Der Buddhismus in der westlichen Gesellschaft, Soziologie

Werbung
Geisteswissenschaft
Ralf Bub
Der Buddhismus in der westlichen
Gesellschaft
Magisterarbeit
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.
Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen
sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom
Urheberrechtsschutz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmungen, Auswertungen durch Datenbanken und für die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronische Systeme. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen
Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowie
der Auswertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen, vorbehalten.
Impressum:
Copyright © 2006 GRIN Verlag, Open Publishing GmbH
ISBN: 978-3-638-53224-2
Dieses Buch bei GRIN:
http://www.grin.com/de/e-book/59230/der-buddhismus-in-der-westlichen-gesellschaft
Ralf Bub
Der Buddhismus in der westlichen Gesellschaft
GRIN Verlag
GRIN - Your knowledge has value
Der GRIN Verlag publiziert seit 1998 wissenschaftliche Arbeiten von Studenten,
Hochschullehrern und anderen Akademikern als eBook und gedrucktes Buch. Die
Verlagswebsite www.grin.com ist die ideale Plattform zur Veröffentlichung von
Hausarbeiten, Abschlussarbeiten, wissenschaftlichen Aufsätzen, Dissertationen
und Fachbüchern.
Besuchen Sie uns im Internet:
http://www.grin.com/
http://www.facebook.com/grincom
http://www.twitter.com/grin_com
Der Buddhismus in der westlichen
Gesellschaft
Magisterarbeit
Zur
Erlangung der Würde
des Magister Artium
der Philologischen, Philosophischen und Wirtschaftsund
Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der
Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg i.Br.
vorgelegt von
Ralf Bub
aus Stuttgart
WS 2005/2006
Soziologie
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT ........................................................................................................................................................... 3
EINLEITUNG ....................................................................................................................................................... 7
1. BUDDHAS LEHRE – EIN KURZER ÜBERBLICK .................................................................................... 9
1.1 DAS LEBEN DES BUDDHA............................................................................................................................ 10
1.2 DIE VIER EDLEN WAHRHEITEN ................................................................................................................... 15
1.2.1 Die Erste Edle Wahrheit: Es gibt Leid ............................................................................................... 15
1.2.2 Die Zweite Edle Wahrheit: Es gibt eine Ursache für das Leid ........................................................... 16
1.2.3 Die Dritte Edle Wahrheit: Es gibt ein Ende des Leides...................................................................... 18
1.2.4 Die Vierte Edle Wahrheit: Es gibt einen Weg, der zum Ende des Leidens führt ................................ 19
1.3 SICHTWEISE: DIE VIER PHILOSOPHISCHEN SCHULEN DES BUDDHISMUS .................................................... 20
1.3.1 Die Philosophie des Theravāda: Vaibhāshika und Sautrāntika ......................................................... 21
1.3.2 Die Philosophie des Mahāyāna: Yogacāra und Mādhyamaka........................................................... 22
1.3.3 Buddhistische Philosophie und westliche Wissenschaft ..................................................................... 23
1.4 MEDITATION ............................................................................................................................................... 25
EXKURS: MAX WEBER UND SEINE BUDDHISMUS-STUDIE ................................................................................. 29
2. DIE IDEALTYPISCHE TRÄGERSCHICHT DES BUDDHISMUS......................................................... 31
2.1 ZWEI IDEALTYPISCHE HISTORISCHE SITUATIONEN ...................................................................................... 31
2.2 DIE THESE ................................................................................................................................................... 35
2.3 BILDUNG IM ALTEN INDIEN ......................................................................................................................... 36
2.4 THEORETISCHE AUSARBEITUNG DER THESE ............................................................................................... 38
2.4.1 Der positive Einfluss ökonomischer Faktoren.................................................................................... 38
2.4.2 Der positive Einfluss geistiger Qualifikationen.................................................................................. 39
