Urheberrechtliche Hinweise zur Nutzung Elektronischer

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Urheberrechtliche Hinweise zur Nutzung Elektronischer Bachelor-Arbeiten
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Luzern, 16. Juni 2010
Hochschule Luzern
Soziale Arbeit
Dr. Walter Schmid
Rektor
1
Ausnahmsweise überträgt die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit das Urheberrecht an Studierende zurück. In diesem Fall ist
der/die Studierende Rechtsinhaber/in.
Bachelorarbeit
Ausbildungsgang Sozialarbeit
VZ 2005-2008
Sarah Stöckli & Stefanie Achermann
„merk – würdig“
Sozialarbeit mit psychisch kranken Menschen
Diese Bachelorarbeit wurde eingereicht im August 2008 in 4 Exemplaren zur Erlangung des vom
Fachhochschulrat der Hochschule Luzern ausgestellten Diploms für Sozialarbeit.
Diese Arbeit ist Eigentum der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. Sie enthält die persönliche
Stellungnahme des Autors/der Autorin bzw. der Autorinnen und Autoren.
Veröffentlichungen – auch auszugsweise – bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung durch die Leitung
Bachelor.
Reg. Nr.:
ABSTRACT
„merk – würdig“
Sozialarbeit mit psychisch kranken Menschen
Bachelorarbeit von Achermann Stefanie und Stöckli Sarah
Menschen mit psychischen Krankheiten brauchen eine spezielle Unterstützung von Seiten der Sozialarbeit. Trotz den grossen Fortschritten, welche im Bereich der Psychiatrie
erreicht wurden, ist die Stigmatisierung psychisch Kranker nach wie vor ein grosses
Problem. Um als Sozialarbeitende qualitativ gute Arbeit zu leisten und auf die speziellen
Bedürfnisse von psychisch kranken Menschen eingehen zu können, braucht es Wissen
über die verschiedenen Krankheiten. Daraus lassen sich Handlungsansätze und hilfreiche Informationen für die Zusammenarbeit mit psychisch kranken Menschen ziehen.
Bisher existierte leider keine handlungsleitende Literatur für die Sozialarbeit mit psychisch kranken Menschen ausserhalb der Klinischen Sozialarbeit. Da aber Sozialarbeitende in verschiedensten Berufsfeldern mit psychisch kranken Menschen in Kontakt
kommen, besteht hier eine Lücke. In der vorliegenden Arbeit wird demnach auf folgende
Frage eingegangen: Wie können die Sozialarbeitenden möglichst konstruktiv mit den
Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, zusammenarbeiten? Die Arbeit
nimmt Bezug auf die affektive Störung, Abhängigkeit (Fokus Alkohol), Schizophrenie,
Persönlichkeitsstörung (Fokus Borderline), Angst- und Panikstörung und auf die
Zwangsstörung. Aus den Theorien und dem Berufsverständnis der Sozialarbeit, zeigt
sich eine Notwendigkeit, durch das Wissen über die Krankheiten besser verstehen zu
lernen. Nach allgemeinen Informationen zu psychischen Krankheiten und grundlegenden Aspekten der Sozialarbeit, richtet sich der Fokus auf allen Krankheiten übergeordnete Methoden der Zusammenarbeit mit psychisch kranken Menschen. Im darauf folgenden Teil, werden die gewählten Krankheitsbilder näher belichtet und daraus Ableitungen für die Sozialarbeit gezogen. Diese werden abschliessend in einer Übersicht
verdichtet. Zum Schluss wird noch ein Kapitel der Thematik der erhöhten Suizidalitätsgefahr bei psychisch kranken Menschen gewidmet.
-1-
Inhaltsverzeichnis
1.
EINLEITUNG ..................................................................................................... 5
1.1
Ausgangslage ...............................................................................................................5
1.2
Fragestellung ................................................................................................................6
1.3
Zielsetzungen................................................................................................................6
1.4
Adressaten und Adressatinnen ..................................................................................6
1.5
Aufbau der vorliegenden Arbeit..................................................................................6
1.6
Grundlagen der Arbeit .................................................................................................7
1.7
Begriffserklärung..........................................................................................................7
2
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL..................................... 9
2.1
Was ist überhaupt Gesundheit, und was ist Krankheit? ..........................................9
2.2
Wer diagnostiziert eine psychische Krankheit?........................................................11
2.3
Klassifikationssysteme psychischer Krankheiten ....................................................13
2.4
Statistische Tendenzen zu psychischen Krankheiten ..............................................14
2.5
Stigmatisierung ............................................................................................................18
2.6
Weshalb braucht es diese Bachelorarbeit? ...............................................................18
3.
SOZIALARBEIT ALLGEMEINER TEIL............................................................. 19
3.1
Berufsverständnis / Berufsbild der Sozialarbeit .......................................................19
3.2
Grundhaltung der Sozialarbeit ....................................................................................20
3.3
Psychische Komponente.............................................................................................21
4.
METHODEN ZUR INTERVENTION UND BERATUNG VON
PSYCHISCH KRANKEN MENSCHEN.............................................................. 24
4.1
Grundsätzliche Aspekte für die Begegnung mit psychisch kranken
Menschen ......................................................................................................................24
4.2.
Case Management ........................................................................................................25
4.2.1
4.2.2
4.2.3
4.2.4
4.2.5
4.2.6
Vorabklärung (Outreach) ........................................................................................................... 26
Erfassung der Ausgangslage und Einschätzung des Hilfebedarfs (Assessment) ............. 26
Planung und Kontakt (Planning)............................................................................................... 26
Ressourcenerschliessung, Organisation der Hilfen und Koordination der
Beteiligten (Linking) ................................................................................................................... 27
Überwachung der Durchführung und Steuerung (Monitoring) ............................................. 27
Auswertung (Evaluation) ........................................................................................................... 27
4.3
Krisenintervention........................................................................................................28
4.3.1
4.3.2
Merkmale einer Krise ................................................................................................................. 28
Grundsätze der Krisenintervention .......................................................................................... 29
-2-
4.3.3
4.3.3.1
4.3.3.2
4.3.3.3
4.3.3.4
4.3.3.5
4.3.3.6
4.3.4
Krisentherapie I: allgemeines Vorgehen nach Margret Dross (2001) ................................... 29
Erstgespräch ................................................................................................................................ 29
Sicherung der Lebensbedingungen ............................................................................................. 30
Emotionale Stabilisierung ............................................................................................................. 30
Problembearbeitung ..................................................................................................................... 30
Hausaufgaben .............................................................................................................................. 31
Die Beendigung der Krisenintervention........................................................................................ 31
Spezielle Interventionstechniken zur Krisenbewältigung...................................................... 31
4.4
Empowerment (Selbstbefähigung) .............................................................................32
4.4.1
4.4.2
Arbeitstechniken ........................................................................................................................ 32
Fragestellungen.......................................................................................................................... 34
5. PSYCHISCHE KRANKHEITEN ............................................................................... 36
5.1
Affektive Störungen .....................................................................................................36
5.1.1
5.1.2
5.1.3
5.1.4
5.1.5
5.1.6
5.1.7
5.1.8
5.1.9
5.1.10
5.1.11
5.1.12
5.1.13
5.1.14
Definition der Depression nach DSM-IV-Kriterien .................................................................. 37
Depression allgemein ................................................................................................................ 38
Entstehung und Ursachen der Depression ............................................................................. 39
Behandlung der Depression ..................................................................................................... 39
Ableitung der Behandlung für die Sozialarbeit ....................................................................... 40
Definition der Manie nach DSM-IV-Kriterien............................................................................ 41
Manie Allgemein ......................................................................................................................... 41
Entstehung und Ursachen......................................................................................................... 42
Behandlung der Manie ............................................................................................................... 42
Ableitung der Behandlung für die Sozialarbeit ....................................................................... 43
Definition der Bipolar I und Bipolar II Störung nach DSM-IV-Kriterien................................. 43
Entstehung und Ursachen der bipolaren Störungen.............................................................. 44
Behandlung der bipolaren Störungen...................................................................................... 44
Ableitung der Behandlung für die Sozialarbeit……………………………………………………44
5.2.
Suchtkrankheiten mit dem Fokus Alkohol.................................................................46
5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.2.5
5.2.6
Definition der Abhängigkeit nach DSM-IV-Kriterien ............................................................... 47
Abhängigkeit allgemein ............................................................................................................. 48
Entstehung und Ursachen der Abhängigkeit .......................................................................... 48
Alkoholmissbrauch .................................................................................................................... 50
Behandlung der Alkoholabhängigkeit...................................................................................... 52
Ableitungen für die Sozialarbeit ............................................................................................... 53
5.3
Persönlichkeitsstörung mit Fokus Borderline...........................................................55
5.3.1
5.3.2
5.3.3
5.3.4
5.3.5
5.3.6
Definition der Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV-Kriterien .............................................. 55
Persönlichkeitsstörungen allgemein........................................................................................ 56
Borderline (Grenzfall) allgemein ............................................................................................... 57
Entstehung und Ursachen der Borderlinestörung ................................................................. 58
Behandlung von Borderlinestörungen..................................................................................... 58
Ableitungen für die Sozialarbeit ............................................................................................... 59
5.4
Schizophrenie ...............................................................................................................65
5.4.1
5.4.2
5.4.3
5.4.4
5.4.5
Definition der Schizophrenie nach DSM-IV-Kriterien ............................................................. 65
Schizophrenie allgemein ........................................................................................................... 65
Entstehung und Ursachen der Schizophrenie ........................................................................ 68
Behandlung der Krankheit Schizophrenie............................................................................... 68
Ableitungen für die Sozialarbeit ............................................................................................... 71
5.5
Angst- und Panikstörung.............................................................................................75
5.5.1
5.5.2
5.5.3
5.5.4
5.5.5
5.5.6
5.5.7
Definition der generalisierten Angststörung nach DSM-IV-Kriterien.................................... 76
Angststörungen allgemein ........................................................................................................ 75
Entstehung und Ursachen der Angststörungen ..................................................................... 76
Behandlungen der Angststörungen ......................................................................................... 78
Definition der Panikstörung nach DSM-IV-Kriterien ............................................................... 79
Entstehung und Ursachen der Panikstörung.......................................................................... 80
Behandlung der Panikstörung .................................................................................................. 80
-3-
5.5.8
Ableitungen für die Sozialarbeit ............................................................................................... 81
5.6
Zwangsstörung.............................................................................................................82
5.6.1
5.6.2
5.6.3
5.6.4
5.6.5
Definition der Zwangsstörung nach -IV-Kriterien ................................................................... 82
Zwangsstörungen allgemein..................................................................................................... 82
Entstehung und Ursachen der Zwangsstörung ...................................................................... 84
Behandlung der Zwangsstörung .............................................................................................. 84
Ableitungen für die Sozialarbeit ............................................................................................... 85
5.7
Suizid .............................................................................................................................85
6.
