagavad Gita und des Yogasutra Patanjalis. Durch Unwissenheit wurde es vergessen. Der Wert von Brahmacharya wurde durch die großen Rishis (Weisen) bewahrt. Es ist das höchste Yoga, das Lord Krishna in seinem „Lied der Unsterblichkeit“ in der Bhagavad Gita (der „Bibel“ des Hinduismus) wiederholt. Im Kapitel 6, Vers 14, wird sehr deutlich gesagt, dass das Gelübde von Brahmacharya für die Meditation unbedingt notwendig ist: „...ungestört im Geist, frei von Furcht, im Gelübde des Zölibats...“ (prasantatma vigatabhir - brahmacari-vrate sthitah). In Kapitel 17, Vers 14 der Bhagavad Gita, sagt Krishna, dass Brahmacharya eins der Erfordernisse für die Askese des Körpers ist: „... Brahmacharya und Gewaltlosigkeit sind ebenfalls Enthaltungen des Körpers.“ (brahma-caryam ahimsa ca - sartram tapa ucyate). Im Kapitel 8, Vers 11, der Bhagavad Gita, sagt Krishna zu Arjuna: „Die in den Veden bewanderten Persönlichkeiten, die das Omkara (OM) chanten und große Weise im Lebensstand der Entsagung sind, gehen in das Brahman ein. Mit dem Wunsch nach dieser Vollkommenheit leben sie im Zölibat.“ (yad aksaram veda-vido vadanti - visanti yad yatayo vita-raga 121 yad icchanto brahmacaryarh caranti). Ich habe hier noch einmal die Aussagen der Bhagavat Gita [49], die Teil des Mahabharatas, eines bekannten indischen Epos aus der Zeit zwischen 400 v.Chr. und 400 n.Chr. ist, zusammengefasst. Dabei füge ich die Sanskrittexte mit ein, weil man daraus sehr gut ersehen kann, dass die Bhagavat Gita auf das Brahmachrya(m), also auf das Zölibat, verweist: Kapitel 6, Vers 14 „prasantatma vigata-bhir brahmacari-vrate sthitah manah samyamya mac-citto yukta asita mat-parah“ Übersetzung: Mit beherrschtem Geist, ohne Furcht und völlig frei von Sexualität (fest im Gelübde des Brahmacharya) sollte man über mich (Krishna) meditieren und mich zum endgültigen Ziel des Lebens machen.“ Kapitel 8, Vers 11 „yad aksaram veda-vido vadanti visanti yad yatayo vita-ragah yad icchanto brahmacaryam caranti tat te padam sangrahena pravaksye“ Übersetzung: „In den Veden bewanderte Persönlichkeiten, die das Omkara (Om) chanten und große Weise im Lebensstand der Entsagung sind, gehen in das Brahman ein. Mit dem Wunsch nach dieser Vollkommenheit leben sie im Zölibat.“ 122 Kapitel 17, Vers 14 „deva-dvija-guru-prajña pujana. saucam arjavam brahma-caryam ahimsa ca sariram tapa ucyate“ Übersetzung: „Die Enthaltung des Körpers besteht in der Verehrung des Höchsten Herrn, der Brahmanas (heiligen Schriften), des spirituellen Meisters und Höherstehender wie Vater und Mutter. Sauberkeit, Einfachheit, sexuelle Enthaltsamkeit und Gewaltlosigkeit sind ebenfalls Enthaltungen des Körpers.“ Man hört immer wieder, dass Bhakti-Yogis angeblich kein Brahmacharya zu beachten brauchen. Aber das ist nicht richtig. Brahmacharya gilt für alle Yogis, egal ob sie Raja-Yoga, Karma-Yoga, Bhakti-Yoga oder Jnana-Yoga praktizieren. Brahmacharya ist der Schlüssel zur spirituellen Entwicklung. Swami Sivanda sagt dazu: „Ein wahrer Brahmachari wird keinen Unterschied spüren bei der Berührung einer Frau (eines Mannes), eines Blatt Papiers, eines Holzscheites oder eines Steinbrockens. Nur ein wahrer Brahmachari kann Bhakti pflegen. Nur ein wahrer Brahmachari kann Yoga praktizieren. Nur ein wahrer Brahmachari kann Jnana (Wissen) erlangen.“ Und selbstverständlich sagt auch die Bhagavad Gita, dass Brahmacharya das oberste Gesetz für alle Bhakti-Yogis ist. Swami Prabhupada sagt in der Bhagavad Gita: „Man kann nicht täglich zu Hause oder anderswo Sexualität genießen, an einem sogenannten Yoga-Kursus teilnehmen und so zu einem Yogi werden. Man muß sich darin üben, den Geist zu beherrschen und alle Arten von Sinnenbefriedigung zu 123 vermeiden, von denen Sexualität an erster Stelle steht. In den Regeln des Zölibats, die von dem großen Weisen Yajñavalkya zusammengestellt wurden, heißt es: karmana manasa vaca sarvavasthasu sarvada sarvatra maithuna-tyago brahmacaryam pracaksate Übersetzung: „Das Gelübde des Brahmacarya soll einem helfen, sich in Taten, Worten und Gedanken, zu allen Zeiten, unter allen Umständen und an allen Orten, der Sexualität ganz und gar zu enthalten.“ Niemand kann echten Yoga praktizieren und zugleich seinem Geschlechtstrieb freien Lauf lassen. Brahmacarya wird deshalb von Kindheit an gelehrt, wenn man noch nichts von Sexualität weiß. Im Alter von fünf Jahren werden die Kinder zum GuruKula (dem Ort, an dem der spirituelle Meister lebt) geschickt, und der Meister erzieht die kleinen Jungen in der strengen Disziplin, Brahmacharis zu werden. Ohne solche Praxis kann niemand Fortschritte in irgendeinem Yoga machen, sei es Dhyana (Raja-Yoga), Jñana oder Bhakti. Wer aber nach den Regeln und Regulierungen des verheirateten Lebens lebt und nur mit seiner Frau eine sexuelle Beziehung unterhält (und auch das nur zur Zeugung des Nachwuchses), wird ebenfalls als Brahmachari bezeichnet. Nun möchte ich noch kurz auf Patanjalis Yogasutra eingehen. Patanjali war ein indischer Gelehrter und gilt als Begründer der Yoga-Philosophie. Das Yoga-Sutra von Patanjali besteht aus 195 Sanskrit-Versen, in denen in hochkonzentrierter Form die Essenz des Yoga-Weges gebündelt ist. Es ist das älteste erhaltene Werk über Yoga. Diese Form des Yoga wird als Raja 124 Yoga (Königsweg) oder Ashtanga Yoga (achtgliedriger Yoga) bezeichnet. Im Raja-Yoga-Sutra von Patanjali Maharshi wird die Bedeutung des Brahmacharya besonders in den 5 Yamas, den 5 Enthaltungen, betont. Diese 5 Yamas sehen wie folgt aus: 1. Ahimsa (Nichtverletzen), 2. Satya (Ehrlichkeit), 3. Asteya (Nichtstehlen), 4. Brahmacharya (Zölibat) und 5. Aparigraha (Unbestechlichkeit). Unter diesen 5 Enthaltungen ist Brahmacharya das wichtigste Gebot. In Kapitel 2 des Yogasutra Patanjalis, das sich mit der spirituellen Praxis beschäftigt, finden wir im 2. Kapitel folgende Verse: Kapitel 2, Vers 27: „Tasya saptadhâ prânta-bhûmih prajnâ“ Übersetzung: „Erleuchtung wird durch sieben (acht) Stufen erreicht.“ (Yama, Nyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana, (Samadhi)). Anmerkung: Hier ist das Brahmacharya im Yama, im Gebot der Enthaltungen, der Selbstkontrolle, enthalten. Yama setzt sich nämlich aus folgenden Gliedern zusammen: Gewaltlosigkeit, Ehrlichkeit, Nichtstehlen, Enthaltsamkeit, Unbestechlichkeit Kapitel 2, Vers 29: „Yama-niyamâsana-prânâyâma-pratyâhâra-dhâranâ-dhyânasamâdhayo ¢shtâv angâni“ Übersetzung: „Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi sind die acht Glieder.“ Anmerkung: Auch hier ist das Brahmacharya im Yama enthalten. 125 Kapitel 2, Vers 30: „Ahimsâ-satyâsteya-brahamacharyâparigrahâ yamah“ Übersetzung: „Die Yamas (Gebote der Enthaltung, Selbstkontrolle) bestehen aus Ahimsa (Nichtverletzen), Satya (Wahrhaftigkeit), Asteya (Nichtstehlen), Brahmacharya (Zölibat) und Aparigraha (Aufgabe von Gewinnsucht).“ Kapitel 2, Vers 38: „Brahmacharya-pratishthâyâm vîrya-lâbhah“ Übersetzung: „Wenn Brahmacharya, sexuelle Enthaltsamkeit, fest begründet ist, wird kraftvolle Lebenskraft (Vitalität) erlangt.“ Eine ähnliche Aussage wird auch im Kathopanishad (poetischer Text der Upanishaden, indische Heilige Schrift) gefunden. Im Mahabharata, dem bedeutendsten und umfangreichsten Epos der Hindus, findest man im Santi Parva: „Das Dharma, hat viele Zweige, aber Dama, die Sinneskontrolle, ist die Basis von allem.“ Im Jnana Yoga (Yoga des Wissens) gilt: Dama (Sinneskontrolle) ist die Grundlage für den Yogaschüler. Brahmacharya ist das lebenswichtige Thema für alle, die sich Erfolg im materiellen und geistigen Leben wünschen. Ohne Brahmacharya ist ein Mensch für die spirituelle Praxis absolut ungeeignet. Zum Abschluss dieses Kapitels noch einige Worte von Swami Sivananda: „Die Praxis von Brahmacharya ist die wichtigste Qualifikation für einen spirituellen Menschen, egal welchen Weg er eingeschlagen hat: Karma Yoga, Bhakti Yoga, Raja Yoga, Hatha Yoga oder Vedanta (Jnana Yoga). Die Disziplin der kompletten Enthaltsamkeit wird von allen verlangt. Nur ein 126 aufrechter Brahmachari kann Bhakti, die Verehrung Gottes, richtig kultivieren. Nur ein wahrer Brahmachari wird Yoga richtig praktizieren. Nur ein echter Brahmachari kann Jnana, den Yoga des Wissens, erfassen. Ohne Brahmacharya ist kein geistiger Fortschritt möglich. Die Leidenschaften führen einen tödlichen Krieg gegen die spirituellen Bestrebungen des Menschen. Es ist nicht möglich auf dem spirituellen Pfad voran zu kommen, der zu einer Vereinigung mit Gott führt, es sei denn, man kontrolliert die Sinneslust und praktiziert Brahmacharya. Solange die Sinneslust in deinen Nasenlöchern süß riecht, kannst du keine erhabenen, göttliche Gedanken in deinem Verstand hegen. Der Mann, in dem die Leidenschaften tief verwurzelt sind, wird immer nur davon träumen, Vedanta zu verstehen, und er wird die reine Liebe Brahmans selbst in zehn Millionen von Geburten nicht erfahren. Die Wahrheit kann nicht dort verweilen, wo die Leidenschaften existieren. Sexuelle Hingabe ist ein großes Hindernis im geistigen Weg. Sie verhindern definitiv die spirituelle Praxis. Das sexuelle Drängen muss durch erhabene Gedanken und regelmäßige Meditation kontrolliert werden. Es sollte komplette Sublimation der sexuellen Energie stattfinden. Nur dann ist der Yogaschüler absolut sicher. Die vollkommene Vernichtung des sexuellen Wunsches ist das spirituelle Ideal.“ 11. Frauen und Brahmacharya Top Es stellt sich die Frage, ob der weibliche Orgasmus ebenso mit einem Energieverlust verbunden ist, wie der männliche Orgasmus. Diese Frage kann mit Ja beantwortet werden, denn ebenso wie der Mann sondert die Frau ein Sekret ab, welches ähnliche chemische Eigenschaften besitzt, wie die männliche Prostata. Neuere Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass 127 alle Frauen diese Flüssigkeit produzieren, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der weiblichen Ejakulation. Bereits 300 Jahre vor Christus beschrieb der griechische Philosoph Aristoteles die weibliche Ejakulation. Der griechische Arzt und Anatom Galen (Galenos von Pergamon) (129-216 n.Chr.) beschrieb im 2. Jahrhundert die weibliche Paraurethraldrüse. Seit dieser Zeit ist das weibliche Ejakulat unter dem Namen „Aqualusio“ oder „Aqlusio“, was sich von den lateinischen Begriffen für Wasser (Aqua) und Ende (Conclusio) ableitet, bekannt. Eine detaillierte Beschreibung als „schwallartiger Erguss“ während der Erregung wird erstmals um 1670 von dem hollandischen Anatom Reinier de Graaf verfasst, der auch auf eine besonders sensible Zone in der vorderen Scheidenwand verwies, die er mit der Prostata des Mannes in Zusammenhang brachte. Dieser Bereich wurde 1950 von dem deutschen Gynäkologen Ernst Gräfenberg auf seiner Suche nach dem vaginalen Lustzentrum der Frau als Gräfenberg-Zone (GPunkt) beschrieben. [22] Als weibliche Ejakulation wird die meist mit einem intensiven Lusterlebnis verbundene, stoßweise Freisetzung eines Sekrets der Paraurethraldrüse bezeichnet, die von rund einem Drittel der Frauen unregelmäßig erlebt wird. Man bezeichnet die Paraurethraldrüse auch als weibliche Prostata. Das weibliche Ejakulat wird beim sexuellen Höhepunkt durch mehrere winzige Ausgänge in den Endabschnitten der Harnröhre ausgesondert. Die Paraurethraldrüse (lateinisch: Glandula paraurethralis), auch Skene-Drüse oder Prostata feminina (lateinisch: weibliche Prostata) genannt, gehört zu den akzessorischen (untergeordneten) Geschlechtsdrüsen der Frau. Die SkeneDrüsen wurden nach dem amerikanischen Gynäkologen 128 Alexander Skene (1838-1900), geboren in Schottland, benannt. Diese Drüsen besitzen, wie die männliche Prostata mehrere Ausführungsgänge, die in den Endabschnitt der Harnröhre und rechts und links der Harnröhre münden. [21] Ihr Sekret ähnelt in der Zusammensetzung dem der Prostata des Mannes. Einige Frauen erleben die Flüssigkeit als glasig/durchsichtig, andere wiederum berichten von milchigen Ejakulationen. 1950 beobachtete der deutsche Gynäkologe Ernst Gräfenberg (1881-1957), dass beim weiblichen Höhepunkt manchmal „große Mengen einer transparenten Flüssigkeit stoßweise aus der Harnröhre, nicht aus der Vulva (Vagina), herausschießen.“ Das weibliche Nervensystem wird durch den Orgasmus also genau so belastet wie das männliche. Darum sollten auch Frauen ihre kostbare vitale Energie bewahren. Ebenso wie männliche Brahmacharis sollten weibliche Brahmacharinis das Gelübte des Zölibats beachten. Sie sollten ebenfalls meditieren, sich gesund ernähren, sowie Yoga- und Atemübungen machen. Dadurch können sie sich ebenfalls von ihren sinnlichen Leidenschaften lösen. An dieser Stelle möchte ich einen Text einfügen, den eine Frau, die einige Zeit als Sannyasin (Brahmacharini) lebte, in mein Gästebuch schrieb. Hallo. Was man alles so findet im Internet, wenn man nach Erleuchtung sucht! Ich bin zwar eine Frau, aber warum denken Männer immer, nur sie hätten einen starken Sexualtrieb, der sie gefangen hält. Seit meiner Pupertät suche ich nach dem passenden Partner, den ich zwar auch schon zeitweise hatte in meinem Leben, aber die meiste Zeit war ich doch alleine und voller Sehnsucht. Ich bin Sannyasin und ständig auf dem Weg der Verwirklichung meines wahren Seins. Auch ich hatte eine 129 Zeit in meinen Leben, wo ich frei war. Leider ging es wieder vorbei. Ich hatte mich intensiv mit der Advaita-Lehre befasst und hatte dank eines lockeren Jobs viel Zeit für mich. Ich ging viel zu Satsangs (Zusammentreffen mit Weisen, Erleuchteten, Meistern u.ä.) und betrieb Selbsterfahrung. In einer ganz gewöhnlichen Mittagspause bei mir zuhause passierte ein Erwachen und eine Schau der Welt, wie sie in Wahrheit ist: alles in allem gleichzeitig, ewig und näher als nah - einfach unmittelbar - in der Mitte von allem. Beschreiben kann man das nicht so gut mit den Worten des Verstandes. Dieser höchste Zustand ging vorbei und ich ging wieder zur Arbeit, aber es passierten noch viele solcher feinen Zustände in den nächsten Tagen. Danach war ich für etwa ein halbes Jahr einfach nur immer glücklich. Die Suche nach einem passenden Partner und Sex war einfach nicht mehr vorhanden. Ich erwachte am Morgen voll Dankbarkeit und glücklich über dieses Leben und alles darin. Obwohl ich in meinem beruflichen Umfeld viel Schwierigkeiten hatte, und manchmal schwierige Emotionen deshalb, war hinter Ratlosigkeit und Frust, hinter allem Kampf, immer diese Glückseligkeit - sie war einfach da - durch nichts zu erschüttern. Mir fehlte nichts, wirklich nichts. Ich war glücklich - und wenn jemand glücklich ist, zieht er (sie) Menschen an. So auch Männer. Nach einem halben Jahr liess ich mich wieder auf eine Affaire mit einem Mann ein. UND DAS GANZE ELEND WAR WIEDER DA. Die Sehnsucht, das nicht Erfüllung erlangen. Die ewige Suche nach der Erfüllung. Mein kurzes Erlebnis des Erwachens ist nun 2 Jahre her und obwohl ich jetzt alle Texte über Erleuchtung verstehe, bin ich wieder voll in meinen Egostrukturen und meinen Bedürfnissen gefangen. 130 11.1 Einige Überlegungen zur Menstruation Top Interessant erscheint mir auch, sich über die Menstruation einige Gedanken zu machen. Von den urzeitlichen Eskimofrauen, die in den dunklen Wintermonaten enthaltsam lebten, ist bekannt, dass sie keine Menstruation hatten. Freilebende Säugetiere menstruieren ebenfalls nicht, aber sie haben ihre periodischen Paarungszeiten, gewöhnlich im Frühling und Herbst. Bei der Ausstoßung des Eies sondert das Weibchen einen leichten Schleim ab. Haustiere hingegen haben einen blutigen Ausfluß infolge unnatürlicher Ernährung und künstlicher Lebensbedingungen. Diese Degenerationserscheinung tritt bei Kühen, Katzen, Hunden, Pferden, Bären, Kaninchen und Affen auf. Gezähmte Affen menstruieren fünfmal im Jahr, sind aber nur zweimal fruchtbar. Die Kuh hat alle drei Wochen einen blutigen Ausfluß, kalbt aber nur einmal im Jahr. [16] Havelock Ellis erwähnt, daß alle hervorragenden Frauen der Geschichte verhältnismäßig frei von der Menstruation waren. Entweder menstruierten sie nur leicht oder gar nicht, wie zum Beispiel Jeanne d'Arc, laut dem medizinischen Protokoll ihres Hexenprozesses. Die für ihren Witz und Scharfsinn berühmte Französin Ninon de Lenclos, die bis zu ihrem neunzigsten Lebensjahr jung und blühend aussah, befreite sich durch eine besondere Diät von der Menstruation. „Bei einem primitiven Volk im australischen Busch, das ausschließlich von Früchten lebt, dauert die Menstrualperiode der Frau rund zwanzig Minuten, wobei sie ungefähr einen Teelöffel voll Blut verliert. Die Indianerinnen in der nordamerikanischen Prärie, die sich einfach ernährten und angestrengt arbeiteten, hatten eine kurze, unkomplizierte Menstrualperiode, von der sie kaum etwas merkten.“ 131 Interessant in diesem Zusammenhang ist auch eine Rohkoststudie, die von 1996 bis 1998 im Fachbereich Ernährungswissenschaft der Universität Gießen unter der Leitung von Prof. Dr. Claus Leitzmann durchgeführt wurde. [17] In der Hauptphase der Studie nahmen über 700 Teilnehmer statt. Am Ende der Studie lagen über 200 vollständige Datensätze vor. Die Teilnehmer waren entweder Rohköstler, Vegetatier, Veganer oder sogenannte omnivore Rohköstler, die auch ungekochtes Fleisch und Fisch verzehren. Etwa ein Drittel der Frauen unter 45 Jahren hatte keine Menstruation mehr, was normalerweise auf Unterernährung zurückgeführt wird. Das Ergebnis der Studie zeigte dass 57 Prozent der Personen Untergewicht hatten. Die Zufuhr der Vitamine A, C, E, B1, B6, Folsäure, Betacarotin, Selen und Antioxidantien war überoptimal, lag also über den empfohlenen Richtwerten. Bei Calcium, Zink, Jod, Vitamin D und Vitamin B12 wurde ein deutlicher Mangel festgestellt. Die Studie stieß bei den Rohköstlern aber auf Kritik, weil in der Auswertung der Studie Normwerte zum Vergleich herangezogen wurden, u.a. von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DEG), die aus den Werten der Durchschnittsbevölkerung ermittelt wurden. Ausserdem wurden von den Rohköstlern methodische Fehler angeführt. Ein häufiger Einwand war, die Teilnehmer seien zum größten Teil keine „echten“ Rohköstler, ein Teil gar keine Vegetarier. Bezüglich der Ziele der Diäten, nämlich die Erlangung einer besseren Gesundheit und eines besseren Lebensgefühls, ist festzustellen, dass Rohköstler, Vegetarier und Veganer seltener unter Krankheiten leiden, die sonst bei der übrigen Bevölkerung auftreten. Sie leben also gesünder. Somit stellt sich im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die 132 „Normalbevölkerung“ aufgrund der allgegenwärtigen Zivilisationskrankheiten im Großen und Ganzen bereits in nennenwertem Grade als krank einzustufen ist, die Frage eines Normierungsproblems oder gar die Frage der Qualität der Bewertung der Studie. Kann beispielsweise eine laut der DGE unzureichende Proteinzufuhr nicht gar als gesünder gelten? Man müsste sich in diesem Zusammenhang also die Frage stellen, inwieweit die Normwerte sinnvoll sind. Oder ist es nicht angebracht, neue Normwerte zu formulieren, die letzten Endes das Leben der Rohköstler, Vegetarier und Veganer als empfehlenswerter und eindeutig gesünder einordnet? Darüber möchte ich an dieser Stelle nicht befinden. Es sollte uns aber über die Art und Weise, wie wir uns ernähren, nachdenken lassen. Auch wenn manch einer nicht als Rohköstler, Vegetarier oder Veganer leben möchte, so erscheint es mir sinnvoll, darüber nachzudenken, die eiweißreiche Ernährung (Fleisch, Fisch, Geflügel, Milch und Eier) künftig zu reduzieren. Bereits Anfang der achtziger Jahre haben die Universität Gießen, das Krebsforschungszentrum Heidelberg und das Bundesgesundheitsamt Berlin drei große Vegetarierstudien mit erstaunlichen Erkenntnissen unabhängig voneinander durchgeführt. Demnach haben Vegetarier günstigere Blutdruckwerte, ein besseres Körpergewicht, eine höhere Lebenserwartung und eine geringere Anfälligkeit gegen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Vergleichbare Untersuchungen aus anderen Ländern kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Die Studie der London School of Hygiene and Tropical Medicine hat 11.000 Vegetarierinnen 12 Jahre lang beobachtet. Sie verglich ihre Teilnehmerinnen mit einer Kontrollgruppe, die, abgesehen vom Fleischkonsum, eine ähnliche Lebensweise und einen vergleichbaren sozialen Status wie die untersuchten 133 Vegetarierinnen hatte. Das Ergebnis: In allen wesentlichen Punkten wiesen die Vegetarierinnen bessere Werte auf, vor allem niedrigere Blutdruck-, Blutfett- und Harnsäurewerte und bessere Nierenfunktionsleistungen. Die Sterberate war um 20 % und die Krebstodesrate sogar um 40 % niedriger als bei der fleischessenden Kontrollgruppe. Zusammenfassend lässt sich aus diesen Studien ableiten, dass Vegetarierinnen keine Mangelerscheinungen haben, dass der allgemeine Gesundheitszustand überdurchschnittlich gut ist und die vegetarische Ernährung als gesund bezeichnet werden kann. [18] In diese Überlegungen sollte man auch mit einbeziehen, dass der Organismus des Menschen über Jahrmillionen an Rohkost gewöhnt war, bevor das Feuer zur Nahrungszubereitung genutzt wurde. Unsere nächsten Artverwandten, die Schimpansen, ernähren sich heute noch rohköstlerisch von Früchten, Beeren, Blättern, Wildpflanzen, Samen und Rinden. Sie verzehren nur 1 % tierische Eiweiße (auch roh). Aber selbst vor der Erfindung des Feuers kauten Mütter ihren Babys nach der Stillphase die Nahrung zu einem Brei vor, der durch die Speichelenzyme vorverdaut war. (Jetzt wisst ihr, woher vermutlich das Küssen kommt.) Ich mag es nicht beurteilen, ob eine ausschließliche Ernährung durch Rohkost zu empfehlen ist. Sicherlich ist es aber ratsam, die Ernährung mit Rohkost anzureichern. Rohkost wird auch als vorübergehende Heilnahrung empfohlen. 12. Das Geheimnis der Sublimation Top Das Wort Sublimation leitet sich vom lateinischen Wort „sublimare“ (erheben) ab und bedeutet im Allgemeinen, das etwas auf eine höhere Stufe gebracht werden soll. Unter der Sublimation versteht man in der Psychoanalyse die Fähigkeit, 134 sexuelle Energie und negative Eigenschaften in Verhaltensweisen umzuwandeln, die sozial erwünscht und hoch bewertet werden. Siegmund Freud führte den Begriff Sublimierung erstmals 1905 in der Schrift „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ in der Psychoanalyse ein. Im Rahmen seiner analytischen Theorie verstand er die Sublimation als einen Prozess, bei dem die Energie, die durch den Verzicht auf das Ausleben sexueller Triebwünsche bewahrt wird, benutzt wird, um ein ethisch höheres Ziel zu verwirklichen. Im psychoanalytischen Verständnis kann die bewahrte sexuelle Energie benutzt werden, um höhere intellektuelle, wissenschaftliche, medizinische, künstlerische oder soziale Leistungen zu vollbrigen oder um zu einer größeren inneren Zufriedenheit und Ruhe zu finden. Siegmund Freud ging davon aus, dass unsere Kultur im Grunde genommen auf Triebverzicht aufgebaut ist. Der Triebverzicht entsteht nach Freud, wenn Menschen auf die unmittelbare Triebbefriedigung verzichten und die freiwerdende Energie schöpferisch nutzen, um kulturelle Leistungen zu vollbringen. Diese Menschen, egal ob sie Wissenschaftler, Politiker, Staatsmann, Philosoph, Künstler, Sportler, Mediziner, Maler, Musiker oder Schriftsteller waren, erlangten durch den Triebverzicht schöpferische Ebenen, die den meisten Menschen in der Regel verborgen blieben. Ihr Wirken leuchtete zu jeder Zeit über die ganze Erde. Ihre Kreativität, Intuition und Fantasie vollbrachte Leistungen, die über Jahrhunderte Bestand haben. Zu diesen Menschen zählten Aristoteles, Phytagoras, Plato, Plotin, Spinoza, Leibniz, Kant, Shakespiere, Goethe, Michelangelo, Leonardo da Vinci, Tizian, Rembrandt, Rubens, Beethoven, Mozart, Bach, Galilei, Edinson, Marconi, Paracelsus, Isaac Newton, Simone Weil, Baruch Spinoza, 135 Nikola Tesla, Mahatma Gandhi, Ramana Maharshi, Paramahansa Yogananda, Ramakrishna, Henry David Thoreau, Antonio Gaudi und viele, viele, andere Prominente. Denken wir an all die großen Genies, die nicht nur eine große Potenz besaßen, sondern der Menschheit mit ihrer Inspiration und mit ihren schöpferischen Ideen unvergessene Werke erschufen. Viele dieser Genies waren durchaus der körperlichen Liebe aufgeschlossen, aber es gab immer wieder Zeiten, in denen sie zugunsten ihrer schöpferischen Tätigkeit darauf verzichteten. Andere verzichteten ihr Leben lang auf jede Sexualität. So stellte man Beethoven einmal die Frage, warum er nicht heirate. Darauf antwortete er: „Wie könnte ich meine Musik schreiben, wenn ich meine Energie im Eheleben verausgaben würde.“ Elisabeth Haich schrieb in ihrem Buch „Sexuelle Kraft und Yoga“: „Der Mensch kann nicht zwei Herren diesen. Er muss sich entscheiden, ob er seine schöpferischen Kräfte in die höheren oder niederen Zentren lenken will. Wahrhaft große Menschen haben nie ein auschweifendes Sexualleben geführt.“ Es ist interessant, sich einmal die Theorie der Samenbildung aus der Sicht der Yogaphilosophie anzusehen. In seinem Buch „Practice of brahmacharya“ beschreibt Swami Sivananda die Samenbildung wie folgt: „Entsprechend der Yoga-Wissenschaft existiert der Same in einer subtilen Form überall im ganzen Körper. Er ist in einem subtilen Zustand in allen Zellen des Körpers zu finden und wird unter dem Einfluss der sexuellen Begierde bzw. der sexuellen Betätigung dem Körper entzogen und den Geschlechtsorganen in Form von Samen zur Verfügung gestellt. Genau so wie Zucker im Zuckerrohr, Butter in der Milch, so ist auch der Samen im ganzen Körper vorhanden. Gerade so wie die Buttermilch dünnflüssig wird, nachdem man ihr den Butteranteil entzogen hat, so wird auch 136 der Samen verdünnt, wenn man ihn verschwendet. Um so mehr der Samen verschwendet wird, um so schwächer wird der Mann. Das heißt: Der Verlust des Samens bringt den Tod; das Bewahrung des Samens schenkt das Leben. Der Same beherbergt die wahre Vitalität der Männer. Es ist der versteckte Schatz im Mann.“ Swami Sivananda geht also davon aus, dass der Samen in einer subtilen Form überall im ganzen Körper existiert. Schauen wir uns einmal an, woraus der Samen besteht: • • • • • • • • • • • • • • • Anorganische Substanzen Chlorid: 1.52 g/l Phosphor gesamt: 1.12 g/l Kalium: 0.895 g/l Natrium: 2.69 g/l Calcium: 249 mg/l Magnesium: 291 mg/l Zink: 150 - 195 mg/l Kupfer: 0.52 mg/l Stickstoffhaltige Substanzen Ammoniak: 20 mg/l Harnstoff (Samenplasma): 750 mg/l Aminosäuren (Samenplasma): 12.6 g/l Harnsäure: 60 mg/l Protein (Eiweiß): 45 g/l (4.5 % GV) 137 • • • • • • • • • Kohlenhydrate und Methaboliten Glucose: 54 mg/l Fructose: 2.38 g/l Sorbit (Samenplasma): 0.1 g/l Milchsäure: 200 - 500 mg/l Citronensäure: 3.76 g/l Lipide Gesamtlipide (Samenplasma): 2.86 g/l Cholesterin: 0.64 g/l • Vitamine Vitamin B12 (Samenplasma): 0.3 - 0.6 ug/l Vitamin C: 35 mg/l • Hormone • Zellen Leukozyten 0.33 x 10E9/l (weiße Blutkörperchen) • • • • sogar Spuren von Gold und viele andere wertvolle Substanzen Quelle: Documenta Geigy (Koerperfluessigkeiten), Seiten 181-189 - (Wissenschafttliche Tabellen, herausgegeben von Johann Rudolf Geigy) Der Samen besteht aus einer Vielzahl anorganischer und stickstoffhaltiger Substanzen, aus Kohlehydraten, Lipiden, Vitaminen, Hormonen, Zellen und anderen Stoffwechselprodukten. Wenn Swami Sivananda sagt, dass der Same in einer subtilen Form überall im ganzen Körper existiert, so geht er offensichtlich davon aus, dass die anorganischen und stickstoffhaltigen Substanzen, die Kohlehydrate, Lipide, Vitamine, Hormone, Zellen und anderen Stoffwechselprodukte im ganzen Körper vorhanden sind. 138 Offensichtlich sind sie in unterschiedlicher Konzentration in den Zellen und Organen des Körpers gebunden. So weiß man z.B. von den Leukozyten, den weißen Blutkörperchen, dass sie im Blut, im Knochenmark, in den lymphatischen Organen (Thymus, Mandeln, Milz, Lymphknoten, u.a.) und anderen Körpergeweben zu finden sind. Vom Cholesterin ist bekannt, dass es sich zu 95% intrazellulär befindet und dass es über das Blut dorthin transportiert wird, wo es benötigt wird. Ebenso gehören Proteine zu den Grundbausteinen aller Zellen. Es scheint also zu stimmen, wenn Swami Sivananda sagt, dass der Körper unter dem Einfluss der sexuellen Begierde bzw. der sexuellen Betätigung, den verschiedenen Zellen bzw. Organen des Körpers die jeweiligen Stoffwechselprodukte entzieht, um daraus den Samen zu bilden. Damit stehen diese Stoffwechselprodukte dem restlichen Körper nicht mehr zur Verfügung. Somit ändert sich bei einem Orgasmus das Verhältnis der Stoffwechselprodukte in den jeweiligen Zellen und Organen. Ist der Mann häufig sexuell aktiv, so führt dies zwangsläufig dazu, dass es zu einer dauerhaften Verminderung der Stoffwechselprodukte in den Zellen und Organen kommt. Swami Sivananda spricht von einer Ausdünnung, da nicht davon auszugehen ist, dass sämtliche Stoffwechselprodukte, die durch den Orgasmus verloren gehen, unmittelbar in gleicher Qualität und im gleichen Umfang vom Körper wieder neu gebildet werden können. Dadurch wird das physiologische Gleichgewicht nachhaltig gestört, welches meist in Form von psychosomatischen Erkrankungen zum Ausdruck kommt. Physiologische Erkrankungen sind im Prinzip nichts anderes als ein Hilfeschrei des Körpers, um darauf aufmerksam zu machen, diesem Raubbau am eigenen Körper Einhalt zu gebieten. Da der Mensch aber längst zum Sklaven seiner 139 Sexualität geworden ist, ignoriert er diese Hilfeschreie und folgt den Dämonen, die er durch seine sexuelle Zügellosigkeit selbst heraufbeschworen hat. Sie flüstern ihm immer wieder ins Ohr, seine sexuellen Begierden möglichst unmittelbar zu befriedigen. Verantwortlich für dieses Verhalten sind offensichtlich Neurotransmitter wie das Dopamin4, die das Bedürfnis erwecken, immer wieder seine sexuellen Begierden zu befriedigen. 4 Eine neuere Sicht der Sexsucht erschließt sich in den letzten Jahren über die Hirnforschung. Hier wurden in einem entwicklungsgeschichtlich früh angelegten Teil des Gehirns Kerngebiete und Bahnen z.B. im Mittelhirn der Nucleus accumbens (der Nucleus accumbens ist eine Kernstruktur im unteren Vorderhirn) oder im limbischen System der Mandelkern beschrieben, die zum Belohnungssystem des Gehirns gehören. Es zeigte sich dabei, dass eine Suchtform über die Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter wie Dopamin zu einer besonderen Sensibilisierung und Übererregbarkeit in diesen Teilen des Gehirns führt. Dadurch entstehen mit der Zeit Veränderungen und Fehlfunktionen des Belohnungssystems, die mit einer Abhängigkeitsentwicklung einhergehen. Das Belohnungssystem im Gehirn wird durch stoffgebundene Abhängigkeiten (z.B. Alkohol und Drogen) aktiviert, aber genauso durch nicht stoffgebundene Suchtformen. Dem entsprechend handelt es sich bei der Sexsucht um eine Suchtform, die man den nicht stoffgebundenen Süchten zuordnet. Sie zählt genauso wie Glücksspiel-, Arbeits-, Computer-, Fernseh-, Kauf- oder Sportsucht zu den sogenannten „Verhaltenssüchten“. Hier wird die süchtige Entwicklung nicht durch einen Suchtstoff, sondern durch ein stimmungsveränderndes Verhalten hervorgerufen, von dem mit der Zeit eine zunehmende Abhängigkeit entsteht. 