Gesundheit Zur Prävention von psychischen Störungen und ihrer Medikalisierung Prof. Dr. Peter Rüesch, Fachstelle Gesundheitswissenschaften Tagung «Wie viel Prävention braucht der Mensch?», 29.11.2013, Zürich Bild 28.4 cm x 8 cm Zürcher Fachhochschule Inhalt 1. Einleitung • Zur Definition psychischer Krankheiten 2. Epidemiologie psychischer Krankheiten • Häufigkeiten, Inanspruchnahme, sozialer Kontext 3. Prävention psychischer Krankheiten • Begriffe, Modelle, Wirkungen 4. Risiken: «Medikalisierung» und Prävention 5. Schlussfolgerungen Zürcher Fachhochschule 2 Titel: Theorie Werkzeuge Ausgangslage Zürcher Fachhochschule 3 Definitionen Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • «Psychische Störung» – Begriff der Störung etablierte sich in der Psychiatrie erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts (vorher Bezeichnungen wie Abnormität, Krankheit etc.) – Psychische Störung als Konstrukt: D.h. Ergebnis eines gesellschaftlichen und fachlichen Konsenses keine «absolute» Grösse, sondern zeit- und kulturabhängig – Meistens extreme Ausprägung von Phänomenen «normalen» Erlebens – Zentrale Aspekte, die ein psychisches Problem zur Störung machen können * starker seelischer Leidensdruck * starke Einschränkung der Fähigkeiten zur Bewältigung von Aufgaben des alltäglichen Lebens (Haushalt, Arbeit, soziale Beziehungen etc.) * Leidensdruck und Funktionseinschränkung halten seit längerem (> 2 Wochen) an oder treten wiederholt auf Zürcher Fachhochschule 4 Psychiatrische Nomenklatur Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • Erhebliche Definitionsmacht von psychiatrischen Diagnostik/Klassifikationssystemen – Die Frage, wie häufig psychische Störungen in der Bevölkerung vorkommen, ist von den Instrumenten (strukturierte Interviews, Fragebögen) abhängig, mit denen sie gemessen werden – Deren Ausgestaltung wiederum ist geprägt durch die etablierte Klassifikation psychischer Störungen in einer bestimmten Epoche und Gesellschaft – Debatte um Klassifikation (gestört /nicht gestört) vs. «dimensionaler» bzw. gradueller Definition psychischen Leidens Zürcher Fachhochschule 5 Historizität der Diagnosen Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • Stupende Entwicklung der psychiatrischen Klassifikationssysteme ab den späten 70er und frühen 80er Jahren des 20.Jahrhunderts • Zwei international etablierte Systeme – ICD, «International Classification of Diseases» (Kap. V) der WHO – DSM, «Diagnostical and Statistical Manual of Mental Disorders» der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie Zürcher Fachhochschule 6 Titel: Theorie Werkzeuge Häufigkeit psychischer Krankheiten Zürcher Fachhochschule 7 Häufigkeit psychischer Störungen Einleitung • Internationaler Vergleich Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Angststörungen insgesamt: 14% 12-Monate-Gesamtprävalenz irgendeiner psych. Störung: 38% (165 Millionen Menschen in EU) Zahlen aus: Wittchen, H.-U.; Jacobi, F.; Rehm, J. (2011). The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. European Neuropsychopharmacology, 21, 655–679 Zürcher Fachhochschule 8 Gesellschaftliche «Kosten» Einleitung • Kosten neurologischer und psychischer Erkrankungen in Europa Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Hohe indirekte Kosten=Einbussen der Arbeitsproduktivität aufgrund von Absenzen oder Berentung/frühzeitiger Pensionierung Aus: CDBE2010 study group, Gustavson et al. (2011). Cost of disorders of the brain in Europe 2010. European Neuropsychopharmacology, 21, 718–779 Zürcher Fachhochschule 9 Depressionen in der Schweiz Einleitung • Prävalenzen: Unterschiede nach Geschlecht und Alter Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Daten: Schweizerische Gesundheitsbefragung 2007, gewichtete Daten; Quelle Grafik: Rüesch, P.; Bänziger, A.; Graf, S. (in Vorb.). Regionaler psychiatrischer Versorgungsbedarf in der Schweiz. Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Obsan. Zürcher Fachhochschule 10 Depressionen in der Schweiz Einleitung • Prävalenzen: absolute Zahlen Epidemiologie Prävention Tabelle 1: Hochrechnung Anzahl Personen mit Major Depression in der Schweiz, 2007 Major Depression, CH-Bevölkerung (≥ 15 Jahre) Medikalisierung Fazit Geschlecht 12-Mte. Prävalenz in % Anzahl Personen* Männer 3.8% 118'623 (103'015–134'232) Frauen 5.2% 171'343 (154'868–187'818) Gesamt 4.5% 288'753 (269'503–314'420) * Hochrechnung nach Bevölkerungszahlen 2007; in Klammern 95%-Vertrauensintervall Daten: Schweizerische Gesundheitsbefragung 2007; Quelle Rüesch, P.; Bänziger, A.; Graf, S. (2013). Regionaler psychiatrischer Versorgungsbedarf in der Schweiz. Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Obsan. Zürcher Fachhochschule 11 Inanspuchnahme Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 12 Sozialer Kontext psychischer Krankheiten • Wer sind die IV-RenterInnen mit psychischen Problemen? Belastungen Einleitung Typisch sind depressive Leiden und Schmerzstörungen sowie ein hohes Erkrankungsalter. Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit «Broken-Home»-Biografien (viele Heimaufenthalte, wechselnden Pflegemilieus, Verlust eines Elternteils, Vernachlässigung und Gewalt). Meistens haben Eltern oder nahe Verwandte an psychischen Störungen gelitten. Dokumentiert sind auch häufige Erfahrungen von Gewalt und Vernachlässigung. Häufig: Unterschichtsherkunft und Belastungen aus schwerer körperlicher Arbeit (→ viele Schmerzstörungen) Häufig schlecht dokumentiert; vereinfacht: ältere Schweizer mit depressiven Störungen und reduzierten Arbeitsmarktchancen, die vor Berentung relativ oberflächlich abgeklärt wurden. Fünf Gruppen von Belastungskonstellationen bei IV-RenterInnen mit psychischem Leiden (aus: Baer, N.; Frick, U.; Fasel, T. (2009). Dossieranalyse der Invalidisierungen aus psychischen Gründen. Bern: BSV (IV-Forschungsbericht 6/09) Zürcher Fachhochschule 13 Sozialer Kontext psychischer Krankheiten Einleitung Epidemiologie • Wer sind die IV-RenterInnen mit psychischen Problemen? Diagnosen Suchterkrankung (mehrheitlich Polytoxikomanie oder Opiatabhängigkeit) meistens kombiniiert mit einer Persönlichkeitsstörung Prävention Medikalisierung Fazit Diese Gruppe umfasst Schizophrenie (rund 50%), Minderintelligenz (30%) und frühe Entwicklungsstörungen (20%) Depression ohne Persönlichkeitsstörung und ohne körperliche Erkrankungen Depressive Erkrankungen kombiniert mit Persönlichkeitsstörungen, somatoformen Schmerzstörungen oder anderen somatischen Erkrankungen Persönlichkeitsstörungen kombiniert mit weiteren psychischen Störungen (Depressionen, Angststörungen und Alkoholabhängigkeit), aber ohne körperliche Krankheiten Fünf Gruppen von Diagnosekonstellationen bei IV-RenterInnen mit psychischem Leiden (aus: Baer, N.; Frick, U.; Fasel, T. (2009). Dossieranalyse der Invalidisierungen aus psychischen Gründen. Bern: BSV (IV-Forschungsbericht 6/09) Zürcher Fachhochschule 14 Titel: Theorie Werkzeuge Prävention psychischer Störungen Zürcher Fachhochschule 15 Begriffe Vermeidung von Risiken; Reduktion von Stressoren Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung FazitStärkung von Ressourcen Spektrum von Interventionen zur Förderung und Prävention psych. Gesundheit* In Praxis keine klare Abgrenzung zwischen Gesundheitsförderung und Prävention *) Nach: Munoz, R.F. et al. (2010). Prevention of Major Depression. Annu. Rev. Clin. Psychol., 6, 181–212 (doi: 10.1146/annurev-clinpsy-033109-132040) Zürcher Fachhochschule 16 Ansatzpunkte Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung • Primordial-Prävention – Ist auf Lebens-/Umweltbedingungen ausgerichtet, welche in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit stehen können • Primär-Prävention Fazit – Zielt auf die spezifischen Ursachen und Risikofaktoren einer Krankheit ab – Zwei wesentliche Ansätze: * Bevölkerungs-/Populations-Strategie=«Universelle Prävention»: Massnahmen, die sich an alle richten * Hochrisiko-Strategie=«Selektive und indizierte Prävention»: Massnahmen, die sich an Personen mit hohem Risiko (bzw. hoher Risikobelastung) richten Fokus auf Individuen / Gruppen mit Risiko Zürcher Fachhochschule Fokus auf Individuen / Gruppen mit ersten Symptomen oder Vorzeichen 17 Ansatzpunkte Einleitung Epidemiologie Prävention • Sekundär-Prävention – Setzt ein, wenn eine Krankheit bereits zumindest latent vorliegt. Verfolgt das Ziel, den Schweregrad der Folgen der Krankheit zu mindern durch Früherkennung und Behandlung Medikalisierung – Beispiel: Screening-Angebote für verschiedene Krankheiten (z.B. Brustkrebs) Fazit • Tertiär-Prävention – Versucht das Fortschreiten und Komplikationen einer Krankheit einzudämmen. Nur begrenzt von Therapie (Kuration) und Rehabilitation abgrenzbar – Beispiel Diabetes: Disease-Managment-Angebote, Anpassung der Ernährung Zürcher Fachhochschule 18 Fokus der Interventionen Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • Fokus auf «Verhalten» – Im Zentrum steht das gesundheitsbezogene Verhalten des Individuums und dessen Eigenverantwortung. Gesundheitsförderliches Verhalten, z.B.: Verzicht auf Zigaretten, ausreichend Bewegung/Sport, ausgewogene Ernährung. • Fokus auf «Verhältnisse» – Interventionen, die auf die sozialen, ökonomischen, organisatorischen oder auch technischen Bedingungen des Lebensumfelds von Menschen abzielen. Z.B. ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, Reduktion von arbeitsplatzbezogenen Stressoren Zürcher Fachhochschule 19 Modelle Einleitung Mögliche Ansatzpunkte von Interventionen: Individuum, Verhalten Externe/soziale Ressourcen Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Anforderungen (Stressoren) Bewertungsprozesse Bewältigung/ Coping Belastung (Stress) Gesundheit, Wohlbefinden Personale Ressourcen Mögliche Ansatzpunkte von Anforderungs-Ressourcen-Modell von (psychischer) Gesundheit Interventionen: Verhältnisse Zürcher Fachhochschule 20 Modelle Einleitung Epidemiologie • Ansätze zur Förderung psychischer Gesundheit und Prävention psychischer Krankheiten (nach ISPM, 2012*) Prävention Medikalisierung *) Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich (2012, Hrsg.). Prävention psychischer Erkrankungen. Grundlagen für den Kanton Zürich. Zürich: ISPM (Serie "Gesundheit, Gesundheitsförderung und Gesundheitswesen im Kanton Zürich", Nr.17) Fazit Zürcher Fachhochschule 21 Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung • Fazit: Ziel von Gesundheitsförderung muss die Reduktion von «Stressoren» und die Förderung von «Ressourcen» sein Stressoren und Ressourcen am Arbeitsplatz (nach Zapf, 2008/2012) Arbeitsbereiche Stressoren Ressourcen Arbeitsaufgabe • Zeitdruck, Überlastung • Rollenkonflikt, Rollenambiguität • Behinderungen bei der Aufgabenausführung (z.B geringe Steuer-/Kontrollmöglichkeiten der Aufgabe) • Kontrolle, Autonomie • angemessene Aufgabenkomplexität • angemessene Aufgabenvielfalt • Sinngehalt Soziale Beziehungen Arbeitskollegen, Vorgesetzte • Negatives Gruppenklima • Aufgaben- oder Beziehungskonflikte • Unfaire oder unangemessene Behandlung • Mobbing • Unterstützende Beziehungen durch Vorgesetzte und Arbeitskollegen Soziale Beziehungen Klienten/Kunden • Aggressive Kunden • Übertriebene Erwartungen von Kunden Arbeitsplatz/Anstellung • Unsicherheit Fazit • Sicherheit Nach: Kölbach, M.; Zapf, D. et al. (2008). Psychische Belastungen in der Arbeitswelt - Von Stress, Mobbing, Angst bis Burnout. Mainz: TBS gGmbH Rheinland-Pfalz) Zürcher Fachhochschule 22 Gesundheitsförderung in