Parodontologie und Implantologie

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Inhalt
Inhalt
5 Parodontologie in der Zahnheilkunde. . . . . . . . . . . . . . . . .167
Parodontologie und Implantologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .168
Implantologische Versorgung von Patienten mit einer Parodontitis marginalis . 168
Periimplantitis aus parodontologischer Sicht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .171
Parodontologie und Prothetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .174
Prothetische Versorgungen bei parodontal erkrankten Patienten. . . . . . . . . . . .174
Prothetisch-technische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .185
Parodontologie und Endodontie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Parodontologie und Kieferorthopädie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Wachstumsmechanismen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Zahnbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .193
Behandlungsgrenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .194
Interdisziplinäre Behandlungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .196
Parodontologie und Funktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Parodont und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Parafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
Funktion und Einschleifmaßnahmen im parodontal erkrankten Gebiss. . . . . . 202
Muskelerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Kiefererkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Parodontologie und Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209
Ästhetische Planung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209
Verschiedene Verfahren ästhetischer Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .210
167
5
Parodontologie in
der Zahnheilkunde
168
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Parodontologie und
Implantologie
Implantologische Versorgung von Patienten
mit einer Parodontitis marginalis
Vorgehen
Im Rahmen eines Gesamtsanierungskonzeptes kann es notwendig
werden, bei einem parodontal erkrankten Patienten Implantationen
vorzunehmen. Grundsätzlich sollte die Parodontalbehandlung vor der
implantologischen Versorgung erfolgen. Es erfolgen die allgemeine
Mundhöhlenuntersuchung mit einer eingehenden parodontalen Untersuchung mit Aufnahme des Parodontalstatus und die Anfertigung von
Röntgenaufnahmen als OPG und auch als Einzelbildstatus nach der
Rechtwinkeltechnik. New-Tom-Aufnahmen sind nur in einigen Fällen
indiziert. Abschließend erfolgt die Behandlungsplanung, wobei primär
die parodontale Initialtherapie mit einer mikrobiologischen Untersuchung und Analyse der gramnegativen anaeroben periopathogenen
Keime erfolgt. Anschließend wird das Restgebiss unter einer antibiotischen Therapie parodontologisch saniert.
Patientenauswahl
Kriterien
Vorgehen
Berücksichtigt werden sollten Motivation, Kooperation, manuelle
Geschicklichkeit, aber auch Lebensalter, eventuell vorliegende Allgemeinerkrankungen oder eine Prothesenintoleranz. Patienten mit extrem schlechter Compliance, die auch unter Anleitung nicht zu einer
besseren Mundhygiene finden, sowie starke Raucher (ab sechs
Zigaretten pro Tag) sollten von der Implantation ausgeschlossen werden. Liegt trotz der guten Kooperation des Patienten eine parodontale
Erkrankung vor, wird zuerst eine parodontale Sanierung durchgeführt.
Nach deren Abschluss wird der Patient einer systematischen Nachsorge unterzogen. Nach einer Evaluationszeit sowie dem Abwarten
der Heilungszeit von rund sechs Monaten kann implantiert werden,
wobei nichts dagegen spricht, bei parodontal sanierten Patienten auch
Parodontologie und Implantologie
umfangreichere implantologische Behandlungen wie beispielsweise
Knochenaufbauten oder Sinuslift durchzuführen (Abb. 42 und 43).
169
Sinuslift
Vor der parodontalen Sanierung sollten die periopathogenen Keime
(Bacillus actinomycetemcomitans, Porphyromonas gingivalis, Prevotella intermedia, Bacteriodes forsythus) bestimmt werden, die auch für
die Implantation wichtig sind. Zur Bestimmung können Gensondentests wie beispielsweise Heimdiagnostika, Pathotest® oder MeridolDNS-Sondentest® eingesetzt werden. Die Parodontalbehandlung erfolgt chirurgisch oder konservativ unter Elimination aller parodontalen
Taschen und unter Durchführung einer Antibiose (siehe auch »Antibiotika« S. 132 ff.).
Bestimmung
periopathogener
Keime
Einen wichtigen Bereich bildet bei parodontal und implantatversorgten
Patienten die Nachsorgesitzung, die in einem Intervall von drei Monaten zu empfehlen ist. Hier sollte eine parodontale und periimplantäre
Befunderhebung mit Sondiertiefen sowie Blutungs- und Plaqueindizes
erfolgen. Alle zwei Jahre werden Bissflügelaufnahmen angefertigt, um
eventuelle Veränderungen am Implantathals feststellen zu können und
um zu sehen, ob die Osseointegration noch vollständig ist. Alle vier
Jahre wird ein OPG zur Kontrolle angefertigt.
Nachsorge
Eine zusätzliche Möglichkeit zur Feststellung der Beweglichkeitsmessung bei Implantaten ist das Periotest®-Gerät. Die Säuberung der
Implantate erfolgt durch Scaling mit Plastikscalern, die Reinigung der
Implantatoberflächen mit Superfloss, eventuell einer nicht abrasiven
Polierpaste und der Irrigation mit antiseptischen Lösungen (0,2%iges
Chlorhexidin). Eine subimplantäre Irrigation erfolgt nur bei Entzündungsprozessen. Wichtig ist, dass die Implantathälse nicht mit metallischen Instrumenten und auch nicht mit Ultraschall bearbeitet werden.
Bei der Verwendung von rotierenden Bürsten sollte eine nichtabrasive
Polierpaste verwendet werden. Die Sondierung sollte um jedes Implantat herum sanft oder mit Plastikparodontalsonden erfolgen.
Beweglichkeitsmessung
In der implantologischen Nachsorge kann es eventuell erforderlich
sein, bei einer verschraubten Struktur die implantologische Suprakonstruktion zu entfernen, eine Reinigung der Suprakonstruktion durch-
Parodontalbehandlung
Praxistipp
170
Parodontologie in der Zahnheilkunde
zuführen und die Schraubverbindung wieder zu befestigen (Lange
2003).
Abb. 42a
Klinische Ausgangssituation:
generalisierte Parodontitis
mit ca. 20 Jahre alter prothetischer Versorgung
Abb. 42b
Klinische Versorgung. Herausnehmbarer Zahnersatz
ist nicht eingegliedert.
Abb. 42c
Versorgung: Konusarbeit im
Unterkiefer, festsitzende Versorgung im Oberkiefer mit
Implantaten 15/16.
Parodontologie und Implantologie
171
Abb. 43a
OPG der Ausgangssituation
Abb. 43b
OPG der Endsituation:
Interner Sinuslift 15/16
Periimplantitis aus parodontologischer Sicht
Die Diagnostik der Periimplantitis erfolgt durch Sondierung, wobei es
zu einer Blutung kommt und höhere Sondierungstiefen festgestellt
werden. Eventuell zeigt sich auch eine Mobilität der Implantate.
Außerdem werden Röntgenaufnahmen in der Rechtwinkeltechnik
angefertigt, auch eine im Rahmen der Nachsorge erstellte Bissflügelaufnahme kann erste Hinweise auf eine Periimplantitis geben.
Anschließend sollte eine bakteriologische Identifizierung der in den
entsprechenden Taschen vorhandenen pathogenen Mikroorganismen
durchgeführt werden (Abb. 44).
Diagnostik
172
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Abb. 44
Periimplantitis Implantat 46
Ätiologie
Einerseits kann die Periimplantitis durch oralhygienische Probleme wie
eine ungenügende Mundhygiene des Patienten, aber auch durch eine
Überkonturierung von Suprakonstruktionen hervorgerufen werden.
Auch Parodontalerkrankungen, die vor der Implantation unbehandelt
blieben, können zu einer Periimplantitis führen. Weiterhin können sich
an den Nachbarzähnen parodontale Probleme entwickeln und die
Mikroorganismen, die sich in den Taschen befinden, auf die Implantate
übergreifen. Die mikrobielle Flora der Periimplantitis ist übereinstimmend mit der periopathogenen Flora parodontaler Taschen.
Therapie
Konservative
Therapie
Es erfolgt eine primäre Identifizierung der periopathogenen Mikroorganismen, besonders des Actinomycetemcomitans, der in der Regel
überwiegt. Anschließend erfolgt unter einer Therapie mit 0,2%iger
Chlorhexidinlösung supragingival und einer subgingivalen Irrigation
mit PVP-Jod ein Deep Scaling und Rootplaning mit Plastikscalern.
Wenn es notwendig sein sollte, erfolgt eine subgingivale Weichgewebskürettage. Bei einem positiven Actinomycetemcomitans-Befund
wird eine gleichzeitige Antibiotikatherapie durchgeführt; Amoxicillin
bzw. eine Kombination von Amoxicillin und Metronidazol ist hier
besonders wirksam. Durch die Behandlung sollen die Gewebsdestruktion um das Implantat und eine weitere Lyse des Knochens so
schnell wie möglich unterbrochen werden.
Parodontologie und Implantologie
Das Implantat wird unter Bildung eines Mukoperiostlappens freigelegt.
Nach Kürettage und Entfernung von Granulationsgewebe kann die
Implantatoberfläche mit konzentrierter Zitronensäure, mit einem
Pulverstrahlgerät oder mit dem Vector® gesäubert werden. Sollte der
Knochen nach der Kürettage nicht bluten, werden Blutungspunkte
gesetzt. Tiefe Knochentaschen können mit autologem Knochen oder
Knochenersatzmaterial – wir verwenden BioOss® – aufgefüllt werden.
Eventuell ist eine Abdeckung mit einer Membran erforderlich. Parallel
dazu erfolgt eine antimikrobielle Behandlung.
173
Operative Revision
174
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Parodontologie und Prothetik
Prothetische Versorgung bei parodontal
erkrankten Patienten
Bei der prothetischen Versorgung eines parodontal geschädigten Gebisses muss ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen des Patienten und den Möglichkeiten des Behandelnden gefunden werden.
Dabei sind zahnmedizinische Notwendigkeit und Option des Zahnarztes hinsichtlich seiner Möglichkeiten und die Wünsche des
Patienten untereinander abzuwägen.
