Ein Virus, das im Versteck auf seine Chance lauert

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Ein Virus, das im Versteck auf seine Chance lauert
Das humane Cytomegalievirus (HCMV) steht im Schatten bekannter Viren wie dem AidsErreger, den Mitarbeiter von Thomas Mertens am Ulmer Institut für Virologie beforschen.
Thomas Mertens, Ärztlicher Direktor der Virologie, beschäftigt sich seit langem klinisch und
wissenschaftlich mit dem komplexen viralen Riesen. Das Virus stellt die Forscher vor enorme
Herausforderungen und geizt mit schnellen Erfolgen.
Ein Riese unter den Viren - der Steckbrief des HCMV liest sich beeindruckend:
Das zur Familie der Herpes-Viren gehörende humane Cytomegalievirus zählt zu den größten
Viren beim Menschen und ist überall auf der Welt verbreitet. Sein Erbgut codiert mehr als 200
Gene. Verglichen damit ist zum Beispiel das Hepatitis-B-Virus ein Zwerg - enthält dieses nur
mehrere 1.000 Nukleotide , weist das HCMV 200 Mal so viele Basenpaare auf. Das Virus, das
über Körperflüssigkeiten übertragen wird, vermehrt sich kaskadenartig.
Vermehrung in Etappen
Das liegt nach Mertens’ Worten daran, dass so viele Gene codiert und nicht alle Gene
gleichzeitig exprimiert werden.
Das Genom wird sequentiell in bestimmten Gruppen exprimiert: zuerst solche mit
regulatorischer Funktion (sogenannte "immediate early" Gene), dann solche mit enzymatischer
Funktion (wie Replikationsenzyme für die virale DNA) sowie die späten Gene, die
strukturbildende Funktion haben und für die Bildung des viralen Partikels verantwortlich sind.
Das Virus vermehrt sich relativ langsam, was nach Ansicht des Ulmer Virologen mit seinem
Alter zu tun hat. Denn HCMV ist offensichtlich ein altes Virus, das mit dem Menschen eine CoEvolution durchlaufen hat. Das führt dazu, dass es Immungesunde selten krank macht, weil es
sich sehr stark an seinen Wirt angepasst hat.
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Prof. Dr. Thomas Mertens, Experte für CMV und Influenza-Viren. © UK Ulm
Dieses Schema der verschiedenen Infektionszustände des humanen Cytomegalievirus veranschaulicht die
Komplexizität und die Vielfalt seiner Interaktionen mit den befallenen Zellen und die verschiedenen diagnostischen
und therapeutischen Möglichkeiten. © Mertens
Komplex und fintenreich
Aus der Größe seines Genoms ergibt sich für die Forscher die Schwierigkeit, dass es sehr viele
Interaktionen zwischen der Zelle und dem Virus gibt. Hinzu kommt, dass sich das HCMV
zurückzieht, wenn es den Menschen befallen hat. Die Fachleute sprechen von latenter
Infektion. Viele Menschen, erklärt Thomas Mertens, tragen es in sich, sind aber gesund, wenn
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ihr Immunsystem intakt ist. Im Ulmer Raum - gibt der Virologe ein Beispiel - trägt es jeder
Zweite in sich, in anderen Weltgegenden mit geringerem hygienischen Standard, beinahe
jeder.
Inzwischen weiß man, dass sich das Virus in bestimmte Zellen zurückzieht, in Monozyten,
wahrscheinlich auch in Endothelzellen. Aber noch, schränkt Mertens ein, sind nicht alle Virus
-„Verstecke“ bekannt. In dieser latenten Phase kann das Virus aber reaktiviert werden und
zwar mit mehreren Mechanismen.
Gefahr für Immunschwache und Ungeborene
HCMV ist nach Mertens’ Worten der häufigste Erreger, der zu intrauterin erworbenen
kindlichen Schäden durch Infektionen führt. Das Virus entfaltet nicht nur bei
Schwangerschaften, sondern auch in der Hochleistungsmedizin seine pathogene, teilweise
lebensgefährliche Wirkung. Es trifft Transplantierte und Krebspatienten, deren Immunsystem
geschwächt ist, verursacht Lungenentzündungen oder gastrointestinale Ulzerationen. Jeder
dritte Knochenmarktransplantierte bekommt nach Mertens' Worten Probleme mit dem Virus.
