10 Medical Tribune · Neurologie n Psychiatrie · 5. Jahrgang · Nr. 4 · 27.November 2013 Experts Lounge Therapieresistente unipolare Depression: Add-on mit atypischen Antipsychotika Signifikant verbesserte Remissionsrate Die Experten sind sich einig und die Guidelines sprechen eine deutliche Sprache: Bei mindestens 30 % der Patienten mit unipolarer Depression lässt der Behandlungserfolg zu wünschen übrig, unabhängig vom initial eingesetzten Antidepressivum. Während Strategien wie Dosiserhöhung, Switch oder antidepressive Kombinationsbehandlung kontrovers diskutiert werden1, liess sich der Vorteil der Add-on-Therapie mit dem Atypikum Quetiapin extended release (Quetiapin XR) in Studien klar dokumentieren.2 Doch nicht nur die Therapie der Depression erweist sich immer wieder als Herausforderung, sondern auch die Diagnostik. In einer Studie zum Erfahrungshorizont von Patienten mit bipolaren Störungen3 stellte sich heraus, dass gut zwei Drittel primär als unipolar depressiv fehldiagnostiziert wurden. Im Durchschnitt mussten vier Ärzte konsultiert werden, bis die korrekte Diagnosestellung erfolgte – und bei über einem Drittel nahm das zehn und mehr Jahre in Anspruch. Mit dieser Problematik haben sich auch Angst et al.4 befasst und die BRIDGE-Studie durchgeführt. Sie konnten zeigen, dass bei rund 30 % der Patienten, die wegen einer «Major Depression»-Episode den Arzt konsultieren, eine bipolare Komponente vorhanden ist. Diese erfüllten die «Bipolarity Specifier Criteria». Typisch für diese Patien- ten ist das inadäquate Ansprechen auf eine antidepressive Monotherapie, die eine manische Phase triggern oder die Stimmungslage verschlechtern kann.4 Bei solchen Patienten sind Mood Stabilizer oder bestimmte atypische Antipsychotika indiziert statt Antidepressiva. Frühe Response und stabile Remission In den Schweizer Empfehlungen für die somatische Behandlung der unipolaren depressiven Störung 1 kommt klar zum Ausdruck, dass die vollständige Remission als Therapieziel anzustreben ist. Aus dem STAR*D-Report geht jedoch hervor, dass nur etwa 40 % der Patienten mit dem primär eingesetzten Antidepressivum dieses Ziel errei- chen.5 Mindestens ebenso wichtig ist die frühe Therapieresponse, d. h. mindestens 20 % Reduktion der depressiven Symptomatik (HDRS17-Wert) in den ersten zwei Wochen. Diese frühe Response gilt als wichtiger Prädiktor für die spätere Remission. Quetiapin XR als Add-on bewährt Die gepoolten Daten der Zulassungsstudien2 für Quetiapin XR unterstreichen den Nutzen als Zusatztherapie. Bei unipolar depressiven Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf das zuerst eingesetzte Antidepressivum konnte bereits nach einer Woche – im Vergleich zu der antidepressiven Monotherapie – eine signifikante Verbesserung des MADRS total Score erreicht werden. In diesen Studien zeigte sich auch der Vorteil der höheren Dosierung. Während mit 150 mg Quetiapin XR vier von zehn MADRS Single Items signifikant verbessert wurden, waren es unter 300 mg sieben von zehn Items. Als entscheidend für den Therapieerfolg wird die signifikante Besserung der depressiven Kernsymptome unter der Add-onTherapie eingestuft: Dazu zählen Traurigkeit, pessimistische- und Suizidgedanken. Mit der zusätzlichen Gabe von 300 mg Quetiapin XR zeigten mehr als 58 % der Patienten eine MADRSResponse und jeder dritte Patient war nach sechs Wochen in Remission.RW Ein einfaches, aber effizientes Regime anbieten 4 Fragen – 4 Antworten Fragen an Herrn Professor Dr. Roland Vauth, Basel Prof. Dr. Roland Vauth FMH Psychiatrie und Psychotherapie Gesundheitszentrum Psychiatrie, Basel Foto : RW ? Für die