11.12.2009 Agenda Endokrinologie und psychische Störungen Christine Hoff Symposium Perspektiven der psychiatrischen Therapie Zürich, 10. Dezember 2009 Die historische Perspektive (I) Agenda Endokrinologie und Psychiatrie: eine wichtige Schnittstelle früher und heute Pi i i d Prinzipien der endokrinologischen d ki l i h Diagnostik Endokrine Störungen mit häufiger psychopathologischer Symptomatik Zwei praxisorientierte Kasuistiken Resümee & Diskussion Endokrinologie und Psychiatrie: eine wichtige Schnittstelle früher und heute Pi i i d Prinzipien der endokrinologischen d ki l i h Diagnostik Endokrine Störungen mit häufiger psychopathologischer Symptomatik Zwei praxisorientierte Kasuistiken Resümee & Diskussion Manfred Bleuler 1903 - 1994 Die historische Perspektive (II) Burghölzli, 1874 Korrelation zwischen hormonellen und psychischen Veränderungen ist klinischer und Forschungsgegenstand der Psychiatrie spätestens seit dem 19. Jahrhundert Schwerpunkt der Forschungstätigkeit Manfred Bleulers am Burghölzli: - Begriff des „endokrinen Psychosyndromes“ - Hauptwerk Endokrinologische Psychiatrie, Stuttgart, Thieme 1954 In der Folgezeit Bedeutungsverlust des Begriffes „endokrines Psychosyndrom“. Gründe G ü d d dafür fü sind i d - Bessere/frühere Behandlung endokriner Störungen - Sehr breiter Begriff („lumping“ anstelle von „splitting“) - Geringe unmittelbare Bedeutung endokriner Parameter für die Ätiologie psychischer Krankheiten 1 11.12.2009 Endokrinologische Diagnostik Agenda Endokrinologie und Psychiatrie: eine wichtige Schnittstelle früher und heute P i i i der Prinzipien d endokrinologischen d ki l i h Diagnostik Endokrine Störungen mit häufiger psychopathologischer Symptomatik Zwei praxisorientierte Kasuistiken Resümee & Diskussion Ausführliche endokrinologische Anamnese und körperliche Untersuchung stehen am Anfang jeder Diagnostik Sie liefern wichtige Informationen über zeitlichen Verlauf, Schweregrad und Lokalisation Sie bestimmen im wesentlichen die gezielte weiterführende Diagnostik und vermeiden unnötige Untersuchungen Sie bilden die Grundlage zur Interpretation des Hormonlabors und nachfolgender bildgebender Diagnostik Agenda Endokrinologische Stufendiagnostik Endokrinologische Laborbasisdiagnostik Präanalytik und Standardbedingungen beachten! z.B. B Testosteron 8.00 8 00 Uhr Endokrinologische Funktionsdiagnostik -Hormonexzess: Suppressionstest -Hormoninsuffizienz: Stimulationstests Bildgebung Sonographie und FNP, Szintigraphie, DEXA Messung, MRI, (CT) Endokrinologie und Psychiatrie: eine wichtige Schnittstelle früher und heute Pi i i d Prinzipien der endokrinologischen d ki l i h Diagnsotik Endokrine Störungen mit häufiger psychopathologischer Symptomatik Zwei praxisorientierte Kasuistiken Resümee & Diskussion SOMNOLENZ VERWIRRTHEIT DENKSTÖRUNG Thyreoidea-stimulierendes Hormon = TSH ANGST GEREIZTHEIT TRH ANOREXIE Hypophyse TSH SCHWITZEN ZITTERN T3 Schilddrüse Beste Beurteilung der Schilddrüsenfunktion Sensitive Assays 3. Generationentest: TSH-Nachweis bis 0,001 mU/l Ersetzt den TRH-Test T4 GEWICHTABNAHME SCHLAFSTÖRUNG SCHWÄCHE 2 11.12.2009 Relevante Erkrankungen des Schilddrüsenstoffwechsel Primäre Hypothyreose Primäre Hyperthyreose Hashimotothyreoiditis 40,6% Idiopathisch 