Typ 2 Diabetes - Österreichische Ärztezeitung

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Typ 2
2 -Typ
Glukosekristall
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S österreichische ärztezeitung Å 10 Å 25. mai 2006
DFP - Literaturstudium
Diabetes
Jeder Fünfte über 60-Jährige in Österreich leidet an einem Typ 2Diabetes, was statistisch gesehen die Lebenserwartung um sechs
Jahre verkürzt. Sozioökonomische Konsequenzen – Diabeter weisen
dreifach höhere Gesundheitskosten als Nicht-Diabetiker auf –
machen effiziente Behandlung und Prävention zu vorrangigen Zielen.
Von Bernhard Ludvik*
1. Aktuelle Entwicklungen
Die Inzidenz des Diabetes mellitus
Typ 2 zeigt auch in Österreich eine
deutliche Zunahme, wobei man davon ausgehen muss, dass fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung an einem Diabetes leiden. Bemerkenswert
ist auch die Tatsache, dass bei den
über 60-Jährigen bereits 20 Prozent
an Diabetes erkrankt sind. Dies ist insofern relevant, als zwei Drittel der
Diabetiker einen Herzinfarkt oder
Schlaganfall erleiden. Man kann davon ausgehen, dass das Vorliegen eines Diabetes mellitus die Lebenserwartung statistisch um sechs Jahre
verkürzt. Außerdem stellen Diabetiker heute die Population mit dem
höchsten Anteil an Neuzugängen zur
Nierenersatztherapie dar und weisen
dreifach höhere Gesundheitskosten
als Nichtdiabetiker auf. Das individuelle Schicksal der betroffenen Patienten und auch die sozioökonomischen
Konsequenzen machen daher die effiziente Behandlung und vor allem Prävention zu einem Gebot der Stunde.
Eine Reihe von hochqualitativ
durchgeführten Interventionsstudien
konnte in den letzten Jahren die Effizienz von Behandlungsstrategien hinsichtlich einer Senkung von Morbidität und Mortalität belegen. Es existieren somit erstmals klar definierte
Zielwerte für die Diabeteseinstellung
und die assoziierten kardiovaskulären
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Risikofaktoren. Nun liegt es an uns
Ärzten, gemeinsam mit den Patienten
diese Ziele zu erreichen. Im Folgenden soll ein Überblick über die derzeitig empfohlene Diabetestherapie
gegeben werden. Unabdingbar für die
Nachvollziehbarkeit und Internalisation von Behandlungsempfehlungen
ist jedoch die Kenntnis der Pathogenese.
2. Krankheitsbilder –
Pathogenese
Der klassische Diabetes mellitus
Typ 2 tritt überwiegend zusammen
mit dem Metabolischen Syndrom auf,
dessen Kriterien in Abbildung 1. 35
dargestellt sind. Es ist eine schleichende Erkrankung mit zwei wesentlichen Komponenten: der Insulinresistenz und dem obligaten Insulinsekretionsdefekt. Die Insulinresistenz ist die
Folge der viszeralen Fettverteilung.
Produkte der Adipozyten, sogenannte
Adipozytokine und freie Fettsäuren,
führen an der Muskel- und Fettzelle
zur Verminderung der Insulinempfindlichkeit. An der Leber, die das erste
Organ für die aus dem Einstrombereich der Pfortader antransportierten
Adipozytokine darstellt, kommt es
zur Erhöhung der Glukoseproduktion sowie morphologisch zur Steatose
bis hin zur nicht-alkoholischen Steatohepatitis (NASH). Kann die Insulinresistenz nicht mehr durch eine
Hypersekretion von Insulin kompensiert werden, steigt der Blutzucker
und verschlechtert zusätzlich die beiden Defekte durch die sogenannte
Glukotoxizität.
Betrachtet man den Verlauf der
Erkrankung (Abb. 2), wird klar, dass
im Anfangsstadium der Effekt der Insulinresistenz im Vordergrund steht,
während in späteren Stadien der Sekretionsdefekt überwiegt. Eine rationale Therapie wird sich daher an diesen Fakten orientieren. Die Assoziation mit dem Metabolischen Syndrom impliziert auch, dass der überwiegende Anteil der Typ 2-Diabetiker an Hypertonie und Hyper-/ Dyslipidämie leidet.
