Evangelisches Gemeindeverständnis.DSP

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Evangelisches Gemeindeverständnis Evangelisches Gemeindeverständnis Im Deutschen steht der Begriff “Gemeinde“ in Spannung zum Begriff „Kirche“. Das beiden zugrunde liegende griechische Wort ekklesía bedeutet sowohl die örtliche Versammlung (zum Gottesdienst) als auch die universale Kirche. Von daher kann gefragt werden, ob die dogmatischen Qualifikationen von Kirche auch für die Gemeinde gelten. Zudem ist die Verhältnisbestimmung beider Größen Gegenstand konfessioneller Differenzen: Während eher kongregationalistische Konzepte „Kirche“ (als Abstraktion) von der primären, sozialen, konkreten Gemeinde („congregatio“) her denken, ist die Ortsgemeinde v.a. in römisch-­‐
katholischer Perspektive umgekehrt (nur) die Abbildung einer idealen und primären Größe „Kirche“, die sakramental anschaulich wird. Ein evangelischer Gemeindebegriff wird sich zwischen diesen Polen ansiedeln. Die Ortsgemeinden bilden die Kirche, die Kirche ist aber immer mehr als die Summe ihrer Teile. Gemeinde ist die sichtbare soziale Gestalt, in der Kirche geschieht. Der Gemeindebegriff ist deshalb vom Kirchenbegriff her zu entfalten. Ekklesia ist neutestamentlich sowohl die Ortsgemeinde (die vor Ort heraus-­‐ oder zusammen gerufenen) wie die „Kirche“ im übergreifenden Sinne.1 Eine systematische neutestamentliche Ekklesiologie gibt es nicht.2 Allerdings gibt es verschiedene normativ wirksame neutestamentliche Bilder von Kirche: Kirche ist „der Tempel Gottes“3, das „Volk Gottes“4, der „Leib Christi“5, ist „Herde“, „Haus der lebendigen Steine“6. Allen diesen Bildern ist gemeinsam die Verbundenheit einzelner Elemente/Glieder (Steine, Schafe, Glieder) zu einer umfassenden, übergreifenden und einenden Ganzheit (Bau, Herde, Leib). Diese Ganzheit ist das Wirken des dreieinen Gottes und weist in der ethischen Unterweisung auf den der Gemeinde von ihrem Grund in Jesus Christus her gegebenen Auftrag zur Gemeinschaftlichkeit.7 Stimmig dazu verhält sich, dass nach evangelischem Verständnis der Kirchenbegriff vom Verständnis der Kirche als communio sanctorum her entwickelt werden muss.8 Gemeinde ereignet sich und besteht dort, wo die Kirche als communio sanctorum9 als congregatio -­‐ also als Personalgemeinschaft10 -­‐ sichtbar in Erscheinung tritt, wo diese sich um 1
Vgl. Christian Möller Art. Gemeinde I, TRE Bd. 12, S. 318
Vgl. R. Preul, Kirchentheorie, S 57
3
1. Kor. 3,16f; 6,19; 2. Kor. 6,16
4
1. Petr. 2,9ff; Hebr.; Röm. 9-11
5
Röm. 12; 1. Kor. 12; Eph. 4
6
1. Petr. 2, 4ff; Eph. 2,19ff
7
vgl. insbesondere den paulinischen Argumentationsgang im 1. Korintherbrief
8
Vgl. R. Preul, Kirchentheorie, S. 52
9
Apostolicum: Credo ... sanctam ecclesiam catholicam, sanctorum communionem“
10
„Im Begriff Kirche kommt die rechtliche, institutionelle, geschichtliche und
räumliche Gestalt ... der christlichen Gemeinde zur Sprache; im Begriff
2
Gemeinde als Kirche Gemeinschaftlichkeit Personalgemeinschaft >Gemeinde< kommt die personale,
als Versammlung und Gemeinschaft
sich ereignende, lokal begrenzte
Gestalt von >Kirche< zur Sprache.“
Christian Möller Art. Gemeinde I,
TRE Bd. 12, S. 317, Z. 40ff.
