Zur Genetik und Pathogenese des Morbus Parkinson

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M E D I Z I N
AKTUELL
Olaf Riess1
Rejko Krüger2
Ludger Schöls2
Siegfried Kösel3
Manuel B. Graeber4
Zur Genetik
und Pathogenese des
Morbus Parkinson
ZUSAMMENFASSUNG
Der Morbus Parkinson (MP) gilt im allgemeinen als eine
sich spät manifestierende Erkrankung, die sporadisch
auftritt. Die kürzlich gelungene Identifizierung der genetischen Ursachen einiger familiärer Formen des MP erlaubt
folgende Rückschlüsse: Neben den häufigen sporadischen
Formen gibt es autosomal dominante und autosomal rezessive Erbgänge. Beim MP handelt es sich um eine heterogene Erkrankungsgruppe. Vier Genorte für den MP
wurden bereits chromosomal kartiert, und für drei genetisch bedingte Unterformen konnten erste Mutationen
identifiziert werden. Bei den häufigen sporadischen For-
men handelt es sich wahrscheinlich
um eine polygene Erkrankungsgruppe, bei der eine genetische Konstellation mehrerer
Genloci zu einer erhöhten Empfänglichkeit gegenüber der
Erkrankung führt. Die Charakterisierung der genetischen
Grundlagen des MP ermöglicht ein tieferes Verständnis
der Pathogenese der Erkrankung und wird möglicherweise bei der Entwicklung künftiger Therapiestrategien hilfreich sein.
Schlüsselwörter: Morbus Parkinson, Parkin-Gen,
a-Synuklein, Synukleinopathie
Parkinson’s Disease:
Genetic Background and Pathogenesis
Parkinson’s disease (PD) is a disorder with late manifestations which commonly presents as a sporadic disease.
However, some PD families showing autosomal dominant
(ADPD) or autosomal recessive (ARPD) inheritance have
been identified and the disease gene has been mapped in
four different subtypes. The disease causing mutations have
been identified in three subgroups: in the a-synuclein and
the UCHL1 gene in ADPD, respectively, and in the parkin
gene in ARPD. This indicates that PD represents a hetero-
geneous group of disorders with similar clinical
symptoms. The common sporadic isoforms are
most likely caused by additive or synergistic effects of more
than one gene including polymorphisms in so-called susceptibility alleles. The characterization of the genetic causes of
PD will not only lead to an increased knowledge on the
pathogenesis of the neurodegenerative process but most
likely also influence the development of therapeutic strategies
which are targeted to specific isoforms.
Key words: Parkinson’s disease, parkin gene, a-synuclein,
synucleinopathy
D
er idiopathische Morbus
Parkinson (MP) ist klinisch
durch die Kardinalsymptome einer akinetisch-rigiden Bewegungsstörung, eines fakultativen
(Ruhe-) Tremors sowie reduzierte
Stellreflexe charakterisiert. Darüber
hinaus kommt es im Krankheitsverlauf zu kognitiven, emotionalen und
vegetativen Veränderungen. Die klinische Symptomatik ist zumindest
in den ersten Jahren mit der Gabe
von L-Dopa gut beeinflußbar, unterliegt jedoch starken individuellen
Schwankungen. In sehr unterschiedlichem Maße kommt es im Verlauf
der Erkrankung zu Komplikationen
wie Fluktuationen der Beweglichkeit und medikamentös induzierten
Psychosen.
Neben dem idiopathischen Morbus Parkinson werden eine Reihe
von anderen Parkinson-Syndromen
abgegrenzt. Man kennt den postenzephalitischen, durch Neurolepti-
SUMMARY
ka induzierten, metabolischen oder
toxischen Parkinsonismus. Außerdem weisen klinische Zeichen wie supranukleäre Blicklähmung, orthostatische Dysregulationen, zerebelläre
Symptome, Pyramidenbahnzeichen
oder Kontinenzprobleme auf eine
Verwandtschaft zur Erkrankungsgruppe der Multisystematrophien
hin (Tabelle 1). Diese klinischen Zeichen weisen aber andere pathologische Charakteristika und Verläufe
auf (17).