3. Wichtige Symptome
Die Entwicklung des Diabetes
mellitus Typ 2 verläuft schleichend
über viele Jahre über das Stadium der
gestörten Glukosetoleranz. Da die
Erkrankung jedoch schmerzfrei ist
und erst bei beträchtlicher Hyperglykämie Symptome wie Polyurie,
36/37
Polydipsie, Leistungsknick und gehäufte Infektionen zeigt, wird sie in
der Regel zu spät entdeckt.
Dies erklärt, warum sich sehr oft
beim neu diagnostizierten Diabetiker
bereits Spätschäden sowohl makrovaskulärer (Koronare Herzkrankheit)
als auch mikrovaskulärer (Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie)
Natur finden.
4. Diagnose
Definitionsgemäß besteht ein Diabetes mellitus ab einem Nüchternblutzucker von größer gleich 126
mg/dl gemessen aus dem venösen
Plasma beziehungsweise einem Wert
von über 200 mg/dl zwei Stunden
nach einem oralen Glukosetoleranztest (OGTT, 75 Gramm Glukose).
Dieser Test eignet sich auch zur Diagnose einer gestörten Glukosetoleranz, welche durch einen Blutzuckerwert zwischen 140 und 199 mg/dl
nach zwei Stunden definiert ist.
Bei Nüchternblutzuckerwerten
zwischen 110 und 125 mg/dl spricht
man von der gestörten Nüchternglukose. Prinzipiell ist anzumerken, dass
jeder venöse Nüchternblutzuckerwert über 100 mg/dl einer weiteren
Abklärung, etwa durch einen OGTT
bedarf, um Patienten mit einer erhöhten Diabetesgefährdung zu identifizieren.
Dazu gehören erstgradig Verwandte von Typ 2 Diabetikern, Frauen mit
Anamnese eines Schwangerschaftsdiabetes sowie Patienten mit einem
Metabolischen Syndrom. Diese
Gruppen sollten bereits vor dem 40.
Lebensjahr mittels Bestimmung des
Nüchternblutzuckers gescreent werden.
5. Differentialdiagnose
Während der Großteil der Diabetiker, vor allem jene mit einem Metabolischen Syndrom, an einem Typ 2
Diabetes leidet, darf man sekundäre
Diabetesformen (erbliche Syndrome,
endokrine Erkrankungen, Induktion
durch Medikamente), das späte Auftreten eines Typ 1-Diabetes (Patienten eher schlank, positiv für Antikörper) und Sonderformen wie den
MODY (maturity onset diabets in
the young, autosomal dominante
Vererbung) nicht außer Acht lassen.
Die Diagnose dieser Sonderformen
sowie die Therapie sollten in spezialisierten Zentren erfolgen.
6. Therapie
Die Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 orientiert sich an der Pathogenese und ist in den Leitlinien
der Österreichischen Diabetesgesellschaft (Abb. 3) festgelegt. Entsprechend dem vorherrschenden Defekt
wird anfangs die Insulinresistenz das
primäre Ziel darstellen. Hier kommen der Lebensstilmodifikation und
bei Versagen derselben Medikamenten mit insulinsensitivierender Wirkung eine wichtige Rolle zu. Da der
Diabetes jedoch eine progrediente
Erkrankung darstellt, wird die Therapie schließlich um Insulinsekretagoga und gegebenenfalls Insulin erweitert werden müssen.
6.1. Lebensstilmodifikation
und Schulung
Patienten mit Diabetes mellitus Typ
2 sind zumeist übergewichtig beziehungsweise adipös und weisen ein
atherogenes Lipidmuster (niedriges
HDL-Cholesterin, erhöhte Triglyzeride, kleine, dichte LDL-Partikel)
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Abb. 1
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auf. Ziel ist die Gewichtsnormalisierung (BMI unter 25 kg/m2), wobei
auch moderate Gewichtsreduktionen
eindrucksvolle Effekte auf kardiovaskuläre Risikofaktoren zeigen. Die Behandlung sollte stets aus einer Ernährungsintervention und einer Verstärkung der körperlichen Aktivität bestehen. Im Prinzip wird dem Patienten eine kalorienreduzierte (zum Beispiel
1.600 kcal/Tag), kohlenhydratmodifizierte (vermehrt langsam resorbierbare
Kohlenhydrate, niedriger glykämischer
Index) und fettreduzierte (gesättigte,
tierische Fette meiden zugunsten von
einfach- und mehrfach ungesättigten
Fetten) empfohlen. Plastisch lässt sich
diese Kostform mit einer mediterranen Diät beschreiben, wobei es aber
für den dauerhaften Erfolg unbedingt
notwendig ist, auf die individuellen
Nahrungspräferenzen des Patienten
einzugehen.