unipolare ebenso wie für die bipolare Depression existieren exakte Diagnosekriterien. Lässt sich die Diagnose in der Praxis immer ganz eindeutig stellen? Und wo genau liegen die Schwierigkeiten? Unserem Kompetenzzentrum werden einerseits häufig Patienten zugewiesen, bei denen die Diagnose unklar ist, und auf der anderen Seite sehen wir auch nicht selten falsche Diagnosen. Viele Patienten werden erst spät als bipolar diagnostiziert, weil v. a. hypomanische Störungen von Patient und Umfeld nicht als krankhaft wahrgenommen werden, besonders nach einer Depression. Trotzdem lassen sie sich präzise diagnostizieren. Bei sehr frühem Beginn, im Adoleszentenoder frühen Erwachsenenalter, bei bereits gehäuften Episoden von eher kürzerer Dauer, bei vegetativen Inverssymptomen und unvermitteltem Umschlagen der Stimmung, drängt sich der Verdacht einer Bipolarität auf. Der HCL32-R von Prof. Angst hat sich für das Screening bestens bewährt, ist jedoch leider zu wenig bekannt. Da solche Patienten häufig in Partnerschaften und im Beruf scheitern, wäre eine rechtzeitige Diagnosestellung und Therapie essenziell. ? Wenn bei unipolarer Depression die Therapie mit einem ersten Antidepressivum versagt hat, dann besteht die Option, bis zu 300 mg Quetiapin XR add-on zu verordnen. Welche Erfahrungen haben Sie mit einer solchen Kombination gemacht? Diese Patienten weisen auch ein viel höheres Risiko für eine unterschwellige («subthreshold») Depression auf, mit rund 45 % chronifiziert protrahierten Verläufen. Man erzielt oft trotz lege artis durchgeführter Therapie nur Teilremissionen. Ausser- dem besteht bei etwa einem Viertel dieser Patienten das Risiko eines Rapid Cycling. Beim pharmakologischen Management orientieren wir uns an internationalen wie auch an den Schweizer Behandlungsempfehlungen. Grundsätzlich kommen für diese Patienten Stimmungsstabilisatoren infrage. Auch Quetiapin XR verfügt über ein sehr gutes stimmungsstabilisierendes Profil. Es wirkt nicht nur antimanisch und antipsychotisch, sondern auch antidepressiv. So kann man den Patienten ein einfaches, zugleich aber effizientes Regime anbieten. ? Die höhere Dosierung von 300 mg Quetiapin XR zeigte in Studien eine klare Überlegenheit (mit sieben von zehn signifikant gebesser- Über unerwünschte Effekte unbedingt aufklären ten MADRS-Items vs. vier von zehn Items unter 150 mg). Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung? Unsere Dosierungen bewegen sich zwischen 250 mg und 350 mg Quetiapin, wobei wir die XR-Variante verordnen, die eine tägliche Einmalgabe erlaubt und mit einem geringeren Nebenwirkungsrisiko assoziiert ist. ? Wenn im Verlauf zusätzliche hypomanische oder manische Phasen auftreten, muss eine bipolare Störung angenommen werden. Welche Konsequenzen hat das für die Therapie? Hier haben Stimmungsstabilisatoren wie Lamotrigin oder Quetiapin XR einen hohen Stellenwert. RW 4 Fragen – 4 Antworten Fragen an Herrn Dr. Andreas Horvath, Zürich ? Für die unipolare ebenso wie für die bipolare Depression existieren exakte Diagnosekriterien. Lässt sich die Diagnose in der Praxis immer ganz eindeutig stellen? Wo liegen die Schwierigkeiten? In der Praxis ist es keineswegs immer einfach, diese Diagnose zu stellen. Denn einerseits wird die Hypomanie vom Patienten oft nicht als krankhaft eingestuft oder interpretiert – sondern als sehr angenehm. Da muss man dann schon sehr genau nachfragen, doch selbst dann wird es negiert. Ich ziehe da- her gerne Angehörige hinzu, deren Informationen uns weiterhelfen können. Dann erscheint das nicht selten in einem ganz anderen Licht. Das was der Betroffene als «Temperamentssache» sieht, erfüllt de facto die Kriterien einer Hypomanie. Auf der anderen Seite kann der Krankheitsverlauf wertvolle Hinweise liefern. ? Wenn bei unipolarer Depression die Therapie mit einem ersten Antidepressivum versagt hat, dann besteht die Option, bis zu 300 mg Quetiapin XR add-on zu verordnen. Welche Erfahrungen haben Sie mit einer solchen Kombination gemacht? Das mache ich schon lange. Bereits vor der entsprechenden Zulassung habe ich Quetiapin XR als Addon-Therapie eingesetzt. Meine Erfahrungen mit dieser Form der Therapie sind überwiegend positiv. Symptome wie Grübeln oder Traurigkeit sprechen sehr gut und rasch an. Aber es kann auch gelegentlich zu einer Gewichtszunahme kommen und etwas häufiger noch zur Sedation. Typischerweise haben solche Patienten morgens Probleme, «in die Gänge zu kommen». Und das kann die Com­ pliance beeinflussen. Es ist deshalb essenziell, die Patienten darüber zu informieren und darauf hinzuweisen, dass diese unerwünschten Effekte sich im Verlauf der Therapie abschwächen können. Oft löst sich das Problem von selbst, wenn Patienten merken, wie sie von der Wirkung profitieren. Aufgrund des guten antidepressiven Effekts gibt es immer wieder Patienten, Dr. Andreas Horvath FMH Psychiatrie und Psychotherapie niedergelassen, Zürich Foto : RW Seite 3 Experts Lounge Medical Tribune · Neurologie n Psychiatrie · 5. Jahrgang · Nr. 4 · 27.November 2013 Wechsel auf die Add-on-Behandlung mit Lithium oder Atypikum 11 4 Fragen – 4 Antworten Fragen an Herrn Dr. Stefan Bleuer, Psychiatriezentrum Münsingen ? Für die unipolare ebenso wie für die bipolare Depression existieren exakte Diagnosekriterien. Lässt sich die Diagnose in der Praxis immer ganz eindeutig stellen? Wo liegen die Schwierigkeiten? In aller Regel kommen die Patienten während der depressiven Episode und mit entsprechendem Leidensdruck zum Arzt. Eine vorangegangene Hypomanie, die auf eine bipolare Störung hinweisen könnte, wird jedoch meist nicht thematisiert. Wenn solche Patienten den Hausarzt aufsuchen, ist das ein Glücksfall, da er oft die Familienanamnese mit entsprechenden Belastungsfaktoren kennt. Auch im stationären Setting kommen Patienten meistens nicht von sich aus auf die hypomanische Komponente zu sprechen. Hier sind einerseits fremdanamnestische Angaben von hohem Wert und auf der anderen Seite muss gezielt gefragt werden: Haben Sie manchmal überschüssige Energie, geringes Schlafbedürfnis, tendieren Sie gelegentlich dazu, kritiklos Neues zu beginnen, Geld zu verschwenden, sexuelle Abenteuer zu suchen? Rasche Stimmungswechsel, komorbide Suchtprobleme sowie begleitende Angst und Panik können richtungsweisend sein. Leider vergehen heute immer noch Jahre, bis die bipolare Ätiologie der Depression erkannt wird. ? Wenn bei unipolarer Depression die Therapie mit einem ersten Antidepressivum versagt hat, dann besteht die Option, bis zu 300 mg Quetiapin XR add-on zu verordnen. Welche Erfahrungen haben Sie mit einer solchen Kombination gemacht? Eine gewöhnliche rezidivierende depressive Störung ohne komorbide Probleme wird üblicherweise vom Hausarzt erfolgreich behandelt. Das gilt ganz speziell für unsere Region, die in der Peripherie fachärztlich unterversorgt ist. Hausärzte sind meistens sehr gut in der Lage, eine unkomplizierte Depression erfolgreich zu behandeln. Wenn die Patienten jedoch nicht ausreichend auf die Standardbe- handlung ansprechen, muss an eine schlechte medikamentöse Adhärenz oder nicht erkannte komorbide Störungen gedacht werden. Für die stationäre Situation sind ambulante Therapieversager typisch. Bei unbefriedigendem Ansprechen kommt