Die Elbe ist nach wie vor ein Patient

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www.spektrum.de, 19. Juli 2013
Dioxin nach dem Hochwasser
"Die Elbe ist nach wie vor ein Patient"
Durch Hochwasser sind die Elbauen mit Dioxinen und anderen Schadstoffen
verunreinigt. Lüneburger Forscher wollen auf dem Weideland nun weniger belastete
Pflanzenkohle herstellen. Von Karl Urban
Frank Krüger beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Schadstoffen, die durch über die Ufer tretende
Flüsse transportiert werden – zuletzt beim diesjährigen Elbehochwasser. Er ist ein wissenschaftlicher
Mitarbeiter des Forschungsprojekts "Aktivierte Pflanzenkohle", das seit April 2013 an der Leuphana
Universität Lüneburg durchgeführt wird. Dabei soll Grünschnitt aus dem Biosphärenreservat
Niedersächsische Elbtalaue verwendet werden, der durch Fluten der vergangenen Jahrzehnte mit
Dioxinen und anderen Schadstoffen belastet ist.
Dioxine reichern sich im Fettgewebe von Tier und Mensch an. Zu einem großen Teil sind sie entweder
Krebs erregend oder stehen im Verdacht, Krebs fördernd zu sein. Ziel des Forschungsprojekts ist es
daher, aus dem geernteten Gras Pflanzenkohle herzustellen und dabei die organischen Schadstoffe
weit gehend zu zerstören. Angereichert mit landwirtschaftlichen Abfällen wieder auf die Elbtalauen
ausgebracht, wollen die Forscher dabei die Qualität der Böden verbessern. Gleichzeitig sollen von den
Schadstoffen betroffene Landwirte eine neue Einnahmequelle erhalten.
Herr Krüger, woher stammt die Belastung
durch Dioxine in den Elbtalauen?
Grundsätzlich werden Schadstoffe bei jedem
Hochwasser in die Auen transportiert und hier
abgelagert. Im Fall der Elbtalauen wissen wir,
dass die aktuellen Einträge aus sekundären
Quellen stammen. Das bedeutet, die an den
Partikeln haftenden Schadstoffe sind bereits
im Gewässersystem unterwegs und im
Wesentlichen nicht die Folge aktueller
Einleitungen. Es handelt sich um historische
Standorte der Leichtmetallproduktion an der
mittleren Elbe sowie in den Einzugsgebieten
der Nebenflüsse Mulde und Saale. Die
schlimmsten Belastungen gab es in den
1950er und 1960er Jahren. Ein Teil dieser
Schadstoffe ist dann auf verschiedenen
Wegen in Gewässer gelangt und wird an
Partikel gebunden immer weiter transportiert.
Insofern leiden wir auch heute immer noch an
Altlasten, die mehr als 50 Jahre alt sind.
Wie viele Schadstoffe dieses Jahr in die
Elbtalauen gelangt sind, lässt sich derzeit
wohl noch nicht sagen. Das Ministerium
für Landwirtschaft, Umwelt und
Verbraucherschutz in Mecklenburg-Vorpommern hat aber bereits Entwarnung gegeben: Es
habe im eigenen Elbabschnitt keine zusätzlichen Belastungen gegeben. Wie entwickelt sich denn
generell die Bodenbelastung durch neue Elbhochwasser?
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Es gibt von den Bundesländern an der Elbe regelmäßige Sediment- und Bodenüberwachungen. Auch
die Leuphana Universität hat in verschiedenen Projekten solche Untersuchungen im Elbvorland
durchgeführt. Es ist erkennbar, dass transportierte Sedimente heute weniger stark verschmutzt sind als
früher. Die stark dioxinbelasteten Sedimente der 1950er und 1960er Jahre werden somit heute durch
Partikel bedeckt, die nicht mehr derartig kontaminiert sind. Wenn also bei Hochwasser neues
Sediment aufgelagert wird, profitieren die Böden sogar. Daneben gibt es allerdings auch Standorte, wo
der junge Sedimenteintrag unterbleibt. Dort können die Böden noch genauso stark belastet sein wie
etwa in den 1970er Jahren.
Auch wenn sich die Wasser- und Sedimentqualität im Vergleich zu den vorigen Jahrzehnten
wesentlich verbessert hat, bleibt die Elbe also nach wie vor ein Patient: So sind die Flusssedimente
heute noch ausreichend stark belastet, um das Futtermittel in den Auen zu verschmutzen. Darüber
hinaus fressen Rinder und Schafe immer auch ein wenig Boden mit, wenn sie die Auwiesen abweiden.
Das reicht aus, um die Grenzwerte in den Tierprodukten und somit in unseren Lebensmitteln
überschreiten zu lassen.
Wie gehen Landwirte in den Elbtalauen bislang mit den belasteten Böden um?