Bei Transplantationspatienten ist das humane CMV der bedeutendste Erreger unter Pilzen und
Bakterien.
Wann und wie kommt das Virus aus seinem Versteck?
Warum das Virus durch die Schwangerschaft bei Frauen häufiger reaktiviert wird, ist bislang
ungeklärt. Mertens vermutet dahinter molekulare „Trigger“-Mechanismen. Klar scheint, dass
im Moment seiner Reaktivierung das Immunsystem des Betroffenen eine große Rolle spielt,
weil die Kontrolle der aktiven Virusinfektion wesentlich durch die CD8-positiven (zytotoxischen)
T-Zellen geschieht. Klar ist auch, dass im Zustand der Latenz nur ganz wenige Gene des Virus
exprimiert werden. Unklar aber sind immer noch die Latenz- und Umschaltgene.
Wenn das Virus aus seiner Latenz heraus wieder aktiviert wird, beginnt es sich langsam und kaskadenartig zu
vermehren, was auch an der Vielzahl seiner damit eingebundenen Gene liegt. © Mertens
Rascher Befall, langsame Vermehrung
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Die DNA-Replikation des Virus findet im Zellkern der infizierten Zelle statt. Sie vollzieht sich
nach der Methodik des „rolling circle“: die virale DNA wird ringförmig geschlossen, dann wird
die DNA in Einheitslängen geschnitten. Diese werden in vorbereitete Kapside verpackt und über
die innere und äußere Zellmembran durch Mechanismen der Um- und Enthüllung mithilfe der
Golgi-Membran aus der Zelle geschleust. Während das Virus die Zelle schnell befällt, verläuft
seine Vermehrung langsam, erklärt Mertens. Ein Poliovirus vermehrt sich in Zellkultur in sechs
Stunden, das HCMV braucht 72 Stunden.
Ausweichmanöver umgehen Abwehr
Diese Langsamkeit bereitet Forschern wie Mertens Probleme. Denn die Replikation ist
komplex, interagiert an vielen Stellen mit der zellulären Genexpression. Das Virus hat daraus
Ausweichmanöver entwickelt, um dem Immunsystem zu entkommen: Es muss verhindern,
dass die Zelle frühzeitig apoptotisch zugrunde geht, bevor neue funktionstüchtige Viren
gebildet werden.
Die Aufnahmen veranschaulichen, wie befallene Zellen durch virale Wirkung aus dem zellulären Verband
herausgelöst werden. © Mertens
Einige dieser Ausweichmanöver sind verstanden. So reguliert das Virus MAC-Moleküle herunter,
die dem Immunsystem an der Zelloberfläche Virusteile präsentieren. Darüber hinaus aktiviert
das Virus Gene, die den zellulären Selbstmord verhindern. Das HCMV beeinträchtigt weiterhin
die Bildung von extrazellulärer Matrix - die infizierte Zelle wird „entblößt“, kann leichter aus
dem Gewebe ausscheiden. Das Virus reguliert weiterhin Rezeptoren (VEGF) der Zelle sowohl
herauf- als auch herunter.
Zusammenhang mit anderen Krankheiten?
Der Ulmer Virologe, der auch Influenza-Experte und Mitglied der Ständigen
Impfstoffkommission am Robert-Koch-Institut ist, hat sich innerhalb des sehr breiten
Forschungsspektrums auf drei Fragen konzentriert.
Er geht der Frage nach, ob eine so komplexe Interaktion zwischen Virus und Wirtszelle nicht
auch für andere Krankheiten, die einem nicht unmittelbar in den Sinn kommen, eine
Bedeutung hat. Seine Arbeitsgruppe fand tatsächlich belastbare Hinweise für Arteriosklerose.