der Wechsel des Antidepressivums infrage, wobei Metaanalysen zu ernüchternden Resultaten führten. Trotzdem wird das praktiziert. Wenn sich nach spätestens zwei Wochen keinerlei Effekt abzeichnet, sollte die Behandlungsstrategie immer überprüft werden. Die frühe (Teil-)Response hat sich als bester Prädiktor für einen guten Langzeiteffekt herausgestellt. Alternativ zum Switch auf ein anderes Antidepressivum kommt je nach klinischer Einschätzung die Addon-Behandlung mit Lithium oder einem atypischen Antipsychotikum infrage. Bei einem agitierten depressiven Syndrom habe ich gute Erfahrungen mit Quetiapin XR gemacht. Quetiapin XR (200–400 mg/d) verfügt über eine beruhigende Eigenwirkung, Schlafstörungen werden gebessert, innere Anspannung und Ängste lassen nach. ? Die höhere Dosierung von 300 mg Quetiapin XR zeigte in Studien eine klare Überlegenheit (mit sieben von zehn signifikant gebesserten MADRS-Items vs. vier von zehn Items unter 150 mg). Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung? Diese Daten stammen aus RCTs mit hochselektierten Patienten. Die naturalistische Situation ist immer etwas anders, weshalb ich Quetiapin XR bei dieser Indikation üblicherweise in Dosierungen zwischen 200 und 400 mg einsetze. Bei Therapieresistenz, v. a. in Verbindung mit Suizidalität, kommt sicher auch Lithium ins Spiel. ? Wenn im Verlauf zusätzliche hypomanische oder manische Phasen auftreten, muss eine bipolare Störung angenommen werden. Welche Konsequenzen hat das für die Therapie? Wenn ein Patient unerwartet rasch auf die antidepressive Medikation Dr. Stefan Bleuer FMH Psychiatrie und Psychotherapie Psychiatriezentrum PZM, Münsingen Foto : zVg anspricht, begleitet von hypomanischen Nachschwankungen, besteht am bipolaren Charakter kaum ein Zweifel. Hier muss eine Erhaltungstherapie mit optimalem Sicherheitsprofil etabliert werden. Mit den besten evidenzbasierten Daten konnte die Kombination aus Atypikum plus Lithium überzeugen, und diese Evidenzen haben sich auch in meinem therapeutischen Alltag bestätigt. Antidepressiva werden nur so lange gegeben, wie depressive Symptome bestehen. Werden Angehörige einbezogen – u. a. geht es um die Erarbeitung eines gemeinsamen Krankheitsverständnisses – haben Betroffene auf lange Sicht ein besseres Outcome. RW Auffallend gute Compliance mit Quetiapin XR 4 Fragen – 4 Antworten Fragen an Herrn Dr. Jens Brinken, Lausanne Dr. Jens Brinken Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Pharmazeutische Medizin niedergelassen, Lausanne Foto : zVg ? Für die unipolare ebenso wie für die bipolare Depression existieren exakte Diagnosekriterien. Lässt sich die Diagnose in der Praxis immer ganz eindeutig stellen? Wo liegen die Schwierigkeiten? Es ist de facto oft nicht einfach, die korrekte Diagnose zu stellen, da sich Dr. Andreas Horvath ... Fortsetzung von Seite 2 die nach einer Absetzphase erneut mit der Therapie beginnen. ? Die höhere Dosierung von 300 mg Quetiapin XR zeigte in Studien eine klare Überlegenheit (mit sieben von zehn signifikant gebesserten MADRS-Items vs. vier von zehn Items unter 150 mg). Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung? Patienten mit bipolarer Störung in aller Regel während der depressiven Phase an den Arzt wenden. Denn die Depression geht – anders als die vermutlich vorausgegangene hypomanische Phase – mit einem teilweise erheblichen Leidensdruck einher. Ausserdem wird die Hypomanie von den Patienten meist als positiv empfunden und findet daher keine spontane Erwähnung in der Exploration. Als erschwerender Aspekt kommt die vergleichsweise hohe Rate an Komorbiditäten hinzu, wie z. B. Angststörungen und Suchterkrankungen. Ausserdem beobachtet man bei der bipolaren Depression häufiger Symptome des anderen Pols wie z. B. Angetriebenheit anstelle der Gehemmtheit bei der unipolaren Form. Auch Züge von emotionaler Labilität und schnell wechselnden Symptomen können ein Hinweis sein. Ja, in der Regel schon. Mit der höheren Dosierung von 250–300 mg sieht man einen ausgeprägteren Effekt. ? Wenn im Verlauf zusätzliche hypomanische oder manische Phasen auftreten, muss eine bipolare Störung angenommen werden. Welche Konsequenzen hat das für die Therapie? Primär ist ganz wichtig, dass man die Patienten «bei der Stange hält» – im Sinne einer thera- ? Wenn bei unipolarer Depression die Therapie mit einem ersten Antidepressivum versagt hat, dann besteht die Option, bis zu 300 mg Quetiapin XR add-on zu verordnen. Welche Erfahrungen haben Sie mit einer solchen Kombination gemacht? Wir haben umfassende Erfahrungen gemacht, da wir bereits mit der Add-on-Therapie begonnen haben, als Quetiapin noch nicht als Retardformulierung vorlag. Quetiapin als Add-on zur antidepressiven Therapie wirkt schlafanstossend, und bei Patienten mit im Vordergrund stehender Stimmungslabilität fiel eine deutliche Stabilisierung auf. Der rasche Wirkungseintritt hat mit zur auffallend guten Compliance beigetragen. Diese Beobachtungen bestätigten sich mit Quetiapin XR. Die Patienten werden peutischen Allianz, eines guten Vertrauensverhältnisses. In dieser Situation muss man mit dem Patienten eine rasche Anpassung der Therapie besprechen und umsetzen. Man könnte zwar die Dosis von Quetiapin XR erhöhen. Ich tendiere dazu, die Dosis des Antidepressivums – falls verordnet – zu reduzieren oder es ganz abzusetzen. Es bietet sich in dieser Situation die Kombination mit einem Mood Stabilizer wie Valproat oder Lithium an. RW schneller stabil, sie schlafen besser, haben weniger Angstzustände, verbunden mit einer verbesserten Lebensqualität. ? Die höhere Dosierung von 300 mg Quetiapin XR zeigte in Studien eine klare Überlegenheit (mit sieben von zehn signifikant gebesserten MADRS-Items vs. vier von zehn Items unter 150 mg). Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung? Das Bild in der Praxis ist inhomogen. Ein gewisser Teil der Patienten erreicht das Therapieziel bereits mit der 150-mg-Dosierung, während andere erst mit 300 mg Quetiapin XR vom vollen Benefit profitieren. Bei bestimmten Patienten kann man auch die Möglichkeit der Dosissteigerung ansprechen und eine Steigerung empfehlen, wenn der Effekt zu gering ist. ? Wenn im Verlauf zusätzliche hypomanische oder manische Phasen auftreten, muss eine bipolare Störung angenommen werden. Welche Konsequenzen hat das für die Therapie? Im Verlauf der bipolaren Störung müssen viele Patienten erkennen, dass sie die kreativen, hypomanischen Höhenflüge zum Preis einer nachfolgenden depressiven Phase erkaufen. Und diese emotionale Destabilisierung verlangt nach einer adäquaten Therapie. Wenn es Zeichen für ein Umschlagen der Stimmung gibt, muss die Therapie überdacht und die antidepressive Medikation auf ein Minimum reduziert und dann abgesetzt werden. Eine Weiterbehandlung mit Quetiapin XR sowie eine Dosissteigerung machen in der Regel Sinn, allenfalls könnte man eine Prophylaxe depressiver Episoden mit Lamotrigin erwägen. RW 1. H olsboer-Trachsler E et al. Die somatische Behandlung der unipolaren depressiven Störung. Schweiz Med Forum 2010; 10 (46): 802-809. 2. B auer M et al. A pooled analysis of two randomised, placebo-controlled studies of extended release quetiapine fumarate adjunctive to antidepressant therapy in patients with major depressive disorder. J Affect Dis 2010; 127: 19-30. 