ad Angstsyndrom: kortikales Arousal vegetatives - poekl

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4. Vorlesung / 20.3. 2002 / Katschnig
ANGSTSTÖRUNGEN II
ANGST:
kann im allgemeinen Sprachgebrauch vieles sein, z.B. Angst vor Zukunft =
Hoffnungslosigkeit.
zur Etymologie von „Angst“:
-> angor = latein. die Enge (alle idg. Sprachen haben diesen Stamm)
-> in romanischen Sprachen immer 2 Wörter für Angst:
z.B. angoise / anxieté -> unterschiedliche Bedeutung:
* „ang-“ = schwere Angstzustände
* „anx-“ = Ängstlichkeit
Untersuchung klinischer Angstbilder:
In Ländern, wo es ein Wort für schwere Angst im Sinn von „ang-“ gibt
-> mehr Angstzustände
ad Angstsyndrom:
3 Komponenten:
1) Gefühl von Gefahr, Erwartung von Unheil -> kortikales Arousal
2) körperliche Angstsymptome -> vegetatives Arousal
3) Verhaltenskonsequenz (z.B. Davonlaufen) -> spinales Arousal
Krankheitsbilder = Konstrukte der Psychiater -> nosologische Ebene = eine
theoretische Ebene.
Pharmacological Dissection:
In den 60er Jahren Erkenntnis: Benzodiazepine haben anxiolytische Wirkung.
Fazit: In den USA wurden Angstneurotiker mit Psychopharmaka behandelt.
Dr. Klein in New York (Buch: „The other 23 hours“) entdeckte folgendes:
•
•
Valium, Librium, usw. (= Tranquilizer) helfen nicht gegen Panikattacken, wohl
aber gegen frei flottierende Angst
Antidepressiva helfen gegen Panikattacken
Daher -> sogenannte „pharmacological dissection of anxiety neuroses“,
d.h.:
•
•
Panikattacke spricht auf Antidepressiva an (hier Tranquilizer NUR zur
Verringerung der Erwartungsangst, nicht aber gegen die Panikstörung selbst!)
generalisierte Angststörung spricht auf Tranquilizer an
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GENERALISIERTE ANGSTSTÖRUNG:
•
Dauerangst (mal mehr, mal weniger)
+ körperliche Symptome
+ sich Sorgen machen, daß etwas passiert (= unverhältnismäßig; vgl. „the
worrying type“)
•
Neigt zur Chronizität
•
Was hilft = Tranquilizer, Antidepressiva, Autogenes Training
Entspannungsübungen:
1) Autogenes Training:
= Autosuggestion, kann in Gruppe erlernt werden. Ist Hypnose auf sich selbst
angewandt
(bei Hypnose: Entspannungszustand wird durch jemand anderen
hervorgerufen).
In Psychiatrie begrenzt einsetzbar
(=> vor allem bei Körperwahrnehmungsstörungen kontraindiziert, ebenso bei
Panikstörung!)
2) Progressive Muskelentspannung nach JACOBSEN:
vor allem in der Verhaltenstherapie eingesetzt. Jeder Muskel wird
maximal an- und dann wieder entspannt von Kopf bis Fuß
Î Zweck: Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung bewußt
machen.
Medikamente:
eventuell Benzodiazepine (Gefahr der Abhängigkeit! Bei allen anderen
Psychopharmaka keine Abhängigkeit) -> Dosissteigerung, damit es hilft;
Entzugserscheinungen bei Absetzen.
Tranquilizer1 wirken anxiolytisch -> aber: Abhängigkeit
„Rebound-Effekt“: nach Absetzen des Medikamentes stärkere Symptome
Film: „Sie haben nichts!“ (-> Panikattacken)
1
Wirkung der Tranquilizer:
a) anxioloytisch
b) sedierend
c) antiepileptisch
d) muskelrelaxierend (z.B. gegen Ischias hilft Valiumspritze -> Muskelrelaxation!)