Chronische
Parodontitis
Extraktion bei ständiger Reinfektion
Erhaltungswürdigkeit der Zähne
Definitive Planung
Die chronische Parodontitis ist – leider – meistens durch fehlende
Schmerzen und durch eine relative Beschwerdefreiheit geprägt. Die
Patienten werden erst durch deutlich sichtbare und spürbare Befunde
wie Zahnlockerung und Wanderung der Zähne, häufiges Zahnfleischbluten, Foetor ex ore und ähnliche Anzeichen auf eine mögliche
Parodontalerkrankung aufmerksam gemacht. Bei der Vorstellung in
einer parodontologischen Praxis ist es deshalb häufig für einige stark
betroffene Zähne schon (fast) zu spät, um in eine erfolgversprechende
Therapie integriert zu werden, da solche »hoffnungslosen Zähne« mit
den sie umgebenden Taschen ein Keimreservoir darstellen, aus dem
sich eine ständige Reinfektion entwickelt. Sie sollten daher initial einer
systematischen Parodontaltherapie extrahiert werden.
Damit ergibt sich für den Behandelnden zugleich die Notwendigkeit,
die durch die Entfernung der Zähne entstandenen Lücken mit provisorischen Versorgungen zu schließen, um dem Patienten Kauvermögen
und Ästhetik zu erhalten. Der Zahnarzt muss also zu Behandlungsbeginn klären und entscheiden, welche Zähne sicher zu erhalten, welche fraglich und welche nicht zu erhalten sind. Erst nach weiteren
Zwischenplanungen im Verlauf der parodontalen, endodontischen und
chirurgischen Vorbehandlungen wird es möglich sein, eine definitive
Planung für eine permanente Restauration durchzuführen, wenn man
sich über die mittelfristige Prognose der verbliebenen Zähne Klarheit
verschafft hat. Die folgenden beiden Gesichtspunkte erläutern und
Parodontologie und Prothetik
175
verdeutlichen, weshalb es bei der prothetischen Versorgung parodontal erkrankter Patienten spezielle Aspekte zu beachten gilt:
Wenn bereits ein Zahnverlust durch eine Parodontitis eingetreten ist,
dann haben in aller Regel auch die im Mund verbliebenen Zähne einen
erheblichen Attachmentverlust erlitten. Sie können deshalb oft nicht
mehr in herkömmlicher Weise als Brückenpfeiler oder strategische
Pfeiler herangezogen werden. Man wird in solchen Fällen vielmehr
eine prothetische Lösung wählen, bei der die okklusalen und funktionellen Kräfte auf möglichst viele Zähne verteilt werden.
Die Erfahrung zeigt, dass der jemals an Parodontitis erkrankte und
durch Behandlung wieder gesundete Patient weiterhin eine hohe Affinität für diese Erkrankung zeigt. Daher ist eine einmalige Parodontalbehandlung ohne eine sich anschließende, engmaschige und konsequente Nachsorge wenig sinnvoll (siehe »Nachsorge« S. 156 ff.).
Bei prothetischen Restaurationen ergeben sich demnach folgende
parodontale Problemzonen:
■
Festsitzender Zahnersatz:
- Kronenränder und Kronenrandlokalisation
- Kronendesign
- Interdentalraumgestaltung
- intrakoronale Geschiebe
- Zwischenglieddesign und
- Verblockungen
■
Herausnehmbarer Zahnersatz
- Verbindungs- und Halteelemente sowie
- Übergangsbereich zum festsitzenden Zahnersatz
Während das Kronendesign, die Kronenrandlokalisation, die Interdentalraumgestaltung sowie die Zwischengliedgestaltung eine unmittelbare Wirkung auf das marginale Parodont haben können, wird das
Parodont im weiteren Sinne sekundär ungünstig beeinflusst durch eine
fehlerhafte Okklusion und Funktion sowie durch nichtindizierte
Verblockungsmaßnahmen. Daneben können die Gestaltung der Ver-
Hohe Pfeilerzahl
Rezidivgefahr
Konsequente
Nachsorge
!
Sekundär
ungünstige
Faktoren
176
Parodontologie in der Zahnheilkunde
bindungselemente, die Ausgestaltung des dem Zahnersatz benachbarten Interdentalraums sowie auch die Gestaltung und Kontrolle des
schleimhautgetragenen Teils des Zahnersatzes für den herausnehmbaren Zahnersatz von Bedeutung sein.
Kronendesign im Randbereich
Unterkonturierung
Flächige
approximale
Kontaktpunkte
Die Art des Kronendesigns in der Höhe des Gingivasaums hat eine
unmittelbare Bedeutung für die benachbarte Gingiva. Unter allen
Umständen muss hier eine Überkonturierung, insbesondere der oralen
oder vestibulären Schmelzwülste vermieden werden, da sie die Gingiva nicht vor Plaque schützt, sondern vielmehr eine Plagueanlagerung
induziert. Dagegen führt eine Unterkonturierung nicht zu einer Schädigung der umgebenden Gingiva. Die approximalen Flächen müssen
so gestaltet sein, dass sie der konkaven Form der Gingiva genügend
Raum lassen; aus funktionellen Gesichtspunkten sollten im Seitenzahnbereich flächige approximale Kontaktpunkte aufgebaut werden.
Der Kronenrand bei furkationsbefallenen Zähnen oder starken nierenförmigen Einziehungen der Wurzeloberflächen muss einer entsprechend eingezogenen Randgestaltung Rechnung tragen beziehungsweise ist in diesen Bereichen eine leichte vertikale Konkavität vorzuziehen.
Kronenrandlokalisation
!
Subgingivaler Kronenrand
Für einen subgingivalen Kronenrand nach Gernet und Mitteldorf
(1984) sowie Löst (1989) sprechen folgende Situationen:
■
nach subgingival reichende Karies bzw. durch frühere Kronen
vorgegebene subgingivale Präparationsränder
■
Zahnfrakturen
■
ästhetische Aspekte
■
hohe Kariesaktivität im Zusammenhang mit und/oder mangelnder Mundhygiene
Fortsetzung auf der nächsten Seite ➯
Parodontologie und Prothetik
177
➯ Fortsetzung von der vorherigen Seite
■
■
zu kurze klinische Retentionslänge
übersensible Zahnhälse
Vorgegebene subgingivale Präparationsgrenzen
Eine durch eine frühere Restauration vorgegebene subgingivale Präparationsgrenze erfordert bei etwa einem Drittel der neu angefertigten
Kronen eine Übernahme dieser Kronenrandlokalisation. Sicherlich
stellt jeder subgingivale Restaurationsrand eine Reizung für die umgebende Gingiva dar, allerdings folgt daraus nicht zwangsläufig ein
Rezidiv für eine marginale Parodontitis. Die Kronenrandqualität ist hier
stärker zu gewichten als seine Lokalisation. Bei »perfekter Gestaltung
der Restaurationsränder« kommt es zu keinen Veränderungen in der
Mikroflora und klinischen Entzündungen (Lang et al. 1983), sodass
auch ein subgingivaler Kronenrand toleriert werden kann (Ramfjord et
al. 1989). Die individuelle und effektiv abgestimmte Mundhygiene
spielt hier eine große Rolle. Für die Bildung der mikrobiellen Plaque hat
der Befestigungswerkstoff nach heutiger Einschätzung hier eine untergeordnete Bedeutung.
Zahnfrakturen
Die Lokalisation der Frakturlinie bei schräg nach apikal verlaufenden
Zahnfrakturen fordert zwangsläufig eine subgingivale Kronenpräparation. Da solche Frakturen oftmals bei wurzelbehandelten Zähnen
vorkommen oder nach Frakturen endodontische Maßnahmen notwendig werden, sollte auch an die Möglichkeit einer forcierten Elongation
gedacht werden, um die Präparationsgrenze supragingival zu lokalisieren (siehe auch »Parodontologie und Kieferorthopädie« S. 192 ff.).
Ästhetische Aspekte
Bei der Neuanfertigung einer Restauration insbesondere im sichtbaren
Oberkieferfrontzahnbereich ist es für den Patienten wichtig, dass die
Kronenränder subgingival liegen. Demgegenüber steht für den behandelnden Zahnarzt die Entzündungsfreiheit im Vordergrund. In solchen
Fällen ist zu klären und gemeinsam mit dem Patienten zu überlegen,
ob eine subgingivale Kronenrandlokalisation aus ästhetischen Überle-
Kronenrandqualität
Forcierte
Elongation
Entzündungsfreiheit
178
Parodontologie in der Zahnheilkunde
gungen wirklich notwendig ist (Lachlinie) oder ob die zahntechnische
Ausführung mit Keramikschultern nicht doch eine supragingivale
Kronenrandlokalisation ermöglichen kann.
Keramikschulter
Viele Patienten sind nach einer umfangreichen Parodontalbehandlung
weitgehend doch so motiviert, dass sie auf ästhetische Einbußen verzichten, um den Behandlungserfolg nicht in Frage zu stellen. Die Gestaltung der Kronen mit Keramikschultern ist natürlich nur dann möglich, wenn der Zahnarzt als Präparationsform im sichtbaren Bereich
eine ausreichend breite Stufe gewählt hat. Darüber hinaus werden
heute die Restaurationen aus ästhetischen Gründen in vielen Fällen
mit vollkeramischen Systemen durchgeführt.
Hohe Kariesaktivität und mangelnde Mundhygiene
Wenn auch in Einzelfällen aus kariesprophylaktischen Gründen eine
subgingivale Lokalisation des Kronenrands denkbar erscheinen mag,
sollte man bei Patienten mit umfangreichen Parodontalbehandlungen
von einer guten Mundhygiene und regelmäßigen Fluoridierungen ausgehen, sodass sich diese Frage hier nicht stellen dürfte.
Verlagerung der
Kariesaktivität in
Gingiva und
Parodont
Kronenverlängerung
Generell gilt, dass ein subgingivaler Kronenrand gleichermaßen kariesanfällig ist wie ein supra- oder paramarginal gelegener (Erpenstein
1977, Hammer 1979, Valderhaug 1980). Durch die Wahl einer subgingivalen Präparation wird das Problem der Kariesaktivität (die generell
schwer einzuschätzen ist) in den Bereich der Gingiva und des
Parodonts verlagert und damit gerade in den Bereich, für den der
Patient eine hohe Anfälligkeit bewiesen hat.