3. H irschfeld RA et al. Perceptions and impact of bipolar disorder: how far have we really come? Results of the national depressive and manic-depressive association 2000 survey of individuals with bipolar disorder. J Clin Psychiatry 2003; 64 (2): 161-174. 4. A ngst J et al. Prevalence and Characteristics of Undiagnosed Bipolar Disorders in Patients With a Major Depressive Episode: The BRIDGE Study JAMA Psychiatry 2011; 68 (8): 791-798. 5. R ush AJ et al. Acute and longer-term outcomes in depressed outpatients requiring one or several treatment steps: a STAR*D report. Am J Psychiatry 2006; 163: 1905-1917. Kommentar von Dr. Hättenschwiler auf der folgenden Seite. 12 Experts Lounge Medical Tribune · Neurologie n Psychiatrie · 5. Jahrgang · Nr. 4 · 27.November 2013 Therapieresistente unipolare Depression Kommentar So gelingt die Augmentation Ein Kommentar von Dr. Josef Hättenschwiler, Zürich Wir haben den Psychiater Dr. Josef H ä t t e n s c h w i l e r gebeten, einige Aspekte rund um die unipolare depressive Störung unter der Berücksichtigung der Fragen, die seine Kollegen beantwortet haben, zu kommentieren. Depressionen sind sehr häufige Erkrankungen mit umfassenden Folgen sowohl für die betroffene Person als auch für ihr Umfeld. Depressionen sind potenziell lebensbedrohlich. Bis zu 15 % der schwer depressiven Menschen sterben durch Suizid. Obwohl heute zahlreiche und wirksame Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, ist das Behandlungsergebnis im einzelnen Fall oft ungenügend. Gemäss Schätzungen der WHO dürften Depressionen weltweit bis 2030 der häufigste Grund für Invalidität und Erwerbsunfähigkeit sein. Das muss uns alarmieren. Die aktuelle Situation bezüglich Depressionen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Depressionen sind sehr häufig, sie werden meist nicht oder erst nach Jahren diagnostiziert. Wenn sie diagnostiziert sind, werden sie oft nicht behandelt und wenn behandelt, dann oft nicht adäquat und nicht genügend lang. Um diesen Umständen Rechnung zu tragen, hat die Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) die Entwicklung von Behandlungsempfehlungen angeregt, welche schliess- Hirnforscher liefern den Beweis im MRT Gedichte klingen wie Musik EXETER – Was viele schon immer ahnten, belegen Experimente mit dem funktionellen MRI: Gedichte werden in den gleichen Hirnregionen wahrgenommen wie Musik. Um mehr über die Reaktion des Gehirns auf Töne und Worte zu erfahren, starteten Neurowissenschaftler der Universität Exeter eine Pilotstudie. 13 Studenten der englischen Sprache sollten verschiedene Texte lesen. Das Spektrum reichte von der Anleitung zum Montieren einer Heizung über Passagen aus Romanen bis hin zu Sonetten. Ausserdem las jeder aus seinem persönlichen Lieblingsgedicht. Während der Lektüre wurde die Hirnaktivität mittels funktionellem MRI aufgezeichnet. Erwartungsgemäss aktivierten Schriftstücke jeder Art das Lesenetzwerk. Emotionale Inhalte regten zudem Hirnregionen an, die normalerweise Musik wahrnehmen. Im direkten Vergleich zwischen Dichtung und Prosa zeigte sich, dass Gedichte vor allem Areale aktivieren (z.B. im medialen Temporallappen), die für Introspektion zuständig sind. rft lich 2010 in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) und der Schweizerischen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (SGBP) realisiert werden konnten. Ungeachtet unserer modernen psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Möglichkeiten sprechen 30 bis 50 % der unipolar Depressiven nicht oder ungenügend auf eine