Psychiatrie • Neurologie • Psychotherapie psycho Zeitschrift für Praxis und Klinik Organ der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. Supplement Eine Option in der Akuttherapie Schnelle Aufdosierung von Quetiapin Supplement Eine Option in der Akuttherapie Schnelle Aufdosierung von Quetiapin uetiapin (Seroquel®), eines der neueren atypischen Neuroleptika mit chemischer Verwandtheit zur prototypischen Substanz Clozapin, gilt im Allgemeinen als sehr gut verträglich und nebenwirkungsarm. Insbesondere verhält es sich nahezu gewichtsneutral, extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen liegen auf Plazebo-Niveau; weiterhin hat Quetiapin ein günstiges kardiales Risikoprofil und nach unseren Erfahrungen wurden bislang auch keine gravierenden Blutbildveränderungen beobachtet. Zu den in der Praxis am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen zählen orthostatische Hypotension und Sedierung, wenngleich letztere vor allem in unteren Dosisbereichen aufzutreten scheinen. Dennoch wird bislang ein vorsichtiges Eindosieren empfohlen: Auf zwei Tagesdosen verteilt, empfiehlt der Hersteller bisher die Gabe von 50 mg am ersten, 100 mg am zweiten, 200 mg am dritten, 300 mg am vierten und erst am fünften Tag die Q Zieldosis von maximal 750 mg Quetiapin pro Tag. Dieses Vorgehen erscheint für die Akutpsychiatrie als weniger praktikabel. Die Frage ist daher, ob ein schnelleres Aufdosieren von Quetiapin ebenfalls ohne Nebenwirkungen vertragen wird und welche Wirkung es zeigt. Patientengut Auf der Akutstation der Klinik für Psychiatrie der Universität Würzburg wurden 13 Patienten, die aufgrund einer akuten Exazerbation einer Psychose zur Aufnahme gekommen waren, mit einem anderen Dosierungsschema behandelt. Das durchschnittliche Alter lag bei 34±9 Jahren (22–50 Jahre). Die Patienten wurden sowohl nach ICD-10 als nach der differenzierten Einteilung der endogenen Psychosen nach K. Leonhard1 diagnostiziert (Tab 1). Der Aufnahmemodus (akute Exazerbation) erklärt möglicherweise das relative Überwiegen von zykloiden Psychosen, da ins- besondere an einer systematischen Schizophrenie erkrankte Patienten überwiegend in Landeskrankenhäusern hospitalisiert sind, an einer zykloiden Psychose leidende Patienten im Gegensatz dazu aus der Remission wiedererkranken. Unsystematisch schizophrene Patienten nehmen hier eine Mittelstellung ein. Praktisches Vorgehen Es wurde ein Dosierungsschema mit einer zügigen Aufdosierung gewählt (Tab. 2); je nach Akuität wurde am zweiten Tag eine Tagesdosis von 200 oder 400 mg gewählt. Die Höchstdosis lag zwischen 400 und 800 mg Quetiapin pro Tag (592±126 mg). Fünf Patienten erhielten keine weiteren Neuroleptika. Bei den anderen wurden begleitend weitere Psychopharmaka gegeben: Drei erhielten initial ein- oder zweimalig Haloperidol i.v., zwei Patienten 1 Leonhard K. Die Aufteilung der endogenen Psychosen und ihre differenzierte Ätiologie; 7. Auflage. Thieme Verlag Stuttgart, 1995 2 PANSS = Positive and Negative Syndrome Scale 3 GAF = Global Assessment of Functioning 4 CGI = Clinical Global Impression Tab. 1 Studienzusammensetzung Pat. Code Alter ICD-10 A 39 F23.0 akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome einer Schizophrenie B 29 F23.0 akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome einer Schizophrenie C 50 F20.3 Undifferenzierte Schizophrenie Leonhard Gruppe nach Leonhard Verwirrtheitspsychose Zykloide Psychose D 22 F31.1 E 37 F23.0 Manisch-depressive Erkrankung Verwirrtheitspsychose Zykloide Psychose F 30 F23.0 G H I 42 44 44 F25.0 F25.1 F25.1 J 