1 Evangelisches Gemeindeverständnis Wort und Sakrament versammeln: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen kommen, da bin ich mitten unter ihnen.“11 Gemeinde aktualisiert sich also immer dann, wenn Menschen im Namen Jesu Christi und im Hören auf das lebendige Wort Gottes zusammen kommen. Grund und Mitte der Gemeinde ist Jesus Christus und der Glaube an ihn und sein heilvolles Wirken.12 Gemeinde ist also in Konkretion der „communio sanctorum“ (CA VII) „congregatio sanctorum“13 (CA VIII).14 Was bedeutet das? Zum einen sind die in der communio sanctorum Verbundenen durch das Wirken des Heiligen Geistes geheiligt, der sie, so Luther im Kleinen Katechismus, „durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten hat; gleichwie er die gesamte Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, im rechten Glauben heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben.“15 Gemeinde ist also die Gemeinschaft derer, die glauben aufgrund des Wirkens des Heiligen Geistes durch das Evangelium zur Vergebung der Sünden.16 Gemeinde ist also zunächst ein geistliches Geschehen.17 Insofern ist die reformatorische Lehre von der Rechtfertigung der articulus stantis et candentis ecclesiae, weil hier der Grund für den Glauben liegt, von dem die Kirche als „Gemeinschaft der Gläubigen“18 lebt. Die Gemeinde ist creatura verbi divini und steht als Gemeinschaft der Gläubigen, die sich im Hören des Wortes gründet, zugleich in 11
Matthäus 18,20
„Gemeinde lebt nicht aus sich selbst. Sie muss in ihrem Selbstverständnis und
ihrem Handeln erkennbar werden lassen, dass sie sich auf Jesus Christus als den
Grund der Kirche bezieht.“ Eberhard Hauschild, Uta Pohl-Patalong, Kirche. S. 277
13
Nach evangelischem Verständnis muss der Kirchenbegriff vom Verständnis der
Kirche als communio sanctorum her entfaltet werden. Geheiligt sind die in der
communio sanctorum Verbundenen durch das Wirken des Heiligen Geistes, der sie
„durch da Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben
geheiligt und erhalten hat; gleichwie er die gesamte Christenheit auf Erden beruft,
sammelt, erleuchtet, im rechten Glauben heiligt und bei Jesus Christus erhält im
rechten, einigen Glauben.
14
CA VII: Una sancta ecclesia mansura sit. Est autem ecclesia congregatio
sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta. Ed
at veram unitatem ecclesiae satis est consentire de doctrina evangelii et de
administratum sacramentarum.
CA VIII: Ecclesia proprie sit congregatio sanctorum.
15
Martin Luther, Kleiner Katechismus, Erläuterung zum 3. Artikel
16
Barmen I: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das
eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen
und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die
Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes
auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes
Offenbarung anerkennen.“
17
„Sie weiß sich als ihre Grundlage biblisch fundiert auf Jesus Christus bezogen
und begreift ihr Selbstverständnis und ihren Auftrag in der Welt von Gottes
Handeln her.“ Eberhard Hauschild, Uta Pohl-Patalong, Kirche S. 275.
18
„Denn es weiß gottlob ein Kind von 7 Jahren, was die Kirche sei, nämlich die
heiligen Gläubigen und die Schäflin, die ihres Hirten Stimme hören.“ BSLK 459
12
Jesus Christus als Mitte der Gemeinde Gemeinschaft der Gläubigen 2 Evangelisches Gemeindeverständnis geschwisterliche Mitverantwortung19 für die rechte und lautere Verkündigung des Evangeliums im Sinne des gemeinen christlichen Bekenntnisses.20 Aus dem so gefassten allgemeinen Priestertum der Gemeinde leitet sich das besondere Priestertum des spezifischen Priestertums im gemeindlichen Verkündigungsdienst her (Berufungsrecht der Gemeinde, nachgeordnete Bestätigung durch das bischöfliche Amt).21 Zum anderen eignet der Kirche eine wesenhafte Gemeinschafts/koinonia-­‐
Gestalt, die aus der durch den Geist gewirkten Teilhabe an Jesus Christus folgt.22 Die christliche Gemeinschaft gründet in der durch den Geist gemittelten kommunikativen Teilhabe an, in und mit Jesus Christus (Leib Christi, 1. Kor. 12; Röm. 12)23 durch die Taufe, gefeiert im Herrenmahl, zugesprochen im Wort des Evangeliums. Wer durch die Taufe zu Christus gehört, ist „en christo“ und damit Glied der Gemeinschaft der Kirche Jesu Christi.24 Also: die Teilhabe in und an Jesus Christus konstituiert die geschwisterliche Gemeinschaft untereinander25. Hierin gründet der institutionelle Charakter der Gemeinde.26 Diese grundsätzliche Gemeinschaftlichkeit des christlichen Glaubens27 durch die Gemeinschaft 19
Barmen IV: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft
der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde
anvertrauten und befohlenen Dienstes.“
20
Martin Luther, Das eyn Christliche versammlung odder gemeyne recht und
macht habe, alle lere zu urteylen und lerer zu beruffen, eyn und abzusetzen, Grund
und Ursach aus der schrift (WA 11, 408 – 416) vgl. Christian Möller Art.