2.5 WEBERS KONZEPT DER INTELLEKTUELLENSOTERIOLOGIE ......................................................................... 42
2.6 DIE URSPRÜNGLICHE TRÄGERSCHICHT DES BUDDHISMUS .......................................................................... 43
2.7 DIE IDEALTYPISCHE TRÄGERSCHICHT: ÜBERSETZT IN MODERNE KATEGORIEN .......................................... 48
2.8 DER SOZIOKULTURELLE HINTERGRUND DER WESTLICHEN BUDDHISTEN .................................................... 50
2.9 WARUM BUDDHISMUS? .............................................................................................................................. 58
3. BUDDHISMUS UND CHRISTENTUM ....................................................................................................... 62
3.1 UNTERSCHIEDE ZWISCHEN BUDDHISTISCHER UND CHRISTLICHER LEHRE BZW. PRAXIS.............................. 62
3.2 RELIGION NACH DER AUFKLÄRUNG ............................................................................................................ 68
4. DER BEITRAG DER RELIGIONSSOZIOLOGIE .................................................................................... 78
4.1 RELIGIONSSOZIOLOGIE UND WESTLICHER BUDDHISMUS ............................................................................. 78
4.2 FUNKTION DER RELIGION IM WESTLICHEN VERSTÄNDNIS .......................................................................... 81
5. FUNKTION DES BUDDHISMUS IM WESTEN ........................................................................................ 85
5.1 ERFÜLLT DER BUDDHISMUS EINE GESELLSCHAFTLICHE FUNKTION? .......................................................... 87
5.2 ERFÜLLT DER BUDDHISMUS EINE PSYCHOLOGISCHE FUNKTION?................................................................ 89
5.3 BUDDHISMUS UND PSYCHOLOGIE ............................................................................................................... 91
5.4 DER BUDDHISMUS UND DIE SPIRITUELLE FUNKTION ................................................................................... 98
5.4.1 Die Frage nach dem Sinn in der Moderne ......................................................................................... 98
5.4.2 Sinn, Glück und Spiritualität ............................................................................................................ 102
5.4.3 Die Frage nach dem Glück in der Moderne ..................................................................................... 105
5.4.4 Warum Buddhismus? Der Mittlere Weg und die Rationalität des Glücks........................................ 112
6. DIE EXPANSION DES BUDDHISMUS IM WESTEN SEIT DEN 60ER JAHREN ............................. 117
7. SCHLUSS ...................................................................................................................................................... 125
LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................................................... 133
2
Vorwort
Mit der vorliegenden Arbeit will ich mich einem Thema widmen, welches von der
europäischen Soziologie bis dato praktisch nicht behandelt wurde. Während der Buddhismus
im Westen kulturell enorm einflussreich ist und viele Anhänger gewinnt, dreht sich der
religionssoziologische
Diskurs
vorwiegend
um
Säkularisierung,
New
Age
und
Fundamentalismus. Ungeachtet des weiter ansteigenden Interesses an der Weltreligion aus
Indien und ihrer institutionellen Verankerung in allen europäischen und westlich geprägten
Gesellschaften hat man in der Soziologie keine Anstrengungen unternommen, dieses
Phänomen in seiner ganzen Bandbreite darzustellen und soziologisch zu erklären. Somit wage
ich mich mit meinen zentralen Thesen in unbekanntes Terrain vor, da sie von keiner
soziologischen Koryphäe in der Weise formuliert oder gar erschöpfend behandelt wurden.
Allein Max WEBER hat einen bedeutenden Beitrag zur Soziologie des Buddhismus geleistet –
allerdings nicht des hier behandelten westlichen Buddhismus – und wird meine
Argumentation, u.a. mit seiner Charakterisierung des Buddhismus als einer Soteriologie
(griech. Heilslehre) für intellektuell Geschulte, unterstützend begleiten.
Mein Interesse an dem Thema wurde durch die eigene buddhistische Praxis, den
Austausch mit Buddhisten aus mehreren westlichen Ländern und den Besuch diverser
internationaler
Meditationskurse
geweckt.
Als
praktizierender
Buddhist
bin
ich
gewissermaßen selbst Teil des zu untersuchenden Phänomens, was sowohl Vorteile als auch
potentielle Fallstricke mit sich bringt. So kann die eigene Überzeugung zu einer eingeengten
und für die buddhistische Lehre voreingenommenen Sichtweise führen. Dem will ich durch
zwei konzeptuelle Absicherungen entgegenwirken, die im Folgenden kurz dargestellt werden.