Retentionsprobleme
Bei klinischen Kronenlängen, die unter 6 mm liegen (Gernet 1984),
kann es durchaus opportun sein, durch eine subgingivale Präparation
die klinische Krone zu verlängern, allerdings müssen in solchen Fällen
sehr konsequent andere Möglichkeiten geprüft werden (Retentionsrillen, quasi parallele Präparationen und Ähnliches). Auch kieferorthopädische Maßnahmen wie beispielsweise Extrusionen können die
Ausgangssituation verbessern, ebenso chirurgische Kronenverlängerungen durch Lappenoperationen.
Parodontologie und Prothetik
Hypersensible Zahnhälse
Zahnhalsempfindlichkeiten sind meist als Folge einer falschen und zu
forcierten Mundhygienetechnik und bestimmter Ernährungsformen
(saure Speisen, Fruchtsäfte usw.) zu interpretieren. Die Therapie solcher Hypersensibilitäten sollte medikamentös oder konservierend
durchgeführt werden. Eine Überkronung solcher Zähne allein aus
Gründen der erhöhten Sensibilität ist obsolet und stellt eine zu invasive Behandlung dar.
179
Überkronung
obsolet
Fazit für die Praxis
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der subgingivale
Kronenrand die Gingiva mechanisch irritiert und die mikrobielle Plaque
retiniert. Für die Kronenrandqualität ist hier von entscheidender
Bedeutung, wie stark sich diese Reizfaktoren auswirken. Darüber
hinaus vermindert sich die Fließrate der Sulcusflüssigkeit und mittelfristig (drei bis fünf Jahre) kann eine Rezession der Gingiva eintreten.
Neben den ästhetischen Anforderungen (für Frontzähne, nicht für Molaren) führen Retentionsprobleme und präexistente subgingivale Karies zu der Lokalisation des Kronenrandes im subgingivalen Bereich.
Supragingivaler Kronenrand
Folgende Überlegungen sprechen für die Ausgestaltung einer
supragingivalen Präparation:
■
gute Darstellung der Präparationsgrenzen in der Abformung
■
gut einsehbarer Arbeitsbereich bei der Präparation und Überprüfung der Passgenauigkeit sowie bei der Entfernung des Zementüberschusses
■
fehlende mechanische Irritation der Gingiva
■
gute klinische Überprüfbarkeit eventueller Karies
■
Erleichterung der Mundhygiene
Brückengliedgestaltung
Grundsätzlich lässt sich ein Brückenglied als Schwebeglied und als
Pontic gestalten. Die Argumente für die Ausführung als Schwebeglied
!
180
Plaqueakkumulation
Konkave Oberflächen vermeiden
Hygienefähigkeit
Zwischenglied
Wunde vollständig
ausheilen
Parodontologie in der Zahnheilkunde
in der Vergangenheit waren »bessere Reinigungs- und Mundhygienemöglichkeiten«. Die freie Unterspülbarkeit des Schwebeglieds bietet
für den Patienten aber nur die Möglichkeit, hier retinierte Speisereste
mit der Zunge besser herauszubewegen. Die Plaqueakkumulation ist
bei einem Schwebeglied und bei einem Pontic gleichermaßen gegeben und bedarf der gleichen Reinigungsintensität.
Bei der Anfertigung von Brückengliedern sollte darauf geachtet werden, konkave Flächen in Nachbarschaft zur Gingiva (also sattelförmig
der Gingiva aufliegende Brückenglieder) zu vermeiden. Solche Bereiche können weder mit Zahnbürste noch mit Zahnseide oder irgendeinem anderen Hilfsmittel erreicht werden. Konvexe Oberflächen des
Brückenglieds erleichtern dem Patienten die Mundhygiene; in diesem
Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass Superfloss ein
perfektes Hilfsmittel zur Reinigung unterhalb von Brückengliedern darstellt.
Das Zwischenglied darf nur im Bereich der fixierten Kieferkammschleimhaut aufliegen. Das heißt, die bukkale Ausdehnung der früheren Zahnkrone kann mit der Restauration nicht nachvollzogen werden.
Die Wartezeit nach parodontalchirurgischen Eingriffen und insbesondere nach Extraktionen beträgt mehrere Monate, bis die endgültige
definitive Versorgung durchgeführt werden kann.
Der Zahnersatz darf keinesfalls in die noch nicht vollständig abgeheilte Wunde hineingestaltet werden, ferner ist ein »Radieren« auf dem
Kieferkamm des Modells nicht statthaft (Abb. 45 und 46).
Ausgestaltung des Interdentalraumes
Mundhygiene
Der Interdentalraum muss so gestaltet werden, dass die Mundhygiene
im Interdentalraum durch die vorliegenden Restaurationen nicht behindert wird und frei zugänglich ist. Daher ist es notwendig, dass die
approximalen Kontaktpunkte möglichst weit okklusal liegen, sie sollten allerdings im Seitenzahnbereich aus funktionellen Gründen flächig
Parodontologie und Prothetik
Abb. 45
Falsche Gestaltung eines Brückenglieds
Abb. 46
Richtige Gestaltung des Brückenzwischenglieds
gestaltet sein. Diese Kontaktpunkte stabilisieren die Zahnreihen und
wirken der Impaktierung von Speisen entgegen. Bei herausnehmbarem Zahnersatz müssen die Stege ebenfalls so geformt und angepasst
sein, dass sie allseitig mit Zahnbürste und Zahnseide gesäubert werden können.
181
182
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Wenn die Verblockung zweier Kronen indiziert ist, so darf die Verbindung nicht überdimensioniert sein.
Wurzelstifte und Zahnfrakturen
Erhöhtes Risiko:
endständige Pfeiler
mit Wurzelstiften
Zahnfrakturen sowohl horizontal als auch vertikal treten häufiger bei
wurzelbehandelten Zähnen als bei vitalen Zähnen auf. Insbesondere
Zähne mit Wurzelstiften, die als endständige Pfeiler integriert sind, zeigen bevorzugt Vertikalfrakturen auf. Grundsätzlich ist festzuhalten,
dass eine Zahnwurzel umso stabiler ist, je weniger Zahnsubstanz bei
der Wurzelbehandlung abgetragen wurde. Ein mit einem Stift versehener endständiger Pfeilerzahn stellt immer ein erhöhtes Risiko bei einer
prothetischen Versorgung dar. Ob und inwieweit ein Wurzelstift einer
Wurzelquerfraktur (Abb. 47) vorbeugen kann, wird in der Literatur
äußerst kontrovers diskutiert. Klinische Dogmen aus früherer Zeit wie
Überkronungen von wurzelbehandelten Zähnen und Verwendung von
Wurzelstiften bei endodontisch behandelten Zähnen werden durch die
moderne Adhäsivtechnik immer weiter relativiert.
Abb. 47
Wurzelfrakturen Zahn 16
»Adhäsive
Endodontie«
Während man früher forderte, dass ein Wurzelstift etwa zu zwei Dritteln in die von Knochen umgebene Wurzel hineinreicht (d. h. bei parodontalgeschädigten Zähnen bis in das apikale Wurzelviertel), so verzichtet man heute in der »adhäsiven Endodontie« weitgehend auf
Wurzelstifte. Hier wird nach der Wurzelfüllung der Zahn sehr weit apikal präpariert, ähnlich einer Inlaypräparation, und nach den Regeln der
Parodontologie und Prothetik
183
modernen Säure-Ätz-Technik adhäsiv gefüllt und stabilisiert. In solchen Fällen, in denen Wurzelstifte indiziert sind, finden hier Zirkoniumoder Glasfiberstifte Verwendung, die ebenfalls adhäsiv befestigt werden. Bei einer konventionellen Stiftversorgung sollte aufgrund der individuellen Gestaltungsmöglichkeiten und der besseren Berücksichtigung der morphologischen Gegebenheiten (Pao et al. 1987) ein zierlicher gegossener Stift mit konischem Ende den konventionellen
Systemen vorgezogen werden, zumal die Stiftdicke keinen signifikanten Einfluss auf seine Retention hat (Trabert et al. 1978). Bei mehrwurzligen Zähnen ist gegebenfalls ein zweiteiliger Stiftkernaufbau zu erwägen.
Festsitzender versus herausnehmbarer Zahnersatz
Eine definitive Planung für die weitere rekonstruktive Versorgung sollte
bei umfangreichen parodontalchirurgischen Maßnahmen frühestens
sechs Monate nach Abschluss dieser Behandlungen durchgeführt
werden. Hier muss eine sehr sorgfältige Abwägung getroffen werden
zwischen den Zähnen, die sicher erhalten werden können, und den
Zähnen, die weniger sicher zu erhalten sind, aber andererseits strategische Pfeiler für die prothetische Versorgung darstellen. Diese Überlegungen sind vor dem Hintergrund von möglichst gesicherten Aussagen über langfristig vorhersehbare Behandlungsergebnisse zu treffen.
Die nach den einzelnen Behandlungsschritten immer wieder erforderliche Neubewertung der Prognose führt zu neuen Aspekten, die eine
Planungsänderung mit sich ziehen. Diese sollten mit den Patienten frühestmöglich und so verbindlich wie möglich besprochen werden; insbesondere sollten durch bereits eingegliederte festsitzende Langzeitprovisorien beim Patienten keine Erwartungen geweckt werden,
die sich bei der definitiven Versorgung langfristig nicht realisieren lassen. Auch hier gilt, dass jeder Schritt der Behandlungsplanung und
-durchführung sich auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien zu
begründen hat. Es ist hier eindringlich davor zu warnen, wider besseren Wissens und auf den Wunsch des Patienten einzugehen: Nicht
Abwägung von
Erhaltungswürdigkeit und
Funktion
Prognose
ständig prüfen
Patientenaufklärung
184
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Langfristiger Erfolg
entscheidend
was möglich ist, sondern was langfristig vorhersagbar erfolgversprechend ist, muss bei der Behandlung im Vordergund stehen.
Biologische
Aspekte
Heute sind biologische Aspekte bei der prothetischen Vorsorge mehr
gewichtet als mechanistische Ansätze, sodass auch das »Gesetz von
ANTE« (axiale Pfeilerbelastung, Gesamtwurzeloberfläche der Brückenpfeiler sind gleich groß wie die der zu ersetzenden Zähne) immer mehr
hinterfragt wird.