ÜBERSICHT DER PSYCHISCHEN KRANKHEITEN, DEREN
BEHANDLUNG UND DIE ABLEITUNG FÜR DIE SOZIALARBEIT ................. 88
7.
SCHLUSSFOLGERUNGEN.............................................................................. 96
8.
QUELLENVERZEICHNIS.................................................................................. 99
9.
ANHANG ........................................................................................................... 103
-4-
EINLEITUNG
1.
EINLEITUNG
Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen haben aufgrund ihres beruflichen Wissens und
Könnens Verantwortung. Sie müssen dafür besorgt sein, dass die Entwicklung von Einzelnen, Gruppen, Gemeinwesen und der Gesellschaft gefördert wird und in unterstützender Weise helfen, Konflikte zu lösen. Für die Sozialarbeitenden ist die Lösung zentral, nicht das Problem. Darum ist es nicht in erster Linie wichtig, woher die Probleme
kommen, sondern, dass sie entstanden sind und nun gelöst werden müssen. Wenn der
Klient / die Klientin an einer psychischen Störung leidet, so ist das eine zusätzliche Herausforderung. Um die Zusammenarbeit möglichst konstruktiv zu gestalten, sind das
Wissen über psychische Krankheiten und der Umgang damit sehr hilfreich. Aufgrund
der optimierten Zusammenarbeit kann der Lösungsprozess spezifisch gestaltet werden
und die Erfolgschancen, das soziale Problem zu lösen, erhöhen sich.
1.1
Ausgangslage
Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, zeigen andere Verhaltensweisen,
haben Schwierigkeiten mit Anweisungen, können Termine nicht wahr nehmen, halten
sich nicht an Fristen, werden schneller aggressiv, scheinen nicht aus Erfahrungen zu
lernen. Nicht jede psychische Krankheit zeigt diese Auswirkungen, doch die Verhaltensweisen eines Menschen, der psychisch gesund ist, ist unterschiedlich zu dem Verhalten eines Menschen, der an einer psychischen Krankheit leidet. Jede psychische
Störung wirkt sich in der Zusammenarbeit anders aus. Um mit diesen Klienten / Klientinnen eine konstruktive Zusammenarbeit zu gestalten, benötigt man ein besonderes
Wissen, ein tieferes Verständnis davon, wie die Klienten und Klientinnen funktionieren,
wie sie denken, was sie wollen, wie sie fühlen und warum sie so handeln, wie sie handeln.
Es ist wichtig, einen Einblick in die Krankheit zu gewinnen, um so die Verhaltensweisen
der Klienten / Klientinnen zu verstehen, was zur Erleichterung des Umgangs führt und
somit die Bereitschaft zur Mitarbeit seitens der Klienten / Klientinnen fördert.
Unsere eigenen Erfahrungen von der Arbeit in psychiatrischen Kliniken zeigen, dass
fehlendes Verständnis von Sozialarbeitenden von externen Stellen die Arbeit mit Menschen, die an einer psychischen Krankheit leiden, beeinträchtigen kann, was sich auf
die Gesundheit und die soziale und wirtschaftliche Situation der Klientel negativ auswirken kann.
Man rechnet, dass in zehn Jahren fast fünfzig Prozent der Menschen in westlichen Gesellschaften einmal im Leben an einer Depression leiden. Die Tendenz, an einer psychischen Störung zu erkranken, ist steigend. Psychische Krankheiten erschweren den Alltag, und oft entstehen dadurch soziale Probleme. Aus diesem Grund werden Sozialarbeitende öfters mit Menschen arbeiten, welche an einer psychischen Störung leiden.
-5-
EINLEITUNG
Uns erscheint es wichtig, Aspekte herauszuarbeiten, welche helfen, die Zusammenarbeit und das Verständnis zu fördern. Aus diesen Gedanken leitet sich folgende Fragestellung ab:
1.2
Fragestellung
Wie können die Sozialarbeitenden möglichst konstruktiv mit den Menschen, die an einer
psychischen Störung leiden, zusammenarbeiten?
1.3
Zielsetzungen
Diese Bachelorarbeit soll den Sozialarbeitenden helfen, einen Einblick in sechs psychische Krankheiten zu erhalten und Behandlungskonzepte auf psychologischer und psychiatrischer Ebene kennenzulernen. Aus diesen Behandlungskonzepten, sollen Ableitungen für die Sozialarbeit herauskristallisiert werden. Die Ableitungen sollen im Arbeitsalltag umgesetzt werden können, um die Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitenden und Klientel zu optimieren.
1.4
Adressaten und Adressatinnen
Diese Arbeit richtet sich an alle Sozialarbeitenden, die nicht in einem psychiatrischen
Kontext arbeiten. Sie richtet sich an Sozialarbeitende, die in direktem Klientenkontakt /
Klientinnenkontakt stehen und Beratungen durchführen. Diese Arbeitet ist schliesslich
auch für alle Interessierten dieses Themas.
1.5
Aufbau der vorliegenden Arbeit
Diese Arbeit umfasst sieben Kapitel:
In Kapitel eins wird mit der Ausgangslage an das Thema herangeführt. Daraus leiten
sich die Fragestellung und die Zielsetzungen ab. Im nächsten Abschnitt wird erklärt, an
wen sich diese Arbeit richtet, und wie der Aufbau gestaltet ist.
Kapitel zwei befasst sich mit den psychischen Krankheiten im Allgemeinen. Am Anfang
wird erklärt, was unter Gesundheit, bzw. was unter Krankheit verstanden wird, und wer
eine psychische Störung diagnostiziert. Danach folgen statistische Tendenzen zu den
psychischen Krankheiten. Im Anschluss werden die Klassifikations-Systeme beschrieben und begründet, warum wir es als wichtig erachten, diese Arbeit zu schreiben.
Kapitel drei gibt einen Einblick in die Sozialarbeit mit dem Bild des Berufsverständnisses und der Grundhaltung der Sozialarbeit. Im zweiten Teil geht es um die psychische
Krankheit und wie sie die Sozialarbeit beeinflusst.
-6-
EINLEITUNG
Im Kapitel vier werden die Methoden beschrieben, welche bei den sechs psychischen
Störungen speziell zu beachten sind.
Kapitel fünf beschreibt sechs psychischen Störungen, welche sich auf Grund der Statistik als zentral herausgestellt haben (Æ Siehe Kapitel 2.4). Sie werden in fünf Bereiche
unterteilt: Definition nach DSM-IV-Kriterien, allgemeine Beschreibung der Krankheit,
Entstehung und Ursachen, Behandlung der Krankheit und Ableitungen für die Sozialarbeit. Auf Grund der Komplexität der Störungen, konnte nicht immer genau nach diesem
Schema vorgegangen werden, bei jeder Krankheit finden sich aber diese fünf Unterteilungen. Speziell ausgeführt wird das Thema Suizidalität. Durch eine psychische Erkrankung besteht ein höheres Suizidrisiko.
Kapitel sechs zeigt eine Übersicht der gewonnen Ergebnisse aus Kapitel fünf anhand
einer Tabelle. In dieser sind nochmals die Krankheiten und die Ableitungen in kürzerer
Form aufgelistet.
Kapitel sieben rundet diese Arbeit mit den Schlussfolgerungen ab.
1.6
Grundlagen der Arbeit
Die vorliegende Arbeit stützt sich auf Grundlagenliteratur aus dem Bereich Soziale Arbeit, insbesondere Sozialarbeit, Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie. Die eigenen Berufserfahrungen fliessen auch in diese Arbeit mit ein.
1.7
Begriffserklärung
Soziale Arbeit / Professionelle der Sozialen Arbeit
„Die Profession Soziale Arbeit umfasst die Berufsgruppen Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokulturelle Animation, Kindererziehung und Arbeitsagogik. Die Professionellen
Sozialer Arbeit haben an einer höheren Fachschule, einer Fachhochschule oder einer
Universität eine Grundausbildung absolviert, welche mindestens drei Jahre Dauert“ (AvenirSocial, 2006, S. 1).
Psychische Störung / Psychische Krankheit
Diese beiden Begriffe sind synonym zu verwenden. Die Weltgesundheitsorganisation
[WHO] spricht sich auf Grund der Stigmatisierung des Begriffs der Krankheit für den
Begriff der Störung aus. In dieser Arbeit werden Psychische Störung wie auch Psychische Krankheit verwendet. Durch die Verwendung von beiden Begriffen wird die Arbeit
lesefreundlicher.
-7-
EINLEITUNG
Psychiatrie
Psychiatrie heisst Erforschen der Diagnostik und der Therapie psychischer Krankheiten
der Menschen. Im Zusammenwirken psychosozialer und biologischer Faktoren und deren „Auswirkungen auf das psychopathologische Erscheinungsbild liegt das Wesen der
Psychiatrie“ (Möller, Hans-Jürgen, Laux, Gerd & Deister, Arno, 2001, S. 1).
Patient / Patientin
Menschen, die in Behandlung sind, werden Patient / Patientin genannt.
Klient / Klientin
Menschen, die mit Sozialarbeitenden zusammenarbeiten, werden Klient / Klientin genannt.
Die gesamte Arbeit wurde von den Autorinnen gemeinsam erfasst.
-8-
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
2.
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
2.1
Was ist überhaupt Gesundheit, und was ist Krankheit?
Martin Hafen (2007) bezeichnet dies wie folgt:
Der Begriff ‚Gesundheit’ bezeichnet die subjektivierend psychische und objektivierend soziale Beobachtung von Symptomen der Gesundheit/Nicht-Gesundheit
anhand von Unterscheidungen wie Abwesenheit/Anwesenheit von Krankheiten,
Wohlbefinden/Unwohlsein oder Vitalität/Antriebslosigkeit. ‚Gesundheit’ bezeichnet damit keinen absoluten Zustand, sondern die sich laufend verändernde Positionierung eines Menschen auf dem Gesundheits-/Krankheitskontinuum, wobei
zwischen physischer und psychischer Gesundheit zu unterscheiden ist. Die Positionierung auf dem Kontinuum wird beeinflusst durch die Krankheiten, durch proaktiv pathogene Faktoren (Risikofaktoren) und durch protektive Faktoren (Schutzfaktoren), welche die pathogene Wirkung der Risikofaktoren vermindern. Die Risiko- und Schutzfaktoren können als physische, psychische, soziale und physikalisch-materielle Faktoren unterschieden werden. Da Gesundheit als Phänomen
empirisch nicht fassbar ist, kann sie immer nur indirekt gefördert resp. erhalten
werden: durch die Behandlung von Krankheiten oder durch die Verhinderung
(Prävention) dieser Krankheiten durch die Reduktion der Risikofaktoren und den
Ausbau der Schutzfaktoren. (S.81-82)
Abbildung 1
System der
Krankheitsbehandlung
Präventionssystem
professionelle und semi-professionelle Behandlung
Professionalisierte
Prävention und Gesundheitsförderung
Nicht professionalisierte
Krankheitsbehandlung
präventives Alltagshandeln
Das Gesundheitssystem als Einheit von Präventionssystem und System der Krankenbehandlung nach Martin Hafen (2007), Abb. 2, S. 105
-9-
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
Die Sozialarbeit kommt in vielen Bereichen mit Menschen in Kontakt, die durch ihre
Krankheit eine Behandlung benötigen (z.B. Kliniken). Aber auch schon präventiv (z.B.