1 Abteilung für Medizinische Genetik (Direktor: Prof. Dr. med. Olaf Riess), Universitätskinderklinik Rostock
2 Abteilung für Medizinische Genetik und
Neurologie (Direktor: Prof. Dr. med. Horst
Przuntek), Ruhr-Universität, Bochum
3 Institut für Neuropathologie (Direktor: Prof.
Dr. med. Parviz Mehraein), Klinikum Grosshadern, München
4 Abteilung Neuromorphologie (Direktor: Prof.
Dr. med. Georg Kreutzberg), Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Pathologie
Die klinische Symptomatik des
MP wird durch einen ausgeprägten
Zelltod neuromelaninhaltiger Neurone in der Pars compacta der Substantia
nigra hervorgerufen (mehr als 50prozentiger Verlust), der zum Dopaminmangel im Striatum führt. Andere dopaminerge Systeme sind ebenfalls beeinträchtigt. Neuropathologisch gilt
der Nachweis von intrazytoplasmatischen neuronalen Einschlüssen, den
sogenannten Lewy- Körperchen (LK),
in der Substantia nigra als erforderlich
für die definitive Diagnose. LK findet
man außerdem im Locus coeruleus,
dem Nucleus basalis, Hypothalamus,
dem zerebralen Kortex, kranialen Motoneuronen und zentralen und peripheren Anteilen des autonomen Nervensystems. In den LK sind zahlreiche
Proteine angehäuft, unter anderem
Neurofilament und Ubiquitin. LK sind
für den MP nicht spezifisch. Bei bis zu
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 43, 29. Oktober 1999 (43) A-2739
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25 Prozent der klinisch diagnostizierten MP-Patienten lassen sich neuropathologisch keine LK nachweisen. Dies
macht deutlich, daß die derzeit verbreitete Definition des Morbus Parkinson einen vorläufigen Charakter
hat. Es ist zu erwarten, daß ein verbessertes Verständnis der genetischen
Grundlagen und letztlich der Pathophysiologie des MP zu einer neuen
Klassifikation der heute unter dem
Begriff MP beziehungsweise der klinisch als Parkinsonismus subsumierten Erkrankungen führen wird.
Grafik 1
Prävalenz und Erbgang
Nach der Alzheimerschen Erkrankung ist der MP die zweithäufigste neurodegenerative Krankheit des
Menschen. Die Prävalenz des MP ist
altersabhängig und beträgt 1,4 Prozent bei den 55jährigen, etwa 2,0 Prozent bei den 65jährigen und 3,4 Prozent bei den 75jährigen. Mit der Zunahme der allgemeinen Lebenserwartung in den Industrieländern (Grafik
1) ist daher mit einem Anstieg der
Prävalenz des MP zu rechnen. Die
Zahl der über 65jährigen wird im Jahre 2 025 auf etwa 800 Millionen (zehn
Prozent der Weltbevölkerung) angestiegen sein (1997: 390 Millionen).
Pathogenese
Die Ätiologie des MP ist unklar.
Es werden Umweltfaktoren und sowohl nukleäre als auch mitochondriale
Gendefekte diskutiert, die allein oder
in Kombination für die Symptomatik
verantwortlich sein können. Eine intensive Suche nach „Umweltgiften",
die möglicherweise für die Pathogenese des MP relevant sind, hat bisher
nicht zu eindeutigen Ergebnissen geführt. Auch genetische Ursachen für
den MP wurden lange Zeit kontrovers
diskutiert. Dabei sollte man jedoch
nicht vergessen, daß bei der überwiegenden Mehrzahl der MP-Patienten eine komplexe Erkrankung mit polygenem Erbgang oder auch multifaktorielle Ursachen zugrunde liegen. Ein
Erbgang ist daher oft nur schwer definierbar. Allerdings wurden in den letzten Jahren einige größere ParkinsonFamilien mit autosomal dominantem
a
b
Entwicklung der Altersstruktur der Weltbevölkerung (laut WHO, http://www.who.org/whr/1998/whr-en.htm)
bis zum Jahre 2025 (b) im Vergleich zu 1997 (a). Die Zunahme des Anteils der über 65jährigen wird eine starke Zunahme der Zahl der Parkinson-Patienten (in Deutschland zirka um den Faktor 4) zur Folge haben.
beziehungsweise rezessivem Erbgang
beschrieben, die die obengenannten
Kriterien eines idiopathischen Morbus
Parkinson erfüllen. Diese ermöglichten eine Kartierung der betroffenen
Genorte im menschlichen Genom.
Molekulargenetische
Grundlagen des familiären
Morbus Parkinson
Bisher konnten vier Genorte für
den MP identifiziert werden (Tabelle
2). Diese wurden der zeitlichen Reihenfolge ihrer chromosomalen Lokalisation nach mit PARK1, 2, 3 und 4
A-2742 (46) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 43, 29. Oktober 1999
bezeichnet; der Vererbungsmodus
wird dabei nicht berücksichtigt. Es ist
bereits jetzt erwiesen, daß es weitere
Genorte für den MP geben muß.