Für die Arbeit soll die Perspektive des methodologischen Agnostizismus grundlegend
sein.1 D.h. religiöse Inhalte werden als für den Menschen relevant und gegeben anerkannt,
ohne dass eine Aussage über ihren Wahrheitsgehalt gemacht wird und gemacht werden kann.
Ob diese Inhalte nun einer letztendlichen Wahrheit entsprechen oder nicht, werden sie doch
das subjektive Empfinden der Menschen und damit ihr Handeln beeinflussen, womit sie in der
Gesellschaft beobachtbare Folgen nach sich ziehen. Formuliert ist diese Einsicht im Thomas-
1
Vgl. Knoblauch, H.: Religionssoziologie. Berlin New York 1999, S.14f.
3
Theorem: „If men define situations as real, they are real in their consequences".2 Deshalb
halte ich es für gerechtfertigt, an ausgewählten Stellen die buddhistische Innenperspektive
darzustellen und, wie im Fall der Ausrichtung auf das dauerhafte Erleben von Glück, einen
inneren Zusammenhang zwischen der buddhistischen Praxis und den Folgen für das
persönliche Erleben anzunehmen. Dabei kann unter Anwendung des Thomas-Theorems ganz
davon abgesehen werden, ob die zugrunde liegende buddhistische Philosophie zutreffend ist
oder nicht. Da diese in soziologischen Fachkreisen und auch allgemein kaum bekannt ist und
meine These, dass die buddhistische Lehre in spezifischen gesellschaftlichen Situationen eine
besondere Anziehungskraft auf bestimmte soziale Schichten ausübt, eine genaue Kenntnis
dieser Philosophie voraussetzt, werde ich sie relativ ausführlich vorstellen.
Ein offenes Verhältnis zu religiösen Lehren kann bei der Untersuchung des
Phänomens ein enormer Vorteil sein. So kann es die Reflexion ihrer Resonanz in modernen
Gesellschaften zugleich anstoßen und sehr fruchtbar machen, wenn Werturteilsfreiheit
gewahrt bleibt und die Analyse nicht auf Glaubenssätze zurückgreift. Dies haben nicht zuletzt
Max WEBER und Peter BERGER mit ihren Beiträgen zur Religionssoziologie verdeutlicht.3 In
meinem Fall habe ich mir u.a. durch ein einsemestriges Studium der buddhistischen
Philosophie in New Delhi, den Besuchen von Meditations- und Philosophiekurse und nicht
zuletzt der eigenen, über vierjährigen Meditationspraxis ein lebendiges und umfangreiches
Bild des „westlichen“ (und durch die Indienreise auch „östlichen“) Buddhismus machen
können; was mich darauf hoffen lässt, die Lehre und ihre Auswirkungen adäquat und ohne oft
geäußerte Missverständnisse darstellen zu können und die Motivationsstruktur der
konvertierten Buddhisten treffend zu erfassen.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, durch eine direkte Verknüpfung von
Theorie, welche in allen Punkten mittels anerkannter Forschung fundiert werden soll, und
Empirie eine die Kernpunkte treffende Erklärung der buddhistischen Erfolgsgeschichte im
2
Thomas/Thomas: The Child in America. New York 1928, S.571f.
Zum Verhältnis Webers zur Religiosität siehe Weiß, J.: Max Webers Grundlegung der Soziologie. Eine
Einführung. München 1975. Nach Weiß war Weber „ohne jeden Zweifel“ kein Atheist: „Gelegentlich bekannte
er, um ein persönliches Verhältnis zu Gott bemüht zu sein und fand in sich zumindest die Möglichkeit
mystischer Religiosität angelegt“. Diese Stellungnahmen dokumentieren für Weiß, „dass Max Weber zur inneren
Möglichkeit religiöser Existenz und zur 'echten Sinnhaftigkeit des Religiösen' eine lebendige Beziehung besaß.“
(alle Zitate mit den jeweiligen Literaturangaben ebd. S.104). Prof. Dr. Weiß lehrt Soziologie in Kassel. Berger
identifiziert sich nach eigenen Angaben mit dem liberalen Protestantismus und hat eines seiner Bücher aus dieser
christlichen Sichtweise geschrieben (Berger, P.: A far glory. The Quest of Faith in an Age of Credulity. New
York 1992, S.20). In diesem mahnt er kritisch an, dass vielleicht wichtige (religiöse) Wahrheiten im
Modernisierungsprozess verloren gegangen sind und die Kirche ihre Wahrheiten nicht aufgeben soll; darüber
hinaus hält er die Existenz von Engeln für sehr wahrscheinlich (ebd. S.13). Der 1929 in Wien geborene
Soziologe Berger erhielt 1956 seine erste Professur an der Universität von North Carolina und ist neben Thomas
Luckmann der wichtigste Vertreter der neoklassischen Religionssoziologie, mit letzterem hat er u. a. den
Klassiker der Soziologie Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit verfasst.