140 Quelle: Hypersexualität – wikipedia.org Es ist interessant, was Swami Sivananda weiter über die Sublimation sagt: „Allopathen (Schulmediziner) meinen, daß selbst in einem Urdhvareto Yogi5 die Samenbildung ununterbrochen weitergeht und daß die Samenflüssigkeit wieder vom Blut aufgenommen wird. Das ist ein Irrtum. Sie verstehen nicht die inneren yogischen Geheimnisse und Mysterien. Sie sind in der Dunkelheit. Ihre Sicht bezieht sich nur auf die grobstofflichen Dinge des Universums. Der Yogi dringt in die subtile verborgene Natur der Dinge durch yogische Sicht und die innere Sicht der Weisheit ein. Der Yogi erlangt Kontrolle über die Astralnatur der Geschlechtsenergie und verhindert dadurch die Bildung der Samenflüssigkeit an sich.“ 5Ein Urdhvareto Yogi ist ein Mensch, dessen Energie als Ojas Shakti unmittelbar zum Gehirn fließt. Er bildet keinen Samen mehr, sondern stellt die Energie, die in Form der verschiedenen Stoffwechselprodukte im Körper vorhanden ist, direkt dem Gehirn zur Verfügung. Swami Sivananda geht also davon aus, dass ein Urdhvareto Yogi überhaupt keine Samenflüssigkeit mehr erzeugt, sondern dass die Stoffwechselprodukte, die im Körper gespeichert sind und normalerweise für die Samenproduktion verwendet werden, bei einem Urdhvareto Yogi unmittelbar dem Gehirn zur Verfügung gestellt werden. Somit würden bei einem Urdhvareto Yogi überhaupt keine Spermien und keine Sexualsekrete der männlichen Geschlechtsdrüsen mehr erzeugt. Der katholische Priester, Mönch und Schriftsteller Johannis Cassianus sagte bereits im 4. Jahrhundert im Prinzip dasselbe, wenn er sagt: „...daß nämlich unser Geist so sehr zu keuscher 141 Reinheit sich gestalte, daß selbst die natürliche Regung des Fleisches erstirbt und also jenen unreinen Fluss gar nicht mehr hervorbringt.“ Schulmediziner dagegen vertreten die Ansicht, dass sämtliche Sexualsekrete, selbst bei einem Urdhvareto Yogi weiterhin in den verschiedenen Sexualdrüsen erzeugt werden, und dass sie dann, wenn sie nicht durch sexuelle Tätigkeit verausgabt werden, wieder dem Körper und dem Gehirn über die Blutbahn zur Verfügung gestellt werden, um Nerven und Gehirn zu stärken und um für ein besseres Wohlbefinden zu sorgen. Da ich weder Mediziner, noch Physiologe bin, weiß ich nicht, welche der beiden Theorien die richtige ist. Zumindest behaupten die Yogis, dass ein verwirklicher Yogi keine nächtlichen Pollutionen mehr hat. Allein schon diese Tatsache ist bemerkenswert, egal auf welche Art und Weise der Samen zurückgehalten wird. 12.1 Sublimierung und Unterdrückung Top Man hört immer wieder das Argument, im Zölibat zu leben, sei eine Unterdrückung der Sexualität. Offensichtlich können viele Menschen sich nicht einmal vorstellen, auf Sexualität zu verzichten. Die regelmäßige sexuelle Befriedigung, in welcher Form auch immer, ist so zur Routine geworden, dass überhaupt nicht mehr darüber nachgedacht wird, ob es auch andere Wege gibt, mit seiner Sexualität umzugehen, ob die regelmäßige sexuelle Befriedigung eigentlich natürlich ist oder nur eine Ersatzbefriedigung. Hinzu kommt natürlich die sich mittlerweile eingestellte Abhängigkeit von der Sexualität, die gar keine Möglichkeit lässt, an Zölibat zu denken. Selbst wenn die Menschen enthaltsam leben wollten, so würden die meisten Menschen auf Grund ihrer Abhängigkeit große Schwierigkeiten 142 haben, das Zölibat zu praktizieren. Worin besteht also der Sinn, enthaltsam zu leben? Ich möchte noch einmal Swami Chidananda zitieren (Das göttliche Leben): „Brahmacharya bedeutet weder Unterdrücken noch Verdrängen von Sexualität. Die Sexualität wird umgangen, und dieses sexuelle Potential wird für etwas verwendet, das zehnmal, hundertmal großartiger ist. Deshalb ist es ein Missverständnis, von Unterdrückung oder Verdrängung zu sprechen. Das liegt an einem mangelnden Verständnis dafür, was es mit der wirklichen spirituellen Suche auf sich hat. Wenn man es richtig versteht, wird man nicht so darüber sprechen. Wir sind nicht einfach Menschen, wir sind mehr als Menschen. Unsere Erscheinungsform als Menschen ist nur ein schwacher Widerschein dessen, was wir in Wahrheit sind. Der einzige Grund, warum unsere Erscheinungsform als Menschen von Bedeutung und Wichtigkeit ist, besteht darin, dass sie uns, wenn sie richtig verwendet wird, erhebt und dahin bringt, wohin wir eigentlich gehören, in das Königreich, auf das wir ein Geburtsrecht haben. Doch ist die Vorstellung im Westen, dass Brahmacharya Unterdrückung ist, zumindest in einer Hinsicht nicht ganz abwegig. Wenn ein natürliches Potential unterdrückt oder verdrängt wird, kann das unerwünschte Veränderungen in der Persönlichkeit hervorrufen. Wenn Brahmacharya einem Menschen gegen seinen Willen und gegen seine Überzeugung aufgezwungen wird, können daraus natürlich abnorme Zustände resultieren, weil der Mensch dazu veranlasst wird, etwas zu tun, was er oder sie tief im Inneren nicht tun will, gezwungen von anderen, von sozialen Zwängen oder durch das Ablegen von Gelübden, die er oder sie nicht hätte ablegen sollen, ohne vorher genau und gut überlegt zu haben, was damit verbunden ist. 143 Wenn aber ein intelligenter Mensch die gesamte Situation des Lebens gut durchdacht hat, sich sagt: „Wenn ich etwas Großes und Mächtiges erreichen will, kann ich es mir nicht leisten, die mir zur Verfügung stehenden Energien zu verschwenden. Je mehr ich sie bewahre, desto mehr kann ich sie für diese Absicht einsetzen, und desto besser sind die Chancen auf Erfolg.“ Wenn der Mensch so denkt und die rationale Seite dessen verstanden hat, und wenn die höchste Errungenschaft, zu der er strebt, ihm das wert ist, wenn er oder sie aus freiem Willen, mit voller Absicht und großer Begeisterung zum Zölibat schreitet, wo ist dann Unterdrückung? Ganz im Gegenteil, das, was als Selbstverleugnung erscheint, gibt effektiv einer höheren Dimension unseres Wesens Ausdruck, in die man sich jetzt begeben hat. Also weit davon entfernt, darauf zu verzichten, sich selbst Ausdruck zu verleihen, gibt es dem Menschen seinen vollen Ausdruck, da er sich nicht länger mit dem geringeren Aspekt seiner Gesamtpersönlichkeit identifiziert. Er identifiziert sich mit dem höheren Aspekt. Es ist eine Art Befreiung und Entwicklung hin zu einem höheren Niveau. Es ist etwas Positives, Kreatives und nicht etwas Negatives. Es ist kein Verneinen, sondern effektiv ein Ausdruck seiner selbst. Wenn das so gesehen wird, irren Freud und die anderen (u.a. Wilhelm Reich). Sie haben eine solche Situation oder Möglichkeit nie erwogen. Und es ist nicht nur eine Möglichkeit, es ist eine Jahrhunderte oder Jahrtausende alte Tradition, für jemanden, der bereit ist, alles zu tun, alles zu geben und jeden Preis dafür zu bezahlen, um das Höchste zu erlangen.“ Sublimierung ist also keine Frage von Unterdrückung oder Verdrängung, sondern es ist ein positiver und dynamischer 144 Umformungsvorgang. Das Zölibat hat allerdings dann keinen Erfolg, wenn jemand dazu gegen seinen Willen gezwungen wird. Wo geschieht dies aber? Mag sein, dass in den vergangenen Jahrhunderten mache Frau dazu gezwungen wurde, in ein Kloster einzutreten und mancher Mann dazu gezwungen wurde, Priester oder Mönch zu werden. Dann hatte er oder sie natürlich große Probleme, das Zölibat zu akzeptieren und zu praktizieren. So ist es natürlich kein Wunder, dass manche Klöster in den vergangenen Jahrhunderten eher Orte der Unmoral und der sexuellen Zügellosigkeit waren, als Orte der Keuschheit und der spirituellen Erhebung. Man sollte davon ausgehen, dass sich die Verhältnisse mittlerweile verändert haben. Heute wird niemand mehr bereit sein, gegen seinen Willen das Zölibat zu praktizieren. Entschliesst sich heute jemand, enthaltsam zu leben, so wird er sich dieses zuvor gründlich überlegt haben. Ausserdem muss jeder Novize und jede Novizin eine Probezeit absolvieren, in der er/sie feststellen kann, ob er/sie sich wirklich zum Mönch bzw. zur Nonne berufen fühlt. 13. Hinayana und Mahayana Top Der Buddhismus beruht auf den Lehren Siddhartha Gautama's, der später den Namen Buddha, der Erwachte, erhielt. Im Buddhismus versteht man unter einem Buddha einen Menschen, der die Reinheit und Vollkommenheit aus eigener Kraft erreicht hat und somit eine Entfaltung aller in ihm vorhandenen Potentiale erlangt hat: vollkommene Weisheit, Mitgefühl mit allen Lebewesen, einen tiefen inneren Frieden und vor allem eine Zufriedenheit, die man am besten mit dem Begriff Seligkeit umschreibt. Er hat bereits zu Lebzeiten Nirvana, Erleuchtung, verwirklicht und ist damit nach buddhistischer Überzeugung nicht mehr an den Kreislauf der 145 Wiedergeburt gebunden. Gemäß der Überlieferung wurde Siddhartha Gautama 563 vor Christus in Kapilavastu/Nepal geboren und starb 483 vor Christus ebenfalls in seiner Heimatstadt Kapilavastu. Andere sagen, Buddha hätte erst etwa 100 Jahre später gelebt, nämlich 448–368 v.Chr.. Buddhas Lehre kann kurz gefasst als die Lehre von der Befreiung vom Leid beschrieben werden. Den Kern seiner Lehre fasste Buddha in den edlen vier Wahrheiten zusammen. Diese vier edlen Wahrheiten sagen, dass alles Leben Leiden ist, welches auf die Geistesgifte Gier, Hass und Unwissenheit zurückzuführen ist. Mit dem Erlöschen dieser drei Wurzelgifte, den Ursachen des Leidens, erlangt man Nirvana, die endgültige Befreiung vom Leid. Der Weg, um sich endgültig vom Leid zu befreien, ist der edle achtfache Pfad. Hat jemand den Zustand der Erleuchtung erlangt und kann ihn bewahren, so erfährt er laut Buddha einen Zustand inneren Friedens und großer Seligkeit. Nach Buddhas Tod wurde eine umgehende Zusammenstellung seiner Lehre für notwendig gehalten. Hierzu trafen sich vier Monate nach Buddhas Ableben etwa 500 buddhistische Mönche zum ersten Konzil in einer Höhle in Rajagaha. Das Konzil diente zur Beratung und zur Erfassung der wortgetreuen Lehre Buddhas. Die Lehre Buddhas wurde in einem Kanon, dem sogenannten Palikanon, zusammengefasst. Der Palikanon enthält die Sutras, die Lehrreden Buddhas, die Vinayapitakas (den Korb der Ordensregeln), die disziplinarischen Schriften für die Mönche und die Abhidhammapitakas, die philosophischen Texte. Man bezeichnet den Palikanon, der aus den oben genannten drei Teilen besteht, auch als Dreikorb (Pali: Tipitaka, Sanskrit: Tripitaka). Er bildet die Grundlage der Theravadamönche, der ältesten noch existierenden 146 Schultradition des Buddhismus. Der Vinayapitaka ist der Korb der Ordensregeln. Er enthält 211 Vorschriften für Mönche und 311 für Nonnen, sowie Regeln, mit denen ein harmonisches Zusammenleben sowohl im Kloster, als auch im Umgang mit den Laien gewährleistet werden soll. Auf dem ersten Konzil trug Ananda, der Lieblingsjünger Buddhas, die Lehrreden Buddhas vor. Da Ananda, der „Schatzmeister der Lehre“, Buddha um 40 Jahre überlebte, konnte er seine Schüler noch gründlich schulen. Upali trug die Ordensregeln und Kassapa trug das Abidharma, die philosophischen Texte, vor. Im Abidharma sind die Lehren Buddhas und seiner Hauptschüler enthalten. Ausserdem enthält dies Werk eine psychologische und philosophische Begründung und Ausformulierung der Lehre Buddhas. Die Überlieferung besagt, auf diesem ersten buddhistischen Konzil sei ein Kanon zusammengestellt worden, der die Lehre Buddhas, das Dharma, und die Ordensregeln, enthält. Das Abidharma, die psychologisch-philosophische Begründung der Lehre Buddhas hingegen, wurde zwar vorgetragen, aber sie wurde vorläufig noch nicht in den Kanon mit aufgenommen. Das Abidharma soll erst nach dem dritten Konzil in Pataliputra, zur Zeit des buddhistenfreundlichen Königs Asoka (268-232 v.Chr.), ergänzt und in den Kanon mit aufgenommen worden sein. Hundert Jahre nach dem ersten Konzil, also 383 v.Chr., unterzog ein zweites Konzil in Vesali den Urkanon einer Revision. Anlaß dieses Konzils waren Unstimmigkeiten über die Ordenszucht. Nach längerem Hin und Her entschied ein Komitee gegen die Zulässigkeit von zehn vorgeschlagenen Neuerungen. Um diese Entscheidung zu bekräftigen rezitierte eine Synode von siebenhundert Theravadins unter dem Vorsitz 147 des Bhikkhu Revata (Bhikkhu = Bettelmönch) in Vesali acht Monate lang den Kanon erneut. Zur Verdeutlichung ihres Festhaltens an der Tradition nannten sich die Konzilteilnehmer selbst Theravadins, die „Anhänger der Lehre der Alten”. Die Neuerer, die behaupteten in der Mehrheit zu sein, gaben sich den Namen Mahasanghikas, die „Angehörigen der großen Gemeinde”. Aus dem Mahasanghika entwickelte sich etwa um die Zeitwende (Christi Geburt) das Mahayana, das „Große Fahrzeug”. (Schumann, Hans Wolfgang: Der historische Buddha. München 1982, Diederichs Gelbe Reihe Nr. 73, Seite 297-298) Beim zweiten buddhistischen Konzil herrschte große Unstimmigkeit über die Einhaltung der ethischen Regeln für Ordinierte. Deshalb versuchte man auf Seiten des Hinayana, die Reinheit der Lehre Buddhas wieder herzustellen. Wie oft in solchen Fällen gibt es immer wieder Bestrebungen, die bestehenden Regeln aufzuweichen. Dies trifft u.a. auf das Zölibat, auf bestehende Vorschriften oder auf die selbsterwählte Armut der Mönche zu. So hatte es sich unter einigen Mönchen eingebürgert, von Laien Goldspenden einzufordern, die dann unter den Mönchen aufgeteilt wurden. Diese Regelverstöße wurden öffentlich vorgetragen und verurteilt. Das Ziel der Theravadins (Hinayana) war es, die Ordensdisziplin und das genaue Festhaltens an der Überlieferung der Lehre Buddhas zu sichern und keine Neuerungen aufkommen zu lassen. Der Mahayana dagegen betonte die Erneuerung. Dies führte nach dem Konzil zu einer Aufspaltung der Ordenseinheit und es gründeten sich 17 nicht-theravadische Schulen [23]. Dies nahmen die Theravadins zum Anlass 268-232 v.Chr. ein drittes buddhistisches Konzil einzuberufen, an dem nur die Theravadins teilnahmen. Dort wurde die Lehre Buddhas 148 systematisiert und die Abgrenzung zu anderen Lehren dargestellt. Weiter wurde das Buch „Moggaliputta” über die 254 irrigen Ansichten aufgenommen, was später als Kattavatthu (Buch der Kontroversen) Bestandteil des Abhidhamma wurde. Zuguterletzt wurden die Werke Buddhas in fünf Sammlungen geordnet (1. lange Lehrreden, 2. mittlere Lehrreden, 3. gruppierte Lehrreden, 4. angereihte Sammlung und 5. Lehrreden, die nach Anzahl der Themengegenstände sortiert werden können, in Einser-Buch, Zweier-Buch, … bis Elfer-Buch) Der Name Hinayana kam erst mit dem Entstehen des Mahayana in Gebrauch, indem Letzterer den Anspruch erhob, in seiner Zielsetzung „größer“ (maha) oder umfassender zu sein als die Anhänger der alten Weisheitsschule, die man deshalb als „klein“ (hina) bezeichnete. In Ermangelung eines Sammelbegriffes für die unterschiedlichen Schulen vor Entstehen des Mahayana, wird trotz des abwertenden Charakters nach wie vor der Begriff Hinayana verwendet. 13.1 Unterschiede zwischen Hinayana und Mahayana Top Der Mahayanabuddhismus erkennt zwar die Lehre Buddhas an, hält sie aber nur für einen kleinen Kreis geeignet, da die große Mehrheit der Menschen nicht in der Lage ist, nach mönchischen Regeln zu leben. Den Mahayanabuddhisten kommt es nicht in erster Linie auf den Arhat an, der sich, wie einst Buddha, selber zu erlösen versucht, sondern er stellt den Bodhisattva in den Mittelpunkt, dem es daran liegt, so viele Wesen wie möglich auf den Weg zur Erleuchtung zu bringen, wobei er sich selbst, einem altruistischen Drang folgend, aufopfert, um anderen Menschen auf ihrem spirituellen Weg 149 behilflich zu sein. Eine Reihe solcher Boddhisattvas wird bis in die Gegenwart hinein in den mahayanischen Ländern verehrt, wie z.B. Avalokitesvara, Manjusri oder Maitreya. Anstelle des menschlichen Buddhas, der meist als Shakyamuni (der Weise aus dem Geschlecht von Shakya) bezeichnet wird, tritt im Mahayana eine ungeheure Zahl von Buddhas auf und der sich langsam und mühsam zur Erkenntnis durchringende Mensch Buddha wird durch einen transzendenten Adibuddha (Urbuddha) ersetzt, der als Verkörperung absoluter Wahrheit gilt. Am bekanntesten sind die fünf großen transzendenten Buddhas Vairocana, Akshobhya, Amitabha, Ratnasambhava und Amogasiddhi, die verschiedene Eigenschaften in sich vereinen (Weisheit, Mitgefühl, Reinheit, Vollkommenheit), die der Mahayanabuddhist in seiner meditativen Praxis zu visualisieren versucht. Diesen göttlichen Erscheinungen wird ein Kult mit Bildern, Statuen und Reliquienverehrung zuteil, die im Hinayana unbekannt sind. Dabei dürfte die Bhaktilehre der Bhagavad Gita den Kult der Buddhaverehrung im Mahayana noch gefördert haben. Der wesentliche Unterschied zwischen einem Arhat des Hinayana und seiner Entsprechung im Mahayana, dem Bodhisattva, ist es, dass ein Arhat den letzten Schritt ins Nirvana nicht freiwillig aufschiebt, um den anderen Wesen auf dem Weg aus dem Leiden zu helfen. Der Grund dafür ist aber nicht etwa Egoismus, sondern die Überzeugung des Theravada, dass dies nicht möglich ist. Jedes Wesen ist entsprechend dem Gesetz des Karma für seine Handlungen selbst verantwortlich, eine Übertragung von Verdiensten auf andere Wesen ist nicht möglich. Ein Arhat versucht daher, durch das Verbreiten der Lehren des Buddha, die anderen Wesen auf ihrem Weg zur Erleuchtung zu unterstützen, indem er ihnen die Möglichkeit 150 gibt, gutes Karma zu schaffen (z.B. durch Almosen). Jeder Versuch, eine Erlösung außerhalb von sich selbst bei anderen Wesen zu suchen, führt aus der Sicht des Theravada zu einer weiteren Verstrickung in die samsarische Welt. Entsprechend kritisch werden aus dieser Perspektive die Lehren des Mahayana beurteilt, denn sie führen demzufolge nicht zur Befreiung. 13.2 Die Entstehung des Palikanons Top Zur Lebenszeit Buddhas war es in Indien nicht üblich, Texte schriftlich niederzulegen. So etwas taten nur Händler. Religiöse Texte wurden üblicherweise durch Auswendiglernen weiter gegeben. Dies geschah über Jahrhunderte hinweg mit großer Genauigkeit. Für die Rezitation bestimmter Texte gab es Spezialisten, sogenannte Bhaṇaka. Deshalb lautet die Einleitung aller Sutras (Lehrreden): „So hab ich’s gehört“. Nach dem dritten Konzil soll der Sohn des indischen Kaisers Ashoka, Mahinda, den Buddhismus nach Ceylon (heute: Sri Lanka) gebracht haben. In den Klöstern der Insel wurde der Kanon in der Pali-Sprache im Gedächtnis bewahrt, bis die Mönche unter Ceylons König Vaṭṭagamaṇi Abhaya (89-77 v.Chr.) ihn schließlich auf den getrockneten Blättern der Talipot-Palme (corypha umbraculifera) niederschrieben. Das Felsenkloster Aluvihara (Pali: Alokavikara), wo dies geschah, liegt 3 km nördlich von Matale (Nähe Kandy). (Schumann, Hans Wolfgang: Der historische Buddha. München 1982, Diederichs Gelbe Reihe Nr. 73, Seite 297-298) Über die Sprache des südbuddhistischen Palikanons sagt der Philosoph Prof. Dr. habil. Kurt Leider in seinem Buch „Buddha - Leben, Lehre, Jüngerschar“: „Buddhas Sprache ist sicherlich 151 nicht Pali, die Literatursprache des uns auf Ceylon erhaltenen südbuddhistischen Kanons, gewesen, sondern Magadhi, der Dialekt der Provinz Magadha (Bihar), in der Buddha aufgewachsen ist und wo er dann auch seine Lehre verkündet hat. Ebenso wie Buddha aber werden sich die Bhikkus (Mönche), die zum ersten mal in Pataliputra, der Hauptstadt von Magadha, den Kanon zusammenstellten, der MagadhaSprache bedient haben. Spuren dieses alten Magadhikanons lassen sich noch im späteren Palikanon nachweisen. Zwar wird das Pali, die Literatursprache des ceylonesischen Kanons, von den Buddhisten Ceylons selbst als Magadhi bezeichnet, es weicht aber doch dieses Pali von der uns andersweitig durch Inschriften und Grammatiken bezeugten Magadhi-Sprache ab. Das Pali als buddhistische Literatursprache ist mehr oder weniger aus einer Mischung von verschiedenen Dialekten hervorgegangen, wobei freilich zu betonen ist, dass der Hauptdialekt, von dem das Pali ausgegangen sein dürfte, Magadhi war, die Sprache Buddhas. Nur sollte man nicht den Fehler begehen, Magadhi, die Sprache Buddhas, mit Pali, der Literatursprache des ceylonesischen südbuddhistischen Kanons, ohne weiteres und schlechthin gleichzusetzen. Da der Palikanon zuerst in Ceylon aufgeschrieben wurde, spricht man auch vom südbuddhistischen Kanon. Er ist die Grundlage des Theravada, des Hinayana-Buddhismus, der ältesten Lehre des Buddhismus. Der Theravada, die größte und einzige überlebende Linie des Hinayana, ist in Sri Lanka, Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam verbreitet und in diesen Ländern die vorherrschende Richtung des Buddhismus. Von den heute nicht mehr praktizierten Schulen des Hinayana sind die Mahasanghika, der Pudgalavada, der Sarvastivada und die Sautrantika die wichtigsten. Neben dem 152 südbuddhistischen Palikanon gibt es noch den nordbuddhistischen Sanskritkanon auf den sich der MahayanaBuddhismus beruft, aus dem sich später der Vajrayana, der tibetische Buddhismus, der Tantrayana (Tantra), aber auch der chinesische (Chan) und japanische Buddhismus (Zen) entwickelte.” Hierzu sagt Prof. Dr. Kurt Leider: „Die beiden Kanons, der südbuddhistische Palikanon und der nordbuddhistische Sanskritkanon, sind nicht ganz gleichwertig. Der südbuddhistische Palikanon (Hinayana) ist der wesentlich ältere, der Tradition nach, wie gesagt, auf den drei Konzilen, die im 5., 4. und im 3. Jahrhundert vor Christi Geburt stattfanden, redigiert, während der nordbuddhistische Sanskritkanon (Mahayana) als der bedeutend jüngere erst im 1. Jahrhundert nach Christi Geburt zustandekam. Diesem verschiedenen Alter entsprechend, trägt der nordbuddhistische Sanskritkanon auch deutlich sekundäre Züge gegenüber dem südlichen Palikanon und die in den nordbuddhistischen Sanskritkanon eingestreuten Palismen beweisen, dass auch für diesen Kanon der südbuddhistische Palikanon die Grundlage war. Es wäre natürlich denkbar, dass der nördliche Kanon außerdem Elemente enthielt, die dem südlichen Kanon fehlten, denn er kann außer den uns erhaltenen Werken des südlichen Kanons noch solche Texte benutzt haben, die wir nicht mehr besitzen. Und wenn solch eine Annahme auch nicht mit den Ansprüchen der südbuddhistischen Tradition, die ihren Kanon für authetisch hält, im Einklang steht, so braucht die Textkritik sich nicht an derartige Tradition zu binden. Im ganzen ist aber der nördliche Sanskritanon (Mahayana), nicht zuletzt, was die Lehre als solche betrifft, zweifellos 153 weniger ursprünglich als der südliche Palikanon, und man darf ihn insofern in die zweite Linie rücken. Das Hauptinteresse fordert aus philosophischen, ästhetischen und geschichtlichen Gründen der südbuddhistische Palikanon, der zugleich schlichter und gemäßigter ist als der ausschweifendere und phantastischere (phantasievollere) nordbuddhistische Sanskritkanon, was aber keineswegs ausschließt, dass auch der nordbuddhistische Sanskritkanon seine nicht zu verkennende und unterschätzende Eigenart und Erhabenheit besitzt.“ 13.3 Vajrayana, der Diamantweg Top Vajrayana ist die vom Tantra geprägte Form der buddhistischen Religion, die sich etwa seit dem 4. Jahrhundert n.Chr. zuerst in Indien entwickelte und später nach Ost-, Zentral- und Südostasien ausbreitete. Im Vajrayana, das nach seinem Hauptsymbol, dem Vajra (siehe Abbildung 4), benannt wurde, wird versucht, durch rituelle und magische Handlungen, teilweise auch durch tantrische Sexualpraktiken einen direkter Weg zur Erleuchtung zu verwirklichen. Ziel des Vajrayana ist Erlösung und geistige Vervollkommnung. Das Vajra ist ein Ritualobjekt, welches von friedlichen Gottheiten als Zepter und von zornvollen Gottheiten als unzerstörbare Waffe benutzt wird. „Vajra“ heißt wörtlich „Diamant“, deshalb spricht man beim Vajrayana auch vom Diamantfahrzeug oder vom Diamantweg. Gemäß der Sichtweise der buddhistischen Lehre symbolisiert der Vajra die unzerbrechlichen Qualitäten des Diamanten. Der Diamant symbolisiert das Unzerstörbare, Unvergängliche und die makellose Reinheit des Buddhazustandes. Im Vajrayana-Buddhismus hat er noch eine tiefere symbolische Bedeutung, nämlich die in der Erleuchtung erfahrene Einheit allen Seins. Das Vajrayana wird, neben dem 154 Hinayana und dem Mahayana, gewöhnlich als die dritte große Hauptrichtung des Buddhismus bezeichnet. Abbildung 4: Vajra Das Ziel des Tantra ist die Einswerdung mit dem Absoluten und das Erkennen der höchsten Wirklichkeit. Zu den tantrischen Praktiken gehören neben der Meditation und der Visualisierung auch das Rezitieren von Mantras und Bijas (Bijas sind einsilbige Wortklänge, wie Om, Ham, Yam, Ram, Vam und Lam, die die wie die Mantras zur Meditation benutzt werden), Mudras (Hand- bzw. Fingerhaltungen), Yantras (rituelle Diagramme), Kriyas (Bewegungs- und Atemübungen), Kundaliniyoga, bei dem feinstoffliche Energiezentren, sogenannte Chakren, mittels Yoga, Meditation, Atemübungen, Visualisierung oder durch die sexuelle Vereinigung aktiviert werden, um die im untersten Chakra ruhende Kundalinienergie zum Aufstieg zu bewegen. Mayayoga (Magie), Reinigungsübungen und weitere Übungen, zu denen Rituale, Einweihungen und das Einswerden mit dem Geist des erleuchteten Lehrers gehören, werden ebenfalls im Tantra praktiziert. Der tibetische Buddhismus legt dabei besonderen Wert auf direkte Übertragung und Unterweisung vom Lehrer zum Schüler. Wichtig ist bei diesen Praktiken eine solide Kenntnis der buddhistischen Lehre als Ausgangsbasis. Ohne ein echtes Verständnis von Mitgefühl und der rechten Ansicht ist es nicht möglich, diese Methoden erfolgreich anzuwenden. Daher sind die ethischen Regeln des edlen achtfachen Pfades, wie sie von Buddha gelehrt wurden, Grundlage des gesamten 155 buddhistischen Weges, auch des Vajrayana. Darüber hinaus unterliegt allen Tantratraditionen das Gebot der Geheimhaltung der tantrischen Lehren. Unter der Visualisierung versteht man eine Übung bei der bestimmte Bilder konzentrativ hervorgerufen werden. Bei der Visualisierung meditiert der tibetische Buddhist über verschiedene Eigenschaften eines Buddhas, wie Liebe, Mitgefühl, Reinheit usw. und versucht diese durch geistige Projektion zu veranschaulichen, bzw. mit ihnen eins zu werden. Dazu benutzt er verschiedene Buddha-Formen und Mandalas (Mandalas sind farbenfrohe, kunstvolle kreisförmige oder quadratische Muster, siehe Abbildung 5), die teilweise äußerst detailliert mit vielen Attributen dargestellt werden und die von den Praktizierenden während der Meditation visualisiert werden. Unterstützend werden während solcher Praktiken Mantras rezitiert. Dadurch wird die Konzentrationsfähigkeit des Übenden gefördert und die Identifikation des Geistes mit der Vorstellung eines eigenständig existierenden unabhängigen Ichs gelockert. Ziel solcher Übungen ist die Auflösung der IchVorstellung, die nach buddhistischer Lehre Ursache allen Leidens ist. Durch die Ich-Vorstellung, dem Egoismus, findet eine Trennung zwischen dem Göttlichen und dem Individuum statt, die als Dualismus bezeichnet wird. Erfährt ein Mensch die Nichtdualität, die Einheit mit Allem, dann nennt man ihn erleuchtet oder einen Buddha. 156 Abbildung 5: Mandala 13.4 Tibetischer Buddhismus Top Der Buddhismus in Tibet gliedert sich in verschiedene Schulen und Übertragungslinien, von denen die Nyingma-, die Kagyü-, die Sakya- und die Gelug-Schule die wichtigsten sind. Die Nyingma-Tradition ist die älteste der vier großen Schulen des tibetischen Buddhismus. Die Nyingma-Tradition geht auf Guru Rinpoche's und Shantarakshita's Lehrtätigkeit zurück, die im 8. Jahrhundert in Tibet begann. Gegen 779 n.Chr. lud der tibetische König Trisong Detsen die indischen Meister Padmasambhava (Lotusgeborener), von den Tibetern auch Guru Rinpoche (Kostbarer Meister) genannt, und Shantarakshita (Wächter des Friedens) nach Tibet ein, um dort den Buddhismus zu lehren. Guru Rinpoche betonte vor allem die tantrischen Aspekte des Buddhismus. Er verbreitete den tantrischen Buddhismus in Tibet so erfolgreich, dass er die bis dahin vorherrschende schamanistische und animistische BönReligion zum großen Teil verdrängte. Unter Animismus versteht man eine Naturreligion, die von Geistern und Dämonen beseelt ist und die davon ausgeht, dass alle Dinge, jeder Stein, jede Pflanze, jedes Tier und jeder Mensch, eine Seele besitzen. Vom 8. bis zum 11. Jahrhundert war die Nyingma-Tradition die einzige buddhistische Schule in Tibet. Die Nyingma-Tradition wird auch als die Schule der „Alten 157 Übersetzungen“ bezeichnet. Ab dem 11. Jahrhundert entwickelten sich dann die Schulen der „Neuen Übersetzungen“, die sich hauptsächlich auf die Übertragung bislang noch nicht übersetzter Tantratexte beziehen. In der zweiten Phase der Übertragung buddhistischer Schriften von Indien nach Tibet, ab dem 11. Jahrhundert, wurden tantrische Texte übersetzt, die in der ersten Übersetzungswelle im 9. Jahrhundert unberücksichtigt geblieben waren. Diese Aufgabe fiel zunächst der Kadampa-Schule zu. Die KadampaSchule hat ihren Ursprung in den Lehren des indischen Pandit (Gelehrten, Philosophen) Atisha Dipamkara Srijnana (982-1054), einem berühmten Abt aus der Klosteruniversität Vikramasila in Indien. Atisha war sowohl ein herausragender Gelehrter, als auch ein realisierter Yogi. Er legte großen Wert auf die Einhaltung der Mönchsregeln (Zölibat) in Tibet. Die Kadampa-Schule ging im 14. Jahrhundert in die vier Schulen des Tibetischen Buddhismus über. Diese vier Schulen sind die Kagyü-, Chöd-, Sakya- und die Gelug-Schule. Insbesondere die Gelug-Schule bewahrte die Kadampa-Tradition der mönchischen Regeln. Aber auch die anderen beiden Schulen bewahrten eine Kadampa-Linie. Die Chöd-Linie besteht heute nicht mehr als eigenständige Schule. Ebenso wie in der Nyingma-Tradition verschmolzen in den Kakyü-Schulen klösterliche Traditionen mit den Yogalehren indischer Meister. Tsongkhapa (1357-1419), ein Mönch des Klosters Drikung in Tibet, gründete die Gelug-Schule. Er vertrat stark die Ideale der früheren Kadampa-Schule und betonte die Bedeutung der Mönchsregeln. Seine Schule wurde als Schule der Tugendhaften bezeichnet, da sie auf das Zölibat großen Wert legte. Der Kern der Lehre der Gelug liegt in den Lehren der 158 Kadampa, insbesondere in den Mahayana-Lehren Atishas. Der gegenwärtige 14. Dalai Lama, der Mönch Tenzin Gyatso, ist Mitglied der Gelug-Schule. 