1 Manuskript radioWissen Das Auge - Warum können wir sehen? AUTORIN: REDAKTION: Susanne Nessler Gerda Kuhn O-Ton 00: KINDER / Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist rund. - Auge ERZÄHLER: Vier Augen sehen mehr als zwei. Aber vier Augen sehen nie exakt das gleiche. ZITATORIN: „Mach die Augen auf , guck hin, es ist direkt vor deinen Augen“. ERZÄHLERIN: Wenn das mal so einfach wäre. Zwei Personen sehen eine Sache und sehen doch unterschiedliche Dinge. ZITATOR: „Das sehe ich so nicht" ZITATORIN: "Das sehe ich anders" ZITATOR: "Das kann ich nicht erkennen“. ERZÄHLER: Formulierungen, die beschreiben, dass mit "Sehen" nicht immer nur die Lichtreize gemeint sind, die durch die Pupille ins Auge fallen. O-Ton 1: Rueping Sehen ist auf keinen Fall für jeden dasselbe, Sehen ist ein ganz komplexer Prozess … ERZÄHLER: …sagt Johann Rueping, Augenarzt am Klinikum der Universität München. O-Ton 01: Rueping …. Im Gehirn wird die Sehbahn mehrere Male verschaltet, bis schließlich in bestimmten Zentren des Gehirns der Seheindruck verarbeitet wird. Und da spielen ganz viele andere Faktoren eine Rolle, Erinnerung, persönliche Eindrücke und so weiter. Also man kann schon sagen, das Sehen ein sehr komplexer Vorgang ist und nicht für jeden gleich. ERZÄHLERIN: Es grenzt fast an ein Wunder, wie das visuelle System aus dem riesigen Strom von Informationen, der permanent über die Augen eintrifft, ein stimmiges Abbild der Welt in unseren Köpfen erschafft. Im Zusammenspiel mit anderen Teilen des Denkorgans werden dabei die Sinnesempfindungen sortiert, gefiltert, bewertet und so geschickt mit Gedächtnisinhalten und Erfahrungen verknüpft, dass wir uns scheinbar mühelos in unserer extrem komplexen Umgebung zurechtfinden. 2 ZITATOR: Was ist das Schwerste von allen? Was dir das Leichteste dünket: Mit den Augen zu sehn, was vor den Augen dir liegt. ERZÄHLER: So heißt es beim Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe, der viel und gern über das Auge und das Sehen schrieb. Er war nicht der einzige; der Sehsinn hat Schriftsteller immer wieder fasziniert. In Worte zu fassen, was das Auge sieht, auch das ist eine Meisterleistung. ZITATORIN: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar. ERZÄHLERIN: Der Klassiker aus dem Kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry. Doch schauen wir uns das Auge einmal genauer an. Es wiegt 7 bis 8 Gramm; das ist gerade mal ein 5000stel unseres Körpergewichts. Es ist rund – das ist offensichtlich. Auch wenn man diese Form nur zum Teil sieht, denn sie liegt größtenteils geschützt in einem Muskel- und Gewebepolster in den knöchernen Augenhöhlen des Schädels. Dort im Inneren befindet sich auch der sogenannte Glaskörper, diese durchsichtige, gallertartige Masse, deren kugelige Gestalt übrigens durch den Innendruck des Auges zustande kommt. Dieser Druck hält das Auge gewissermaßen in Form. ERZÄHLER: Am vorderen Teil des Auges - der Teil, den wir sehen, wenn wir einem anderen Menschen in die Augen schauen - liegt in der Mitte die Linse, umgeben von Pupille, Iris und Hornhaut. Die Hornhaut ist die äußerste Schicht des Auges. Im hinteren Bereich – das heißt tief in der Augenhöhle – befindet sich die Netzhaut mit dem Sehnerv. Auf ihr sitzen wichtige Zellen, sogenannte Stäbchen und Zapfen. Sie sind für das Sehen bei schwachem Licht und für das Farbsehen verantwortlich. Sechs Millionen Zapfen für das Farbsehen