23 F20.1 K L M 24 29 31 F25.1 F25.1 F25.1 2 Bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episoden ohne psychotische Symptome akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome einer Schizophrenie akute polymorphe psychotische Störung ohne Symptome einer Schizophrenie Schizoaffektive Störung, gegenwärtig manisch Schizoaffektive Störung, gegenwärtig depressiv Schizoaffektive Störung, gegenwärtig depressiv Angst-Glücks-Psychose Zykloide Psychose Kataphasie Unsystematische Schizophrenie Affektive Psychose Verwirrtheitspsychose Zykloide Psychose Motilitätspsychose Zykloide Psychose Verwirrtheitspsychose Zykloide Psychose Kataphasie Unsystematische Schizophrenie Hebephrene Schizophrenie Parakinetische Systematische Katatonie Schizophrenie (Katatonie) Schizoaffektive Störung, gegenwärtig depressiv Verwirrtheitspsychose Zykloide Psychose Schizoaffektive Störung, gegenwärtig depressiv Verwirrtheitspsychose Zykloide Psychose Schizoaffektive Störung, gegenwärtig depressiv Motilitätspsychose Zykloide Psychose psycho 2002, 29 (1) Supplement wirkungen oder EPMS. Dies spiegelt sich auch im CGI-Rating wider (Item 3.2, 1±0 Punkte). Zu Interaktionen mit anderen (Psycho-) Pharmaka kam es ebenfalls nicht. Diskussion Wirksamkeit und Indikation Diese Ergebnisse zeigen, dass sich Quetiapin sehr gut zur Therapie von zykloiden Psychosen eignet. Diese nosologisch eigenständigen Psychosen zeichnen sich durch einen phasenhaften, bipolaren Verlauf mit vollständiger Remission 5 Borison RL et al. (1996): ICI 204,636, an atypical antipsychotic: Efficacy and safety in a multicenter, placebo-controlled trial in patients with schizophrenia; J Clin Psychopharmacol 16 (2): 158–169 6 Meats, P.: Quetiapine (Seroquel ®) – an effective and well-tolerated atypical antipsychotic. International Journal of Psychiatry in Clinical Practice (1997) 1: 231–239 Tab. 2 Dosierungsschema während der Untersuchung Tag 1 Tag 2 100 mg als 2 x 100 mg (n=7) Einmalgabe oder 2 x 200 mg (n=5) QuetiapinDosis pro Tag Tag 3 2 x 200 mg Tag 4 und folgende je nach Response evtl. weitere Steigerung bis auf 800 mg CGI-3.1 CGI-3.2 NW Tab. 3 PANSS-Werte von 12/13 Patienten (QPT=Quetiapin) CGI-2 Wirksamkeit In der beobachteten Patientengruppe konnte eine gute Wirksamkeit von Quetiapin festgestellt werden, was sich in den bei zwölf Patienten erhobenen durchschnittlichen PANSS2-Werten niederschlug (Tab. 3). Der GAF3-Wert verbesserte sich im Zuge der Behandlung von 35±12 auf 48±22 Punkte, der CGI4Schweregrad reduzierte sich von 6±1 auf 4±1 Punkte. Die CGI-Gesamtbeurteilung der Zustandsänderung lag bei 2±1 („viel besser“), und die CGI-Skala „Therapeutische Wirksamkeit“ bei 2±1. Drei Patienten mussten als Non-Responder eingestuft werden: eine Patientin mit Mischzustand bei manisch depressiver Episode (Tab. 1, D), eine Patientin mit zykloider Psychose (H) und eine mit schizoaffektiver Psychose (I, Kataphasie nach Leonhard). Die anderen zehn Patienten, also über 75%, profitierten deutlich von Quetiapin; diejenigen mit einer zykloiden Psychose sogar alle mit voller und anhaltender Remission. Die Besserung setzte unter dem verwendeten Therapieschema sehr schnell schon nach ca. fünf Tagen ein und außer einer leichten Sedierung an den ersten Tagen wurden keine unerwünschten antipsychotischen Wirkungen beobachtet. Die Patienten C und J, die an einer schwereren unsystematischen bzw. systematischen Schizophrenie lit- Verträglichkeit Quetiapin wurde auch unter der schnellen Aufdosierung hervorragend vertragen. Lediglich eine Patientin (D) beklagte eine leichte Sedation, die