3
4
Westen geben zu können. Dabei versuche ich konsequent die Evidenzen aus den
verschiedenen Bereichen zusammenzutragen und in einem schlüssigen Gesamtkonzept zu
vereinen. Meine Hoffnung ist, dass die Arbeit, obwohl an einigen Stellen sicherlich
kontrovers und von exploratorischem Charakter, in ihrer Konzeption und den Ergebnissen
überzeugend und anregend ist.
Zur Quellenlage: Aus der Lebenszeit Buddhas liegen praktisch keine historischen
Quellen vor.4 Die früheste vollständige Quelle, der in Sri Lanka verfasste Pali-Kanon des
Theravāda-Buddhismus datiert aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Während die frühesten
Fragmente von Mahāyāna-Sutras etwa aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. stammen, wurden die
buddhistischen Tantras erst ca. 1000 Jahre nach Buddhas Wirken schriftlicht niedergelegt und
auch heute noch zu einem großen Teil nur mündlich weitergegeben. Von vielen westlichen
Fachgelehrten wird der tantrische Buddhismus in ihrer Darstellung weitestgehend negiert,
oder als eine späte Abwandlung des „ursprünglichen Buddhismus“ behandelt. Als zentraler
Grund hierfür kann gelten, dass unsere Wissenschaftskultur auf schriftlichen Quellen beruht
und der Theravāda-Buddhismus als die eigentliche Lehre Buddhas erfasst wird, da sein
Lehrkanon als erster vollständig schriftlich fixiert wurde. Im Buddhismus gelten Lehrer und
ihre Belehrungen dann als authentisch, wenn sie sich über eine mündliche Tradition bis auf
einen Buddha bzw. den historischen Buddha selbst zurückführen lassen, worauf im
tantrischen bzw. tibetischen Buddhismus besonderer Wert gelegt wird. So kann jede Schule
des tibetischen Buddhismus einen „spirituellen Stammbaum“ vorweisen, der die Echtheit der
Belehrungen bezeugen soll. In meiner Darstellung wird der tantrische bzw. tibetische
Buddhismus eine zentrale Rolle einnehmen, da er einen kohärenten Erklärungsrahmen für die
Philosophien aller buddhistischen Schulen bietet und v.a. im Westen enorm erfolgreich ist.
Noch
eine
Bemerkung
zum Verhältnis
von
intellektueller
Kapazität
und
buddhistischer Praxis. In der vorliegenden Arbeit werde ich es in der Weise darstellen, dass
geistige Qualifikationen wie abstraktes Denkvermögen und die Fähigkeit zur Konzentration
für die erfolgreiche Ausübung von Buddhas Lehre sehr wichtig sind. Das soll nicht darüber
hinwegtäuschen, dass Offenheit und Hingabe noch bedeutendere Kriterien darstellen, da sie
eine Person überhaupt erst zur (freiwilligen) Praxis animieren werden. In dem Sinne gibt es
einzelne Beispiele in der buddhistischen Geschichte, in welchen schlecht ausgebildete
Praktizierende mit niedriger Auffassungsgabe durch enorme Hingabe und Offenheit eine hohe
Verwirklichung erlangt haben sollen.
4
Zur schwierigen Quellenlage siehe: Conze, E.: Eine kurze Geschichte des Buddhismus. Frankfurt am Main
1984, S.12. Buddha selbst lebte wahrscheinlich im 5.oder 6.Jahrhundert v.Chr.