Endodontisch-apikale/prothetischtechnische
Probleme
Festsitzenden
Zahnersatz
anstreben
Bei einer entzündungsfreien Gingiva und einer erfolgreichen Parodontalbehandlung kombiniert mit einer guten individuellen häuslichen Mundhygiene des Patienten und einer konsequent durchgeführten Nachsorgephase ist heute davon auszugehen, dass die möglichen
Probleme eines festsitzenden Zahnersatzes eher im endodontischapikalen und prothetisch-technischen Bereich zu sehen sind als im
Parodont per se. Aus parodontologischer Sicht und auch von der
Erwartungshaltung des Patienten her betrachtet, bleibt der festsitzende Zahnersatz doch die rekonstruktive Lösung, die es anzustreben gilt
(Nyman 1982, Lang 1982). Die Abbildungen 48a und b zeigen die klinische Situation mit herausnehmbaren Brücken.
Abb. 48a und b
Klinische Situation zur Aufnahme einer abnehmbaren
Brücke im OK
Parodontologie und Prothetik
185
Abb. 48b
Prothetisch-technische Probleme
Fehlende Friktion und Retentionsverlust
Um eine ausreichende Friktion zu erreichen, müssen die Wände eines
Kronenstumpfes möglichst parallel gestaltet sein, ebenso wie in einem
Brückenverband die einzelnen Kronenstümpfe zueinander eine höchst
mögliche Parallelität aufzuweisen haben. Da bei gekippten Pfeilerzähnen die Wurzelachse und die Präparationsachse voneinander abweichen, muss grundsätzlich an eine Aufrichtung von gekippten Pfeilerzähnen gedacht werden oder aber an die Einarbeitung von Geschieben.
Bei der Rekonstruktion fehlender Frontzähne bei gleichzeitig auftretenden langen Zahnbögen empfiehlt es sich, zusätzliche okklusale
Retentions- (Abbiss nach labial) oder vertikale Rillen (Laterotrusionsbewegung) in den approximalen Flächen zu schaffen, um Dezementierungen bei protrusiven oder lateralen Auslenkungen der Frontzähne zu vermeiden. Weite Brückenspangen aus einem Guss sollten
vermieden werden, stattdessen empfiehlt sich die Einarbeitung von
Geschieben, eventuell auch die Ausgestaltung von bedingt abnehmbaren Brückengliedern durch verschraubte Verbindungselemente.
Parallelität
Gekippte
Pfeilerzähne
Rekonstruktion
fehlender
Frontzähne
186
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Kronenfraktur von Pfeilerzähnen und Brückenfrakturen
Risiken
Kompromiss
zwischen
Hygienefähigkeit
und Stabilität
Langzeitprovisorien
Wurzelbehandelte Zähne beziehungsweise Zähne mit hohem Verlust
an Zahnsubstanz haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Längs- und
Querfrakturen. Diese Zähne sind insbesondere gefährdet, wenn sie als
Pfeilerzähne bei Freiendbrücken oder als strategische Pfeiler bei herausnehmbarem Zahnersatz verwendet werden. Bückenfrakturen stellen sich im Allgemeinen als Folge von insuffizienten Lotstellen oder zu
schwach dimensionierten Verbindungsflächen ein. Hier muss ein vertretbarer Kompromiss zwischen der notwendigen Hygienefähigkeit
einerseits und der physikalischen Stabilität andererseits gefunden
werden.
Langzeitprovisorien, die als Brücken gestaltet worden sind, sollten die
Forderung nach Hygienefähigkeit und ausreichender Stabilität ebenso
erfüllen wie definitive Brücken. Möglich ist dies durch die Verwendung
von metallverstärkten Langzeitprovisorien. Das Metallgerüst wird hier
aus Kostengründen skelettiert ausgeführt und mit Kunststoff verblendet. Ein solches Langzeitprovisorium ermöglicht es, die Akzeptanz der
vorläufigen Planung mit dem Patienten abzustimmen, aber auch die
Prognose für einen Behandlungserfolg zu überprüfen. Rein aus Kunststoff hergestellte Langzeitprovisorien zeigen nicht nur eine erhöhte
Bruchgefährdung, vielmehr kann die fehlende Verbindungssteifigkeit
dazu führen, dass es zur Dezementierung kommt, die unbemerkt
bleibt und damit für den Pfeilerzahn die Prävalenz einer Sekundärkaries erhöht.
Parodontologie und Endodontie
187
Parodontologie und Endodontie
Parodont und Endodont stehen in einer sehr direkten anatomischen
Nachbarschaft. So zeigten Untersuchungen auch sehr große Ähnlichkeiten zwischen endodontischer und parodontaler Mikroflora (Siqueira
et al. 2000). Es bestehen direkte Verbindungen über Nerven- sowie
Blut- und Lymphgefäße, vor allem an den Foramina apicalia, aber auch
an anderen Stellen der Wurzel. Dadurch kann es zu »Cross-Infektionen« über anatomische Seitenwege (Kereckes und Olsen 1990,
Sundqvist 1992) kommen. Ein bakterieller Transfer ist demnach anatomisch über das Foramen apicale und die Seitenkanäle im lateralen
Wurzelbereich möglich. Ein nichtphysiologischer bakterieller Transfer
kann durch Wurzelperforationen und vertikale Wurzelfrakturen (»bacterial highways«) entstehen. Hier zeigt sich eine höhere Inzidenz bei
wurzelgefüllten Zähnen nach lateraler Kondensation und Stiftversorgung (Morfis 1990). Besonders nach Abtragung des Wurzelzements im Rahmen einer Wurzeloberflächenbehandlung bestehen
über Dentintubuli Verbindungen zwischen Endodont und Parodont.
Paro-Endo-Läsionen
Mutschelknauß und Guldner (1975) klassifizierten Paro-Endo-Läsionen
wie folgt:
■
Primär endodontische Läsionen mit sekundärer parodontaler
Beteiligung
- iatrogen durch Perforation
- Ausbreitung der Pulpaläsion periapikal oder via Mark-/Seitenkanal para- oder interradikulär
Eine solche Läsion kann entstehen, wenn die Wurzelbehandlung zu
spät erfolgt oder nicht erfolgreich war. Aus einem desmodontalen
Fistelgang einer endodontischen Läsion kann sich eine chronische
parodontale Destruktion ergeben.
Endodontische und
parodontale
Mikroflora
Bakterieller Transfer
188
Parodontologie in der Zahnheilkunde
■
Primär parodontale Läsionen mit sekundärer endodontischer Beteiligung
Eine solche Läsion kann sich aus einer parodontalen Läsion entwickeln, wenn von hier aus eine Infektion der Pulpa über Dentintubuli,
Pulpaseitenäste oder das Foramen apicale erfolgt.
■
Kombinierte parodontale/endodontale Läsionen. Parodont und
Endodont sind unabhängig voneinander erkrankt.
Eine solche Läsion liegt vor, wenn sich eine primär endodontale
Läsion und eine primär marginal parodontale Läsion zu einer apikomarginal konfluierenden parodontalen Läsion verbinden (Abb. 49).
Abb. 49
Konfluierende Ostitis: hypothetische Überlegung zur Ausheilung einer Paro-EndoLäsion (nach Plagmann 1998)
Parodontologie und Endodontie
189
Paro-Endo-Läsionen
Klinische Charakteristika
Endodontische Läsion
Parodontale Läsion
Vitalität
negativ, unklar
meist positiv
Restauration
umfangreich, ausgedehnte Füllungen
nach C.p.-Behandlung, Kronenversorgung, endodontisch behandelter
Zahn, Wurzelkanalstift
gering
Lokale Faktoren für
Entzündung,
Plaque/Zahnstein
wenig vorhanden
vorhanden
Parodontalbefund
Sondierungstiefe
Lokalisiertes »Einbrechen der Sonde«
nicht generell erhöht
in einem tiefen, schmalen, fistelähnlichen
Defekt von ca. 8 bis 12 mm Tiefe. Bei
Recallpatienten kurzfristige
Befundänderung.
Röntgenbefund
enger, vertikal begrenzter Defekt;
U-förmig
weiter Defekt;
V-förmig
Tab. 15
Klinische Symptome und Diagnostik (Ratka-Krüger 2003)
Oft ist es im Nachhinein schwierig, die primäre Ursache bei kombinierten Läsionen eindeutig anzugeben. Demgegenüber gilt aber als therapeutisches Konzept, dass sowohl eine endodontische als auch eine
parodontale Behandlung erfolgen muss.
Eine Pulpaläsion (Pulpitis oder Gangrän) führt durch das Foramen apicale im periapikalen Parodontium zu einer Osteolyse, wobei es wahrscheinlich im Gegensatz zur marginalen Parodontitis nicht zur Besiedelung und Infizierung der desmodontalen Wurzeloberflächen mit
Bakterien und Endotoxin kommt. Somit ist nach einer erfolgreichen
Wurzelbehandlung mit einer echten Regeneration und damit Herstellung der ursprünglichen anatomischen periapikalen Strukturen zu
rechnen. Demgegenüber heilt der Zahnhalteapparat nach einer Parodontalbehandlung nur im Sinne einer Reparation (narbige Defektheilung) aus.
Endodontische
und parodontale
Behandlung
190
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Grenzen der Parodontalbehandlung
Reparation statt
Regeneration
Vorgehen
Röntgenbefund
Die Grenzen einer Parodontalbehandlung bei pulpaerkrankten Zähnen
ergeben sich somit zum einen daraus, dass eine solche Pulpaerkrankung nicht erkannt wird und die durchgeführte Parodontalbehandlung nicht zum gewünschten Erfolg führt (Reparation statt
Regeneration), zum anderen, dass es durch Wurzelperforation und
vertikale Wurzelfrakturen zu einem nichtphysiologischen Bakterientransfer kommt, der nicht mehr therapiert werden kann.
Die klinische Untersuchung fordert hier bei jeder geplanten parodontalen Behandlung eine sorgfältige Prüfung der Vitaliät und eine möglichst
schonende Vorgehensweise bei Wurzelkanalaufbereitung und -füllung.
Die Therapieabfolge bei kombiniert parodontalen/endodontischen
Läsionen muss zunächst mit der Wurzelbehandlung beginnen, möglicherweise in der Phase der Initialbehandlung. Für einen Zeitraum von
zwei bis sechs Monaten sollte man der periapikalen Gewebsreaktion
dann die Möglichkeit zur Regeneration und Wiederherstellung der
desmodontalen Strukturen geben. Eine klinische, röntgenologische
Untersuchung nach zwei bis sechs Monaten lässt eine erneute
Beurteilung zu und klärt auch, inwieweit endgültige parodontalchirurgische Maßnahmen notwendig sind. Zeigt hier der Röntgenbefund
eine Zunahme der Knochendichte, so sollte weiter abgewartet werden.
