HERZLICH WILLKOMMEN ZUR CME-EINHEIT SCHMERZ Diese Einheit ist Teil des Notfallkoffers Palliativmedizin, der insgesamt vier CME-Einheiten umfasst: • Schmerz • Atemnot • Gastrointestinale Symptome • Akute Verwirrtheitszustände Tipps zur Bedienung Die Einheit besteht aus vertonten Folien, bitte aktivieren Sie Ihre Lautsprecher oder Kopfhörer. Klicken Sie am Ende jeder Folie unten links auf den Weiter-Button, um mit der nächsten Folie fortzusetzen. Notfallkoffer Palliativmedizin – Schmerz 1 Lernziele für diesen Kurs • Kenntnis um die Häufigkeit von Tumorschmerz • Kenntnis über die Ursachen von Tumorschmerzen • Differenzierung verschiedener Schmerzarten • Erhebung einer Schmerzanamnese • Einleitung einer Schmerztherapie • Behandlung des akut exacerbierten Tumorschmerzes Was Sie in dieser E-Lecture erwartet: • Prävalenz des Tumorschmerzes • Klassifikation von Tumorschmerzen • Schmerzanamnese • Medikamentöse Tumorschmerztherapie • Der Schmerznotfall Paul Cézanne: Der Schmerz (La Madeleine) 2 Tumorschmerz - Prävalenz 54 Studien mit 9007 Patienten: Diagnosestellung 20 – 50 % fortgeschrittene Stadien/Finalstadium 75 – 90 % alle Stadien 43 % Bonica JJ. 1995, The Management of Pain, 4th ed 2010 Tumorschmerz - Prävalenz 5084 Patienten europaweit (12 Länder) Gesamtprävalenz von Tumorschmerzen 73% mäßig bis stark (NRS 5-10) 93% stark (NRS 7-10) 44% stärkst vorstellbar (NRS 10) 4% Decartes' Modell um 1632 über die Leitung von Schmerz vom Fuss bis ins Gehirn. (Bild: «Traité de l’homme») Breivik et al. Cancer related pain: a pan-European survey. Ann Oncol 2009 3 Tumorschmerz - Prävalenz In Deutschland: 220.000 Tumorpatienten täglich benötigen eine Schmerztherapie = 82,7 Mio Tumorschmerz-Patiententage/Jahr Wilhelm Busch: Max und Moritz 3. Streich Schneider Böck Schmerzen bei Tumorpatienten Klassifikation nach Ursache Die korrekte Diagnose der Schmerzursache ist entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Schmerztherapie. Schmerzanamnese: • Tumorbedingt • Therapiebedingt • Tumorassoziiert • Tumorunabhängig • Nozizeptorschmerz • Neuropathischer Schmerz 4 Schmerzanamnese: die 7 W Wo tut es weh? Schmerzort Wie stark tut es weh? Schmerzstärke Wie tut es weh? Schmerzqualität Wann hat es angefangen? Schmerzverlauf Warum tut es Ihnen weh? subjektives Krankheitskonzept Was ist außerdem ? Begleitsymptome Welche Medikamente? vorhandene Medikation Schmerzanamnese für Notfälle: „give me 5“ • Schmerzlokalisation • Schmerzursache (neuer oder bekannter exacerbierter Schmerz) • Schmerzintensität (NRS) • Schmerzcharakter • Vormedikation 5 Welcher Schmerztyp? Schmerztyp Nozizeptiv Ursache Charakter Lokalisation Besonderheit Knochen Weichteile dumpf, drückend pochend, bohrend gut lokalisierbar Dauerschmerz, oft bewegungsabhängiger Durchbruchschmerz Viszeral (Eingeweide) dumpf, krampfartig oft kolikartig schlecht lokalisierbar Head-Zonen, Dermatome Ischämie hell, pochend Extremität Belastungsabhängig Viszeral: abhängig von Nahrungsaufnahme Auch viszeral möglich Neuropathisch Schädigung / Irritation des Nervensystems einschießend, elektrisierend, brennend, heiß oft kombiniert mit neurologischen Störungen: Parese, Hyp- bzw. Anästhesie, Allodynie Dysästhesie im Versorgungsgebiet des betroffenen Nerven Schmerzerfassung 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 • Numerische Ratingskala (NRS) Kein Schmerz • Visuelle Analogskala (VAS) • Verbale Ratingskala (VRS) Stärkster vorstellbarer Schmerz Kein Schmerz Kein Schmerz Stärkster vorstellbarer Schmerz Leichter Schmerz Mittlerer Schmerz Starker Schmerz Sehr starker Stärkster Schmerz vorstellbarer Schmerz 6 Schmerzursachen bei Tumorpatienten Tumorbedingte Schmerzen (ca. 75 (60-90)%) • Infiltration und Kompression von Nerven, Plexus und Rückenmark • Infiltration oder Kompression von Blut- u. Lymphgefäßen • Infiltration von Knochen u. Weichteilen mit Umgebungsentzündung, Ulzerationen und Nekrosen • Infiltration von Hohlorganen abdominell und thorakal • Ausbildung eines Hirnödems Schmerzursachen bei Tumorpatienten Tumorassoziierte Schmerzen (ca. 5-20%) Therapiebedingte Schmerzen (10-25%) • Venenthrombose • Operation (Vernarbung, Nervenläsionen) • Infekte durch Abwehrschwäche • Radiatio (Fibrose, Mukositis, Neuropathie) • Obstipation, Ödem • Chemotherapie (Mukositis, Neuropathie) • Dekubitus durch Immobilität • Myopathien • Paraneoplastisches Syndrom Tumorunabhängige Schmerzen (3-10%) • chronische Gelenkerkrankungen • Migräne • Menstruationsschmerzen • etc. 7 Tumorschmerz - Pathophysiologie • Tumorschmerz folgt den gleichen neurophysiologischen Grundlagen wie Nicht-Tumor-Schmerzen • Entstehung durch - Entzündungsmediatoren - pH-Verschiebungen (pH <6) - direkte Nervenschädigung - Ischämie - mechanische Kompression/Distension Total Pain Spirituell: warum ich? warum jetzt? Krankheit als Strafe? Bio: Psycho: Patient Körperliche Symptome Funktionseinschränkungen Depression Aggression/Wut Angst Scham Trauer Sozial: Isolation wirtschaftlicher Ruin Unterstützungsbedarf 8 WHO-Empfehlung zur Schmerztherapie Individuelle Behandlung Orale Gabe Festes Zeitschema Stufenleiter WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie Stufe III + Stufe I Stufe II + Stufe I Stufe I Nicht-Opioide • Paracetamol • Metamizol • NSAID Schwache Opioide • Tramadol • Codein • Dihydrocodein • Tilidin Starke Opioide • Morphin • Hydromorphon • Oxycodon • Methadon • Buprenorphin • Fentanyl Mitbehandlung opioidbedingter NW Ko-Analgetika / Ko-Therapeutika / Strahlentherapie / Neuroinvasive Verfahren 9 Opioide - Äquipotenz Substanz Analgetische Potenz im Vergleich zu oralem Morphin Tramadol 1/10 Tilidin 1/10 Dihydrocodein 1/6 Piritramid (Dipidolor®) 2/3 Morphin 1 Oxycodon 1,5 Levomethadon *2-8 Hydromorphon 7,5 (5-10) Buprenorphin transdermal 70 Fentanyl transdermal 100 * erhebliche individuelle Schwankungen, deshalb in der Regel Titration notwendig Nebenwirkungen prophylaktisch mitbehandeln Obstipation dauerhaft vorbeugen Übelkeit und Erbrechen die ersten 7-10 Tage vorbeugen • Macrogol: 1-3x tägl. 1 Beutel • Metoclopramid: 3x tägl. 10mg Tabl. • Na-Picosulfat: abends 10-20 Tr. • Haloperidol: 3x täglich 3-5 Tr. (schrittweise weiter steigern) • Klysmen/Einläufe • Methylnaltrexon: wenn alle anderen (= 3x 0,3-0,5mg) • Levomepromazin: 3x tägl. 1 Tr. (= 3x 1mg) oder 1x täglich abends 3 Tr. (pur unter die Zunge geben) Maßnahmen nicht greifen und keine sonstige Darmalteration vorliegt 10 Wiederholter Schmerz trotz Therapie: „Durchbruchschmerz“ • Frequenz: 1 – 4 Episoden am Tag • Auftreten: korreliert mit background pain Bedarfsmedikation mit 1/6 der