13.5 Kritik am westlichen Tantraverständnis Top Spricht man in der westlichen Welt vom tantrischen Buddhismus, bzw. vom tibetischen Buddhismus oder Tantra, so verbinden sehr viele Menschen damit in erster Linie tantrische Sexualpraktiken. Dabei haben die meisten von ihnen sich niemals intensiver mit dem Tantra auseinander gesetzt. Diese Haltung entspricht der Bequemlichkeit und Unwissenheit, die vielfach anzutreffen ist. Die Menschen sind nicht bereit, den mühevollen Weg des Tantra auf sich zu nehmen. Weder sind sie bereit, täglich zu meditieren, ihr Leben nach dem edlen achtfachen Pfad auszurichten, Yoga- und Atemübungen zu praktizieren, geschweige denn, im Zölibat zu leben. Wie wir gesehen haben, sind auch die tantrischen Linien sehr stark am Zölibat orientiert. Lediglich einige wenige Sekten gehen den gefahrvollen Weg des Vamachara und praktizieren den rituellen Geschlechtsakt, den Maithuna. Dieser Weg des Vamachara wird auch als „rotes Tantra“ oder als „linkshändiges Tantra“ bezeichnet. Demgegenüber steht das „weiße“ oder „rechtshändige Tantra“, der alle tantrischen Sexualpraktiken ablehnt. Was in den Köpfen vieler Tantrainteressierter davon hängengeblieben ist, ist die Vorstellung, dass Sex und Tantra bzw. Sex und spiritueller Fortschritt gewissermaßen identisch sind. Dabei vergessen sie ganz, dass einige tantrische Linien absolut zölibatär sind und dass es nur einigen wenigen Lamas erst nach jahrelanger spiritueller Praxis überhaupt gestattet ist, tantrische Sexualpraktiken anzuwenden. Dabei geht es aber nicht um die sexuelle Befriedigung, sondern darum, die Kundalinienergie aus dem Basischakra in höhere Chakren zu 159 leiten, wobei jeglicher Orgasmus absolutes Tabu ist und strikt vermieden werden sollte. In diesem Zusammenhang bedenke man, wie es etlichen ehemaligen tibetischen Lamas ergeht, die gegen das Zölibat verstößen haben. In Darjeeling, im Vorder-Himalaya (Westbengalen), leben einige Hundert Ex-Lamas, die als Kulis (Lastenträger) ihre Arbeit verrichten. Ein Lama ist ein tantrischer Lehrer, ein Mönch, des tibetischen Buddhismus. Die Lamas sind entweder allein, oder zusammen mit ihrer Geliebten aus Tibet geflohen, um den strengen Strafen zu entgehen, die der Bruch des Zölibats mit sich bringt. Wird der Mönch bei einer sexuellen Verfehlung erwischt oder wird er von anderen angezeigt, so fällt er in Ungnade, erfährt öffentlich körperliche Züchtigung, wird zusätzlich mit einer schweren (Geld-)Strafe bestraft und aus dem Orden entfernt. Der Hinayana (Theravada) beruht auf den ursprünglichen Lehren Buddhas. Die Theravada-Doktrin besagt, dass nur ein Mönch das Nirvana erlangen kann. Buddha unterschied zwischen Laien und Mönchen. Den Mönchen empfahl er Enthaltsamkeit. Er sagte, dass die Laien zwar auch bestimmte Stufen der Erleuchtung erreichen können, dass sie selbst aber sehr bald erkennen würden, dass sexuelle Aktivität unausweichlich Probleme für den spirituellen Fortschritt mit sich bringen. Sila's sind Sittenregeln bzw. ethische Normen, die das Verhalten der Laien und Novizen (Mönchsanwärter) regeln. Durch die Einhaltung von bestimmten Regeln wird die geistige Entwicklung in heilsamer Weise unterstützt. Der Laienanhänger sollte die fünf Regeln für Laien beachten. Die Novizen sollten sich an die 10 Sittenregeln für die Novizen halten. Für die Mönche und Nonnen sind die Ordensregeln 160 (Patimokkha) bindend. So können sie Reinheit erreichen. Die für jeden buddhistischen Laien-Anhänger bindenden 5 Sittenregeln sind: 1. Kein Lebewesen verletzen oder töten. 2. Nicht Stehlen. 3. Kein Sinnesmissbrauch bzw. sexuelle Ausschweifungen. 4. Nicht Lügen 5. Kein berauschendes Mittel wie z. B. Alkohol oder Drogen einnehmen. Die für alle Novizen bindenden 10 Sittenregeln sind: 1. 2. 3. 4. 5. Kein Lebewesen verletzen oder töten. Nicht Stehlen. Keinen Geschlechtsverkehr ausüben. Nicht Lügen. Kein berauschendes Mittel wie z. B. Alkohol oder Drogen einnehmen. 6. Kein Essen nach der Mittagszeit. 7. Sichfernhalten von Tanz, Gesang, Musik und Schaustellungen. 8. Vermeiden von Blumen, Duftstoffen, Kosmetika, Schmuck und Zierrat. 9. Vermeiden von hohen, üppigen (weichen) Betten. 10.Kein Gold und Silber (Geld) annehmen. Auch beim Mahayana (Vajrayana) unterscheidet man zwischen Laien und Mönchen. Den Laien wird Sexualität durchaus gestattet. Aber auch Laien sollten in der Sexualität diszipliniert sein, sie sollten eine gewisse Beherrschung üben. Der Theravadamönch Bhante Henepola Gunaratana sagte: „Laien 161 können bestimmte Stufen der Erleuchtung erreichen, wir nennen sie „Mitfließende“ oder „Einmal-Wiederkehrende“, bevor sie für sich selbst erkennen, dass sexuelle Aktivität unausweichlich Schwierigkeiten und Probleme mit sich bringt. Laien können sogar die dritte Stufe der Heiligkeit erreichen, wir nennen sie „Nie-Zurückkehrende“. Aber sobald sie einmal diese Stufe erreicht haben, werden sie selbst aus ihrer eigenen Erkenntnis heraus entscheiden, dass eine Verstrickung in Sexualität den Fortschritt in ihrer spirituellen Praxis behindert. Sobald sie das erkennen, werden sie freiwillig aufhören, sexuell aktiv zu sein.“ Es ist immer zu bedenken, das buddhistisches Tantra eine anspruchsvolle Geheimlehre darstellt, die selbst in den Ländern ihrer größten Verbreitung, z. B. in Tibet, nur von einem sehr kleinen Prozentsatz der Bevölkerung praktiziert wird. In Tibet sieht man zwar in jedem Kloster Abbildungen und Statuen von den auch im Westen mittlerweile sehr beliebten Buddhas in sexueller Vereinigung, doch über die eigentliche Praxis, die hinter diesen Bildern steht, weiß der typische Tibeter genau soviel wie der typische Westler, nämlich sehr wenig. Hier stimmt selbst der östereichische Tantralehrer Helmut Poller zu, wenn er sagt: „Es gibt viel zu wenig wirklich hochqualifizierte Meister, sowohl unter Tibetern, wo die höchste Qualifikation beinahe im Aussterben ist, als erst recht unter Westlern. Nach 30 Jahren Vajrayana im Westen (1975-2005) gibt es bis jetzt nur wenige Westler, welche die höchsten Lehren verwirklicht haben. Das liegt nicht an unserer Unfähigkeit, sondern leider häufig an der Unwilligkeit tibetischer Meister, die zentralen nondualen Lehren an Westler weiter zu geben.“ [24] Der ursprünglichere südliche Buddhismus, der Theravada, sieht den buddhistischen Tantrismus (Vajrayana) als ernsthafte Verfälschung der Lehre Buddhas an. Der Theravadamönch 162 Bhante Henepola Gunaratana sagte einmal: „Von Theravadas wird Vajrayana (das auch als Tantra oder Tibetischer Buddhismus bezeichnet wird) nicht als Buddhismus angesehen. In der buddhistischen Originalliteratur findet sich nirgendwo der Begriff „Tantrischer Buddhismus“. Tantra ist eine spätere Entwicklung. Im ursprünglichen Buddhismus gibt es nichts im Sinne eines tantrischen Buddhismus. Es gab nie so etwas wie tantrischen Buddhismus. Tantra ist Tantra, Buddhismus ist Buddhismus und diese beiden Dinge werden nie zusammenpassen. Aber manche Menschen, die sehr in ihrer Sexualität verstrickt sind, und deren Wahrnehmung verzerrt ist, wollen die Sexualität glorifizieren, indem sie Buddhismus dazugeben. Und deshalb kombinieren sie Tantra mit Buddhismus.“ Swami Chidananda, ein Schüler Swami Sivanandas, sagte: „Ich glaube nicht, dass die tantrischen Lehren einen authentischen spirituellen Weg anbieten. Warum? Weil die Menschen schwach und beeinflussbar sind. Der menschliche Geist ist so beschaffen, dass er immer den Weg des geringsten Widerstandes nimmt. Er möchte immer den leichtesten Weg beschreiten. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass Tantra früher einmal in Indien ein authentischer Pfad war, speziell im östlichen Teil. Es gibt ihn auch jetzt noch. Aber er wurde grob verzerrt. Die Menschen verfingen sich darin. Sie sagten, sie würden Tantra praktizieren, aber es war nichts anderes als Wein, Völlerei und sexuelle Befriedigung. Es führte sie nirgendwohin. Die Methode wurde damals von erleuchteten Menschen auch der „pervertierte Pfad“ genannt. Es entstanden zwei Wege: der authentische Pfad, er wurde der „rechtshändige Pfad“ genannt, und der pervertierte Pfad, bei dem es nur um den Genuss ging. Er wurde der „linkshändige Pfad“ genannt. 163 Und darum erreicht nur einer unter Millionen auf dem tantrischen Weg das Ziel der Erleuchtung.“ Ich kann Swami Chidananda eigentlich nur zustimmen. Welcher Mann, der die tantrischen Sexualpraktiken ausübt (ohne, nebenbei gesagt, die Praxis wirklich zu kennen) besitzt schon die Disziplin, sie über Monate oder Jahre auszuüben, ohne dabei seinen Samen zu verlieren? Dies verlangt schier übermenschliche Kräfte, die kaum ein Mann besitzt. Also wird er immer und immer wieder seinen Samen vergeuden und damit jedes Erleuchtungsbestreben vereiteln. Die tantrischen Sexualpraktiken sind ein Spiel mit dem Feuer, an dem 99 Prozent aller Männer scheitern. Wer es nicht einmal schafft, das Zölibat zu praktizieren, der wird erst recht an den tantrischen Sexualpraktiken scheitern. Darum sollte jeder Mensch, der einen ernsthaften spirituellen Weg beschreiten möchte, sich für das Zölibat entscheiden. Ich glaube, dass er damit besser beraten ist. Ob es Frauen leichter fällt, die tantrischen Sexualtechniken zu praktizieren, vermag ich nicht zu sagen. Aber auch Frauen würde ich persönlich das Zölibat empfehlen. Dies ist der sichere Weg, spirituelle Fortschritte zu erzielen. 13.6 Der gewöhnliche und der tantrische Orgasmus Top Es wurde bereits gesagt, dass man beim tantrischen Sexualakt unbedingt den sexuellen Höhepunkt vermeiden sollte, da die Arbeit mit der sexuellen Energie, der Kundalini, im Vordergrund steht. Es ist ganz interessant, wie Osho sich in seinem Buch „Die tantrische Liebeskunst“ auf Seite 108 dazu äußert. Er unterscheidet zwischen dem gewöhnlichen und dem tantrischen Orgasmus, wobei er davon ausgeht, dass man sich beim gewöhnlichen Geschlechtsverkehr eigentlich nur erleichtern möchte. In diesem Punkt kann ich Osho zustimmen. Die meisten Menschen haben den Wunsch nach Sexualität, 164 weil sie ein sexuelles Verlangen verspüren oder weil sie eine innere Anspannung, Angst oder Nervosität empfinden, von der sie sich befreien möchten. Beim gewöhnlichen Orgasmus wird die sexuelle Energie ausgestoßen und man fühlt sich zumindest für ein Weilchen erleichtert und entspannt. Osho sagt: „Dies ist das Gegenteil von Kreativität, es ist ein Akt der Vernichtung, ...es ist eine Art Entspannungtherapie“. Der Sex wird beim gewöhnlichen Geschlechtsverkehr als Beruhigungsmittel benutzt. Oshos Beschreibung gibt das Empfinden nach einem Orgasmus recht gut wieder, denn das Interesse der meisten Menschen richtet sich vorwiegend auf den kurzen Moment des sexuellen Höhepunktes und dem darauf folgenden Gefühl der Entspannung. Sie stellen sich meist gar nicht erst die Frage, ob solch ein Verhalten kreativ ist oder nicht. Weiter sagt Osho, dass sich der Geschlechtsakt eines Tantrikers grundsätzlich von einem gewönlichen Geschlechtsakt unterscheidet, bei dem die sexuelle Erleichterung im Vordergrund steht. Er sagt, der Geschlechtsakt des Tantrikers „diene nicht der Erleichterung, es geht nicht darum, Energie loszuwerden“. Vielmehr gehe es beim tantrischen Geschlechtsverkehr darum, „im Liebesakt zu bleiben, ohne zu ejakulieren, ohne Energie auszustoßen“. Osho rät, „man solle vollkommen verschmelzen, immer in der Anfangsphase bleiben und nicht zum Höhepunkt kommen“. Dies verleiht dem Geschlechtsakt eine spirituelle Qualität. Im Vordergrund steht nun nicht mehr der Orgasmus, sondern die Arbeit mit der sexuellen Energie. Ist die sexuelle Energie, die Kundalini, erst einmal im Basischakra erwacht, so soll sie mittels Atem- und Konzentrationsübungen über den Zentralkanal der Wirbelsäule, der Sushumna, hinauf in das Kronenchakra (Scheitelchakra) geleitet werden. Das Kronenchakra wird im Kundaliniyoga 165 gewöhnlich als tausendblättrige Lotusblume dargestellt, was darauf hinweist, zu welcher Seligkeit die Kundalini führt, falls sie das Kronenchakra erreicht. (Hierbei wird natürlich vom traditionellen Kundalinimodell ausgegangen.) Jeder Tantriker sollte also sorgfältig darauf achten, dass er seinen Samen nicht vergeudet. Aber genau damit beginnt die eigentliche Schwierigkeit, denn der Geist in willig, aber das Fleisch ist schwach. In der Theorie hört sich das tantrische Konzept sehr überzeugend an. Ich glaube allerdings, dass es der Realität nicht standhält, denn der Mensch ist kein Computer, der seine Emotionen einfach abschalten kann, sondern er ist aus Fleisch und Blut und wird von vielen Sehnsüchten und Begierden regiert, die ihn immer wieder in die Niederungen der Wollust treiben, solange er das Brahmacharya nicht beherrscht. Osho spricht in diesem Zusammenhang von einem Talorgasmus. Er sagt: „Zu einem Gipfel der Erregung zu kommen ist eine Art, den Orgasmus zu erfahren.“ Osho nennt diese Art des Orgasmus, einen Gipfelorgasmus. Der Schwerpunkt der tantrischen Lehre, liegt nach Osho's Ansicht, allerdings auf einer anderen Art des Orgasmus'. Beim tantrischen Liebesakt findet der Orgasmus nämlich nicht auf dem Gipfel der Erregung statt, sondern man gleitet hinab in's tiefste Tal der Entspannung. Deshalb nennt Osho diesen Orgasmus, einen Talorgasmus. Am Anfang gleichen sich beide Arten des Orgasmus. Am Ende sind sie dagegen völlig verschieden. Während der übliche Orgasmus die anfängliche Erregung immer weiter steigert bis es zur Ejakulation kommt, gleitet der tantrische Mann am Gipfel der Erregung in ein tiefes Tal der Entspannung. Osho beschreibt die tantrische 166 Vereinigung wie folgt: „Sobald der Mann in die Frau eingedrungen ist, entspannen sich beide. Sie bewegen sich überhaupt nicht mehr und gehen völlig in der Umarmung auf. Und nur, wenn einer von beiden spürt, dass die Erektion nachlässt, bewegen sie sich ein wenig, um das Feuer wieder zu entfachen; dann sinken sie wieder in einen Zustand vollkommener Entspannung.“ Nach Osho's Vorstellungen kann diese Art der zärtlichen Vereinigung stundenlang dauern, ohne dass es zum Orgasmus kommt. Danach fallen beide in einen tiefen Schlaf. Nach dem Aufwachen fühlen sich die Liebenden aber nicht, wie nach einem gewöhnlichen Orgasmus müde und abgeschlafft, sondern lebendiger und frischer als zuvor. Sie sind, wenn man Osho glauben darf, voller Energie und befinden sich in einem ekstatischem Zustand, der tagelang andauern kann. Ähnliche Überlegungen wie bei Osho, der von stundenlangen sexuellen Vereinigungen spricht, findet man beim Taoisten Mantak Chia, wenn er vom Multiorgasmus berichtet. Der moderne Mensch sollte sich, so Mantak Chia, nicht mit einem normalen Orgasmus zufrieden geben, sondern er sollte den Multiorgasmus beherrschen, bei dem die sexuelle Erregungskurve wie eine Welle von einem Gipfel der Erregung zu einem noch höheren Gipfel der Erregung aufsteigt. Hierzu sollte man sich unmittelbar vor dem Ejakulation entspannen, um in den sogenannten Kontraktionsphasenorgasmus hinüberzugleiten. Unter der Kontraktionsphase versteht Mantak Chia dabei die ersten Kontraktionen der Prostata, die unmittelbar vor der Ejakulation einsetzen und letztendlich in den Orgasmus führen, wenn man die sexuelle Aktivität nicht 167 unterbricht. Mantak Chia meint, dass viele multiorgastische Männer diesen Vorgang wie einen Orgasmus ohne Samenerguss erleben. Ich möchte allerdings den Mann sehen, dem es gelingt, diese Sexualpraxis über Monate oder gar Jahre zu praktizieren, ohne es zum Samenerguss kommen zu lassen. Diesen Mann gibt es nicht und damit sind alle tantrischen und taoistischen Sexualpraktiken eher theoretischer Natur und für jemand, der ernsthaft einen spirituellen Weg beschreiten möchte, ungeeignet. Klassischer Weise soll der Samenverlust mit dem Fingerverschluss verhindert werden. Dabei werden der Zeige-, Mittel- und Ringfinger der stärkeren Hand, die leicht gekrümmt sind, kräftig auf den Damm, einem Punkt zwischen Hodensack und After, gepresst, wobei der Mittelfinger direkt auf den Harnleiter drückt. Hierbei soll man mit dem Finger bis zum ersten Fingergelenk in den Dann hineinfahren, also etwa 1,5 bis zwei Zentimeter. Dieser Punkt nennt sich übrigens Punkt der Millionen Goldstücke oder Millionen Dollar Punkt. Zusätzlich soll der PC-Muskel (Musculus pubococcygeus), also der Beckenbodenmuskel angespannt und der Damm rhytmisch aufwärts gezogen werden. Die Kombination aus dem gleichzeitigen Anspannen des PC-Muskels, sowie dem Anspannen der Fuss- Faust- und Kiefermuskeln soll den Genitalien das Blut und die Energie entziehen, die sie für den unwillkürlichen Spasmus (ungewollte Muskelkontraktionen) benötigen. So will man die sexuelle Energie aus dem Becken ins Gehirn leiten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Kontraktionen der Prostata, die Mantak Chia für so begehrenswert hält, nicht bereits einer Ejakulation entspricht. Es dürfte dann allerdings 168 einer Ejakulation entsprechen, die nicht wie die normale Ejakulation über die Harnröhre (den Penis) ausgestoßen wird. Vielmehr spricht man in diesem Fall, weil der normale Zugang zur Harnröhre durch den Fingerverschluß versperrt ist, von einer Injakulation, wobei das Sperma in die Samenblase geleitet wird, um bei der nächsten Harnentleerung ausgeschieden zu werden. Dazu lesen wir bei wikipedia [50]: „Durch den Druck auf den Punkt zwischen After und Hodensack vor dem Stimulationshöhepunkt wird, bei konsequenter Anwendung der Methode, der Samenleitereingang vor der Harnröhre abgedrückt, so dass das Sperma nicht durch die Harnröhre entweichen kann. Wird der Druckpunkt nicht genau getroffen, kann das Sperma über den hinteren Teil der Harnröhre rückwärts in die Harnblase spritzen, was als Injakulation bezeichnet wird, und was sich beim nächsten Wasserlassen durch getrübten Urin äußert. Korrekt ausgeführt, soll angeblich die Samenflüssigkeit von der Prostata und vor allem von den beiden Samenblasen, die mit 50 bis 80 Prozent den größten Anteil am Ejakulat stellen, wieder aufgenommen werden. Das dann einsetzende wollüstige Gefühl werde durch die Kontraktion diverser Muskeln hervorgerufen, die das Sperma herausstoßen wollen, was jedoch durch den Eingriff unterdrückt wird. Durch diesen dem Körper „vorgegaukelten“ Samenerguss entstehe zwar eine sexuelle Befriedigung, jedoch wirke diese Methode angeblich im Ganzen weiter stimulierend und lusterhaltend, anstatt wie bei einer echten Befriedigung ermüdend. Der Hauptnutzen der taoistischen Sexualpraxis liegt angeblich in der Trennung von Orgasmus und Ejakulation, wodurch die 169 mit der Ejakulation verbundene Refraktionsphase (verminderte Erregbarkeit, Erschlaffung des Penis) angeblich nicht auftritt und die Erektion erhalten bleibt. Dies ermöglicht es Männern angeblich multiple Orgasmen zu erleben. Die bei einem männlichen Orgasmus in der Regel auftretende Ausschüttung der Hormone Oxytocin und Prolactin wird also durch eine wie auch immer herbeigeführte Injakulation nicht unterbunden. Da es klare Hinweise darauf gibt, dass eine solche hormonelle Ausschüttung beim Mann die Refraktärphase verursacht, ist aus Sicht der medizinischen Wissenschaft durch eine Injakulation keine Verhinderung der Refraktärphase erreichbar und damit ein lust- und erektionserhaltender Effekt mehr als fragwürdig. <>Die Übersetzung fernöstlicher Begriffe und Vorstellungen in wissenschaftliche Terminologie ist immer problematisch. Den lusterhaltenden Effekt, den der Taoismus mit der in der Prostata und Samenblase verbleibenden Samenflüssigkeit erklärt, ist nach schulmedizinischer Sicht unangebracht. Wissenschaftlich gesehen wird dem Körper kein Samenerguss „vorgegaukelt". Es finden alle Muskelkontraktionen und Hormonausschüttungen statt, die mit einem Orgasmus und einer Ejakulation verbunden sind, die Flüssigkeit wird lediglich nicht über die Harnröhre ausgeschieden. Über Energiefluss und Meridiane ist damit aber nichts gesagt. Schulmedizinisch ist ein dauerhaftes Verbleiben der Samenflüssigkeit im Samenleiter gesundheitsgefährdend. Da bei der Injakulation aber keine funktionelle Störung vorliegt, wird die zurückgehaltene Flüssigkeit mit dem nächsten Harn- oder Samenfluss ausgeschieden. Eine „Wiederaufnahme“ der Samenflüssigkeit durch die Prostata ist zumindest zweifelhaft. Teilweise wird sogar behauptet, die Flüssigkeit werde „durch das Blut wieder 170 absorbiert“, was völlig ausgeschlossen ist. Nährstoffe resorbiert der Organismus im Darm über die Schleimhäute, dort werden sie in die Blutbahn gelenkt. Auch die äußere Haut ist zur Resorption fähig. Drüsen, Samenleiter und Harnröhre jedoch nicht, sie produzieren und transportieren.“ Soweit also wikipedia. Von den Schülern Mantak Chias wird der Fingerverschluß allerdings nicht mehr praktiziert. Sie wollen den Fingerverschluß durch reine Willenskraft ersetzen, wobei der PC-Muskel willentlich zusammengepresst wird. Neben dem Fingerdruck ist also die Ejakulationskontrolle mittels PCMuskel ein weiterer Weg, eine Injakulation herbeizuführen. Das Anspannen des Muskels führt zu einer Kontrolle der zuvor unwillkürlichen Prostata-Kontraktionen und ermöglicht eine Injakulation ohne externe Einwirkung. Sämtliche Drüsen geben also, wie bei einem ganz normalen Orgasmus, ihre Drüsensekrete, aus der das Ejakulat besteht, ab. Zu diesen Drüsen gehören: 1. Hoden und Nebenhoden, 2. Samenleiterampulle, 3. Samenbläschen, 4. Vorsteherdrüse (Prostata), 5. Cowpersche Drüse (Bulbourethraldrüse) 6. Littredrüsen. Mit anderen Worten, es findet ein ganz normaler Orgasmus statt. Das Ejakulat kann allerdings nicht durch die Harnröhre abfließen, da sowohl der Samenleiter als auch die Harnröhre durch den Druck auf den „Millionen-Dollar-Punkt“ versperrt ist. Daher entweicht der Samen in die Harnblase und wird mit der nächsten Harnentleerung ausgeschieden. Mittlerweile haben sich außerdem die verschiedenen Drüsensekrete vermischt und sie werden wohl keine 171 Möglichkeit und keine Veranlassung haben, in die unterschiedlichen Drüsen zurückzuwandern. Und das Hinaufleiten der Energie über das Rückenmark zum Gehirn, welches Mantak Chia einerseits durch das Pumpen des Pomuskels und andererseits gedanklich erreichen möchte, geschieht ganz von selbst, wie bei jedem normalen Orgasmus. Da braucht man überhaupt nicht nachzuhelfen. Ausserdem sei gesagt, dass Mediziner darauf hinweisen, dass der permanente Blutstau in der Prostata, wie dies bei einer länger anhaltenden sexuellen Erregung der Fall ist, gesundheitschädlich ist. Die sexuelle Erregung bezieht sich nämlich nicht nur auf den Penis, der sich mit Blut füllt, sondern alle Organe des Beckens, einschliesslich der Prostata, füllen sich mit Blut. Ist die Prostata aber fortwährend diesem Blutandrang unterworfen, dann führt das zur Entzündung der Prostata, die sich durch Schmerzen in der Penis-, Hoden-, Damm-, Anal-, Leisten-, Scham- sowie in der Lendengegend bemerkbar machen kann und zu Schmerzen beim Wasserlassen und bei der Ejakulation führen können. Darum sollte man lernen, seine Wollust zu zügeln. 14. Die Kundalini Top Aus der Sicht der indischen Mythologie erschuf der in sich ruhende Gott Shiva den Kosmos durch den heiligen Laut OM. Dieser heilige Laut war nach dieser Auffassung die erste Bewegung (Schwingung), die erste Welle, die sich auf dem Ozean des Bewusstseins bildete. Die Kraft, welche die Differenzierung hervorbrachte, war Shakti (mythologisch: die Gemahlin Shivas, der magische, schöpferische Aspekt). Shakti wird oft mit der Kundalini gleichgesetzt (Kundalini-Shakti). Durch spirituelle Praktiken wird gemäß der yogischen Philosophie diese magisch-schöpferische Energie erweckt. Die 172 Kundalini wird als eine göttliche Kraft im Menschen beschrieben, die jeder in sich trägt. Symbolisch wird sie in Form einer schlafenden, zusammengerollten Schlange dargestellt, die am Ende der Wirbelsäule im Wurzelchakra ruht (Sanskrit: Kundalini = Schlange). Diese Schlangenkraft kann spontan erwachen oder durch spirituelle Techniken geweckt werden. Dann steigt sie auf und durchstößt nacheinander die oberen sechs Chakren. Erreicht die Kundalini-Shakti das oberste Chakra, das Scheitelchakra, dann vereinigt sie sich mit Shiva, der kosmischen Seele, dem kosmischen Bewusstsein und der Mensch erlangt höchstes Glück Dieser Zustand wird als Selbstverwirklichung, Erleuchtung oder Samadhi bezeichnet. Die moderne Neurotheologie setzt Kundalini und Bioenergie gleich und zeigt, dass Kundalini in fast allen Kulturen der Erde, besonders in yogischen, schamanischen, religiösen oder spirituellen Kreisen, bekannt ist, wenn auch unter verschiedenen Namen und mit unterschiedlicher Interpretation. Die Neurotheologie ist eine interdisziplinärere Zusammenarbeit von Neurologen, Radiologen, Theologen und Hirnforschern, die mittels wissenschaftlicher Methoden die Gehirne von betenden oder meditierenden Nonnen, Mönchen und Yogis untersuchen, um spirituelle Erfahrungen besser zu verstehen. Nach Meinung der Neurophysiologen ist die Kundalini eine bioenergetische Energie, die in den verschiedenen Kulturen lediglich eine andere Bezeichnung hat. Die indischen Yogis bezeichnen sie als Kundalini, die Eskimos als Quamaneq, die südafrikanischen Einwohner der Kalahariwüste als N/um und die Chinesen als Chi. Es ist nicht einfach, die Kundalini mittels Brahmacharya, 173 Meditation, Yoga- und Atemübungen, Visualisierung oder anderen spiritueller Techniken zu erwecken. Es erfordert sehr viel Disziplin, Geduld und Ausdauer, bis sich die ersten Erfolge einstellen. Der Brahmachari sollte sich an ethischen Regeln orientieren und großen Wert auf eine gesunde Ernährung legen. Hat die Kundalini das Sexualchakra durchstoßen, dann fallen alle sexuellen Begierden von einem ab. Wurde man zuvor sehr von der Sexualität bedrängt, dann empfindet man das vollkommene Verschwinden der sexuellen Begierden als eine große Erleichterung. Eine mindestens ebenso große Erleichterung ist es, sobald die Kundalini den Solarplexus, ich nenne ihn lieber das Nabelzentrum, durchstoßen hat. Das Nabelzentrum ist der Sitz unserer Emotionen und der Sitz psychosomatischer Erkrankungen, wie chronischer Magenschmerzen. Hat die Kundalini das Nabelzentrum durchstoßen, dann fällt jegliche Angst, Wut, sämtlicher Hass, Zorn und alle Traurigkeit, Nervosität und Depression von einem ab. Ebenso verschwinden sämtliche Magenbeschwerden, selbst wenn man Jahre oder gar Jahrzehnte zuvor darunter zu leiden hatte. Hat die Kundalini das Nabelzentrum durchstoßen, dann empfindet man in der Magengegend einen angenehmen Energiestrom, ein sehr angenehmes Kribbeln, welches einem sehr viel Kraft und Energie verleiht und ein unbeschreiblicher innerer Friede macht sich breit, der durch nichts zu erschüttern ist. Geschieht dies, dann erfährt man eine Freiheit, die man zuvor nicht kannte. Ich glaube, die meisten Menschen können es sich nicht einmal vorstellen, wie groß die Freiheit ist, weil ihr Leben in der Regel von der Angst dominiert wird, von der sie sich nicht frei machen können. Das Nabelzentrum ist von so großer Bedeutung, weil es ein vegetatives Nervenzentrum ist. Es versorgt weitere 174 Energiezentren, die um die einzelnen inneren Organe liegen, unter anderem das Magengeflecht, das Lebergeflecht und das Beckengeflecht, welche die Blase, das Rectum (Enddarm) und den Genitalapparat versorgen. Das Nabelzentrum ist im japanischen Zen als Hara und im chinesischen Qi Gong als Dan Tien (Tan Tien) bekannt. Sie werden als Hauptenergiezentrum betrachtet. Der Bauch ist das Zentrum der Kraft. Doch außerhalb des asiatischen Raums wird kaum eine Körperregion so lieblos betrachtet wie der Bauch. Die westliche Medizin hat festgestellt, dass jedes Kleinkind in den Bauch atmet. Es ist unser soziales Umfeld, die Gesellschaft, die uns durch Streß und Hektik zu Brustatmern macht. Dadurch wird aber das, nach asiatischer Sicht, Hauptenergiezentrum, das Hara, nicht mehr mit der lebensnotwendigen Energie versorgt. Das Hara liegt etwa zwei Fingerbreit unter dem Nabel. Dort ist aber auch der Schwerpunkt des Skeletts, unseres Körpers. Wenn dieser Punkt durch die Atmung nicht mehr gestärkt wird, wenn keine Kraft mehr im Hara ist, dann ist der Energiekreislauf des Menschen geschwächt. Er verliert an Kraft und Gesundheit. Durchstößt die Kundalini das Herzchakra, dann verschwindet jede Aufregung, die das Herz zuvor zeigte. Ist man normalerweise wütend und aufgeregt oder hat man Angst, dann schlägt das Herz schneller. Hat die Kundalini aber das Herzchakra durchstoßen, dann gibt es dieses aufgeregte Herzklopfen nicht mehr. Das Herz schlägt weiter ruhig und gelassen. Die Ruhe, die sich mittlerweile eingestellt hat, überträgt sich also auch auf das Herz. Befindet man sich in einer Situation, die man früher als sehr belastend empfand, bei der das Herz anfing zu rasen, so stellt man nun fest, dass man weder die Situation als belastend empfindet, noch dass das 175 Herz schneller schlägt. Stellt man dieses fest, dann empfindet man die Ruhe, mit der das Herz schlägt, als sehr angenehm. Durchstößt die Kundalini das Hals- oder Kehlkopfchakra, dann verändert sich bei Männern die Stimme. Sie bekommen eine sehr tiefe Stimme, die sehr beeindruckend ist. (Ich bin mir aber nicht sicher, ob dies bei allen Männern der Fall ist.) Hierfür sind verschiedene Hormone verantwortlich. Es ist bekannt, dass die tiefe männliche Stimme durch die Hormone Testosteron und Androsteron verursacht wird. Das Hals- oder Kehlkopfchakra ist aber auch ein Verbindungselement zwischen dem Denken und dem Fühlen. In dieser Funktion verbessern sich die kommunikativen Fähigkeiten. Hat die Kundalini das Hals- oder Kehlkopfchakra durchstoßen, dann entwickelt der Mensch rhetorische Fähigkeiten, die er zuvor nicht besaß. Seine Rede wird flüssig, elegant und überzeugend, der Klang seiner Stimme wird überaus beeindruckend. Jeder erinnert sich bestimmt daran, wie sehr ihn die Stimme manchen Sängers und mancher Sängerin berührt und vielleicht sogar zum Weinen brachte. Durchstößt die Kundalini schließlich das Stirnchakra, dann erhöhen sich die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen. Seine Konzentrationsfähigkeit, Intelligenz, Vorstellungskraft, Fantasie, Kreativität, Intuition, Wahrnehmung, Klarheit, Bewusstheit und Erkenntnis nehmen zu. Dann fällt es ihm wesentlich leichter intellektuelle Probleme zu lösen. Dies kommt vor allen Dingen Wissenschaftlern und Intellektuellen zugute, die sich mit theoretischen Fragen beschäftigen. Aber auch dem normalen Menschen hilft ein gutes Gedächtnis, den Alltag besser zu bewältigen. Die erhöhte Kreativität, Fantasie und Intuition verbessert außerdem das künstlerische Schaffen. 