Gemeinde I, TRE Bd. 12, S. 320. Vgl. auch Eberhard Hauschild, Uta Pohl
Patalong, Kirche S. 272f
21
vgl. Reiner Preul, Kirchentheorie S. 106ff
22
Vgl. Christian Möller Art. Gemeinde I, TRE Bd. 12, S. 318
23
„Ursprung und Mittelpunkt von Gemeinde ist nach christlichem Verständnis ein
Prozess der Präsenz Christi, der Teilhabe und Kommunikation zwischen Christus
und den Gläubigen und Teilhabe der Gläubigen an der dadurch gegebenen
Wirklichkeit.“ Eberhard Hauschild, Uta Pohl-Patalong, Kirche, S. 272
24
„Der Glaube ist gemeinschaftliche Existenz wie er zugleich personhafte Existenz
ist.“ Emil Brunner, Dogmatik III, S. 164. Es ist „von einer im Christusgeschehen
wurzelnden Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität in der
christlichen Gemeinde auszugehen.“ Zimmermann, Gemeinde, S. 11.
25
Gemeinschaftlichkeit als Gestaltprinzip des christlichen Lebens en christo: „Der
nicht in die Gemeinschaft der Heiligen einbezogene Christenmensch stellt einen
Selbstwiderspruch dar.“ R. Struck, Dienstgemeinschaft in der Gemeinde, Dt.
Pfarrerblatt 8/2004, S. 396. „In-Christus-Sein durch den Glauben und In-dieserGemeinschaft-Sein ist ein und dasselbe.“ Brunner, Dogmatik III, S. 36
26
„Eine Gemeinde ist“ zum zweiten „eine Institution: Sie entfaltet auf
reformatorischer Grundlage für ihre Aufgaben und ihre Strukturen zentrale
Kennzeichen der Teilnahme und Teilhabe.“ Eberhard Hauschild, Uta Pohl
Patalong, Kirche S. 275
27
„Die Bedeutsamkeit der Gemeinschaft der Kirche und ihrer Einheit für das
Selbstverständnis jedes einzelnen Christen ist im Protestantismus oft vernachlässigt
worden.“ Pannenberg, Syst. Theologie III, S.9. Dagegen: „Das Evangelium ist
Gemeinschaft.“ Roger Schutz, Gewalt der Friedfertigen, S. 125. In der
evangelischen Theologie wurde der Gemeinschaftsgedanke besonders stark
gemacht durch D. Bonhoeffer, Communio Sanctorum (später konkretisiert in
„Gemeinsam leben") „Gott will nicht eine Geschichte einzelner Menschen, sondern
die Geschichte der Gemeinschaft der Menschen. Gott will aber nicht eine
kommunikativen Teilhabe an, in und mit Jesus Christus durch die Taufe, gefeiert im Herrenmahl, zugesprochen im Wort des Evangeliums Gemeinschaft, die den Einzelnen in
sich aufsaugt, sondern eine
Gemeinschaft von Menschen.“
(Communio sanctorum, S. 53) und
Emil Brunner „Gerade das ist das
neue Leben, das in Christus
begründet ist: das Leben in der
Gemeinschaft, in der Agape, statt des
Lebens für sich, in der
Vereinzelung.“ Brunner, Dogmatik
III, S. 36. „Die ekklesia ist nichts
anderes als: Menschen in
Gemeinschaft, in Gemeinschaft mit
Gott und in Gemeinschaft
miteinander.“ (aaO S. 37) Vgl. auch
Phil 2,1-11