Tagesgesamtdosis nicht-retardiertes Opioid Beispiel: • Dauertherapie mit Morphin retard 30mg-0-0-30mg • Tagesgesamtdosis = 60mg Morphin • 1/6 der Tagesdosis = 10mg Morphin = Bedarfseinzeldosis in unretardierter Form Einnahme nicht mehr möglich: Faustregel zur Umstellung po / sublingual / rectal reduce by ½ subkutan / intravenös 25-30% Dosisreduktion Beispiel: • Dauertherapie mit Morphin retard 60mg-0-0-60mg • Tagesgesamtdosis = 120mg Morphin • Subkutan = 60mg Morphin/24h • Dosisreduktion bei Umstellung: 40mg Morphin s.c./24h, z.B. 4x tägl. 10mg 11 Schmerzeinstellung mit Opioiden Dosistitration: Ersteinstellung auf Morphin orale Medikation: nicht-retardiertes Morphin alle 4 h (z.B. 2,5mg oder 5mg) gleiche Dosis zur Schmerzkupierung (so oft wie nötig) /d am Folgetag Tagesdosis entsprechend anpassen stabile Dosis erst nach 6-8 HWZ zu erreichen, d.h. nach 24 h Auf Retardpräparat wechseln Organfunktionseinschränkungen sind bei der Wahl des Opioids zu berücksichtigen! Therapie neuropathischer Schmerzen Opioide alleine sind häufig zur Therapie neuropathischer Schmerzen nicht ausreichend Kombination mit sog. Ko-analgetika: Antiepileptika, Antidepressiva, Sonstige Antiepileptika (Auswahl) Gruppe Wirkstoffe Initialdosis1 Wirkung auf z.B. Carbamazepin3 150-300mg retard spannungsabhängige Natriumkanäle Wirkung auf Kalziumkanäle Steigerungsdosis1 Nebenwirkungen2 600-1200mg (retardiert) Blutbildveränderungen, Leberwerterhöhung, Hyponatriämie, Interaktionen Müdigkeit, Schwindel, Ödeme Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz Gabapentin4 3x100mg (-300mg) 1200-2400mg (-3600mg) Pregabalin 2x 75mg morgens + abends 300mg (-600mg) 1 Dosierungen sind unterschiedlichen Quellen entnommen 2 zur vollständigen Übersicht siehe jeweilige Fachinformation 3 Indikation n. Zulassung: schmerzhafte diabetische Neuropathie und Glossopharyngeus-Neuralgie 4 Indikation n. Zulassung : periphere neuropathische Schmerzen 12 Weitere Ko-Analgetika zur Therapie neuropathischer Schmerzen Antidepressiva (Auswahl) Gruppe Trizyklika Initialdosis1 Wirkstoffe Steigerungsdosis1 Amitriptylin 10-25mg abends 50-75mg Doxepin 10-25mg abends 50-75mg Imipramin 10mg Morgens und abends Bis 75mg 60mg morgens 120mg Selektive SerotoninDuloxetin3 Noradrenalin-ReuptakeInhibitoren (SSNRI) Nebenwirkungen2 anticholinerge Nebenwirkungen, Interaktionen antriebssteigernd Übelkeit, Erbrechen, Interaktionen Sonstige (Auswahl) Dosis1 Wirkstoffe Nebenwirkungen Lidocain4 5% lokal als Pflaster 1x tägl. (bis 3 Pflaster auf einmal), 12h Pause vor allem bei Allodynie Capasaicin5 0,025-0,01% als Salbe 3-4x täglich 8% als Pflaster 30-60min.(max. 4 Pflaster auf einmal), 90 Tage Pause Brennen der Haut Erythem, Schmerzzunahme, Unverträglichkeit 1 Dosierungen sind unterschiedlichen Quellen entnommen 2 zur vollständigen Übersicht siehe jeweilige Fachinformation 3 Indikation n. Zulassung: diabetische Polyneuropathie 4 Indikation n. Zulassung: postherpetische Neuropathie 5 Indikation n. Zulassung : periphere neuropathische Schmerzen (außer Diabetes) Akute Schmerzkrise Häufigste Ursachen bei Palliativpatienten • Tumoreinblutung • Perforation oder Verschluss eines Hohlorganes • pathologische Fraktur • Nervenkompression oder -infiltration • akute psychische Belastung • … • Ursache unabhängig von der