176 Beim Durchstoßen des Stirnchakras stellt sich ein liebliches Kribbeln im Stirnbereich ein. Dieses Kribbeln scheint die Lust am intellektuellen, künstlerischen und kreativen Schaffen zu beflügeln. Durchstößt die Kundalini schließlich das Scheitelchakra, dann breitet sich eine Seligkeit aus, die man bisher nicht kannte. Geschieht dies, dann hat man das Gefühl, das gefunden zu haben, wonach man sich das ganze Leben lang sehnte. Man hat das Gefühl, zu Hause angekommen zu sein, mit dem Göttlichen vereint zu sein. Alles Leid fällt von einem ab. Stattdessen empfindet man Seligkeit und ein tiefer innerer Frieden breitet sich aus. Diesen Zustand nennt man Samadhi, Nirvana (Sanskrit), Nibbana (Pali) oder Erleuchtung. Erscheint uns dieser Zustand auch ungewöhnlich, weil wir zeitlebens Lichtjahre von dieser Seligkeit entfernt waren, so ist dieser Zustand eigentlich unser Normalzustand, der uns in die Wiege gelegt wurde. Wir sind geboren, um ein Leben in dieser Seligkeit zu verbringen. Aber durch soziale und gesellschaftliche Einflüsse und durch unsere Flucht in die Sexualität zerstören wir uns genau diese Seligkeit. Man sollte immer daran denken, daß die Kundalini, auch nachdem sie das Scheitelchakra durchstoßen hat, in jedem Moment wieder ins Basischakra zurückfallen kann, falls der Mensch in seine alten Fehler verfällt. Der Aufstieg der Kundalini ist genau genommen ein bioenergetischer, ein physiologischer, Prozess, der sich jederzeit wieder umkehren kann, falls man gegen die Regeln der Natur verstösst. Das Erwachen der Kundalini Shakti im Basischakra und ihre Vereinigung mit Shiva im Scheitelchakra, wird von vielen westlichen Tantraanhängern falsch interpretiert. Männer halten 177 sich für Shiva und meinen, die Frauen wären Shakti, und die bloße sexuelle Vereinigung sei das Ziel des Kundalini-Yoga. Dies ist eine vollkommen falsche Interpretation. Solch eine Haltung dient allenfalls der eigenen sinnlichen Befriedigung. Buddha hat seinen Mönchen nicht umsonst Brahmacharya empfohlen. Auch die Zen-Mönche praktizierten einst das Brahmacharya, bis der japanische Kaiser Mutsuhito, das Zölibat, infolge der Staatsshinto im Jahr 1868, in der Zeit der Meiji-Restauration, für die Zen-Mönche seines Landes aufhob. Man sagt, dass der japanische Kaiser das Zölibat aufhob, weil er Angst vor den selbstbewussten enthaltsam lebenden Mönche hatte. Heute ist zwar in den Zenklöstern das Zölibat nach wie vor offiziell aufgehoben, aber es wird vielfach stillschweigend praktiziert. 14.1 Die Chakren Top Unter Chakren versteht man Energiezentren im Körper. Nach der Chakralehre befinden sich sieben Hauptenergiezentren entlang der Wirbelsäule (siehe Tabelle 2). Diese sieben Energiezentren werden durch einen Hauptenergiekanal, der Sushumna, miteinander verbunden, durch den die Kundalinienergie vom Basischakra zum Scheitelchakra aufsteigt. Das Basischakra hat seinen Sitz im Damm hinter den Geschlechtsorganen, zwischen den Genitalien und dem Anus. Dort beginnt auch der Energiekanal der Sushumna, der dann entlang der Wirbelsäule bis zum Scheitelchakra aufsteigt. Nachfolgend eine Darstellung der sieben Hauptchakren: Tabelle2: Die sieben Hauptenergiezentren (Chakren) 178 7. Scheitelchakra – Kronench. - Sahasrara 6. Stirnchakra - Drittes Auge - Ajna 5. Hals- oder Kehlkopfchakra - Vishuddha 4. Herzchakra - Anahata 3. Solarplexus - Sonnengeflecht - Manipura 2. Sakralchakra – Sexualch. - Svadhishthana 1. Wurzelchakra - Basischakra - Muladhara Den Chakren werden unterschiedliche Eigenschaften des menschlichen Lebens zugeordnet, die in Tabelle 3 dargestellt werden sollen: Tabelle3: Chakren und ihre Eigenschaften 7. Scheitelch. Spiritualität, Bewusstheit, Selbstverwirklichung (Samadhi) 6. Stirnchakra Intelligenz, Intuition, Kreativität, Fantasie, Weisheit 5. Halschakra Rhetorik, Gesang, Verbindung von Gefühl und Denken 4. Herzchakra Liebe, Mitgefühl, Herzenswärme, soziale Verantwortung 3. Solarplexus Wille, Macht, Emotion (Freude, Angst, Hass, Wut, Zorn) 2. Sexualchakra Erotik, Sexualität, Sinnlichkeit, Fortpflanzung 1. Wurzelchakra Lebenswille, Urvertrauen, Sicherheit, 179 Erdung, Geborgenh. Jedem Chakra wird eine Drüse und bestimmte Hormone zugeordnet: Tabelle 4: Drüsen und Hormone der Chakren 7. Scheitelchakra Zirbeldrüse (Epyphyse) Serotonin, Melatonin 6. Stirnchakra Hirnanhangdrüse (Hypophyse) Vasopressin, Pituitrin 5. Halschakra Schilddrüse Thyroxin 4. Herzchakra Thymusdrüse Thymosin 3. Solarplexus Bauchspeicheldrüse Insulin 2. Sexualchakra Eierstöcke, Hoden, Östrogen, Prostata Testosteron 1. Wurzelchakra Nebenniere Adrenalin, Noradrenalin Sind alle sieben Hauptchakren einschließlich des Kronenchakras vollständig geöffnet und die Lebensenergie (Kundalini) kann ohne Blockaden und Störungen fließen, so spricht man in der Yogaphilosophie von einem erleuchteten Menschen. Ist eines oder gar mehrere Chakren dagegen blockiert, so kommt es zu verschiedenen Erkrankungen des Menschen. Jedes der sieben Hauptchakren soll für ganz bestimmte Bereiche der Gesundheit verantwortlich sein. Störungen und Blockaden der Chakren könnten sich daher sowohl auf physischer als auch auf psychischer Ebene zeigen. Nach der Yogaphilosophie ist der Mensch diesen Erkrankungen 180 nicht hilflos ausgeliefert. Das Yogasystem bietet Möglichkeiten, die Chakren zu harmonisieren, Blockaden aufzulösen und den Menschen zu heilen. So kann der Mensch sich spirituell entwickeln, Körper, Geist und Seele können wieder miteinander in Einklang gebracht werden und der Mensch kann zu seiner Ganzheit zurückfinden. Zum Schluß dieses Kapitels sollen die Krankheiten, die man den jeweiligen Chakren zuordnet, in einer Tabelle dargestellt werden [25] Tabelle 5: Krankheiten, die man den Chakren zuordnet Scheitelch. Verhaftung in der materiellen Welt, ein Gefühl von Mangel, Leere und Unzufriedenheit, Weltschmerz, Dumpfheit, geistige Erschöpfung, Verneinung der Schöpferkraft, Immunschwäche, Nervenleiden, Lähmungserscheinungen, Multiple Sklerose, Krebserkrankungen, Ein- und Durchschlafstörungen Stirnchakra Konzentrations- und Lernschwäche, fehlende Einsicht und Phantasie, ein unruhiger Geist, Schizophrenie, Ängste und Wahnvorstellungen, Aberglauben und geistige Verwirrung, Stimmungstiefs (Sinnlosigkeit), Kopfschmerzen und Migräne, Gehirnerkrankungen, Augenleiden, Ohrenleiden, chron. Schnupfen und Nebenhöhlenentzündungen, Erkrankungen des Nervensystems und neurologische Störungen Halschakra Schwierigkeiten Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen, Angst seine eigene Meinung zu vertreten, Hemmungen, Schüchternheit, kein Zugang zur inneren Stimme, Halsschmerzen, Hals- und Mandelentzündungen, Heiserkeit, 181 Tabelle 5: Krankheiten, die man den Chakren zuordnet Sprachstörungen z.B. Stottern, Mundhöhlen-, Zahnfleisch- Kieferentzündungen, Schmerzen in Halswirbelsäule, Nacken und Schultern, Über- / Unterfunktion der Schilddrüse und damit einhergehende Störungen wie z.B. Nervosität und Antriebsschwäche Herzchakra Lieblosigkeit, Herzenskälte, Verbitterung, Kontaktschwierigkeiten, Einsamkeit, Probleme Liebe anzunehmen, Beziehungsprobleme, Koronare Herzerkrankungen, Angina Pectoris, Herzrhythmusstörungen, hoher oder niedriger Blutdruck, Erhöhte Cholesterinwerte, Durchblutungsstörungen, Lungenerkrankungen, Asthma, Atembeschwerden, häufige Erkältungen, Allergien, Schmerzen in der Brustwirbelsäule und Schultern, Rheuma in Armen und Händen, Hauterkrankungen Solarplexus Wenig Lebensenergie, Gefühlskälte, Gleichgültigkeit, Unsicherheit, mangelndes Selbstbewusstsein, Machtbesessenheit, übertriebener Ehrgeiz und Leistungsdenken, Rücksichtslosigkeit, Wutanfälle, Essstörungen, Schlafstörungen, Ziele nicht erreichen, keine Durchsetzungskraft, blockierte Gefühle, Magenerkrankungen, Sodbrennen, Erkrankungen von Leber, Milz und Gallenblase, Gelbsucht, Verdauungsstörungen, Schmerzen in der Lendenwirbelsäule, Nervenerkrankungen, Diabetes mellitus, Übergewicht 182 Tabelle 5: Krankheiten, die man den Chakren zuordnet Sexualch. Unfähigkeit das Leben zu genießen, seelische Kraftlosigkeit, Motivationslosigkeit, Eifersucht, Schuldgefühle, zwanghaftes Sexualverhalten, Sexgier, sexuelles Desinteresse, Suchtgefährdung, starke Stimmungsschwankungen, Triebhaftigkeit, Menstruationsbeschwerden, Erkrankungen von Gebärmutter und Eierstöcken, Prostata- und Hodenerkrankungen, Potenzstörungen, Pilzerkrankungen der Geschlechtsorgane, Blasenprobleme, Geschlechtskrankheiten, Nierenerkrankungen, Harnwegsinfektionen, Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule, Hüftschmerzen, Folgeerscheinungen mangelnder Entgiftung Wurzelch. Mangelnde Lebensenergie, wenig Lebensfreude, mangelndes Vertrauen ins Leben, Existenzängste, Misstrauen, Phobien (Spinnen u.a), psychische Kraftlosigkeit, Depressionen, Darmerkrankungen, Hämorrhoiden, Verstopfung, Durchfall, Kreuzschmerzen, Hexenschuss, Ischialgien, Knochenerkrankungen, Osteoporose, Schmerzen in Beinen und Füßen, Krampfadern und Venenleiden, Blutarmut, stressbedingte Erkrankungen, allergische Beschwerden 14.2 Das Physio-Kundalini-Modell Top Normalerweise geht der Kundaliniaufstieg ruhig und unproblematisch vor sich. Mitunter wird er aber von 183 erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen begleitet. Dann kann es zu Hitzewallungen, Kälteschüben, Licht- und KlangErfahrungen, Verwirrtheit, Zuckungen, Schmerzen, Zittern, Jucken, Krämpfen, Lähmungen, Visionen und anderen Erscheinungen kommen. Dauern diese Symptome länger an, dann kann es ohne qualifizierte Hilfe zu länger andauernden gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen. Man geht davon aus, dass diese Symptome sich besonders bei Menschen mit einem sensiblen Nervensystem zeigen. Leider wissen die meisten Meditationlehrer, Yogalehrer, Heilpraktiker usw. nichts über die Auswirkungen und Phänomene der Kundalini-Energie und die betroffenen Menschen laufen von Arzt zu Arzt, ohne dass ihnen geholfen wird. Um Menschen in solchen Situationen zu helfen, gründete man 1974 in San Francisco eine Kundaliniklinik. Das amerikanische „Spiritual Emergency Network“ (SEN), ein Netzwerk, welches Menschen, die sich in spirituellen Krisen befinden, Hilfe anbietet, findet man unter: http://www.spiritualemergence.info In Deutschland haben sich im „Netzwerk für spirituelle Entwicklung und Krisenbegleitung“ (SEN) Therapeuten der Transpersonalen Psychologie, die sich an Carl Gustav Jung, Roberto Assagioli, Graf Dürckheim, Stanislav Grof und Ken Wilber orientieren, zusammengeschlossen, um bei etwaigen spirituellen Krisen, wie paranormalen Erlebnissen, Nahtodeserfahrungen oder dem plötzliches Erwachen der Kundalinienergie, Hilfe anbieten zu können. 184 Spiritual Emergence Network (SEN): Koordinationsbüro Rütte-Forum Graf-Dürckheimweg 5 D-79682 Todtmoos-Rütte Tel.: (07674) 85 11 Fax: (07674) 85 61 Mail: info(ät)SENeV.de oder info(ät)ruette-forum.de Webseite: http://www.senev.de Bürozeiten: Mo-Fr 9.00 - 12.00 und 18.00 - 19.30 Uhr Die Mitglieder der europäischen Staaten (Österreich, Belgien, Katalonien (Spanien), Kroatien, Frankreich, Deutschland, Holland, Ungarn, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Spanien, Schweden, Schweiz, England und Ukraine haben sich unter der European Transpersonal Association (Eurotas) zusammengeschlossen: Eurotas In der Kundaliniklinik von San Francisco hat man die Gesundheitsprobleme, die der Kundaliniaufstieg mit sich bringen kann, sorgfältig analysiert und mit den klassischen Kundalinikonzepten aus der indischen Yogaphilosophie verglichen. Sehen wir uns einmal an, wie der Kundaliniaufstieg nach der klassischen Yogaphilosophie aussieht: • • • • • • • 7. Scheitelchakra 6. Stirnchakra 5. Halschakra 4. Herzchakra 3. Nabelchakra 2. Sexualchakra 1. Wurzelchakra 185 In den klassischen Kundalinikonzepten der Yogaphilosophie hat die Kundalini-Shakti ihren Sitz im Wurzelchakra und steigt, durch spirituelle Praktiken angeregt, entlang der Wirbelsäule bis zum Scheitelchakra hinauf, wo sie sich gewissermaßen mit dem göttlichen Shiva vereint. Dem klassischen indischen Yogakonzept liegt also eine religiöse Interpretation zugrunde. In der Kundalini-Klinik in San Francisco hat man aber festgestellt, dass die eigenen Beobachtungen von den klassischen Kundalinikonzepten der Yogaphilosophie abweichen. Man hat nämlich festgestellt, dass der Kundaliniaufstieg einen etwas anderen Verlauf hat. Im Yoga wurde bisher angenommen, dass die Kundalini aus dem Wurzelchakra über das Sexualchakra, das Nabelchakra (Solarplexus), das Herzchakra und das Stirnchakra bis zum Scheitelchakra aufsteigt. In der Kundalini-Klinik in San Franzisko hat man festgestellt, dass damit der KundaliniProzess noch nicht abgeschlossen ist. Der Psychiater und Mitbegründer der Kundaliniklinik in San Francisco, Dr. Lee Sannella, beschreibt den Kundaliniaufsteig in seinem Buch „Psychosis or Transcendence“ wie folgt: „Die Kundalini wandert von der Mitte des Schädels (Scheitelchakra) zur Stirn, teilt sich über den Augen auf und fliesst auf beiden Seiten an Nase und Mund hinunter, um sich wieder im Kinn zu vereinigen. Vom Kinn läuft sie dann weiter abwärts über den Kehlkopf und das Brustbein, um im Bauch zu enden.“ Im Bauch schliesst sich also der Kreislauf. „Ausserdem beginnt der Kundaliniaufstieg oft bereits in den Zehen (meistens beginnend in der linken Zehe) und steigt dann die Wirbelsäule den Rücken hinauf.“ Damit müsste das Modell der Kundaliniklinik in San Francisco in etwa wie folgt aussehen: 186 Abbildung 6: Kleiner Energiekreislauf Sieht man sich den Energieverlauf der Kundalini an, so sieht man, dass sie entweder von den Zehen, den Beinen oder dem Becken über die Wirbelsäule zum Scheitelchakra, den höchsten Punkt des Körpers, aufsteigt, um sich dann über die Stirn, die Augen, die Nase, den Mund, den Kehlkopf, das Herz und dem Nabelzentrum zur Unterseite der Wirbelsäule hinabzubewegen. Hier schließt sich der Kreislauf. Anschließend beginnt die Kundalini erneut die Wirbelsäule aufzusteigen. Nun rotiert die Kundalini in einem Kreislauf. Das langsame Fortschreiten der Kundalini ist so charakteristisch, dass man es in der Kundaliniklinik in San Francisco den Physio-Kundalini-Zyklus nennt. Trifft die Kundalini auf energetische Blockaden, dann müssen diese zunächst entfernt werden, bevor sie weiter fortschreiten kann. Während dieses Heilungsprozesses kommt es häufiger zu den oben beschriebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Der Kreislauf innerhalb des Oberkörpers ist im Taoismus sehr bekannt. Man nennt ihn den „Kleinen Energiekreislauf“. Die 187 zentrale Meditation des Heilenden Tao ist der „Kleine Energiekreislauf“. Dieser traditionellen Meditation werden tiefste Heilwirkungen nachgesagt: Mit Hilfe geistiger Vorstellung wird die Lebensenergie „Qi“ (Chi) die Wirbelsäule hinauf und vorne am Körper wieder hinunter bewegt. Nachdem sich der Kreis geschlossen hat, steigt das Qi in einem erneuten Kreislauf wieder die Wirbelsäule hinauf, um am Scheitelchakra wieder hinabzusteigen. Durch diese innere Zirkulation kommt es zur Stärkung und Harmonisierung aller Drüsen und Organe. Zudem wird der ganze Körper mit neuer Lebensenergie versorgt. Man fühlt sich frischer, stärker und gesünder als zuvor. In der darauf aufbauenden Praxis der „Heilenden Liebe“ lernt der Übende dann, die Sexualenergie durch den „Kleinen Kreislauf“ fließen zu lassen und so als innere Heilquelle zu nutzen. Nach Ansicht der alten Taoisten ist die Sexualenergie die wichtigste Grundlage für Kreativität, Vitalität und spirituelles Wachstum. 15. Die Keuschheit im Judentum Top Bisher wurde die Keuschheit vorwiegend aus der Sicht des Buddhismus und Hinduismus betrachtet. Nun möchte ich gerne einmal betrachten, welche Rolle die Keuschheit in der Frühzeit des Judentums hatte. Dabei möchte ich mich zunächst auf den Propheten Elija, den Urvater des monastischen Lebens, konzentrieren. Da Elija das Mönchstum bis in die heutige Zeit beeinflusst, möchte ich aufzeigen, wie stark sein Einfluss auf die christlichen Mönchsorden ist. Anschließend möchte ich der Frage nachgehen, warum Moses das Zölibat praktizierte. Danach möchte ich mich mit den ersten jüdischen Mönchsorden, den Essenern und Therapeuten, beschäftigen. Zum Schluss möchte ich noch kurz auf das Weisheitsbuch 188 Jesus Sirach eingehen, welches ebenfalls die Keuschheit thematisiert und aufzeigen, warum die Onanie im Alten Testament, genauer gesagt, im 1. Buch Mose (1 Mose 38,9), verurteilt wird. Ich möchte auf das Zölibat im Judentum etwas ausführlicher eingehen, weil es selbst unter vielen Juden nicht bekannt ist, welche Rolle die Keuschheit im Frühjudentum spielte. Bereits das Alte Testament bringt deutlich zum Ausdruck, daß ein keusches Verhalten etwas Würdiges, etwas Gottgefälliges, ist, daß es der Gerechtigkeit und der Heiligkeit entspricht, daß es aus einem reinen Herzen hervorgeht, das Gott gehört, und daß es wahre Weisheit und ein Leben in Glück und Zufriedenheit ermöglicht. Die Keuschheit ist ein religiöses Thema, das mit der Suche nach Gott verbunden ist, so wie die Unzucht Gottesferne, Beleidigung Gottes und Götzendienst bedeutet. Ohne Zweifel reicht das Alte Testament nicht an die Klarheit heran, die das Neue Testament in Bezug auf die Keuschheit mit sich bringt. Es bereitet diese jedoch vor, kündigt sie an und erlaubt es, sie vorauszuahnen. 15.1 Elija, der Urvater des monastischen Lebens Top Bereits im frühen Judentum gab es Menschen, die die Keuschheit praktizierten. So wird der Prophet Elija, der im 9. Jahrhundert vor Christus lebte und nach alttestamentarischer Vorstellung, neben Moses als der zweitwichtigste Prophet des Judentums gilt, als Vater des monastischen Lebens betrachtet. Elija gilt als Vorbild einiger jüdischer und christlicher Zölibatäre und Orden. Professorin Dr. Marianne Schlosser von der Universität Wien hat sich in ihrer Arbeit „Der Prophet Elija: Vater des monastischen Lebens“ [26] sehr eingehend mit 189 dem Propheten Elija befasst. Elija gilt als alttestamentarisches Vorbild des monastischen Lebens, da er vor der phönizischen Königin Isebel, die ihn hinrichten lassen wollte, in die judäische Wüste floh und dort ein mönchisches Leben führte. Königin Isebel hatte sich vom jüdischen Gott Jahwe ab- und den phönizischen Göttern zugewandt. Sie wollte Elias hinrichten lassen, weil er die Propheten des phönizischen Gottes Baal verspottet hatte. Damit wurde Elija bereits im 9. Jahrhundert vor Christus als Monachus (Mönch) zum Vorbild für einige jüdische Zölibatäre und Bewegungen, wie Jesus Sirach (180 v.Chr.), dem christlichen ägyptischen Mönch, Asket und Einsiedler Antonius dem Großen (251-356 n.Chr.), den Essenern (165 v.Chr - 70 n.Chr.) und Therapeuten (1. Jh. v.Chr. - 1. Jh. n.Chr.), zwei jüdischen Mönchsorden, die sich in Qumran, in der israelischen Wüste, und in Alexandria, in Ägypten, niederließen. Aber auch den frühchristlichen Wüstenvätern in der ägyptischen, palästinensischen und syrischen Wüste und den christlichen Mönchsorden der Karmeliten, Franziskaner, Dominikaner, Kamaldulenser und Kartäuser war Elia ein Vorbild. In der judäischen Wüste führte Elija, der geheimnisvolle Fremde, ohne Haus und Familie, ein einsames Leben mit Gott. Hierunter ist vor allem das zölibatäre Leben zu verstehen. Marianne Schlosser schreibt in ihrem Beitrag über Elija: „Ob griechische, lateinische, syrische, armenische, koptische oder arabisch schreibende Autoren: Alle heben einmütig die Hagneia-Castitas oder Virginitas (Hagneia-Castidas = sittliche Reinheit, Keuschheit, Virginitas = Jungfräulichkeit) dieses Propheten hervor. Nicht selten werden alle anderen Eigenschaften, die Armut, das Fasten und die Schweigsamkeit, die kontemplative Gottesnähe und die Wundertaten (2 Könige 190 2,21: Elija macht die Wasserquellen „gesund“, die unreines Wasser hatten; 2 Könige 2,24: zwei Bären zerreißen 42 Kinder, die ihn verspotteten), ja ganz besonders seine Erhebung zum Himmel (in 2 Könige 2,11 wird Elija in einem feurigen Wagen mit feurigen Rossen „gen Himmel entrückt“), in Verbindung mit dieser jungfräulichen Einsamkeit des Herzens gesehen.“ Obwohl es für das Mönchsleben noch andere alttestamentliche Vorbilder gibt, etwa Mose, David und Abraham6, so kommt Elija doch ein besonderer Rang zu. Antonius der Große, ein christlicher ägyptischer Mönch, Eremit und Einsiedler, der etwa 1.200 Jahre nach Elija seinen Besitz verschenkte und sich in die ägyptische Wüste zurückzog, um Christus zu folgen, wird ausdrücklich als Nachahmer Elijas gepriesen. Dies geschah nachdem Antonius das Bibelwort Matthäus 19,21 hörte: „Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe was du hast, und gib's den Armen; so wirst du einen Schatz im Himmel haben. Komm und folge mir nach!“ 6Der christliche Priester, Mönch, Abt und Schriftsteller Johannes Cassianus (360-435), schrieb in seinem Buch „Von den Einrichtungen der Klöster“ [28]: „Diese Tugend (die Keuschheit) wird meistens nur Jenen zugeschrieben, die der Gesinnung wie dem Fleische nach jungfräulich sind, wie es beide Johannes (1. Johannes der Täufer, 2. Johannes der Evangelist) im neuen Testament und Elias, Jeremias und Daniel bekanntlich im Alten Testament gewesen sind.“ Der Heilige Nilos, der auf dem heiligen Berg Athos7 in Griechenland in einer Höhle lebte und nach dessen Tode Myrrhen (Myrrhe ist das Harz des Myrrhebaumes. Myrrhe wird ebenso wie Weihrauch als Räucherwerk verbrannt.) von seinem Laublager den Geröllhang hinunter wuchsen und wie 191 Wellen von Gold auf dem Meer trieben, nennt Elija den „Anführer auf dem Übungsplatz allen geistlichen Lebens“. Nilos selber verfasste viele Schriften, in denen er sich u.a. mit der Askese befasste. Johannes Cassianus bezeichnete Elias als alttestamentlichen Vorläufer monastisch-eremitischen Lebens. Der Rumäne Johannes Cassianus pilgerte als junger Mann nach Palästina, lebte zunächst in einem christlichen Kloster in Bethlehem und schloss sich dann für über 10 Jahre einer klösterlichen Gemeinschaft in der ägyptischen Wüste an. Die Kirchenlehrer Ambrosius von Mailand (339-397 n.Chr.) und Hieronymus (347-419 n.Chr.) sprechen von Elias als „Stammvater“. Hieronymus schrieb über Elias: „Unser Erster und Fürst ist Elija. Unsere Führer sind die Söhne der Propheten, die auf dem freien Feld und in der Einsamkeit hausten und sich Hütten bauten nahe den Wassern des Jordan.“ Während Elija im Osten schon früh besondere Verehrung entgegengebracht wurde, war die katholische Kirche eher zurückhaltend in der Verehrung alttestamentlicher Heiliger. Eine breitere öffentliche Verehrung des Propheten kam erst mit dem römisch-katholischen Orden der Karmeliten auf, der um das Jahr 1150 am Karmelgebirge im heutigen Israel gegründet wurde. Der Prophet Elias war für diese Mönche ein Vorbild für ihr Einsiedlerleben. 7Der Heilige Berg Athos ist eine orthodoxe Mönchsrepublik mit autonomem Status unter griechischer Souveränität in Griechenland. Er befindet sich auf dem gleichnamigen östlichen Finger der Halbinsel Chalkidikí in der Verwaltungsregion Zentralmakedonien. Das Territorium umfasst rund 336 km² und zählt 2.262 (mönchische) Einwohner, zuzüglich einer saisonal wechselnden Zahl von zivilen Arbeitern. Im Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff 192 „(Berg) Athos“ entweder die ganze Halbinsel Athos mit dem Mönchsstaat oder auch nur den eigentlichen Berg an der Südost-Spitze der Halbinsel, der 2.033 Meter hoch ist. Die 20 Großklöster der orthodoxen Mönchsrepublik sind Teil des Unesco-Welterbes. Das erste Kloster, die Große Lavra, wurde 963 n.Chr. vom byzantinischen Mönch Athanasios Athonites gegründet. Bis zu diesem Zeitpunkt siedelten auf dem Athos bereits Mönche, die sich an den Vorbildern der asketischen Mönche im alten Ägypten orientierten. Bald gründeten bulgarische, rumänische, russische, georgische und serbische Mönche weitere Großklöster auf dem Berg Athos. Davon sind heute 17 griechisch, je eines russisch, bulgarisch und serbisch. [47] Elija verkörpert alle wesentlichen Elemente eines gottgeweihten Lebens: Keuschheit, Armut, Gehorsam, Askese, Buße, Herzensreinheit, Verkündung und Gebet. Deshalb nennt der Heilige Hieronymus Elija den alttestamentlichen Vater der Anachoreten (Eremiten), der frühesten Form des christlichen Mönchstums. Im Gegensatz zu Koinobiten, die in klösterlichen Gemeinschaften leben, lebten Anachoreten völlig abgeschieden und zurückgezogen. In der Wüste, im Gebirge oder im dichten Wald, manchmal auch auf küstennahen einsamen Inseln, versuchten sie, sich auf Gott zu besinnen. Welchen Stellenwert Elijas in den christlichen Mönchsorden einnimmt, kann man daran erkennen, welches Gewicht das eremitische Element in dem jeweiligen Orden einnimmt. Deshalb kann man sagen, dass Elija bei den Wüstenvätern und im Kameliterorden ein größeres Ansehen genoß als beim Asketen, Bischof und Kirchenlehrer Basilius von Caesarea, der 355 ein Kloster in Kappadozien (Zentralanatolien) gründete. Bei den Augustinermönchen und bei den Benediktinermönchen 193 dagegen, die das klösterliche Leben dem Eremitentum vorziehen, genießt Elija nicht ganz so viel Ansehen. Die ersten Karmeliten lebten 1150 am Berg Karmel in Israel, der auch der Aufenthaltsort des Propheten Elia und seiner Jünger war. Die ersten Brüder lebten noch ohne Ordensregel in strenger Askese als Eremiten, aber in einer lockeren Gemeinschaft. Sie wohnten in einer Klosteranlage, in der jeder sich in einer Zelle allein dem Gebet widmete. Die ursprüngliche Ordensregel war äußerst streng und schrieb Armut, Einsamkeit und den Verzicht auf Fleisch vor. Mittelpunkt der Regel ist: „Jeder bleibe in seiner Zelle, Tag und Nacht das Gesetz des Herrn betrachtend und im Gebet wachend.” Die Spiritualität Elias spiegelt vor allem das „Buch der ersten Mönche“ wieder, welches die Ordensregeln der Karmeliten beinhaltet. Obwohl man nicht genau weiß, wer der Verfasser des Buches ist, so kann man doch sagen, dass die in dem Büchlein gegebenen Ratschläge die Spiritualität der Wüstenväter atmen, die wiederum Eljia zum Vorbild hatten. In der Tat ist der Karmelitenorden der einzige Orden, der den Propheten Elija „Vater“ nennt und seine Ursprünge ausdrücklich im Alten Testament verankert. Das heißt aber nicht, dass das Eremitentum des Elija außerhalb der Spiritualität des Karmelitenordens in der christlichen Theologie keine Rolle spielt. Wie zu erwarten, beziehen sich vor allem eremitische oder halberemitische Lebensformen auf Elija als Vorbild, darunter die Kamaldulenser und die Kartäuser. Beide Orden betrachten die Einsamkeit, die Elija praktizierte, als beste Voraussetzung für eine innige Gotteserfahrung. In beiden Orden ist Elija jedoch nicht das einzige Vorbild. Neben Elija sind auch Moses, Jeremia und Maria wichtige Vorbilder, an 194 denen sich die Mönche orientieren. Auch die Franziskaner und Dominikaner tragen in ihren frühen Biographien bereits deutliche Züge des Propheten Elias. Wenn Franziskus oder Dominikus die Züge eines „zweiten Elija“ tragen, dann nicht nur, weil Elija der typische Mönch schlechthin ist, sondern weil er zugleich der Typ eines Christus ist. Marianne Schlosser sagt über Elija: „Weil Elija das Herz des monastischen, gottgeweihten Lebens verkörpert, nämlich ganz vom Eifer für Gott ergriffen zu sein, darum konnte er zum Vorbild verschiedener Formen des Ordenslebens werden. So wurde der einsame Prophet Vater vieler Kinder.“ 15.2 Moses und das Zölibat Top Das 2. Buch Moses, welches auch Exodus genannt wird, beschreibt den Auszug der Juden aus Ägypten. Im Exodus, Kapitel 19, wird die Situation 3 Monate nach dem Auszug aus Ägypten beschrieben. Die Juden sind in der Wüste Sinai und haben gegenüber dem gleichnamigen Berg Sinai ein Lager aufgeschlagen. Moses steigt zu Gott hinauf (den Berg Sinai hinauf) und Gott teilt ihm mit: „Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören.“ (Ex 19,5-6) Nachdem Moses dem Volk mitgeteilt hatte, was der Herr gesagt hatte und das Volk antwortete, dass es alles tun wollte, was der Herr verlangt hatte, sprach Gott zu Moses: „Ich werde zu dir in einer dichten Wolke kommen; das Volk soll es hören, wenn ich mit dir rede, damit sie auch an dich immer glauben.“ (Ex 19,9) Der Herr sprach zu Mose: „Geh zum Volk! Ordne an, dass sie sich heute und morgen heilig halten und ihre Kleider waschen. Sie sollen sich für den dritten Tag bereithalten. Am dritten Tag werde ich vor den Augen des ganzen Volkes auf den Berg Sinai 195 herabsteigen.“ (Ex 19,10-11) Mose stieg vom Berg zum Volk hinunter und ordnete an, das Volk solle sich heilig halten und seine Kleider waschen. Er sagte zum Volk: „Haltet euch für den dritten Tag bereit! Berührt keine Frau!“ (Ex 19,14-15) Nachdem sich das Volk am dritten Tag am Berg Sinai versammelt hatte, übergab der Herr Moses, der wie von Gott verlangt, zusammen mit Aaron den Berg Sinai hinaufgestiegen war, die 10 Gebote. In dem Buch „Frühjudentum und neues Testament im Horizont biblischer Theologie“ von Mohr Siebeck [27] beschäftigt sich der Professor für jüdische und frühchristliche Geschichte der Universität Utrecht, Pieter W. van der Horst, mit dem Zölibat im Frühjudentum. Dabei beschäftigt er sich auch mit der sexuellen Enthaltung Moses seit der Offenbarung der 10 Gebote auf dem Berg Sinai und seit Gottes Selbstoffenbarung am brennenden Dornbusch (2 Mo 3,2: „Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Busch.“). Pieter W. van der Horst schreibt: „Wir finden dieses Motiv das erste Mal in Philos „De Vita Mosis“ (Philo ist ein jüdisch-hellenistischer Philosoph), wo er sagt, dass Moses, um imstande zu sein, Gottes Offenbarungen zu empfangen, rein sein musste und sich darum fern von Speise und Trank und vom Verkehr mit Frauen zu halten hatte. Weil Mose in fortwährender Bereitschaft für den Empfang göttlicher Worte sein wollte, so sagte Philo, ist er seit seiner Berufung immer frei von Verunreinigungen durch sexuellen Verkehr geblieben. Diesem Motiv begegnen wir auch in der rabbinischen Literatur. So lesen wir im rabbinischen Midrasch „Sifre zu Num“8, dass Mirjam zu Aaron über Mose wegen seiner äthiopischen Frau sprach, denn sie hatte bemerkt, dass diese Frau nicht länger ihr Antlitz schützte. Auf die Frage nach dem Grund hatte die 196 Äthiopin geantwortet, dass Moses nicht länger an ihr als Frau interessiert war. Mirjan war dann zur Schlussfolgerung gekommen, dass Mose das Gebot von „peru u-revu“ (Seid fruchtbar und vermehret euch.) in Genesis 1,28 vernachlässigte. 