Motoren mit Ionenantrieb

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Motoren mit Ionenantrieb
Wenn Begriffe wie Nano- und Mikrosystemtechnik fallen, geraten manche
Wissenschaftslaien und Investoren ganz aus dem Häuschen. Entsprechend
wirr sind viele Vorstellungen, die sich um diese Technologien der Zukunft ranken. Ganz konkrete und winzigste Maschinen, die auf natürlichen Vorbildern
basieren, wollen drei Fraunhofer-Institute gemeinsam entwickeln und bauen.
Jules Verne
hätte der Film »Die
Phantastische Reise« sicher auch begeistert:
Ein U-Boot samt Chirurgenteam wird miniaturisiert und in die Blutbahn eines wichtigen Geheimnisträgers injiziert. Der Auftrag:
ein Blutgerinnsel im Hirn von innen mit einem Laser auflösen. Nach einer spektakulären Fahrt durch schimmernde Plastikschläuche, Ozeane wabernder Blutkörperchen
und immer vorbei an geifernden Fresszellen
wird die Mission erfolgreich vollendet. Gerade noch rechtzeitig vor der automatischen Rückkehr in die makroskopische Welt
werden Gefährt und Mannschaft über einen Strudel aus Tränenflüssigkeit wieder
ausgeschieden.
Wissenschaftlich betrachtet ist dies Folklore.
Weniger wegen der im Jahr 1966 noch seltenen und daher spektakulären Innenkulissen des menschlichen Körpers als vielmehr
wegen der Grenzen, an die eine derartige
Verkleinerung zwangsläufig stoßen muss.
Dies gilt auch für Aussehen und Funktionsweise von Nanomaschinen neueren Datums. So stürzen sich Myriaden mit Giftbomben beladener Nanoröhrchen kamikazeartig in verkrebste Zellhaufen. Andere
schaben und bohren geduldig ungesunde
Cholesterinablagerungen von Gefäßwänden.
Dimensionsänderungen physikalischer Größen verhalten sich in der Regel nicht proportional zueinander. Dies ist beispielsweise
der Grund, warum viele Mikroorganismen
mit Geißeln oder Wimpern ausgestattet
sind. In ihrer mikroskopischen Welt ist Wasser zäher als Honig in unserer makroskopischen (räumliche Dimension versus Viskosität). Also schrauben oder bohren sie sich
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eher durch ihre nasse Umgebung als dass
sie schwömmen. Mit einer Miniaturschiffsschraube kämen sie so wenig vom Fleck wie
der Teigknethaken einer Küchenmaschine.
Dennoch eröffnen Maschinen für die
Mikro- oder gar Nanowelt unabsehbare
Potenziale für zukünftige Anwendungen.
Die Einsatzfelder von Mikro- und Nanoaktuatoren liegen in der Medizintechnik (für
neue Prothesen oder Labor auf dem Chip),
in der zellulären und molekularen Biotechnologie (zur Manipulation einzelner Zellen)
sowie in der Pharmakologie. Drug Delivery
bedeutet, dass sich mikroskopisch kleine
Behälter auf Kommando öffnen und schließen und so räumlich und zeitlich gezielt
Medikamente freisetzen.
Wenn solche Maschinen gebaut werden
sollen, lohnen sich Blicke in die Natur. In
Pflanzen und Tieren sind viele der technischen Hindernisse durch Millionen von Jahren der Auslese und Optimierung längst
überwunden. Auf neudeutsch: Ein vergrößernder bottom-up-Ansatz (Biomimese
oder Bionik) ist bei diesen Dimensionsände-
rungen meist Erfolg versprechender als topdown-Schrumpfung eines realen U-Boots
oder Roboters.
Beispiele für natürliche Bewegungsvorgänge gibt es zuhauf: Tiere laufen, schwimmen
und fliegen mit Muskeln und manche Pflanzen richten ihre Blätter nach dem Sonnenstand aus. Nur Steine folgen polternd der
Schwerkraft. Längst beschäftigen sich Forschungsgruppen weltweit damit, die Kräfte
der belebten Natur auch auf molekularer
Ebene zu verstehen und in technische Anwendungen zu übersetzen.
Unsichtbare Motoren im Menschen
synthetisieren Treibstoff
Der wohl kleinste bisher bekannte Rotationsmotor heißt ATP-Synthase. Dieses Enzym, das in der Membran der Mitochondrien genannten Kraftwerke aller höheren
Zellen sitzt, baut den universellen Treibstoff
Adenosintriphosphat ATP auf. Legte man
2 000 seiner Moleküle hintereinander, so
ergäbe sich der Durchmesser eines menschlichen Haars. Die chemische Fabrik ist sehr
Forisom
Ca2+
Ca2+
Ein zukünftiger Linearmotor bewegt sich im Konzentrationsgradienten von Calciumionen. © Fraunhofer IBMT
Lang gestreckt liegt
ein expandiertes Forisom im pflanzlichen
Kanal (rechts). Manche Varianten zeigen
dornartige Fortsätze –
Anker für weitere
»Maschinenteile«?
© Fraunhofer IME
leistungsfähig: Pro Tag liefert sie jedem
Menschen rund 50 Kilogramm immer wieder erneuertes ATP – bei hoher körperlicher
Anstrengung bis zu einer Tonne. Dabei
dreht sich ein Teil des Enzymkomplexes. Bei
jeder Drittelumdrehung nimmt er ein Adenosindiphosphat in eine Tasche auf. In der
nächsten Station wird es mit Phosphat zur
Tri-Variante verknüpft und schließlich entlassen. Die Rotation bewirkt eine veränderliche Gestalt und damit Bindungsstärke der
Taschen zu ADP und ATP.