Suchtprävention) wirkt die Sozialarbeit erheblich auf den Gesundheitszustand mit ein.
Hafen (2007) weist darauf hin, dass sich insbesondere in der Suchtarbeit die Überzeugung durchsetzt, wie wichtig die Zusammenarbeit zwischen dem System der Krankheitsbehandlung (Behandlung hat auch immer präventive Aspekte) und dem Präventionssystem ist. Die Früherkennung zwischen Behandlung und Prävention ist von entscheidender Bedeutung. (S. 105) Die Sozialarbeit als Profession arbeitet also in verschiedenen Bereichen mit kranken Menschen zusammen. Hier ist es sehr wichtig, professionell zu arbeiten, und dazu gehört auch, ein entsprechendes Wissen zu besitzen.
Ein Wissen, welches den Sozialarbeitenden erlaubt, die kranken und die gesunden Teile eines Menschen anzuerkennen. Wird nur der kranke Teil angesehen, dann besteht
die grosse Gefahr, Menschen auf ihre Krankheit zu reduzieren und zu unterschätzen.
Sehen die Sozialarbeitenden aber nur die gesunden Teile, besteht wiederum die Gefahr, die Klientel zu überfordern. Diese Bachelorarbeit will darauf aufmerksam machen,
dass die Arbeit mit psychisch kranken Menschen ein spezifisches Wissen braucht, um
zwischen den kranken und den gesunden Teilen zu unterscheiden und entsprechend zu
handeln. So können die erkrankten Menschen an der richtigen Stelle unterstützt und an
den richtigen Stellen gefordert werden.
„Es hat sich […] also mehrfach gezeigt, dass nicht nur psychische und körperliche
Krankheiten (und Gesundheit) für die Kommunikation relevant werden können, sondern
dass auch die kommunikativen Prozesse die Entwicklung von Krankheit und Gesundheit
als Umweltfaktoren beeinflussen können“ (Hafen, 2007, S. 71). Die Kommunikation ist
das zentrale Instrument für die Sozialarbeit. Hier liegt also bereits viel Kraft verborgen,
welche sich positiv auf die Gesundheit des Klientels auswirken kann.
Die Gesundheitsförderung und das Recovery1 haben gemein, dass sie keine klar abtrennbaren Kategorien von Gesundheit und Krankheit besitzen. Es geht nicht darum,
nur gesund oder nur krank zu sein, sondern beides zur selben Zeit. Auch wer in unseren
Augen krank ist hat seine gesunden Zeiten. Die Gesundheit ist zu verschiedenen Zeiten
einfach unterschiedlich ausgeprägt. Die Krankheit und die Gesundheit überschneiden
sich und sind niemals vollständig voneinander getrennt. (Amering, Michaela & Schmolke, Margit, 2007, S. 135-136)
Unser Wunsch nach absoluter Gesundheit ist also nicht realistisch, jeder Mensch hat
gesunde und auch kranke Anteile. Thomas Bock (1992 zit. in Amering & Schmolke
2007, S. 136) meint, dass „Gesundheit als unbedingtes Ideal“ Menschen, die dieses
„Ideal“ nicht erfüllen, ins Abseits manövriert.
1
Recovery = Erholung, Rückgewinnung (hier bedeutet Recovery ein Modell für die professionelle Bemühung in der Zusammenarbeit mit psychisch kranken Menschen; eine Zusammenarbeit durch die Person,
für die Person und mit der Person) (Amering & Schmolke, 2007, S. 7-8)
- 10 -
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
Gesundheitsprogramme sollen nicht isoliert von der klinischen Praxis bestehen. „Mit
anderen Worten: Ein kranker Mensch benötigt ebenso Dinge, die ihm gut tun und ihn
aufbauen, wie jeder andere auch “ (Amering & Schmolke, 2007, S. 137). Die Gesundheitsförderung bei kranken Menschen ist neben der Behandlung ein ganz wichtiger Aspekt, dem vermehrt Achtung geschenkt werden sollte.
Viele Menschen, die an einer psychischen Krankheit leiden, haben oft lange alleine
funktioniert. „Nur“ weil sie jetzt akut an einer Krankheit leiden, heisst dies noch lange
nicht, dass sie keine gesunden Anteile mehr haben. Dieses Bewusstsein kann zu einer
Entstigmatisierung beitragen. Recovery führt dazu, dass der Mythos der Unheilbarkeit
bei psychischen Krankheiten endlich verschwindet. Denn die Realität entspricht dieser
Einschätzung nicht. Die Hoffnungslosigkeit, welche durch diese falschen Annahmen auf
die erkrankten Menschen wirkt, vernichtet die Kräfte, die für die Gesundheit arbeiten,
und behindert somit den Genesungsprozess. (Amering & Schmolke, 2007, S. 15)
Ein grosses Problem durch Stigmatisierung ist das Phänomen der selbsterfüllenden
Prophezeiung:
„Eine selbsterfüllende Prophezeiung – oft auch „self-fulfilling-prophecy“ genannt – ist
eine Behauptung von einer oder mehreren Personen über einen anderen Menschen, die
nicht unbedingt der Wahrheit entspricht, die aber bei diesem ein Verhalten erzeugt, das
dieser Behauptung entspricht “ (Hobmair, Hermann, Altenthan, Sophie, Betscher-Ott,
Sylvia, Dirrigl, Werner, Gotthardt, Wilfried &Ott, Wilhelm, 1997, S. 353). Durch Voraussagen werden Menschen in eine Richtung geleitet, die diese Prophezeiungen dann sogar noch bestätigen wird. Diese Menschen werden beinahe gezwungen, auf eine bestimmte Art und Weise zu reagieren, was wiederum zu einer Stärkung der Prophezeiung beiträgt. (Watzlawick, Paul, Beavin, Janet H.& Jackson, Don D. et al. 2003, S. 95)
Darin besteht die grosse Gefahr der falschen Zuschreibung einer Diagnose, denn diese
erzeugen bei der Klientel genau das Verhalten, welches erwartet wird.
2.2
Wer diagnostiziert eine psychische Krankheit?
Es ist sehr wichtig, dass nicht Sozialarbeitende in die Rolle von Psychologen/Psychologinnen oder in die von Ärzten/Arztinnen wechseln. Sozialarbeitende dürfen
selbst keine Diagnosen stellen. Auch wenn aus Erfahrungen ein Verdacht aufkommen
könnte, wäre es unprofessionell, mit dieser Hypothese zu arbeiten. Die Gefahr zu generalisieren wird den sehr komplexen Krankheitssymptomen und Krankheitsbildern nicht
gerecht. Sozialarbeitende können sicherlich oft feststellen, dass bei einem Klienten /
einer Klientin etwas nicht stimmt, was in die Richtung einer psychischen Krankheit deuten könnte. Eine Krankheit jedoch gehört in ärztliche Abklärung, denn es wäre fatal,
wenn eine Unterstellung sich nicht bewahrheiten würde. Die Diagnose einer psychischen Krankheit zu bekommen, ist mit einer starken Stigmatisierung verbunden. Es ist
sehr wichtig, dass dies von Professionellen aufgefangen werden kann und gleichzeitig
- 11 -
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
die Behandlungsmöglichkeiten aufgegriffen werden können. Die Grenze zwischen der
medizinisch therapeutischen und der sozialarbeiterischen Seite ist klar zu ziehen. Zentral ist hier die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Stellen. Denn nur wenn
die verschiedenen Professionen gute Zusammenarbeit leisten, kann der psychisch
kranken Person eine optimale Unterstützung geboten werden.
Viele Menschen, die an einer psychischen Krankheit leiden, empfinden sich selbst nicht
als krank. Die fehlende Krankheitseinsicht kann die Zusammenarbeit erschweren, ist
aber bei vielen Krankheitsbildern ein sehr typisches Verhalten.2 Es geht nicht darum,
Menschen eine Krankheit zu unterstellen, oder sie krank zu machen, wenn sie doch
sehr gut zurecht kommen. Eine Behandlung wird erst dann nötig, wenn sie selbst oder
ihr Umfeld davon gefährdet sind. Oder dann, wenn jemand unter der Krankheit so leidet,
dass er/sie selbst Hilfe sucht.
An dieser Stelle gilt es die Komorbidität3 zu erwähnen, denn oft leiden die Menschen
nicht einfach isoliert an einer Krankheit, sondern es gibt Mischformen. Viele Krankheiten
gehen einher mit Abhängigkeiten. Es ist dann wichtig, mit ärztlicher und/oder psychologischer Seite herauszufinden, was die Hauptproblematik darstellt.
Bsp. Frau M.: Sie ist seit vielen Jahren immer wieder in der Klinik. Frau M. leidet unter
einer Depression und einer Alkoholabhängigkeit. Wenn es Frau M. schlecht geht, versucht sie ihren Schmerz mit Alkohol zu dämpfen. Ihre Situation wird dann jeweils immer
dermassen schlimm, dass sie völlig verwahrlost. Frau M. hat seit Jahren immer wieder
wechselnde Beistandschaften. Die neue Beiständin will Frau M. an einen Heimplatz für
alkoholabhängige Menschen bringen. Die Ärzte suchen mit der Beiständin das Gespräch und machen ihr klar, dass Frau M. nicht in erster Linie mit dem Alkohol zu kämpfen hat, sondern mit ihrer schweren Depression. Der Alkohol ist lediglich ein Mittel, um
damit fertig zu werden. Frau M. wäre also an einem solchen Heimplatz falsch. Die Behandlung für Frau M. muss viel spezifischer auf ihren Fall ausgerichtet werden. Die
Hauptproblematik der Depression, wäre bei dieser Lösung völlig ausser Acht gelassen
worden.
Das Beispiel zeigt, dass das Offensichtliche nicht zwangsläufig das Richtige ist. Deshalb
ist es auch so wichtig, dass behandelnde Ärzte/Ärztinnen und Psychologen/Psychologinnen einbezogen werden. Die medizinisch psychologische Seite hingegen ist auch oft auf Erfahrungen der Sozialarbeitenden, welche ihr Klientel teils schon
lange begleitet, angewiesen, um sich ein genaueres Bild über die Situation machen zu
können (z.B. Was lief ab welchem Zeitpunkt nicht mehr gut? Wie hat sich die Person
verändert?) Gemeinsam kann somit ein vollständigeres Bild erlangt werden, welches ein
besseres Verständnis für die Situation und die Behandlung ermöglicht.