PARK1
1996 war es erstmals gelungen,
einen Genort für eine autosomal
dominante Form des MP mit Hilfe
eines großen italienisch-amerikanischen Stammbaumes auf dem langen
Arm von Chromosom 4 zu lokalisieren (25). In dieser Region war bereits
das Gen a-Synuklein kartiert worden, dessen Produkt als Bestandteil
von Alzheimer-Plaques bekannt war.
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Tabelle 1
Differentialdiagnose des Morbus Parkinson
Diagnose
Charakteristika
Genetik
Morbus Huntington
Westphal-Variante
früh beginnendes PS häufig mit
Demenz, positive Familienanamnese
für Bewegungsstörung
autosomal dominant; CAG-RepeatExpansion im Huntington-Gen
Machado-Joseph-Erkrankung (MJD)/
Spinozerebelläre Ataxie Typ 3
Subphänotypen I oder IV
Ataxie, Dysarthrie, zerebelläre
Okulomotorikstörung, bei Typ 1
auch Dystonie und Spastik
autosomal dominant; CAG-RepeatExpansion im MJD1-Gen
Morbus Wilson
Beginn vor dem 50. Lebensjahr;
Kupferausscheidung im 24-Std.-Urin
erhöht; erniedrigtes Coeruloplasmin
im Serum
autosomal rezessiv; kupferbindende
ATPase (ATB7B-Gen)
Dopamin sensitive Dystonie
(Segawa-Syndrom)
Dystonie; früh beginnendes PS
autosomal dominant: GTPCyclohydrolase-I-Gen; autosomal
rezessiv: Tyrosinhydroxylase-Gen (?)
Parkinson-Dystonie-Syndrom
nur auf den Philippinen beschrieben;
schlechtes Ansprechen auf L-Dopa
X-chromosomal rezessiv; Xq13.1
familiärer Tremor
überwiegend Haltetremor; häufig
alkoholsensitiv
autosomal dominant; 3q13; 2p22–p25
frontotemporale Demenz mit
Parkinsonismus (Morbus Pick)
PS mit früh einsetzender Demenz;
schlechtes Ansprechen auf L-Dopa;
fakultativ Spastik und Amyotrophie
autosomal dominant; 17q21–q22
(Tau-Gen)
diffuse Lewy-KörperchenErkrankung
Parkinson-Demenz-Komplex
autosomal dominant; sporadisch?
Multisystematrophie
Olivo-ponto-zerebelläre Atrophie;
PS mit vegetativer Störung und zerebellärer Beteiligung beziehungsweise Spastik; nur geringe Besserung auf L-Dopa;
charakteristische Neuropathologie
sporadisch
progressive supranukleäre Blickparese (PSP; Steele-RichardsonOlszewski-Syndrom)
Beginn nach dem 40. Lebensjahr;
vertikale Blickparese nach unten;
Frontalhirnzeichen
sporadisch
kortiko-basale Degeneration
Apraxie; Dystonie; alien hand syndrome; sporadisch
mangelhaftes Ansprechen auf L-Dopa
toxisch bedingtes Parkinson-Syndrom
MPTP, Pb, Mn, CO und andere
keine
entzündliches Parkinson-Syndrom
postenzephalitisch; AIDS-Enzephalopathie; selten bei MS, SLE
keine
vaskuläres Parkinson-Syndrom
Stammganglieninsult(e); SAE
keine
medikamentöses Parkinsonoid
Dopaminantagonisten, Flunarizin
und andere
keine
Pseudo-Parkinson-Syndrome
Normaldruckhydrozephalus
frontale Tumoren
Boxer-Enzephalopathie
keine
PS, Parkinson-Syndrom; SAE, subcortical arteriosclerotic encephalopathy;
MPTP, 1-Methyl-4-phenyl-1,2,3,6-tetra-hydropyridin; PSP, progressive supranuclear palsy
A-2744 (48) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 43, 29. Oktober 1999
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Die Suche nach Mutationen im a-Synuklein-Gen von MP-Patienten ergab
eine Missense-Mutation (Grafik 2),
welche zu einer Aminosäuresubstitution von Alanin zu Threonin an der
Position 53 (Ala53Thr) des Proteins
führt (26). Wir konnten eine weitere
Mutation (Ala30Pro) in einer deutschen Familie mit autosomal dominantem Erbgang nachweisen (14).