3 Evangelisches Gemeindeverständnis in Christus begründet die Gemeinschaft der Kirche28, aus der wiederum der grundsätzlich gemeindliche Charakter der Kirche folgt, wie er vor allem von der bekennende Kirche wieder entdeckt wurde und in der Barmer Theologischen Erklärung für die Rheinische Landeskirche gültigen Ausdruck fand, die „die christliche Kirche“ als „die Gemeinde von Brüdern“ anspricht.29 „Gemeinden ... haben also die Aufgaben, unterschiedliche Beteiligungsformen für ihre Gemeindemitglieder zu ermöglichen und die Kommunikation zwischen ihnen zu fördern.“30 Gemeinde ist als communio auf Kommunikation angelegt. communio drängt auf communicatio: Die Verkündigung des Wortes in der Gemeinde zielt auf die Verkündigung vor/in der Welt. Die Gemeinschaft und Solidarität nach innen findet ihre Fortsetzung und Bewährung im Dienst an der Welt. Der Alltag der Ortsgemeinde knüpft konziliare Beziehungen zu anderen Gemeinden und Kirchen. Und noch weiter: Der Gemeinschaftscharakter der Kirche ist eschatologisch ausgerichtet auf die zukünftige Einheit der Schöpfung – und in ihr der Menschheit -­‐ in der Gemeinschaft des dreieinen Gottes.31 Als Kirche Jesu Christi gehört die Kirche Jesus Christus und sie dient ihm als ihrem Herrn (kyriake).32 Daraus leiten sich ihre wesenhaften Kennzeichen her. Darin gründen die wesenhafte „Einheit“ und „Heiligkeit“ der Kirche.33 Der ihr von ihrem Herrn gegebene universale Auftrag ist die Verkündigung des Evangeliums, wie es durch die Bibel bezeugt ist, als das Heil der Welt. Darin liegt als ihrem zweiten Wesenszug ihre Apostolizität. Nach dem 6. Artikel der Barmer Theologischen Erklärung besteht der Auftrag der Kirche (ihre „Mission“) angelegt auf Kommunikation und Partizipation konziliar und ökumenisch Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität 28
Durch die Gemeinschaft mit Christus sind wir „zugleich eingefügt in die
Gemeinschaft der Glaubenden“. Pannenberg, Systematische Theologie III, S. 25
29
„Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in
Wort und Sakrament durch den heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt.“
These 3, Satz 1 der Barmer Theologischen Erklärung.
30
Eberhard Hauschild, Uta Pohl –Patalong, Kirche S. 281
31
Uppsala 1968: Kirche „als Zeichen der zukünftigen Einheit der Menschheit.“
32
Barmen II: „Wie Jesus Christus Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden
ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser
ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen
Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. Wir
verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir
nicht Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir
nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“ - „Kirche ist eine
Gemeinschaft von Menschen, die – wie vor allem in der Tischgemeinschaft des
Herrenmahls deutlich wird – einen Leib unter einem Haupt bilden.“ W. Kreck,
Ekklesiologie S. 11
33
Nizänoconstantinopolitanum: „Et unam, sanctam, catholicam et apostolicam“.
Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität sind die vier klassischen
Kennzeichen oder notae internae der Kirche. Ihre dogmatische Setzung erübrigt
jedoch nicht ihre kirchentheoretische Reflexion: Wie wird die Einheit der Kirche,
ihre Heiligkeit, ihre Katholizität und ihre Apostolizität sichtbar und gestaltet?