8Die Midrasch ist eine Bibelauslegung, die sich auf die heilige Schrift des Judentums, den Tanach, bezieht. Der Midrasch fragt dann, wie es möglich ist, dass die Patriarchen (die religiösen Führer), die doch fortwährend Mitteilungen von Gott empfingen, sich nicht ihren ehelichen Pflichten entzogen. Eine Frage, die unbeantwortet blieb. In einem anderen Midrasch, Exodus Rabba, wird gesagt, dass Mose dachte: „Wenn uns gesagt wurde, uns nicht einer Frau anzunähern beim Berge Sinai, der nur bei einer Gelegenheit, nämlich bei der der Gesetzesoffenbarung (der 10 Gebote), geheiligt wurde, um wieviel mehr soll ich, der ich doch immer von Gott angeredet werde, mich von meiner Frau fern halten.“ In anderen Passagen wird Moses fortwährender Zölibat zwar bestätigt, aber zugleich wird betont, dass Mose in dieser Hinsicht kein Modell ist, dass von jedem Israeliten nachgeahmt werden muss, denn in rabbinischen Kreisen steht das Ideal einer Gründung der Familie im Vordergrund. Dennoch sehen wir hier ein wichtiges Motiv, nämlich das Zölibat aus der Bereitschaft heraus zu praktizieren, um in einen Zustand ununterbrochener Reinheit (zu gelangen und) zu bleiben, „weil man jederzeit instande sein möchte, Gottes Offenbarungen zu empfangen.“ Sollte dies nicht eigentlich für alle Rabbiner (Priester) gelten? 197 15.3 Die Essener Top 1947 fanden Beduinen in der Nähe von Qumran am Toten Meer in einer Höhle Schriftrollen, die allerdings nicht vollständig erhalten waren. Der Fundort lag nur wenige Kilometer von der Stelle entfernt, wo sich Jesus im Jordan hatte taufen lassen. Nachdem man erkannt hatte, welche Bedeutung diese Schriftrollen hatten, forschte man weiter. Bis heute fand man in insgesamt 11 Höhlen etwa 900 Schriftrollen. Bei den Rollen handelt es sich in der Regel um Lederrollen aus Ziegen- oder Schafshaut; auch Papyrus kommt als Schreibmaterial vor. Eine Rolle ist aus Kupferblech. Die Rollen wurden in Tonkrügen, die mit einem Deckel versehen waren, aufbewahrt. Aus 80.000 Bruchstücken der Schriftrollen wurden puzzleartig 15.000 zusammenhängende Schriftstücke rekonstruiert. In den elf Höhlen von Qumran wurden hebräische, aramäische, nabatäische, gelegentlich auch griechische und lateinische Handschriften gefunden. Zeitlich stammen die Handschriften aus der Zeit zwischen dem 3. Jahrhundert vor Christus und der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts nach Christus. Davon sind nur etwa zehn Rollen fast vollständig erhalten. Andere Rollen sind stark beschädigt und in zum Teil nur daumennagelgroßen Fragmenten erhalten. Aus dem 1. Jahrhundert vor und nach Christus stammend, sind sie die ältesten Bibelhandschriften, die jemals gefunden wurden. Sie umfassen alle Bücher des Alten Testamentes außer Esther. Außerdem enthalten sie den Tanach, die Heilige Schrift des Judentums, Apokryphen (außerbiblische Texte), wie den hebräischen Text des vorher nur in Übersetzungen bekannten Buches von Jesus Sirach. Eine 3 m lange Rolle enthält das gesamte Buch Jesaja und eine 2 m lange Rolle beinhaltet die Lebensregeln der Essener von Qumran. 198 Durch diese Schriftrollen weiß man, dass die Essener oder Essäer (Heiligen) eine religiöse Gruppierung innerhalb des Judentums in der Antike waren. Auch der jüdische Historiker Flavius Josephus (37-100 n.Chr.) und der jüdische Philosoph Philo(n) von Alexandria (20 v.Chr. - 40 n.Chr.) erwähnen die Essener in ihren Schriften. Die Essener bildeten neben den Pharisäern9, Sadduzäern und Zeloten eine vierte bedeutende jüdische Gruppierung. Sie entstanden um 150 v. Chr. und traten besonders gegen den König der Seleukiden, Antiochus IV. Epiphanes, auf, der Jerusalem besiegte und versuchte, Israel zwangsweise zu hellenisieren, indem er den jüdischen Jahwekult verbieten ließ. Als sich der König von Judäa, Johannes Hyrkanus (135-104 v. Chr.), die Hohepriesterwürde anmaßte, zogen einige Essener ans Tote Meer und gründeten eine neue Siedlung. Diese Siedlung wurde über Resten einer Siedlung des 9.-6. Jahrhunderts vor Christus gegründet. Sie wurde 31 vor Christus durch ein Erdbeben zerstört, wieder aufgebaut und 68 nach Christus. von römischen Truppen während des Jüdischen Krieges endgültig zerstört, nachdem die Bewohner Bibliothek, Archive und andere Schätze in den benachbarten Höhlen verborgen hatten, wo sie die Zeiten überdauerten. 9Auch die Pharisäer lebten nach Aussagen des jüdischen Historikers Flavius Josephus (37-100) enthaltsam. In seinem Buch „Jüdische Altertümer“, schreibt er im 18. Buch in Kapitel 1: „Die Pharisäer leben enthaltsam und kennen keine Annehmlichkeiten... Sie glauben auch, dass die Seelen unsterblich sind und dass dieselben, je nachdem der Mensch tugendhaft oder lasterhaft gewesen, unter der Erde Lohn oder Strafe erhalten. so daß die Lasterhaften in ewiger Kerkerhaft schmachten müssen, während die Tugendhaften die Macht 199 erhalten, ins Leben zurückzukehren. Infolge dieser Lehren besitzen sie beim Volke einen solchen Einfluß, dass sämtliche gottesdienstliche Verrichtungen, Gebete wie Opfer, nur nach ihrer Anleitung dargebracht werden.“ Der Protest der Essener richtete sich gegen die Personalunion von Königstum und Hohepriesteramt und gegen erstarrte, veräußerlichte Tempelriten. Die etwa 4.000 Mitglieder der Essener lebten verstreut in Israel und hatten ihren Mittelpunkt in Qumran. Der Gründer der Essener Bewegung war vermutlich ein Mann der in den Schriften von Qumran als „Lehrer der Gerechtigkeit“ bezeichnet wird. Bestimmende Elemente der Theologie von Qumran waren die MessiasErwartung und die Lehre vom endzeitlichen Kampf der „Söhne des Lichtes“ mit den „Söhnen der Finsternis“, wobei die Söhne des Lichtes, als die sich die Essener selbst verstanden, beim kommenden Weltuntergang zu den Auserwählten zählten. Es wird von einigen Wissenschaftlern angenommen, dass Johannes der Täufer wenigstens zeitweise der Essenergemeinde angehörte. Die Essener können als Vorläufer späterer Mönchsorden angesehen werden. Nach den antiken Quellen lebten sie getrennt vom offiziellen Tempeljudentum in klösterlicher Einsamkeit. Sie bildeten eine asketische Ordensgemeinschaft mit Gütergemeinschaft, ähnlich den ägyptischen Therapeuten bei Alexandria, von denen anschließend noch berichtet werden soll, bei denen es auch weibliche Mitglieder gab. Die Essener lebten in dem Bewusstsein, die letzten wahren Gläubigen ihrer Zeit und somit auch die letzten Gläubigen am Ende der Zeit zu sein. Charakteristisch für ihr streng geregeltes Leben waren die täglichen Waschungen, die auf der jüdischen Mikwe basieren, 200 das tägliche Kultmahl und die genau festgelegte Rangordnung. Die Mikwe ist ein jüdisches Tauchbad, reinsten, lebendigen Wassers, welches der rituellen Reinigung dient. Die Essener waren in vier Klassen aufgeteilt, je nach der Dauer ihrer frommen Kasteiung. Wer sich ihnen anschloß, stand hinter den älteren Zugehörigen so sehr zurück, daß sich diese nach einer Berührung durch die Jüngeren abwuschen, als hätten sie es mit Jemand Fremdem zu tun gehabt. Die Mitglieder der Gemeinschaft brachten ihr persönliches Eigentum in den Besitz der Gemeinde ein, in der alle Güter geteilt wurden. Über deren Verwendung wurde von einem gewählten Verwalter der Gemeinschaft bestimmt. Die Essener versuchten durch eine räumliche Trennung von der übrigen Bevölkerung den verderblichen Einfluss des Hellenismus von sich fernzuhalten. Sie waren als Orden organisiert und lebten im Zölibat. In den gut 200 Jahren ihres Bestehens praktizierten sie ein streng geregeltes Gemeinschaftsleben. Wer nach mehrjährigem Noviziat mit dem Taufbad aufgenommen wurde, brachte sein Vermögen ein. Nach einer rituellen Reinigung in einem Reinigungsbecken versammelten die Mitglieder sich zu den Mahlzeiten, bei denen feierlich das Brot gebrochen und der Wein dargeboten wurde. Man widmete sich Bibelstudien und lobte Gott mit Dankeshymnen. Tagsüber gingen sie einer Handarbeit nach oder arbeiteten in der Landwirtschaft. Sie strebten Bedürfnislosigkeit, Frömmigkeit und vor allem Reinheit an. Dazu trugen sie weiße Kleider und fasteten regelmäßig. Leiter des Klosters war der „Lehrer der Gerechtigkeit“. Einstmals war die Klosteranlage von einer hohen Mauer umgeben. Da man bei Ausgrabungen innerhalb des Klosters keine Wohn- und Schlafräume fand, geht man davon aus, dass die Essener vermutlich in den Höhlen der Umgebung oder in Zelten 201 wohnten und schliefen. Sehenswert ist das rituelle Reinigungsbecken mit zwei getrennten Treppen, in das man „unrein rein“ und „rein raus“ ging. Bei einem Erdbeben wurde dieses Becken allerdings beschädigt. Der jüdische Historiker Flavius Josephus (37-100) schreibt in seinem Buch „Der jüdische Krieg“ II. Buch, Kapitel 8, über die Essener [32]: „Bei den Juden gibt es drei Philosophenschulen: die Pharisäer, die Sadduzäer und schließlich die Essener, von denen allgemein behauptet wird, daß sie sich tatsächlich um eine besondere Selbstheiligung bemühen. Es sind der Abstammung nach Juden, die sich jedoch in besonderem Grade einander verbunden fühlen. Sie lehnen jede sinnliche Lust ab und sehen darin eine Sünde, während sie die Enthaltsamkeit und den Widerstand gegen die Begierden als Tugend erachten. Über die Ehe urteilen sie abträglich, doch nehmen sie die Kinder anderer auf, solange sie noch in einem bildungsfähigen Alter stehen, und sehen in ihnen Zugehörige und formen sie nach ihren Idealen. Damit lehnen sie die Ehe und die daraus entstehende Nachkommenschaft wohl nicht gemeinhin ab, doch sie verschanzen sich gegen die Lüsternheit der Frauen, von denen sie überzeugt sind, daß sie in keinem Fall einem einzigen Mann die Gattentreue bewahren. Den Reichtum verachten sie, und ihr Gefühl für die Gemeinschaft ist bewundernswert. Man findet bei ihnen auch niemand, der mehr besitzt als die anderen, denn nach ihrem Gesetz müssen jene, die sich ihrer Sekte anschließen wollen, ihr Hab und Gut an die Gemeinschaft übertragen! Auf diese Weise trifft man bei ihnen weder auf erniedrigende Armut noch auf Reichtum, der überheblich macht, vielmehr wird der gesamte Einzelbesitz zu einem einzigen brüderlichen Gemeingut. Das Öl gilt ihnen als unrein, und kommt jemand gegen seinen Willen mit Öl in Berührung, so reinigt er seinen 202 Körper. Eine ausgetrocknete Haut gilt ihnen nämlich als etwas Schönes und ebenso der ständige Gebrauch weißer Kleidung. Die Verwalter des Gemeinguts werden durch Handaufheben gewählt, während einer wie der andere zum Dienst an der ganzen Gemeinschaft bereit sein muß. Sie konzentrieren sich auch nicht auf eine einzelne Stadt, sondern sie sind in großer Anzahl auf alle Städte verteilt. Essener, die anderswoher kommen, können über den ganzen Besitz der betreffenden örtlichen Gemeinschaft verfügen wie über ihren eigenen Besitz, und bei Leuten, die ihnen früher völlig unbekannt waren, gehen sie aus und ein wie bei alten Bekannten. Deshalb reisen sie auch ohne jedes Gepäck und nur mit Waffen, um sich gegen Räuber wehren zu können. Allerorten wird für die Gäste ein besonderer Betreuer aufgestellt, der für Kleidung und sonstige Bedürfnisse zu sorgen hat. Sie kleiden sich übrigens wie Knaben, und auch ihre Körperhaltung ist so, als hätten sie Angst vor einem Erzieher. Schuhe und Kleidung wechseln sie nicht, bevor sie völlig zerfetzt und abgetragen sind. Untereinander kaufen sie und verkaufen sie nichts; wer etwas braucht, dem gibt ein jeder von dem Seinen und bekommt auch wiederum das von jenem, was er benötigt; und sogar ohne Gegenleistung kann man von jedem Beliebigen sich das Nötige aneignen. <>Mit allem Nachdruck sind die Essener davon überzeugt, daß der Körper wohl vergehe und daß das Stoffliche nicht von Dauer sei, daß jedoch die Seelen unsterblich seien für immer und ewig. Von den Seelen glauben sie, daß sie, aus dem feinsten Äther hervorgegangen, sich zusammenfügten und durch irgendeinen natürlichen Vorgang der Anlockung herabgeholt worden seien. Und wenn sie dann von den Fesseln des Fleisches (dem Tod) befreit würden, dann fühlten sie sich wie aus langer Haft entlassen und erhöben sich in seliger 203 Freude wieder nach oben. Mit den Söhnen Griechenlands stimmen sie in der Lehre überein, daß auf die guten Seelen jenseits des Ozeans ein Leben warte und ein Ort ohne die Unannehmlichkeit von Schnee, Regen und Hitze, wo vielmehr vom Ozean her unablässig ein sanfter Zephyr (Westwind) weht, um seine kühlende Wirkung zu tun. Auf die Schlechten harrt nach ihrer Meinung eine finstere, eiskalte Höhle, der Ort ewiger Strafe. Die gleiche Annahme findet sich übrigens auch bei den Griechen, die für ihre Helden, sie heißen bei ihnen Heroen oder Halbgötter, die Inseln der Seligen bereit haben. Für die Seelen der Sünder aber steht der Hades (die Unterwelt), der Ort der Frevler bereit, wo der Sage nach Übeltäter wie Sisyphus und Tantalus, Ixion und Tityos ihre Strafen verbüßen. Damit betonen die Essener in erster Linie die Unsterblichkeit der Seelen, womit man die Menschen zur Pflege der Tugend und zum Kampf gegen das Schlechte anspornen möchte. Sie sind nämlich des Glaubens, die Guten würden während ihres irdischen Daseins durch die Hoffnung auf Ruhm nach ihrem Tode noch besser und der Anreiz für die Bösen lasse sich durch Furcht beseitigen, da sie damit rechnen müßten, ewiger Strafe anheimzufallen, auch wenn sie in diesem Leben unbehelligt blieben. Das also ist die essenische Theologie der Seele, und wer einmal von ihrer Weisheit kostet, in dem haftet diese wie ein Köder, von dem er sich nicht mehr befreien kann. Es gibt auch noch eine andere Gruppe von Essenern, die in Lebensart, Sitte und Gesetzgebung mit den ersteren übereinstimmen und sich lediglich in der Anschauung von der Ehe von ihnen unterscheiden; denn sie glauben, wer auf die Ehe verzichte, vernachlässige einen wesentlichen Lebenszweck, nämlich die Zeugung der Nachkommen, d. h. sie meinen, wenn alle so dächten, dann sei es mit dem Menschengeschlecht bald zu Ende. Aber sie prüfen ihre 204 künftigen Ehefrauen drei Jahre lang, und wenn diese nach einem dreimaligen Reinigungsvorgang ihre Gebärfähigkeit erwiesen haben, dann wird die Ehe geschlossen. Während der Schwangerschaft pflegen sie keinen Beischlaf, woraus hervorgeht, daß sie nicht aus Gründen der Wollust, sondern des Kindersegens wegen heiraten. Wenn die Frauen ihre Reinigungsbäder nehmen, dann hüllen sie sich in eine Gewandung, so wie die Männer eine Schürze benützen. Solches also ist der Brauch in diesem Orden.“ Die Essener lehnten im Gegensatz zum Tempeljudentum rituelle Tieropfer generell ab. Damit schlossen sie sich vom Tempelkult aus, hielten aber die Beziehung zum Tempel durch Geschenksendungen aufrecht. Der jüdische Historiker Flavius Josephus schrieb in seinem Buch „Jüdische Altertümer“ über die Essener: „Wenn sie Weihgeschenke in den Tempel schicken, bringen sie kein (Tier-)Opfer dar, weil sie heiligere Reinigungsmittel (wie z.B. das rituelle Tauchbad) zu besitzen vorgeben. Aus diesem Grunde ist ihnen der Zutritt zum gemeinsamen Heiligtum nicht gestattet, und sie verrichten demgemäß ihren Gottesdienst besonders (allein).“ Jesus von Nazareth hatte wahrscheinlich Berührung mit einigen Essenern. Er übernahm vermutlich einige Ideen und Lehren der Essener, verwarf andere jedoch sehr entschieden. Er könnte nach der Bar Mitzwa, der religiösen Mündigkeit im Alter von 13 Jahren für Jungen, und vor seinem 30. Lebensjahr in Qumran gewesen sein, wofür inhaltliche Parallelen sprechen. Es ist interessant sich einmal anzusehen, in welchen Punkten sich Jesus von den Essenern unterschied. Der gravierenste Unterschied zwischen Jesus und den Essenern bestand vielleicht beim Thema „Gewalt und Feindesliebe“. Jesus lehrte und lebte die Feindesliebe (Mt 5,44: „Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch 205 hassen, bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen.“) und war, anders als es manche Texte der Essener bezeugten, gegen den Gebrauch von Waffen (Mt. 5,39: „Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“). Die Essener dagegen tolerierten Waffengewalt. Sie grenzten sich von den einflussreichen Sadduzäern und Pharisäern sowie von der Volksfrömmigkeit ab. Dies führte zu heftigen Konflikten mit dem jüdischen Amtspriestertum, die den Tempel und den Tempelkult (Opferkult) beherrschten und dem sich die Essener nicht unterordnen wollten. Einige Essener sollen sogar als Märtyrer gestorben sein. Aus dieser Bedrohung heraus flohen die Essener nach Qumran im Westjordanland ans Tote Meer. Innerhalb der Essener konnte sich wahrscheinlich der Gedanke nicht durchsetzen, dass man das „Friedensreich“ gewaltlos gegen die römische Besatzungsmacht auf Erden erschaffen könne. Nach Jesus Auffassung in der Bergpredigt sollte dies allerdings gewaltlos geschehen. Andere Wissenschaftler, wie Dr. Edmond Bordeaux Székely, der eng mit dem Schriftsteller und Philosophen Aldous Huxley zusammenarbeitete, stufen ebenso wie die die antiken Schriftsteller Josephus, Philo und Plinius die Essener als pazifistisch ein und rücken sie sehr nahe an Jesus heran. [29] Ein wichtiger Unterschied zwischen Jesus und den Essenern war auch, dass die Essener eine strikte Hierarchie hatten. Der jüdische Historiker Flavius Josephus nennt vier Stände, die in den Qumranschriften als Priester, Leviten, Laienvolk und Novizen näher bestimmt werden. Jesus dagegen lehnte jede Hierarchie ab. Er war gegen jede geistliche und priesterliche Obrigkeit und hielt nicht viel davon, prachtvolle Kirchen aus Stein und Edelholz zu bauen. Jesus sprach: „Das Reich Gottes 206 ist in euch.“ Er sprach vom „stillen Kämmerlein“ in das man sich zurückziehen soll. „Wenn du beten willst, gehe in dein Zimmer, schließe die Tür hinter dir zu, und bete zu deinem Vater.“ (Mt 6,6) Die Essener waren wie die Pharisäer auch sehr auf Äußerlichkeiten fixiert. So heiligten sie den Sabbat. Am Sabbat unterdrückten sie sogar die Notdurft. Schon die Betätigung des Schließmuskels galt ihnen als Entweihung. Jesus dagegen hatte mit kultischen Ritualen und äußerlichen Frömmigkeitsübungen nichts im Sinn. Tabelle 6: Unterschied zwischen Essenern und Christen Essener Christen Nur körperlich Unversehrte Jeder darf Christ werden Nur für Mönche (Männer) Jeder darf Christ werden Hierarchie und Kulte Weder Hierarchie noch Kulte Leiter: Lehrer für Gerechtigk. Leiter: Jesus Feindeshass, Waffen Liebet eure Feinde (Mt 5,44) Verzicht auf pers. Eigentum Armut keine Forderung Rückzug von der bösen Welt Jesus wendet sich Mensch. zu Gütergemeinschaft keine Gütergemeinschaft Nur Auserwählte erlang. Heil Jesus bringt allen das Heil Trotz all der Unterschiede sollte man bedenken, dass Jesus eigentlich keine neue Religion gründete. Er wollte genau so wie die Essener das Reich Gottes auf Erden verwirklichen. Man sollte also bedenken, dass vieles von dem, was später als originär christlich bezeichnet wurde, zur Zeit Jesu bereits im Judentum verbreitet war. Jesus brachte also eigentlich nichts 207 Neues. Er brachte lediglich die fortschrittlichen Ansätze auf den Punkt. Außerdem ging er davon aus, dass bereits Moses die Gesetze für ein geistiges Leben im Geiste Gottes verkündet hatte, dass diese Gesetze aber im Laufe der Jahrhunderte durch die Priester verfälscht wurden. Deshalb sahen sich die Priester und religiösen Obrigkeiten zur Zeit Jesus von ihm entlarvt und stellten sich gegen ihn. Aber auch nach Jesus Tod wurde die Bibel fleissig gefälscht. So soll Paulus u.a. die Tatsache verfälscht haben, dass die Urchristen Vegetarier waren und kein Fleisch aßen. Auch soll er die Frauen abgewertet haben, obwohl Jesus sie als gleichwertig betrachtete. Paulus dagegen ordnete sie dem Manne unter. [30] Aber nicht nur Paulus, sondern auch andere fälschten offensichtlich die Bibel. Ähnliches geschieht heute noch mit dem Begriff Keuschheit in der Bibel. So ist bei castitas.de zu lesen: „Dem lateinischen Vulgata-Text (BibelText) folgt hier die erste und letzte Martinische und schließlich eine moderne Elberfelder Verdeutschung der Schriftstellen. Nun hat es der Teufel doch tatsächlich geschafft, das Wort „Keuschheit“ aus allen heute offiziellen Bibel-Übersetzungen zu vertilgen. Meine Bewunderung! Um so mehr, als man ausschließlich Mitarbeiter theologischer Fakultäten das Evangelium „redigieren“ ließ! Wort-Varianten wie „Reinheit, Lauterkeit, Enthaltsamkeit“ sind ganz allgemein und richten sich nicht mehr, wie Keuschheit, gegen sexuelle Gewohnheiten.“ [31] Was ist aus Qumran geworden? Die Essener haben sich offenbar am Aufstand gegen die Römer (66-70) beteiligt, was als eine Konsequenz ihrer Überzeugungen zum Thema „Gewalt“ auch einleuchtend ist. Über Qumran ist bekannt, dass 208 der jüdische Aufstand von der 10. römischen Legion unter Kaiser Vespasian im Jahre 68 n.Chr. niedergeschlagen wurde. Die Qumraner wurden vermutlich getötet oder in die Sklaverei verkauft. Qumran ist von nun an ein römischer Militärposten. 15.4 Die Therapeuten Top Die Therapeuten (griechisch: therapeutes = Diener, nämlich Gottes Diener) waren eine jüdische Gruppe von Einsiedlern, die sich im 1. Jahrhundert vor Christus in Ägypten gründete und bis zum 1. Jahrhundert nach Christus bestand. Dies geht aus einer Schrift des jüdisch-hellenischen Philosophen und Theologen Philo(n) von Alexandrien (20 v.Chr. - 40 n.Chr.) hervor, die er im 1. Jahrhundert nach Christus verfasste. Die Therapeuten verschenkten all ihr Habe und zogen sich aus der Familie in die Gärten außerhalb Alexandrias zurück. Ihre Siedlungen waren oberhalb des Mareotis-Sees (heute: MariutSee) bei Alexandria. Sie lebten asketisch und ehelos einzeln in Hütten, nur mit dem Nötigsten an Essen und Kleidern versorgt. In ihrer Gemeinschaft waren Männer wie Frauen gleichberechtigt. Die weiblichen Mitglieder nannten sich Therapeutriden. Die Therapeuten gelten mit den Essenern als Vorläufer des christlichen Mönchstums. Sie lebten vegetarisch und versuchten sich mit Wein- und Fleischverzicht zu läutern und dadurch Gott näher zu kommen. Das, was wir über die Therapeuten wissen, stammt vom ägyptischen Philosophen Philo(n) von Alexandria, der selbst die Auslöschung von Begierde und Leidenschaft als das höchste Ziel des Menschen betrachtete, um Gottesschau zu erlangen. Er beschreibt die Therapeuten um etwa 10 n.Chr. in seiner Schrift „de Vita contemplativa“ (Das kontemplative Leben.). 209 Philo berichtet, daß man jene Männer Therapeuten und die gemeinsam mit ihnen lebenden Frauen Therapeutriden nenne. Diese Bezeichnung begründet er damit, daß diese Leute gleich Ärzten die Seelen derer, die zu ihnen kommen, von der Sünde der Leidenschaften befreien, um sie zu heilen und gesunden zu lassen, so daß sie Gott in reinem, lauterem Dienste verehren. Er erzählt, daß sie, sobald sie anfingen, sich ihrer Philosophie zu widmen, ihr Vermögen an ihre Verwandten abtraten. Nachdem sie alle Sorgen um das Leben abgeworfen hatten, verließen sie die Mauern ihrer Städte und nahmen ihre Wohnungen an einsamen Orten und in Gärten, da sie wohl wußten, daß der Verkehr mit Andersgesinnten unnütz und schädlich ist. Im mutigen, glühenden Glauben lebten sie das Prophetenleben derer nach, welche wohl schon dereinst in gleicher Weise als Asketen gelebt hatten. Die Therapeuten findet man an vielen Orten. Sowohl in griechischen als auch in „barbarischen“ Ländern. Stark vertreten sind sie in Ägypten, und zwar in jedem der sogenannten. Distrikte, vor allem in der Umgebung von Alexandrien. Von allen Seiten her ziehen die edelsten Menschen in die Heimat der Therapeuten, um sich anzusiedeln. Sie begeben sich an einen sehr günstigen Ort, der jenseits des Mareiasees auf einer etwas sanften Anhöhe infolge seiner Sicherheit und der Reinheit der Luft sehr glücklich gelegen ist. Nachdem Philo sodann die Beschaffenheit ihrer Wohnungen beschrieben hat, sagt er von den überall im Lande zerstreuten Versammlungsräumen: „In jedem Hause ist ein heiliges Gemach, welches Heiligtum und Einsamkeit genannt wird. Hier vollbringen sie in Abgeschlossenheit die Geheimnisse ihres würdigen Lebens. Nichts, weder Speise noch Trank, noch sonst etwas, was für den Unterhalt des Leibes notwendig ist, 210 nehmen sie mit sich hinein, sondern Gesetze, von Gott eingegebene Worte der Propheten, Gesänge und anderes, wodurch Weisheit und Frömmigkeit gefördert und vervollkommnet werden.“ Später fährt er fort: „Ihre ganze Zeit zwischen Morgen und Abend gehört der Askese. Sie treiben Philosophie nach Art ihrer Väter, indem sie die heiligen Schriften lesen und allegorisch erklären (Das Wort Allegorie kommt aus dem Griechischen und bedeutet, „etwas anders ausdrücken“. In diesem Fall geht es darum, den Inhalt der Heiligen Schriften, der nicht immer sofort ersichtlich ist, so zu interpretieren, dass er allgemeinverständlich wird.). Sie halten nämlich die Worte für Sinnbilder einer verborgenen Wahrheit, die sich in Allegorien offenbare. Sie besitzen auch Schriften alter Männer, welche Urheber ihrer Richtung waren und zahlreiche Denkmäler ihrer in Allegorien verborgenen Lehre hinterlassen haben. Sie benützen diese als Muster, um ihre geistige Art nachzuahmen.“ Die bei ihnen gebräuchlichen Schriften der Alten, von denen Philo spricht, dürften wohl die Evangelien, die Schriften der Apostel und wahrscheinlich Erklärungen der alten Propheten sein, wie der Brief Paulus an die Hebräer und noch andere Briefe des Paulus. Philo schreibt: „Zunächst pflanzen sie in ihre Seele die Enthaltsamkeit gewissermaßen als Grundlage, um dann die übrigen Tugenden darauf zu bauen. Vor Sonnenuntergang dürfte wohl keiner von ihnen Speise oder Trank zu sich nehmen. Denn zu Philosophieren betrachten sie als des Lichtes würdig. Der Finsternis dagegen würdig erklären sie die Befriedigung des Körpers. Jenem (der Philosophie) widmeten sie daher den ganzen Tag, dieser (dem Körper) dagegen nur 211 einen kurzen Teil der Nacht. Einige, in denen ein besonderes Verlangen nach Weisheit wohnt, denken erst nach drei Tagen an Nahrung. Wieder andere sind durch die Weisheit, welche reichlich und neidlos ihnen ihre Lehre spendet, so sehr mit Freude und Wonne gesättigt, daß sie noch einmal so lange fasten und kaum alle sechs Tage die notwendige Nahrung zu sich nehmen.“ Wie Philo weiter erzählt, befinden sich in den erwähnten Kreisen auch weibliche Personen. Die meisten von ihnen waren bejahrte Jungfrauen, welche aber nicht wie manche heidnische Priesterinnen (die vestalischen Jungfrauen aus Rom) aus Zwang die Jungfräulichkeit bewahrten, sondern vielmehr in freiwilligem Entschluß aus eifrigem Verlangen nach Weisheit. Da sie mit der Weisheit zusammenzuleben strebten, verachteten sie die fleischlichen Freuden und verlangten nicht nach sterblichen, sondern nach unsterblichen Nachkommen, welche nur eine gottliebende Seele aus sich zu gebären vermag. Unter den Therapeuten gab es gemeinschaftliche Zusammenkünfte, etwa religiöse Übungen am Tag der Kreuzigung Jesu, bei denen man fastete, nächtliche Wachen abhielt und Hymnen sang. Diese Versammlungen wurden von Männern und Frauen getrennt durchgeführt. Die Versammlungen unterscheiden sich im Prinzip nicht von den Versammlungen, wie sie im frühen Christentum durchgeführt werden. Philo erwähnt die Nachtwachen mit den frommen Übungen und von den Hymnen berichtet er, daß ein einziger nach dem Takte würdevoll vorsingt, die übrigen still zuhören und nur am Schluss der Gesänge miteinstimmen. An den genannten Tagen liegen sie auf Stroh am Boden und enthalten 212 sich vollständig des Weines, aber auch jeglicher Fleischspeise und genießen nur Wasser und Brot mit Salz und Ysop (eine Heil- und Gewürzpflanze). Ferner beschreibt er die Art und Weise, in welcher diejenigen, welche zu genossenschaftlichen Verrichtungen und Diensten und zu der allerhöchsten Würde der Oberaufsicht erwählt worden sind, ihres Amtes walten. [33] Professor Pieter W. van der Horst, schreibt in dem Buch „Frühjudentum und Neues Testament im Horizont biblischer Theologie“ über Philo und die Therapeuten: „Philo ist ein gutes Beispiel dieser asketischen Spannung im Judentum. In seiner platonisch-dualistischen Gedankenwelt kann der wahre Gläubige nur einer Sache nachstreben, nämlich, dass die Seele sich von der materiellen Welt des Körpers befreie und versuche, einen Zustand immaterieller Unsterblichkeit zu erreichen. Das größte Hindernis in diesem Prozess ist der Leib mit seinen Begierden. Das Leben ist ein unablässiger Streit mit diesen Begierden, ein Streit, in dem Gottes Hilfe unentbehrlich ist. Philo schildert seinen beispielhaften Helden Mose als einen zölibatären Menschen, aber sein Ideal kommt noch viel deutlicher in seiner Beschreibung der Gruppe der Therapeuten zum Ausdruck, das den aufschlussreichen Titel „Da vita contemplativa“ (das kontemplative Leben) hat. Dort schildert er eine Gemeinschaft jüdischer Männer und Frauen, die ein striktes zölibatäres Leben in einem Kloster beim Mareotis-See, außerhalb Alexandriens führen. Die Therapeuten widmen sich dort völlig dem Studium der Heiligen Schrift, dem Gebet, dem Lobgesang und der Kontemplation. Während der Woche ist jede(r) für sich, in der Abgeschiedenheit seiner Zelle. Am Sabbat sitzt man bei einer gemeinschaftlichen Feier zusammen (wobei der Älteste eine Ansprache hält). Dabei bleiben die Männer und Frauen durch eine Mauer getrennt, die hoch genug 213 war, damit sie sich nicht sehen können. Sie führen ein außerordentliches einfaches und bescheidenes Leben. Das Fasten ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens.“ 15.5 Das Buch Jesus Sirach Top Das Buch Jesus Sirach ist ein Buch der jüdischen Weisheitsliteratur, das ungefähr 180 v. Chr. von dem in Jerusalem lebenden Juden „Jesus ben Eleazar ben Sira“ auf Hebräisch verfasst und später von seinem Enkel ins Griechische übersetzt wurde. Die Septuaginta, die altgriechische Übersetzung der hebräischen heiligen Schriften, der Hebräischen Bibel (der Tora, den 5 Bücher Moses), und die älteste durchgehende Bibelübersetzung überhaupt, hat das Buch „Jesus Sirach“, neben „Kohelet“, dem „Buch der Sprichwörter“ (Die Sprüche Salomos) und das „Hohelied Salomos“, in die Reihe der Weisheitsbücher gestellt. Wegen seiner Bedeutung als Sittenlehre wurde es im Lateinischen „Liber Ecclesiasticus“ = „Buch der Kirche“ genannt. Im 9. Kapitel des Ecclesiasticus werden Ratschläge gegeben, die sich auf die Keuschheit beziehen: Meide den Umgang mit Dirnen, wende dein Augenmerk nicht auf Jungfrauen, schau nicht neugierig umher, verhülle vor einer hübschen Frau das Auge und betrachte nicht die Schönheit der Frau eines andern, laß dich nicht mit verheirateten Frauen ein, denn „wegen der Schönheit einer Frau sind schon viele ins Verderben gestürzt“ (Sir 9, 3-9). Im Kapitel 23 ist über Unzuchtsünden zu lesen: „Zwei Sorten von Menschen häufen Sünde auf Sünde, und auch die dritte fordert Gottes Zorn heraus; denn ihre Leidenschaft brennt wie 214 ein Feuer und hört erst auf, wenn sie ausgebrannt ist. 1. Der Mann, der nur seinem Geschlechtstrieb folgt und nicht zur Ruhe kommt, bevor das Feuer erloschen ist. 2. Der Mann, den jede Frau reizt und der nicht genug bekommt, bis er tot ist. 3. Der Mann, der seiner eigenen Frau untreu wird. Ein solcher Mann denkt: Kann mich einer sehen? Es ist dunkel hier, die Wände verbergen mich. Nein, niemand kann mich sehen. Warum mache ich mir nur Gedanken? Der da oben bemerkt es gar nicht, wenn ich sündige. Dieser Mann hat nur Angst vor den Augen anderer Leute und vergißt, daß die Augen des Herrn zehntausendmal so hell sind wie die Sonne und alles sehen, was die Menschen tun. Sie durchdringen auch die verborgensten Winkel... Jener Sünder wird ertappt, wo er es am wenigsten erwartet und bekommt seine Strafe in aller Öffentlichkeit... Dasselbe gilt für eine Frau, die ihrem Mann untreu wird und ihm einen Erben unterschiebt... Sie hat in ihrer Hurengesinnung Ehebruch begangen und von einem anderen Mann Kinder bekommen.