Grunderkrankung 13 Akute Schmerzkrise - medikamentöse Behandlung Opioidnaiv: • Morphin 10mg 1:10 mit NaCl aufziehen • langsam in 1-2mg-Schritten intravenös hochtitrieren bis erwünschte Wirkung eintritt • immer gleichzeitig Antiemetikum geben Nicht-opioidnaiv: • Beginn mit mind. 1/6 der Opioid-Tagesdosis i.v., dann weiter titrieren Ergänzung durch Nicht-Opioide: • Metamizol, N-Butylscopolamin, Esketamin etc. Zusätzlich Angst, Aufregung: • Lorazepam (1 - 2,5mg s.l.) oder Midazolam 1-2mg i.v. Schmerznotfall 1. Die Schmerztherapie steht zunächst ganz im Vordergrund, Diagnostik wird nachgeschaltet 2. Ziel ist zunächst nicht Schmerzfreiheit sondern Schmerzreduktion 3. Nach anfänglicher Besserung, muss eine Therapiefortsetzung gewährleistet sein Ausschnitt aus: Versuchung des Hl. Antonius Mathias Grünewald: Isenheimer Altar 14 Faustregeln zu Dosierungen Einander etwa entsprechende Tagesdosen: 25µg/h Fentanyl transdermal 35µg/h Buprenorphin transdermal 60mg Morphin (2x30) 8mg Hydromorphon (2x4) 40mg Oxycodon (2x20) entspricht einer oralen Bedarfsmedikation von 10mg unretardiertem Morphin (z.B. Morphin-Tropfen) entspricht einer subkutanen oder intravenösen Bedarfsmedikation von etwa 5mg Morphin Zusammenfassung der Lerneinheit • Schmerzen sind ein häufiges Symptom in Zusammenhang mit Tumorerkrankungen, welches bislang häufig noch unzureichend Beachtung findet. • Eine individuelle Schmerztherapie steht und fällt mit einer differenzierten Schmerzanamnese, die schließlich über die Schmerzdiagnose zielführend für die medikamentöse Schmerztherapie ist. • Die regelmäßige Schmerzerfassung mit möglichst einfachen Instrumenten sollte Bestandteil einer jeden Schmerztherapie sein. • Der medikamentösen Tumorschmerztherapie liegt das WHO-Stufenschema zugrunde, dazu gehört auch die Verordnung einer Bedarfsmedikation für Durchbruchschmerzen sowie die prophylaktische Behandlung von Nebenwirkungen. • Opioide haben verschiedene Äquivalenzdosen, die vor allem bei der Umstellung berücksichtigt werden müssen. • Ein Schmerznotfall bei Tumorpatienten erfordert in der Regel eine schnell wirksame Schmerztherapie, häufig über intravenöse Applikation. 15 VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT! Bearbeiten Sie zum Abschluss den CME-Wissenstest. Bei erfolgreicher Teilnahme erhalten Sie 2 CME-Punkte. Literatur Bewerten Sie diese CME-Einheit und nehmen Sie an der Online-Evaluation (5 Minuten) teil. Damit helfen Sie uns, das Angebot besser auf Ihren Bedarf auszurichten. Nauck, F. & Klaschik, E. (2010). Schmerz. In C. Bausewein, S. Roller & R. Voltz (Hrsg.), Leitfaden Palliative Care (4. Aufl.). München: Elsevier, S. 346-389. Sorge, J., Nauck, F., Radbruch, L. & Elsner, F. (2012). Schmerztherapie. In E. Aulbert, F. Nauck & L. Radbruch (Hrsg.), Lehrbuch der Palliativmedizin (3. Aufl.). Stuttgart: Schattauer, S. 146-207. Strumpf M. Tumorschmerztherapie. Dtsch Arztebl 2005; 102(13): A-916 / B-772 / C-723 Laufenberg-Feldmann, R., Schwab, R., Rolke, R. & Weber M. (2012). Tumorschmerz in der Palliativmedizin. Anaesthesist 61, 457–470. Handlungsleitlinie Tumorschmerzen aus Empfehlungen zur Therapie von Tumorschmerzen (3. Auflage) Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Arzneiverordnung in der Praxis, Band 34, Sonderheft 1, Januar 2007. 16