Immunhistochemische Untersuchungen zeigten, daß a-Synuklein ein wesentlicher Bestandteil der LK ist (27)
(Abbildung), aber daß es auch im Gehirn von Patienten mit Multisystematrophie, bei Demenz mit LK-Pathologie und bei der LK-Variante der
Alzheimer-Erkrankung (siehe oben)
vorkommt (29, 30). Der Zusammenhang zwischen a-Synuklein-Anhäufung, LK-Pathologie und selektivem
Zelltod in der Substantia nigra ist
nach wie vor ungeklärt. a-Synuklein
kommt auch im Gehirn von Patien-
dert (11). Interessanterweise kommt
es bei der Koexpression von a-Synuklein mit dem interagierenden Protein Synphilin-1 in Zellkultur zu eosinophilen zytoplasmatischen Inklusionen (5). Insgesamt unterstützen
die biochemischen Analysen eine
Rolle von a-Synuklein in der Pathogenese des MP.
nen (Grafik 3). Erste Hinweise für
das Vorkommen von Mutationen im
Parkin-Gen wurden auch bei europäischen Patienten mit frühem Erkrankungsalter gefunden (20). Das
Parkin-Protein hat am aminoterminalen Ende Ähnlichkeiten mit Ubiquitin, die Funktion ist jedoch noch
nicht bekannt.
PARK2
PARK3
In der japanischen Bevölkerung
wurde eine autosomal rezessive Form
eines sich früh manifestierenden Parkinsonismus beschrieben, dessen pathologisches Merkmal eine selektive
Degeneration dopaminerger Neurone der Zona compacta der Substantia
nigra ist. Die Erkrankung beginnt typischerweise vor dem 40sten Lebensjahr mit Rigidität, Tremor, Bradykinesie, Standunsicherheit und milder
Fußdystonie. Sie hat einen milden
In drei deutschen Familien und
einer dänischen Parkinson-Familie
mit autosomal dominantem Erbgang
konnte kürzlich ein Genort (PARK3)
auf dem kurzen Arm von Chromosom
2 (2p13) identifiziert werden (7). Das
entsprechende Gen konnte bisher
noch nicht isoliert werden. Dieser Genort ist aus mehreren Gründen besonders interessant. Zum einen scheint
die Penetranz der Mutation nur etwa
40 Prozent zu betragen, das heißt nur
Tabelle 2
Chromosomale Lokalisation der Genorte des Morbus Parkinson
Genort
Chromosomale
Lokalisation
Vererbungsmodus
Kandidatengen
Mutationstyp
Lewy-KörperPathologie
PARK1
4q21–23
autosomal dominant
a-Synuklein
Punktmutationen
Ja
PARK2
6q25–27
autosomal rezessiv
Parkin
Deletionen und Punktmutationen
Nein
PARK3
2p
autosomal dominant
Nicht bekannt
Nicht bekannt
Ja
PARK4
4p15
autosomal dominant
UCHL1 (?)
Punktmutation (?)
Ja
ten mit sporadischem MP vor, bei
denen keine Mutationen im a-Synuklein-Gen nachgewiesen werden
konnten (14).
a-Synuklein wurde als Bestandteil von Synaptophysin-immunoreaktiven präsynaptischen axonalen
Endigungen identifiziert, was auf
seine Funktion im synaptischen Vesikeltransport schließen lassen könnte. Mutationen im a-Synuklein-Gen
beeinträchtigen die Struktur dieses
normalerweise ungefalteten Proteins. Sowohl a-Synuklein mit der
Ala30Pro als auch der Ala53Thr Mutation kann mit sich selbst aggregieren und formt amyloidähnliche Filamente (3). Darüber hinaus ist die
Bindung von mutiertem a-Synuklein
an neuronale Vesikel stark vermin-
Verlauf und spricht sehr gut auf die
Gabe von L-Dopa an. Häufig und
frühzeitig werden durch L-Dopa induzierte Dyskinesien und eine Abnahme der Symptomatik nach dem
Schlaf beobachtet. Die Neuropathologie ähnelt der des klassischen MP;
LK fehlen jedoch.