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SOZIALPHOBIE
Kennzeichen einer Phobie:
1) Der Betroffene weiß, dass diese Angst unbegründet ist und andere diese
Angst nicht haben
2) Betroffener kann diese Situation nur unter großem Leid ertragen, meist
aber Flucht.
(vgl. Goethe auf dem Straßburger Münster -> Expositionstherapie -> Goethe als
erster Verhaltenstherapeut)
3) Lebensqualität ist beeinträchtigt, Behinderung im Alltag ist gegeben
(z.B. Behinderung im Beruf, Betroffener findet keinen Partner, usw.
4) Für die Angst ist kein Anlass vorhanden ODER es gibt einen
unverhältnismäßig kleinen Anlass und eine unverhältnismäßig große
Reaktion darauf.
Merke: ALLE Phobien sind in hohem Maß behandelbar, und zwar relativ einfach.
Sozialphobie:
= Angst, negativ beurteilt zu werden; wenn Betroffener im Mittelpunkt steht
-> Stottern, seltsames Verhalten, Stolpern, Rotwerden, usw.
3 klassische Situationen:
Sind eher Leistungssituationen
1) vor anderen nicht reden können
2) vor anderen nicht schreiben können
3) vor anderen nicht essen können
Außerdem: Angst, sich in Interaktionen mit anderen dumm zu verhalten
Beginn:
im Teenager-Alter (11-16 Jahre; durchschnittlich mit 15. Lebensjahr)
Î wird oft in der Schule nicht erkannt
• Probleme, mit dem anderen Geschlecht in Kontakt zu kommen
• Probleme, jemanden auf der Straße anzusprechen
Î Beides wird mit zunehmendem Alter (z.B. mit 30-35) immer problematischer ->
Einsamkeit!
Î In Jugend Vermeidungsverhalten -> dadurch wurden wichtige social skills
nicht gelernt.
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Heilung:
* bei Angst:
ca. 30% Remission
ca. 70% Langzeitproblematik
* bei Sozialphobie:
ca. 80% der Betroffenen haben sie ein Leben lang
Bei Kindern = Phobie sehr häufig, besonders Tierphobie (50% aller 5Jährigen;
mehr Mädchen als Buben) -> ist aber nicht wirklich eine Störung,
sondern eher Tierängste (mit 14 Jahren nur mehr ca. 10% betroffen)
ABER: Angst vor Fremden (haben auch viele Kinder) bleibt erhalten
-> ist unter Umständen später ein Weg in die Sozialphobie.
Sozialphobie wird von vielen Betroffenen mit Alkohol bekämpft...
VERMUTETE KINDHEITS-RISIKOFAKTOREN FÜR DIE ENTWICKLUNG EINER SOZIALPHOBIE:
•
Schüchternheit:
-> ängstlicher Typ
-> befangener Typ
•
•
•
•
•
Betonung traditioneller Geschlechterrollen durch die Eltern
Zurückweisung durch Gleichaltrige
Fehlinterpretation der eigenen körperlichen und sozialen Akzeptanz
Schulschwierigkeiten
Verhaltensstörungen
TEUFELSKREIS DER ENTWICKLUNG DER SOZIALPHOBIE IN KINDHEIT UND JUGEND:
2
Angst vor
negativer
Evaluierung
Defizite in den
sozialen Fertigkeiten
Vermeidung
von speziellen
Situationen
keine soziale
Verstärkung,
keine soziale
Lernerfahrung
2
verschiedene Eintrittspunkte
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Angst vor negativer Evaluierung3 -> Vermeidungsverhalten; Folge = keine soziale
Lernerfahrung, keine soziale Verstärkung -> Defizite... Folge: Man macht es jetzt
wirklich falsch...
BEISPIEL: Einzelkind, das nie mit Gleichaltrigen zusammen war -> Schule. Hier ist
Angst vor negativer Evaluierung berechtigt, weil Kind ja Defizite im sozialen
Umgang mit Gleichaltrigen hat.