der Arbeitswelt Einleitung Epidemiologie Prävention • Fokus von Intervention betrieblicher Gesundheitsförderung Interventionsfoki: Reduktion von Stressoren, Förderung von Ressourcen am Arbeitsplatz (nach Zapf, 2012) Betrieb (Verhältnisse) Person (Verhalten) Stressoren Reduktion von arbeitsplatzbezogenen Stressoren Z.B. Verbesserung Klarheit von Rollen & Verantwortlichkeiten Reduktion individuellen/“internen“ Stressoren Z.B. Verbesserung des individuellen Zeitmanagements Ressourcen Förderung von externen Ressourcen Förderung von internen Ressourcen Z.B. Job-Enrichment Z.B. Förderung sozialer Kompetenzen Medikalisierung Fazit Nach: Zapf, D. (2011). Workplace related Possibilities for Promotion and Prevention. Presentation held at the "Thematic Conference under the European Pact for Mental Health", March 2011, Berlin Zürcher Fachhochschule 23 Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit Einleitung Viele Studien haben zu wenig «Power» um Effekt der Intervention zu belegen Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 24 Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit Grossbritannien: ökonomischer Nutzen (in £) von Präventions-/Gesundheitsförderungs-Interventionen im Bereich psych. Gesundheit/Krankheit (nach Knapp, 2011) Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Gesundheitssystem Andere Bereiche d. öff. Hand Privatwirtsch. Bereiche GesamtNutzen Früherkennung, Frühintervention • Frühintervention bei Störungen des Sozialverhaltens 1.08 1.78 5.03 7.89 • Interventionen bei postnataler Depression («health visitors») 0.40 – 0.40 0.80 • Frühintervention bei Depression in Zusammenhang mit Diabetes 0.19 0 0.14 0.33 • Frühintervention bei medizinisch nicht erklärbaren Beschwerden 1.01 0 0.74 1.75 • Früherkennung und Behandlung von Depression am Arbeitsplatz 0.51 • Früherkennung von Psychosen 2.62 0.79 6.85 10.27 • Frühintervention bei Psychosen 9.68 0.27 8.02 17.97 • Screening für Alkoholmissbrauch 2.24 0.93 8.57 11.75 • Flächendeckende Kurse in Suizidprävention für Hausärzte 43.86 43.99 • Suizidprävention durch Sicherheitsabschrankungen bei Brücken ≈Sekundärprävention 4.52 ≈indizierte– Primärprävention ≈Sekundärprävention 0.08 0.05 5.03 1.75 1.31 51.39 54.45 9.42 17.02 57.29 83.73 0 0 14.35 14.35 – – 9.69 9.69 0.34 0.58 2.63 3.55 0.44 – – 0.44 Förderung psych. Gesundheit & Prävention psych. Krankheit • • • Prävention von Störungen des Sozialverhaltens durch Programme für soziales und emotionales Lernen Interventionen auf Schulebene zur Reduktion von Mobbing/Plagen Betriebliche Gesundheitsförderung ≈ selektive Primärprävention Soziale Ursachen & Folgen psych. Krankheiten • Schuldenberatung • Unterstützung zur Vermittlung sozialer Kontakte für ältere Erwachsene ≈ Primordialprävention Ökon. Nutzen=Return on Investment (ROI): Amortisation der Ausgaben für Intervention durch verringerte Folgekosten der Krankheit; Lesebesipiel: 9.68=pro ausgegebenes £ für Frühinterventionen bei Psychosen werden 9.68 £ im Gesundheitswesen eingespart *) Knapp, M. et al. (2011). Mental Health Promotion and Prevention: The Economic Case. London: Dep. of Health / London School of Economics Zürcher Fachhochschule 25 Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit Einleitung Epidemiologie Ökonomischer Nutzen von Interventionen der Gesundheitsförderung und Prävention im Bereich psychische Gesundheit* Prävention ROI (Median) Min. Max. Medikalisierung Früherkennung, Frühintervention (N=10) 9.08 0.33 54.45 Fazit Förderung psych. Gesundheit, Prävention psych. Krankheit (N=5) 9.69 0.44 83.73 Soziale Ursachen & Folgen psych. Krankheiten (N=2) 2.00 0.44 3.55 ROI: Return On Investment=ökonomischer Nutzen pro £ *) Nach: Knapp, M. et al. (2011). Mental Health Promotion and Prevention: The Economic Case. London: Dep. of Health / London School of Economics