“ (Sir 23, 17 b -19). 15.6 Die Onanie im Buche Mose Top Die Onanie (Masturbation) ist neben dem Geschlechtsverkehr die häufigste Form sexueller Aktivität. Viele Menschen befriedigen sich in unregelmäßigen Abständen selbst. Statistisch betrachtet masturbieren mehr Männer (ca. 94 %) als Frauen (ca. 60 bis 80 %), und sie tun dies laut Umfragen auch häufiger. Viele davon entdecken die Masturbation und ihren eigenen Körper bereits in der frühen Pubertät, einige erst später und manche schon als Kleinkind. Männer masturbieren mit etwa 12 Jahren zum ersten Mal, Frauen erst wenn sie auf die 20 zugehen. Der Philosoph Immanuel Kant sah Selbstbefriedigung als eine sittliche Verfehlung. Für ihn ist der natürliche Zweck 215 des Sexualtriebes, dem nicht zuwider gehandelt werden dürfe, die Fortpflanzung. Schaut man ins 1. Buch Mose (Genesis), Kapitel 38, dann wird Onanie sogar mit dem Tod bestraft. Noch bevor sich Jakob, einer der Erzväter der Juden, mit seinen 12 Söhnen, um 1.800 v.Chr. in Ägypten niederlässt, kommt es zu einer Episode, die ein neues Licht auf die Keuschheit wirft. Er (Name), ein Sohn des Judas, hatte eine Frau namens Tamar geheiratet. Doch er starb, ohne Nachkommenschaft hinterlassen zu haben. In Erfüllung der Leviratspflicht nahm nun Onan, der Bruder des Er, dessen Witwe Tamar zur Frau. Die Leviratspflicht war im Frühjudentum ein üblicher Brauch. Wenn Brüder beieinander wohnen und einer stirbt ohne Söhne, so soll seine Witwe nicht die Frau eines Mannes aus einer andern Sippe werden, sondern ihr Schwager soll zu ihr gehen und sie zur Frau nehmen und mit ihr die Schwagerehe schließen. Der erste Sohn, den sie gebiert, soll als der Sohn seines verstorbenen Bruders gelten, damit dessen Name nicht ausgetilgt werde aus Israel. (Deuteronomium 25,5 ff) In der Genesis wird die Situation wie folgt beschrieben: Da sprach Juda (der Vater von Er und Onan) zu Onan: Gehe zu deines Bruders Weib (Tamar) und nimm sie zur Ehe, daß du deinem Bruder Samen erweckest. Aber da Onan wußte, daß der Same nicht sein eigen sein sollte, wenn er einging zu seines Bruders Weib, ließ er's auf die Erde fallen und verderbte es, auf daß er seinem Bruder nicht Samen gäbe. Da gefiel dem Herrn übel, was er tat, und er tötete ihn auch. (1 Mose 38, 8-10) 216 Onan nahm zwar Tamar zur Frau, wollte aber auf keinen Fall, daß ein Sohn mit Tamar als Sohn seines verstorbenen Bruders Er gelten sollte. Darum ließ er den Samen auf die Erde fallen, er masturbierte also lieber, als mit Tamar ein Kind zu zeugen. Da dieses dem Herrn nicht gefiel, tötete er Onan. Es stellt sich die Frage, wie man diesen Bibeltext interpretieren sollte. Tötete Gott Onan, weil er sich den jüdischen Gesetzen verweigerte oder weil er der Wollust den Vorrang vor der Fortpflanzung gab? Meiner Meinung nach soll der Text uns sagen, dass die Sexualität dafür da ist, Nachkommen zu zeugen und nicht dazu, seiner Wollust zu frönen. Geht man jedoch der Wollust nach, so erstirbt etwas in uns, nämlich die Lebensfreude, die innere Ruhe und Zufriedenheit. Und aus diesem Grunde sollte man seinen Samen nicht auf die Erde fallen lassen, sollte man nicht onanieren. 16. Die Keuschheit im Christentum Top Das Neue Testament beginnt mit dem Leben Jesu. Möchte man also etwas über die Keuschheit im Christentum erfahren, so ist es ratsam, ins Neue Testament zu schauen. Wie wir vom Alten Testament wissen, war die Keuschheit im Judentum keineswegs unbekannt, aber sie spielte eine eher untergeordnete Rolle. Im Judentum dominierte das Gebot von „peru u-revu“ (Seid fruchtbar und vermehret euch.), das selbst von den meisten Rabbis (jüdischen Schriftgelehrten) beachtet wurde. Die Einstellung zur Keuschheit wandelte sich allerdings durch die Bewegung der jüdischen Essener und Therapeuten und sie erblühte vollständig mit dem Erscheinen Jesus. Unter Jesus erhielt die Keuschheit eine zentrale Bedeutung. Dies spiegelt sich in vielen Stellen des Neuen Testaments wieder. Besonders der Apostel Paulus von Tarsus räumte der Keuschheit eine zentrale Bedeutung ein. Er thematisierte sie in seinen Briefen an die christlichen Gemeinden der Galater, 217 Epheser, Philipper, Korinther, Kolosser und Thessalonicher, die er auf seinen Missionsreisen im griechischen Raum gegründet hatte. Auch in seinen Briefen an die Römer und an Timotheus, Titus, Philemon und an die Hebräer, hob er die Bedeutung des Keuschheit hervor. Aber auch in den Evangelien von Matthäus, Lukas und Johannes, im Petrusbrief und im Jakobusbrief10 findet die Keuschheit lobende Erwähnung. Dies führte dazu, dass die Keuschheit zum Allgemeingut des Urchristentums wurde, welches in allen christlichen Gemeinden praktiziert wurde. Besondere Bedeutung fand es in den ersten Jahrhunderten bei den Wüstenvätern, die vor der Christenverfolgung des römischen Reiches in die ägyptische, palästinensische oder syrische Wüste flohen, um dort ein asketisches Leben als Eremit und Mönch zu führen. Nun aber möchte ich einmal einen Blick ins Neue Testament werfen. 10Jakobus war der Bruder von Jesus. Er war der erste Leiter der christlichen Urgemeinde in Jerusalem. Die Lebensweise der ersten Urchristen in Palästina war für viele Juden der damaligen Zeit ein Stein des Anstoßes. Denn nach wie vor war der Tempel mit seinen täglichen Tieropfern der religiöse und politische Mittelpunkt der Gesellschaft. Und bei jedem der vielen Feste im Jahreslauf waren bestimmte Schlachtungen vorgeschrieben. Das Verzehren bestimmter Fleischstücke bei den Festmählern galt nicht nur als Essgewohnheit, sondern als Gehorsam gegenüber einem Gott, der solches geboten haben soll. Deshalb zählte die tierfreundliche Lebensweise des Jakobus und der christlichen Urgemeinde als Abfall von Gott und seinen Geboten, ein Vorwurf, um dessentwillen Jakobus im Jahr 62 n. Chr. von Anhängern der Jerusalemer Priester durch Steinigung ermordet wurde. 218 Um 50 nach Christus hielt sich der Apostel Paulus in Thessalonoki, der heute zweitgrößten Stadt Griechenlands, auf, wo er eine christliche Gemeinde gründete. In seinem ersten Brief an die Thessalonicher sprach sich Paulus gegen die Unzucht aus und mahnte die Christen zur Heiligung ihres Leibes. Damit die Menschen Gott gefallen und immer vollkommener werden, sollten sie sich der Unreinheit des Leibes enthalten, da der Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, den Gott den Menschen selbst geschenkt hat (1 Korinther 6,19). Wer diesen Leib durch die sinnliche Lust verunreinigt, der verachtet den Willen Gottes. (1 Thessalonicher 4,3-8: „Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, und daß ihr meidet die Hurerei. Und ein jeglicher unter euch wisse sein Gefäß zu behalten in Heiligung und Ehren und nicht in der Brunst der Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen... Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung... Wer dies verachtet, der verachtet Gott, der seinen heiligen Geist in euch gegeben hat.“) Der Apostel Paulus geht in einem Brief an die Römer auf die Gottlosigkeit der Menschen ein und verurteilt die Homosexualität (Römer 1,27: „Männer haben verlassen den natürlichen Brauch des Weibes und sind aneinander erhitzt in ihren Lüsten und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihres Irrtums an sich selbst empfangen.“) Er betrachtet die Homosexualität als schändlich und sagt, dass Menschen, die so etwas tun, Gottes Zorn zu spüren bekommen. Im Brief an die Korinther spricht er sich gegen die Knabenliebe aus, die sich unter dem Einfluss der griechischen Kultur im römischen Reich verbreitet hatte. (1 Korinther.6,9: „Wisset ihr nicht, daß die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Lasset euch nicht verführen! Weder die Hurer, noch die Abgöttischen, noch die Ehebrecher, noch die Weichlinge, 219 noch die Knabenschänder... werden das Reich Gottes ererben.“ Aber nicht nur im Neuen Testament wird die Knabenliebe verurteilt, sondern bereits im Alten Testament. Im 3. Buch Mose wird die Knabenliebe sogar mit dem Tode bestraft. (3 Mose 20,13: „Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, die haben einen Greuel getan und sollen beide des Todes sterben...“). Ich glaube, dass es bei der Bewertung der Homosexualität nicht darum geht, es moralisch zu verurteilen, sondern darum, den Menschen zu sagen, dass sie ihren Samen nicht aus Gründen der Wollust vergeuden sollten. Man sollte niemand wegen seiner Veranlagung verurteilen. Die hat er sich nicht ausgesucht, sondern die ist ihm in die Wiege gelegt worden. Aber jeder, der solch eine Veranlagung hat und sie auslebt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er sich damit den „Weg in's Himmelreich“ verbaut, wie jeder, der seinen Samen achtlos vergeudet. Damit meine ich nicht das Himmelreich im Jenseits, denn niemand weiß, ob ein solches Himmelreich überhaupt existiert, sondern das „Himmelreich“, welches der Mensch bereits zu Lebzeiten in Form von Glück, Lebensfreude, Zufriedenheit und ein erfolgreiches Leben verwirklichen kann. Die Knabenliebe dagegen ist zu recht moralisch zu verurteilen, weil ein Kind nicht die Reife besitzt, die Tragweite eines solchen Handelns zu erfassen. Deswegen stimmt es mich auch ein wenig nachdenklich, wenn das Alte Testament in 3 Mose 20,13 bei der Knabenliebe den Tod beider fordert, denn der Knabe ist wahrscheinlich eher Opfer als Täter. In der griechischen Stadt Korinth, in der Paulus sich um 51 oder 52 n.Chr. etwa 18 Monate aufhielt, war es zur Inzucht gekommen. Ein Sohn hatte mit seiner Mutter geschlafen. In einem Brief an die Korinther verurteilt Paulus dieses Verhalten und spricht davon, dass derjenige der so etwas tut, dem Satan 220 übergeben werden sollte, „damit das Fleisch verdirbt, der Geist aber selig werde am Tag des Herrn“. Jemand der Inzucht treibt, sollte also so lange in der Hölle schmoren, bis seine Sünden gereinigt sind, damit er am jüngsten Tag würdig vor Gott treten kann. Dann rät er den Gemeindemitgliedern, sich von Hurern, Geizigen, Abgöttischen, Lästerern, Trunkenbolden und Räubern fernzuhalten. Auch wenn der Blutschänder in der christlichen Gemeinde ist und sich Bruder nennt, sollte man sich von ihm abwenden und nicht an einem Tisch mit ihm essen. (1 Kor 5, 1-13) Im selben ersten Brief an die Korinther warnt Paulus vor der Unzucht. Er weist darauf hin, den Leib nicht der Hurerei hinzugeben, sondern ihn zum Tempel des Herrn zu machen. Paulus weist darauf hin, dass der Leib Christi Glieder sind und dass man keine Hurenglieder daraus machen sollte. Er stellt die Frage: „Wisset ihr nicht, daß, wer an der Hure hangt, der ist ein Leib mit ihr?“, um anschließend darauf hinzuweisen: „Wer aber dem Herrn anhangt, der ist ein Geist mit ihm.“ Man soll den Leib, die Glieder Christi, nicht zu Gliedern einer Dirne machen, sondern eins mit dem Geist Christi werden. Darum soll man der Hurerei entfliehen. Wer aber hurt, der sündigt am eigenen Leibe. Dieser Leib aber gehört nicht den Menschen, denn er wurde von Gott teuer erkauft: „Oder wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, welchen ihr habt von Gott, und seid nicht euer selbst. Denn ihr seid teuer erkauft. Darum so preist Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes.“ (1 Kor 6, 13-20) Paulus beschränkt sich jedoch nicht darauf, die Unkeuschheit abzulehnen, sondern entwickelt positive Gründe für ein keusches Leben. Seine Lehre beruht darauf, dass der Christ vom Geist Gottes regiert sein sollte und nicht vom Fleisch, denn die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, 221 Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit. Die Frucht des Fleisches aber ist Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen und Fressen. Paulus sagt, dass die Menschen die Freiheit besitzen, zwischen Geist und Fleisch zu wählen und rät den Christen, auf das Fleisch samt den Lüsten und Begierden zu verzichten, da die Wollüstigen nicht das Reich Gottes erben werden. (Gal 5, 13-26) Den Brief des Paulus an die Epheser schrieb er aus römischer Gefangenschaft. Paulus war zuvor drei Jahre in der griechischen Stadt Ephesus (heute: Türkei) gewesen und hatte dort eine christliche Gemeinde gegründet. Im Brief an die Epheser muntert Paulus die Christen auf, als Gottes Nachfolger in Liebe zu wandeln, so wie Christus es ihnen vorgemacht hat. Hurerei, Unreinheit und Geiz allerdings steht einem Heiligen nicht zu. Ganz anders als im heutigen Christentum war das Urchristentum noch bestrebt, dem Wege Christi unmittelbar als Heilige zu folgen, denn kein Hurer und Unreiner hat Erbe am Reich Christi. Darum waren die Urchristen bemüht, im Licht des Herrn zu wandeln, damit sie Christus erleuchte. (Eph 5,1-20) Kolossai ist eine Kleinstadt, die 170 km östlich von Ephesus liegt. Sie wurde zwischen 70-100 n.Chr. von einem Erdbeben zerstört. In seinem Brief an die Kolosser sagt Paulus der Gemeinde: „Seid auferstanden in Christus und trachtet nach dem, was droben ist und nicht nach dem, was auf Erden ist. So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind, Hurerei, Unreinigkeit, schändliche Brunst, böse Lust und den Geiz, welcher ist Abgötterei, um welcher willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens.“ Denen aber, die in 222 Christus wandeln, denen sich Christus offenbart, die werden an seiner Herrlichkeit Anteil haben. (Kolosser 3,1-7) Im 7. Kapitel des ersten Briefes an die Korinther geht Paulus u.a. auf die Ehe und die Unverheirateten ein. Offensichtlich haben einige Gemeindemitglieder an Paulus geschrieben und Paulus gibt ihnen auf die verschiedenen Fragen Antworten. Paulus sagt, dass es gut ist, wenn der Mann kein Weib berühre. Da es den meisten Menschen aber schwer fällt, keusch zu leben, empfiehlt er den Gemeindemitgliedern, dass Mann und Frau einander heiraten sollten, damit sie keine Hurerei begehen. Er sagt auch, dass Mann und Frau sich einander nicht entziehen sollten, da sonst der Satan sie zur Unkeuschheit verführen könnte. Mann und Frau sollten nur keusch leben, wenn es die Zustimmung beider findet. Leider geht er nicht auf die Frage ein, was sie tun sollten, wenn einer von beiden keusch leben möchte. Diese Frage aber stellt sich sicher vielen Ehepaaren. Paulus wäre es zwar lieber, wenn alle Menschen so wie er keusch leben würden, da nur den Keuschen sich Christus in seiner ganzen Herrlichkeit offenbart, da nur der Keusche an dieser Herrlichkeit Christi teilhaben kann. Aber Paulus ist Realist und kennt die menschlichen Schwächen. Darum rät er Ledigen und Witwen, lieber zu heiraten, als Brunst zu leiden. (1 Kor 7, 1-9) Den verheirateten Männern sagt Paulus: „Bist du an ein Weib gebunden, so suche (sie) nicht los zu werden.“ Den Unverheirateten dagegen empfiehlt er: „Bist du los vom Weibe, so suche kein Weib.“ Paulus sagt zwar daß der, der heiratet, nicht sündigt, aber er sagt gleichzeitig, dass der, der heiratet, leibliche Trübsal haben wird. Davor möchte Paulus die Menschen gerne bewahren. Darum rät Paulus den Gemeindemitgliedern sich nicht an weltliche Dinge zu klammern, denn alles Weltliche wird vergeh'n. Stattdessen 223 sollten die Christen sich darum sorgen, was dem Herrn gefalle: „Wer ledig ist, der sorgt, was dem Herrn angehört, wie er dem Herrn gefalle; wer aber freit, der sorgt, was der Welt angehört, wie er dem Weibe gefalle.“ Gleiches rät er den Christinnen: „Die Jungfrau sorge sich um den Herrn, daß sie heilig sei am Leib und Geist. Die aber freit, sorgt sich, was der Welt, dem Manne, gefalle.“ Am Ende des 7. Kapitels sagt Paulus den Christen: „Wer heiratet, der tut wohl; wer aber nicht heiratet, der tut besser.“ Stirbt der Mann, so ist die Frau frei, zu heiraten, wen sie will. Seliger ist sie aber, wenn sie unverheiratet bleibt. (1 Kor 7, 25-40) Das 7. Kapitel des Korintherbriefes zeigt, dass Paulus eine Gewichtung zwischen dem weltlichen und göttlichen Bestreben vornimmt. Paulus räumt ein, daß sowohl die Ehe als auch die Keuschheit Gaben Gottes sind und die Ehe für die Menschen empfehlenswert ist, die sich nicht enthalten können. Aus mehreren Gründen erachtet er jedoch die Keuschheit als empfehlenswerter. Einmal, weil die Keuschheit deutlicher als die Ehe, die Möglichkeit bietet, das zu tun, was dem Herrn gefällt. Schließlich gehört die Ehe zum „Wesen dieser Welt“, das vergeht. Der zweite Grund, warum Paulus die Keuschheit der Ehe vorzieht, liegt darin, dass der Geist Christi im Leib der Menschen wohnt und nur derjenige die Herrlichkeit Christi erfahren wird, der seinen Leib nicht seiner sinnlichen Lust opfert, sondern ihn heilig (keusch) hält. Darum ruft Paulus die Christen auf: „Seid ihr in Christus auferweckt, dann strebt nach dem, was im Himmel ist... Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische! Darum tötet, was irdisch an euch ist: die Unzucht, die Schamlosigkeit, die bösen Begierden und die Habsucht, die ein Götzendienst ist. All das zieht den Zorn Gottes nach sich.“ (Kol 3,1-6) Hieraus erklärt sich auch die Empfehlung des Apostels: 224 „Auch jene, die eine Frau haben, sollten so leben, als hätten sie keine“ (1 Kor 7, 29) Auch jene, die verheiratet sind, sollten also keusch leben. Dies heißt nicht, dass man seinem Ehepartner die Liebe verweigert, denn die eheliche Liebe sollte als Ausdruck der Liebe Christi verstanden werden. Die Eheleute können weiterhin zusammen leben, sie müssen sich nicht trennen, aber sie sollten, wenn sie keine Kinder mehr zeugen wollen, keusch leben und nach dem Göttlichen streben, um die Herrlichkeit Christi in sich zu entfalten. Aber Paulus weiß auch, dass nicht jeder die Kraft oder den Willen hat, enthaltsam zu leben. Darum empfiehlt er: „So sie aber sich nicht mögen enthalten, so laß sie freien; es ist besser (zu) freien, denn Brunst zu leiden.“ (1 Kor 7,9) In den Briefen des Apostels Paulus an die Römer schreibt er: „Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht. Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen.“ (Römer 8,5-8) „Lasset uns ehrbar wandeln wie am Tag. Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Wollust und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern ziehet den Herrn Jesus Christus an und pflegt das Fleisch nicht zur Erregung eurer Lüste.“ (Römer 13,14-14) Auch beim Apostel Matthäus, dem Verfasser des Matthäusevangeliums finden wir Hinweise auf die Keuschheit. Matthäus war Zöllner und wurde von Jesus in den Kreis der 12 Apostel berufen. Den Namen Matthäus erhielt er von Jesus. Sein ursprünglicher Name war Levi. Matthäus gilt in der christlichen Tradition als der Verfasser des 225 Matthäusevangeliums. Der Überlieferung nach, zog sich Matthäus im Jahr 42 n.Chr. nach dieser Arbeit nach Parthien zurück, um das Evangelium zu verkünden. (Die Parther waren ein antikes iranisches Volk und lebten südöstlich des Kaspischen Meeres.) Andere Überlieferungen berichten, dass er nach Äthiopien ging. Im 19. Kapitel des Matthäusevangeliums ist zu lesen: Einige sind von Geburt an zur Ehe unfähig; andere sind von Menschen zur Ehe unfähig gemacht; und wieder andere haben sich selbst zur Ehe unfähig gemacht, um des Himmelreichs willen. Wer es fassen kann, der fasse es! (Matthäus 19,12) Was will uns Matthäus mit dieser Bibelstelle sagen? Zunächst einmal weißt er darauf hin, dass einige Menschen bereits von Geburt an zeugungsunfähig sind. Es gibt Menschen, die durch eine Krankheit von Geburt an zur Ehe unfähig sind. Menschen, die dagegen von anderen zur Ehe unfähig gemacht wurden, sind Menschen, die kastriert (beschnitten) wurden. In vielen Kulturen ließen sich Männer kastrieren, um sich von sexuellen Anfechtungen zu befreien. Doch gegen diese Praxis wandte sich bereits Kirchenvater Hieronymus. Auf dem 1. Konzil von Nicäa (325) und auf der Synode von Arles (452), wurden jene, die sich selbst kastrierten, aus der Kirche ausgeschlossen. Der Mensch habe nicht das Recht, einem sittlichen Kampf, den er mit Gottes Hilfe bestehen und durch den er reifen könne, mit dem Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit auszuweichen. Die dritte Gruppe, die Matthäus anspricht, sind die Menschen, die sich um des Himmelsreichs willen zur Ehe unfähig gemacht haben. Es sind die Worte Jesus, die Matthäus hier wiedergibt. Unter den Menschen, die sich selbst zur Ehe unfähig gemacht haben, versteht man aber nicht Menschen, die 226 sich selbst kastrierten. Vielmehr sind es Männer und Frauen, die in Keuschheit leben. Es sind also Menschen, die zwar physisch zur Ehe fähig, die aber in einem Akt der Hingabe (Gelöbnis, Zölibat) auf die Ehe, auf die Sexualität, verzichten, um in das Himmelreich einzugehen. Wie man sich dieses Himmelreich vorzustellen hat, kann man am besten den Worten des Apostels Lukas entnehmen: „Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ (Lukas 17,21) Um in dieses Himmelreich zu gelangen, muss man also nicht bis nach dem Tod warten, sondern jeder Mensch hat die Möglichkeit, dieses Himmelreich bereits hier auf Erden zu verwirklichen. Viele christliche, buddhistische, hinduistische und islamische Heilige, Mönche, Nonnen, Priester, Wüstenväter, Yogis, Schamanen, Sufis und selbst viele agnostische und atheistische Menschen haben dieses „Himmelreich“ bereits zu Lebzeiten verwirklicht. Eigentlich ist das Erreichen dieses Himmelreiches ein physiologischer Vorgang, der an keine Religion und an keinen Glauben gebunden ist. Dieses Himmelreich zeichnet sich durch eine Seligkeit aus, die die Menschen, die es verwirklicht haben, Tag und Nacht in Verzückung setzt. Diese Seligkeit ist letzten Endes auf körpereigene Drogen zurückzuführen. Da man in früheren Zeiten allerdings den Zusammenhang der physiologischen Vorgänge mit dem Zustand der Seligkeit nicht kannte, nahm man als Verursacher dieser Seligkeit ein höheres Selbst, eine Gottheit an, die den Menschen diese Seligkeit verlieh. Vielfach verlegte man dieses Himmelreich auch ins Jenseits und verknüpfte es mit einem entsprechenden Leben nach dem Tode. Dies geschah auch im frühen Christentum. Die Christen gingen davon aus, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorstand und das nur diejenigen ins Himmelreich eingehen würden, die den Worten Jesus folgten. Mir gefällt diese 227 Interpretation des Himmelreichs allerdings weniger gut, weil sie auf der Annahme beruht, der jüngste Tag stehe unmittelbar bevor, was sich ja mittlerweile als falsch erwiesen hat. Außerdem beruht sie auf der Annahme, es gäbe eine Wiedergeburt (Reinkarnation), also ein Leben nach dem Tode, was natürlich niemand wissen kann. Es stellt sich außerdem die Frage, was wollen die Menschen denn wirklich? Wollen sie nicht in Wirklichkeit bereits in diesem Leben von allem Leid befreit sein und die Seligkeit des „Himmelreichs“ nicht bereits in diesem Leben erfahren? Ich denke, dies ist der Fall. Und ich denke, dieses ist möglich. Viele Heilige, Yogis und Erleuchtete haben es uns vorgelebt. Schaut man sich die Vita dieser Menschen an, dann erkennt man, dass sie alle die Keuschheit praktizierten, denn in der Regel waren es Mönche, Nonnen, Priester, Yogis etc. die dieses Ziel verwirklichten. Die Keuschheit ist also eine wichtige Vorraussetzung, um dieses „Himmelreich“ zu verwirklichen. Im Kapitel 24 des Matthäusevangeliums mahnt Matthäus zur Wachsamkeit. Das Kapitel schildert eine Situation, in der Jesus zusammen mit seinen Jüngern den Tempel von Jerusalem besucht, um sich anchließend mit ihnen auf den Ölberg zu begeben. Als Jesus mit seinen Jüngern den Tempel besuchte, prophezeite er ihnen, dass der Tempel eines Tages zerstört werden würde: „Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.“ Als Jesus dann mit seinen Jüngern auf dem Ölberg saß, fragten ihn seine Jünger, wann das Ende der Welt sein wird. Jesus erinnert zunächst an die Zeit der Sintflut11. Auch zu jener Zeit waren die Menschen mit weltlichen Dingen beschäftigt. „Sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien, bis an den Tag, da Noah zu der Arche einging.“ Da sie mit lauter weltlichen Dingen beschäftigt waren, achteten sie nicht auf die 228 Sintflut und ertranken in den Wassermassen. Darum warnte Jesus sie, dass dies auch am jüngsten Tag so sein wird: „Aber gleichwie es zur Zeit Noah's war, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes. Denn wenn der jüngste Tag da ist, werden sie sich mehr ihren sinnlichen Begierden, statt dem Herrn, zuwenden. Diejenigen aber, die das Abendmahl verpassen, werden mit Heulen und Zähneklappern belohnt.“ (Matthäus 24,1-51) 11Die Sintflut wird im 1. Buch Mose (griechisch: Genesis) des Alten Testaments als eine große weltumspannende Flutkatastrophe mit anfänglich vierzigtägigem Dauerregen beschrieben. Die Arche, die Noah (Noach) baute, war gemäß dem Bibelbericht 133,5 Meter lang, 22,3 Meter breit und 13,4 Meter hoch. Auch das auf mindestens ca. 2800 v.Chr. datierte altsumerische Gilgamesch-Epos berichtet von einer Flut. In diesem Bericht, der höchstwahrscheinlich eine Vorlage für die biblische Sintflut lieferte, erhält der göttlich auserwählte Ziusudra vom babylonischen Gott Ea den Befehl, ein Schiff zu bauen. Viele heutige Exegeten (Exegese = Bibelauslegung) bestehen nicht auf einer Historizität der Genesistexte, sondern weisen ihnen den Charakter eines Mythos zu, in dem sich Glaubenserfahrung ausdrückt. Von römisch-katholischer oder protestantisch-landeskirchlicher Seite wird eine Geschichtlichkeit der Sintflut nicht als notwendiger Bestandteil christlichen Glaubens angesehen. In Kreisen evangelikaler Christen (evangelikalisch = reformiert, lutherisch, baptistisch, methodistisch oder anglikanisch) gilt die Sintflut dagegen bis heute als historisches Ereignis. Bereits 1869 hat Lüken in großer Zahl außerbiblische Schilderungen von Völkern aus verschiedensten Regionen der Erde zusammengetragen, die auffällige Gemeinsamkeiten mit dem biblischen Sintflutbericht aufweisen. 1925 veröffentlichte Riem 268 Sintflutberichte und 229 21 Regenbogensagen aus aller Welt und wertete diese aus. Er kam dabei zum Ergebnis, dass einige der Überlieferungen so viele Parallelen zum biblischen Bericht aufweisen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muss. [48] Im Lukas-Evangelium geht der Apostel Lukas auf dieselbe Situation ein und beschreibt sie wie folgt: „Und wie es geschah zu den Zeiten Noahs, so wird's auch geschehen in den Tagen des Menschensohns: sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie ließen sich heiraten bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und brachte sie alle um. Ebenso, wie es geschah zu den Zeiten Lots: Sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten; an dem Tage aber, als Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um. Auf diese Weise wird's auch gehen an dem Tage, wenn der Menschensohn wird offenbar werden.“ (Lukas 17,26-30) Im Johannes-Evangelium lesen wir: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.“ (1 Joh 2,15-17) Im zweiten Petrusbrief, den Petrus kurz vor seinem Tode, also im Jahre 66 oder 67 n.Chr., an verscheidene christliche Gemeinden in Kleinasien schrieb, verurteilt er die Wollust: „Der Herr weiß die Gottseligen aus der Versuchung zu erlösen, die Ungerechten aber zu behalten zum Tage des Gerichts, sie zu peinigen, allermeist aber die, so da wandeln nach dem Fleisch in der unreinen Lust... Sie achten für Wollust, das zeitliche Wohlleben, sie sind Schandflecken und Laster... Sie 230 haben Augen voll Ehebruchs, lassen sich die Sünde nicht wehren... Sie haben verlassen den richtigen Weg und gehen irre... Das sind Brunnen ohne Wasser, und Wolken, vom Windwirbel umgetrieben, welchen (vor)behalten ist eine dunkle Finsternis in Ewigkeit. Denn sie reden stolze Worte, dahinter nichts ist, und reizen durch Unzucht zur fleischlichen Lust... und verheißen Freiheit, ob sie wohl selbst Knechte des Verderbens sind.“ Petrus sagt, solche Menschen leben nach dem Sprichwort: „Der Hund frißt wieder, was er gespieen hat;“ und: „Die Sau wälzt sich nach der Schwemme (nach dem Waschen) wieder im Kot.“ (2. Petrus 2,12-22) Die Erwähnung der Keuschheit im Neuen Testament geht also weit über die Erwähnung im Alten Testament hinaus. Jede Form von Keuschheit steht im Neuen Testament im gleißenden Licht, das vom Gedanken der Jungfräulichkeit (Keuschheit) und der Hoffnung auf das Himmelreich ausgeht. 16.1 Die Keuschheit im Urchristentum Top Das Urchristentum bezeichnet die Zeit vom Tod Jesus um 30 oder 33 n. Chr. bis zur Veröffentlichung der vier kanonischen Evangelien zwischen 70 und 130 n.Chr. Diese Entstehungsphase umfasst in etwa jenen Zeitraum, den auch die Apostelgeschichte (Apg) des Lukas beschreibt. In dieser Apostelgeschichte nimmt der Apostel Paulus eine zentrale Rolle ein. Die erste christliche Gemeinde wurde in Jerusalem gegründet. Der Apostelgeschichte zufolge konnten die Christen ihre Botschaft anfangs frei und unbehelligt verkünden, sogar im Tempel von Jerusalem. (Apg 2,14 ff) Auch Pontius Pilatus, der Statthalter des römischen Kaisers Tiberius in der Provinz Judäa, verfolgte sie nach dem Tod Jesus nicht weiter. Nachdem die Christen allerdings begannen, ihren Glauben in die Welt hinauszutragen und damit sowohl in Antiochia, Zypern und 231 Athen, selbst in Rom großen Erfolg hatten, regte sich von jüdischer Seite und von Seiten der römischen Besatzungsmacht Widerstand gegen das Christentum. Der jüdische Sanhedrin, die oberste jüdische religiöse, richterliche und politische Instanz, der bereits Jesus an den römischen Statthalter Pontius Pilatus ausgeliefert hatte, ließ einige Apostel festnehmen und verhören. Um 36 n. Chr. wurde der Diakon (Gemeindeleiter) der Jerusalemer Urgemeinde, Stephanus, wegen seines Glaubensbekenntnisses zu Jesus vom jüdischen Sanhedrin zum Tode durch Steinigung verurteilt. Er starb damit als erster Christ den Märtyrertod. (Apg 6,8 - 7,60) Im Auftrag der Sadduzäer, die die größte Kraft im Sanhedrin darstellten, soll der spätere Apostel Paulus seine Steinigung beaufsichtigt und danach eine große Verfolgung der Jerusalemer Urchristen eingeleitet haben. Dieser kurze Einblick in die Geschichte des Urchristentums soll erst einmal genügen. Nun möchte ich mich etwas ausführlicher mit dem Leben der Apostel beschäftigen. Im Mittelpunkt soll dabei die Einstellung der Apostel zur Keuschheit stehen. Dass Jesus selbst die Keuschheit empfahl, ist uns durch das Matthäus-Evangelium (Matthäus 19,12) bekannt. Auch der Apostel Johannes, der Lieblingsjüger Jesus, verkündete die Keuschheit: „Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Denn alles, was in der Welt ist: des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges (hochmütiges) Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Und die Welt vergeht mit ihrer Lust. Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.” (1 Joh 2,15-17) Der Heilige Augustinus von Hippo (354-430), Philosoph und Kirchenlehrer, schreibt über den Apostel Johannes: „Die seltene Schöne seiner 232 Keuschheit, machte ihn der Vorliebe würdig, weil er den jungfräulichen Stand gewählt und auch darin verharrte.” Der Heilige Hieronymus bemerkt über Johannes: „Alle Gnaden, womit ihn Gott überhäufte, waren der Lohn seiner Keuschheit. Diese Tugend erwarb ihm den hohen Vorzug, daß Jesus, am Kreuze hangend, ihm seine Mutter anvertraute. (Johannes 19,26-27: „Da nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger dabeistehen, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Weib, siehe, das ist dein Sohn! Darnach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.”) Wer sollte da noch zweifeln, daß die Keuschheit die Lieblingstugend Jesu ist?” Auch der Apostel Petrus rügt die, die „da wandeln nach dem Fleisch in unreiner Lust” (2 Petrus 2,10) und verurteilt die Wollust. Der Apostel Thomas ist einer der zwölf Apostel, die Jesus drei Jahre lang begleiteten. Auch er predigte die Keuschheit. Vom Apostel Thomas wird gesagt, er sei der Bruder Jesus gewesen und hätte das Evangelium sogar in Indien verbreitet. Auf seiner Missionreise in Indien verglich er das Wort Gottes mit einem Trank, der „den Willen von allen fleischlichen Begierden heilt”. Im Thomasevangelium lesen wir: Jesus sagte: „Erbärmlich ist der Körper, der an einem Körper hängt. Erbärmlich ist die Seele, die an ihnen beiden hängt.“ Vom Apostel Paulus wissen wir bereits, wie sehr er sich für die Keuschheit aussprach. Wie wir gleich sehen, predigte auch der Apostel Andreas, der Bruder des Apostels Simon Petrus, die Keuschheit. Im Markusevangelium predigt Jesus das Gleichnis vom Sämann: „Und etliches fiel auf ein gutes Land und brachte Frucht, die da zunahm und wuchs; etliches trug dreißigfältig 233 und etliches sechzigfältig und etliches hundertfältig. Und er sprach zu ihnen: Wer Ohren hat, zu hören, der höre!” Es ist interessant, wie Martin Luther dieses Gleichnis in seiner Bibelauslegung interpretiert. Martin Luther schreibt: „Die hundertfältige Frucht bedeutet die Keuschheit der Jungfrauschaft, die sechzigfältige die Keuschheit der Witwenschaft, die dreißigfältige Frucht die Keuschheit der Ehe. Die Keuschheit ist ja eigentlich die Haupttugend des Evangeliums, denn was will das Wort Gottes anders als Abtötung des Fleisches? Daran hangen alle Zweifel, alle Tugenden, wenn einmal die Wurzel des Gelüsts hinweg ist. Denn nichts ist förderlicher zu aller Tugend als Keuschheit und nichts ist hinderlicher als Gelüsten; denn wer von eigenen Fleisch angestachelt wird, wie soll man hoffen, dass der am fremden Fleisch und Geist großes leiste.“ [35] Martin Luther schätzt die lebenslange Keuschheit der Jungfrauen (und Jungmänner) höher ein, als die Keuschheit der Witwen (und Witwer). Mit der Keuschheit der Ehe meint er womöglich die Treue der Ehemänner und Ehefrauen. So wie es aussieht, lebten Jesus und seine Jünger in Keuschheit. Sie inspirierten die Urchristen wahrscheinlich ebenso wie die Essener und Therapeuten, die zur gleichen Zeit in Israel und Ägypten lebten. Eines dieser frühen Zeugnisse der Urchristen ist die Didache (Die Lehre der zwölf Apostel.). Es ist die älteste Gemeindeordnung, die in den Jahren 80 bis 120 n. Chr. entstand. Diese und andere Texte zeigen, dass das Urchristentum sich an einer Ethik orientierte, die ab dem dritten Jahrhundert in der offiziellen Kirche verloren ging. So lesen wir im 1. Kapitel des Didache: „Enthalte dich der fleischlichen und körperlichen Begierden.” Im 2. Kapitel lesen wir: „Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst 234 nicht Knaben schänden, du sollst nicht huren, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht Zauberei treiben, du sollst nicht Gift mischen, du sollst nicht ein Kind durch Abtreibung morden, und du sollst das Neugeborene nicht töten.” Das Didache lehnte den Reichtum der Urchristen kompromisslos ab und empfahl stattdessen Gütergemeinschaften, die oft mit einem Liebeskommunismus bezeichnet wurden. (Apg 2,44-47; 4,32-37) Die Urchristen lehnten jeden Militärdienst mit dem Hinweis auf die Bergpredigt Jesus ab (Matthäus 5,21: „Du sollst nicht töten.”) Ebenso lehnten sie jeden Eid mit dem Hinweis auf die Bergpredigt ab, der ja normalerweise bei der militärischen Vereidigung abgelegt werden muss. (Matthäus 5,34: „Ich aber sage euch, daß ihr überhaupt nicht schwören sollt.”) Die Urchristen lehnten außerdem das Töten von Tieren ab und ernährten sich somit rein vegetarisch. [36] Das Keuschheitsideal des Urchristentum führt dazu, dass insbesondere immer mehr Frauen sich der irdischen Sexualität verweigern und eine himmlische Hochzeit mit Jesus als himmlischen Bräutigam eingehen, dem sie die sexuelle Treue halten. Damit wird jede sexuelle Tätigkeit als Treuebruch gegenüber Gott betrachtet. Es wird zwar nicht bestritten, dass auch die irdische Hochzeit Licht und Freude ermöglicht. Das Glück einer irdischen Hochzeit währt allerdings nur kurze Zeit, während die himmlische Hochzeit ewig währt. Jesus wird als der wahre Bräutigam betrachtet, der unsterblich ist. Die himmlische Hochzeit schließt sexuelle Aktivitäten auf Erden aus. Dies führt dazu, dass die Männer und Frauen des Urchristentums in Keuschheit leben. Auch Paare, die bereits verheiratet sind, entschließen sich nachträglich, enthaltsam zu leben. Die Hochzeit wird insgesamt in einen fundamentalen Dualismus zwischen irdisch-vergänglicher und leiblich235 sexueller Beziehung auf der einen Seite und himmlischunvergänglicher und geistig-asexueller Beziehung auf der anderen Seite eingeordnet. Auch die Predigten über die Keuschheit in der Urkirche führten dazu, dass sich verschiedene Frauen dem sexuellen Verkehr mit ihren Männern verweigerten oder sich von ihnen trennten, weil sie rein und unberührt Gott dienen wollten. Dies führte schliesslich zu einem Aufstand in Rom, in dessen Folge der Apostel Petrus zunächst flieht, dann aber zurückkehrt und im Zirkus des Kaiser Nero wie Jesus gekreuzigt wird. Vielfach war die Keuschheit also eine unmittelbare Folge der Evangeliumspredigten, in denen die Bewahrung der Jungfräulichkeit (diese gilt auch für Männer) immer wieder betont wurde. Die führte mitunter zur Eheverweigerung verheirateter Männer und Frauen. Auch das Martyrium des Apostels Andreas wird mit einer Enthaltsamkeitsgeschichte in Zusammenhang gebracht. Maximilla, die Ehefrau des Statthalters von Patras (Griechenland), Aegeates, verpflichtet sich zu sexueller Enthaltsamkeit und wird darin von Andreas unterstützt. Um die Keuschheit zu bewahren, greift Maximilia zu einer List. Sie heuert die junge und gutaussehende Sklavin Euklidia an, um ihr in ihren Ehenöten zu helfen. Euklidia soll Maximilla sexuell bei ihrem Mann vertreten und dafür alles erhalten, was sie sich wünscht. Der Betrug fliegt nach einigen Monaten auf und es kommt zu einem Prozess gegen den Apostel Andreas, der als Anstifter dieser Ehekrise angesehen wird. Der betrogene Ehemann Aegeates bietet seiner Frau die Freilasung des Apostels an, falls sie das eheliche Leben mit ihm wieder aufnimmt. Andreas bestärkt jedoch Maximilla in einer langen 236 Rede, sich der Verlockung des geschlechtlichen Verkehrs zu widersetzen. Dabei sagt er zu Maximilla: „Für dich gilt es nun, unbefleckt, rein, heilig, keusch, nicht ehebrecherisch, nicht bereit zum Verkehr mit dem Fremden, standhaft und ungebrochen zu bewahren.” [34] Der Apostel Andreas betrachtet die sexuelle Vereinigung als einen Verkehr mit einem Fremden, als Vereinigung mit der Welt der Sünde. Nach dem Prozess ließ der Statthalter Andreas geißeln und zu besonderer Pein und einen langsamem Tod an ein X-förmiges Kreuz binden. Zwei lange Tage hängend, predigte Andreas dem Volk. Der Statthalter verhöhnte ihn, wurde daraufhin aber vom Wahnsinn geschlagen und starb, ehe er sein Haus wieder erreichte. Maximilla ließ Andreas mit großen Ehren bestatten. 17. Die Physiologie der Meditation Top Ob wir uns gut fühlen oder nicht, ist im wesentlichen ein Spiel der Neurotransmitter, der Hormone. Ob dabei irgendeine höhere Intelligenz, ein Gott, dabei seine Hände im Spiel hat, weiß niemand. In dem Moment allerdings wo die Menschen in großer Not sind und keinen Ausweg mehr sehen, wenden sich viele Menschen an Gott. Buddha dagegen hat die Frage nach einem höheren Selbst, nach einem Gott, offen gelassen. Dies ist für mich die einzig zulässige Antwort, da niemand die Existenz eines höheren Selbst beweisen kann. Der Philosoph Prof. Dr. Kurt Leider schreibt in seinem Buch „Buddha - Leben, Lehre, Jüngerschar” über Buddhas Vorstellungen des höheren Selbstes: „Nirgends ist nach Buddha ein Atman, eine Seele, ein Selbst, ein Ich, als letzte Realität hinter den Erscheinungen zu finden, sondern was wir „Selbst” und „Ich” nennen, ist nichts anderes als ein bloßes Vorstellungsbündel, dass auf die fünf Kategorien, Gestalt, Gefühl, Wahrnehmung, Bewusstsein und 237 Phantasie des erscheinungsweltlichen Auffassens zustandekommt. Dass die Menschen an einer realen Seinsvorstellung verhaftet sind, ist ein Fluch und aller leidvollen Existenz Stachel. Wir können weder sagen, dass es einen Atman, eine Seele, ein Selbst, gibt, noch dass es einen Atman, eine Seele, ein Selbst, nicht gibt.” Genauso, wie Buddha es ablehnte, einen philosophischen Streit über die zeitliche und räumliche Endlichkeit bzw. Unendlichkeit des Universums zu führen, weigerte er sich, Aussagen über die Existenz bzw. Nichtexistenz der Seele zu formulieren. Ihm kam es im wesentlichen auf die Befreiung vom Leid an und zwar im jetzigen Leben. Das war alles, was für Buddha zählte. Warum sollte er sich also Gedanken über die Existenz einer Seele bzw. eines höheren Selbstes machen? Der Mensch produziert körpereigene Drogen: beispielsweise schmerzstillende, morphinähnliche Stoffe (Endorphine), angstlösende, valiumähnliche Substanzen (das sog. Endovalium), LSD-ähnliche endogene Drogen, anregend und wachmachende Neurohormone (z.B. Noradrenalin) oder phantasiefördernde Transmittermoleküle (z. B. Dopamin). Von den Neuropeptiden seien hier nur einmal die endogenen Opiate, die körpereigenen Drogen (Glückshormone) erwähnt, zu denen die Endorphine und die Enkephaline gehören. Sie hemmen die Schmerzwahrnehmung und schütten in Trance Betaendorphin aus. Dieses Opiat kann ein überwältigendes Gefühl von Freude, eine Euphorie erzeugen und ist möglicherweise für die „Süße” des religiösen Erlebnisses (der Erleuchtung) verantwortlich, von der die Mystiker immer wieder berichteten. Die Betroffenen haben das Gefühl einer göttlichen Gegenwart 238 und verfallen teilweise in Ekstase. Auch Lichteindrücke und akustische Wahrnehmungen sind denkbar. Dies sind Phänomene, wie sie auch viele Religionsstifter oder stark religiöse Persönlichkeiten der Geschichte beschrieben. So hatte der spätere Apostel Paulus beispielsweise eine Lichterscheinung und hörte die Stimme Jesu. Mohammed ließ sich den Koran vom Erzengel Gabriel diktieren. Auch die französische Nationalheldin Jeanne d'Arc, die 1431 im Alter von 19 Jahren auf Befehl des englischen Königs auf dem Marktplatz von Rouen in Nordfrankreich auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde, handelte auf Befehl einer göttlichen Stimme. Sie hatte ihre ersten Visionen bereits mit 13 Jahren. Damals soll ihr die Heilige Katharina von Alexandrien, die sich als geweihte Jungfrau Christus versprochen hatte und im 4. Jahrhundert unter dem römischen Kaiser Maximian den Märtyrertod fand, erschienen sein, später kamen der Erzengel Michael und die Heilige Margareta von Antiochia, die um 305 n.Chr. ebenfalls als Märtyrerin starb, hinzu. Von ihnen glaubte sie den Befehl erhalten zu haben, Frankreich von den Engländern zu befreien und den Dauphin (den Thronerben des Königs von Frankreich) zum Thron zu führen. Der bekannte Yogi Yogananda berichtet davon, Jesus gesehen zu haben: „Eines Nachts, als ich in der Einsiedelei zu Encinitas (USA) saß und schweigend betete, wurde mein Wohnzimmer von einem opalblauen Licht erfüllt, und ich erblickte die strahlende Gestalt des Herrn Jesus.” Auch von Ramana Maharshi ist ein übernatürliches Erlebnis bekannt. Gabriele Ebert schildert es in ihrem Buch „Ramana Maharshi und seine Schüler”. Dort schreibt sie: „Ich legte mich hin, war aber wach. Ich spürte plötzlich, wie mein Körper höher und immer höher getragen wurde, bis alle Gegenstände 239 verschwanden und alles um mich her ein allumfassendes weißes Lichts war. Dann senkte sich mein Körper plötzlich wieder und verschiedene Gegenstände wurden sichtbar. ... Mir kam der Gedanke, dass ich in Tiruvottiyur sei (wo sich sein Schüler, der Sanskritdichter Ganapa Muti aufhielt). Ich ging eine Hauptstraße entlang. Auf der einen Seite lag in einiger Entfernung der Ganapati-Tempel. Ich ging hinein und sagte etwas, aber ich kann mich nicht erinnern, was ich sagte oder tat. Dann kam ich plötzlich zu mir und fand mich in der Virupaksha-Höhle liegen.“ Zur gleichen Zeit hatte Ganapati Muni, folgendes Erlebnis: Er zog sich stets zu spirituellen Übungen in den Ganapati-Tempel zurück. Am 18. Tag seines Tapas (seiner Meditation) sah er in einer Vision den Maharshi, der plötzlich hereinkam und sich neben ihn setzte. Verwundert wollte er aufstehen. Aber Sri Ramana legte die Hand auf seinen Kopf und ein starker Energiefluss strömte in seinen Körper. Der indische Neurologe Vilayanur Ramachandran, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der University of California, San Diego, hat die neuronale Grundlage für religiöse Erfahrungen aufgrund eigener Untersuchungen in den Schläfenlappen geortet. Seine Forschungsergebnisse legen nahe, dass religiöse Erfahrungen von der Aktivität der Schläfenlappen abhängen. Die Tatsache, dass dieses Hirngebiet auch für die Sprachwahrnehmung von Bedeutung ist, könnte zudem mit erklären, warum bei religiösen Visionen häufig das Hören der Stimme Gottes auftritt. Gerade im Zustand reduzierter äusserer Reizeinflüsse, was man in Meditationsübungen oder im Gebet üblicherweise anstrebt, wird eine folgenschwere Fehlinterpretation des Gehirns 240 wahrscheinlich: Der innere gedankliche Dialog, den wir fortwährend mit uns selbst führen, kann plötzlich als von aussen kommende Stimme erlebt werden. Das Hirn täuscht sich bei der Lokalisation der Sprachquelle. Dies allerdings rückt das visionäre Vernehmen göttlicher Botschaften in gefährliche Nähe zu den Psychosen, sind doch gerade akustische Halluzinationen ein zentrales Charakteristikum von Schizophrenien. Ob ein mit göttlichen Botschaften Erleuchteter nun als auserwählter Prophet verehrt oder psychiatrisch mit Neuroleptika behandelt wird, dürfte weitgehend von den soziokulturellen Begleitumständen abhängen. Tatsächlich ist das Auftreten religiöser Wahnvorstellungen einer der häufigsten Gründe für die Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Einige religiöse Prominente der Kirchengeschichte stehen unter dem Verdacht, ihre göttlichen Visionen im Neuronengewitter epileptischer Anfälle halluziniert zu haben: Johanna von Orléans (Jeanne d'Arc), Apostel Paulus oder die heilige Teresa von Avila. Dazu gibt es wichtige Hinweise aus den Biografien. Gesicherte postume Diagnosen sind aufgrund der lückenhaften Datenlage selbstverständlich nicht zu stellen. Gut möglich, dass Apostel Paulus die Epilepsie meinte, wenn er von seinem „Pfahl im Fleisch” redete (2 Kor 12,7), an dem er leide. Seine Beschreibung der Begegnung mit dem auferstandenen Christus vor Damaskus mit Lichterscheinungen und dem Vernehmen der Stimme Jesu gäbe ein geradezu klassisches Beispiel für einen Schläfenlappen-Anfall, sind doch sensorische Störungen wie Lichteindrücke und akustische Halluzinationen typisch für diese Epilepsieform. Vielleicht entstehen die optischen und akustischen (religiösen) Visionen aber nicht nur bei epileptischen Anfällen, sondern vielleicht werden sie bei 241 fortgeschrittenen spirituellen Menschen auch durch die kontemplative bzw. meditative Praxis hervorgerufen. Zweifellos gehört die Gotteserfahrung in einem epileptischen Anfall zu den existenziellsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann. Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski, selbst nachgewiesenermassen Schläfenlappen-Epileptiker, lässt uns durch eine seiner Romanfiguren an einem solchen Anfall teilhaben: „Die Luft ist erfüllt mit grossem Lärm und ich dachte, ich würde verschlungen. Ich habe wahrhaftig Gott berührt. Er kam in mich, in mich selbst hinein. Ja, Gott existiert, schrie ich und ich erinnere mich an gar nichts anderes. All ihr gesunden Leute könnt euch das Glück nicht vorstellen, das wir Epileptiker in der Sekunde vor dem Anfall erleben. Ich weiss nicht ob diese Glückseligkeit Sekunden, Stunden oder Monate dauert, aber glaube mir, nicht für alle Freuden, die das Leben bringt, würde ich diese eintauschen.” [41] Sehr viele Meditationstechniken wie das autogene Training konzentrieren sich auf den Bauchraum, auf das Sonnengeflecht. Trance scheint sich somit biochemisch nicht nur im Kopf, sondern auch (vielleicht vor allem) im Bauch abzuspielen. Neu ist die Erkenntnis, dass die größte Menge des „Glückhormons” Serotonin in den Neuronen des Gastrointestinalraumes (des Bauchraums) gebildet wird. Dieses überaus angenehme Glücksgefühl, geht mit einem „Kribbeln im Bauch” einher und hat somit eine biochemische Ursache. Auch die intensive Beschäftigung mit der Religion, etwa durch Beten, hat Einfluss auf die Atmung und über die erhöhte Sauerstoffzufuhr auch auf das Gehirn. Schaut man sich etwa die frühchristlichen Meditationsformen an, dann unterscheiden sie sich eigentlichen nicht von der 242 buddhistischen/hinduistischen Meditation. Das frühchristliche Ruhegebet zeichnet sich dadurch aus, dass der Betende auf alles bewusstes Denken verzichtet und sich durch das Wiederholen einer einfachen Gebetsformel immer wieder auf das Gebet zurückbesinnt und abschweifende Gedanken ziehen lässt. Der christliche Priester, Mönch, Abt und Schriftsteller Johannes Cassian(us) (360 - 435 n.Chr.) hat diese Form des Betens vor allem bei den Wüstenvätern in der ägyptischen Wüste erlernt. Das Herzensgebet, auch Jesusgebet genannt, ist ein besonders in der Orthodoxen Kirche weit verbreitetes Gebet, bei dem ununterbrochen der Name Jesu Christi angerufen wird. Damit soll der Aufforderung „Betet ohne Unterlass!“ (1.Thessalonicher 5,17) des Apostels Paulus genüge getan werden. Es gibt keinen einheitlichen Gebetstext. Stets wird der Name Jesu angerufen. Die einfachsten Formulierungen lauten: „Herr Jesus Christus“, „Jesus Christus“, „Jesus“ oder „Christus Jesus“. Dabei soll sich der Betende auf das jeweilige Wort (Mantra) konzentrieren und es im Rhythmus der Atmung oder den Herzschlags immer wieder still vor sich hersagen. Das British Medical Journal berichtete von einer Studie der Universität Pavia, bei der herausgefunden wurde, dass sich die Einübung eines Mantras positiv auf das Herz-Kreislauf-System ausübt. Durch den gleichbleibenden Gebetsrhythmus reduziert sich die Atemfrequenz auf etwa sechs Atmungen in der Minute. Konzentration und innere Ruhe werden gefördert. Auch das Beten kann also einen Heilungsprozess anregen. Dabei entfaltet sich die heilende Wirkung allerdings nicht durch Gott, wie manche Gläubige meinen, sondern durch die Beeinflussung der Physiologie des Betenden. 243 17.1 Was geschieht währ. der Meditation im Gehirn? Top Die mystische Erfahrung, der Verbindung zu Gott, die Erfahrung des absoluten Seins, das Verschmelzen der individuellen Seele mit dem Unvergänglichen, ist in allen Religionen bekannt. In jüngster Zeit haben Neurologen sowohl betende Nonnen als auch meditierende Mönche untersucht, um die Vorgänge, die als Unio mystica, als Einssein mit dem Kosmos, als ekstatische Verbindung zu Gott, betrachtet werden, besser zu verstehen. Dabei hat man festgestellt, dass im Gehirn zweierlei geschieht. Zum einen findet im vorderen Bereich des Gehirns, im Stirnbereich, in dem sensorische Signale (Sinneseindrücke) empfangen und verarbeitet werden, kognitive Prozesse (mentale, geistige, intellektuelle Prozesse, Denken) stattfinden und psychische und bewusstseinsbildende Funktionen verarbeitet und neuronalen Regelkreise gesteuert werden, ein eindeutiger Aktivitätsanstieg stattfindet. Dagegen findet im Parietallappen (Scheitellappen – etwa von der Kopfmitte bis zum oberen Hinterkopf), der neben dem Sehen, Fühlen, Riechen und der Sprache, für die räumliche Wahrnehmung, für Zeitabläufe, das Körperempfinden, die IchIdentität zuständig ist, eine Verminderung der Gehirnaktivität stattfindet. Durch die Abnahme der Gehirnaktivität im Scheitellappen verlieren die Meditierenden oder Betenden den Sinn für das Selbst, die Ich-Identität und erfahren sehr oft ein Gefühl von Raum- und Zeitlosigkeit. Der Scheitellappen scheint am Höhepunkt der Meditation immer weniger mit Blut versorgt zu werden. Er wird sozusagen abgeschaltet. Der Scheitellappen gibt uns Orientierung in Raum und Zeit und verleiht uns ein Gefühl für unseren Körper. Wird dieses Areal still gelegt, können wir nicht mehr zwischen unserem Körper 244 und der äußeren Welt unterscheiden. Es entsteht der Eindruck, als würden wir mit der Welt verschmelzen. Dieses Gefühl spielt bei vielen Religionen eine entscheidende Rolle. Der amerikanische Hirnforscher und Religionswissenschaftler Andrew Newberg hat an der University of Pennsylvania mit einer radioaktiven Markierungssubstanz und einem speziellen Computertomografen die neurophysiologischen Auswirkungen zweier traditionsreicher spiritueller Praktiken auf die Hirnaktivität sichtbar gemacht und ist dabei auf interessante Befunde gestoßen. Sowohl bei meditierenden tibetanischen Buddhisten im Zustand des „Einsseins mit dem Kosmos“ wie auch bei tief im Gebet versunkenen Franziskanernonnen ging die Durchblutung des Scheitellappens drastisch zurück. Ein Hirnareal, das sonst unentwegt rattert, verstummt in der Stille der Versenkung. Das stoppt nach Aussage des Wissenschaftlers den Zufluss von Informationen aus dem Hippocampus, einer tiefliegenden Hirnstruktur, in den Scheitellappen. Im „Orientierungsfeld“, ein Bereich der für das Gefühl von Raum und Zeit verantwortlich ist, sinkt dadurch die Aktivität. Die Blockierung dieses Bereichs führt nach Ansicht von Newberg zum Empfinden der Raum- und Zeitlosigkeit in der meditativen Versenkung. Dies ist insofern bedeutsam, da in diesem Hirngebiet normalerweise Informationen über Zeitabläufe und räumliche Orientierung verarbeitet werden. Aufgrund der Reizblockade im oberen Teil des Scheitellappens wäre es somit durchaus erklärbar, dass sich das subjektive Erleben bei der spirituellen Versenkung gänzlich in der Raum- und Zeitlosigkeit verliert. In derartigen Transzendenzzustände meint der spirituell Entgrenzte, die Unendlichkeit in Erhabenheit zu berühren. Durch den Verlust für das Gefühl von Raum und Zeit, entsteht außerdem das Gefühl der „Leere“, von 245 der oft im Zen-Buddhismus die Rede ist. Franziskanerschwester Celeste, eine der Versuchsteilnehmerinnen in der Studie des Neurologen Newberg, erklärte dem Nachrichtenmagazin Newsweek, was sie während ihres dreiviertelstündigen Gebets vor der Tomografiemessung empfand: „Ich fühlte Einkehr, Frieden, Offenheit zur Erfahrung. Da war eine Bewusstheit und eine Empfindsamkeit für die Anwesenheit Gottes um mich herum. Und ein Gefühl der Zentriertheit, der Ruhe, des Nichts; aber auch Momente der Fülle der Anwesenheit Gottes. Gott hat mein Sein durchdrungen.“ Da buddhistische Meditationsmeister und Franziskanernonnen gemäss der Newberg-Studie in hirnphysiologisch vergleichbaren Endzuständen landen, scheint es für das Hirn also keinen Unterschied zu machen, woran wir glauben. 18. Die Ernährung des Brahmachari Top Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem sexuellen Verlangen. Manche Nahrungsmittel steigern das sexuelle Begehren, andere dagegen lassen es eher abklingen. Der Brahmachari bedenkt deshalb auch der physiologischen Wirkung der Nahrung auf den Körper und die Gefühle. Fleisch macht den Menschen unsensibel, regt die sinnlichen Leidenschaften an und macht den Verstand träge. Deshalb sagte Swami Sivananda einmal: „Ein Fleischesser kann weder ein Philosoph noch ein Weiser sein. Sein Verstand ist derart dumpf, daß er weder die Probleme dieser noch der anderen Welt lösen kann.“ Bei einer anderen Gelegenheit sagte er: „Fleisch kann aus dir einen Wissenschaftler, aber keinen Philosophen, keinen Weisen, machen.“ Vegetarische Ernährung 246 dagegen fördert die geistige Konzentration, Flexibilität und Aufgeschlossenheit in hohem Maße. Sie schenkt dem Brahmachari eine größere Vitalität, Gesundheit und Zufriedenheit, als fleischliche Kost. Aber nicht nur auf Fleisch sollte der Brahmachari verzichten. Es gibt weitere Lebens- und Genussmittel, die der Brahmachari meiden sollte, weil sie die Leidenschaften entfachen und sich nachteilig für das Wohlbefinden auswirken. Zu diesen Lebens- und Genussmiteln gehören: Fisch, Geflügel, Zwiebeln, Knoblauch, Salz, Schwarzer Tee, Kaffee, Tabak, Alkohol und Zucker. Aber auch von scharfen Gewürzen sollte der Brahmachari Abstand nehmen. Swami Sivananda warnte wiederholt vor dem Genuss von Salz. So sagte er in seinem Buch „Practice of Brahmacharya“ im 18. Kapitel (Forbidden Food = Verbote Nahrung): „Zwiebeln und Knoblauch sind schlimmer als Fleisch. Salz ist der schlimmste Feind. Zu viel Salz regt die Leidenschaft an. Viele Lebensmittel enthalten Salz. Selbst wenn du kein Salz nimmst, holt der Körper sich das notwendige Salz von anderen Lebensmitteln. Der Verzicht auf Salz hilft dir, deinen Gaumen zu kontrollieren. Dadurch kannst du besser deinen Verstand und deine Sinne kontrollieren.“ Die salzarme Diät gilt aber in erster Linie für Menschen, die keine eiweißreiche Kost (Fleisch, Fisch, Geflügel) zu sich nehmen. Sobald man jedoch auch als Vegetarier zusätzliche eiweißreiche Lebensmittel, wie Getreide, Nüsse, Milch, Eier, Käse, Linsen, Vollkornbrot und Ölsamen, zu sich nimmt, würde man mehr oder weniger starke Verdauungsbeschwerden bekommen, wenn man kein zusätzliches Salz zu sich nimmt. Man deckt diesen zusätzlichen Salzbedarf am besten mit Himalayasalz, da im Himalayasalz, im Gegensatz zum reffinierten Salz, noch alle Mineralien, 247 Vitamine und Spurenelememte enthalten sein sollen. Die Nahrung sollte einen hohen Anteil an Rohkost beinhalten. In der Rohkost bleiben die Enzyme, Spurenelemente und vor allem die hitzeempfindlichen Vitamine, die sonst beim Kochen verringert oder gar zerstört werden, erhalten. Manche sagen sogar, der Anteil an Rohkost solle in der Nahrung überwiegen. Man bedenke, dass der Mensch, bevor er das Feuer entdeckte und begann sein Essen zu kochen, sich als reiner Rohköstler ernährte. Deshalb sagen Rohkostbefürworter, dass der menschliche Körper, der sich viele Millionen Jahre überwiegend von der Rohkost ernährte, sich im Laufe der Evolution noch nicht ausreichend an die gekochten Lebensmittel gewöhnen konnte. Unsere nächsten Artverwandten, die Menschenaffen, ernähren sich auch heute noch zu 52% von Früchten und Beeren, zu 35 % von Blättern, Wildpflanzen und Sprossen, zu 7 % von Wurzeln, Samen, Rinden und Gallen, zu 5 % von Blüten und zu 1% von Kleingetier und Insekten. Ihr Fleischanteil beträgt also gerade einmal ein Prozent. Ausserdem wird ein Teil der Kleintiere und Insekten, die sie essen, wahrscheinlich sogar eher unbeabsichtigt mit der übrigen Nahrung aufgenommen. 18.1 Jesus und seine Jünger waren Vegetarier Top Wie es aussieht, waren Jesus und seine Jünger Vegetarier. Im Alten Testament lesen wir: „Gott spricht zu den Menschen: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung 248 gegeben.“ (1. Mose 1,29-31) Dieses Gebot wurde von den Juden allerdings im Laufe der Jahrhunderte gebrochen und es wurden nicht nur Tiere gegessen, sondern auch aus rituellen (religiösen) Gründen geopfert, obwohl verschiedene Propheten darauf hinwiesen, dass diese Opfer Gott ein Gräuel sind: So spricht der Prophet Hosea: „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“ (Hosea 6, 6) Im Matthäusevangelium macht Jesus dieselbe Aussage: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.“ (Matthäus 9,13) Im ausserkanonischen Ebionäerevangelium steht es sogar noch deutlicher: „Ich bin gekommen, die Opfer abzuschaffen, und wenn ihr nicht ablaßt zu opfern, wird der Zorn von euch nicht ablassen.“ Wenn auch im Neuen Testament kaum etwas über eine vegetarische Ernährung bzw. über das Verbot, Tiere zu schlachten und zu essen, zu lesen ist, so finden sich doch in zahlreichen historischen Schriften Hinweise darauf, dass die Apostel sich vegetarisch ernährten. Auch von den ersten Christen ist bekannt, dass sie Vegetarier waren. Sehen wir uns einmal an, was über die vegetarische Ernährungsweise der Apostel bekannt ist. In seinem Buch „Die Lebensweise Jesu und der ersten Christen“ zitiert der Religionswissenschaftler Carl Anders Skriver die Worte des Apostels Petrus aus den „Clementinischen Homilien“, einer Predigtsammlung, die um 220 nach Christus in Palästina entstanden ist. Petrus erklärt demnach in den Homilien, er lebe „von Brot und Oliven, denen er teilweise Gemüse hinzufügt.