erste adäquat durchgeführte Behandlung an. Selbst nach mehreren Behandlungsversuchen erreichen 30 % der Betroffenen keine Remission, welche definiert ist als eine mehrmonatige Symptomfreiheit und das Wiedererreichen des psychosozialen und beruflichen Ausgangsniveaus. Bei Therapieresistenz Plasmaspiegel prüfen Nun, was ist zu tun, wenn die erste Behandlung nicht greift? Wenn ein Patient auf eine antidepressive Monotherapie nicht anspricht, sollten nicht nur die Compliance, sondern auch die Dosis und allenfalls der Plasmaspiegel überprüft werden. Danach bieten sich folgende Mög­ lichkeiten: Dosiserhöhung, Wechsel des Antidepressivums, Kombination mit einem anderen Antidepressivum oder einer spezifischen Psychotherapie, eine Augmentationstherapie oder eine nicht pharmakologische biologische Therapie wie Schlafentzug, Lichttherapie oder Elektrokrampftherapie (EKT). Bei Scheitern einer ersten adäquat durchgeführten antidepressiven Therapie sprechen viele Studien für eine Augmentation als zweiten Schritt. Unter Augmentation versteht man die Zugabe einer zweiten Substanz mit dem Ziel, die Wirkung des Antidepressivums zu verstärken und damit die Behandlung zu optimieren. Am besten belegt als Augmentativa bei unipolaren Depressionen sind Lithium, Schilddrüsenhormone und atypische Antipsychotika. Aber auch hier gilt: Es gibt kein «one fits all». In Abhängigkeit der Vorgeschichte, des Phänotyps der depressiven Störung, deren Langzeitverlauf und der Erfahrung des Behandlers kommt eher der eine oder andere Ansatz zur Anwendung. Bestand lange Zeit die beste Evidenz für Lithium und Schilddrüsenhormone, so haben sich in den letzten Jahren die atypischen Antipsychotika langsam, aber sicher zu ebenbürtigen Optionen entwickelt. Besonders zu erwähnen ist hierbei, dass Quetiapin XR nicht nur auf eine hervorragende Studienlage verweisen kann, sondern auch als bislang einziges atypisches Antipsychotikum in der Schweiz in dieser Indikation zugelassen ist. Schon länger setzen wir diese Substanz an unserem Zentrum für Angstund Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ) ein, wo wir sehr viele Menschen mit therapieresistenten Depressionen behandeln. Wir verwenden mit grossem Erfolg Quetia- pin XR in Dosen von 150 bis 300 mg, wobei die Patienten neben der antidepressiven und stimmungsstabilisierenden Wirkung auch von einer raschen entspannenden, schlafverbessernden, angst- und spannungsmildernden Wirkung profitieren. Auch wenn das Monitoring unter den atypischen Antipsychotika einfacher als bei Lithium scheint, darf nicht vergessen werden, dass deren Anwendung einer regelmässigen Kontrolle von Gewicht und metabolischen Laborparametern bedarf. Denn es kann zu Gewichtszunahme kommen und bei einigen Patienten bleibt die initial oft erwünschte Tagessedation bestehen. Differenzialdiagnose: Bipolare Störung Differenzialdiagnostisch muss beim Vorliegen einer depressiven Episode immer auch an die Möglichkeit einer Bipolarität gedacht werden. Oft beginnt eine bipolare Störung mit einer oder mehreren depressiven Episoden. Gemäss einer Untersuchung von Angst et al.1 wandeln sich jährlich 1,5 % der primär unipolaren Depressionen zu Bipolaren Störungen. Hypomanische Symptome werden, auch wenn schon früher vorhanden, oftmals übersehen und nur ein konkretes Nachfragen, allenfalls unter Beizug von Angehörigen, kann hier den Weg weisen. Ein hilfreiches, einfach durchzuführendes, aber noch zu wenig verbreitetes Dr. Josef Hättenschwiler FMH Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum für Angst- und Depressionsbehandlung Zürich (ZADZ) Foto : MT-Archiv Instrument ist die