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Im Nierenarterienorganmodell ist der Nachweis des HCMV gelungen. Auf der elektronenmikroskopischen Aufnahme
ist der stachelige runde Erreger deutlich zu erkennen. © Mertens
Versuche in Tiermodellen belegten, dass Herpesviren Arteriosklerose befördern. Beim
Menschen, so Mertens, sei es gut vorstellbar, dass befallene Zellen oder Gewebe in einen
„proarteriogenen“ Zustand versetzt werden. Der Nachweis beim Menschen ist aber schwer, weil
es für HCMV kein Tiermodell gibt.
Virus nutzt Escort-Systeme der Zelle
Grundsätzliche wie anwendungsnahe Bedeutung hat Mertens’ zweiter
Forschungsschwerpunkt, der sich mit der Morphogenese des HCMV beschäftigt. Welche viralen
Proteine und wann benötigt es diese, damit es sich in der Wirtszelle „normal“ vermehren
kann? Damit wäre geklärt, wie die Replikation funktioniert und welcher zellulären
Mechanismen sich der Virus bedient. Im Fokus stehen vor allem Transportmoleküle der Zelle
oder sogenannte Escort-Systeme, die das Virus oder Teile von ihm nutzt. Mertens zufolge gibt
es Hinweise, dass Viren wie HIV, Herpes und HCMV diese Mechanismen in der Zelle mitnutzen,
um die eigene Replikation zu vervollständigen.
Der morphogenetische Ansatz interessiert Mertens aber auch, weil sich daraus neue
therapeutische Angriffspunkte ableiten lassen. Denn die Hemmung der Virusreplikation
konzentriert sich auf diese Schritte in der Zelle. Dazu, so Mertens, muss der Replikationszyklus
in kleine Teilprozesse zerlegt werden. Erst dann wisse man genau, wo man eingreifen muss.
Medikamente mit Mängeln
Die derzeit marktgängigen Virustatika setzen hier an – sie hemmen die Vervielfältigung des
viralen Erbguts, zielen auf die Polymerase des Virus, entweder durch Nukleosidanaloga (falsche
Genombausteine) oder Pyrophosphat-Analoga. Allerdings haben diese Medikamente für den
Patienten zum Teil erhebliche Nebenwirkungen, sind nur bedingt verträglich.
Nicht nur das: Der Ulmer Virologe hat gezeigt, dass HCMV gegen diese Substanzen Resistenzen
entwickelt. Die dem Selektionsdruck unterworfenen viralen Gene verändern sich spontan und
werden gegen diese Substanzen unempfindlich. Deshalb ist es nach Mertens' Überzeugung
wichtig, das Repertoire möglicher Therapeutika zu erweitern und neue Substanzen zu
entwickeln, die sich gegen unterschiedliche Zielmoleküle richten und nicht automatisch zur
Kreuzresistenz führen.
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UL 97 – ein neuer Angriffspunkt?
Bei der Analyse und Aufklärung dieser Resistenzmechanismen und deren Mutationen stieß
Mertens’ Arbeitsgruppe auf einen möglichen neuen Angriffspunkt, ein virales Enzym mit der
Bezeichnung UL 97. Diese Kinase ist seit 20 Jahren bekannt und überträgt Phosphor auf ein
Protein. Mertens und Mitarbeiter entdeckten, dass diese Kinase „sozusagen zufällig“
bestimmte Nukleosidanaloga, die in der Therapie eingesetzt werden, phosphoryliert.
Diese Übertragung erst macht ein Nukleosidanalogon virusselektiv: Wird das Nukleosidanalog
in die befallene Zelle gegeben, stellt nur diese Zelle das virale Enzym zur Verfügung, das dann
den falschen Genombaustein zum Monophosphat phosporyliert. Die Aufphosphorylierung zum
Triphosphat ist wiederum nötig, damit dieses Molekül von der Polymerase in die zu
synthetisierende virale DNA eingebaut werden kann.