2
Bei einer akuten Schizophrenie ist fehlende Einsicht mit 97% das häufigste Symptom. (Amering &
Schmolke, 2007, S. 39)
3
Komorbidität = wenn bei einer Person zwei oder mehr Probleme auftreten (Comer, Ronald J., 2001, S.
515)
- 12 -
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
Eine Diagnose ist keine „endgültige“ Sache. Diagnosen dienen lediglich dem Verstehen.
Die therapierende Person bekommt dadurch ein Bild davon, wie die Klientel sich wahrscheinlich verhalten wird, und welche Handlungsansätze hilfreich sein werden. Dieses
Wissen wird als Heuristik bezeichnet. Es beinhaltet einen Leitfaden für die Informationsverarbeitung und die Handlungsplanung. Dies alles sind aber nur grobe Angaben. Es
muss auf Grund der Heuristik immer geprüft werden, ob diese im konkreten Fall auch
zutrifft. (Sachse, Rainer, 2006, S. 24-26)
„Allen wissenschaftlichen Daten zum Verlauf von Behandlungsmöglichkeiten von
schweren psychiatrischen Erkrankungen weisen darauf hin, dass es keine Sinn macht,
sich von einer Diagnose zu einer ungünstigen Prognose verleiten zu lassen“ (Amering &
Schmolke, 2007, S. 12).
Eine Diagnose ist also ein Arbeitsinstrument für Professionelle welche eine Person behandeln. Nicht mehr und nicht weniger. Der Einzelfall ist viel komplexer als eine Diagnose, und dieser Tatsache muss Sorge getragen werden. Die grosse Gefahr bei vielen
Menschen, welche sich mit psychischen Krankheiten schlecht auskennen, ist, dass jemand aufgrund einer Diagnose abgestempelt wird. Die Sozialarbeit soll durch die Diagnose nur eine Richtungsweisung für entsprechende Handlungsinstrumente bekommen.
Menschen mit unterschiedlichen Krankheiten brauchen in unterschiedlichen Belangen
Unterstützung, und der Fokus ist jeweils auf etwas Bestimmtes zur richten. Was aber
unter keinen Umständen geschehen darf, ist, jemandem die gesunden Anteile abzusprechen, oder gar anzunehmen, dass sich der Zustand der erkrankten Person nur
noch ins Negative verändern kann. Zahlreiche Menschen leiden einmal in ihrem Leben
unter einer psychischen Störung, und viele werden wieder gesund. Auch kann sich der
Anteil an Gesundheit verbessern, obwohl die psychische Störung nicht vollumfänglich
verschwindet. Die Diagnose soll der Sozialarbeit dazu dienen, im Bedarfsfall die richtigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, und diese sollen laufend überprüft werden.
Des weitern ist anzumerken, dass es viele Menschen gibt, die trotz einer psychischen
Krankheit keine Behandlung wünschen. Hier stellt sich die schwierige Frage zwischen
Selbstbestimmung und Behandlungen, die gegen den Willen der Betroffenen durchgesetzt werden. Hier hilft vielleicht der Vergleich mit Menschen, die beispielsweise an
Krebs leiden. Viele Krebskranke möchten sich nicht einer Behandlung unterziehen. Ihnen wird das Recht auf Selbstbestimmung nicht abgesprochen. (Seibert, Ulrich, 2001,
S. 26) Hier stellt sich für die Sozialarbeit eine schwierige Thematik. Es gilt aber, für jeden einzelnen Fall vorsichtig abzuwägen und der Selbstbestimmung des Klientels die
grösstmögliche Achtung beizumessen.
2.3
Klassifikationssysteme psychischer Krankheiten
Es gibt zurzeit zwei grosse Klassifizierungssysteme von psychischen Krankheiten: das
ICD und das DSM.
- 13 -
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
ICD (International Classification of Diseases): International akzeptierte Systematik
psychischer Störungen, welche von der Weltgesundheitsorganisation im Rahmen der
Version von ICD-8 erarbeitet wurde. Bis 1970 existierten zwischen den verschieden
Ländern oder gar innerhalb von verschiedenen psychiatrischen Schulen grosse Unterschiede in der psychiatrischen Krankheitslehre. Durch die Aufnahme ins ICD wurde die
Voraussetzung für eine internationale Vereinheitlichung geschaffen. Aktuell ist die 10.
Version, das ICD-10.
DSM (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen): Wurde
1980 eingeführt, es benutzt teilweise andere Einteilungskriterien als das ICD System. In
vielen Punkten repräsentiert es besser den aktuellen empirischen Wissenstand. Ein
grosser Vorteil sind die strikten Operationalisierungskriterien für die Erstellung von Diagnosen. Nach folgenden fünf Achsen wird klassifiziert:
•
•
•
•
•
Achse I: aktuelles, psychopathologisches Syndrom4
Achse II: Persönlichkeitsstörung
Achse III: körperliche Erkrankungen
Achse IV: situativer Auslöser
Achse V: soziale Adaptation
Æ dadurch sollen möglichst viele Informationen über den Patienten / die Patientin in die
Diagnose miteinbezogen werden können. (Möller, Hans-Jürgen, Laux, Gerd & Deister,
Arno, 2001, S. 65)
DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen IV) ist die
aktuelle Auflage eines Klassifikationssystems für psychische Probleme und Störungen.
Es wurde von der American Psychiatric Association entwickelt. Die aktuelle Fassung
stellt die vierte Version dar. (Comer, 2001, S. 509)
In dieser Arbeit wird das DSM-IV verwendet. Mit einer Tabelle der Kriterien der jeweiligen Störung wird diese bei jedem Krankheitsbild kurz zusammengefasst. Es dienen die
Versionen/Übersetzungen von Ronald J. Comers Buch „Klinische Psychologie“, einem
Lehrbuch für Lernende der Psychologie als Grundlage. Diese Version des DSM-IV ist
gut verständlich da sie im Gegensatz zum ICD weniger medizinisch formuliert ist.
2.4
Statistische Tendenzen zu psychischen Krankheiten
Die Kernkompetenz des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums [Obsan] ist die
Analyse der psychischen Gesundheit. In einer epidemiologischen5 Auswertung der Medizinischen Statistik zur stationären psychiatrischen Inanspruchnahme in der Schweiz
4
5
Syndrom = aus mehrere charakteristischen Symptomen sich ergebendes Krankheitsbild
epidemiologisch: seuchenartig (Duden, 1996, S. 256)
- 14 -
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
von Hans-Christian Kuhl und Jörg Herdt (2004) zeigt sich bei der stationären Behandlungsprävalenz nach Diagnosegruppen im Zeitraum von 2000 bis 2004 folgendes Bild:
Tabelle 1
Diagnosegruppen
Störungen durch
Alkohol
Schizophrenie
Depression
Persönlichkeitsstörungen
2000
12.1
2001
11.7
2002
12.2
2003
11.6
2004
11.8
7.5
17.0
2.8
7.2
17.6
3.0
8.1
18.7
3.6
8.0
18.2
3.7
8.0
18.1
3.8
Angaben je 10'000 Einwohner/innen
Vereinfachte Tabelle in Bezug auf die in der Arbeit behandelten Störungen in Anlehnung
an Kuhl & Herdt (2004), Tabelle 3, S. 47.
In den Verläufen der Krankheiten wird ersichtlich, dass die Störungen tendenziell zunehmen. Es gibt zurzeit leider noch keine veröffentlichten Daten über die Veränderung
von 2004 bis 2008.
Das Bundesamt für Statistik [BFS] hat in den Tabellen der „Gesundheitsstatistik, Medizinische Statistik 2006“ (herausgegeben 2008) folgende Spitaldiagnosen in Psychiatrischen Kliniken eruiert.
•
•
•
Affektive Störungen mit 27549 Fällen = 27,8% der Diagnosen
sonstige psychische und Verhaltensstörungen mit 27491 Fällen = 27,7% der Diagnosen
Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen mit 14412 Fällen = 14,5%
der Diagnosen(S. 39)
Die Weltgesundheitsorganisation [WHO]6 macht in ihrem Bericht über die ministerielle
WHO-Konferenz mit dem Titel "Psychische Gesundheit: Herausforderungen annehmen,
Lösungen schaffen" (2006) auf die enorme Last psychischer Gesundheit aufmerksam.
Laut ihren Zahlen hat mindestens jede vierte Person in Europa einmal im Leben psychische Gesundheitsprobleme. In Europa leben ungefähr 870 Mio. Menschen, 100 Mio.
davon leiden an Angstzuständen und Depressionen, über 21 Mio. an Störungen im Zusammenhang mit Alkohol, ca. 4 Mio. an Schizophrenie, 4 Mio. an bipolaren, affektiven
6
WHO: 1948 gegründete Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich hauptsächlich mit internationalen Gesundheitsfragen und der öffentlichen Gesundheit befasst.
- 15 -
Störungen und weitere 4 Mio. an Panikstörungen. Neuropsychiatrische Störungen7 sind
verantwortlich für mehr als 40% der chronischen Krankheiten und sind die wichtigste
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
Ursache für die mit einer Behinderung verbrachten Lebensjahre. (Hier ist die Depression die häufigste Einzelursache.) (S. 1-2)
Auch auf die Arbeit und somit auf die eigenständige, finanzielle Sicherung haben die
psychischen Krankheiten laut dieses WHO Berichtes einen massiven Einfluss. „In vielen
Ländern sind psychische Gesundheitsprobleme für 35-45% des Fernbleibens von der
Arbeit verantwortlich“ (S. 2). Hier wird deutlich, wie wichtig der richtige Umgang mit
Menschen mit einer psychischen Störung ist. Durch die Störung verlieren viele Menschen ihre Arbeit, kommen in finanzielle Existenznöte und kommen somit durch die
wirtschaftliche Sozialhilfe mit der Sozialarbeit in Kontakt. Das psychische Problem wird
möglicherweise verkannt und es wird nur oberflächlich eine Lösung gesucht. Da sich
psychische Probleme ab einer gewissen Intensität nicht mehr von alleine lösen, ist hier
die richtige Vernetzung mit Hilfestellungen (Behandlung) wichtig. Dies kann den Heilungsprozess fördern, und das Problem wird nicht nur oberflächlich behandelt sondern
an der Wurzel.
7
Die Neurologie beschäftigt sich mit Erkrankungen des Nervensystems. Einige psychische Störungen
haben ihren Ursprung in einer Erkrankung des Nervensystems, diese Verbindung nennt sich dann Neuropsychiatrische Störung.
- 16 -
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
2.5
Stigmatisierung
Die Stigmatisierung ist ein grosses Problem im Zusammenhang mit psychischen Störungen. Die WHO (2006) definiert diese Problematik wie folgt:
„Stigma ist die wichtigste Ursache für Diskriminierung und Ausgrenzung. Es wirkt sich
auf das Selbstwertgefühl der Menschen aus, trägt zur Zerrüttung familiärer Beziehungen
bei und begrenzt die Fähigkeit, sich in der Gesellschaft zu bewegen sowie eine Wohnung und eine Beschäftigung zu finden“ (S. 2).