und 110 Millionen Stäbchen für das Sehen in der Dämmerung, verteilt auf einer Fläche, die kaum größer als ein Zwei- Euro- Stück ist. Da bekommt man schnell ein Bild, wie winzig klein die Sehzellen sind, findet auch Eberhard Zrenner, Professor für Augenheilkunde in Tübingen. O-Ton 02: Zrenner Wenn man sich überlegt, was das Sehorgan alles kann, was zum Beispiel im Auge eines Tischtennisspieler passiert, wenn er den Ball von der einen Ecke in die andere zieht, dass da nur ein Pünktchen auf der Netzhaut läuft und dann auch noch der Arm reagiert, dass wir ein Gesichtsfeld haben, so groß, wie das keine Kamera schafft, und gleichzeitig in der Mitte noch Details auflösen können, dann ist das einfach eine Leistung, die unsere Netzhaut vollbringt, die bisher noch kein technisches Gerät in der Geschwindigkeit und in dem Umfang erbringen kann. ERZÄHLERIN: Alles, was wir sehen, wird durch unsere Augenlinsen fokussiert, und das funktioniert tatsächlich so ähnlich wie bei einer Kamera: Zunächst landet das Bild verkleinert, seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend auf der Netzhaut. Und zwar an einem ganz bestimmten Punkt: dem Punkt des schärfsten Sehens, auf der Fovea. Dieses auf dem Kopf stehende Bild wird dann vom Sehnerv weitertransportiert. Genauer gesagt, wird nicht das Bild selbst transportiert, sondern die elektrischen Impulse, die die Stäbchen und Zapfen abgeben. Sie werden im Gehirn verarbeitet und mit dem Eindruck des anderen Auges verglichen. Am Ende dieses Prozesses steht das Bild, das wir wahrnehmen. O-Ton 03 : KINDER / Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist - in deinem Kopf. - Gehirn. 3 ERZÄHLER: Wie groß die Bedeutung des Sehsinns ist, wird daran deutlich, dass etwa ein Viertel des gesamten Gehirns und 60 Prozent der Großhirnrinde - sie ist der Sitz höherer Hirnfunktionen - mit der Analyse der sichtbaren Welt beschäftigt sind. Wissenschaftler sprechen deshalb auch gerne vom „visuellen System“ – und meinen damit die komplex miteinander verschalteten Teile des zentralen Nervensystems, die allesamt am Sehen beteiligt sind und dabei jeweils spezialisierte Aufgaben übernehmen. So werden Daten über Farben, Formen und Details im seitlichen Schläfenlappen des Gehirns verarbeitet, Informationen über Ort, Bewegung und Tiefe im darüber liegenden Scheitellappen. Der gesamte Seheindruck findet dann aber im Hinterhautlappen statt, der sich am Ende des Hinterkopfes befindet. Professor Eberhard Zrenner: O-Ton 04 : Zrenner Es ist ein tolles System, mit dem wir die Welt anschauen. Das ist viel raffinierter als was es bisher an Technik gibt. ERZÄHLERIN: Sehen ist unser stärkster Sinn, er ist unerlässlich für die Orientierung im Raum. Doch wie das Laufen, muss unser Gehirn auch das Sehen erst lernen. Babys sehen in den ersten Lebenswochen nur schemenhaft. Es dauert ungefähr drei Monate, bis sie erkennen können, wer da in ihren Kinderwagen schaut. Nach einem Jahr sind sie bei ungefähr 50 Prozent der Sehschärfe. Augenarzt Johann Rueping: O-Ton 05: Rueping Die ganze Entwicklung des Sehorgans und auch die Verschaltung der Synapsen im Gehirn spielt sich in den ersten sechs Lebensjahren ab. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es in dieser Zeit zu keiner Störung kommt. Kinder sollten schon zum Augenarzt, wenn etwas verdächtig vorkommt. Dann entwickelt sich das Auge zum vollständigen optischen System. Und bleibt eigentlich auch so lange intakt, bis im Alter irgendwelche degenerativen Erkrankungen dazu führen, dass die Sehschärfe wieder abnimmt. ERZÄHLER: Ein 10jähriger kann Gegenstände mit einem Abstand von nur 7 cm vom Auge deutlich erkennen. Vielleicht eine Erklärung dafür, warum Kinder so gern mit der Nase am Fernseher kleben. Erwiesen ist das aber nicht. Bei einem 50jährigen erhöht sich dieser Abstand auf mal eben 50 cm und wird Altersweitsichtigkeit genannt. Die trifft quasi jeden. Ab circa 45 Jahren geht es los, das Lesen in der Nähe wird dann immer schwieriger.Der Grund dafür ist simpel: Die Linse des menschlichen Auges verliert mit den Jahren an Elastizität, so wie auch die Haut faltig wird. Die Folge: das Auge kann sich immer schlechter an verschiedene Entfernungen anpassen. O-Ton 06-1: KINDER / Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist ganz weit weg. – Wo? Wo ist das? ERZÄHLERIN: Bevor die Altersweitsichtigkeit beginnt, ist schon fast ein Viertel der Bevölkerung sozusagen "normal weitsichtig". Das liegt nicht an der fehlenden Elastizität der Linse, sondern an der Form des Augapfels. Sie ist nicht bei allen Menschen absolut gleich. Das kann bedeuten, dass die Lichtstrahlen der wahrgenommenen Objekte nicht immer ganz korrekt auf der Netzhaut landen. Das bewirkt dann die Unschärfen beim Sehen. Bei einer angeborenen Weitsichtigkeit ist zum Beispiel der Augapfel zu kurz, die Linse ist damit nicht weit genug von der Netzhaut entfernt, und so treffen die Lichtstrahlen theoretisch erst hinter der Netzhaut zusammen. ERZÄHLER: Ähnliches gilt auch für die etwas über 30 Prozent kurzsichtigen Menschen. Ihr Augapfel ist allerdings zu lang, das heißt die Linse liegt zu weit von der Netzhaut entfernt, das Bild 4 landet deshalb vor und nicht auf der Netzhaut.Kurzsichtige sehen deshalb nur die Dinge scharf, die sie in kurzer Entfernung vor den Augen haben. O-Ton 06-2: KINDER / SPIEL Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist rund, manchmal auch rechteckig und hat einen Rahmen. - Brille. ERZÄHLERIN: Brillen sind eine sehr alte Erfindung. Schon im alten Ägypten, 600 Jahre vor Christus, wurden Sehhilfen benutzt. Auf Hieroglyphen sind Menschen abgebildet, die Linsen zur Vergrößerung benutzen. Von Archimedes heißt es, dass er einen Sehkristall besaß, mit dem er Schriften vergrößert lesen konnte. In Europa wurde die Vorform einer Art von Lesebrille im 13. Jahrhundert erfunden. Heute trägt hierzulande jeder 2. über 45jährige eine Brille. Das heißt, fast 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind "bebrillt". Und der demographische Wandel trägt voraussichtlich zusätzlich dazu bei, dass in Zukunft ein immer größerer Anteil der Bevölkerung Brille tragen wird. ZITATOR "Eine Brille verbessert die Optik - oder verschlechtert sie." ERZÄHLER: Brille oder keine Brille. Eine Alternative zur Brille – zumindest für einige – ist der Augenlaser. Einige Millimeter der Hornhaut werden mit dem feinen Lichtschwert abgetragen und die Sicht ist wieder klar und deutlich. Klingt verlockend einfach, funktioniert auch gut, ist aber nicht für jeden Fehlsichtigen geeignet, sagt Daniel Kook vom Zentrum für refraktive Chirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität in München. O-Ton 07: Kook Das wichtigste ist, den Patienten in den richtigen Zug zu setzen. Unterzogen werden nur Augen, die ansonsten gesund sind! Weil, wenn