Ursachen dieser Defizite:
•
biologische Ursachen (z.B. Wahrnehmungsstörung, z.B. schlecht hören,
schlecht sehen,...)
•
umweltbedingte Ursachen (Umwelt ermöglicht die notwendigen sozialen
Erfahrungen nicht)
FOLGEN DER SOZIALPHOBIE (KOMORBIDITÄT):
*
*
*
*
*
Medikamentenmissbrauch
Depressionen
Alkoholmißbrauch
Agoraphobie
einfache Phobie
SOZIALE SITUATION VON PATIENTEN MIT SOZIALPHOBIE:
*
*
*
*
*
*
*
*
*
oft allein lebend (80%)
niedrigere Erziehung (Studienabbrecher...)
abhängig von Sozialhilfe
zusätzliches psychiatrisches Problem
Alkoholmißbrauch
Medikamentenmißbrauch
Selbstmordrate erhöht
häufig wechselnde Anstellungsverhältnisse
soziale Isolierung
Heute:
Î berufliche Kompensation ist möglich durch diverse Computerjobs
Î oft symbiotische Beziehung (z.B. auf der Station zwischen Patienten mit
Sozialphobie und Patientin mit Angststörung) bringt Erleichterung für
beide, ABER: ist Beziehung zu Ende ist alles wieder da!
3
Negative Evaluierung wird meist viel stärker empfunden, als sie tatsächlich ist!
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SUBTYPEN DER SOZIALPHOBIE:
VARIABLE
GENERALISIERTE SOZIALPHOBIE NICHT GENERALISIERTE
SOZIALPHOBIE
Alter
Zivilstand
soziale Behinderung
gefürchtete Situationen
Komorbidität
familiäre Häufung4
11 Jahre
64% ledig
häufig
Interaktionen und
Leistungssituationen
Depression (atypisch!)
Alkoholismus
ja
17 Jahre
37% ledig
selten
Leistungssituationen
Panikstörung
nein
THERAPIE DER PHOBIE:
a) Pharmako-Therapie:
Medikamente
Panikstörung
TCA
MAOI
RIMA
hochpotente Benzodiazepine
Beta-Blocker
SSRI
ja
ja
nein
ja
nein
ja
Sozialphobie
nein
nein
ja
ja
ja5
ja
Merke:
Bei spezifischer Phobie KEINE Medikamente,
hier ist die Therapie der Wahl die Konfrontationstherapie
1) TCA:
= trizyklische Antidepressiva (z.B. das 1959 entdeckte Ilibramin)
2) MAOI:
= Monoamineoxidase-Inhibitoren; in Österreich nicht mehr
erhältlich.
Problem dabei = Diät muß eingehalten werden (spezielle Nahrung, die
keine Monoamine (Thyramin) enthalten darf, können nicht abgebaut
werden-> Vergiftung; enthalten z.B. im Käse)
3) RIMA:
= reversible Inhibitoren der Monoamineoxidase
(Monoamineoxidase wird gehemmt, aber wenn anderes Molekül z.B.
aus der Nahrung kommt -> wird abgebaut)
4
5
z.B. Diabetes, Alzheimer, Lebensalter,... Hier familiäre Häufung eventuell auch dadurch, daß Mutter
Sozialphobie hat und Kind entsprechend behandelt...)
nur spezifische Sozialphobie
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5) Benzodiazepine: (z.B. Ribotil, Clonoazpam) -> lange Halbwärtszeit,
hochpotent
(Alprazolam hingegen: kurze Halbwärtszeit, d.h. es muss bald
wieder genommen werden; Folge = “Craving-Effekt”, d.h. “sich
sehnen nach dem Medikament”)
ABER: nie länger als 4 Wochen, sonst Entzugssymptome, bzw.
Rebound-Effekt -> Abhängigkeit (vor allem, wenn gemeinsam
mit Alkohol genommen!);
Antidepressiva machen nicht abhängig...
6) Beta-Blocker: Rezeptoren, die an Sympathicus vermitteln, werden blockiert.