“ Ähnliches wird vom Apostel Matthäus berichtet. Der griechische Theologe und Kirchenvater Clemens von Alexandria (150-215) schreibt über Matthäus, dass dieser „von Pflanzenspeisen lebt und kein Fleisch 249 berührt“. Dies gilt ebenso für den Apostel Matthias, der nach dem Tod des Apostels Judas in den Kreis der 12 Apostel hinein gewählt wurde. Der Religionswissenschaftler Skriver ergänzt hierzu, dass nach dem Zeugnis der Schriftsteller des 2. Jahrhunderts auch die Apostel Andreas, Philippus und Thomas sowie die Evangelisten Markus und Lukas Vegetarier sind. Dass zu der ursprünglichen Gruppe der zwölf Apostel bald auch andere hinzukamen, welche die Hauptverantwortung für das junge Urchristentum trugen, zeigt das Beispiel von Jakobus, dem leiblichen Bruder Jesus. Er war neben Petrus und Johannes Leiter der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem. In der Bibel gilt er neben den tierfreundlich lebenden Aposteln Petrus und Johannes als einer der drei „Säulen“, die entsprechendes „Ansehen genießen“ (Galater 2,9). Von Jakobus schreibt der Kirchenvater und Verfasser der Apostelgeschichte Hegesipp(us) (100-180): „Er genoss weder Wein noch Rauschtrank; auch aß er kein Fleisch“. (Eusebius, Kirchengeschichte II, 23, 5-6). Die Lebensweise der Urchristen in Palästina war für viele Juden ein Stein des Anstoßes. Denn nach wie vor ist der Tempel mit seinen täglichen Tieropfern der religiöse und politische Mittelpunkt der Gesellschaft. Und bei jedem der vielen Feste im Jahreslauf sind bestimmte Schlachtungen vorgeschrieben, und das Verzehren bestimmter Fleischstücke bei den Festmählern gilt nicht nur als Essgewohnheit, sondern als Gehorsam gegenüber einem Gott, der solches geboten haben soll. Deshalb zählt die tierfreundliche Lebensweise des Jakobus und der Urgemeinde als Abfall von Gott und seinen Geboten, ein Vorwurf, um dessentwillen Jakobus im Jahr 62 n.Chr. von Anhängern der Jerusalemer Priester durch Steinigung getötet wird. Sein Nachfolger Simeon, ein Cousin 250 von Jesus, bleibt dieser Lebensweise zum Wohl von Mitmenschen und Tieren aber treu, ebenso dessen Nachfolger Justus (ab 107) (Skriver, S. 15 f.). Man kann also davon ausgehen, dass die ersten Christen aus Liebe zu den Tieren deren Schlachtung und Verspeisung ablehnten. [42] 18.2 Maßhalten bei der Ernährung Top Man sollte nicht nur darauf achten, was man isst, sondern auch wieviel man isst. So verhindert man, den Magen zu überlasten. Dies gilt besonders für das Abendessen. Es sollte leicht sein, damit der Magen in der Nacht nicht allzu schwer belastet wird. Ein halber Liter Milch und einige Früchte sind ein gutes Abendessen. Bei einer normalen Mahlzeit sollte der Magen nur zur Hälfte gefüllt werden. Ein Viertel des Magens sollte mit reinem Wasser oder einem gesunden Getränk (z.B. Früchtetee oder Kräutertee) gefüllt sein. Das letzte Viertel des Magens sollte frei bleiben. Brahmacharins sollten diese Regel streng beachten. Man bedenke, dass in den buddhistischen Klöstern bereits um 10.30 Uhr zu Mittag gegessen wird. Nach 12 Uhr mittags sollten die Mönche den ganzen Tag nichts mehr essen. Gegen 17 Uhr gibt es eventuell noch einen Saft zu trinken. Ein Vielfraß kann nur davon träumen, ein Brahmachari zu werden. Die Kontrolle des Gaumens ist eine notwendige Voraussetzung, die Sinneslust zu kontrollieren, wenn man das Gelübde des Brahmacharya beachten möchte. Zuerst muss der Gaumen kontrolliert werden. Dann wird es leicht, die Leidenschaft zu kontrollieren. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Gaumen und den sexuellen Begierden. Der Gaumen und die Geschlechtsorgane sind miteinander verschwisterte Organe. Wenn der Gaumen mit anregender 251 Nahrung stimuliert wird, werden auch die Geschlechtsorgane angeregt. Darum sollte bei der Ernährung eine bewusste Auswahl und Begrenzung getroffen werden. Die Nahrung eines Brahmachari sollte einfach, schonend und mild gewürzt sein. Das Maßhalten bei der Ernährung ist sehr wichtig. Den Magen zu überfüllen ist in hohem Grade gesundheitsschädlich. Besonders der Verzehr von Früchten ist sehr vorteilhaft. Man sollte nur Essen, wenn man wirklich Hunger hat. Zum Frühstück empfehle ich Müsli. Ich persönlich bereite mir jeden Morgen ein Müsli aus Hafervollkornflocken, Gerstenvollkornflocken, Weizenvollkornflocken, Roggenvollkornflocken, Hirseflocken, Sojaflocken, Dinkelflocken, Reisflocken, Dinkelkleie, Weizenkleie, Haferkleie, Weizenkeime, Amaranth, Rosinen, Datteln, Aprikosen, Bienenhonig, Haselnüssen, Buchweizen, Kokosflocken, Cornflakes, verschiedenen Nussarten (Erdnüsse, Mandeln, Haselnüsse, Cashewnüsse, Walnüsse, Sonnenblumenkerne, Sesam, Buchweizen, Leinsamen), verschiedenen Trockenfrüchten (Sultaninen, Feigen, Datteln, Bananenchips, Birnen, Apfeldicksaft) und Biomilch zu. Alles Zutaten sind aus kontrolliert ökologischem Anbau. Dabei mische ich die Getreide-, Nuss- und Fruchtsorten nach Belieben. Ein Müsli sollte niemals saure Früchte (Äpfel, Karotten, Zitronen, Pflaumen, Orangen, Kiwis, Johannisbeeren) und raffinierten Zucker enthalten. Vollkorngetreide plus raffinierter Zucker ist Gift. Möchten man ein Müsli essen, dann sollte es nur fruchtsäurearme Früchte enthalten (Bananen, süße Aprikosen, Birnen, Datteln, Feigen, Weinbeeren, Rosinen, Papayas und reife Mangos) und außerdem sollte nichts Salziges dazu oder danach gegessen werden. Man sollte auch kein Salz 252 ins (ungekochte) Müsli streuen. Nach dem Müsli sollte man kein Käsebrot essen, denn dieses enthält ebenfalls Salz. Mit dem Essen von salzigen Lebensmitteln sollte man immer so lange warten, bis der Magen wieder leer ist und man wieder Hunger verspürt. Das sind nach einem normalen Müsli ungefähr vier Stunden. Die chinesische Ying-Yang-Philosophie empfiehlt allerdings kranken Menschen, sich überwiegend von gekochtem Vollkorngetreide (Haferflocken, aber auch Hirse, Gerste, Weizen, Dinkel, Roggen oder Reis) mit Meersalz (Himalayasalz) zu ernähren und nur wenig Flüssigkeit in Form von Getränken wie Wasser oder Tee zusätzlich zum gekochten Getreide aufzunehmen. 18.3 Wie man Pollutionen vermeidet Top Pollutionen entstehen durch feuchte Träume, also erotische Träume, die man im Schlaf hat und die von einem Orgasmus begleitet sind. Die Ursache dieser feuchten Träume kann sehr vielfältig sein. Sie können einerseits normal sein, da die entsprechenden Sexualorgane des Mannes mit Sexualsekreten aufgefüllt sind und in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen entleert werden, wenn er enthaltsam lebt. Feuchte Träume können aber auch durch eine ungesunde Ernährung entstehen. Ernährt man sich häufig von Fleisch, Fisch, Geflügel, Milchprodukten, Zwiebeln, Knoblauch, scharfen Gewürzen, Salz, Zucker, Schwarzem Tee, Kaffee und alkoholischen Getränken, so kann dies ebenfalls zu Pollutionen führen. Auf alle Fälle stellt jede Pollution eine Schwächung des Nervensystems dar. Nach einer Pollution ist der Mann meist sehr gereizt, depressiv, aggressiv, nervös und unkonzentriert. Alle oben beschriebenen Nahrungs- und Genussmittel reizen die Sexualität des Mannes, so dass er sich häufig in sexuelle 253 Wünsche und Gedanken vertieft. Dies führt oft zu übertriebenem Geschlechtsverkehr und zur Masturbation. Die Beschäftigung mit sexuellen Inhalten führt aber auch zu wollüstigen Träumen und damit verbundenen Pollutionen. Gelegentliche Pollutionen sind nicht ganz so dramatisch, da der Körper sich nach einigen Tagen wieder erholt. Häufigere Pollutionen führen allerdings zu Depressionen, Müdigkeit, Erschöpfung, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Konzentrationsschwierigkeiten und je nach Veranlagung zu vielen weiteren chronischen psychosomatischen Beschwerden. Der Samen wird außerdem dünnflüssig. Achte daher auf eine gesunde und maßvolle Ernährung. Die meisten Krankheiten entstehen durch Völlerei. Vermeide es vor allem, am späten Abend noch etwas zu essen. Das Abendessen sollte leicht verdaulich sein und nicht zu spät eingenommen werden. Danach sollte möglichst nichts mehr gegessen und getrunken werden. Man sollte möglichst keinen Knoblauch, keine Zwiebeln und keine scharfen Gewürze (Curry, Chili, Paprika, Cayennepfeffer) essen. Scharfe Gewürze machen den Samen wässrig und führen deshalb häufig zu Pollutionen. Stattdessen sollte man milde, nichtreizende und beruhigende Nahrung zu sich nehmen. Brahmacharis sollten selbstverständlich nicht rauchen und keinen Alkohol trinken. Sie sollten weder schwarzen Tee, noch Kaffee trinken und weder Fleisch, noch Geflügel oder Fisch essen. Stellt sich nachts Harndrang ein, dann sollte man sofort auf die Toilette gehen, um die Blase zu entleeren. Eine gefüllte Blase kann ebenfalls die Ursache für Pollutionen sein. Am besten entleert man deshalb die Blase, bevor man ins Bett geht. Auch eine Verstopfung kann die Ursache für feuchte Träume sein. Bei 254 einer Verstopfung und gefüllten Därmen findet ein Druck auf die Samenbläschen statt, die sich zwischen der Blase und dem Darm befinden. Die Samenbläschen enthalten zwar, entgegen früheren Annahmen, keine Spermien, aber sie produzieren ein alkalisches Sekret, welches immerhin zwischen 45 und 80 Prozent des Ejakulats ausmacht und reich an Fructose (Fruchtzucker) ist. Durch den Druck des Darms auf die Samenbläschen kann es zur Pollution kommen. 18.4 Fasten kontrolliert die Sinne Top Das Fasten kontrolliert die Leidenschaft. Es beseitigt die sexuelle Erregung, beruhigt die Emotionen und kontrolliert die Sinne. Das Hauptziel des Fastens besteht darin, den Geist zur Ruhe zu bringen. So lassen sich die Sinne besser beherrschen und der Brahmachari ist in der Lage, tiefer zu meditieren. Fasten regeneriert außerdem die Atmung, den Kreislauf, das Verdauungs- und Ausscheidungssystem. Es reinigt den Körper von allerlei Giften und beseitigt Ansammlungen von Harnsäure. Fasten macht den Menschen stark, sowohl geistig als auch spirituell. Leidenschaftliche junge Männer und Frauen sollten gelegentlich fasten. Es erweist sich als sehr vorteilhaft. Übertriebenes Fasten sollte allerdings vermieden werden. Im Hinduismus sind mehrere Fastentage bekannt. Der bekannteste Fastentag ist der Ekadasi (Ekadashi). In der vedischen Tradition nimmt das Ekadasi-Fasten eine besondere Stellung ein. Das Ekadasi-Fasten findet 2 mal im Monat, jeweils am 11. Tag nach Vollmond und am 11. Tag nach Neumond statt. An diesen Tagen sollten man sich nur von Obst und Milch ernähren. Da ich mir so etwas nicht merken kann, habe ich mich entschlossen, jeden Freitag einen Fastentag einzulegen. Dann esse ich zwar morgens ein wenig Müsli zum Frühstück, 255 faste aber am Rest des Tages. Hin und wieder trinke ich allerdings ein wenig. Das Fasten kontrolliert den Gaumen, den großen Feind der Enthaltsamkeit. Wenn du fastest, dann erlaube dem Verstand nicht, an köstliche Gerichte zu denken, weil du sonst keinen Erfolg beim Fasten haben wirst. Das Fasten regeneriert die Atemwege, den Kreislauf, das Verdauungssystem und die Harnwege. Es scheidet alle Verunreinigungen, Harnsäuren und Gifte des Körpers aus. So wie unreines Gold durch Schmelzen gereinigt wird, so wird der unreine Verstand durch Fasten gereinigt. Junge Brahmacharins sollten außerdem fasten, wenn sie von der Leidenschaft bedrängt werden. Du kannst während der Fastenzeit sehr gut meditieren, da der Verstand und die Sinne dann ruhig und gelassen sind. Dies wird dir Reinheit, Kraft und Stärke geben. Das Fasten ist eine der 10 wichtigsten Vorschriften des Yoga. Vermeide übertriebenes Fasten, denn dieses schadet nur der Gesundheit. Benutze deinen gesunden Menschenverstand. Die, die nicht in der Lage sind, einen ganzen Tag zu fasten, sollten neun oder zwölf Stunden lang fasten. Abends können sie dann etwas Milch und Früchte zu sich nehmen. Während des Fastens haben die Verdauungsorgane wie der Magen, die Leber und die Bauchspeicheldrüse Ruhe. Schlemmerer und unermüdliche Esser erlauben diesen Organen nicht, wenigstens einmal für ein paar Minuten zu ruhen. Folglich sind diese Organe häufiger krank. Diabetes (gestörte Insulinproduktion), Verdauungsstörungen und Hepatitis (Leberentzündungen) haben ihre Ursachen in der Überfettung. Neunzig Prozent aller Menschen essen mehr, als der Körper eigentlich braucht. Das Überessen ist zu einer Gewohnheit 256 geworden. Das hat sehr viele Krankheiten zur Folge. Gelegentliches Fasten ist sehr sinnvoll, um eine gute Gesundheit zu erhalten, die inneren Organe zu entlasten und Brahmacharya zu praktizieren. Krankheiten, die von den Medizinern mitunter als unheilbar eingestuft wurden, wurden oft durch Fasten kuriert. Das Fasten erzeugt Willensenergie und Ausdauer. Manu, das hinduistische Gesetzbuch, betrachtet das Fasten als ein Hilfsmittel, um sich von den fünf Todsünden (Gier, Hass, Unwissenheit, Stolz und Neid) zu befreien. Es ist sinnvoll, während des Fastens, entsprechend der Temperatur und Neigung, eine große Menge kaltes oder lauwarmes Wasser zu trinken. Es spült die Nieren, entfernt das Gift und alle Verunreinigungen des Körpers. Die, die zwei oder drei Tage fasten, sollten ihr Fasten nicht durch feste Nahrung unterbrechen. Sie sollten einen Fruchtsaft trinken, entweder Orangensaft oder Granatapfelsaft. Sie sollten den Saft in kleinen Schlücken trinken. Das Reinigen des Darmes bringt alle Giftstoffe, die sich seit Jahren im Darm abgelagert haben, nach außen. Ein reiner Darm nimmt die Vitamine und Mineralien wesentlich besser auf. Beginne am Anfang, einen Tag zu fasten. Dann erhöhe langsam die Anzahl der Tage, entsprechend deiner inneren Stärke. Es kann sein, dass du am Anfang eine leichte Schwäche fühlst. Der erste Tag kann sehr ermüdend sein. Am zweiten oder dritten Tag fühlst du dich sehr glücklich. Der Körper fühlt sich sehr leicht an. Während des Fastens fällt dir das geistige Arbeiten leichter. Die, die häufiger fasten, haben ihre Freude daran. Am ersten Tag möchte der Verstand dich auf vielfältige Art verleiten, etwas zu essen. Bleibe standhaft und trotze der Versuchung. Haben dich diese Zeilen zum Fasten ermutigt? Dann beginne sofort damit. 257 19. Die Geburtenkontrolle Top Spricht man über die Sexualität, dann kann die Geburtenkontrolle nicht unerwähnt bleiben. Besonders angesichts der hohen Zahl der Abtreibungen, die weltweit vorgenommen wird, stellt sich die Frage, wie man dieses Verhalten ethisch zu bewerten hat. Man bedenke, dass im Augenblick der Zeugung eines Menschen alle genetischen Informationen bereits in der DNA, der Trägerin der Erbinformation, vorhanden sind. Die Informationen der DNA sind auf denkbar kleinstem Raum, der viel kleiner als der Kopf einer Stecknadel ist, vorhanden. Diese geballten Informationen haben den Umfang von 500 engbeschriebenen Büchern, wobei jedes Buch mehr als 1.000 Seiten hat. Sämtliche Informationen, die zur Bildung eines Menschen erforderlich sind, sind also bereits im Augenblick der Zeugung vorhanden, egal ob sich sich dabei um die Farbe der Augen, um Informationen über den Körperbau, über die Haarfarbe oder über das Geschlecht handelt. Mit freundlicher Genehmigung von von soundwords.de, möchte einmal zitieren was der Schriftsteller Werner Mücher zur Abtreibung schreibt: „Bereits zwanzig Tage nach der Zeugung ist das Herz des Embryos bereits einen halben Milimeter groß und es beginnt zu schlagen. Damit ist also ein eigener geschlossener Blutkreislauf vorhanden. In dieser Zeit formen sich auch schon die Wirbelsäule und das Nervensystem. Außerdem bilden sich bereits die Nieren, die Leber und der Verdauungstrakt. Am 26. Tag entstehen die Ärmchen; erste Bewegungen finden statt. Am 28. Tag beginnen sich die Beinchen zu bilden. Am 30. Tag bildet sich das Gehirn (man hat bereits am 40. Tag Gehirnströme gemessen). Mit dem 30. Tag bilden sich die Gesichtszüge aus; Ohren, Nase und Lippen werden erkennbar. Ab dem 40. Tag beginnen 258 Muskelpakete mit dem Nervensystem zusammenzuarbeiten. Am 50. Tag sind die Zahnkeime aller zwanzig Milchzähne vorhanden. Die Fingerabdrücke, einmalig in ihrer Art, sind ausgebildet. Außerdem ist das Geschmacks- und Geruchssystem angelegt. Nun befinden sich ebenfalls die Blutgefäße an Ort und Stelle. Nach 60 Tagen ist der Mensch mit all seinen Gliedern und Organen fertig geformt. Was sich in den nun folgenden Monaten lediglich noch verändert, ist die Größe des Menschen. Er wächst heran. Dennoch haben viele Menschen keine Achtung vor dem ungeborenen Leben. Sie werfen es achtlos weg. Es gibt Schätzungen, wonach in Deutschland jährlich 500.000 Abtreibungen durchgeführt werden, weltweit sollen es sogar 50 Millionen sein, etwa so viele, wie Menschen im 2. Weltkrieg umgekommen sind. Das ist eine erschreckende Bilanz. Wenn Ehe und Familie in einem Volk nicht mehr geachtet werden, dann ist der sittliche Niedergang der Gesellschaft die unausweichliche Folge. (Darauf möchte ich nachher noch eingehen. Die Abtreibung wird medizinisch als Schwangerschaftsabbruch bezeichnet. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 2007 in Deutschland 117.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Zwischen 2000 und 2007 ging die Anzahl der Lebendgeborenen und der Schwangerschaftsabbrüche kontinuierlich zurück. Das Verhältnis der Lebendgeburten zu den Schwangerschaftsabbrüchen blieb dabei nahezu konstant, bei etwa 18 %.) Damit kommen wir zu der Frage, ob Abtreibung Mord ist. Ohne Wenn und Aber müssen wir diese Frage ganz deutlich bejahen. Sicher ist dieses harte Urteil für manchen unangenehm, zumal in den Medien ständig das Gegenteil behauptet wird. Aber auch eine tausendfach vorgetragene Lüge 259 wird durch die Menge der Wiederholungen nicht zur Wahrheit. Wir brauchen sicher keine Demonstrationen gegen Abtreibung zu organisieren. Kommt aber das Thema in unserer Gegenwart auf den Tisch, dann wollen auch wir immer und immer wieder die ganze Wahrheit sagen: Abtreibung ist Mord.“ [43] Soweit also die Stellungnahme Werner Müchers. Manche Menschen argumentieren in der Weise, dass es sich keineswegs um Mord handeln kann, da der Fötus im Mutterleib juristisch gesehen noch nicht als Mensch bezeichnet werden kann. Nach § 211 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist ein Mord nur an einem Menschen möglich. Nach rechtswissenschaftlicher Definition entsteht ein Mensch aber erst durch die Geburt. Da es sich bei der Abtreibung um einen Fötus (Embryo) handelt, welcher noch im Bauch der Mutter ist, besitzt dieser Embryo juristisch gesehen noch nicht den Status eines Menschen. Somit kann die Abtreibung juristisch gesehen nicht als Mord bezeichnet werden. Dieses ist juristisch gesehen sicherlich richtig. Aber wir sollten bedenken, dass die Definition des Menschen willkürlich gewählt ist. Mit der gleichen Berechtigung könnte man bereits dem soeben gezeugten Embryo den Status eines Menschen anerkennen. Auch befreit uns die juristische Definition nicht davor, dass die letzte Entscheidung über eine Abtreibung durch das Gewissen entschieden werden sollte. Ich möchte nur einmal daran erinnern, dass auch den Soldaten in einem Kriegsfall das Töten erlaubt ist. Deshalb wurden mehrfach Menschen wegen der Aussage „Soldaten sind Mörder“ verurteilt. 1995 wies das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidungen jedoch zurück und sprach die Menschen frei. Sicherlich muss man bei der Abtreibung jeden Fall sehr individuell betrachten. Es stellt sich also die Frage, wann ist eine Abtreibung berechtigt und wann nicht? Wichtig ist dabei, 260 dass alle Interessen berücksichtigt werden, auch die Interessen des ungeborenen Kindes. Und selbst wenn dieses ungeborene Kind juristisch gesehen nicht dieselben Rechte besitzt, wie die übrigen Beteiligten, so liegt es doch in unserer ethischen Verantwortung, die Rechte des ungeborenen Kindes ebenso wahrzunehmen. Nach einer Diskussion in einem Internetforum war ich doch sehr erschrocken darüber, dass viele Menschen die Rechte dieses ungeborenen Kindes kaum zur Kenntnis nehmen. In erster Linie wird die Abtreibung gerechtfertigt, über Adoption wird oft nicht einmal nachgedacht. Was spricht eigentlich dagegen, das ungewollte Kind auszutragen, um es anschließend zur Adoption freizugeben? Es gibt eine Menge junger Paare, die sich sehr über solch ein Kind freuen würden. Ich weiß, dass dieser Weg für die leibliche Mutter kein leichter Weg ist, aber ich glaube, dass dieser Weg immer noch sinnvoller ist, als das eigene Kind abzutreiben. Denn jede Abtreibung belastet die Mutter des Kindes meist ein Leben lang. Ich habe lange über die Abtreibung nachgedacht und es fiel mir schwer, Gründe zu finden, die eine Abtreibung wirklich rechtfertigen. Den einzigen Grund, den ich wirklich akzeptieren kann, ist der Fall, in dem medizinische Gründe vorliegen, bei dem das Leben der Mutter gefährdet ist. In einem solchen Fall ist eine Abtreibung sicherlich unvermeidlich. Eine Vergewaltigung rechtfertigt für mich keine Abtreibung, da auch dieses Kind ein Recht auf Leben hat. Wenn man dieses Kind nicht selber aufziehen möchte, dann ist es besser, es zur Adoption freizugeben, als es abtreiben zu lassen. Wenn man über Abtreibung spricht, dann sollte man sich vielleicht auch einmal ansehen, wie diese Abtreibungen heute vorgenommen werden. Die Absaug-Methode ist die häufigste Form der Abtreibung. Durch den erweiterten Muttermund führt 261 der Arzt einen flexiblen Plastikschlauch in die Gebärmutter ein. Das Kind wird durch einen starken Sog, der die zehn- bis dreißigfache Kraft eines Staubsaugers hat, in Stücke gerissen. Zuerst werden die Arme und Beine vom Körper getrennt, dann der Rumpf vom Kopf. Da der Kopf zu groß ist, um durch den Plastikschlauch zu passen, knackt ihn der Arzt mit Spezialinstrumenten wie eine Nuß und saugt die Bruchstücke einzeln ab in ein Gefäß. Der zerfetzte Körper des Kindes wird anschließend im Verbrennungsofen verbrannt. Der Gynäkologe Dr. Bernard Nathanson war zwei Jahre lang Direktor der größten Abtreibungsklinik der Welt in New York. Nach 75.000 Abtreibungen gab er seine Tätigkeit auf und bekennt: „Als Wissenschaftler weiß ich, ich glaube nicht, ich weiß, daß das menschliche Leben bei der Empfängnis beginnt. Obwohl ich formal nicht religiös bin, glaube ich von ganzem Herzen, daß es eine göttliche Existenz gibt, die von uns verlangt, diesem unendlich traurigen und unsagbar schändlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein endgültiges und unwiderrufliches „Halt“ zu gebieten.“ In seinem Film „The silent scream“ (Der stumme Schrei) zeigt Dr. Nathanson eine Abtreibung durch die Absaugmethode. [44] Man kann sich den Film übrigens auf der Webseite von lebensgeschichten.org [45] anschauen. 19.1 Selbstbeherrschung oder Verhütung? Top Swami Sivananda sagte einmal: „Wenn du empfängnisverhütende Mittel benutzt, lernst du niemals Selbstbeherrschung zu üben. Wer empfängnisverhütende Mittel benutzt, ist ein unmoralischer Mensch. Lerne die Tugend der Selbstbeherrschung. Der Gebrauch von Verhütungsmitteln kann deine Energie schwächen. Es schwächt alle Zurückhaltungen. Es gibt einen engen Zusammenhang 262 zwischen dem sexuellen Verlangen und der Kontrolle des Gaumens. Der, der den Gaumen kontrolliert, kontrolliert auch alle anderen Organe. Reine (gesunde) Nahrung, macht die Praxis des Brahmacharya einfach. Keuschheit ist nicht schädlich. Es bewahrt die Nervenstärke, verleiht große Geisteskräfte und Frieden des Verstandes. Sexuelle Nachgiebigkeit führt zu moralischem und spirituellem Bankrott, zu vorzeitigem Tod, nervöser Schwäche und Verlust der Fähigkeiten, der Talente und des Leistungsvermögens. Das indische Gesetzbuch, die Manu (die Manusmriti12), das als ein von Lehrern überlieferter Text gilt, sagt: „Das erstgeborene Kind wird vom Dharma (durch die Moral), die anderen Kinder vom Karma, von der Sinneslust, gezeugt. Der sexuelle Akt allein zum Vergnügen ist nicht vertretbar.“ Sinnliche Leidenschaft ist keine wirkliche Liebe. Es ist nur eine Verblendung, die von der Unwissenheit getragen wird. Du tust gottlose Handlungen und tötest deine Seele wegen deiner Leidenschaften.“ 12Die Manusmriti gehört zur Textgruppe der Smritis, die als von Lehrern überlieferte Texte gelten. Im Gegensatz dazu gibt es die Shrutis, die zeitlosen Offenbarungen, welche die Rishis, die Weisen, direkt (vom Göttlichen) „gehört“ haben, und denen eine höhere Autorität zukommt. Die Manusmriti ist nicht als Gesetzbuch im juristischen, sondern im normativen Sinne zu verstehen. Sie zeigen auf, wie das soziale und religiöse Leben sein sollte und was daraus folgend nicht erstrebenswert ist. Der Text gibt die Perspektive der Brahmanen (Priester) wieder. Die Entstehungszeit setzt man zwischen 200 v.Chr und 200 n.Chr. an. Die vedischen Schriften schrieben den Menschen die Praxis des Zölibats vor. Heirateten die Menschen, dann wurden sie 263 nicht um des körperlichen Vergnügens intim, sondern um der Nachkommen willen. Selbstbeherrschung gab ihnen moralische Stärke und ermöglichte spirituellen Fortschritt. Durch Selbstbeherrschung erzielten sie ethische Vervollkommnung und verbesserten ihren Intellekt. Das indische Schulsystem wurde dadurch bestimmt, dass die Schüler bereits als Kinder von einem Guru unterrichtet wurden. Jungen und Mädchen der drei oberen Kasten wurden bereits im Kindesalter zum Brahmacharya angeleitet und wuchsen mit dem Bewusstsein der 4 Lebensstadien auf. So wurden etwa 30 Prozent aller Kinder von einem Guru im spirituellen Sinne erzogen. Dadurch dass diese Entwicklung über viele Jahrhunderte praktiziert wurde, wurde das Brahmacharya von der ganzen Bevölkerung praktiziert oder zumindest von sehr großen Teilen der Bevölkerung. Das Brahmacharya wurde zudem in den vedischen Schriften beschrieben und von den Brahmanen (Priestern) gelehrt. Die vier Lebensstadien des Hinduismus: 1. Brahmachari = Schüler: 10/14 bis 20/25 Jahre 2. Grihastya = Berufs- und Familienleben: 20/25 bis 50/60 Jahre 3. Vanaprastha = Vorruhestand: 50/60 bis 70/75 Jahre 4. Sannyas = Einsiedler: 70/75 Jahre bis zum Tod Swami Sivananda sagt hierzu: „Es gibt keine sicherere und bessere Lösung für die Bevölkerungskontrolle als die Praxis der Selbstbeherrschung. Keine Geburtsklinik und keine künstliche Verhütungsmethode kann die Bevölkerungsentwicklung so effektiv regeln, wie das durch seinen traditionellen Hintergrund in der Spiritualität getränkte Brahmacharya. Keine andere Methode der Empfängnisverhütung kann moralisch und spirituell so 264 erfolgreich sein, wie die Selbstbeherrschung. Weder in Indien noch anderswo in der Welt.“ Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte gibt Swami Sivananda recht. Dort wo einst in der indischen Kultur die Selbstbeherrschung als natürliche Geburtenkontrolle bestand, gingen unter dem Einfluß der westlichen Zivilisation viele traditionelle ehtische und moralische Werte verloren. Die Menschen gaben ihre Zurückhaltung auf und verloren sich in der sexuellen Gier. Dies führte im Laufe der Jahrzehnte zu einer Bevölkerungsexplosion, wie die Welt sie bisher nicht kannte. Mittlerweile leben über 6 Milliarden Menschen auf der Erde. In 30 bis bis 50 Jahren werden es vermutlich über 9 Milliarden Menschen sein. Wie man heute sehen kann, hat die Orientierung am westlichen Lebensstandard dahin geführt, dass die Menschen weitgehend jedes ernsthafte spirituelle Streben aus den Augen verloren haben und wir mittlerweile von einer Bevölkerungsexplosion sprechen. Was das für wirtschaftliche, ökologische, soziale und gesellschaftliche Probleme mit sich bringt, ist den meisten Menschen überhaupt noch nicht bewusst. Allein die ökologischen Folgen werden verheerend sein. Wenn man glaubt, man könne den westlichen Lebensstandart ohne weiteres auf China, Indien, Brasilien und andere aufstrebende Entwicklungsländer übertragen, dann bedenkt man dabei nicht, welche Folgen dies mit sich bringt. Solche Vorstellungen sind lediglich am kurzfristigen Profit orientiert. Langfristig aber wird es zu Verteilungskämpfen, zu Bevölkerungswanderungen und kriegerischen Auseinandersetzungen um Energie, Wasser, Rohstoffe und Nahrungsmittel kommen, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. 265 Wir sollten einmal darüber nachzudenken, ob wir nicht etwas bescheidener leben sollten? Bereits heute werden mehr Nahrungsmittel und Energie verbraucht, als überhaupt nachwachsen kann. Dies ist gut zu erkennen an der Überfischung der Meere. Bei den Energien verbrauchen wir Ressourcen aus der Vergangenheit, wie Kohle, Erdöl und Erdgas, ohne an unsere Nachkommen zu denken. In 30 bis 50 Jahren werden die Meere leergefischt sein und es wird ein weltweiter Kampf um Nahrungsmittel stattfinden. In absehbarer Zeit wird es auch die ersten Engpässe beim Öl geben. Würde man kein Öl mehr finden und würde der Verbrauch auf dem aktuellen Niveau bleiben, könnten wir noch annähernd 50 Jahre Öl verbrauchen. Danach wäre das Ölzeitalter definitiv beendet. Und trotzdem verbrauchen wir das Öl so verschwenderisch, als hätten wir davon im Überfluss. Das alles sind die Folgen der fehlenden Selbstbeherrschung des Menschen, die uns nun vor Probleme stellt, die immer noch ignoriert werden. In Indien war es Mahatma Gandhi, der zum ersten Mal eine unbeugsame Opposition gegen den Gebrauch der empfängnisverhütenden Mittel für die Familienplanung organisierte, als künstliche Verhütungsmethoden für Verheiratete frei gegeben wurden, und Unverheiratete ermutigt wurden, den Weg der Selbstbeherrschung zu verlassen, um ihren vulgären Leidenschaften zu frönen. Gandhi sagte: „Wenn die ländliche Bevölkerung Brahmacharya praktiziert, dann kann sie dadurch die Größe ihrer Familie besser kontrollieren, als durch den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel. Künstliche Verhütung ist wie das Aussetzen einer Prämie auf das Laster der Wollust.“ 266 Wenn sich die Idee durchgesetzt hat, dass das Sexualorgan ausschließlich der Zeugung dient, besitzen Männer und Frauen das Wissen, dass jede andere sexuelle Handlung eine Vergeudung lebenswichtiger Energien darstellt. Es ist jetzt einfach, zu verstehen, warum die Weisen von einst diese Werte vermittelten und großen Wert auf die Keuschheit legten. Die lebenswichtige sexuelle Energie sollte in höhere spirituelle Energie umgewandelt werden, die der ganzen Gesellschaft zugute kommt. Die Weisen von einst verkündeten mutig, dass derjenige, der perfekte Kontrolle über die sexuelle Energie erlangt, eine enorme Vitalität erlangt, körperlich, geistig und spirituell. Er erlangt Energien, die durch andere Möglichkeiten nicht erreichbar sind. Die Selbstbeherrschung vermeidet nicht nur die Abtreibung, sondern gibt den Menschen die Möglichkeit ihre sexuellen Energien zu sublimieren und ein glückliches und erfolgreiches Leben zu führen. 267 20. 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