therapeutisch jedoch erwünscht war. Ansonsten kam es zu keinerlei unerwünschten Nebenwirkungen, insbesondere nicht zu orthostatischer Hypotonie, anderen kardialen Neben- CGI-1 post Ergebnisse ten, wurden zusätzlich mit Typika behandelt, wobei jedoch Reduktionsversuche sowohl des Typikums als auch von Quetiapin in einer Verschlechterung des Zustandes endeten. Bei einer deutlichen psychopathologischen Besserung und Stabilisierung des Krankheitsbildes konnte eine Restitutio ad integrum hier leider nicht erreicht werden, was aber in der Natur der Krankheitsbilder liegt. Pat. Code waren mit Perazin anbehandelt und eine Patientin erhielt kontinuierlich zusätzlich Risperidon. Sieben Patienten wurde intermittierend oder initial Lorazepam verabreicht, vier waren phasenprophylaktisch mit Valproinsäure und einer mit Lithium behandelt und zwei antidepressiv mit Clomipramin. In keinem Fall kam es zu Interaktionen mit Quetiapin. Zwei Quetiapin-Non-Responder (s.u.) wurden überlappend auf Flupentixol bzw. Haloperidol umgestellt; bei einem Patienten war eine erneute Quetiapin-Gabe nach Absetzen durch den Notarzt nicht effektiv, obwohl die Erstbehandlung erfolgreich verlaufen war. A B C D E F G 3 3 5 5 3 3 3 1 2 2 4 1 1 1 2 1 2 4 1 1 1 1 1 1 2 1 1 1 keine keine keine Müdigkeit keine keine keine H 6 2 3 1 keine I 4 2 4 1 keine J 4 3 3 1 keine K 3 1 1 1 keine L keine Bemerkungen trockene Alkoholikerin EKG AV-Block, durch QTP keine Änderung QTP ohne ausreichende Wirkung, deutliche Besserung durch Flupentixol QTP ohne ausreichende Wirkung, deutliche Besserung durch HPD Keine EPMS, im Rahmen des Möglichen guter Theapieresponse in der Vergangenheit schon mit QTP behandelt; Rezidiv nach eigenmächtigem Absetzen in der Vergangenheit schon mit QTP behandelt; Rezidiv nach Absetzen durch den Notarzt; Rating schwierig, da sehr positiver Erfolg von QTP bei der ersten Behandlung, Non-Response bei der zweiten Episode (Remission nach Umsetzen auf CLZ) psycho 2002, 29 (1) 3 Supplement Tab. 4 Empfohlenes Dosierungsschema bei gesunden, nicht hirnorganisch alterierten Patienten Tag 1 100 mg/Tag Quetiapin als Einmalgabe, vorzugsweise am Abend. Bei Bedarf zusätzlich 5–10 mg/Tag Haloperidol (oral oder i.v.) und ev. 1,5–3 mg/Tag Lorazepam Tag 2 100 – 0 – 0 – 100 oder 200 – 0 – 0 – 200 mg/Tag Quetiapin je nach Akuität. Bei Bedarf zusätzlich 5–10 mg/Tag Haloperidol und ev.(oral oder i. v.) 1,5–3 mg/Tag Lorazepam aus. Quetiapin ist insbesondere aufgrund seiner guten Wirksamkeit und hervorragenden Verträglichkeit5,6 eine interessante Therapieoption für diese Krankheitsgruppe, in der sich oft Patienten mit einem hohen Funktionsniveau finden. Interessant wäre es herauszufinden, ob sich Quetiapin in niedriger Dosis hier auch zur Phasenprophylaxe eignet, zumal die Patientencompliance bei Langzeitmedikation sehr gut ist7 (bei zwei unserer Patienten mit zykloider Psychose kam es zu einem Rezidiv nach Absetzen der Quetiapin-Medikation). Verträglichkeit Ziel war es, herauszufinden, ob Quetiapin auch in einer schnellen Aufdosierung gut vertragen wird. Das konnten die Ergebnisse bei den 7 Hellewell JSE. et al.: Patient satisfaction and acceptability of long-term treatment with quetiapine. Int J Psychiatry Clin Pract 1999; 3: 105-113 8 Goldstein JM. Quetiapine fumarate (Seroquel®): A new atypical antipsychotic; Drugs of Today 1999; 35 (3): 193–210 Impressum Supplement aus psycho 1/2/2003. Erstellt mit freundlicher Unterstützung von AstraZeneca, Wedel Herstellung/Layout Karl-Heinz Zobel Verlag Karl Demeter Verlag im Georg Thieme Verlag, Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart Für die Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und ggf. nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort angegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in dieser Beilage abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf dem Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. 