Prof. Dr. Monika Pritzel Seminar zur Geschichte und Methoden der physiologischen Psychologie Wintersemester 2005/2006 Essay zur strukturellen Magnetresonanztomographie bearbeitet von Stéphanie Klemann Die Magnetresonanztomographie (MRT, MR) ist ein Bildgebendes Verfahren zur Darstellung von Strukturen im Inneren des Körpers. Ein synonymer Begriff ist Kernspintomographie (Kernspin) und auch der englische Begriff Magnetic Resonance Imaging (MRI). Die Magnetresonanztomographie nutzt magnetische Felder, keine Röntgenstrahlen und ist somit für den Körper nicht belastend. Mit einer MRT kann man Schnittbilder des Körpers erzeugen (im folgenden Text geht es um das Gehirn), die oft eine hervorragende Beurteilung der Organe und Organveränderungen erlauben. Vorraussetzung ist eine räumliche Auflösung von 1mm^3, denn nur dann ist eine sinnvolle anatomische Weiterverarbeitung zu gewährleisten. Schlechtere Auflösungen können sowohl die Größenverhältnisse einzelner Gehirnvolumina verfälschen als auch große Schwierigkeiten bereiten beim Unterscheiden verschiedener Gehirnstrukturen, wie z.B. der Hippocampus von der Amygdala, die nur durch eine sehr hohe Auflösung voneinander zu trennen sind. Die meisten MRT-Aufnahmen ermöglichen eine optimale Segmentierung von grauer und weißer Substanz, von Cerebrospinalflüssigkeit und von Nicht-Gehirnanteilen (Knochen, Knorpel). Das Ziel der strukturellen Magnetresonanztomographie des Gehirns ist es anatomische Strukturen in vivo und post mortem zu messen und für weitere Analysen zur Verfügung zu stellen. 1 Schon in frühen Zeiten der Neuroanatomie war es ein interessantes und beliebtes Forschungsthema Gehirnveränderungen und strukturelle Auffälligkeiten in Zusammenhang mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen zu untersuchen. Erst später, auf dem Forschungsgebiet der „kognitiven Neuroanatomie“ traten Untersuchungen der StrukturFunktions-Beziehungen beim jungen und gesunden Gehirn in den Vordergrund. Durch das Analysieren des digitalisierten Gehirns konnten bemerkenswerte Struktur-FunktionsBeziehungen im menschlichen Gehirn aufgedeckt werden. Im Folgenden möchte ich einige Verfahren zur morphometrischen Verarbeitung erläutern. Zunächst zur klassischen In-vivo-Morphometrie, auch Region-of-interestVermessungsmethode (ROI) genannt. Grundlage hierfür ist die dreidimensionale Rekonstruktion des Gehirns. Hierbei werden anatomische Regionen anhand von mehr oder weniger markanten Strukturen, sog. Landmarken vermessen. Zur Vermessung, die meist manuell, eventuell auch semimanuell erfolgt, benötigt man eine geeignete Software, die in der Lage ist eine Navigation durch das Gehirn zu ermöglichen, um spezifische Strukturen ausfindig machen zu können. Außerdem muss der Untersucher über sehr gute Kenntnisse der menschlichen Neuroanatomie verfügen, und selbst dann kann es zu Schwierigkeiten kommen die gesuchten anatomischen Strukturen zweifelsfrei zu identifizieren, denn es besteht nun mal eine erhebliche interindividuelle Variabilität bezüglich der sulcalen und gyralen Gehirnstruktur. Um die Vermessung der anatomischen Struktur durchführen zu können benötigt man weiterhin ein Messprotokoll, welches die anatomischen Landmarken der zu messenden Struktur präzise beschreibt. Auch Abweichungen hinsichtlich Lage und Form der zu vermessenden Struktur müssen festgehalten werden, damit der Vermesser weiß, wie er in einem solchen Fall zu verfahren hat. Um ein sicheres Ergebnis zu bekommen muss die Messung von mindestens zwei unabhängigen Vermessern durchgeführt werden, die hinsichtlich der zu vermessenden Gehirne und Fragestellung naiv sind. Ihre Ergebnisse werden anhand einer geeigneten Korrelationstechnik (z.B. der Interklassen-Korrelationskoeffizient für kontinuierliche Daten) miteinander verglichen. Diese Voraussetzungen gelten sowohl für die Vermessung von quantitativen Hirnmaßen als auch für qualitative Maße (Form und Verlauf bestimmter Hirnstrukturen). 