Der Genort für diese Form des
Parkinsonismus wurde auf dem
Chromosom 6 des Menschen lokalisiert (21) und PARK2 genannt. Aus
dieser chromosomalen Region wurde
ein Gen isoliert (12), welches bei einigen der juvenilen japanischen Patienten homozygote Deletionen aufwies (Tabelle 2). Eine intensive Suche
nach weiteren Mutationen ergab, daß
auch Punktmutationen für die Erkrankung verantwortlich sein kön-
40 Prozent der Mutationsträger entwickeln im Laufe ihres Lebens die Erkrankung. Daher könnte dieser Genort auch für die sporadischen Formen
des MP relevant sein. Das durchschnittliche Erkrankungsalter in diesen Familien wird mit etwa 59 Jahren
(45 bis 82 Jahre) angegeben. Neuropathologisch wurden neuronaler Zellverlust, Gliose und Lewy-Körper gefunden.
PARK4
Abgesehen von den wenigen
größeren MP-Stammbäumen, die für
genetische Kopplungsanalysen bei
der Identifizierung neuer Genorte
erforderlich sind, verfolgt man gegenwärtig die Strategie der Mutati-
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 43, 29. Oktober 1999 (49) A-2745
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AKTUELL
onsanalyse von Kandidatengenen,
die in den Prozeß der Krankheitsentstehung involviert sein könnten. So
konnte die Gruppe von Dr. Polymeropoulos (NIH) einen Aminosäureaustausch (Ile93Met) im Gen für
die Ubiquitin-carboxyterminale Hydrolase L1 (UCHL1) in einer deut-
Mitochondriale Formen
Seit einigen Jahren gibt es zunehmend Hinweise, daß Mutationen
im mitochondrialen Genom für eine
Untergruppe von Parkinson-Patienten von Bedeutung sein können (8,9).
Im Jahre 1983 hatten Langston und
Grafik 2
A3OP
A53T
KTKEGV-Motiv
NAC
Schematische Darstellung der Punktmutationen im a-Synuklein-Gen in Familien mit autosomal dominant vererbtem Parkinson-Syndrom.
schen Familie identifizieren (19).
Die Erkrankung begann bei beiden
betroffenen Geschwistern etwa im
50sten Lebensjahr mit Ruhetremor.
In der Folgezeit entwickelten sich
Rigidität, Bradykinesie sowie Standunsicherheit. Die Symptome besserten sich unter der Gabe von LDopa. Der transmittierende Vater
als Überträger des Gendefekts war
unauffällig, was auf eine unvollständige Penetranz der Mutation
schließen läßt. Biochemisch führt die
Ile93Met-Substitution zu einer etwa
50prozentigen Reduktion der katalytischen Aktivität des Enzyms (19),
das auch in LK nachgewiesen werden konnte (Überblick in 24). Mutationen im UCHL1-Gen scheinen jedoch sehr selten zu sein. Bei mehr als
300 deutschen Parkinson-Patienten
konnten wir keine Mutation nachweisen. Darüber hinaus wurde kürzlich der Genort einer autosomal dominanten MP-Familie in die chromosomale Region 4p15 kartiert (6),
Mutationen in der kodierenden Region des UCHL1-Gens wurden jedoch ausgeschlossen. Klinisch besonders wichtig ist die Tatsache, daß
in einem Familienzweig dieses Parkinson-Stammbaumes ein dominant
vererbter isolierter Tremor auftritt.
Derzeit ist noch offen, ob Mutationen im UCHL1-Gen zum MP
führen. Ein weiterer Genort auf dem
kurzen Arm des Chromosom 4 ist
aber gesichert.
Mitarbeiter die Beobachtung gemacht,
daß ein Neurotoxin mit der Bezeichnung MPTP (1-Methyl-4-phenyl1,2,3,6-tetra-hydropyridin) bei Primaten ein dem MP ähnliches Syndrom
auslöst. Später wurde bekannt, daß
dieses Toxin den Komplex I der in
den Mitochondrien lokalisierten Atmungskette inhibiert. Diese Befunde
haben große Aufmerksamkeit gefunden, weil mehrere Gruppen unabhängig voneinander einen sowohl der
Hirnregion als auch einen krankheitsspezifischen funktionellen Defekt des
Komplexes I der Atmungskette in der
Substantia nigra von Parkinson-Pati-
enten nachweisen konnten. Neben
der ATP-Produktion dient die Atmungskette dem Abbau reaktiver
Stoffwechselmetabolite. Solche Radikale entstehen bei der Dopaminsynthese in der Substantia nigra bereits
unter physiologischen Bedingungen
in besonders großer Menge. Man
schätzt, daß zwischen 10 und 30 Prozent aller Parkinson-Patienten einen
Defekt des biochemischen Komplexes I aufweisen (AHV Schapira, Kyoto,
November 1998). Die Seltenheit der
maternalen Vererbung des MP (28)
spricht nicht grundsätzlich gegen eine
mitochondriale Genese der Krankheit, da ein maternaler Erbgang
auch bei klassischen mitochondrialen
Krankheiten fehlt (LHON, MELAS
und MERFF) (siehe Glossar). Derzeit
erscheint es am wahrscheinlichsten,
daß bei MP mitochondriale Mutationen vorwiegend eine unterstützende
Wirkung haben (Erhöhung der Suszeptibilität). Es laufen mehrere Studien, die das Ziel einer kompletten Sequenzierung des mitochondrialen Genoms bei einer größeren Zahl von
Parkinson-Patienten haben (13).