dem Erhalt beziehungsweise Aufbau
der Muskelmasse als wichtige Determinante der Glukoseaufnahme, wirkt
unterstützend bei der Gewichtsreduktion und verbessert unabhängig
davon das atherogene Lipidprofil. Eine ideale - weil jederzeit und überall
durchführbar - Variante ist das Nordic Walking.
Die verstärkte körperliche Aktivität ist ein nicht zu unterschätzender
Faktor in der Reduktion der Risikofaktoren. Empfohlen wird ein KraftAusdauertraining nach vorheriger
ärztlicher Untersuchung und unter
entsprechender Begleitung. Sie dient
Die Lebensstilmodifikation sollte
vor Beginn einer medikamentösen
Therapie eingeleitet werden und auch
bei medikamentöser Behandlung beibehalten werden. Wenn jedoch mit
diesen Maßnahmen das Ziel-HbA1c
von 6,5 Prozent beziehungsweise sie-
Besonders wichtig ist die Schulung
des Diabetikers über das Wesen und
die Gefährlichkeit der Erkrankung
und die Vermeidung von Spätschäden. Ebenso sind auch die Vermittlung der notwendigen Kenntnisse
über Ernährung und Bewegung sowie
die Fertigkeiten in der Blutzuckermessung und der Umgang mit Sondersituationen wie Krankheit, Sport,
Reisen von zentraler Bedeutung. Die
Schulung sollte strukturiert sein und
wird meist in Gruppen durchgeführt.
ben Prozent nicht erreicht wird, kommen orale Antidiabetika zum Einsatz.
6.2 Orale
antidiabetische Therapie
Prinzipiell ist anzumerken, dass die
oralen Antidiabetika mit Ausnahme
der Resorptionshemmer eine annähernd gleiche Wirksamkeit hinsichtlich der Blutzuckersenkung zeigen;
vorausgesetzt, sie werden entsprechend der Pathogenese, also dem vorherrschenden Defekt, eingesetzt. Im
Schnitt beträgt die Verbesserung des
HbA1c-Werts ein Prozentpunkt. Die
oralen Antidiabetika unterscheiden
sich jedoch nicht nur im jeweiligen
Angriffspunkt, sondern auch in Bezug auf zusätzliche, sogenannte pleiotrope Effekte.
Metformin
Metformin ist der First-Line-Standard der medikamentösen Therapie
für Typ 2-Diabetiker mit einem BMI
> 26 kg/m 2. In der UKPDS konnte
für Metformin eine signifikante Senkung von Myokardinfarkten und koronaren Todesfällen gegenüber (damals) konventioneller Therapie nach-
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Abb. 2
gewiesen werden. Seine Wirkung besteht in einer Verminderung der hepatischen Glukoseproduktion und Erhöhung der Insulinsensitivität. Reicht
Metformin allein für eine suffiziente
Einstellung nicht mehr aus, wird mit
einem Glitazon oder mit einem Sulfonylharnstoff kombiniert. Bei primärer
Metformin-Unverträglichkeit kann
auch ein Glitazon als First-Line-Monotherapie gegeben werden.
Die wichtigste Nebenwirkung von
Metformin ist die Laktatazidose, die
vor allem bei Patienten mit Niereninsuffizienz gefährlich werden kann. Eine Voraussetzung für die Einstellung
auf Metformin ist daher ein normales
Serumkreatinin. Dabei darf nicht
übersehen werden, dass das Serumkreatinin vor allem bei älteren Patienten die Nierenfunktion nicht unbedingt adäquat widerspiegelt. Hier
muss die Kreatininclearance bestimmt werden. Liegt diese unter 60
ml/min, sollte Metformin nicht mehr
eingesetzt werden. Vorsichtsmaßnahmen bestehen im Absetzen von Metformin vor Untersuchungen mit
Röntgen-Kontrastmitteln sowie vor
Operationen und bei schweren Er-
krankungen. Berücksichtigt man diese Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen, kann man Metformin
als sichere Substanz bezeichnen.