37 37,3 3 Iatrogren: 10.5% - postoperativ - St. n. Radiojodtherapie - thyreostatische Therapie Medikamente: 2,3% - LITHIUM - Amiodaron - Alphainterferon Morbus Basedow 65-75% Hashimotothyreoiditis 2% Funktionelle Autonomie 25-30% Hyperthyreosis factitia unter 1% Psychopathologische Befunde Hypothyreose Kognitive Veränderungen Aufmerksamkeits/Konzentrationsstörungen Stimmungsschwankungen bis hin zu depressivem Syndrom und bis zur psychotischen Entgleisung („Myxedema madness“) Morbus Basedow Euthyreot-sick-syndrome Low-T3-T4–Syndrom durch verminderte T4/T3 Konversion, sowie veränderte Proteinbindung nicht krankheitsspezifisch (Prävalenz ca. 1%, Attia 1999) TSH-Suppressionssyndrom bei depressiven Patienten nicht behandlungsbedürftig Hyperthyreose Kognitive Veränderungen Stimmungsschwankungen Hyperaktivität mit Müdigkeit Angstzustände Schlafstörungen mit Müdigkeit und Schwäche tagsüber Ältere Patienten „apathetic thyrotoxicosis“ oligosymptomatisch mit Überwiegen depressiver Symptomatik Hyperthyreose S Struma diffusa ff oder nodosa Endokrine Orbitopathie 3 11.12.2009 Klinische Zeichen des M. Basedow Extrathyreoidale Manifestationen 6. November 2009 PD Dr. Michael Brändle 6. November 2009 Therapie des Morbus Basedow PD Dr. Michael Brändle Schilddrüsenhormonsubstitution bei euthyreoten Patienten Keine kausale Therapie möglich: - I. d. R. thyreostatische Therapie über 1 Jahr 50-60% Remission - Totale Thyreoidektomie möglichst durch endokrine Chirurgie - Radiojodtherapie Therapeutische Option bei therapierefraktärer Depression? Datenlage spricht dagegen, da Metaanalyse 1996: 8 Studien günstiger Effekt dokumentiert aber in 4 randomisierten, Doppelblindstudien kein Therapieeffekt zeigen In Anbetracht der NW (Osteoporose, Arrhythmien……) zurückhaltende Indikation für diese therapeutische Intervention! Aronson et al. Arch Gen Psychiat 1996 Cushing Syndrom Psychiatrische Störungen unter Cortisolexzess Bei endokrinologischer Erkrankung durch Glucocorticoid-Wirkung 50 - 85% psychische hi h Stö Störungen als l L Leitsymptom it t Starkmann 1981, Haskett 1985, Kelly 1985 Unter Prednison dosisabhängig akute psychiatrische Symptome Harvey Cushing 1869-1936 Boston Collaborative Drug Surveillance Programm 1972 4 11.12.2009 Hypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Achse Cortisolsekretion CRH ACTH CORTISOL „Pseudo-Cushing“ Aktivierung der H-H-NN Achse als physiologische Stressantwort bei primären psychiatrischen Störungen häufig Wong 1997 Störung der Tagesrhythmik, vermehrte Produktion, verminderte Supprimierbarkeit im Dexamethasonhemmtest, Cortisolresistenz…. Ebenso bei Alkoholkrankheit, Anorexie, Bulimie, Diabetes mell., Infektionskrankheiten ... Endogenes Cushing Syndrom ACTH-abhängig ACTH-Excess durch Hypophysenmikroyp p y oder Makroadenom 70-80% Paraneoplastische ACTH Bildung Prävalenz 1-4 Fälle/ 100 000 Inzidenz 1-2,4 Fälle/ 100 000 ACTH- unabhängig Nebennierenrinden Adenom, selten C i Carzinom 15% Idiopathische bilaterale NNR Hyperplasie Cortisonstoffwechsel 5 11.12.2009 6 11.12.2009 Cushing‘s syndrome suspected Exclude exogenous glucocorticoid exposure Perform on of the following tests 24- UFC (≥2 tests) Overnight 1-mg DST Late-night salivary cortisol (≥2 tests) ANY