035_071_BIOsp_0107.qxd 48 31.01.2007 11:18 Uhr Seite 48 WISSENSCHAFT · AKTUELL ÿ Mutationen in einem Natriumkanal-Gen führen zur Schmerzunempfindlichkeit ÿ Herzkreislauf-Risiko von Schmerzmitteln – nicht nur bei COX-2-Hemmern? ÿ Am Anfang der Nahrungskette Das Fakir Gen Mutationen in einem Natriumkanal-Gen führen zur Schmerzunempfindlichkeit ó Die vollständige Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen in einem ansonsten gesunden Individuum ist ein sehr seltener Phänotyp. Die Gruppe um Geoffrey Woods (Cambridge) identifizierte in Pakistan einen 10-jährigen Jungen, der sich Messer in Arme und Beine stach und über glühende Kohlen lief – ohne Schmerzen. Der Junge starb, als er von einem Hausdach sprang. Der Unfall führte dazu, dass diese und zwei weitere Familien genauer untersucht wurden. Es fanden sich insgesamt 6 weitere Familienmitglieder, die keine Schmerzen empfinden konnten. Die Kartierung führte zu Charakterisierung eines rezessiven Locus auf dem Chromosom 2q24.3. Die Region enthält u. a. das Gen SCN9A, das für einen span- nungsabhängigen Na-Kanal kodiert. Das Gen ist besonders in den schmerzempfindlichen, peripheren sensorischen Neuronen der Hinterwurzelganglien exprimiert. Die Sequenzanalyse der 6 betroffenen Familienmitglieder ergab jeweils drei homozygote Stopp-Mutationen in der ersten Hälfte des Proteins. Die Autoren konnten in Zellkulturen zeigen, dass die Mutationen zu einem elektrophysiologischen Funktionsverlust führen (Cox, J. J. et al., Nature 444 (2006) 894-898). Y Die Entdeckung der Funktionsverlust-Mutationen im SCN9A-Gen wirft natürlich sofort die Frage auf, ob sich dieses Gen und der von ihm kodierte Na-Kanal als Zielort für pharmakologische Interventionen eignet. Voraussetzung dafür wäre das pharmakologische Ausschalten des Gens. Dass dies aber nicht ganz trivial ist, zeigt die Arbeit der Gruppe um Mark Gardiner (London). Sie fanden in dem Gen SCN9A auch Mutationen, allerdings Punktmutationen, die zu Aminosäureaustauschen führten. Das Krankheitsbild war in diesem Fall allerdings ganz anders, nämlich autosomal-dominante Schmerzerkrankungen, die auch pharmakologisch unterschiedlich reagieren (Ferlemann, C R. et al., Neuron 52 (2006) 767–774). Jochen Graw, Neuherberg ó Arzneimittel in den Schlagzeilen Herzkreislauf-Risiko von Schmerzmitteln – nicht nur bei COX-2-Hemmern? ó Nach dem „VioxxR“-Skandal im September 2004 sind die Schmerzmittel der Klasse der COX-2-Hemmer immer noch in den Schlagzeilen. Nachdem in randomisierten, placebo-kontrollierten Studien, ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko z.B. für Herzinfarkte nach Einnahme der COX-2Hemmer Rofecoxib (VioxxR) und Valdecoxib/Parecoxib nachgewiesen wurde, nahmen die Hersteller diese Arzneistoffe vom Markt. Die Diskussion, ob das Herzinfarkt-Risiko eine Eigenschaft einzelner Arzneistoffe ist oder für alle COX-2-Hemmer gilt, ist weiterhin nicht abgeschlossen. Pathophysiologisch wäre einleuchtend, dass die Reduktion der Prostacyclin-Bildung im Gefäßendothel durch COX-2Hemmung die Aggregationsfähigkeit von Thrombozyten – und damit die Gefahr von Thrombosen – fördert (siehe Abb.). Wenn lediglich die Störung des Gleichgewichts zwischen Thromboxan, das durch COX-1 gebildet wird, und Prostacyclin für die erhöhte Herzinfarktrate nach längerer Einnahme von COX-2-Hemmern verantwortlich ist, so sollte dieses Risiko in unterschiedlichem Ausmaß für alle COX-2-Hemmer – selektive wie nichtselektive – gelten. Y Zwei aktuelle Übersichtsarbeiten von Mc Gettigan und Henry (McGettigan, P., Henry, D., JAMA 296 (2006) 1633-1644) sowie Kearney (Kearney, P. M., et al. BMJ 332 (2006) 13021308), in denen zahlreiche klinische Studien zusammen betrachtet werden, kommen nun zu einem wichtigen Ergebnis: Auch die langdau- ernde Einnahme traditioneller COX-Hemmer wie Diclofenac und Ibuprofen birgt ein zusätzliches kardiovaskuläres Risiko. Möglicherweise ist das kardiotoxische Risiko von Naproxen am geringsten ausgeprägt – allerdings um den Preis einer schlechteren Magenverträglichkeit. Sollten COX-2-Hemmer in Zukunft besser vermieden werden? Sie haben gegenüber den traditionellen COX-Hemmern auch ihre Vorteile: COX-2Hemmer schädigen die Magenschleimhaut weniger, sind bei Asthma bronchiale verträglicher und behindern die Blutstillung weniger. Beide, traditionelle sowie selektive COX-Hemmer sind essenzielle Medikamente für Patienten mit Rheuma oder Arthrose – die Auswahl muss der Arzt nach den Risikofaktoren des Patienten treffen. Je besser dies gelingt, umso geringer die Gefahr einer schweren unerwünschten Arzneimittelwirkung. Lutz Hein, Freiburg ó Am Anfang der Nahrungskette ó Stickstoff-fixierende Mikroorganismen bringen wesentliche Mengen von biologisch verfügbarem Stickstoff in den Ozean ein und spielen damit eine elementare Rolle im marinen Stickstoffkreislauf. Dies zeigten Forscher der ETH-Zürich, darunter Nicolas Gruber vom Insti- tut für Biogeochemie und Schadstoffdynamik. Die „Stickstoff-Düngung“ der Mikroorganismen hat nicht zuletzt einen großen Einfluss auf das Klima, denn mit der Erhöhung der Produktivität steigt auch die CO2-Fixierung des Ozeans. Entscheidend für die Aktivität der Fixierer ist das Phosphat und dessen relative Konzentration zu Nitrat, und nicht der Eisengehalt, wie bislang vermutet (Deutsch, C. et al., Nature 446 (2007) 163-167). ó BIOspektrum | 01.07 | 13. Jahrgang