Die WHO verlangt von seinen Mitgliedern wirksame Gesetzte betreffend psychischer
Gesundheit. Hier fordert sie von Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen den Einbezug der Thematik psychischer Gesundheit und Menschenrechte in die
Vordiplom- und Diplomcurricula von Gesundheitsfachkräften. (WHO, 2006 S. 114) Da
Gesundheit in der Sozialarbeit ein zentraler Aspekt ist, kann dies auch als Aufforderung
für die Hochschule der Sozialen Arbeit angesehen werden.
Des weiteren ruft die WHO die Berufsverbände dazu auf, bei der Ausarbeitung der Gesetze für psychische Gesundheit mitzuwirken und das Bewusstsein zu psychischer Gesundheit und Menschenrechten zu stärken. (WHO, S. 114) Die Menschenrechte sind
fundamental für die Sozialarbeit, der Berufskodex beruft sich darauf und die Menschenrechte sollen handlungsleitend für die Sozialarbeit sein. In diesem Zusammenhang ist
die Stärkung der Menschenrechte auch im Bezug auf die psychische Gesundheit sehr
wichtig. Denn Stigmatisierung und Diskriminierung auf Grund einer Erkrankung sind
nach wie vor ein grosses Problem für Menschen, die an einer psychischen Krankheit
leiden. Die Sozialarbeit kann und soll sich hier zum Ziel machen, gegen diese Missstände zu kämpfen. Dazu gehört ein fundiertes Wissen über die psychischen Krankheiten,
um einen guten Umgang mit der betroffenen Klientel überhaupt erst zu ermöglichen.
Dadurch wird seitens der Sozialarbeitenden die Klientel in seiner Menschenwürde geachtet und fachlich fundiert unterstützt.
Laut einer Schätzung der WHO (1999) über die Epidemiologie psychiatrischer Erkrankungen zeigt sich folgendes Bild:
•
•
•
•
•
Angst- und Zwangsstörungen: 400 Mio. Menschen
Depressionen: 340 Mio. Menschen
Alkoholabhängigkeit: 288 Mio. Menschen
Persönlichkeitsstörungen: 250 Mio. Menschen
Schizophrenie: 45 Mio. Menschen (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 2)
- 17 -
PSYCHISCHE KRANKHEITEN ALLGEMEINER TEIL
2.6
Weshalb braucht es diese Bachelorarbeit?
Das Obsan kommt in einer Analyse von Peter Rüesch (2006) der schweizerischen Gesundheitsbefragung 2002 zu folgenden Schlussfolgerungen:
„Behinderung ist oft gekoppelt mit einer prekären sozialen Lage. Dies impliziert für die
Behandlung und Betreuung eine ganzheitliche Sicht der Lebenslage von Menschen mit
chronischen Erkrankungen und Behinderungen, die sich nicht auf medizinische Aspekte
im engeren Sine beschränkt, sondern insbesondere die soziale und berufliche Integration berücksichtigt. Dementsprechend ist eine Koordination der verschiedenen Betreuungsinstanzen bzw. ein Case Management (Medizinische Behandlung, soziale Diensten
usw.) zu empfehlen“ (S. 9).
Weiter macht Rüesch (2006) auf die grosse Bedeutung von psychisch behinderten
Menschen aufmerksam:
„Menschen mit psychischen Behinderungen bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. Sie
zählen zu den intensivsten Nutzerinnen und Nutzern von Gesundheitsdiensten. Zugleich
aber ist bekannt, dass viele Personen mit chronischen psychischen Problemen sich
nicht an darauf spezialisiert Fachpersonen wenden. […] Dies deutet auf eine erhebliche
Fehlversorgung hin. Informationen über psychische Erkrankungen und Bemühungen zu
deren Entstigmatisierung sollten sich nicht nur an ein Laienpublikum sondern insbesondere auch an Fachpersonen richten mit dem Ziel der besseren Früherkennung “ (S. 9).
Aus den Schlussfolgerungen des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums und den
statistischen Angaben über psychische Krankheit wird die enorme Wichtigkeit einer
spezialisierten Versorgung ersichtlich. Es handelt sich bei psychisch kranken Menschen
nicht um Einzelfälle, und durch die Krankheit verschlechtert sich meist ihre soziale Situation, wodurch die Betroffenen dann mit der Sozialarbeit in Berührung kommen. Für die
Sozialarbeit ist es unumgänglich, sich in diesem Bereich Wissen anzueignen. Silvia
Staub-Bernasconi (Ernst Engelke, 2002) definiert die Soziale Arbeit als Profession, als
eine Arbeit von spezialisierten Generalisten/Generalistinnen. Mit dem metatheoretischen Bezugsrahmen werden soziale Probleme mit altem und neuem Wissen und Können verbunden und somit auf ihre Lösung eingeschätzt. Die Sozialarbeitenden werden
somit zu „sozialen Erfindern/Erfinderinnen“. (S. 375-376) In der Arbeit mit psychisch
kranken Menschen ist es von grosser Bedeutung, gewisse Kenntnisse über die Krankheiten zu haben, um den Lösungsprozess sozialer Probleme erfolgreich umzusetzen.
Diese Arbeit will das grundlegende Wissen über die häufigsten psychischen Störungen
zusammentragen und mögliche Ableitungen für die Sozialarbeit aufzeigen.
- 18 -
SOZIALARBEIT ALLGEMEINER TEIL
3.
SOZIALARBEIT ALLGEMEINER TEIL
3.1
Berufsverständnis / Berufsbild der Sozialarbeit
„Die Profession Soziale Arbeit umfasst ein heterogenes Konglomerat8 von differenzierten fachspezifischen Tätigkeiten. Sie alle drehen sich um das Vorbeugen, Lindern und
Lösen von Problemen, welche im Zusammenhang mit der Einbindung von Menschen in
die Sozialstruktur – am Punkt, wo Menschen und ihre sozialen Umfelder aufeinander
einwirken – entstehen können. Die Konsequenz solcher „sozialen“ Probleme besteht
darin, dass die Befriedigung biologischer, psychischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Bedürfnisse für Individuen, Gruppen, Gemeinwesen und gesellschaftliche Systeme be- oder verhindert wird. Diese Probleme entstehen aus vielerlei Gründen: durch
unterschiedliche persönliche und/oder soziale Voraussetzungen, durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, durch den gesellschaftlichen, politischen oder ökonomischen Wandel, aber auch durch behindernde Machtprozesse und strukturen“ (AvenirSocial, 2006, S. 2).
Die Sozialarbeitenden arbeiten auf drei Ebenen:
•
•
•
Mikrosoziale Ebene: direkt mit den Betroffenen und ihren Angehörigen
Mesosoziale Ebene: mit Gruppen und deren Kollektiven
Makrosoziale Ebene: auf gesellschaftlicher Ebene
Das Ziel der Sozialen Arbeit ist, die grösstmögliche Autonomie für die Klienten und
Klientinnen anzustreben, um sie so zu befähigen, an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen, sich besser integrieren zu können und so bessere Entwicklungsmöglichkeiten in allen Belangen zu erlangen. Damit können die Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen und Verantwortung für sich und andere Menschen übernehmen.
Methoden der Sozialen Arbeit sind Beratung, pädagogische Begleitung, Erschliessung
von Ressourcen, Animation, Handlungstraining, Bewusstseinsbildung, welches zu besseren Handlungskompetenz führt, Betriebsführung, die Nutzung von Verfahren zur sozialen und organisatorischen Vernetzung.
Sozialarbeitende sind Spezialisten und Spezialistinnen für soziale Beziehungen und
müssen über gewisse Kernkompetenzen wie mit Angehörigen und Fachleuten konstruktiv kooperieren zu können, systematisch analysieren zu können etc. verfügen.
Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit können verschieden gegliedert werden:
•
Trägerschaften und Organisationen: Schulen, Heime, Kliniken, Freizeit und Kulturzentren usw.
8
Heterogenes Konglomerat = Zusammenschluss wirtschaftlicher Unternehmen verschiedener Zweige zu
einem Konzern (Hellwig, Gerhard, Jahr unbekannt, S. 321)
- 19 -
SOZIALARBEIT ALLGEMEINER TEIL
•
•
3.2
Betroffene bzw. adressierte Personen: Senioren und Seniorinnen, Männer, Frauen, Familien, junge Erwachsene, Jugendliche, Kinder usw.
Problemkreise: Armut/Existenzsicherung, Gesundheit, Behinderung, Migration,
Gewalt, Bildung/Sozialisation, Diskriminierung usw.
Grundhaltung der Sozialarbeit
Die ethischen Werte der Professionellen der Sozialen Arbeit basieren auf den Menschenrechten. Insbesondere Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Gleichheit, Demokratie und Solidarität sind zentral. Das Menschenbild ist humanistisch geprägt und
orientiert sich an den Menschenrechten, die aus den ethischen Prinzipien abgeleitet
sind. Sie stehen im Dienste des Lebens, in dem die psychischen, physischen, sozialen
und kulturellen Bedürfnisse der Menschen anerkannt und befriedigt werden. Die unveräusserliche Würde und der Wert jedes einzelnen Menschen findet Anerkennung und
Schutz. Die ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit als eine Menschenrechtsprofession
sind in den internationalen Richtlinien der IFSW (International federation of social workers) definiert. (AvenirSocial, 2006, S. 1-7). Die ethischen Richtlinien befinden sich im
Anhang.
Diese Arbeit richtet sich an Berufskollegen und -kolleginnen, welche auf der mikrosozialen Ebene arbeiten. Eine Sachlage wird als Problem anerkannt. Um dieses Problem zu
lösen, braucht der Betroffene / die Betroffene Unterstützung. Eine Methode der Sozialarbeit ist wie oben erwähnt die Beratung. Die Beratung, so Gordon L. Lippit und Ronald
Lippit (1984) ist ein Prozess. In diesem Prozess wird Hilfe gesucht und Hilfe gegeben
(S. 11). Die Beratung in der Sozialarbeit ist die wesentliche Intervention in der professionellen Arbeit. Sie gilt als Schlüsselkompetenz, die die Klientel (Familien, Einzelpersonen, Lebensgemeinschaften bzw. kleine soziale Systeme) befähigen soll, Lösungsmöglichkeiten für das bestehende Problem zu finden und anzuwenden. Die Umwelt, die vorhandenen Ressourcen wie auch die externen Ressourcen, auf welche Anspruch besteht, werden für den Lösungsprozess berücksichtigt und einbezogen. Sozialarbeiterische Beratung vermittelt konkrete Hilfe (z.B. Finanzen, Wohnen, Arbeit), regt zum Dialog über mögliche Veränderungen in der Lebensgestaltung an und gibt Informationen im
sozialen Bereich. Die Beziehung zwischen Sozialarbeitenden und dem Klientel steht im
Mittelpunkt in der sozialarbeiterischen Beratung. Die Sozialarbeitenden verfügen über
Fähigkeiten und das Wissen, um respektvoll den verschiedenen Menschen zu begegnen und eine tragfähige Beziehung zu gestalten. (Kunz, Daniel, 2006, S. 4)
Im Beratungsprozess wird die Beratung in Schritte eingeteilt, die einen Lösungsweg für
das Problem aufzeigen
Ein Beratungsprozess ist nach Esther Weber (2003) wie folgt aufgebaut:
•
•
Klärung der Ausgangslage
Hypothesenbildung
- 20 -
SOZIALARBEIT ALLGEMEINER TEIL
•
•
•
Zielformulierung
Intervention
Evaluation (S. 10)
Was braucht es für Bedingungen damit der Beratungsprozess möglichst optimal
verlaufen kann?