ABNORMAL RESULT Normal (CS unlikly) Exclude physiologic causes of hyperorisolism (Table 2) Consult endocrinologist Perform 1 or 2 oher studies shown above Suggest consider repeating the abnormal study Suggest Dex-CRH or midnight serum cortisol in certain populations (see text) Discrepant (Suggest addictional evaluation) ABNORMAL Normal (CS unlikely) Cushing‘s syndrome The Diagnosis of Cushing‘s Syndrome The Endocrine Society‘s Guidelines Parathormonwirkung Parathormonstoffwechsel Laborkonstellation: Diagnostik 2x an verschiedenen Tagen - Calcium erhöht ( über 2 2,6mmol/l) 6mmol/l) - Phosphat erniedrigt/normal - PTH intakt erhöht Lokalisation: - Solitäre oder multiple Nebenschilddrüsenadenome - Hyperplasie der Epithelkörperchen - sehr selten Carcinome, selten MEN Organmanife -station bei pHPT Organsystem Hyperkalzä mie. Beschwerde n, Funktionsst örungen Bei hyperkalzämischer Krise Niere Polyurie, Polydipsie, Elektolytverlus t: K, Mg g Oligurie → Nephrolithiasis, Nephrokalzinos Anurie Niereninsuffizi e enz Gastrointestinaltrakt Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl, Gewichtsabnahme, Obstipation Verstärkt Kalzifizierende Pankreatitis, Peptisches Ulkus (rezid.), Cholelithiasis Herz-KreislaufSystem Rhythmusstör ungen, Tachykardien, Hypertonie Verstärkt Extrem selten: Kalzinose des Myokards Primärer Hyperparathyreoidismus 7 11.12.2009 Organsystem Hyperkalzämie, Beschwerden, Funktionsstörungen Bei hyperkalzämischer Krise Zentralnervensystem und neuromusku-lärer Apparat Muskelschwäche, Reflexabschwächung Desorientiertheit, Somnolenz, Koma Organmanifestation bei pHPT Psychopathologisch: Initiativlosigkeit, Verstimmung, Depression Skelett Osteoporose Ostitis fibrosa cystica generali-sata von Reck-linghausen Gelenke Chondrokalzinose „Kleines Endokrinologiescreening“ Agenda Endokrinologie und Psychiatrie: eine wichtige Schnittstelle früher und heute Pi i i d Prinzipien der endokrinologischen d ki l i h Diagnsotik Endokrine Störungen mit häufiger psychopathologischer Symptomatik Zwei praxisorientierte Kasuistiken Resümee & Diskussion Nach klinischem Verdacht! Schilddrüse: fT4 TSH Cortisolstoffwechsel: Sammelurin oder Mitternachtsspeichelkortisol PTH Stoffwechsel: Calcium und Phospatbestimmung Kasuistik 1 36jährige Patientin, zugewiesen von Gynäkologin bei Zunahme der Behaarung im Gesicht und Gewichtszunahme von 6kg nach der Geburt der Kinder AA Patientin AA: P ti ti berichtet b i ht t mitit grosser Verzweiflung über Wesensänderung. Keine Geduld mit den Kindern, keine körperliche Belastung mehr möglich, Disziplin ist völlig weg. Traum, sie werde zum „Werwolf“, ihre verstärkte Behaarung halte sie nicht mehr aus. EA: Konzentrationsstörung, innerer Unruhe. Aggressivität, die sie nicht steuern kann. Deutliches körperliches Leistungsdefizit mit Beinschwäche (hat Joggen aufgehört). Kompletter Libidoverlust , Menstruation regelmässig. Anfallsweise Hitzewallungen PA: 2 Spontangeburten 2000/2002, Sterilisation 2005, AP, TE. In Psychotherapie seid 3 Monaten. FA: keine endokrinologischen und internistischen Erkrankungen Medikamente: keine Status: guter AZ, leicht adipöser EZ 160cm/ 64kg, BD 139/78 mm Hg, P 72 S/Min. Im Gesicht einige Teleangiektasien seit Jugend. Keine Hämatome, keine Striae. Hirsutismusscore (Ferrimann Gallwey 10) Übriger endokrinologischer und internistischer Befund unauffällig. 