Ist der Röntgenbefund unverändert, sollte sich eine systematische
Parodontaltherapie anschließen mit Scaling und Wurzelglättung,
Lappenoperation, gegebenfalls kombiniert mit GTR-Therapie.
Fazit für die Praxis
■
■
Die Verdachtsdiagnose »Paro-Endo-Läsion« ergibt sich aus einer
Reihe diagnostischer Hinweise sowohl klinisch als auch röntgenologisch.
Wichtig ist das Vermeiden einer übereilten symptombezogenen
Therapie, insbesondere sollte auch eine vorzeitige Instrumentierung der Wurzeloberfläche vermieden werden.
Parodontologie und Endodontie
■
■
Das primäre Ziel ist die Elimination der Infektion, d. h. die Elimination der Entzündungsmediatoren, und damit eine Lege-artisWurzelbehandlung.
Bei einer kombiniert endodontisch-parodontalen Läsion gilt es die
parodontale Therapie zeitversetzt durchzuführen. Die Grenzen bei
Paro-Endo-Läsionen sind dort erreicht, wo Zahnlängsfissuren (Einebnen der Furche, Verschluss der Furche durch Füllungsmaterialien
und möglicherweise eine kieferorthopädische Extrusion) vorliegen.
Eine weitere Grenze ist erreicht bei vertikalen Wurzelfrakturen. Der
Therapieansatz lautet hier entweder Extraktion des Zahnes oder
bei mehrwurzeligen Zähnen Wurzelamputationen der einzelnen
frakturierten Wurzeln (siehe »Behandlung furkationsbefallener
Molaren« S. 101 ff.).
191
192
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Parodontologie und
Kieferorthopädie
Wachstumsmechanismen
Ober- und
Unterkiefer
Kiefergelenk
!
Günstige
Beeinflussung
parodontaler
Verhältnisse
durch Kfo
Ober- und Unterkiefer weisen unterschiedliche Wachstumsmechanismen auf. Neben einem remodellatorischen Wachstum im Oberkiefer ziegt dieser zahlreiche Suturen auf, die in der Wachstumsphase
einen erheblichen Beitrag zum Gesamtwachstum beisteuern. Im
Gegensatz hierzu wächst der Unterkiefer ausschließlich remodellatorisch. Wachstumsaktive Suturen sind hier nicht vorhanden. Das
Kiefergelenk verfügt dagegen nur über eine geringe Wachstumsfunktion. Das heißt, dass das Wachstum des Kiefergelenks passiv als
Antwort auf die Wachstumsvorgänge des übrigen Schädel-KieferBereichs auftritt. Die Beeinflussbarkeit der Kiefer und der dentoalveolären Gefüge durch kieferorthopädische Maßnahmen ist also sehr
unterschiedlich. Man geht heute davon aus, dass der Unterkiefer therapeutisch nur in geringem Umfang verändert werden kann. Dies gilt
im Besonderen für die Veränderungen der interkaninen Distanzen, d. h.
das Dehnen, und die Stellungsänderung der Schneidezähne.
Schon während des Zahnwechsels können einige parodontale Probleme auftreten:
■
radikulärer Engstand, der auf ein Missverhältnis zwischen dem
Wachstum des Alveolarfortsatzes und der Zahngröße zurückgeht
■
Dystopie von Zähnen; davon sind in erster Linie die Eckzähne
des Oberkiefers und die zweiten Prämolaren betroffen.
■
Störung der Durchbruchsreihenfolge; davon sind im Besonderen
die Eckzähne und die Prämolaren des Oberkiefers betroffen.
Bei einem geringen Platzangebot für die Zähne im Alveolarfortsatz,
durch Dyskinesie bedingte ungünstige Überlastungen und durch ungünstige inserierende Lippen- und Wangenbänder können die parodontalen Verhältnisse ungünstig beeinflusst werden, was durch
Parodontologie und Kieferorthopädie
193
gezielte frühzeitige kieferorthopädische Maßnahmen beseitigt werden
kann (Müßig 2003).
Zahnbewegung
Biomechanik der Zahnbewegung
Die kieferorthopädische Zahnbewegung ist ein physikalisch-mechanisches Phänomen, wobei ein wesentlicher Bestandteil in der zellbiologischen Veränderung besteht.
Die Arten der Zahnbewegung lassen sich folgendermaßen unterscheiden:
■
unkontrollierte Kippung
■
kontrollierte Kippung
■
Translation (körperliche Bewegung)
■
Drehwegung
■
Extrusion
■
Intrusion
■
Rotation
Im parodontal geschädigten Gebiss geht die Extrusion mit den geringsten Risiken einher, da eine Keimverschleppung in das parodontale Gewebe nicht stattfinden kann und im günstigen Fall ein Knochenaufbau erfolgt.
Mechanik der Zahnbewegung und Verankerung
Mit keiner kieferorthopädischen Behandlungstechnik ist es möglich,
nur eine spezielle Bewegungsart durchzuführen. Immer laufen mehrere Bewegungsarten gleichzeitig ab. Je umfangreicher die durchgeführte Bewegungsmechanik ist (z. B. Vollbogen), desto komplizierter und
unkontrollierbarer sind die Kräfte nach Größe, Art und Richtung, die
auf den einzelnen Zahn einwirken. Deshalb wird im parodontal ge-
!
Extrusion
194
Teilbögen
Verankerung
Parodontologie in der Zahnheilkunde
schädigten Gebiss empfohlen, mit Teilbögen zu arbeiten, da diese eine
präzisere Kraftkontrolle ermöglichen. Da kieferorthopädische Behandlungen nach dem physikalischen Gesetz actio = reactio verlaufen, ist
bei jeder kieferorthopädischen Zahnbewegung eine geeignete Verankerung einzuplanen. Die Verankerung muss umso ausgedehnter sein,
je weniger die Zähne parodontal belastet werden können. Deshalb
wird im parodontal vorgeschädigten Gebiss immer mehr auf die Verwendung von Implantaten als Verankerung zurückgegriffen.
Biologie
Zelluläre Reaktion
Durch die angewandte mechanische Kraft wird im parodontalen
Gewebe bei kieferorthopädischen Bewegungen eine Reihe von zellulären Reaktionen ausgelöst. Man kann diese Reaktionen mit aseptischen Entzündungen vergleichen: Eine Vielzahl von Substanzen wird
freigesetzt, die auch bei einer bakteriellen Entzündung vorhanden ist
(Interleukin1, Cyclo-AMP, Prostaglandine, Osteopontin und andere).
Behandlungsgrenzen
Risiken einer kieferorthopädischen Behandlung
Festsitzende
Apparaturen
Intensives Recall
Erhöhtes Risiko
Durch eine kieferorthopädische Behandlung wird ein Risiko erzeugt
sowohl für Schäden an der Zahnhartsubstanz als auch am Zahnhalteapparat – egal, ob sie mit herausnehmbaren oder festsitzenden
Apparaturen durchgeführt wird. Es kommt gerade bei festsitzenden
Apparaturen immer zu einer vermehrten Plaqueakkumulation, die auch
bei einer optimalen Mundhygiene und einer dementsprechenden adäquaten Ernährung nicht zu vermeiden ist. Das heißt, dass bei kieferorthopädischen Patienten ein wesentlich intensiveres Recall und Mundhygieneprogramm durchgeführt werden müssen. Besonders trifft dies
zu, wenn eine Retention mit festsitzenden Retainern vorgenommen
wird, da diese lingual getragen werden und somit ein besonders hohes
Risiko darstellen. Trotz dieses erhöhten Risikos sind festsitzende kieferorthopädische Apparaturen gerade beim Erwachsenen und bei
Parodontologie und Kieferorthopädie
parodontal geschädigten Patienten das Therapiemittel der Wahl.
Abnehmbare Retentionsgeräte führen nur zu einer unzureichenden
Stabilisierung. Außerdem bergen sie das Risiko, dass es durch die
unzureichende Mitarbeit der Patienten zur Störung der Okklusion und
zu einem Jiggling der Zähne kommen kann, welches dann den parodontalen Abbau fördert.
195
Jiggling
Besonderheiten bei der Erwachsenenbehandlung
Bei der kieferorthopädischen Behandlung von Erwachsenen liegen
grundsätzlich ungünstige Gewebeverhältnisse vor. Es bestehen eine
dichtere verstärkte Corticalis, weniger Markräume, schmalere Osteoidräume, ein altersbedingter Attachmentverlust und eine reduzierte
Knochenelastizität. Außerdem kommt es zu einer Abnahme der Zelldichte und einer Verdickung der Faserbündel, einer verzögerten Fibroblastenproliferation und einer geringeren Vaskularisierung, sodass die
Kräfte im Verhältnis zum Jugendlichen deutlich reduziert werden müssen. Die Zahnbewegung ist deshalb initial verlangsamt.
Ungünstige
Gewebeverhältnisse
Planung der kieferorthopädischen Behandlung
Bei der Definition des Behandlungszieles müssen die biologischen
Grenzen berücksichtigt werden. Es sollten schon frühzeitig viele klinisch erkennbare Risiken einer Behandlung erkannt werden. Wichtig
ist die Überprüfung der knöchernen Verhältnisse in fazialer Richtung.
Aber auch die gingivalen Verhältnisse geben Auskunft über die
Grenzen der kieferorthopädischen Zahnbewegung. Riskmarker sind
Breite der Gingiva, Höhe der klinischen Krone, Dicke des gingivalen
Gewebes oder eine bereits bestehende Inklination der Schneidezähne
nach labial. Bei geringer orovestibulärer Knochenbreite, einer dünnen
fragilen Gingiva und bereits vorhandenen Knochenfenestrationen oder
Dehiszensen besteht eine Indikation für ein Schleimhauttransplantat
vor der kieferorthopädischen Behandlung. Im Unterkiefer sind Dehnungen, die zu einer Erweiterung der Distanz zwischen den Eckzähnen
führen, grundsätzlich nicht durchführbar.