4 Evangelisches Gemeindeverständnis darin, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.“ In der Universalität ihrer Sendung besteht als dritter Wesenszug ihre Katholizität.34 Kirche hat keine Mission. Kirche ist in Mission.35 Der missionarische Auftrag der Kirche konkretisiert sich in Diakonia und Martyria (euangelizestai). Die Kirche ist eben als Kirche Jesu Christi nicht Selbstzweck, sondern sie ist (1) Gemeinschaft in Jesus Christus und sie (2) dient der Gemeinschaft in Jesus Christus, indem sie grundsätzlich aus sich heraus und hinaus in die Welt geht und durch Wort und Sakrament Menschen in diese Gemeinschaft einlädt. In Mission Darin dient sie dem Kommen des Reiches Gottes. Die konkrete Gemeinde lebt von dem Vertrauen in die eschatologische Verheißung Gottes, in Jesus Christus und in der Kraft des Heiligen Geistes durch Wort und Sakrament in der gemeindlichen Gemeinschaft lebendig zu wirken.36 Zugleich ist die Gemeinde berufen, selbst Zeichen zu sein, eschatologische Prolepse der mit der Auferweckung Jesus Christi angebrochenen Gottesherrschaft: sie traut Jesus Christus als Gottes lebendigem und treuem Wort, dass es sich an der Welt bewahrheiten wird und dient Christus darin als Werkzeug. Solcher wesenhaften Gemeinschaftlichkeit in der Zweipoligkeit von Sammlung und Sendung eine angemessene Sozialgestalt zu geben, ist ein wesentliches Kriterium lebendiger Gemeinde/Kirche.37 Im Verheißungshorizont des Reiches Gottes In der Begegnung mit dem auferweckten und lebendig gegenwärtigen Christus liegt das Ursprungsgeschehen der Kirche, indem Christus denen, die zu ihm gehören, seine Gemeinschaft im Brechen des Brotes schenkt, sie in der Kraft des Heiligen Geistes bevollmächtigt, das Evangelium zu verkünden und sie dazu in die Welt sendet. „Die Welt“ ist dabei immer der konkrete situative Kontext, in den die Gemeinde oder der Einzelne gestellt sind. Kontextualisierung und Situationsgemäßheit im Verheißungshorizont des Reiches Gottes ist deshalb ein weiteres Kriterium lebendiger Gemeinde. 34
Aus der Katholizität der Kirche in der Vielfalt ihrer Kirchen und Gemeinden
folgt die Ökumenizität der Kirche und die Synodal-Gemeinschaft der
Ortsgemeinden und –Kirchen.
35
„Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an
Christi statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt
und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles
Volk.“ Barmer Theologjsche Erklärung These 6, Satz 1. Hauschild/Patalong
bezeichnen dies als die missionarische Grundlage der Gemeinde aaO S. 276
36
Hieran erinnert uns der Abschlussbericht der ökumenischen Visite in besonderer
Weise: „Dieses Vertrauen fördert die christliche Haltung, sich für das Wirken des
Heiligen Geistes zu öffnen, und Raum für eigene Spontaneität zuzulassen.“ Bericht
der ökumenischen Visite 11.-21. Juni 2015 in der Evangelischen Kirche im
Rheinland. Dokumentation. S.17 (3.1.B): Theologisches Fundament und christliche
Grundhaltung.
37
1966 schon klagt Hoekendijk „Die Kirchen sind zu geschlossenen
Gemeinschaften geworden.“ Hoekendijk, Die Zukunft der Kirchen S. 106.
Hoekendijk plädiert für eine Kirche als offene Gemeinschaft (ebda. S. 106ff)
Kontextualisierung und Situationsgemäßheit 5 Evangelisches Gemeindeverständnis Gemeindebildung bedeutet den andauernden Auftrag zu einer situativ angemessenen Gestaltwerdung von Kirche sowohl durch „die Erneuerung vorhandener Gestalten als auch die Suche nach neuen Gestalten“38.39Die Gestalt der Gemeinde soll der Erfüllung ihres Auftrages dienen als „Sozialgestalt Jesu Christi“40 „an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes“ (Barmen VI) der Verkündigung des Evangeliums zu dienen: Kirche realisiert sich in der Aktualisierung des messianischen Weges Jesu Christi.41 Sie kommt von Jesu Ankündigung des Reiches Gottes her und geht auf das Reich Gottes zu.42Die Grundfrage einer auftragsorientierten und lokalen Gemeindeentwicklung43 lautet dann: Wie kann sich eine Gemeinde vor Ort so entwickeln, dass sie situativ angemessen und mit den lokal gegebenen Möglichkeiten ankündigendes44 Zeichen und Instrument für das verheißene Reich Gottes wird als Zeugnis-­‐, Feier-­‐ und Dienstgemeinschaft in Jesus Christus. Die Sozialform der Gemeinde hat also der Wahrnehmung ihres Auftrags zu folgen, der sich im gottesdienstlichen Geschehen vollzieht.45 Insofern sich Gemeinde nicht selbst verdankt, sondern als creatura verbi aus Wort und Sakrament (dem verbum visibile) lebt, setzt Gemeinde die 38