5
„Alle Versuche, das 'Wesen' der Religion 'objektiv' (und sei es: phänomenlogisch) zu
bestimmen, können als gescheitert gelten“, konstatiert LUHMANN in seinem Werk Die
Religion der Gesellschaft.5 So werde ich den Buddhismus als Religion bezeichnen, da er
üblicherweise als eine solche angesehen wird, ohne den Begriff näher zu konzipieren. Auf
Unterschiede zwischen Buddhismus und Christentum werde ich in einem eigenen Kapitel
näher eingehen.
Verwendete Abkürzungen
vgl.
= vergleiche / siehe
Kap.
= Kapitel
tib.
= tibetisch
skt.
= Sanskrit
p.
= Pali
engl. = englisch
lat.
= lateinisch
griech. = griechisch
zit.
= zitiert nach
ebd.
= ebenda
u.a.
= unter anderem
v.a.
= vor allem
s.o.
= siehe oben
Anm. = Anmerkung
FN
5
= Fußnote
Luhmann, N.: Die Religion der Gesellschaft. Frankfurt am Main 2000, S.320.
6
Einleitung
In der vorliegenden Arbeit soll das Phänomen des Buddhismus im Westen nach zentralen
soziologischen Gesichtspunkten näher untersucht werden.6 Zunächst ist die Frage von
Bedeutung, ob das gegenwärtige Interesse am Buddhismus als eine kurzfristig aufflackernde
und eventuell rein medial inszenierte modische Erscheinung angesehen werden kann, oder ob
es sich um eine kontinuierliche und breite Entwicklung mit tiefgehenden Ursachen handelt.
Eine oberflächliche Betrachtung kann Anlass dazu geben, den Buddhismus als eine durch die
Pop-Ikone des Dalai Lama repräsentierte reine Trendreligion einzustufen. So wurden allein
im Jahr 1997 in Hollywood der Dreh von sieben Spielfilmen über ihn und sein Heimatland
Tibet initiiert. Darüber hinaus ist er weltweit regelmäßiger Gast in Talkshows, ziert
Titelbilder von der Bild-Zeitung bis zum Geo und zog auf dem Kirchentag 2004 in Berlin mit
15.000 Zuschauern die größte Aufmerksamkeit auf sich.7 Dabei kann der Anschein erweckt
werden, dass die Faszination für die fremde Religion zwar groß ist, sich aber kaum eine
größere Gruppe von Westlern ernsthaft der spirituellen Praxis zugewendet hat. In dem Fall
könnte die Buddhismus-Welle ohne weiteres von heute auf morgen wieder abebben und wäre
schnell in staubigen Geschichtsarchiven als „Modetorheit“ abgeheftet.
Viele Anzeichen sprechen allerdings dafür, dass der Buddhismus in den westlichen
Gesellschaften Fuß gefasst hat und einen einflussreichen Faktor auf kulturellem und
religiösem Gebiet darstellt. Ersteres zeigt sich daran, dass der Grad an Institutionalisierung
seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts durch eine wachsende Zahl an Meditationsgruppenund Zentren und die Bildung von Dachverbänden wie der Deutschen Buddhistischen Union
(DBU) kontinuierlich zunimmt und inzwischen über eine Million Westler die neue Religion
praktizieren.8 Obwohl der Anteil an bekennenden Buddhisten westlicher Herkunft in den
jeweiligen Gesellschaften zumeist unter 1% liegt, scheint sich der Buddhismus großer
Popularität zu erfreuen und mit seiner Botschaft den Nerv der Zeit zu treffen. So gaben allein
in Frankreich 15% der Teilnehmer einer Umfrage an, dass sie am Buddhismus interessiert
6
Unter „Buddhismus im Westen“ sollen alle Erscheinungsformen des Buddhismus außerhalb Asiens gefasst
werden, wie sie in Europa, Nordamerika, Australien, Südamerika und Südafrika in einem ähnlichen Muster
hinsichtlich Heterogenität der Schulen, historischer Ausbreitung und sozialkultureller Adaptation auftreten
(einen kurzen Überblick bietet: Prebish/Baumann (Hrsg.): Westward Dharma. Buddhism beyond Asia.
