Besonderheiten des Gedächtnisses bei depressiven Störungen - selektive Bevorzugung von schemakongruenten Informationen, Personattributen und Ereignissen • Depressive Patienten erinnern bevorzugt negative Beschreibungen ihrer eigenen Person. • Depressive Patienten erinnern bevorzugt negative Ereignisse. Dieser Effekt zeigt sich bei remittierten Depressiven nur in einer leicht depressiven Stimmung. • Depressive zeigen Defizite beim Enkodieren von Informationen, beim Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis und beim Problemlösen • Die Stimmung depressiver Patienten und auch Testleistungen verbessern sich, wenn sie einfache zusätzliche konkrete Aufgaben zu bewältigen haben. Gleichzeitig nimmt die Beschäftigung mit depressionsfördernden Gedanken ab. • Wenn Depressive von der Selbst-Fokussierung abgelenkt werden, dann nimmt ihre pessimistische Haltung gegenüber zukünftigen Ereignissen ab (das negative Selbstschema wird deaktiviert). • Es gibt auch qualitative Unterschiede bei den Gedächtnisinhalten. Die Erinnerungen Depressiver, insbesondere ihre Erinnerungen an positive Ereignisse, sind eher globaler Art, ohne sich auf bestimmte in Ort und Zeit konkrete Situationen zu beziehen. ? nächste Vorlesungssitzung Depressive Patienten erinnern bevorzugt negative Beschreibungen ihrer eigenen Person. Bradley, B. & Mathews, A. (1983). Negative self-schemata in clinical depression. British Journal of Clinical Psychology, 22, 173-181. Methode Depressive und Kontrollpersonen hatten die Aufgabe, positive und negative Eigenschaftswörter danach zu beurteilen, ob sie auf sich selbst oder auf unbekannte andere Personen zutrafen. Danach bearbeiteten sie einen expliziten Gedächtnistest. Ergebnis Im anschließenden Gedächtnistest erinnerten die depressiven Patienten negative Eigenschaften besser, die in Verbindung mit sich selbst zu beurteilen waren. Dagegen erinnerten sie mehr positive Eigenschaften, die ihnen bei der Beurteilung der anderen Personen vorgelegt worden waren. Die Kontrollpersonen erinnerten in beiden Bedingungen mehr positive Charaktermerkmale. Depressive Patienten erinnern bevorzugt negative Ereignisse. Clark, D.M. & Teasdale, J.D. (1982). Diurnal variation in clinical depression and accessibility of memories of positive and negative experiences. Journal of Abnormal Psychology, 91, 87-95. Ziel der Studie war eine Klärung der Frage, ob die Zugänglichkeit positive oder negativ getönter Erinnerungen in Zusammenhang mit der aktuellen Stimmung steht. Pbn 12 depressive Patienten mit starken Stimmungsschwankungen im Tagesverlauf Methode Die Patienten wurden jeweils zum Zeitpunkt ihrer maximal depressiven und zum Zeitpunkt einer wenig depressiven Stimmung aufgefordert, zu neutralen Hinweiswörtern persönliche Erinnerungen zu berichten (= expliziter Gedächtnistest). Später mußten sie für jedes der berichteten Ereignisse angeben, wie glücklich vs. unglücklich sie sich gefühlt hatten, als sie es erlebten. Ergebnis In der depressiven Stimmung wurde ein höherer Prozentsatz an Erlebnissen mit unglücklicher Stimmung erinnert, während den Patienten in der weniger depressiven Stimmung mehr Ereignisse einfielen, bei denen sie sich glücklich gefühlt hatten. Dieser Effekt zeigt sich bei remittierten Depressiven nur in einer leicht depressiven Stimmung. Teasdale, J.D. & Dent, J. (1987). Cognitive vulnerability to depression: An investigation of two hypotheses. British Journal of Clinical Psychology, 26, 113-126. Methode Material: Listen mit positiven und negativen Eigenschaftswörtern, die z. T. globale Selbstabwertungen repräsentierten (z. B. wertlos, dumm). Die Pbn lasen die Liste und sollten jeweils angeben, ob die gelesenen Eigenschaften auf sie zutrafen. Pbn Frauen, die sich nach einer Depression in Remission befanden und nicht-depressive Frauen Ergebnis Wenn experimentell eine leicht depressive Stimmung induziert wurde, erinnerten mehr remittierte Depressive als Kontrollpersonen global negative Wörter. Wenn keine Stimmung induziert wurde, war dies nicht der Fall. In beiden Bedingungen erinnerte die depressive Gruppe weniger positive Eigenschaftswörter. Die Stimmung depressiver Patienten und auch