Glitazone
Glitazone (auf dem Markt sind
derzeit Pioglitazon und Rosiglitazon)
werden auch als Insulin-Sensitizer bezeichnet, da sie auf dem Weg über
den PPAR-γ-Rezeptor die Insulinsensitivität erhöhen. Weiters vermindern
sie die Lipolyse und damit die Freisetzung von freien Fettsäuren, was ebenfalls die Betazellfunktion verbessert.
Glitazone werden (abgesehen von der
primären Metformin-Unverträglichkeit) nur in Kombination mit anderen oralen Antidiabetika eingesetzt.
Die Kombination mit Insulin ist in
Europa nicht zugelassen. Neben ihrer
Hauptwirkung zeigen die Glitazone
auch günstige Effekte auf den Lipidstoffwechsel und daher eine antiatherogene Wirksamkeit, welche vor kurzem in der Proactive-Studie belegt
wurde. Die wichtigste – und nahezu
einzig relevante – Nebenwirkung ist
die Ödembildung, die bei sechs Prozent aller Patienten unter GlitazonMonotherapie vorkommt. Besteht ei-
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ne eingeschränkte linksventrikuläre
Funktion oder eine Herzinsuffizienz,
kann es nicht nur zur Ausbildung von
peripheren Ödemen, sondern auch zu
einem Lungenödem kommen; deshalb sind Glitazone bei Herzinsuffizienz streng kontraindiziert.
Resorptionshemmer
Die alpha-Glukosidaseinhibitoren
Acarbose und Miglitol agieren als
kompetitive Inhibitoren der AlphaGlukosidasen, die Oligosaccharide in
Monosaccharide hydrolysieren. Somit
kommt es zu einer Verzögerung der
Resorption komplexer Kohlenhydrate
mit verminderten postprandialen
Glukose- und Insulinspiegeln. Während die Acarbose als Pseudotetrasaccharid faktisch kaum resorbiert wird,
kommt es beim Pseudomonosaccharid Miglitol zu einer mehr als 90prozentigen Resorption und Ausscheidung über die Nieren.
In Verbindung mit einer Diät reich
an komplexen Kohlenhydraten bewirken Alpha-Glucosidaseinhibitoren
eine Verminderung des Nüchternblutzuckers im Schnitt um 24 mg/dl,
des postprandialen Blutzuckers
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um 54 mg/dl und des HbA1C um
0,5 bis 0,9 Prozent – je nach untersuchtem Kollektiv. Die auch in der
UKPDS dokumentierte hohe Rate an
Therapieabbrechern (61 Prozent nach
drei Jahren) erklärt sich aus dem gastrointestinalen Nebenwirkungsprofil
(Krämpfe, Meteorismus, Durchfall),
das durch einschleichende Dosierung
deutlich vermindert werden kann. Als
Vorteil findet sich ein neutraler bis
positiver Effekt auf die Entwicklung
des Körpergewichts. Bis auf einen
sehr selten beobachteten Transaminasenanstieg bei Acarbosemedikation
hat diese Substanzgruppe eine günstiges Risikoprofil. Der Einsatz dieser
Substanzgruppe liegt vor allem in der
medikamentösen first-line Monotherapie bei Typ 2-Diabetikern ohne
oder mit geringem Übergewicht
(BMI<27kg/m2).
Sulfonylharnstoffe
Sulfonylharnstoffe sind altbewährte Substanzen und haben auch heute
noch ihren Platz in der Stufentherapie des Typ 2-Diabetes. Ihr Wirkmechanismus besteht in einer Stimulation der Insulinproduktion. Als orale
Primärtherapie setzt man sie vor allem bei Patienten mit einem BodyMass-Index (BMI) unter 26 ein, da
bei diesen Patienten der Insulinsekretionsdefekt im Vordergrund steht. Bei
übergewichtigen Typ 2-Diabetikern
spielen Sulfonylharnstoffe in der
Kombinationstherapie immer dann
eine Rolle, wenn diese Patienten mit
Metformin oder Glitazon allein nicht
suffizient (also unter ein HbA1C von
7,0 Prozent) einzustellen sind.
Präferentiell sollten heute die
neueren Sulfonylharnstoffe Glimepirid und Gliclazid eingesetzt werden.