Berkley/Los Angeles/London 2002, Introduction: Paying Homage to the Buddha in the West. S.1-7).
7
Zum Buddhismus-Boom im Westen und der exponierten Stellung des Dalai Lama siehe Zotz, V.: Auf den
glückseligen Inseln: Buddhismus in der deutschen Kultur. Berlin 2000, S.9ff.
8
Allein in Deutschland ist die Zahl der buddhistischen Gruppen im Zeitraum von 1975 bis 1999 von 40 auf über
500 gestiegen (Baumann, M.: Buddhism in Europe. Past, Present, Prospects. In: Prebish/Baumann (Hrsg.):
Westward Dharma. Buddhism beyond Asia. Berkley/Los Angeles/London 2002, S.85-3105, hier: S.93).
7
sind, wobei ihn zwei Millionen Franzosen als ihre Lieblingsreligion bezeichneten.9 Wie der
deutsche Religionswissenschaftler BAUMANN anmerkt, ist der buddhistische Einfluss auf
unsere Kultur trotz der vergleichsweise geringen Zahl an Buddhisten relativ hoch, da viele
Konvertierte Berufe wie Lehrer, Journalisten und Künstler ausüben, denen eine
Multiplikatorrolle zugeschrieben wird.10
Prägnant formuliert soll in der Arbeit folgenden Fragen nachgegangen werden: (1) wer
praktiziert Buddhismus (empirische Untersuchung), (2) warum wird Buddhismus praktiziert
(funktionale Perspektive) und (3) welchen Einfluss haben und hatten gesellschaftliche
Faktoren auf die Rezeption des Buddhismus (soziologisch-historische Analyse). Eine
Einführung in den Buddhismus wird im 1. Kapitel gegeben. Im 2. Kapitel wird die erste
Frage behandelt und die These formulieren, dass Buddhas Lehre aufgrund ihres
intellektuellen Anspruches vor allem innerhalb der hochgebildeten, humanistischen Mittelbis oberen Mittelschicht auf Resonanz stoßen wird. Diese Affinität sollte in idealtypischen
historischen Konstellationen besonders hervortreten, in denen wertrationale Gründe für die
Konversion zum Buddhismus ausschlaggebend sind. Eine solche Situation lag bzw. liegt
meines Erachtens zu Buddhas Zeit und in der jüngsten Vergangenheit im Westen vor. In
Kapitel 2.6 und 2.8 wird die These einer empirischen Überprüfung unterzogen, in der sie sich
als stichhaltig herausstellen wird. Der zweiten Frage nach dem funktionalen Aspekt werde ich
mich erstmals in Kapitel 2.9 zuwenden, in welchem die Suche nach Glück und das Bedürfnis
nach Sinn als die zentralen Beweggründe für die Ausübung der buddhistischen Praxis genannt
werden. Da das Christentum auf die Befriedigung derselben Bedürfnisse ausgerichtet ist, stellt
sich die Frage, warum eine wachsende Zahl von Westlern sich von der ihnen eher vertrauten
Religion abwendet und sich dem „exotischen“ Buddhismus anschließt. In Kapitel 3 wird der
Versuch einer Antwort unternommen. Als die zwei entscheidenden Faktoren werden dabei
der Glaubwürdigkeitsverlust des theistischen Christentums nach der Aufklärung und die
Parallelen zwischen aufklärerischem und buddhistischem Denken herausgearbeitet. In Kapitel
4 wird der religionssoziologische Diskurs mit ernüchterndem Ergebnis auf eine mögliche
Erklärung des buddhistischen Phänomens hin befragt, wobei die Arbeit des amerikanischen
Soziologen COLEMANS zum westlichen Buddhismus eine Ausnahme bildet.11 Zunächst
werden im selben Kapitel die der Religion im Allgemeinen zugeschriebenen Funktionen
9
Tweed, T.A.: Who is a Buddhist? Night-stand Buddhists and Other Creatures. In: Prebish/Baumann (Hrsg.):
Westward Dharma. Buddhism beyond Asia. Berkley/Los Angeles/London 2002, S.17-33, hier: S.20. Tweed
beschreibt auch, dass viele 100.000 Amerikaner buddhistische Meditationen durchführen, ohne sich einer
Gruppe anzuschließen (ebd. S.17).