4 psycho 2002, 29 (1) Tag 3 und folgende 2x200 bis 2x300 mg/Tag Quetiapin, danach je nach Response Bei Bedarf zusätzlich 5–10 mg/Tag Haloperidol (oral oder i. v.) und ev. 1,5–3 mg/Tag Lorazepam 13 behandelten Patienten bestätigen. Bei keinem wurden gravierende Nebenwirkungen beobachtet. Generell scheint ein sedierender Effekt eher bei niedrigeren Dosen aufzutreten; bei dem hier gewählten Dosierungsschema stellte unerwünschte Sedation kein Problem dar, ebenso wenig EPMS oder kardiovaskuläre Nebenwirkungen. Dies stimmt sowohl mit der Studienlage8 überein, die für Quetiapin eine sehr geringe Nebenwirkungsrate angibt, als auch mit der klinischen Erfahrung: In unserer Klinik beobachteten wir eine QuetiapinIntoxikation (4 g) ohne gravierende Nebenwirkungen; interessanterweise konnten wir in einem anderen Fall eine Patientin mit Malignem Neuroleptikasyndrom erfolgreich und unproblematisch mit Quetiapin behandeln (Reif et al., in press). Aufgrund der guten Verträglichkeit einer schnellen Aufdosierung bietet sich bei somatisch gesunden und nicht hirnorganisch alterierten Patienten das in Tabelle 4 gezeigte Dosierungsschema an. Noch schnellere Aufdosierungen sind vielleicht ebenso möglich, jedoch fehlt hier die Datengrundlage. Praktische Empfehlungen Zykloide Psychosen – in ICD-10 meist als „Akut polymorph-psychotische Störung“ oder „Schizoaffektive Störung“ verschlüsselt – scheinen effektiv mit Quetiapin therapiert werden zu können. In der Akuttherapie der zykloiden Psychosen, bei denen die Betroffenen oft perakut exazerbieren und teilweise hocherregt in die Klinik kommen, ist nach unseren Erfahrungen folgendes Vorgehen sinnvoll: Gegebenenfalls initial bei sehr hohem Erregungsniveau die Gabe eines Typikums, z.B. Haloperidol 5–10 mg (oral oder i.v.), und, wenn notwendig, zusätzlich Lorazepam 1,5–3 mg/Tag – Quetiapin sollte aber bereits ab dem ersten Tag nach obigem Schema gegeben werden. Bei den Patienten mit zykloider Psychose aus diesem Patientengut musste so – wenn überhaupt – meist nur ein- bis zweimal Haloperidol initial verabreicht werden. Gegebenenfalls muss dieses Vorgehen natürlich je nach Patient individuell angepasst werden. Auch bei chronisch verlaufenden Schizophrenien erscheint ein Therapieversuch mit Quetiapin sinnvoll, insbesondere wenn andere Neuroleptika nicht vertragen wurden oder keinen Erfolg zeigten. Auch hier ist ein schnelles Aufdosierungsschema wie oben angegeben sinnvoll und Kombinationen mit anderen Psychopharmaka möglich, da bislang keine Interaktionen von Quetiapin mit anderen Substanzen beobachtet wurden. Vorsicht sollte man hinsichtlich einer schnellen Eindosierung walten lassen bei Patienten mit hirnorganischer Vorschädigung, Morbus Parkinson oder kardiovaskulären Erkrankungen. Sollte es nicht erforderlich sein, d.h., bei weniger akuten Fällen, wird man sich trotz des günstigen Risikoprofils von Quetiapin hier für ein langsameres Vorgehen entscheiden, um unerwünschte Nebenwirkungen zu verhindern. Bei jungen und somatisch gesunden Patienten kann jedoch die schnelle Aufdosierung problemlos durchgeführt werden. Verfasser: Dr. med. Andreas Reif Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Würzburg Füchsleinstr. 15 97080 Würzburg