HypomanieCheckliste (HCL-32-R2) nach Jules Angst. Damit lassen sich die meisten pseudounipolaren Depressionen als bipolare Störung diagnostizieren, was natürlich erhebliche therapeutische Konsequenzen hat. Denn spätestens jetzt sollten stimmungsstabilisierende Psychopharmaka wie z. B. Lithium, Antiepileptika (Lamotrigin) sowie atypische Antipsychotika zum Einsatz kommen. Das Antipsychotikum Quetiapin XR verfügt hierbei über ausgezeichnete antidepressive, antipsychotische, antimanische und stimmungsstabilisierende Eigenschaften und erweist sich in der klinischen Anwendung als relativ einfach. Dr. Josef Hättenschwiler 1. A ngst J et al. Diagnostic conversion from depression to bipolar disorders: results of a long-term prospective study of hospital admissions. J Affect Dis 2005; 84 (2-3): 149-157. Die Behandlungsempfehlungen können auf den Webseiten www.zadz.ch und www.sgad.ch heruntergeladen werden. Münchener Dysphagie-Test als valides Screening-Instrument nutzen M. Parkinson: Schluckstörungen früh erkennen DRESDEN – Bisher gab es kein ausreichend evaluiertes Verfahren, um Schluckstörungen bei ParkinsonPatienten frühzeitig zu erkennen. Mit einem neuen Test, den Kollegen aus München, Lübeck und Münster entwickelt haben, soll das jetzt anders werden. gelegt bekommt und nur noch sein Kreuzchen machen muss. Die Auswertung des Fragebogens kann der Arzt entweder webbasiert oder anhand der herkömmlichen Testinformationen vornehmen. Validiert wurde der Münchener Dysphagie-Test in einer Studie an 82 Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom. Sie erhielten nach Ausfüllen des MDT-PD sowohl klinische Schluckuntersuchungen als auch eine modifizierte fieberendosko­pische Schluckevaluation. Dabei wurden laryngeale Penetration, Aspiration, aber auch leichtere oropharyngeale Symptome auf speziellen Ratingskalen festgehalten. Dysphagie schränkt die Lebensqualität von Parkinson-Patienten erheblich ein und kann zudem zu Mangelernährung, Dehydratation und Aspirationspneumonie führen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, muss man die Störung und das Aspirationsrisiko möglichst früh erkennen. Der Münchener Dysphagie-Test (MDT-PD) soll dazu beitragen. Test in deutscher und englischer Version 82 Patienten unterzogen sich zahlreichen Tests Insgesamt 26 Fragen, u.a. zu Schwierigkeiten beim Schlucken von Speisen und Flüssigkeiten, zu Schluckproblemen unabhängig von der Nahrungszufuhr, zu Begleitsymptomen, Infektionen und Gewichtsverlust, soll der Patient beantworten, wobei er Antwortalternativen vor- Zwischen dem mittels dieser Skalen ermittelten Score und dem MDTPD-Summenscore ergab sich eine starke positive Korrelation, berichtete die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Andrès Ceballos-Baumann vom Zentrum für Parkinson und Bewegungsstörungen der Schön-Klinik München-Schwabing in ihrem Pos­ ter. Der gewichtete Summenscore des MDT-PD klassifizierte «nicht auffälliges Schlucken» versus «Aspirationsrisiko» mit einer Sensitivität von 90 % und einer Spezifität von 82 %. Die Unterscheidung zwischen «auffällig» und «beginnende Dysphagie» gelang mit einer Sensitivität von 82 % und einer Spezifität von 71 %. Der MDT-PD liegt in einer deutschen und einer englischen Version vor. Zur einfachen Auswertung wurden eine Web-Applikation auf www. mdt-parkinson.de und ein OfflineProgramm erstellt. Md Auf die Website schauen kann sich diagnostisch lohnen, meinen die deutschen Autoren Foto: www.mdt-parkinson.de des Dysphagie-Tests für Parkinson-Patienten. Quelle: 86. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie mit Fortbildungs­ akademie.