8 11.12.2009 Stufendiagnostik Klinisch: Muskelschwäsche, psychische Veränderung, Hirsutismus, Gewichtszunahme (?) Endokrinologische Basisdiagnostik BZ nüchtern max 4,6mmol/l 2x gemessen fT4, TSH in der norm, SD AK negativ, pathologisch erhöht Androstendion, Testosteron 24h-Urin Cortisol grenzwertig erhöht 692 nmo/l (bis 600) Stufendiagnostik ACTH Bestimmung: 70 ng/l (45 )! Bildgebung: g g MRI der Hypophyse: yp p y Mikroadenom rechts Superselektives bilaterales venöses Sampling aus dem Sinus cavernosus (USZ) sichert das ACTH-abhängige Cushingsyndrom Endokrinologische Funktionsdiagnostik: 1mg Dexamethasonhemmtest nicht supprimierbar 8.00 Uhr nüchtern 559nmol/l, 2.Tag 662nmo/l Kasuistik 2 Therapie und Verlauf - Transnasale transsphenoidale Entfernung des ACTH-produzierenden Mikroadenoms der Hypophyse - Postoperativ psychiatrisches Konsil bei Schlaflosigkeit und massiven Agstzuständen - Diagnose: Organisch induziert gemischte affektive Störung - - Postoperativ in absteigender Dosierung Hydrocortisonsubstitution über 1 Jahr Begleitende Psychotherapie 14 Monate postoperativ völlige Normalisierung aller physischen und psychischen Funktionen - - 49jährige Patientin mit V.a. Angina Pectoris hospitalisiert, aktuell zusätzlich starke Belastung bei Paarkonflikt, aktuell heftige Auseinandersetzung mit Ehemann PA: keine Vorerkrankungen g ausser TE und AP FA: Vater mit 56 Jahren plötzlicher Herztod, Mutter D M Typ 2 SA: „noch“ verheiratet, 2 Kinder im Gymi, Selbständige Treuhänderin Status: Patientin völlig aufgelöst, weinend, ängstlich, feinschlägiger Tremor Reduzierter AZ. Adipöser EZ 167cm/76 kg, BD 167/110mmHg, P 104 regelm. Haut schweissig, glänzend, Struma ohne Knoten tastbar. Üebriger Status o p B Agenda Auffällige Laborparameter BZ nü 6 6,9 9 mmol/l TSH supprimiert, FT4 32pmol/l (6,8 - 18) Schilddrüsenautoantikörper TRAK positiv (Pathognomonisch für M. Basedow !) AA :nie Herzschmerzen, jedoch häufig Palpitationen, seid 1 Jahr Hitzewallungen, Schlafstörungen, seid 8 Monaten keine Regelblutung mehr. Kompletter Libidoverlust. Kein relevanter Gewichtsverlust. Seid 6 Monaten „Gefühl sie sei nicht mehr sie selbst“, ständig Streit in der Familie und mit Ehemann. Fremdanamnese: ständig gereizt, sehr vergesslich geworden, bei geringster Problematik riesige Auseinandersetzung, Seid 2 Monaten Beginn einer Paartherapie. Im Geschäft und mit den Kindern ebenfalls Konflikte. Endokrinologie und Psychiatrie: eine wichtige Schnittstelle früher und heute Pi i i d Prinzipien der endokrinologischen d ki l i h Diagnostik Endokrine Störungen mit häufiger psychopathologischer Symptomatik Zwei praxisorientierte Kasuistiken Resümee & Diskussion 9 11.12.2009 Resümee Das Verkennen einer endokrinen als psychiatrische Störung (und umgekehrt) wird immer zu einem gravierenden i d P Problem bl fü für d den/die /di P Patienten/-in. ti t / i Es gibt zwar kein klar abgrenzbares „endokrines Psychosyndrom“, wohl aber markante (wenn auch nicht beweisende!) psychopathologische Auffälligkeiten bei vielen endokrinen Störungen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist - auch hier entscheidend. 10