Sporadische Formen
Es kann als sicher gelten, daß ein
großer Anteil der MP-Fälle durch polygene beziehungsweise multifaktorielle Ursachen bedingt ist. Molekulargenetische Untersuchungsmethoden
Abbildung: Lewy-Körper (LK) (Pfeile) in Nervenzellen der Substantia nigra eines 76jährigen männlichen Patienten mit idiopathischem Morbus Parkinson. Das linke Photo zeigt das klassische Erscheinungsbild eines LK in
der HE-Färbung. Die Zellkerne sind blau gefärbt. In der rechten Abbildung ist insbesondere der Hof eines LK
stark für a-Synuklein positiv (blau-schwarze immunzytochemische Markierung). Die Zellkerne sind in dieser
Abbildung rot gegengefärbt (Kernechtrot). N, Nervenzelle. Vergrößerung: zirka um den Faktor 1 000.
A-2746 (50) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 43, 29. Oktober 1999
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leisten auch hier einen Beitrag zur
Aufklärung der Pathogenese. Hierbei
bedient man sich sogenannter Assoziationsstudien, bei denen die Häufigkeit von Polymorphismen in Kandidatengenen in einer Gruppe von Patienten mit der von Kontrollpersonen verglichen wird. Letztendlich definiert
man für den Träger eines Allels oder
einer Kombination von Allelen ein relatives Risiko, die Erkrankung zu bekommen.
Die Symptomatik des MP beruht
im wesentlichen auf einer gestörten
dopaminergen
Signaltransduktion
innerhalb des nigrostriatalen Systems. Insofern stellen Gene, welche
Proteine aus den Bereichen dopaminerge Transmission, Dopamintransport und Dopaminmetabolismus kodieren, gute Kandidaten für
Assoziationsstudien dar. Aus der
Gruppe der Dopaminrezeptoren, die
nach ihren pharmakologischen Eigenschaften in die D1-Familie (D1
und D5) und D2-Familie (D2-D4)
unterteilt werden, zeigte nur eine Intronvariante im D2-Rezeptorgen signifikante Unterschiede in der Allelverteilung zwischen MP-Patienten
und Kontrollen (23).
Dopamin wird im wesentlichen
über die Monoaminoxidase (MAO)
und die Catechol-O-methyltransferase (COMT) metabolisiert. In dopaminergen Neuronen lassen sich
zwei Isoformen der Monoaminoxidase (A und B) unterscheiden, deren
Polymorphismen mittels Assoziationsstudien untersucht wurden. Die
bisherigen Ergebnisse hierzu sind jedoch widersprüchlich (4, 16).
Der Dopamintransporter (DAT)
ist für die Dopaminwiederaufnahme
in präsynaptische Nervenendigungen
verantwortlich und gilt als sensibler
Marker für einen Verlust präsynaptischer dopaminerger Nervenendigungen im Striatum. Darüber hinaus wird
für den DAT eine Rolle im Rahmen
der Schädigung dopaminerger Neurone durch Umwelttoxine diskutiert. So
wird das Neurotoxin MPP+, ein Abbauprodukt des MPTP, selektiv durch
Dopamintransporter in präsynaptische Nervenendigungen aufgenommen, wo es über eine Schädigung der
Mitochondrien zum Untergang dopaminerger Neurone führt. In Studien
mit einem nicht kodierenden Poly-
morphismus wurde eine positive Assoziation mit Morbus Parkinson nachgewiesen (18).
Die Entdeckung, daß MPTP,
welches aufgrund chemischer Eigenschaften Ähnlichkeit mit bekannten
Herbiziden besitzt, beim Menschen
das Bild des Parkinsonismus auslösen kann, und die Tatsache, daß epidemiologische Untersuchungen ein
drei- bis vierfach erhöhtes Risiko für
MP durch Pestizid- und Herbizidexposition zeigen, mündeten in der
chung von funktionellen Polymorphismen im Glutathion-TransferaseGen (GST) erstmals auf molekulargenetischer Basis nachgewiesen werden (22).