Biologische
Grenzen
Schleimhauttransplantat vor Kfo
196
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Interdisziplinäre Behandlungsaufgaben
Frenektomie
Die längste Tradition hat die Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopäden und Parodontologen in der Durchführung der Frenektomie. Die
Frenektomie bei einem echten Diastema ist eine der parodontalchirurgischen Methoden, die schon in der frühen Kieferorthopädie beschrieben wurden. Sie kann entweder nach Durchbruch der Eckzähne oder
nach einem kieferorthopädischen Lückenschluss erfolgen.
Kfo-Begleittherapie
Eine kieferorthopädische Begleittherapie bei der Parodontalbehandlung kann zu einem Abflachen der interdentalen Gruben beitragen und
zu einer Verbesserung im Verlauf der Mineralisation des Limbus alveolaris. Außerdem kann eine Verbreiterung der interradikulären Septen
erreicht werden.
Intrusion
Durch Intrusion kann es möglich sein, einen Attachmentgewinn herbeizuführen. Sollten die Frontzähne durch eine parodontale Behandlung aufgefächert sein, kann mit einer kieferorthopädischen Behandlung der Tiefbiss beseitigt werden; durch eine Intrusion ist eventuell
eine Reduktion der interdentalen Dreiecke herbeizuführen. Bei einem
Attachmentverlust bis ins apikale Drittel bei Furkationsbeteiligung III.
Grades und bei einer juvenilen Parodontitis ist eine antibiotische
Abdeckung sinnvoll.
Präprothetische
Kfo
Eine weitere Möglichkeit besteht in der präprothetischen Kieferorthopädie. Durch eine Pfeileraufrichtung kann sie zu günstigeren parodontalen Verhältnissen beitragen, da mesiale Pseudotaschen nach Aufrichtung der Pfeiler verschwinden und es sogar zu einer Knochenapposition kommen kann.
Die Kieferorthopädie spielt außerdem eine Rolle in der Distalisation
von Pfeilern, wobei diese – nach Erfolgen der modernen Implantatversorgung – eine seltener durchzuführende Maßnahme ist. Eine weitere Möglichkeit stellt die Elongation von Wurzeln dar, die, mit sanften
Kräften durchgeführt, zu einem Nachfolgen des umgebenden Gewebes in Zugrichtung führt (Lindhe 1999, Abb. 52).
Parodontologie und Kieferorthopädie
Abb. 50a
Zustand nach Trauma,
Fraktur von 11, 21, 22, 31
bei multiplen Rezessionen,
Extraktion 41, Aufbau der
OK-Frontzähne mit Komposit
und Kfo-Einstellung
Abb. 50b
Abb. 50c
197
198
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Abb. 50d
Parodontologie und Funktion
199
Parodontologie und Funktion
Parodont und Funktion
Es steht heute außer Frage, dass es durch eine psychisch bedingte
Überbelastung einzelner Komponenten des Kausystems (Muskulatur,
Kiefergelenk, Zahnhalteapparat) zu nachteiligen Folgen kommen kann,
die man als pathologisch einstufen muss: Veränderungen im Kiefergelenk mit den sich daraus ergebenden Funktionseinschränkungen
und Schmerzen, Veränderungen in der Kaumuskulatur, die ebenfalls
mit erheblichen Beschwerden einhergehen können, und Abrasion der
Zahnhartsubstanz bis zur völligen Zerstörung und zum Verlust der
Zahnkrone. Darüber hinaus wird aber auch die Ansicht vertreten, dass
funktionelle Störungen im Kausystem die Ursache von entzündlichen
Parodontaldestruktionen sein können. Bei Drum (1969) sind es die
»Parafunktionen«, welche die »Parodontose« verursachen. Erst 1993
gelang Löe, Theilade und Jenssen durch ihren bekannten und oft
zitierten Versuch der experimentellen Gingivitis, den ursächlichen
Zusammenhang zwischen mikrobieller Plaque und dem Entstehen
einer Gingivitis nachzuweisen. Dadurch wurde die vermutete ursächliche Wirkung funktioneller Faktoren auf die Entstehung der parodontalen Entzündung in den Hintergrund gedrängt.
Pathologische
Folgen
Parafunktion
Zahnlockerung
Das Symptom der Lockerung kann als eine adaptive Reaktion angesehen werden, die es dem Zahn ermöglicht, sich der übermäßigen
Belastung durch eine Stellungsveränderung zu entziehen. Hat er nach
dieser Stellungsveränderung eine Position erreicht, in der keine
Traumatisierung mehr stattfinden kann, so kommt es schnell wieder zu
seiner Festigung.
Adaptive Reaktion
200
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Desmodont/Alveolarknochen
Pathologische
Veränderungen
Die Gesundheit des parodontalen Gewebes wird unter anderem
geprägt von der funktionellen Aktivität der Zähne. Fehlende und insuffiziente okklusale Kräfte bewirken eine Reduzierung der Anzahl
desmodontaler Fasern, eine Verschmälerung des Desmodonts und
eine Verminderung der Stärke des Alveolarknochens der röntgenologisch sichtbaren Lamina dura. Demgegenüber kann ein Parodontium
Kräften standhalten, die zwar das normale Maß übersteigen, sich aber
doch innerhalb physiologischer Grenzen halten, ohne dass es zu
Schädigungen kommt. Hier treten eine Proliferation der desmodontalen Fasern, Verdickung der Faserbündel, Verbreiterung des Desmodonts sowie eine Verstärkung der Alveolenwand auf. In jenen
Fällen, in denen die okklusalen Kräfte jedoch die Toleranzschwelle des
Parodonts überschreiten, resultieren pathologische Veränderungen.
Es wird über Hyalinisierung desmodontaler Fasern, Blutungen,
Thrombosen und Nekrosen sowie über lokale Resorptionen von
Zahnwurzeln und auch im Alveolarknochen berichtet. Klinische Symptome sind Lockerungen und Stellungsveränderungen betroffener Zähne. Eine solche traumatisch wirkende Überbelastung kann sich unter
anderem durch eine Parafunktion ergeben (Zarb et al. 1990).
Gingiva
Zahnfleischtasche
Neben den pathologischen Auswirkungen starker okklusaler Kräfte auf
den Bereich des Desmodonts und Alveolarknochens ist ebenso abzuklären, ob sich auch für den mehr marginalen Anteil des Parodontiums, nämlich die Gingiva mit ihrer epithelialen und bindegewebigen
Befestigung am Zahn, solche Effekte nachweisen lassen. Das Kardinalsymptom der Parodontitis ist die Zahnfleischtasche, die sich
dadurch bildet, dass das Saumepithel bei gleichzeitiger Auflösung der
bindegewebigen Anheftung der Gingiva am Zahn in die Tasche proliferiert.
Parodontologie und Funktion
201
Kann das okklusale Trauma eine solche Taschenbildung hervorrufen?
Die Forschungen um Lindhe und Ericsson (1980, 1982) und Polson
(1980) kamen zu folgendem Ergebnis:
Weder unilaterale noch Schaukelkräfte resultieren bei Zähnen mit
einem gesunden Parodont in Taschenbildung und Verlust bindegewebigen Attachments. Lediglich bei Zähnen mit bestehender parodontaler Erkrankung kann das okklusale Trauma die Progressionsrate der
Erkrankung beschleunigen und muss deshalb als Kofaktor des destruktiven Prozesses angesehen werden. Eine systematische Parodontalbehandung wird jedoch die Erkrankung eliminieren und zwar
auch dann, wenn das okklusale Trauma persistiert. Allein die mikrobielle Plaque unterhält eine progressive Parodontalerkrankung.
Progression der
Erkrankung
Rezession
Es gibt in diesem Zusammenhang bisher keine Untersuchungen, die
belegen, dass Parafunktionen oder sonstige okklusale Überbelastungen die Entstehung von parodontalen Rezessionen begünstigen. Nach
wie vor sind die Hauptursachen für die parodontale Rezession das
Putztrauma und die anatomische Disposition des Alveolarknochens.
Putztrauma und
Alveolarknochenanatomie
Schienenbehandlung
Die bei Parafunktionen gern eingegliederten Aufbissschienen können
selbstverständlich lediglich als symptomatisch wirkende Behelfe
angesehen werden. Durch sie ist eine Entlastung des Kiefergelenks
möglich, sie bewirken durch ihre Pufferfunktion auch eine Entlastung
der hyperphysiologisch beanspruchten Kaumuskulatur, sie verhindern
ferner die Abrasion wertvoller Hartsubstanz, können jedoch die eigentlich zugrunde liegende psychische Störung oder das Vorliegen eines
individuellen Stressverarbeitungsmusters nicht beheben. Hier muss
gleichzeitig eine Behandlung durch andere Fachdisziplinen erfolgen.
Behelfsfunktion
Entlastung
202
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Allerdings zeigt die Praxis, dass ein dahin gehender Ratschlag des
Zahnarztes vom Patienten meist strikt abgelehnt wird. Im Zusammenhang mit der systematischen Parodontalbehandlung stellen Aufbissschienen keine kausal wirkende Therapiemaßnahme dar.
Beseitigung okklusaler Traumen
Da ein okklusal parodontales Trauma zu klinisch und histologisch
messbaren Veränderungen im Zahnhalteapparat führt, ist die Beseitigung solcher okklusalen Traumen im Zuge einer Parodontalbehandlung dringend indiziert.
Grobe Vorkontakte/
systematische
Einschleiftherapie
Grobe Vorkontakte sollten im Zuge der Vorbehandlung beseitigt werden, eine systematische Einschleiftherapie dagegen sollte erst einige
Monate nach der Behandlung der Parodontalerkrankung vorgenommen werden, da sich erfahrungsgemäß nach Abschluss der Taschenbehandlung die vormals gelockerten und in ihrer Stellung veränderten
Zähne wieder in ihre ursprüngliche Position zurückbewegen.
Funktion und Einschleifmaßnahmen im parodontal erkrankten Gebiss
Die funktionelle und okklusale Wiederherstellung eines parodontal
erkrankten Gebisses muss sich an der Situation der natürlichen Zähne, den eventuell möglichen und notwendigen prothetischen Maßnahmen und den damit verbundenen Wechselwirkungen im stomatognathen System orientieren.
!
Ash (1987) fasste die Forderung nach einem praxisnahen Okklusionskonzept in folgenden Punkten zusammen:
■
In der retralen Kontaktposition (RKP) sollte eine stabile Okklusionsbeziehung vorliegen.