sie ein Auge haben, das ein Problem hat, beispielsweise an der Hornhaut, und Sie lasern, dann wecken Sie einen schlafenden Hund. Nicht jeder Patient ist für einen Eingriff geeignet. Und die Probleme, die entstehen nach der OP nach dem Verfahren, die Patienten, die dann unglücklich sind, weil irgendwas schief gegangen ist, die Probleme entstehen nicht während einer OP durch eine Komplikation, die Probleme entstehen präoperativ in der Selektion, in der Vorbereitungsphase vor der OP, die ist das Entscheidende, hier Dinge zu erkennen und natürlich auch die Erwartungshaltung der Patienten zu überprüfen bzw. ob die realistisch ist und das mit dem Patienten abzustimmen. ERZÄHLERIN: Eine kleine, aber wichtige Einschränkung bleibt: die modernen Laserverfahren helfen nur bei Fehlsichtigkeit in jungen Jahren, das heißt, eine Altersweitsichtigkeit lässt sich mit diesem Verfahren nicht beheben und wer sich mit 20 die Augen lasern lässt, wird wie alle anderen Menschen auch ab 45, 50 Jahren die natürlichen Seheinbußen hinnehmen müssen. ZITATOR: Wir malen mit den Augen der Liebe, und Augen der Liebe müssen uns auch nur beurteilen ERZÄHLER: …schrieb einmal Gotthold Ephraim Lessing. Landläufig wird dieser Zustand auch als Blick durch die rosa rote Brille bezeichnet. Weit weniger romantisch formulierte es der italienische Schauspieler Gino Cervi: ZITATORIN: Liebe auf den ersten Blick ist die am meisten verbreitete Augenkrankheit. 5 ERZÄHLERIN: Zu den häufigsten Augenerkrankungen, die Ärzte behandeln, gehört der Graue Star, auch Katarakt genannt. Er führt langsam, aber sicher zu einer Eintrübung der Augenlinse und behindert damit das Sehen. Zum Glück lässt sich dagegen etwas unternehmen, sagt Augenarzt Daniel Kook. O- Ton 08: Kook Die häufigste ambulante Operation in der Augenheilkunde, aber auch in der Medizin, ist die Operation vom Grauen Star, also von der körpereigenen Linse. Das ist eine Operation, die mehr oder weniger jeder Mensch bekommt, wenn er alt genug wird. Meistens so im Altern zwischen 70, 80, 85 Jahren. Manchmal vorher, manchmal später. ERZÄHLER: 700.000 Operationen werden jedes Jahr in Deutschland durchgeführt, weltweit sind es rund drei Millionen Eingriffe pro Jahr. O-Ton 09: Kook (K 05) Wenn man den Eingriff nicht machen würde, dann würde die Linse am Schluss so trübe werden, dass man am Schluss nichts mehr sieht, bzw. nur noch Lichtwahrnehmungen. Das ist sozusagen die Alternative zur Operation. ERZÄHLERIN: Die eingetrübte Linse wird durch eine Kunstlinse aus Acryl ersetzt. Mit wenigen kleinen Schnitten, die heute der Laser macht, wird die Hornhaut aufgeschnitten, die körpereigene Linse abgetragen und eine neue Kunstlinse an ihren Platz im Auge gebracht. O-Ton 10: Kook Das geht relativ schnell, der Patient sieht schon am ersten Tag wieder gut. Ist natürlich alles noch frisch operiert, aber nach einer Woche ist das schon der Endzustand, also eine ziemlich schnelle Rehabilitation. Und das macht es für den Patienten und auch den Arzt sehr dankbar. ERZÄHLER: Heutzutage. Denn die Staroperation wurde auch schon im Mittelalter praktiziert. Allerdings in sehr viel gröberer Form – Laser und Kunstlinsen gab es damals nicht, dafür aber gleichzeitig enorme Nebenwirkungen. So ist überliefert, dass sich seit dem Mittelalter Heiler, Ärzte und Chirurgen zu spezialisierten Starstechern ausbilden ließen. Oft waren sie auf Marktplätzen zu finden, wo sie