Sie zeichnen sich durch einen relativ
kurzen Insulinpeak nach Einnahme
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aus und weisen deshalb geringere Hypoglykämie-Raten auf. Im Gegensatz
dazu kam es unter älteren Sulfonylharnstoffen zu längeren Hyperinsulinämien mit dementsprechend auch
häufigeren und schwereren Hypoglykämie-Episoden.
dings Umstände, bei denen eine frühere Insulinisierung indiziert ist, zum
Beispiel passager bei Operationen,
Stress, Traumata oder Infektionen,
wenn der Blutzucker durch orale Antidiabetika nicht mehr beherrschbar
ist.
Im direkten Vergleich zeigt Gliclazid noch etwas weniger Hypoglykämien als Glimepirid. Außerdem
weist Gliclazid auch antioxidative
und Thrombozyten-aggregationshemmende Eigenschaften auf, deren
klinische Relevanz allerdings noch
unklar ist.
Auch ausgeprägte diabetische Spätschäden wie Mikroangiopathie, Retinopathie und Nephropathie sind ein
Kriterium für die frühzeitige Einleitung einer Insulinisierung, ebenso
nicht beherrschbare postprandiale
Blutzuckerspitzen. Vorteile hinsichtlich Mortalität, Spätschäden oder Lebensqualität bestehen durch eine frühere Insulinisierung nicht, vorausgesetzt, dass der Patient auch unter oralen Antidiabetika noch einstellbar gewesen wäre.
Glinide
Glinide (Repaglinid, Nateglinid)
wirken als Insulin-Releaser. Während
ihre Wirkung auf den Nüchterblutzucker nicht herausragend ist, wirken
sie sehr gut auf postprandiale Blutzuckerspitzen. Sie können deshalb bedarfsgerecht vor den Mahlzeiten eingesetzt werden. Wenn der Patient eine Mahlzeit auslässt oder keine relevanten Mengen an Kohlenhydraten
zu sich nimmt, sollte auch das Glinid
weggelassen werden. Aufgrund des
Wirkmechanismus ist abzuleiten, dass
die Hauptnebenwirkung auch bei
Gliniden in Hypoglykämien besteht,
die jedoch wegen der kurzen Wirkdauer nicht sehr ausgeprägt sind.
Insulin
Insulin kommt bei Typ 2-Diabetikern dann zum Einsatz, wenn das
HbA 1C mit oralen Antidiabetika
nicht mehr unter 7,0 Prozent zu halten ist. Das kann bei manchen Patienten nach Jahrzehnten eintreten,
bei anderen schon nach wenigen Monaten.
Grundsätzlich ist das Kriterium die
Stoffwechselkontrolle. Es gibt aller-
Als Problem der Einstellung tritt
nicht selten eine Gewichtszunahme
ein. Von den oralen Medikamenten
wird beim übergewichtigen Patienten
Metformin zumeist auch nach der Insulineinstellung weiter gegeben, da
sich damit Insulin sparen und die Gewichtszunahme reduzieren lässt; außerdem erleichtert Metformin die
Blutzuckereinstellung.
Nicht-Übergewichtige (die primär
oft auf Sulfonylharnstoffe eingestellt
werden) brauchen aufgrund ihres Sekretionsdefekts meist früher Insulin
als andere. Bei solchen Patienten
muss man auch daran denken, dass es
sich um einen LADA („late autoimmune diabetes in adults“) handeln
könnte, also einen spät aufgetretenen
Typ 1-Diabetes. In diesen Fällen sollten immer GAD-Antikörper (Antikörper gegen Glutamat-Dekarboxylase) und Insulin-Autoantikörper bestimmt werden. Sind diese positiv, so
liegt ein LADA vor.
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Bei der Insulintherapie unterscheidet man folgende Optionen, wobei
Metformin bei übergewichtigen Patienten prinzipiell belassen wird:
Basalinsulin-unterstütze orale
Antidiabetikatherapie (BOT): Für
diese Form wird bei abendlicher Verabreichung des Basalinsulins auch der
Terminus bed-time Insulintherapie
verwendet. Unter Beibehaltung der
oralen Antidiabetikatherapie – zumeist Metformin und Sulfonylharnstoffe – wird einmal täglich ein langwirkendes Insulin verabreicht.