10
Baumann, M.: Buddhism in Europe. Past, Present, Prospects. S.100.
11
Coleman, J.W.: The new Buddhism: the western transformation of an ancient tradition. Oxford 2001.
8
dargestellt, um sie im anschließenden 5. Kapitel auf ihre Relevanz für die Erklärung der
buddhistischen Erfolgsgeschichte im Westen hin zu untersuchen. Nachdem ausgeschlossen
werden kann, dass der Buddhismus im Westen primär soziologische (Kap. 5.1) oder
psychologische (Kap. 5.2) Funktionen wie soziale Integration und Kontingenzbewältigung
bedient, werde ich versuchen, seine Breitenwirkung durch die hinreichende Befriedigung des
spirituellen Bedürfnisses nach dauerhaftem Glück und geistiger Weiterentwicklung zu
begründen (Kap. 5.4).
Die Ebene der soziologisch-historischen Analyse soll im abschließenden 6. Kapitel
vertieft werden, in der das exponentielle Wachstum der buddhistischen Gemeinde im Westen
mit entscheidenden Veränderungen auf den drei Achsen von Bildung (Bildungsexpansion),
Wohlstand und Globalisierung in Verbindung gesetzt wird.
1. Buddhas Lehre – ein kurzer Überblick
Bei der Darstellung der buddhistischen Lehre werde ich mich vor allem auf die Erläuterungen
zeitgenössischer buddhistischer Meister und Gelehrter beziehen. Diese Herangehensweise
erscheint sinnvoll, da das Ziel der vorliegenden Arbeit darin besteht, das Interesse am
Buddhismus in den aufgeklärten westlichen Gesellschaften zu erklären, und dieses
hauptsächlich von den Schriften und Belehrungen lebender Buddhisten geweckt wird.
Wahrscheinlich wurde niemand von Max WEBERS Ausführungen zum Buddhismus oder
denen anderer „außenstehender“ Intellektueller dazu inspiriert, sich für den buddhistischen
Weg zu öffnen. Das wird unter anderem daran liegen, dass es sich, wie im Fall von Max
WEBER, zumeist um eine westlich-intellektuelle Auslegung auf der Grundlage von durch
Nicht-Buddhisten übersetzten Texten handelt, welche weder vom Übersetzer, noch vom
Autor von (Meditations-)Erfahrungen und einem explizitem Verständnis der Theorie begleitet
wurde.12 Wenn man nun den Ursachen der Begeisterung für den Buddhismus auf den Grund
12
Deutlich wird dies bei dem zentralen Begriff der „Leerheit“ (engl. Emptiness), mit dem häufig aber
fälschlicherweise „Nichts“ assoziiert wird. Die gleichen Probleme bereitet die nihilistische Vorstellung vom
Nirvana als einem „Erlöschen von allen Empfindungen“, wie sie nur von Gelehrten ohne Kontakt zu
fortgeschrittenen Praktizierenden und Meditationspraxis gehegt werden kann, die ihren Geist noch nie in einem
völlig in sich selbst ruhenden, eigenbewussten Zustand erlebt haben, der höchst freudvoll und anregend sein soll
und kein schwarzes Loch des Nicht-mehr-Lebendig-seins beinhaltet (zu einer solchen falschen Vorstellung siehe
z.B. Bellebaum, A.: Glücksangebote in der Alltagswelt. In: Bellebaum, A. (Hrsg.): Glück und Zufriedenheit. Ein
Symposion. Opladen 1992, S.208-220). In Deutschland setzt die verzerrte Darstellung schon bei dem ersten
bekannten Buddhismus-Interpreten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) ein. Bei ihm „und in nachfolgenden
Interpretationen deutscher Dichter und Denker, so etwa von Kant, Herder, Schelling, Hegel und Nietzsche,
zeigten sich Missverständnisse und Fehldeutungen, die sowohl der spärlichen Quellenlage als auch europäischen
Vorstellungen und Projektionen entsprangen“ (Baumann, M.: Deutsche Buddhisten. Geschichte und
Gemeinschaft. 2. durchges. und aktualisierte Aufl. Marburg 1995, S.44). An amerikanischen Universitäten haben
9
gehen will, müssen die Auslöser betrachtet werden, die sie hervorrufen. Als ein
entscheidender Auslöser kann die buddhistische Lehre selbst betrachtet werden, in der Form,
wie sie von zeitgenössischen buddhistischen Lehrern wie dem Dalai Lama oder Lama Ole
Nydahl vermittelt wird.13
Buddha hat ununterbrochen 45 Jahre gelehrt und seine Lehre umfasst im tibetischen
Kanon 108 Bücher.14 Er hat sehr detaillierte Erklärungen über den Weg zur Erleuchtung, die
Funktionsweise des Geistes und beinahe alle Aspekte des Lebens gegeben. Im Rahmen der
vorliegenden Arbeit kann nur ein sehr kurzer Überblick über die buddhistische Lehre gegeben
werden, der sich auf allgemein grundlegende Aspekte und für die weitere Arbeit wichtige
Inhalte beschränkt.