Es ist derzeit unklar, wie sich die
obengenannten Hypothesen und Befunde mit der Funktion der bereits
identifizierten und für die Pathogenese des MP relevanten Proteine a-Synuklein, Parkin und UCHL1 vereinbaren lassen. Mögliche Hinweise ergab aber eine Assoziationsstudie über
Grafik 3
P159L
Q34R
N52M
W74C
1
2
R256C
K161N
T240R R275W
1 bp del
3
4
5
T415N
W453X
Q311X
6
Exons
RING-Finger Motiv
Ubiquitin-ähnliche Domäne
7
8
9
10
11
12
Casein kinase II Konsensus-Sequenz
deletierte Bereiche
Schematische Darstellung der Mutationen im Parkin-Gen in Familien mit autosomal rezessiv vererbtem Parkinson-Syndrom.
sogenannten Xenobiotikahypothese
des MP. Dabei wird ein erhöhtes Risiko, an MP zu erkranken, für Individuen postuliert, die gegenüber Umweltstoffen exponiert sind, die sie aufgrund ihrer genetischen Prädisposition nicht adäquat verstoffwechseln
können. Im Rahmen genetischer Studien wurden Polymorphismen in Enzymen des Xenobiotikastoffwechsels
auf Assoziation mit MP untersucht.
Für das zum Cytochrom P450-System
gehörende Enzym Debrisoquin-Hydroxylase (CYP2D6) fanden sich dabei widersprüchliche Ergebnisse. Untersuchungen der N-Acetyl-transferase 2 (NAT2) hingegen ergaben
Hinweise auf eine Rolle der sogenannten Slow-Acetylator-Variante
dieses entgiftenden Enzyms in der
Pathogenese des MP (1, 2). Die Bedeutung der Exposition gegenüber
Pestiziden für das Risiko, an MP zu
erkranken, konnte bei der Untersu-
einen Promotorpolymorphismus im
a-Synuklein-Gen, bei dessen Trägern
ein erhöhtes Risiko für MP gezeigt
werden konnte (15).
Ausblick
Die Identifizierung der Gene
und Mutationen für den MP wird unser Wissen über die Pathogenese dieser Krankheit maßgeblich erweitern.
Mit der Klonierung der a-Synukleinund Parkin-Gene sind wesentliche
Erfolge bei der Aufklärung monogen
vererbter Formen des MP gelungen.
Für die häufigeren sporadischen Varianten spiegeln die genannten Hypothesen die verschiedenen Ansätze zur
Erklärung der Pathogenese des MP
wider. Die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse der Assoziationsstudien bedürfen noch weiterer Bearbeitung, zumal es sich vielfach um Be-
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 43, 29. Oktober 1999 (51) A-2747
M E D I Z I N
AKTUELL/FÜR SIE REFERIERT
funde handelt, die mit nicht kodierenden Polymorphismen erhoben worden sind.
Verschiedene Gruppen arbeiten
derzeit weltweit an transgenen Tiermodellen des MP, was zu einem verbesserten Verständnis der Pathomechanismen führen wird, vor allem
aber für die Entwicklung neuer Medikamente äußerst hilfreich sein dürfte.
Es ist ferner absehbar, daß die Anwendung unterschiedlicher Therapiestrategien bei den einzelnen genetischen Unterformen erforderlich sein
wird. Die in Einzelfällen durch die
molekulargenetische Analyse ebenfalls mögliche präsymptomatische
(prädiktive) Diagnostik sollte mit
äußerster Zurückhaltung und nur unter Berücksichtigung der Richtlinien
durchgeführt werden, die sich an
die Beratung bei anderen sich spät
manifestierenden genetisch bedingten Erkrankungen (Chorea Huntington, spinozerebelläre Ataxien) anlehnen (10).