Johannes Zimmermann, S. 18
Gemeinde ist folglich – neben (1) einem geistlichen Geschehen) und (2)
Institution – (3): „eine Organisation: Sie entwickelt organisatorische Prinzipien, die
sich im Kontext der jeweiligen Zeit und Kultur verändern können, jedoch auf ihre
theologische Angemessenheit hin reflektiert werden müssen.“ Eberhard Hauschild,
Uta Pohl-Patalong, Kirche S. 275
40
Barmen III, Satz 2: Die Kirche „hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam,
mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die
Gemeinschaft der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum
ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner
Erscheinung lebt und leben möchte.“ Also: keine „Real-Repräsentation“ (röm.kath.), sondern eine verweisend-bezeugende und auf ihre eschatologische Erfüllung
in einer Haltung des Gehorsams vertrauensvoll hoffende Repräsentation Christi
durch seine Kirche (evangelisches Verständnis). „Jesus Christus ist die Gemeinde.“
Karl Barth, KD IV/2, S. 741. Aber nicht gilt umgekehrt.: die Gemeinde ist Jesus
Christus. D.h. die Gemeinde ist Prädikat ihres Subjekts. Ihr Sein erschöpft sich in
ihm. „Er ist ihr nur immanent, indem er ihr transzendent ist.“ K. Barth, KD I/1,
S.103 Kirche als der „unter Menschen gestaltgewordene Christus.“ D. Bonhoeffer,
Ethik S. 26 oder: „Kirche ist der Ort, an dem das Gestaltwerden Jesu Christi
verkündigt wird und geschieht.“ (ebda. S. 30). Vgl. auch E. Jüngel, Die Kirche als
Sakrament? ZThK 80/1983, S. 443
41
„Kirche muss Vollmacht, Auftrag, Lebensform und Schicksal des irdischen Jesus
teilen. Sie sind Kennzeichen der Kirche, ... da die Jünger Christus repräsentieren.“
Ulrich Luz, Freude aus der Verheißung des Evangeliums, Dt.Pfr.bl. 9/07, S. 461
42
„Die Gemeinde wäre nichts, wenn sie nicht vom Reich Gottes herkäme und ihm
entgegen ginge.“ K. Barth, KD IV/2, S. 742. „Als Zeichen und Werkzeug des
kommenden Gottesreiches hat die Kirche ihren Zweck nicht in sich selbst, sondern
in der Zukunft einer mit Gott versöhnten und durch den gemeinsamen Lobpreis
Gottes in seinem Reich vereinten Menschheit.“ Pannenberg SyTh III, S. 58
43
Vgl. Christian Henneckes Modell einer „lokalen Kirchenentwicklung“
44
„Mehr als Träger der Ankündigung des Reiches kann sie nicht sein. Dieser
Zeugendienst ist ihr opus proprium.“ Hoekendijk aaO 212
45
vgl. Eberhard Hauschild, Uta Pohl-Patalong, Kirche S. 273
Teilhabe an Gottes Gaben um. Ihr Ziel ist es, Wort und Sakrament zu „kommunizieren“ – nach innen wie nach außen. Dem entspricht Luthers Sozialgestalt Jesu Christi Zeugnis-­‐, Feier-­‐ und Dienstgemeinschaft in Jesus Christus 39
6 Evangelisches Gemeindeverständnis Übersetzung von griechisch ekklesía mit „Gemein(d)e“. Er übernimmt sachgerecht aus dem Deutschen den Begriff für den „gemeinen“ Grundbesitz der gleichberechtigten Bewohner eines Ortes. Daraus ergeben sich die beiden Gedanken vom a) Priestertum aller Gläubigen (bzw. aller Getauften), d.h. die Kommunikation von Wort und Sakrament ist eine allen anvertraute Gabe und Aufgabe. Keine/r ist nur Empfänger/in von Wort und Sakrament, sondern auch Zeuge/in und Täter/in des Wortes (Jak 1,22). b) Ämter als Dienste. Das Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung ist ein Dienst und begründet keine Herrschaft der Einen über die Anderen (Barmen IV). Die Wesensbestimmung der Gemeinde zielt damit darauf, Gemeinde partizipatorisch, kommunikativ, diakonisch und demokratisch zu gestalten. Die Grundform christlicher Gemeinde ist die gottesdienstliche Versammlung (Liturgie und Kerygma),46 die wiederum zu einem gemeinsamen Leben ruft, in dem einer für den anderen einsteht (Diakonie)47. Die spezifische Verantwortung dafür liegt beim Predigtamt.48 Für neue Gemeindeformen ließe sich die Kriteriologie anwenden, die Dietrich Ritschl in seiner „Logik der Theologie“49 für das Gespräch mit Kirchen vorstellt, die Mitglied im Ökumenischen Rat der Welt werden wollen: 1.