2 Bei beiden Morphometriemaßen sollte der Grundsatz befolgt werden, wonach nur Maßen zu trauen ist, die mit hohen Inter-Rater-Korrelationen assoziiert sind. In der Regel kann man InterRater-Reliabilitäten von mindestens >=0.85 als hoch und damit akzeptabel bezeichnen. Detaillierte Messprotokolle existieren für viele Areale u.a. für den Amygdala-HippocampusKomplex, den Sulcus centralis, das Corpus callosum. Das grundsätzliche Messprinzip erfolgt immer dadurch, dass ein Areal mit einem geeigneten Programm dreidimensional mit einem Cursor umfahren wird. Dann werden die Pixel gezählt, die im interessierenden Volumen sind. Da die räumliche Auflösung der Pixel bekannt ist, kann das Volumen durch Multiplikation mit der räumlichen Auflösung berechnet werden. Gehirngrößenmessung Die Volumenmessung des Gehirns war zunächst recht schwierig und zeitaufwendig. Das Gehirnvolumen konnte geschätzt werden, indem man für jeden Hirnschnitt manuell das „Volume of interest“ segmentierte, die so erhaltene Pixelanzahl summierte und anschließend mit dem räumlichen Auflösungsfaktor multiplizierte. Mit einem geeigneten Programm sind Gehirnvolumina inzwischen einfach zu messen. Desweiteren gibt es auch eine Volumenvermessungsmethode von Post-mortem-Gehirnen, die „Archimedes-Methode“. Hierbei wird das Gehirn in einen bis zum Rand mit Wasser gefüllten Behälter eingetaucht, ohne dass sich Wellen bilden. Das überlaufende Wasser dient dann als Messgröße für das Gehirnvolumen. Problematisch hierbei ist vor allem, dass das Gehirn unmittelbar nach dem Tod anschwillt und somit das Gehirnvolumen beeinflusst. Untersuchungen die sowohl mit der Archimedes-Methode als auch mit kernspintomographischen Bildern vermessen wurden, ergaben, dass das Gehirnvolumen mit beiden Methoden gut korrespondiert. Auch dann, wenn unterschiedliche Messprotokolle verwendet wurden. Folglich kann von stabilen Messergebnissen ausgegangen werden, wenn man unterschiedliche Messprotokolle verwendet. 3 Stereotaktische Normalisierung Um Gehirne interindividuell vergleichbar zu machen und somit auch die Identifikation bestimmter Hirnstrukturen zu vereinfachen und zu operationalisieren haben die Wissenschaftler Talairach und Tournoux ein Atlassystem entworfen, das ursprünglich eine reine lineare Reskalierung der Größenverhältnisse war. Grundlage dieses Systems ist die Gestaltung eines Raumes, eines Normgehirnes, in welches jedes beliebige Gehirn transformiert werden kann. Benötigt werden dazu primäre Landmarken (anteriore und posteriore Kommissur (AC/PC)), die durch eine gedachte Linie verbunden werden und dann das Gehirn so ausgerichtet wird, dass diese Linie durch AC und PC horizontal liegt und das gesamte Gehirn waagrecht orientiert ist. Dies geschieht unter Beibehaltung seiner Form (starre Transformation). Im nächsten Schritt werden sekundäre Landmarken festgelegt (räumliche Extrempositionen, die am weitesten rechts und links, anterior und posterior, sowie inferior und superior des Gehirns liegen – ausgenommen ist das Cerebellum).Die sekundären Landmarken repräsentieren durch Verbindungen der zueinander gehörenden Extrempunkte die x, y und z Achse und fungieren so als Koordinatensystem im Talairach-Tournoux-System. Erst durch komplexe Vorgänge (Translation, Rotation, Reskalierung) an den Achsen entspricht das zu untersuchende Gehirn dem eines Standardgehirns. Diese Transformationen werden häufig benutzt. Schwierigkeiten liegen darin, alle sechs anatomischen Landmarken zu identifizieren und in der interindividuellen Variabilität hinsichtlich anatomischer Landmarken, die bis zu 2 