■
Ein gradliniges Gleiten des Unterkiefers zwischen RKP und Interkospitationsposition (IKP) sollte vorliegen.
■
Hyperbalancen und Interferenzen bei exzentrischen Bewegungen sollten vermieden werden.
Parodontologie und Funktion
Somit wird ein gewisser Freiraum in der Schlussbiss-Stellung
(»Freedom in Centric«) toleriert, der sich aufgrund einer Vielzahl von
Faktoren, die in die Okklusionsbeziehung hineinwirken und diese
beeinflussen, gerade beim parodontal erkrankten Gebiss als sinnvoll
erweist. Besonders bei parodontal erkrankten Zähnen ist es möglicherweise erforderlich, die Belastung auf viele Zähne zu verteilen. So
kann beispielsweise eine eckzahngeführte Okklusion zur Entlastung
des einzelnen Parodontiums in eine gruppengeführte Okklusion umgewandelt werden. Hierbei sollte beachtet werden, dass nur die Prämolaren in die gruppengeführte Okklusion integriert werden, nicht
aber die Molaren.
Im Vordergrund der Behandlung steht für den parodontal erkrankten
Patienten natürlich in erster Linie die Behandlung der parodontalen
Destruktionen. Eventuell vorliegende Funktionsstörungen werden von
dem Patienten nicht wahrgenommen und stellen für ihn auch keine
Behandlungsnotwendigkeit dar. Aber gerade bei einem Patienten, der
parodontal erkrankt ist und bei dem es durch Zahnlockerungen und
Stellungsänderungen zu einer okklusalen und funktionellen Veränderung im stomatognathen System gekommen ist, ist die Integration
einer klinischen Funktionsanalyse bei der Anamnese und Befundaufnahme sehr wichtig. Erst sie ermöglicht Hinweise auf eventuell vorliegende Störungen und damit verbundene Behandlungsnotwendigkeiten. Die klinische Funktionsanalyse umfasst die Untersuchungen
der Kiefergelenke, der eigentlichen und akzessorischen Kaumuskulatur und die Beurteilung des Gebisses in statischer und dynamischer
Okklusion.
203
Freedom in Centric
Gruppengeführte
Okklusion
Klinische
Funktionsanalyse
Muskelerkrankungen
Die Muskelerkrankungen werden nach Art der Erkrankung in sekundäre und primäre Erkrankungen aufgeteilt. Statische und dynamische
Okklusionsstörungen führen zu sekundären Erkrankungen wie Muskelverspannungen, während Bruxismus und Psyche als Auslöser der
primären Erkrankung gelten, die sich beispielsweise in einer Myositis
oder in einem Weichteilrheumatismus darstellen. Die Therapien sind
Sekundäre und
primäre
Erkrankungen
204
Parodontologie in der Zahnheilkunde
unterschiedlich und nochmals in der nachstehenden Übersicht aufgeführt (Freesmeyer 1993, Tab. 16 bis 18).
Kiefergelenkerkrankungen
Auslösende Noxen
Auch die Kiefergelenkerkrankungen werden in primäre und sekundäre
eingeteilt. Die auslösenden Noxen für sekundäre Kiefergelenkerkrankungen sind Okklusionsstörungen und Muskelverspannungen, die
sich dann in Kiefergelenkkompressionen, Distraktionen und anderen
Stellungsänderungen dokumentieren.
Kiefergelenkerkrankungen
Okklusionsstörungen
primär
entzündlich
endogen
systemisch
Muskelverspannung
sekundär
belastungsindiziert
stellungsindiziert
Arthritis
Chondritis
Synovitis
Osteochondritis
Rheumatischer Formenkreis
Strukturveränderung
Arthrose
Substanzverlust
Restgelenkkopf
Kiefergelenkkompression
Kiefergelenkdistraktion
Retralverlagerung
Ventralverlagerung
Lateralverlagerung
Diskopathien
Intrakapsuläre Verlagerungen
Tab. 16
Kiefergelenkerkrankungen (nach Freesmeyer 1993)
Parodontologie und Funktion
205
Therapie von primären Kiefergelenkerkrankungen
Synovitis
Arthritis
Osteochondritis
(PCP)
Entlastungsschiene
Ruhigstellung
internistisch-medikamentös
Tab. 17
Therapie von primären Kiefergelenkerkrankungen (nach Freesmeyer 1993)
Therapie von sekundären Kiefergelenkerkrankungen
Belastungsänderungen
Distraktion
Äquilibrierungsschiene
anteriores Plateau
Kompression
Entlastungsschiene
Einschleiftherapie
prothetische Rekonstruktion
Kieferorthopädie
Stellungsänderungen
retral/lateral
Positionierungsschiene
ventral/lateral
Äquilibrierungsschiene
Einschleiftherapie
prothetische Rekonstruktion
prothetische Rekonstruktion
Kieferorthopädie
Strukturänderungen
Positionierungsschiene
prothetische Rekonstruktion
chirurgische Therapie
Tab. 18
Therapie von sekundären Kiefergelenkerkrankungen (nach Freesmeyer 1993)
206
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Bei der Therapie der sekundären Kiefergelenkerkrankungen muss sehr
genau differenziert werden, ob die Erkrankung durch Belastungsänderungen, Stellungsänderungen oder Strukturänderungen hervorgerufen wird.
Einschleiftherapie
Sowohl bei Belastungsänderungen als auch bei Stellungsänderungen
sind Einschleiftherapien notwendig. Eine Übersicht über die Einschleifbehandlung bei dynamischer und statischer Okklusion ergibt
sich aus den Tabellen 19 und 20.
Statische Okklusion (natürliches Gebiss)
Vorzeitige Kontakte im Frontzahngebiet
Ziel:
Höcker-Fossa-Beziehung im Seitenzahngebiet,
Frontzahnführung in dynamischer Okklusion
Frontzähne leicht außer Kontakt (ca. 60 µm)
Beschleifen: im UK Inzisalkanten
im OK palatinale Flächen
Beachten:
Disklusion im Seitenzahngebiet
■
vorhanden: UK beschleifen
■
nicht vorhanden: OK beschleifen
Vorzeitige Kontakte im Seitenzahngebiet
Ziel:
Höckerspitzen oder Höckerabhangskontakt (Tripodisierung)
Frontzahnführung mit Disklusion im Seitenzahngebiet
Beschleifen: Fossa für den tragenden antagonistischen Höcker
Tragende Höcker, wenn sie die Okklusionskurve überragen
und wenn sie außerhalb der Höckerlinie stehen.
Randleisten, wenn sie den Aufbau einer gleichmäßigen
Okklusionskurve verhindern bzw. die anderen Randleisten
überragen.
Beachten:
Größenverhältnis von Höcker und Fissuren
Tab. 19
Statische Okklusion im natürlichen Gebiss (nach Freesmeyer 1993)
Parodontologie und Funktion
207
Dynamische Okklusion (natürliches Gebiss)
Protrusionsbewegung
Ziel:
Frontzahnführung mit Disklusion im Seitenzahngebiet
Beschleifen: Seitenzahngebiet, wenn Disklusion im Frontzahngebiet
■
im OK distale Höckerabhänge
■
im UK mesiale Höckerabhänge
Beachten:
Kontaktbeziehungen der tragenden Höcker in habitueller
Interkuspidation
Mediotrusionsbewegung
Ziel:
Eckzahnführung mit Disklusion im Seitenzahngebiet
Beschleifen: Seitenzähne, wenn Disklusion der Frontzähne auf der
Laterotrusionsseite
■
im UK linguale Höckerabhänge der bukkalen Höcker
■
im OK bukkale Höckerabhänge der palatinalen Höcker
Beachten:
Kontakte auf der Laterotrusionsseite
Abstützung in habitueller Interkuspidation
Laterotrusionsseite
Ziel:
Eckzahnführung mit Disklusion im Seitenzahngebiet
Beschleifen: Seitenzahngebiet, wenn Disklusion im Frontzahngebiet
■
im OK: linguale Höckerabhänge der bukkalen Höcker,
eventuell Höckerspitzenverlagerung
■
im UK: bukkale Höckerabhänge der lingualen Höcker
Beachten:
Kontakte auf der Mediotrusionsseite
Abstützung in habitueller Interkuspidation
Tab. 20
Dynamische Okklusion im natürlichen Gebiss (nach Freesmeyer 1993)
Fazit für die Praxis
Der Patient mit einem parodontal erkrankten Gebiss sieht seine Behandlungsnotwendigkeit in erster Linie reduziert auf die Behandlung
der chronischen Parodontitis und der Vermeidung von weiteren pardontalen Destruktionen im Sinne der Beibehaltung eines Status quo.
Patientensicht
208
Behandlung von
Funktionsstörungen
Überprüfung und
Einschleifplanung
im Artikulator
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Funktionelle Störungen der statischen und dynamischen Okklusion
oder auch funktionelle Störungen im Sinne von Kiefergelenkerkrankungen werden von ihm nur sehr selten wahrgenommen oder er ist
sich dessen nicht bewusst. Bei der parodontalen Behandlung eines
solchen Patienten ist es aber sehr wohl wichtig, diese Funktionsstörungen mit zu erfassen und auch zumindest teilweise dort zu behandeln, wo sie den Fortgang einer parodontalen Erkrankung weiter begünstigen, wie beispielsweise beim okklusalen parodontalen Trauma.
Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die notwendigen Einschleifmaßnahmen im Mund des Patienten nach vorheriger Überprüfung und
Einschleifplanung im adjustierten Artikulator erfolgen. Die besondere
Situation der oftmals vorliegenden mobilen und gelockerten Zähne
lässt nur bedingt eine Vorabplanung anhand von Modellen vornehmen. Ein differenziertes systematisches Einschleifen im Sinne der heutigen Okklusionskonzepte ist bei einem Patienten mit einer ausgeprägten parodontalen Destruktion meistens nicht möglich und auch nicht
sinnvoll. Wird bei diesen Patienten eine prothetische Rekonstruktion
mit herausnehmbarem oder festsitzendem Zahnersatz, möglicherweise auch mit Implantaten durchgeführt, dann sind natürlich die
Okklusionskonzepte zu beachten und umzusetzen.
Parodontologie und Ästhetik
209
Parodontologie und Ästhetik
Viele zahnärztliche Eingriffe wie beispielsweise Karies-, Parodontitis-,
prothetische, aber auch implantologische und Traumatherapie haben
Auswirkungen auf die Ästhetik.