ihre Dienste anboten. Mit einem speziellen, sehr dünnen Messer drückten sie die eingetrübte Linse in das Auge hinein, um so die Sehschärfe wieder herzustellen. ERZÄHLERIN : Doch der Eingriff gelang nicht immer. Schwere Entzündungen und auch Tote waren keine Seltenheit bei dieser Methode. Der Komponist Johann Sebastian Bach soll möglicherweise an den Folgen einer solchen Staroperation gestorben sein. Auch Georg Friedrich Händel unterzog sich dieser Operation, er überlebte, war danach aber blind. ERZÄHLER: Die Bedeutung des Sehsinns ist für den Menschen so groß, dass auch Risiken eingegangen wurden. Doch die Augenheilkunde machte auch enorme Fortschritte. Und 1851 entwickelte der Augenarzt Richard Förster das Periskop, mit den sich der Umfang des Gesichtsfeld beurteilen lässt. Diese Messung ist wichtig, um bestimmte Augenerkrankungen früh zu erkennen. Denn wir erkennen zwar, ob wir scharf oder unscharf sehen, aber wenn unser Gesichtsfeld, also der Gesamtausschnitt des Sehens, sich verengt, dann merken wir das nicht. Johann Rueping: 6 O-Ton 11: Rueping (R13) Genau das ist das Problem, dass die Patienten, die einen Grünen Star oder ein (….) Glaukom entwickeln, die ersten Stadien, die frühen Gesichtsfelddefekte gar nicht bemerken. Und da kann nur helfen, dass man den Augeninnendruck kontrollieren lässt, und wenn der Augeninnendruck erhöht ist und ein Verdacht auf einen Grünen Star besteht, dass man dann eine Gesichtsfelduntersuchung durchführt. ERZÄHLERIN: Ohne ein funktionierendes, vollständiges Gesichtsfeld ist es schwierig, sich im Raum zurechtzufinden. Im Normalfall umfasst unser Blick einen Radius von 175 Grad, verengt sich dieser, ist das ungefähr so, als würde man versuchen, mit einem Fernglas vor den Augen ein Flugzeug am Himmel zu finden oder durch eine Tür zu gehen. Der Grüne Star führt zu einem extremen Tunnelblick, man sieht weder, ob ein Auto von der Seite kommt, noch einen Fußgänger neben sich. ERZÄHLER: Genau umgekehrt ist es bei einer anderen, aber auch durchaus häufigen Augenerkrankung: Der Makuladegeneration, meist AMD abgekürzt. In Europa ist sie die häufigste Ursache für eine Erblindung im Alter. Die Makuladegeneration betrifft den Bereich des schärfsten Sehens. In der Sehgrube sterben die Sehzellen ab, und so wird im Focus alles unscharf. ERZÄHLERIN: Ähnliches, allerdings mit sehr viel gravierenderen Folgen, geschieht bei der Erkrankung „Retinitis Pigmentosa“. Hier ist der Verlust des Augenlichts nicht aufzuhalten. Die Photorezeptoren im Auge, die Stäbchen und Zapfen, sterben einfach ab. Das hat genetische Ursachen und führt ab dem 35. Lebensjahr langsam zur Erblindung. Das wollte der Tübinger Augenarzt Eberhard Zrenner nicht einfach so hinnehmen und hat einen Seh-Chip entwickelt, der Menschen, das Sehvermögen wiedergibt. O-Ton 13: Zrenner Und dann haben wir gesagt, okay, wir versuchen mal darüber nachzudenken, ob wir nicht die natürlichen Lichtempfänger durch technische Lichtempfänger ersetzen können. Das ist ja alles viel kleiner geworden, wir sehen ja heute schon, dass im Iphone eine ganz dünne Kamera drin ist. Also die Technik war schon soweit entwickelt, dass man was draus machen konnte. Und die große Frage war, kann man das ins Auge bringen, kann man das an die Nervenzellen ankoppeln. ERZÄHLER: 34 blinden Menschen hat der Augenarzt mit seinem Team einen streichholzkopf -großen Chip in ein Auge implantiert. Fast