cm Unterschied betragen können. Das ursprüngliche Talairach-Gehirn basierte auf einer Gehirnhälfte einer 60 Jahre alten Frau. Inzwischen wird das „ICBM 152-Gehirn“ verwendet, das aus 152 gesunden Gehirnen berechnet wurde. Voxelbasierte Morphometrie (VBM ) Die Voxel-basierte Morphometrie stellt neuroanatomische Unterschiede lokaler Volumina von grauer Substanz dar, durch direkten Vergleich von Voxeln („Volumenpixel“) zwischen zwei Gruppen. Es können also strukturelle Unterschiede des Gehirns ermittelt werden und somit Vergleiche zwischen mehreren Personen ermöglicht werden. Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie nicht durch den Untersucher beeinflusst werden kann, da keine bestimmten Strukturen (region of interest) ausfindig gemacht werden müssen. 4 Interessante Befunde sind z.B. von May et al. (1999), die strukturelle Auffälligkeiten im Hypothalamus bei Patienten mit anfallsartigen Kopfschmerzen feststellen konnten und von Maguire et al. (2000) die zeigten, dass erfahrene Londoner Taxifahrer über mehr graue Substanz im posterioren Hippocampus verfügen als Kontrollpersonen. Bei der VBM liegt eine Verwendung eines anatomischen Referenz-Raumes zugrunde, der meist auf dem Talairach- Atlas basiert. Probability-Atlanten „ Wahrscheinlichkeitskarten“ ermöglichen die räumliche Ausdehnung zytoarchitektonisch abgrenzbarer Areale wahrscheinlichkeitstheoretisch zu erfassen. Auch diese Methode kann im Rahmen von stereotaktisch normalisierten Gehirnen angewandt werden. Es gibt eine Methode, die einem ermöglicht individuell die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines ganz bestimmten zytoarchitektonischen Areals anzugeben: Die Schätzung erfolgt anhand von digitalisierten Hirnschnitten. Zunächst werden die interessierenden Areale bestimmt, von der dann jeweils eine Feinvermessung gemacht wird, wobei die Grauwertprofile senkrecht von der Kortexoberfläche bis zur weißen Substanz bestimmt werden. Jedes Grauwertprofil repräsentiert die Neuronendichte von der Kortexoberfläche bis zum Beginn der weißen Substanz. Durch die Kombination der nebeneinander liegenden Grauwertprofile kann man Felder mit ähnlichen Grauwertprofilen identifizieren, die im Wesentlichen durch zytoarchitektonische Ähnlichkeit begründet sind. Auf diese Art und Weise werden zytoarchitektonische Felder für individuelle Gehirne bestimmt. Wahrscheinlichkeitskarten bekommen eine zunehmende Bedeutung in der Identifikation von Hirnstrukturen, denn über diese Methode ist es möglich anatomische Strukturen zu identifizieren ohne sich auf anatomische Landmarken zu verlassen. 5 Handout: Die strukturelle Magnetresonanztomographie Seminar zur Einführung in die physiologische Psychologie 2005/2006 Stéphanie Klemann 8.02.06 • Klassische In-vivo-Morphometrie: Vermessung anatomischer Strukturen anhand dreidimensionaler Rekonstruktion anatomischer Regionen. • Gehirngrößenmessung: Hirnvolumen • Stereotaktische Normalisierung: Gehirne werden interindividuell vergleichbar gemacht, die Identifikation best. Hirnstrukturen wird vereinfacht und operationalisiert. • Voxelbasierte Morphometrie: Neuroanatomische Unterschiede lokaler Volumina von grauer Substanz wird bei zwei Gruppen vergleichbar gemacht. • Probability Atlanten: „ Wahrscheinlichkeitskarten“ ermöglichen die räumliche Ausdehnung zytoarchitektonisch abgrenzbarer Areale wahrscheinlichkeitstheoretisch zu erfassen. Begriffserklärungen: Morphometrie: Gestaltung, Messung der äußeren Form Stereotaxie: durch ein kleines Bohrloch an der Schädeldecke punktförmig genaues Berühren eies bestimmten Gebietes im Gehirn. Voxel: „Volumenpixel“. Setzt sich aus den Wörtern „volume“ und „element“ zusammen. Zytoarchitektonik: Anordnung und Aufbau der Nervenzelle im Bereich der Großhirnrinde. 6 7 8