Ästhetische Planung
Für die ästhetische Planung müssen die oralen und fazialen Strukturen
und ihre Auswirkungen auf die Ästhetik genau erfasst werden. Unter
anderem sind folgende Gesichtspunkte wichtig (Lindhe 1999):
Aspekte prothetischer Planung
■
Gesichtssymmetrie
■
Interpupillarlinie
■
Gesichtsmittellinie (Zahnmittellinie)
■
Inzisalkanten
■
Okklusalebene
■
Lachlinie
■
Lippensymmetrie während des Lachens
■
sichtbare Gingiva beim Lachen
■
Verlauf der Gingivaränder
■
Harmonie zwischen Gingiva, Zahngröße und den Zahnproportionen
■
sichtbares orales Vestibulum
!
Eine sehr wichtige Rolle spielen die Lippen beim ästhetisch anspruchsvollen Patienten. Die Lippen decken die Zähne, aber auch die
Gingiva teilweise ab. Der Zahnarzt kann zwar weder die Lippen formen
noch ihren Verlauf verändern, er kann aber Zähne, Gingiva und auch
die Interdentalpapillen durch eine geeignete Kombination von Parodontal- und prothetischer Therapie so beeinflussen, dass sie den
ästhetischen Ansprüchen Rechnung tragen.
Lippen
210
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Verschiedene Verfahren ästhetischer
Behandlung
Kronenverlängerung
!
Eine chirurgische Kronenverlängerung kann die Lösung für verschiedene Probleme darstellen bei:
■
unter der Gingiva liegenden kariösen Läsion
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unter dem Gingivaniveau liegenden Frakturlinien (Kronenfraktur)
■
subgingivalen Ränder bei Restaurationen
■
Zugang zu subgingivalen Operationsrändern bei der Abformung
(Einhalten der biologischen Breite [Abb. 51])
Abb. 51
Biologische Breite
Parodontologie und Ästhetik
211
Gummy Smile
Es gibt Menschen, bei denen die Oberlippe die Gingiva beim Lachen
nicht abdeckt. Diese Patienten haben eine zu hohe Oberlippe und zu
kurze Frontzähne und zeigen damit eine breite Zone Gingiva beim
Lachen (Gummy Smile). Dies kann korrigiert werden. Dabei müssen
allerdings einige Kriterien beachtet werden: die Lage des Gingivarandes im Verhältnis zur Schmelz-Zement-Grenze und zum Knochenkamm, das Verhältnis von Wurzel zum Alveolarknochen, Größe und
Form der Unterlippe sowie die Lageveränderung der Lippe beim Sprechen und Lachen.
Sind Form und Größe der Zähne sowie Lage der Gingivaränder normal, die Gingiva jedoch trotzdem stark sichtbar, liegt dies an einer
Überentwicklung des Oberkiefers. Diese Patienten haben ein verlängertes Mittelgesicht. Somit wird ihr Problem nicht durch parodontale
Grundveränderungen zu lösen sein, sondern nur durch eine umfangreiche chirurgische und kieferorthopädische Behandlung. Oft sind die
klinisch sichtbaren Kronen verkleinert, die Gingiva ist vergrößert und
bedeckt einen Teil der klinischen Krone. In solchen Fällen ist eine
Behandlung durch eine Gingivektomie zur Vergrößerung der Zähne
indiziert.
Auch bei einer pigmentierten Gingiva kann durch eine externe Gingivektomie eine blassrosa Farbe erzeugt werden, wobei es im Laufe der
Zeit zu einer Wiederpigmentierung kommen kann. Liegen ein verdicktes Weichgewebe und ein starker Alveolarkamm vor, kann ein apikaler
Verschiebelappen mit einer Osteoplastik durchgeführt werden. Eine
stärkere Knochenkonturierung (Kronenverlängerung) ist bei anatomisch kurzen Kronen erforderlich, um die Ästhetik zu verbessern
(Abb. 53). Dabei muss nach der chirurgischen Therapie ein konservierender Kronenaufbau mit Komposit oder eine entsprechende
prothetische Versorgung erfolgen. Eine Kontraindikation für diese
Technik ist das Vorliegen kurzer Wurzeln.
Behandlungsrelevante Kriterien
Überentwicklung
des Kiefers
Pigmentierte
Gingiva
Verdicktes
Weichgewebe
Kurze Kronen
212
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Abb. 52
Kieferorthopädische Kronenverlängerung
Abb. 53
Chirurgische Kronenverlängerung
Parodontologie und Ästhetik
213
Apikal reponierter Lappen mit Osteoplastik
Bei dieser Technik müssen im Minimum 4 mm Zahnhartsubstanz unter
dem Defekt freigelegt werden, da bei der Heilung das Gewebe wieder
um 2 bis 3 mm nach koronal proliferiert. Die Gingiva nimmt nach der
Heilung die Kontur des darunter liegenden Knochens an, sodass eine
sorgfältige Osteoplastik erfolgen sollte. Durch diese chirurgische
Maßnahme wird ein substanzieller Teil des Attachments abgebaut,
sodass darauf zu achten ist, dass die Wurzeln eine genügende Länge
aufweisen. Wichtig ist es hierbei, im Frontzahngebiet auf die Symmetrie zu achten und die Operation dementsprechend auszudehnen
(Abb. 53).
Vorgehen
Unter kieferorthopädischen Maßnahmen kann eine langsame Elongation erfolgen entweder der gesamten Zähne, wobei hierdurch der
gesamte Zahnhalteapparat folgt, oder bei einzelnen Zähnen oder
Wurzeln, wenn man beispielsweise bei einer später geplanten Implantation den Knochen erhalten möchte und ihn an eine andere Stelle
bewegen will. Bei der raschen Elongation wird der Zahn koronal aus
der Alveole heraus bewegt, Knochen und Gingiva bleiben in ihrer
Position. Es muss einmal pro Woche eine Durchschneidung erfolgen,
damit das Bindegewebe dem Zahn nicht folgen kann. Dies kann beispielsweise für die Elongation einzelner Zähne, die nicht im ästhetischen Verlauf stehen, angewandt werden.
Langsame
Elongation
Rasche Elongation
Kieferkammaugmentation bei Brückengliedern
Der zahnlose Kieferkamm kann nach Extraktion seine normale Form
beibehalten. Allerdings fehlen an einem solchen Kamm die Papillen
und die Juga alveolaria. Ein Brückenglied sitzt einem solchen Kamm
immer auf; dadurch erscheinen die Interdentalräume dunkel, wodurch
eine ästhetische Lösung gefährdet ist.
Ästhetische Lösung
gefährdet
214
Parodontologie in der Zahnheilkunde
Die chirurgische Behandlung von Kammdefekten
Deformierter Kieferkamm
Der Kieferkamm kann durch verschiedene Ursachen deformiert sein,
wobei im Wesentlichen Bereiche wie Extraktion, vorhergehende Wurzelspitzenresektion und Zystektomien, fortgeschrittener Parodontalbefall oder Abszessbildung eine Rolle spielen. Der Gewebeverlust kann
vertikal, horizontal oder aus einer Kombination von beidem bestehen.
Bindegewebsimplantat zur Augmentation
Vorgehen
Vor der Durchführung sollte eine sorgfältige Behandlungsplanung
erfolgen. Die Zähne werden präpariert und ein Provisorium angefertigt.
Das Zwischenglied sollte so gestaltet sein, dass anschließend ein
leichter Druck auf den aufgebauten Bereich ausgeübt wird, um Papillen erzeugen zu können, wobei der Druck nicht zu groß sein sollte,
um eine Ischämie zu verhindern (Lindhe 1999).
Zu berücksichtigen sind die Größe des Defektes, die Entnahmestelle
des Bindegewebstransplantats sowie die Form der provisorischen
Brücke. Wir verwenden zu dieser Art der Operation die Aufbautechnik
mit einem Bindegewebstransplantat (Abb. 54).
Abb. 54
Mukosalappen mit freiem
Bindegewebstransplantat zum Kammaufbau
(nach Lindhe 1999)
Parodontologie und Ästhetik
215
Technik
An der Empfängerstelle wird ein Mukosalappen gebildet. Das
Implantat kann sowohl lokal als auch auf dem Kieferkamm positioniert
werden. Oral muss das Implantat nicht fixiert, okklusal sollte es durch
eine kleine Naht befestigt werden, um es am Verrutschen zu hindern.
Die Entnahmestelle liegt palatinal.
Mukosalappen
Der Mukosalappen wird nach Einbringen des Implantats mit einer Naht
verschlossen und kann nach dem Verschluss der palatinalen Wunde
der Heilung überlassen werden. Zur Unterstützung kann hier eine palatinale Verbandplatte angefertigt werden. Eine ähnliche Technik wird bei
dem Auflagerungsimplantat angewandt, wobei dann auch noch das
mit entnommene Epithel verpflanzt wird (Abb. 55).
Bei größeren Defekten ist auch die Bildung von Taschen mit einer Aufnahme von Knochenimplantaten oder von Implantaten aus Knochenersatzstoffen möglich.
Abb. 55
Auflagerungstransplantat
Größere Defekte
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Parodontologie in der Zahnheilkunde
Onlaygraft-Techniken
Sukzessive
Defektlösung
Zur Erhöhung des Kieferkammbereichs können Onlaygrafts eingesetzt
werden. Das sind Gingivatransplantate, die aus dem Empfängerbett
ernährt werden. Die Erhöhung hängt davon ab, wie dick das
Transplantat ist, wie die Wundheilung aus der Basis erfolgt und welcher Anteil des Transplantates überlebt. Ein solcher Aufbau kann alle
zwei Monate wiederholt werden, um den Defekt sukzessive zu erhöhen. Die Empfängerseite wird mit einem Skalpell kreuzförmig geschlitzt, sodas seine gute Versorgung des Transplantates erfolgen
kann. Das Transplantat sollte relativ großflächig sein; als Geberstelle
eignet sich nur der Prämolarbereich im vorderen Gaumen. Das Transplantat wird mit Nähten auf der Empfängerseite fixiert.
Auch eine Kombination aus Onlay- und Sandwichgraft ist möglich
(Abb. 56).
Abb. 56
Kombination von Onlay-und Sandwichgrafttechnik
Näheres zur Rezession siehe im entsprechenden Kapitel (S. 118 ff.)
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