Der Landwirt trägt die Verantwortung für sein Produkt. Die Bundesländer haben aber
Bewirtschaftungsrichtlinien und Empfehlungen formuliert, um den Schadstofftransfer in die
menschliche Nahrungskette zu minimieren: So sollte das Vieh etwa nur kurze Weidezeiten im
Überschwemmungsbereich bekommen. Gras sollte möglichst hoch über dem Boden geschnitten
werden, um die bodennahen, stark erdverschmutzten Pflanzenteile nicht mitzuernten. Darüber hinaus
sollte auf trockenes Erntewetter geachtet werden. Wird das alles beachtet, ist es möglich, auch in den
Elbauen brauchbares Futter zu gewinnen. Aber es ist relativ aufwändig und bleibt immer mit einem
gewissen Risiko verbunden.
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In Ihrem Projekt soll mit Dioxinen belasteter Grünschnitt in einem Reaktor direkt zu
Pflanzenkohle weiterverarbeitet werden. Wie löst das die genannten Probleme?
Bei der Produktion der Pflanzenkohle werden die problematischen Dioxine zerstört. Wir erzeugen also
aus belastetem Grünschnitt eine weit gehend unbelastete Pflanzenkohle. Wir müssen im Rahmen
unseres Projekts aber auch prüfen, ob im neuen Produkt Pflanzenkohle mit anderen Schadstoffen wie
etwa Schwermetallen Probleme auftreten.
Gibt es noch technische Probleme, Pflanzenkohle aus Heu herzustellen?
Der Anlagenbauer stellt in einer Versuchsanlage aus verschiedenen Substraten Pflanzenkohle her. Bei
hartem Holzschnitt ist das einfacher als bei unserem weichen Heu. Denn Holz kann auf einfachere
Weise in gleichmäßig kleine, rieselfähige Stücke gehäckselt werden. Aber das sind technische Fragen,
für die es Lösungen gibt.
Glauben Sie, dass die Pflanzenkohle sinnvoller ist als die Nutzung in
Biogasanlagen, die ja ebenfalls getestet wird, um dioxinbelastetes
Heu Gewinn bringend zu nutzen?
Es ist sicher sinnvoll, nicht nur auf ein Pferd zu setzen. Allerdings gibt
es ein Problem mit den Gärresten aus den Biogasanlagen: Bei Dioxinen
haben wir es mit einer Stoffgruppe zu tun, die im Gärprozess nicht oder
nur geringfügig abgebaut wird. Das heißt, aus der Biogasanlage kommt
ein Gärrest heraus, der stärker mit Dioxinen belastet ist als die
ursprünglich eingebrachte Silage, also das vergärte Gras.
Ist es überhaupt notwendig, die belasteten Teile der Elbauen zu bewirtschaften? Immerhin
werden heute über zwei Drittel der 6000 Quadratkilometer großen Überflutungsfläche der
Elbtalaue als Weideland genutzt.
Wenn wir die Elbauen nicht bewirtschaften, würden sie verbuschen und wären zunehmend mit
Gehölzen bewachsen. Das ist aus Naturschutzsicht förderlich, immerhin sind Weich- und
Hartholzauwälder in ganz Mitteleuropa sehr selten. Allerdings dürfen sie nicht überall aufwachsen.
Denn durch den Bewuchs steigt die Rauigkeit des Geländes, und der Hochwasserabfluss wird
verlangsamt. In der Folge steigen die Pegel während einer Flut stärker an. Daher ist es gut, dass
Landwirte einen Großteil der Überschwemmungsgebiete frei halten und einen wirtschaftlichen Nutzen
erzielen können. Ansonsten müsste die Gesellschaft diese Leistung bezahlen.
Pflanzenkohle ist dafür ein innovatives Produkt: Bei ihrer Produktion wird zunächst Energie
gewonnen. Darüber hinaus sind ihre Anwendungsmöglichkeiten vielfältig. Pflanzenkohle kann als
Filter eingesetzt werden, in der Viehernährung oder zur Minderung von Geruchsbelästigung in Ställen.
Außerdem kann die Kohle Böden verbessern. Sie wirkt positiv auf den Bodenwasserhaushalt und kann
mit Hilfe von Wirtschaftsdüngern veredelt werden. Dazu eignen sich etwa Gülle, Mist, Gärreste oder
Hühnertrockenkot. Es gibt noch mehr Vorteile dieses Vorgehens: Pflanzenkohle ist weniger stark
abbaubar als normale organische Substanz. Das heißt, der in den Boden eingebrachte Kohlenstoff
bliebe langfristig im Boden. Wir tun also etwas für das Klima, schließen gleichzeitig die
Stoffkreisläufe auf den Höfen und schaffen ein neues Produkt für den Landwirt, ohne dabei die
Nahrungskette zu belasten.
Vielen Dank für das Gespräch.
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