Beta-Blocker gehen aber nicht ins Gehirn, sondern bleiben im
peripheren Nervensystem (werden z.B. gegen Lampenfieber
eingenommen)
Î nur bei nicht-generalisierter Form der Sozialphobie (z.B. bei
Redeangst)
6) SSRI: = selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren (z.B. Treslen,
Renaron)
Merke:
* bei Phobie:
am Anfang kleine Dosen, allmählich steigern ->
dauert länger
* bei Depression: am Anfang höhere Dosen -> geht schneller
b) Psychotherapie bei Panikstörung und Sozialphobie6:
Verfahren
Panikstörung
Psychodrama
psychodynamische Therapie
Entspannung
kognitive Therapie
Exposition
Rollenspiel
Fertigkeitstraining
Merke:
6
7
?
ja
nein
ja
ja7
nein
nein
Sozialphobie
?
ja
ja
ja
ja
ja
ja
* Je mehr Flooding, desto anhaltender ist der Therapieerfolg
* Nimmt man vorher aber Valium -> keine Wirkung!
Therapie der Wahl = Verhaltenstherapie (Expositions- / Konfrontationstherapie)
wenn gemeinsam mit Agoraphobie!
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ZWANGSSTÖRUNGEN
Zwangsstörung = immer mit Angst verbunden, z.B. Waschzwang -> dahinter =
Bakterienphobie.
a) Zwangsgedanken
b) Zwangsimpulse
c) Zwangshandlungen
= ständig wiederkehrende Gedanken; Handlungen, die ausgeführt werden
müssen. Beim Ausführen -> Erleichterung -> kurz danach Zweifel -> alles beginnt
von vorne (ungeheure Beeinträchtigung im Alltag!)
ad a) Zwangshandlungen:
•
•
exzessive Wiederholungen alltäglicher Verhaltensweisen, um
Unbehagen zu vermindern oder bedrohliche Situationen zu verhindern.
Handlung ist angstreduzierend, ABER: Angst kommt wieder!
ad b) Zwangsgedanken:
•
werden als störend, ungewollt und sinnlos erlebt, sind Gedanken, die
länger andauernd und wiederholt kommen.
•
Typische Themen = Verschmutzung, pathologische Zweifel, Symmetrie,
aggressive oder sexuelle Gedanken.
•
Einteilung in
Î zwanghafte Zweifel
Î zwanghafte Impulse
Î zwanghafte Vorstellungen
(BEISPIELE: religiöser Mensch muss an etwas Obszönes denken; Mutter, die
ihr Kind liebt, muss denken, dass sie es töten werde -> so eine
Mutter tut ihrem Kind aber NIE wirklich etwas an)
•
sind oft persönlichkeitsfremd (ichdysthon) und werden daher als so
angstmachend erlebt
Beginn:
relativ früh, nämlich zwischen 15.-25. Lebensjahr (Durchschnitt = 20
Jahre) -> Panikstörung dagegen zwischen 30.-35. Lebensjahr
Bleibt oft lebenslang bestehen.
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Therapie bringt Erleichterung
Î Exposition mit response prevention
ad „response prevention“:
= Methode in der Zwangstherapie -> Situation, die Zwang auslöst, wird
erzeugt und muss vom Patienten ausgehalten werden, ohne seine
Zwangshandlungen ausüben zu dürfen.
BEISPIEL:
Patientin muss immer wieder kontrollieren, ob d Wecker gestellt
ist -> muss den Wecker stellen, darf ihn dann 15 Minuten lang
nicht kontrollieren, dann wieder stellen, usw.
Î Medikamente:
•
Antidepressiva, die Serotonin vermehren helfen (= SSRIs) und
•
trizyklische Antidepressiva, die nur selektiv auf Serotonin und nicht auf
Noradrenalin wirken (wegen anticholinerger Nebenwirkung); z.B. Anafranil
(= Chlorimipramin)
•
alle anderen Medikamente helfen nichts!
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