Auf der mikrosozialen Ebene arbeiten die Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen direkt
mit den Betroffenen zusammen. Die Interaktion erfolgt somit durch Beratung. Das Instrument der Beratung ist das Gespräch. Die professionelle Gesprächsführung ist eine
spezifische Hilfestellung bei der Analyse und Lösung von Problemen und wird in folgenden Situationen angewandt:
•
•
•
•
•
•
•
Zur Schaffung einer wohlwollenden, vertrauensbildenden Atmosphäre
Zur Vermittlung von Informationen
Zur Animation zu Aktivitäten
Zur Klärung von Rahmenbedingungen und Regeln und zu deren Durchsetzung
Zur Erfassung und Analyse der Situation
Zur Bearbeitung der Probleme, zur Entwicklung und Umsetzung von Lösungsmöglichkeiten
Zur Durchführung von Standortbestimmungen und Evaluationen, zur Qualifizierung, zum Anbringen von Kritik usw.
Die professionelle Gesprächsführung hat verschiedene Formen. Beratung ist eine professionelle Auswahl von Arbeitsweisen je nach Adressaten resp. Adressatin, Problem
und Ziel und ist selbst keine Methode. Sozialarbeitende sind Experten/Expertinnen für
den Problemlösungsprozess und geben Hilfe zur Selbsthilfe (Æ Siehe Kapitel 4.4 Empowerment). In der Sozialarbeit findet die Beratung meist im formellen Rahmen im Auftrag einer Organisation statt. Die Beratung kann für erbetene, angebotene oder angeordnete Gespräche sein. Die Klientel definiert das Anliegen. Daraus wird ein verbindliches Arbeitsbündnis und einen Problemlösungsprozess erarbeit, die über einen definierten Zeitrahmen laufen.
Nun folgt das Erstgespräch. Es ist die erste Begegnung zwischen Sozialarbeitender /
Sozialarbeitendem und Adressaten / Adressatin.
(Brusa, Elke & Ermatinger, Heinz, 2006, S. 1–4)
3.3
Psychische Komponente
Die Probleme, welche durch die Professionellen der Sozialarbeit aufgrund von Lösungsprozessen bearbeitet werden, haben immer einen Ursprung. Es ist nicht immer
klar, welchen Ursprungs die Probleme sind. Der lösungsorientierte Ansatz lehrt, die Lösungen zu suchen und sich nicht im Problem zu verirren und zu verwirren sondern nach
vorne zu schauen, Ausnahmen zu suchen, Wunderfragen (Æ Siehe Kapitel 4, Fussnote
- 21 -
SOZIALARBEIT ALLGEMEINER TEIL
11) zu stellen, in die Zukunft zu schauen und daran zu arbeiten, die Lösung zu finden.
Es kommt vor, dass der Ursprung vermeintlich klar ist. Ein Beispiel: Ein Mann verliert
seine Arbeit. Nach vielen Bemühungen findet er keine neue Anstellung. Nach zwei Jahren wird er ausgesteuert. Nach so viel Demütigung von der Kündigung bis zur Ablehnung bei den zahlreichen Vorstellungsgesprächen, verliert der Mann alle Achtung vor
sich und seiner Frau. Der Mann weiss sich nicht anders zu helfen, als seine Wut und
Aggression an der Frau auszulassen. Er beschimpft sie immer öfter. Die Situation eskaliert und es kommt zum ersten Mal zu physischer Gewalt. Der Mann schämt sich sehr
und will nun endlich etwas dagegen unternehmen. Nach langem Hin und Her hat er sich
beim „Mannebüro gegen Gewalt“ angemeldet.
Hier scheint der Grund für das Problem klar zu sein. Die Arbeitslosigkeit hat die anderen
Probleme ausgelöst. Es kann aber auch noch andere Gründe geben, z.B. unbewusste
Konflikte oder Verhaltensweisen, die nun zum Problem werden. Vielleicht hat sich der
Mann nur über die Arbeit definiert, hat sich nicht eingehend um die Frau und Hobbys
gekümmert. Plötzlich fühlt er sich schlecht, als sei er nichts mehr wert. All die Anerkennung, die er von den Arbeitskollegen / Arbeitskolleginnen für seine gute Arbeit, seine
Ideen, seine Vorschläge erhalten hat, ist weg. Für die Sozialarbeit ist es nicht vordergründig wichtig, was der Auslöser war, sondern wie es nun weitergehen kann, was es
braucht, damit das Zusammenleben wieder erträglich wird.
Die psychische Verfassung der Menschen ist ein Teil wie auch die physische. Durch
Probleme wird die psychische Verfassung verändert, was aber nicht heisst, dass daraus
in jedem Fall eine psychische Störung entsteht.
Menschen, die an einer psychischen Krankheit leiden, können soziale Probleme bekommen. Es kann aber auch sein, dass zuerst die sozialen Probleme auftraten, welche
dann eine psychische Krankheit begünstigten. Wenn eine Person mit einer psychischen
Störung Rat und Unterstützung für soziale Probleme braucht, spielt es im ersten Moment keine Rolle, was zuerst war. Klar ist, dass die Person unter einer psychischen
Krankheit leidet und soziale Probleme hat. Die psychische Störung kann sich aber erheblich auf die Beziehungsgestaltung und somit die Zusammenarbeit auswirken. Darum
sind ein Wissen über die Krankheit und Ideen zur Förderung der Zusammenarbeit sehr
wichtig. Mit Verhaltensweisen, welche in dieser Arbeit herausgearbeitet wurden, soll die
Beziehung zwischen Sozialarbeitenden und Menschen mit einer psychischen Störung
verbessert werden und sich positiv auf die Zusammenarbeit auswirken. Die verbesserte
Zusammenarbeit wirkt sich auf den gesamten Problemlösungsprozess aus. In der professionellen Gesprächsführung fliesst das Wissen über die verschiedenen Krankheiten
und deren Eigenarten ein. So werden die Grundvoraussetzungen für eine konstruktive
Zusammenarbeit verbessert, und Lösungen können auf einem höheren Niveau herausgearbeitet werden.
- 22 -
SOZIALARBEIT ALLGEMEINER TEIL
Systemniveaus
In der folgenden Grafik sind die Systemniveaus dargestellt. Der Mensch ist primär biologisch. Dieses Ebene ist somit Grundvoraussetzung für Leben. Dann folgt die psychische Ebene, dann die soziale und die kulturelle Ebene. Das Dreieck symbolisiert den
Menschen aus der Vogelperspektive. Jedes vorangehende Niveau ist Grundlage für das
nächst höhere Niveau. Das heisst, dass die biologische Ebene Einfluss auf alle anderen
Ebenen hat. Das psychische Niveau wirkt sich sowohl auf das soziale, wie auch auf das
kulturelle aus. Mit dieser Grafik wird aufgezeigt, wie stark, die psychisch Ebene auf die
soziale einwirkt. Wenn nun Störungen auf der psychischen Ebene vorliegen, zeigt sich
das auf der sozialen Ebene, sie wird dadurch beeinflusst. Für die Sozialarbeit kann das
auch heissen, dass man Sozialarbeit nur mehrdimensional machen kann, somit Probleme nur mehrdimensional gelöst werden können.
Abbildung 2
(Schmocker, Beat, 2004, Folie 1-2)
- 23 -
METHODEN
4.
METHODEN ZUR INTERVENTION UND BERATUNG VON PSYCHISCH KRANKEN MENSCHEN
Maja Heiner, Marianne Meinhold, Hiltrud von Spiegel & Silvia Staub-Bernasconi (1994)
verstehen unter methodischem Handeln sämtliche Tätigkeiten „mit denen Ereignisse
und Strukturen in komplexen sozialen Situationen in einem systemischen Zusammenhange gebracht werden. Methodisches Handeln strukturiert den gesamten Prozess der
Wahrnehmung und sprachlichreflexiven Erfassung der Ausgangssituation, des Nachdenkens über Arbeitsaufträge, die Notwendigkeit und Legitimation zum Handeln, des
Entwerfens und Erproben von Handlungsplänen und der Auswertung des Geschehens“
(S. 291).
Damit die Ereignisse der komplexen sozialen Situationen in einen systemischen9 Zusammenhang gebracht werden können, braucht es Methoden. In der Arbeit mit Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, gibt es Methoden die immer wieder
eingesetzt werden. In diesem Kapitel werden sie erläutert.
Durch die psychische Krankheit fällt es den betroffenen Menschen schwer, ihren Alltag
wie gewohnt weiterzuleben. Jens Clausen, Klaus D. Dresler & Ilse Eichenberger (1997)
nennen grundsätzliche Aspekte für die Begegnung mit psychisch kranken Menschen.
4.1
Grundsätzliche Aspekte für die Begegnung mit psychisch kranken Menschen
Respekt
Jedes Mal, wenn ein Klient, eine Klientin mit dem Sozialarbeiter oder der Sozialarbeiterin zusammentrifft, gilt es die Andersartigkeit, die ganz eigene Entwicklung, das Aussehen und die Art des Klientel, zu leben, zu respektieren.
Grenzen
Die Sozialarbeitenden arbeiten in einem Kontext, welcher ihnen bereits Grenzen vorgibt.
Psychisch kranke Menschen sind sich ihrer eigenen Grenzen oft nicht bewusst. Daher
ist es sehr wichtig, dass die Sozialarbeitenden ihre Grenzen kennen, als Mensch wie
auch als professionell Arbeitende und diese wenn nötig aufzeigen können.