Der Zeitpunkt der Verabreichung
des langwirkenden Insulins/Insulinanalogons richtet sich nach dem Blutzuckerprofil. So wird sich bei hohem
Nüchternblutzucker eine abendliche
Insulingabe empfehlen, sodass die
orale Therapie auf Basis eines niedrigen Morgenblutzuckers über den Tag
seine Wirkung entfalten kann. Bei
langwirksamen Analoga hat sich gezeigt, dass die morgendliche einer
abendlichen Gabe mitunter bezüglich
der Diabeteskontrolle überlegen ist.
Natürlich entscheidet der Lebensstil des Patienten ebenfalls über den
Zeitpunkt der Insulinapplikation.
Die Basalinsulin-unterstützte orale
Antidiabetikatherapie eignet sich vor
allem bei vorhandener Betazellrestfunktion zumindest über einige Zeit
und erlaubt, den Patienten allmählich
an die volle Insulinsubstitution heranzuführen.
Prandiale Insulintherapie: Dieses
Schema kommt bei Patienten mit
niedrigem Nüchternblutzucker und
hohen postprandialen Spiegeln zum
Einsatz, wobei meist Metformin - vor
allem bei Übergewicht - beibehalten
wird. Zu den Hauptmahlzeiten wird
ein kurzwirksames Insulin bezie-
42/43
hungsweise Insulinanalogon verabreicht.
Konventionelle Insulintherapie:
Die zweimalige Verabreichung eines
Mischinsulins beziehungsweise Analogons war lange Zeit die gebräuchlichste Insulintherapie und deckt sowohl den basalen wie auch den prandialen Insulinbedarf ab. Ein Nachteil
besteht in der Hypoglykämieneigung
zu Mittag und dem Anstieg des Blutzuckers am Nachmittag auf Grund
des Wirkverlusts des Insulins. Eine
Steigerung der morgendlichen Insulindosis ist zumeist nicht möglich, da
es dann mittags zu Hypoglykämien
kommt.
Intensiviert konventionelle Insulintherapie: Sie besteht in der dreimaligen Verabreichung eines Mischinsulins, vor allem aber eines Mischanalogons. Somit wird durch die
Insulinapplikation mittags der Insulinbedarf am Nachmittag abgedeckt.
Alternativ kann man Basal- und
Prandialinsulin getrennt verabreichen. Hier erfolgt eine einmal (langwirksames Analogon) oder zweimal
(Verzögerungsinsulin) tägliche Basalinsulin-Verabreichung in Kombination mit einer prandialen Gabe. Der
Patient muss zwar vier bis fünf Insulininjektionen an drei Zeitpunkten
vornehmen; dieses Schema erlaubt jedoch eine große Flexibilität und ermöglicht eine gute Stoffwechseleinstellung.
Funktionelle
Insulintherapie
(FIT) oder Basal-Bolusinsulintherapie (BBIT): Diese Form stellt den
Standard der Insulintherapie beim
Typ1-Diabetiker dar, da sie eine enge
Blutzuckerkontrolle und große Flexibilität bezüglich des Zeitpunkts und
der Menge der Kohlenhydrataufnahme erlaubt – allerdings um den Preis
eines größeren Aufwands. Die Verabreichung des prandialen Insulins erfolgt nach genau ermittelten Algorithmen, wobei auch Schemata zur
Korrektur von Blutzuckerwerten außerhalb des definierten Zielbereichs
in die Ermittlung der Insulindosis
eingehen. Mit dieser Therapie kann
bei entsprechendem Engagement des
Patienten eine nahezu normoglykämische Stoffwechseleinstellung erreicht werden. Diese Therapie kann
durchaus auch bei aktiven Typ 2-Diabetikern eingesetzt werden.
Therapie nach Stufenplan
Einen Überblick über den therapeutischen Stufenplan, der im Folgenden beschrieben wird und an die
Leitlinien der Österreichischen Diabetesgesellschaft angepasst ist, gibt
Abb. 3. (siehe S. 44) Grundsätzlich
gilt ein HbA 1C-Grenzwert von 6,5
Prozent. Ab einem HbA 1C von 7,0
Prozent muss therapeutisch interveniert werden. Diese besteht zunächst
darin, die Basistherapie einzuleiten,
die für jeden Diabetiker gilt und aus
den Elementen richtige Ernährung,
Gewichtsreduktion, Schulung und
Bewegung besteht.