Zürcher Fachhochschule 26 Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit Einleitung Epidemiologie • Arbeitsplatz-Interventionen mit Fokus auf psych. GesundheitKrankheit Prävention Medikalisierung Fazit Aus: Executive Agency for Health and Consumers (EAHC) (2012). Economic analysis of workplace mental health promotion and mental disorder prevention programmes and of their potential contribution to EU health, social and economic policy objectives. Final report. Bruxelles: European Comission Zürcher Fachhochschule 27 Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit Mitarbeitende mit psych. Gefährdete MitarbeitendeGesundheitsproblemen Einleitung Epidemiologie Umgang mit neg. Gedanken/Gefühlen/ Körperempfindungen OnlinePsychotherapie Psychotherapie (Kogn. Verhaltenstherapie) Übungen • Arbeitsplatz-Interventionen mit Fokus auf psych. GesundheitKrankheit Prävention Medikalisierung Fazit Benefit=eingespartes Geld aufgrund Intervention Aus: Executive Agency for Health and Consumers (EAHC) (2012). Economic analysis of workplace mental health promotion and mental disorder prevention programmes and of their potential contribution to EU health, social and economic policy objectives. Final report. Bruxelles: European Comission Zürcher Fachhochschule 28 Best Practice Einleitung • Noch nicht sehr breite Wissensbasis Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • Einige Grundsätze (nach: Barry, 2007) – solide theoretische Verankerung der Programme – fokussierter und zielorientierte Ansatz der Programmentwicklung – partizipativer Einbezug zentraler Akteure bei der Programmkonzeption und -umsetzung – Adressierung einer breiten Palette von protektiven und Risiko-Faktoren – ganzheitliche Ansätze mit wiederholten Interventionen zu mehreren Zeitpunkten (anstatt einmalige Intervention) Barry, M. (2007). Generic Principles of Effective Mental Health Promotion, International Journal of Mental Health Promotion, 9(2), 4-16 Zürcher Fachhochschule 29 Titel: Theorie Werkzeuge Zur «Medikalisierung» seelischen Leidens… … und der Zusammenhang mit der Prävention Zürcher Fachhochschule 30 Phänomene • Beispiel IV-Renten aufgrund psychischer Probleme (Schweiz) 275'000 Epidemiologie 250'000 Prävention 225'000 Medikalisierung Krankheit (Anzahl Fälle) 200'000 45% - davon Psychische Leiden (Anzahl Fälle) Total (Anzahl Fälle) Anzahl RentenbezügerInnen Fazit 50% Psychische Leiden (in %) 40% 35% 175'000 30% 150'000 25% 125'000 20% 100'000 15% 75'000 10% 50'000 Anteil RentenbezügerInnen aufgrund psychischer Krankheiten an allen Krankheiten Einleitung 5% 25'000 0 0% 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Zürcher Fachhochschule 31 Phänomene Einleitung • Beispiel psychisch bedingte Absenzen in Betrieben (Deutschland) Epidemiologie Prävention Aus: BPtK (2012). BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit: Psychische Erkrankungen und Burnout (S.16). Berlin: Bundespsychotherapeuten-Kammer BPtK. Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 32 Phänomene Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • Beispiel ADHS Kühne, R. & Rapold, R. (2011). Der Bezug von Methylphenidat in der Schweiz. Nicht alarmierend – Fragen stellen sich dennoch. Schweizerische Ärztezeitung, 92(34), 1295-1299 Regionale Unterschiede Zürcher Fachhochschule 33 Erklärung? Einleitung Epidemiologie Prävention • Zunahme von Störungen oder vermehrte Inanspruchnahme? – Hypothese A: Zuname psychosozialer Belastungen führt zu vermehrter psychischer Belastung/Krankheit * Z.B.: Flexibilisierung und Beschleunigung der Arbeitswelt, Individualisierung etc. Medikalisierung Fazit – Hypothese B: Personen mit psychischen Beeinträchtigungen werden häufiger als «krank» erkannt bzw. etikettiert * Professionalisierung des Versorgungssystems: Psychische Belastung in der Bevölkerung