Datenbank für internationale Forschungsgemeinde
Ist die Funktion dieses Enzyms verstanden, erhofft sich Mertens Aufschluss darüber, wo es
verändert werden muss, um seine Funktion zu beeinträchtigen. Momentan baut seine
Arbeitsgruppe mit Hans Armin Kestler vom Ulmer Institut für Neuroinformatik eine Datenbank
auf. Damit sollen alle Mutationen dieses Proteins möglichst weltweit verfügbar sein, so dass
alle, die eine Mutation bei ihrem Virus finden, Rückschlüsse auf die Empfindlichkeit des Virus
gegenüber der antiviralen Substanz ziehen können.
Stellt sich heraus, dass UL 97 für die virale Replikation notwendig ist, wäre ein neues Ziel für
therapeutische Eingriffe gefunden, unabhängig von dessen Eigenschaft der
Phosphorübertragung. Obendrein hätte dieses Target den Vorteil, dass es auf einem anderen
Mechanismus beruht und nicht auf die Polymerase zielt. Davor steht aber noch jede Menge
Grundlagenforschung. Es müssten Hemmer von Proteinkinasen auf ihre antivirale Wirksamkeit
getestet werden, die gleichzeitig die Proteinkinasen der Wirtszelle unbehelligt lassen.
Kein Impfstoff, keine klinischen Kandidaten
Theoretisch könnten alle replikationsrelevanten viralen Gene ein mögliches Target abgeben.
Doch das erfordert ein aufwendiges Molekül-Screening im Hochdurchsatz. Einige
Pharmaunternehmen führen dies durch, einige Substanzen sind nach Informationen von
Mertens in der Pipeline, wurden in einigen klinischen Phasen bereits am Menschen erprobt,
gestalten sich aber wegen der Komplexität des Virus mühselig. Auch Versuche, einen Impfstoff
gegen HCMV zu entwickeln, scheiterten bislang. Derzeit gebe es keine Vakzine in
fortgeschrittener klinischer Testung.
Differenzierungszustand der Zelle im Verdacht
Immer noch ungeklärt sind die molekularen Schalter, die das Virus abtauchen (Latenz) und
reaktivieren, sprich wieder vermehren lässt. Im Verdacht haben Forscher den
Differenzierungszustand bestimmter Zellen. So können Monozyten das Virus zwar aufnehmen,
hindern es aber an seiner Vermehrung. Weiterdifferenzierte Makrophagen hingegen sind in der
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Lage, den Replikationszyklus zu unterstützen. Aus solchen Laborbefunden schließt Mertens,
dass es nicht nur eine Eigenschaft des Virus, sondern zusätzlich eines
Differenzierungszustandes der Zelle mit vielen möglichen Folgen (Zytokinausschüttung oder
Alloreaktionen) bedarf, um ein Milieu zu schaffen, in dem dann mehrere molekulare Schalter
umgelegt werden. Diese Checkpoints in der Zelle zu identifizieren, erfordert verstärkt die
interdisziplinäre Zusammenarbeit von Zellbiologen mit Virologen.
Weiterführende Literatur:
Chevillotte M, Schubert A, Mertens T, von Einem J.: A fluorescence-based assay for phenotypic
characterisation of human cytomegalovirus polymerase mutations regarding drug
susceptibility and viral replicative fitness, in: Antimicrob Agents Chemother. 2009 Jun 22.
Schreiber A, Härter G, Schubert A, Bunjes D, Mertens T, Michel D.: Antiviral treatment of
cytomegalovirus infection and resistant strains, in: Expert Opin Pharmacother. 2009
Feb;10(2):191-209.
Chevillotte M, Landwehr S, Linta L, Frascaroli G, Lüske A, Buser C, Mertens T, von Einem J.:
Major tegument protein pp65 of human cytomegalovirus is required for the incorporation of
pUL69 and pUL97 into the virus particle and for viral growth in macrophages, in: J Virol. 2009
Mar; 83(6):2480-90.
Fachbeitrag
02.07.2009
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Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
DNA- und RNA-Replikation
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