1.1 Das Leben des Buddha
Max WEBER hat Buddha als einen exemplarischen Propheten charakterisiert, da er durch sein
Beispiel den Weg zur Erlösung vorgelebt hat.15 Damit steht er im Gegensatz zum Heiland, der
seinen Anhängern den Zugang zum Paradies durch äußere Hilfe verspricht. Von
soziologischer Seite sind in dieser Beziehung zwei Zusammenhänge von Interesse. Zum einen
kann untersucht werden, welchen Einfluss Buddhas soziokultureller Herkunft auf sein Wirken
ausgeübt hat. Zum anderen kann vermutet werden, dass Buddha als exemplarischer Prophet
Menschen mit ähnlichem Hintergrund hinsichtlich Status und Lebenserfahrung besonders
ansprechen sollte. Dieser Verdacht kann in Bezug auf Bildung und eine von materiellen
Sorgen entlastete Kindheit an späterer Stelle bestätigt werden (vgl. Kap. 2.6 bzw. 2.8). Im
Folgenden will ich seine Lebensgeschichte kurz vorstellen.
Der spätere Buddha Śākyamuni wurde wahrscheinlich im 5. oder 6. Jahrhundert v.
Chr. in Lumbini im heutigen Nordindien unter dem Namen Siddhārta Gautama als Sohn
eines lokalen Kleinkönigs geboren.16 Nach seiner Geburt wurde seinen Eltern von einem
eine größere Offenheit und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema dazu geführt, dass die
beschriebenen Schwierigkeiten der verzerrten Darstellung viel seltener auftreten. Einige Gelehrte, wie z.B. der
Soziologieprofessor Coleman, können auf eine langjährige Meditationspraxis verweisen, und die Universitäten
stehen mit praktizierenden Buddhisten in einem engeren Austausch. In Kulturen, die mit dem Buddhismus
vertrauter sind, wie z.B. Indien oder Japan, ist ein falsches Verständnis ebenfalls viel seltener anzutreffen.
13
Ebenfalls eine große Bedeutung spielt das Charisma, mit welchem z.B. der Dalai Lama zu beeindrucken weiß
(mehr zu dem Thema in Kap. 4.2).
14
Vgl. Seegers, M.: Wissen über Meditation. Sichtweise und Meditation im Diamantweg-Buddhismus. Sulzberg
2002, S.34. Manfred Seegers ist autorisierter buddhistischer Lehrer in der Karma Kagyü Schule des tibetischen
Buddhismus und Autor mehrere buddhistischer Bücher.
15
Weber, M.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 2. 6. photomechanisch gedruckte Auflage Tübingen
1978b, S.268.
16
Zum genauen Geburtsjahr existieren verschiedene Theorien, siehe Schumann, H.W.: Der historische Buddha.
Leben und Lehre des Gotama. Köln Neuausgabe 1988, S.22-26; Keown S.24; Groner, P. (Übersetzer und Hrsg.):
10
Herunterladen