Testleistungen verbessern sich, wenn sie einfache konkrete Aufgaben zu bewältigen haben. Gleichzeitig nimmt die Beschäftigung mit depressionsfördernden Gedanken ab. Krames, L. & MacDonald, M.R. (1985). Distraction and depressive cognitions. Cognitive Therapy and Research, 9, 561-573. Methode Kombination zweier Gedächtnisaufgaben: Die Pbn hatten zum einen die Aufgabe, sich mehrfach hintereinander kurzzeitig Zahlen zu merken und danach aufzuschreiben (KZG). Die Anzahl der Zahlen variierte (0, 3, und 6 Zahlen). Zum anderen wurden den Pbn während der Zahlen-Merk-Aufgabe Wörter vorgelesen, die sie sich bis zum Ende des Durchgangs merken sollten (LZG). Pbn Depressive und nicht-depressive klinische Kontrollpersonen Ergebnis Gemäß vorherigen Befunden zu Leistungseinbußen bei Depressiven erinnerten diese weniger Wörter und machten mehr Fehler beim Aufschreiben der Zahlen als die Kontrollprobanden. Aber die Depressiven konnten - im Gegensatz zu den Kontrollpersonen mehr Wörter erinnern, je mehr Zahlen sie sich merken mußten. Depressive zeigen Defizite beim Enkodieren von Informationen, beim Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis und beim Problemlösen. Teasdale, J.D., Taylor, M.J., Cooper, Z., Hayhurst, H. & Paykel, E.S. (1995). Depressive Thinking: Shifts in Construct Accessibility or in Schematic Mental Models? Journal of Abnormal Psychology, 104 (3), 500-507. Vorhersage der Assoziativen Netzwerktheorie Depressive Stimmung bewirkt einen selektiven Anstieg der Aktivierung oder Zugänglichkeit aller negativen interpretativen Konstrukte, die zuvor mit depressiver Stimmung assoziiert waren. Daher interpretieren akut depressive Patienten Erfahrungen eher negativ (relativ zu nicht-depressiven Zeiten). Vorhersage des „Interacting Cognitive Subsystems“ (ICS-) Modells Negatives depressives Denken wird sichtbar an einer Veränderung übergreifender mentaler Repräsentationen (Schemata), die für die Interpretation von Erfahrungen benutzt werden. Im Fall der Depression wird angenommen, dass der Übergang von einem nicht-depressiven zu einem depressiven Zustand mit Veränderungen der schematischen mentalen Modelle assoziiert ist. In einem depressiven Zustand werden negative Sichtweisen des Selbst globaler enkodiert als in einem nicht-depressiven Zustand. Weiterhin wird angenommen, dass bei depressiven Patienten solche mentalen Modelle aktiviert werden, die Sichtweisen des Selbst mit sozialer Anerkennung bzw. persönlichem Erfolg in Beziehung setzen. Fragestellung Es wurde mit Hilfe der Items aus der Dysfunctional Attitude Scale (DAS) ein „sentence completion task“ entwickelt. Wenn das ICSModell zutrifft sollten Depressive mehr positive Satzvervollständigungen vornehmen als Nicht-Depressive. Trifft dagegen die Annahme der assoziativen Netzwerktheorie (erhöhte Zugänglichkeit negativer Konstrukte) zu, sollten Depressive eher negative, und Nicht-Depressive eher positive Vervollständigungen vornehmen. Beispiel: „Wenn ich immer recht hätte, würden die anderen mich_______“ Pbn 41 depressive Patienten und 40 gesunde Kontrollpersonen, wobei die 41 Depressiven zu einem zweiten Testzeitpunkt in die Gruppen „verbesserte Stimmung“ und „nicht-verbesserte Stimmung“ eingeteilt wurden. Ergebnisse • Zeitpunkt1: Die Depressiven nahmen mehr positive Satzvervollständigungen vor als die Kontrollpersonen. • Zeitpunkt 2: Bei der Gruppe „verbesserte Stimmung“ nahm die Zahl der positiven Satzvervollständigungen ab, bei der Gruppe „nicht-verbesserte Stimmung“ nahm sie dagegen zu. Diskussion Die Ergebnisse widersprechen der Zugänglichkeitshypothese der assoziativen Netzwerktheorie und sind konsistent mit der Annahme, dass das stimmungsabhängige depressive Denken aus Veränderungen auf einer Ebene der kognitiven Repräsentationen beruht, die die Beziehung zwischen Konstrukten oder Mustern von Konstrukten widerspiegelt. Diese Ebene der Kognition kann man sich als schematische mentale Modelle der Enkodierung vorstellen. Die Ergebnisse unterstützen also den ICS-Ansatz. Hedlund, S. & Rude, S.S. (1995). Evidence of latent depressive Schemas in formerly depressed individuals. Journal of Abnormal Psychology, 104, 517525. Fragestellung