Vertrauen
Menschen, die an einer psychischen Störung leiden, trauen niemandem. Ihr „Ich“ ist
brüchig. Wenn der Klient / die Klientin sich nicht traut, muss er / sie den Sozialarbeiten
9
System bedeutet planvolle Ordnung (Hellwig, Jahr unbekannt, S. 598). Unter Systemtheorie in der Sozialarbeit gibt es unzählige Varianten mit anderen Schwerpunkten welche somit ganz andere Handlungskonsequenzen nahe legen (von Schlippe, Arist & Schweitzer, Jochen, 2003, S. 50). Systemisch arbeiten
heisst demzufolge, dass das Handeln nach einen System vorgeht, einer Ordnung folgt. Die Ordnung kann
aber, wie bereits erwähnt, verschiedentlich Schwerpunkte (Kybernetik, u. a.) beinhalten.
- 24 -
METHODEN
den trauen können. Das gibt Sicherheit. Doch bis dieses Vertrauen besteht, müssen die
Sozialarbeitenden viele Herausforderungen meistern. Sie werden getestet, gekränkt,
beleidigt usw. Doch aufgrund des Wissens werden sie nicht darauf einsteigen sondern
immer wieder neue Angebote machen, bis sich die Klientel sicher fühlt. Auf der Sicherheit aufbauend kann zusammen gearbeitet werden.
Zeit
Die Sozialarbeitenden haben eine bestimmte Zeitspanne zur Verfügung, um die Beratungen durchzuführen. Auch die Häufigkeit spielt eine Rolle. Sie bestimmen aufgrund
der Machbarkeit der Klientel den Rhythmus der Beratungen. Anpassungen müssen je
nach Gesundheitszustand immer wieder vorgenommen werden.
Angst
Angst kann aufgrund der Krankheit des Klientel immer wieder ein Thema sein. Sie zu
benennen hilft allen Beteiligten.
Gewalt
Vorkehrungen müssen getroffen werden, damit es nicht zu Gewaltsituationen kommt,
zum Beispiel durch Mitnahme einer zusätzlichen Person zum Gespräch. Notfallsysteme
sollten bekannt sein, damit in akuten Krisen reagiert werden kann. (S. 115-117)
Menschen mit einer psychischen Krankheit haben Mühe ein Teil des gesellschaftlichen
Lebens zu sein. Ihre Krankheit lässt zum Beispiel nicht zu, dass sie an Familienfesten
teilnehmen, weil da Alkohol getrunken wird, und die Person mit einem Alkoholproblem
keine Chance hat, die Abhängigkeit zu verstecken. So muss sie zu Hause bleiben,
muss eine Ausrede erfinden. Das Netz der Lügen wird immer grösser, die Freunde
wenden sich ab, der Arbeitsplatz geht verloren, die soziale Isolation nimmt zu. Nicht nur
Menschen mit einem Alkoholproblem beginnen sich zu isolieren. Bei vielen Störungen,
die in dieser Arbeit beschrieben werden, kann die Folge soziale Isolation sein. Dieses
Problem ist sehr komplex und tangiert viele Lebensbereiche der betroffenen Menschen.
Als Professionelle/r der Sozialarbeit ist es wichtig, in Form des Case Managements zu
koordinieren.
4.2
Case Management
Ruth Remmel-Fassbinder (2002) beschreibt das Case Management als „soziale Unterstützungsarbeit für Menschen mit vielschichtigen Problemen sowohl Ressourcen der
Klienten / Klientinnen als auch der Umwelt aktivieren und zur Problembewältigung nutzbar machen. Die beteiligten Hilfeleistungspotenziale sollen im Sinne einer ganzheitlichen Handlungsperspektive optimal vernetzt werden“ (S. 65).
Case Management heisst für die Sozialarbeit, dass ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin die Führung des Falles übernimmt. Die Klientel wird während des ganzen Be
- 25 -
METHODEN
handlungsprozesses von der gleichen Person betreut. Der Sozialarbeiter / die Sozialarbeiterin ist das Bindeglied zwischen externen und internen Stellen, lenken den Verlauf
der Behandlung in die Richtung der vereinbarten Ziele und erschliessen die dafür nötigen Ressourcen.
Das Ziel von Case Management ist, die finanziellen Kosten möglichst niedrig zu halten,
ohne einen Qualitätsverlust der Behandlung zu riskieren. Um das zu erreichen, braucht
es Methoden und Werkzeuge wie das Case Management. Es soll die professionelle
Fallführung fördern, die Transparenz der Arbeit vorantreiben, für effektive Abläufe sorgen, die Zuständigkeiten regeln, und die Qualität sichern.
Am Beispiel des Case Managements des Drogen Forums Innerschweiz [DFI] (2005) soll
veranschaulicht werden, wie es umgesetzt werden kann (Leichte Abweichungen und
Veränderungen zum Originalpapier). Die Methodik des Case Managements will ein zielorientiertes Vorgehen. Der Prozess ist in sechs Schritte gegliedert:
4.2.1 Vorabklärung (Outreach)
Der Klient / die Klientin bewirbt sich mit einem Lebenslauf, woraufhin telefonisch Kontakt
aufgenommen wird. Die wichtigsten Punkte (wo befindet sich der Klient / die Klientin
momentan, involvierte Behörden und Stellen, aktuelles Problem, Wohn- und Arbeitssituation etc.) werden per Telefon geklärt.
4.2.2 Erfassung der Ausgangslage und Einschätzung des Hilfebedarfs (Assessment)
Nach Erfassung der aktuellen Situation wird ein Erstgespräch vereinbart, das intern oder extern geführt werden kann. Im Erstgespräch wird eine umfassende Situationsanalyse durchgeführt. Es geht um die psychosoziale Situation, Problem- und Ressourcenanalyse, materielle Situation, Arbeitssituation, Gesundheit, Wohnsituation, soziales Umfeld, Einschätzung der bereits involvierten Stellen (Vernetzung), Einhalten des Subsidiaritätsprinzips, Indikation10 / Kontraindikation.
4.2.3 Planung und Kontakt (Planning)
In Gesprächen werden gemeinsame Ziele festgelegt und ein Hilfsplan erstellt. Der Hilfsplan dient als Instrument zur Lenkung des Behandlungsprozesses. Inhaltlich kann daraus eine Analyse der Ressourcen und Defizite des Klienten / der Klientin entnommen
werden. Auf dieser Basis werden die Zielsetzungen und der Behandlungsrahmen festgelegt. Die Ziele und Massnahmen müssen klar definiert sein, damit das Ergebnis nach
10
Indikation = med. Heilanzeige (Hellwig, Jahr unbekannt, S. 260)
- 26 -
METHODEN
einer Zeitspanne überprüft werden kann. Nach der Überprüfung werden die Ziele wenn
nötig angepasst oder weiterentwickelt. Der Hilfsplan gilt als Vertrag, an den sich alle
involvierten Stellen und Personen zu halten haben.
4.2.4 Ressourcenerschliessung, Organisation der Hilfen und Koordination der
Beteiligten (Linking)
Auf der Basis des Hilfsplans werden nun die konkreten Massnahmen in den Bereichen
Arbeit, Sport, Freizeit, Bildung, Finanzen usw. festgelegt. Nach der ersten Behandlungsphase (wird im Vorfeld besprochen) findet ein Standortgespräch statt. Die Ziele
werden überprüft und wenn nötig angepasst. Es muss auch abgeklärt werden, ob neue
Vereinbarungen mit den involvierten Stellen getroffen werden müssen (z.B. wegen Finanzierung einer Therapie).
4.2.5 Überwachung der Durchführung und Steuerung (Monitoring)
Der Sozialarbeiter oder die Sozialarbeiterin, welcher / welche die Führung des Falles
hat, überprüft laufend, ob der Behandlungsprozesses in Richtung der vereinbarten Ziele
läuft. Der Sozialarbeiter / die Sozialarbeiterin hat während der ganzen Behandlungsphase den Gesamtüberblick und interveniert bei Stellen oder Personen, wenn etwas
nicht so läuft wie vereinbart. Die koordinierte Zusammenarbeit des ganzen Helfersystems ist im Case Management die zentrale Aufgabe. Es kann auch vorkommen, dass
die Ziele nicht erreicht werden können, sei es aufgrund des Therapieangebotes, der
fehlenden Kooperationsbereitschaft oder aus anderen Gründen. In diesem Falle informiert der Sozialarbeiter / die Sozialarbeiterin alle involvierten Personen und Stellen, und
die Behandlung muss abgebrochen werden.
4.2.6 Auswertung (Evaluation)
In der Abschlussphase der Behandlung erfolgt eine Auswertung über die festgelegten
Ziele. Die Sozialarbeiter / innen beziehen bei der Evaluation das ganze Hilfssystem mit
ein. Die Verantwortlichen der unterschiedlichen Behandlungsbereiche halten schriftlich
fest, mit welchen Massnahmen die Ziele erreicht oder nicht erreicht wurden und welche
Veränderungen feststellbar sind. Auf dieser Grundlage verfasst der Sozialarbeiter / die
Sozialarbeiterin einen Abschlussbericht. Dieser Bericht muss für alle involvierten Stellen
und Personen einsehbar sein. Zum Abschluss organisiert der Sozialarbeiter / die Sozialarbeiterin die Vernetzung und plant die nächsten Schritte nach Beendigung des Behandlungsplans. (DFI, 2005, S. 2-8)
- 27 -
METHODEN
4.3
Krisenintervention
Eine weitere Methode im Umgang mit psychisch kranken Menschen ist die Krisenintervention. Der Krankheitsverlauf zeigt verschiedene Ausprägungen. Nicht immer ist die
Krise gleich schlimm. Bei einer Krise kann es aber durchaus vorkommen, dass die gewohnten und erlernten Strategien, mit der Krankheit umzugehen, versagen. Denn die
Krise ist der „Höhepunkt“ der Krankheit. Hier gilt es, anders zu handeln. Menschen können bestimmte Schwierigkeiten nach dem humanistischen und systemischen Menschenbild selber bewältigen, so lange Ressourcen vorhanden sind. (Weber, 2005, S.
71) Ulrich Schnyder und Jean-Daniel Sauvant (1993) sagen, Krise im sozialarbeiterischen Sinn bedeutet, dass „das menschliche System durch biologische und/oder psychosoziale Belastungen in einer Weise aus dem Gleichgewicht geraten ist, dass die
gewohnten Bewältigungsstrategien eine Restabilisierung der Balance nicht mehr bewirken können“ (Weber, 2005, S. 71). Krise ist ein Ungleichgewicht zwischen den erlebten
Schwierigkeiten und den zur Bewältigung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Krisen sind sehr individuell. Was für den einen Menschen eine auswegslose Situation bedeutet, ist für einen anderen Menschen ein Problem, das er gut allein regeln kann. Faktoren wie Lebenserfahrung, Alter, körperliche und psychische Befindlichkeit, materielle
Arbeitssituation, Interpretation einer Sachlage, Ressourcen, Ort der Bewältigung und
Arbeitssituation tragen dazu bei, ob eine Situation als Krise oder als bewältigbares
Problem begriffen wird. Wenn die Sozialarbeitenden angemessen auf eine Krise reagieren, hilft das den Betroffenen in Zukunft zwischen kleineren Problemen und wirklichen
Katastrophen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung zu sehen und umzusetzen ist
ausserordentlich wichtig, so Donna C. Aguilera (2000), denn sie gibt den Betroffenen
mehr Sicherheit und dadurch mehr Lebensqualität Dieser Lernprozess kann von Betroffenen gelernt werden, indem Professionelle richtig vorgehen in einer Krisensituation. In
diesem Kapitel werden die Merkmale und die Krisenintervention erklärt, eine Variante
wie man in Krisensituationen handeln kann. (S. 14)
4.3.1 Merkmale einer Krise
•
•
•
•
Krisen sind akut, bedrohlich und überraschend. Einschneidende Erlebnisse können eine Krise auslösen (Tod einer nahe stehenden Person, oder eine Geburt
des Kindes)
Krise ist eine Labilisierung auf sozialer und innerpsychischer Ebene. Aggressive
oder inadäquate regressive Verhaltensweisen werden oft festgestellt.