hat nicht zugenommen, aber psychisch belastete Personen nehmen häufiger professionelle Hilfe in Anspruch * «Medikalisierung»: Was früher als Lebensproblem bewertet wurde, wird heute zu eine medizinisch definierten Pathologie konstruiert Zürcher Fachhochschule 34 Zum Begriff «Medikalisierung» Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 35 Zum Begriff «Medikalisierung» Einleitung Epidemiologie Prävention • Der Prozess, in dessen Verlauf bisher allgemeine (nicht-medizinische) Probleme neu als medizinische Probleme definiert und behandelt werden (nach Conrad, 2013) Medikalisierung Fazit • Eine andere Definition: «Von Medikalisierung spricht man, wenn etwa Stress am Arbeitsplatz oder Überforderung durch Kinderbetreuung zu Symptomen führen, die medizinisch behandelt werden; wenn also, statt die gesellschaftlichen Ursachen anzugehen, die Problemlösung in die Verantwortung von Ärztinnen und Ärzten ausgelagert wird» (bulletin SAMW, 4, 2012) Zürcher Fachhochschule 36 Zentrale Merkmale Einleitung Epidemiologie • Die Definitionsmacht liegt häufig aber nicht immer und zwingend bei Ärzten/innen oder Gesundheitsfachpersonen Prävention Medikalisierung Fazit • Medikalisierung sollte als Kontinuum betrachtet werden. D.h. es gibt Phänomene, die in unterschiedlichem Ausmass medikalisiert sind. • Medikalisierte Phänomene besitzen eine Elastizität, indem sie sich sowohl ausdehnen als auch verringern können • Auch De-Medikalisierung kommt vor (z.B. Homosexualität) Zürcher Fachhochschule 37 Beispiel DSM-IV DSM-V Einleitung • Ausweitung der diagnostischen Kriterien Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • Depression – bisher: Ausschluss von Trauerreaktion auf Todesfall – neu/ergänzend: länger als 2 Monate anhaltende Trauer nach Tod einer nahestehenden Person wird als Kriterium für Depression eingeschlossen • ADHS – bisher: relevante ADHS-Symptome müssen erstmalig vor dem 7. Lebensjahr aufgetreten sein – neu: Symptome können ertsmalig bis zum 12. Lebensjahr auftreten, um ADHS-Diagnose zu etablieren Zürcher Fachhochschule 38 Beispiel DSM-IV DSM-V Einleitung Epidemiologie • Neue Diagnose «Stimmungsregulationsstörung» (Disruptive Mood Dysregulation Disorder) Prävention – Diagnose für Kinder bis 18 Jahren Medikalisierung – wiederholte Irritabilität und wiederkehrende Episoden des Verlustes der Verhaltenskontrolle (z.B. wiederkehrende Wutausbrüche) Fazit Zürcher Fachhochschule 39 Beispiel DSM-IV DSM-V Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • Stellungnahme der DGPPN* zur DSM-V – «(…) Damit besteht die Gefahr der Pathologisierung von alltäglichen Leidenszuständen sowie von natürlichen Anpassungs- und Alterungsprozessen – Die generelle Zuordnung von temporären Leidenszuständen zu Krankheiten unterminiert die Fähigkeit zur Selbstregulation und zur physiologischen Anpassung – die Ausweitung der Grenzen von bereits bestehenden psychischen Störungen kann auch zu einer Vernachlässigung der medizinischen Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Krankheiten führen.» (DGPPN, 2013) DGPPN (2013). Wann wird seelisches Leiden zur Krankheit? Zur Diskussion um das angekündigte Diagnosesystem DSM-V. Stelungnahme vom 15.04.2013 (http://www.dgppn.de/publikationen/stellungnahmen.html ) *) Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,Psychosomatik und Nervenheilkunde Zürcher Fachhochschule 40 Mechanismen Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Aus: DAK-Versorgungsmanagement. (2005). DAK-Gesundheitsreport 2005 (S. 69). Hamburg: DAK. Zürcher Fachhochschule 41 Konsequenzen Einleitung • Medikalisierung und Gesundheitsförderung/Prävention Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Grenze der Behandlungsbedürftigkeit ? Gesundheit Zürcher Fachhochschule Krankheit 42 Konsequenzen Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Grenze