Glossar
MP
Morbus Parkinson
LK
Lewy-Körper
LHON Lebersche hereditäre
Optikusneuropathie
MELAS mitochondrial encephalomyopathy, lactic acidosis and stroke-like episodes
MERFF myoclonic epilepsy with
ragged-red fibres
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-2739–2748
[Heft 43]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de)
erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Olaf Riess
Abteilung für Medizinische Genetik
Universitätskinderklinik
Universität Rostock
Postfach 10 08 88
18055 Rostock
Paracetamol, Aspirin oder
Ibuprofen als Schmerzmittel
Frei verkäufliche Analgetika werden in hohem Umfang konsumiert, wobei das Sicherheitsprofil bezüglich unerwünschter Wirkungen recht unterschiedlich ist. Die Autoren berichten
über das Ergebnis der sogenannten
PAIN-Studie, die in Frankreich durchgeführt wurde. Patienten im Alter zwischen 18 und 75 Jahren nahmen daran
teil, die kurzfristig wegen leichter bis
mäßiger Schmerzen eine analgetische
Behandlung benötigten. Die Patienten
erhielten für ein bis sieben Tage entweder 500 mg Aspirin-Tabletten, 200 mg
Ibuprofen Tabletten oder 500 mg Paracetamol-Tabletten. Sie erhielten insgesamt 42 Stück und durften bis zu sechs
Tabletten pro Tag einnehmen. Der
analgetische Effekt wurde in einem
Schmerztagebuch festgehalten. Insgesamt nahmen an der Studie 8 677 Patienten teil, die von 1 108 Allgemeinmedizinern ärztlich betreut wurden. 48
Prozent der Patienten klagten über
Schmerzen des Bewegungsapparates,
31 Prozent über Grippesymptome. Unerwünschte Wirkungen wurden bei
Aspirin in 18,7 Prozent, bei Ibuprofen
in 13,7 Prozent und bei Paracetamol in
14,5 Prozent angegeben. Ibuprofen erwies sich dem Paracetamol als äquipotent; beide Substanzen wurden besser
vertragen als Aspirin. Beschwerden
von Seiten des Verdauungstraktes waren unter Ibuprofen signifikant seltener
zu finden als unter Paracetamol und
Aspirin. Insgesamt wurden sechs Fälle
einer gastrointestinalen Blutung registriert, vier unter Paracetamol und zwei
unter Aspirin. Die Autoren kommen
zu dem Schluß, als Mittel der Wahl zur
kurzfristigen Schmerztherapie Ibuprofen zu empfehlen, da Aspirin weniger
gut toleriert wird und Paracetamol in
Überdosierung hepatotoxisch wirkt. w
Moore N, van Ganse E, Le Parc JM et al.:
The PAIN study: paracetamol, aspirin and
ibuprofen new tolerability study. A largescale, randomised clinical trial comparing
the tolerability of aspirin, ibuprofen and
paracetamol for short-term analgesia.
Clin Drug Invest 1999; 18: 89–98.
Department of Pharmacology, Université Victor Segalen, Hôpital Pellegrin,
33076 Bordeaux, Frankreich.
Alkalischer Reflux bei
beatmeten Patienten häufig
Bei Patienten einer Intensivstation ist eine blutende Reflux-Ösophagitis die häufigste Ursache für Haematemesis oder Teerstuhl. Bislang hat man
eine mechanische Irritation durch eine
Magenverweilsonde oder einen sauren Reflux entlang der Sondenleitschiene für dieses Phänomen verantwortlich gemacht. Die Autoren berichten über eine prospektive Studie
an 25 kritisch kranken Patienten, die
künstlich beatmet werden mußten und
bei denen eine 24-Stunden-pH-Metrie
und eine Messung des Gallerefluxes
mit der Bilitec-Sonde parallel durchgeführt wurden. Vor Studienbeginn
wurde eine Spiegelung der Speiseröhre durchgeführt, um eine präexistente
Ösophagitis auszuschließen.
Nach durchschnittlich fünf Tagen
Beatmung wiesen 48 Prozent der Patienten eine erosive Ösophagitis auf. Nur
zwei von zwölf boten einen pathologischen sauren Reflux, zwölf einen pa-
A-2748 (52) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 43, 29. Oktober 1999
thologischen Gallereflux. Präsenz und
Schweregrad der Ösophagitis waren
signifikant mit dem Magenresidualvolumen und dem Gallereflux korreliert.
Die Autoren kommen zu dem Schluß,
daß sich trotz der heute üblichen säuresuppressiven Therapie eine Ösophagitis bei kritisch kranken Patienten, die
mechanisch beatmet werden müssen,
sich innerhalb weniger Tage manifestiert. Unter pathogenetischen Gesichtspunkten ist offensichtlich eine
chemische Schädigung durch Gallereflux für die Ösophagitis verantwortlich
zu machen.
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Wilmer A, Tack J, Frans E et al.: Duodenogastroesophageal reflux and esophageal mucosal injury in mechanically ventilated patients. Gastroenterology 1999;
118: 1193–1299.
Department of General Internal Medicine/Medical Intensive Care Unit and
Department of Gastroenterology, University Hospital Gasthuisberg, Catholic
University of Leuven, Belgien.
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