Angetrieben wird dieser Motor von einer
Batterie. Ein Konzentrationsgefälle von
Wasserstoffionen, das ein anderes Enzymsystem liefert, bewirkt einen Strom durch
Membran und Enzym. Kürzlich statteten
Forscher das Enzym mit kleinen Metallpropellern aus, um es unter dem Mikroskop
besser beobachten zu können. Nach Zugabe von ATP sahen sie, dass die Propeller
rund achtmal pro Sekunde rotieren – und
das ohne Unterbrechung über zwei Stunden.
Für technische Imitationen ist ein System,
das nur in einer empfindlichen Membran
funktioniert, weniger gut geeignet. Ebenso
schwer zu beherrschen sind Substanzen,
die für Rotations- oder Translationsbewegungen den komplexen biochemischen
Treibstoff ATP benötigen. »Wir haben ein
Protein vor Augen, das sich mit Säuren und
Basen, elektrischen Feldern oder einfachen
Metallsalzen antreiben lässt. Es muss nicht
einmal in eine Membran eingebettet sein«,
betont Dr. Dirk Prüfer vom Fraunhofer-Insti-
»delivery«System
tut für Molekularbiologie und Angewandte
Oekologie IME. »Wir befassen uns mit
Pflanzenproteinen, die Botaniker bereits seit
rund 100 Jahren kennen. Ihre Funktion war
bislang jedoch unklar. Sie sind besonders
kräftig und können sich wie ein Muskel
immer wieder strecken und kontrahieren –
ohne nennenswert zu erlahmen.«
In vielen Leguminosen wie Bohnen regulieren sie den Fluss von Nährlösungen in einem weit verzweigten Kanalsystem. Wird
die Pflanze verletzt, so ändern die Motorproteine dort ihre Form und verschließen
als Pfropfen die offenen Kanälchen – ähnlich wie der Wundverschluss beim Menschen. Nach dieser Funktion wurden die Forisomen benannt: Prüfer und seine Kollegen
Dr. Winfried Peters und Dr. Michael Knoblauch von der Universität Gießen wählten
das lateinische Wort für »Türflügel«.
Nach umfangreichen Laborversuchen gelang es den Wissenschaftlern schließlich, intakte Forisomen aus einer Bohnenart zu isolieren. Keine leichte Laborarbeit, bedenkt
man, dass der Durchmesser eines Forisoms
in etwa einem Fünfzigstel des Durchmessers
eines menschlichen Haares entspricht. »Anschließend untersuchten wir systematisch
die Einflüsse, die zu einer Formänderung
der Forisomen führen«, erinnert sich Knoblauch, der mittlerweile vom Institut für Botanik in Prüfers Arbeitsgruppe nach Aachen
wechselte. »Ideal ist, dass die Formänderungen nicht nur in der Pflanze, sondern
selbst im Reagenzglas nahezu beliebig oft
Tumorzelle
»delivery«System
Gesunde Zelle
Lokale Injektion
zweiwertiger
Ionen
Forisom
(expandiert)
»drug« (z.B. Krebstherapeutika)
Grenzfläche
Grenzfläche
P o r e
Forisom
(kontrahiert)
Nur bei erhöhter Salzkonzentration öffnet
sich die ForisomenPore der Mikrokapsel
und setzt ein Medikament frei.
© Fraunhofer IME
Life Science
und reversibel induziert werden können.
Erstaunlich erschien uns ihre Robustheit,
die von keinem anderen bekannten Motorprotein erreicht wird.« Auch dies ist eine
günstige Voraussetzung für zukünftige
Mikromaschinen.
Aus Fiktion wird Wissenschaft –
und endlich Produkt
Erstaunlich ist auch, dass sich die Forscher
offenbar im Neuland bewegten. Zwar zeigt
die Zahl der Patentanmeldungen, dass in
den Gebieten Mikro- und Nanotechnologie
geradezu Aufbruchstimmung herrscht; bei
Forisomen jedoch sind ihre Arbeiten, die
auch Strukturaufklärung und Mechanismen
der Formänderung betreffen, weltweit bisher einzigartig. Am IME wurde das große
Potenzial der Forisomen erkannt und die erforderliche Absicherung mit Patenten eingeleitet. Ende August publizierte die Zeitschrift Nature Materials die Ergebnisse zunächst im Internet und in der SeptemberAusgabe im Druck (Volume 2, Seite 600).
Ein mittelfristiges Ziel all dieser Übungen
wird sein, optimierte Varianten von Forisomen in gentechnisch veränderten Bakterien
herzustellen. Mikromuskeln in ausreichender Menge und Qualität sind die Voraussetzung, um an den Bau erster mikromechanischer Maschinen denken zu können. Dazu
muss das Projekt um weitere Disziplinen bereichert werden. Mechanische, werkstoffliche und medizintechnische Aspekte rücken
bereits jetzt zunehmend in den Fokus.
Um das nötige Know-how zu sammeln, beantragte der Fraunhofer-Verbund LifeScience, eine in Fraunhofer-Kreisen als Marktorientierte Strategische Vorlaufforschung
MAVO bezeichnete Vorform einer Allianz
zu gründen. Die finanzielle Ausstattung in
Höhe von 3,5 Millionen Euro wurde im vergangenen Januar bewilligt. Nun können die
derzeit neun Mitarbeiter aus dem IME und
den Fraunhofer-Instituten für Werkstoffmechanik IWM in Halle und für Biomedizinische Technik IBMT in Berlin zeigen, wie aus
Fiction noch mehr Science und aus Science
schließlich funktionierende Ionenmotoren
entstehen.
Johannes Ehrlenspiel
Fraunhofer Magazin 1.2004
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