alle können heute wieder ihre Umwelt erkennen. So wie dieser Patient, der nach 15 Jahren endlich wieder wichtige Punkte in seiner Umgebung sieht und in einer Untersuchung davon berichtet. O-Ton 14: (Patient) Und dann plötzlich sah ich viele Laternen und Schaufenster und viele leuchtende Objekte. Und dann hab ich genauer geguckt und gedacht, ich sehe jetzt eine Straße, und die Lichter werden ferner und kleiner, ich konnte auch irgendwie die Tiefe wahrnehmen. Das war natürlich toll. Und da hab ich fünf bis zehn Minuten nur geguckt und war begeistert, dass ich jetzt alles, was heller ist, sehe. O-Ton 15: Zrenner Wir setzen den Chip hinter die durchsichtige Netzhaut. Man muss da in der Lederhaut, das ist das Weiße im Auge, ein Fensterchen reinschneiden. Dann wird seitlich entlang am Augapfel nach hinten geschoben unter die Stelle des schärfsten Sehens, dass es genau dort sitzt, wenn das Auge guckt, dass es auch genau das Bild, das da von dem Punkt ausgeht auf dem Chip landet durch die Linse, durch das natürliche System hindurch. 7 ERZÄHLERIN: Die technische Augenprothese kann zur Zeit nur Bilder in schwarz-weiß liefern. Und deshalb fällt der Seheindruck der Patienten dann in etwa so wie bei einem Fernsehabend in den 50er Jahren aus. Doch der Gewöhnungsprozess ist kurz, denn mit dem Chip schaffen es die ehemals blinden Menschen, sich wieder in ihrer Umgebung zurecht zu finden. Ein bewegender Augenblick, wenn nach vielen Jahren Dunkelheit plötzlich die Welt um einen herum wieder zu sehen ist. O-Ton 16: Zrenner Was auch schön ist, der eine Patient, der erzählt, wie er zum ersten Mal seine Freundin anguckt. Der sagt, ob sie mich jetzt angezwinkert hat oder nicht, dass weiß ich jetzt nicht genau. Aber die Zähne habe ich gesehen und ob sie gelacht hat oder nicht. Er hat gesagt, ´it was a very special moment for us`. Auch wenn es vielleicht wie ein Geisterbild ausgesehen hat. Er hat sie dann auch geheiratet. Und er hat jetzt eine Figur, ein Bild, er hat etwas im Kopf wie seine Frau aussieht. ERZÄHLERIN: Sehen ist kulturell geprägt. Während in europäischen Kunstwerken meistens eine Links Rechts-Dominanz vorliegt, die unsere Blicke führt, ist dies beispielsweise in der japanischen Kunst meist umgekehrt. Unsere Augen sind dabei ständig in Bewegung. Sie stehen eigentlich nie still. 3 bis 4 Blickbewegungen machen wir pro Sekunde, 250 in der Minute, 15.000 pro Stunde. ERZÄHLER: Doch was wissen wir über uns und die Welt, wenn unsere Augen unterschiedlich wahrnehmen? Wenn wir schon auf eine simple optische Täuschung hereinfallen? Wenn wir Dinge sehen, die in Wirklichkeit gar nicht existieren? Ein spannendes Feld für die Wissenschaft, in dem es noch einiges zu erforschen, sagt Jochen Laubrock. O-Ton 20 : Laubrock Das Auge lässt sich sicher täuschen. (…) Die Psychologie hat da sehr viel draus gelernt, vor allem, wie sehr wir unsere Realität konstruieren. Der physikalische Input ist meist zu reichhaltig und wir müssen unser Vorwissen nutzen, um das zu interpretieren. Optische Täuschungen basieren auch darauf, dass man Vorwissen anwendet, gerade in Situationen wo der Physikalische Reiz mehrdeutig ist. O-Ton 21: Kinder / Spiel: Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist schwarz und rund. - nein: es ist weiß und eckig. Schwarz und rund ist es – nein: weiß und eckig schwarz – nein weiß ….... Sehen wir dasselbe? Nein, aber das gleiche Bild. stopp