Ist das HbA1C nach drei Monaten
noch immer ≥ 7,0 Prozent, hängt das
weitere Vorgehen vor allem vom BMI
ab. Ist der BMI größer als 26kg/m 2,
beginnt man – unter Einhalten der
Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen – eine Monotherapie
mit Metformin. Falls Kontraindikationen gegen Metformin bestehen,
kann alternativ ein Glitazon (in diesem Fall auch als Monotherapie) oder
ein Sulfonylharnstoff eingesetzt werden. Ist der BMI kleiner als 26kg/m2,
beginnt man primär mit einer Sulfonylharnstoff-Monotherapie. Zusätzliche therapeutische Optionen
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sind in diesem Stadium AlphaGlukosidasehemmer und Glinide.
Ist nach weiteren drei Monaten das
HbA 1C immer noch ≥ 7,0 Prozent,
versucht man primär, ein zweites orales Antidiabetikum dazuzugeben. Ist
die Primärtherapie Metformin, kommen dafür Glitazone, Alpha-Glukosidase-Hemmer, Sulfonylharnstoffe
und Glinide in Frage. Bei primärer
Sulfonylharnstoff-Therapie sind die
Optionen Metformin, Glitazone und
Alpha-Glukosidase-Hemmer.
Neu zugelassen ist auch die Tripeltherapie mit Rosiglitazon, Metformin
(Avandamet) und einem Sulfonylharnstoff. Alternativ dazu kann unter
Umständen auch in diesem Stadium
bereits Insulin dazugegeben oder ganz
auf eine Insulintherapie umgestellt
werden. Ist nach drei weiteren Monaten das HbA1C noch nicht im Zielbereich, wird man in der Regel auf Insulin umstellen. Selbstverständlich
müssen Blutdruck (Ziel: unter
130/85 mm Hg) und Lipide (Ziel:
LDL-Cholesterin unter 100 mg/dl,
HDL-Cholesterin bei Männern über
40, bei Frauen über 50 mg/dl) konse-
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quent behandelt werden. Vor allem
bei Vorliegen vaskulärer Komplikationen ist eine Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern (100 mg
Acetylsalicylsäure, bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeit Clopidogrel) Standard.
7. Fallgruben bei
Diagnose und Therapie
Während die Diagnose des Diabetes mellitus Typ 2 kaum Schwierigkeiten macht, da er sich zumeist im Kontext mit dem Metabolischen Syndrom
entwickelt, stellt die Therapie mitunter eine große Herausforderung an
Patienten und Arzt. Wie kaum eine
zweite Krankheit ist der Arzt bei der
Behandlung des Typ 2-Diabetes auf
die Mitarbeit des Patienten angewiesen. Diese gestaltet sich umso leichter, je besser der Patient um das Wesen und die Gefährlichkeit der Erkrankung informiert wird. Besonders
wichtig ist es jedoch, auf die Fähigkeiten (intellektuell, körperlich) und
die jeweiligen Gewohnheiten (Lebensstil) und Präferenzen (Ernährung) des Patienten einzugehen.
Denn alle Leitlinien helfen nichts,
wenn man die Therapie nicht auf den
einzelnen Patienten maßschneidert –
das ist die eigentliche Herausforderung in der Diabetesbetreuung.
*) Ao. Univ. Prof. Dr. Bernhard Ludvik,
Universitätsklinik für Innere Medizin
III/Klinische Abteilung für Endokrinologie und
Stoffwechsel
Währinger Gürtel 18-20, 1090 Wien;
Tel. 01/40 400/43 64; Fax-DW: 4364;
E-mail: [email protected]
Lecture board :
Univ. Prof. Dr. Fritz Hoppichler,
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder
Salzburg/Interne Abteilung
Univ. Prof. Dr. Monika Lechleitner,
Krankenhaus Hochzirl/Interne Abteilung
Univ. Prof. Dr. Hermann Toplak,
Medizinische Universität Graz/Leiter der
Ambulanz für Diabetes und
Stoffwechselerkrankungen, Universitätsklinik
für Innere Medizin
Herausgeber:
Universitätsklinik für Innere Medizin III/
Klinische Abteilung für Endokrinologie und
Stoffwechsel AKH Wien
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www.arztakademie.at/ls
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