2.
3.
4.
5.
Anbetung (Doxologie) Erzählen der Geschichte Gottes (Verkündigung) Persönliches Eintreten für diese Geschichte (Bekenntnis) Eintreten für andere Menschen (Diakonie, advocay) Ethische Orientierung der Gruppe an 2.-­‐4. Priestertum aller Gläubigen Ämter als Dienste Der Gottesdienst der Gemeinde Gebet, Verkündigung, Bekenntnis, Diakonie, Advocacy 46
„Die örtliche Gemeinschaft gottesdienstlichen Lebens als der primären
Manifestation der unsichtbaren Gemeinschaft aller Glaubenden in Christus“.
Pannenberg, Systematische Theologie III, S. 10. „Die Wesensdefinition der Kirche“
(nach CA VII) „fasst nur den Vollzug ihres spezifischen Lebens in den Blick.
Kirche ist wesenhaft nichts anderes als das Geschehen der Verkündigung in der
gottesdienstlichen congregatio sacotrum. Eben darin besteht ihre Einheit“ ... ihre
Heiligkeit, Apostolizität und Katholizität. Reiner Preul, Kirchentheorie, S. 82
47
„Liebe ist die Seele eines Lebens in Gemeinschaft.“
48
Vgl. CA 5 und 14. Dazu Reiner Preul, Kirchentheorie S. 90f
49
Dietrich Ritschl, Zur Logik der Theologie
7 Evangelisches Gemeindeverständnis Aus dem bis hierhin gesagten folgern die institutionelle Kennzeichen der Gemeinde sind nach Hauschild/Patalong: „Eine (reformatorische) Gemeinde Feiert regelmäßig Gottesdienst mit Wort und Sakrament (explizit liturgische Kennzeichen) • Erfüllt exemplarisch weitere Aspekte des kirchlichen Auftrages zur Verkündigung des Evangeliums in der Welt: biographisch-­‐religiöse Begleitung, Bildungshandeln, Hilfehandeln, Gerechtigkeitshandeln (soziokulturelle implizite Kennzeichen) • Eröffnet Raum zum Glauben, fördert Glauben, begleitet im Glauben (Individualitätskennzeichen) • Wird durch Amt und allgemeines Priestertum geleitet (Leitungskennzeichen) • Besitzt eine situationsadäquate Struktur für die Teilhabe der Mitglieder am gemeindlichen Geschehen (Strukturkennzeichen).“50 Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts sah man dieser Form von Kirche in der sog. Ortsgemeinde, die der gottesdienstlichen Verkündigung und der Wahrnehmung des diakonischen Auftrages in ihrem Sprengel dient, genüge getan.51 Seit den 60er-­‐ Jahren wogt in immer neuen Bezügen eine Debatte um den missionarischen Aufbruch der Kirche in basis-­‐ und volksnahen Sozial-­‐ und Gemeindeformen mit einem in der Regel hohen Beteiligungsgrad52. •
Hauschild / Pohl-­‐Patalong formulieren als organisatorische Kennzeichen einer Gemeinde „kulturell abhängig, jedoch theologisch angemessen: Eine Gemeinde besitzt eine eigenständige Leitungs-­‐ und Vertretungsstruktur (Prinzip der organisatorischen Einheit) und ist an der gegenseitigen Leitungs-­‐ und Steuerungspartizipation von lokaler Gemeinde und regionaler Kirche beteiligt (Prinzip der organisatorischen Wechselseitigkeit).“53 institutionelle Kennzeichen organisatorische Kennzeichen x 50
Eberhard Hauschild / Uta Pohl-Patalong, Kirche S. 276
Vgl. Christian Möller aaO., S. 330.
52
Beteiligungskirche vs. Betreuungskirche
53
Eberhard Hauschild, Uta Pohl-Patalong, Kirche S. 276
51
8 
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