der Behandlungsbedürftigkeit ? Gesundheit Zürcher Fachhochschule Krankheit 43 Konsequenzen Einleitung Epidemiologie • Je schmaler die Variationsbreite von Zuständen/Verhaltensweisen des Individuums, die noch als gesund bewertet werden, Prävention • desto mehr Menschen benötigen Behandlung, und Medikalisierung • desto mehr Massnahmen sind erforderlich, um diese Gesundheit zu erhalten Fazit Je höher die Ansprüche an Gesundheit, desto grösser der Interventionsbedarf für Prävention & Kuration Zürcher Fachhochschule 44 Risiken Einleitung • Individualisierung Epidemiologie – Gesundheit/Krankheit als primär individuelles Problem Prävention – Fokus auf Verhalten anstelle der Verhältnisse Medikalisierung – Z.B. Ausblendung sozialer Ungleichheit in Bezug auf Gesundheitschancen Fazit • Normative Funktion – Gesund sein und auf Gesundheit achten wird zur Bürgerpflicht – Umkehrschluss: wer krank ist, hat zu wenig auf seine Gesundheit geachtet Zürcher Fachhochschule 45 Risiken Einleitung Epidemiologie Prävention • Verdrängung von Krankheit, Beeinträchtigung und Abhängigkeit – Folge: zunehmende Marginalisierung kranker, aber auch nur schon gesundheitlich beeinträchtigter Menschen Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 46 Titel: Theorie Werkzeuge Schlussfolgerungen Zürcher Fachhochschule 47 Häufigkeit psych. Erkrankungen Einleitung Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit • Wahrscheinlich keine Zunahme der Häufigkeit (Prävalenz) psychischer Störungen in der Allgemeinbevölkerung im Zeitraum der letzten 10-20 Jahre – Wissenschaftliche Befundlage aber eingeschränkt (kurze Zeitreihen, wenige Messzeitpunkte, relativ geringe Zahl von Studien) • Aber wachsende Zahl von Menschen, die vorübergehend oder permanent aufgrund psychischer Einschränkungen aus der Erwerbsarbeit ausscheiden – Bedingt durch (veränderte) Arbeitsbedingungen, geringere Belastbarkeit der Arbeitnehmenden, wachsende Prominenz medizinisch-psychologischer Erklärungsmodelle eingeschränkter Leistungsfähigkeit? Zürcher Fachhochschule 48 Gesundheitsförderung & Prävention Einleitung Epidemiologie • Wachsende Zahl von Angeboten der Förderung psychischer Gesundheit und/oder Prävention psychischer Krankheiten Prävention Medikalisierung Fazit • Die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit einiger Angebote ist wissenschaftlich belegt… • …aber noch eher wenig systematisches Wissen zur Wirksamkeit verschiedener Ansätze der Gesundheitsförderung und Prävention im Vergleich • Wissenslücken – Rezeption der Angebote durch die Zielgruppen, Barrieren der Nutzung Zürcher Fachhochschule 49 Grenzen der Prävention Einleitung Epidemiologie • Tendenzen zur einer fortschreitenden Medikalisierung (und Psychologisierung) von Lebensproblemen und… Prävention Medikalisierung Fazit • … als Pendant dazu Tendenz zur permanenten Optimierung des Gesundheitsbegriffes ( «Healthism») • Je enger und normativer der Begriff «gesund», – desto gefährdeter ist Gesundheit, – desto mehr Interventionen zur Bewahrung der Gesundheit und zur Absicherung vor Krankheiten/Störungen sind erforderlich Zürcher Fachhochschule 50 Grenzen der Prävention Einleitung • Wo liegt die Grenze? Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 51 Psych. Störungen im Zeitverlauf Einleitung • Zunahme psych. Störungen? (wiss. Studien) Epidemiologie Prävention *) Richter et al, 2008: 44 Studien, ergänzt um 7 weitere Studien aus eigenen Recherchen Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 52 Psych. Störungen im Zeitverlauf Einleitung • Depression in der Schweiz, 1997-2007 Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 53 Inanspruchnahme im Zeitverlauf Einleitung • Anteil Personen in Behandlung mit Depression, 1997-2007 Epidemiologie Prävention Medikalisierung Fazit Zürcher Fachhochschule 54