Lässt sich die ursächliche Rolle latenter depressiver Schemata für das Einsetzen depressiver Episoden und die Rückfälligkeit belegen? Methode 18 nie depressiv gewesene Pbn 20 akut Depressive 15 früher depressiv gewesene, aktuell nicht-depressive Pbn „Differential activation“-Manipulation für alle: Erhöhung des Selbstfokus durch Instruktion Informationsverarbeitungsmaße • emotional stroop-test • scrambled sentences task (z. B. „winner born i am looser a“, mit zusätzlicher Anforderung, laut zu zählen) • Erinnern der Wörter aus dem stroop Ergebnisse Die Depressivitätswerte der ehemals depressiven und der nichtdepressiven Pbn unterschieden sich nicht. Beide Gruppen unterschieden sich aber von der depressiven Gruppe. Im scrambled sentences task und bei der Erinnerung der Wörter aus der stroop-Aufgabe waren die Depressiven langsamer als die anderen beiden Gruppen, ebenso im Stroop-Test. Die anderen beiden Gruppen unterschieden sich aber nicht voneinander. Diskussion Die Ergebnisse belegen für die Satzvervollständigung und die Erinnerungsaufgabe einen Bias der derzeit nicht depressiven, aber aufgrund ihrer früheren Depression vulnerablen Personen. Die Unterschiede in der Informationsverarbeitung hielten an, obwohl sich in Fragebögen keine Hinweise auf depressive kognitive Muster fanden. Hier reagierten die ehemals Depressiven wie nie depressiv Gewesene. Wenn Depressive von der Selbst-Fokussierung abgelenkt werden, dann nimmt ihre pessimistische Haltung gegenüber zukünftigen Ereignissen ab (das negative Selbstschema wird deaktiviert). Pyszczynski, T., Hamilton, J.C., Herring, F.H. & Greenberg, J. (1989). Depression, Self-Focused Attention, and the Negative Memory Bias. Journal of Personality and Social Psychology, 57 (2), 351-357. Self-regulatory perseveration theory (Pyszczynski & Greenberg, 1987) Depression kommt dadurch zustande, dass nach dem Verlust einer wichtigen Quelle des Selbstwertgefühls eine Art Teufelskreis entsteht, den der Betroffene nicht verlassen kann. Dabei ist die Aufmerksamkeit vor allem auf die eigene Person, den Unterschied zwischen dem vorhandenen und einem gewünschten Zustand und die Unfähigkeit, diesen Unterschied zu reduzieren, gerichtet. Dies führt zu einem „depressive self-focusing style“. Ziel der Studie Es sollte ein Beleg für die Verbindung von einem depressiven Selbstschema und dem negativen bias beim Erinnern von Erlebnissen gefunden werden. Weiterhin sollte getestet werden, ob es möglich ist, den bias zu reduzieren, indem Depressive dazu gebracht werden, ihr depressives Selbstschema zu deaktivieren. Hypothese Wenn die Ablenkung von der Selbst-Fokussierung zu einer Deaktivierung des negativen Selbstschemas führt, dann sollten auch Selbstschema-geleitete kognitive Merkmale der Depression, wie z. B. der negative bias, dadurch reduziert werden. Design • Die Pbn sollten einen Aufsatz schreiben; in der Bedingung „Selbst-Fokussierung“ waren dazu Worte vorgegeben, wie „Ich“, „Spiegel“, „alleine“; in der Bedingung „externaler Fokus“ Worte wie „er“, „Bild“, „zusammen“. • Fragebogen zu Lebensereignissen; 10 Ereignisse der letzten zwei Wochen sollten aufgelistet werden Die berichteten Ereignisse wurden später als positiv, negativ oder neutral getönt eingeschätzt. Pbn Insgesamt 61 Personen, mit einem BDI-Wert >9 (Depressive) oder <4 (Nicht-Depressive). Ergebnisse 2x2 ANOVA (Depression x Aufmerksamkeitsfokus): • Unter der Bedingung „Selbst-Fokussierung“ erinnerten die Depressiven weniger positive Ereignisse als die NichtDepressiven. • Unter der Bedingung „externaler Fokus“ gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen Depressiven und NichtDepressiven. • Nur in der Gruppe „Selbst-Fokussierung“ / Depression wurden mehr negative als positive Ereignisse erinnert, alle anderen erinnerten insgesamt mehr positive Ereignisse. Fazit Die Hypothese ist bestätigt. Ein hohes Maß an SelbstFokussierung vermittelt den negativen memory bias bei Depressiven. In einem weiteren Experiment konnte gezeigt werden, dass der Effekt des Aufmerksamkeitsfokus auf die Erinnerung von selbst erlebten Ereignissen beschränkt ist und nicht auf die Erinnerung von Erlebnissen anderer wirkt.