Krise kann auch die Weichen stellen in den Verhaltensweisen. In der Krise angewöhnte, unadäquate Verhaltensweisen können schnell zur Gewohnheit werden. Das führt dazu, dass das Problem nicht gelöst, sondern nur verlagert wird.
In der Krise haben kleine Ursachen oft eine grosse Wirkung.
- 28 -
METHODEN
4.3.2 Grundsätze der Krisenintervention
In der Krisenintervention geht es nicht darum, sozialarbeiterische Probleme zu lösen,
sondern der Zustand der absoluten Desorientierung, der Hilflosigkeit und Überforderung
möglichst unbeschadet und schnell zu überwinden.
•
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•
Die Zeit muss begrenzt sein. Die Krisenintervention sollte nicht länger als vier bis
sechs Wochen dauern.
Der Fokus muss auf die momentane Situation gelegt werden. Die Krise muss
aufgelöst werden. Alles andere wird später angeschaut.
Aktive Haltung und direktives Arbeiten: Das heisst, dass die Sozialarbeitenden
vorübergehend die Verantwortung übernehmen und Dienstleistungen und aktive
Hilfe z.B. aus dem Umfeld der Klientel organisieren.
Multidisziplinarität: bei Bedarf Hausarzt oder Polizei oder andere Fachleute beiziehen (Weber, 2005, S. 71–74)
Esther Weber (2005) sagt, wie wichtig es ist, die Krise in klar verständliche Worte zu
fassen. Das Ansprechen der Krise, die schlimme Situation in Worte zu fassen, nimmt
den Schrecken. (S. 74)
4.3.3 Krisentherapie I: allgemeines Vorgehen nach Margret Dross (2001)
4.3.3.1 Erstgespräch
Beim ersten Kontakt muss die Situation geklärt werden. Die nachfolgenden Fragen
müssen nicht in schematischer Weise abgehakt werden. Sie geben eine Hilfe, was im
Erstgespräch angesprochen werden soll.
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Beziehungsgestaltung
Erhebung der Probleme: die Klientel soll zum Gefühlsausdruck motiviert werden.
Besteht eine Suizidgefahr?
Abgrenzen zwischen bestimmtem Anlass, der vorausgegangen ist, und chronischer Erkrankung? Ist es eine schwierige Lebenslage oder die Zuspitzung eines
Lebensproblems?
Ausmass und Bedeutung der Krise für den Klienten / die Klientin
Bisherige Bewältigungsstrategien; Kamen auch Vermeidungen, Einengungen
oder Verzerrungen vor?
Allgemeine Lebensverhältnisse, besondere Belastungen
Persönliche, instrumentelle, soziale, materielle Ressourcen und deren Nutzung
Sammlung von Vorschlägen zur Lösung oder Bewältigung
Vereinbarung der erreichbaren Ziele
Das Setting klären
- 29 -
METHODEN
4.3.3.2 Sicherung der Lebensbedingungen
Die Abwendung von Selbst- und Fremdgefährdung ist das wichtigste überhaupt. Sie hat
Vorrang vor allen anderen Aufgaben! Wenn die Kontrolle über notwendige Lebensbedingungen nicht mehr gegeben ist, müssen die Probleme sachlich geklärt und sofort
behoben werden. Wenn die Klientel in einer Krise ist, und das soziale Umfeld nicht ausreichend Unterstützung geben kann, bieten die Sozialarbeitenden Hilfe an.
4.3.3.3 Emotionale Stabilisierung
In einer Krise erwarten die Betroffenen vor allem Verständnis für ihre Lage und Gefühle.
Die Sozialarbeitenden müssen daher selber in der Lage sein, die Balance zwischen Anteilnahme und Kontrolle zu wahren. Emotionale Stabilisierung hat zum Ziel, dass die
Klientel trotz Betroffenheit, Erregung und Schmerz die Gefühle ohne Kontrollverlust ertragen, ihren Alltag bewältigen und Probleme lösen können. Es gibt verschiedene, therapeutische Mittel, um das Ziel der emotionalen Stabilisierung zu erreichen:
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Anteilnahme zeigen
Fürsorge entwickeln (z.B. etwas zu Trinken oder Taschentücher bereit halten)
Entspannungsmöglichkeiten anbieten (Atemübungen, eine Decke oder Liege anbieten)
Unruhe auffangen durch Ansprechen
Zeitperspektiven schaffen
Druck wegnehmen, erklären dass man nicht immer funktionieren kann
Möglichkeit aufzeigen, dass Medikamente vorübergehend helfen können
Zorn und Wut akzeptieren, offene Aggressivität als Gefahr benennen und Konsequenzen aufzeigen, Hilfen zu Impulskontrollen geben
Kritische Tages- und Wochenzeiten herausarbeiten und Lösungen anbieten
Konkret anstehende Belastungen diskutieren und Hilfeleistungen anbieten
Klienten und Klientinnen nicht in Erregung, Aufruhr und akuter Verzweiflung entlassen
Abmachen, wann sich der Sozialarbeiter / die Sozialarbeiterin telefonisch nach
Befinden erkundigt
4.3.3.4 Problembearbeitung
Die Zielfrage zur Problembearbeitung lautet: Was kann ich tun, damit meine jetzige, unerträgliche Lage erträglich wird? Die Veränderung bei einer Krise muss kurzfristig, realisierbar und unmittelbar sein. Die Verbesserung situativer, adaptiver Strategien wird aufgrund von direkten Fragen entwickelt und umgesetzt:
•
•
Bei welchen Tätigkeiten, in welchen Momenten geht es mir kurzfristig besser?
Welcher Umgang tut mir gut oder hat mir früher immer gut getan?
Aus den Antworten dieser Fragen, werden konkrete aktivierende Schritte abgeleitet, die
daheim ausprobiert werden sollen.
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METHODEN
4.3.3.5 Hausaufgaben
Die Klienten und Klientinnen sollten zwischen den Therapiesitzungen Schritte zur Problemerleichterung unternehmen. Deshalb sollte in jeder Beratung konkrete Vereinbarungen über Hausaufgaben getroffen werden und in der nächsten Sitzung nachgeprüft
werden.
4.3.3.6 Die Beendigung der Krisenintervention
Die Dauer der Krisenintervention ist unterschiedlich, man geht aber von einer Dauer von
vier bis sechs Beratungsgesprächen aus. Es wird keineswegs erwartet, dass der Klient /
die Klientin nun alles wieder im Griff hat. Doch die Krise, dieser akute Zustand, in welcher man zu keiner vernünftigen Handlung mehr fähig ist, sollte nach dieser Zeitdauer
überwunden sein. Merkmale, die zeigen, dass die akute Phase vorbei ist:
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•
Es liegt keine Selbst- oder Fremdgefährdung mehr vor
Die Kontrolle über basale Lebensbedingungen ist vorhanden
Emotional soweit stabilisiert, dass die anhaltende Belastungssituation ausgehalten werden kann
Eine Perspektive angesichts des Problems hat unterstützende Wirkung. (S. 36 43)
4.3.4 Spezielle Interventionstechniken zur Krisenbewältigung
Tabelle 2
Technik
Würdigung der Krise
Krisentagebuch
Distanzierung der Krise durch:
Entspannungstraining
Fokussierung
Imagination
Wunderfrage11
Problemlösetraining durch:
Rollenspiele
Wirkung
Emotionale Entlastung, Selbstwertstabilisierung
Erhöhung der Selbstreflexivität
Beruhigung, Kontrolle der Gefühle
Erfassung der gefühlten Bedeutung des
Problems
Selbstberuhigung
Aktivierung von konkreter Änderungsmotivation
Selbstbehauptung, Klärung befürchteter
sozialer Situationen
(Dross, 2001, S. 45)
11
Mit der Frage: „Eines Nachts würden sich wie durch ein Wunder alle ihre Sorgen und Probleme lösen,
woran merkt man das? Wie bemerkt das ihr Umfeld? Was wäre dann anders“ sollen die intensiven Wünsche aktiviert werden und auch die Änderungen, die zur Wunschrealisierung gemacht werden müssen,
herauskristallisiert werden.
- 31 -
METHODEN
4.4
Empowerment (Selbstbefähigung)
„Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst tun können“ (Abraham Lincoln) (Duden 12, 1998, S. 764)
Beim Empowerment geht es in erster Linie darum, dass die eigenen Kräfte wieder aktiviert werden. Eine psychische Krankheit kann bei den Betroffenen das Gefühl auslösen,
machtlos zu sein. Da das Gebiet der psychischen Störungen leider nach wie vor mit vielen Stigmatisierungen und falschen Vorurteilen behaftet ist, fällt es vielen Menschen
schwer, die Betroffenen adäquat zu unterstützen. Die Sozialarbeit kann einen wesentlichen Teil dazu beitragen, dass psychisch kranke Menschen wieder lernen, aus ihrer
Kraft zu schöpfen. Ein ganz wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist Empowerment, bekannt durch die Arbeit von Selbsthilfegruppen.
In der Zusammenarbeit mit psychisch kranken Menschen geht es darum, dass sie sich
wieder ihrer Kraft und ihren Einflussmöglichkeiten gewahr werden. Entweder in Richtung der Bewältigung der Krankheit oder in Richtung der Mitbestimmung und durch die
Einflussnahme auf die Politik. (Knuf & Seibert, 2001, S. 5)
4.4.1 Arbeitstechniken
Knuf und Seibert (2001) nennen in ihren Buch über Empowerment im psychiatrischen
Kontext, eine Arbeitsdefinition einer Arbeitsgruppe (Selbsthilfegruppe) aus Amerika,
welche als Orientierung für die professionelle Arbeit dienen soll. Diese Arbeitsdefinition
vermittelt sehr eindrücklich, was es braucht, damit Professionelle ihre Klientel zur
Selbsthilfe führen können:
1. „die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, was den Betroffenen von den
Professionellen oft abgesprochen wird;
2. über den Zugang zu Informationen und Ressourcen zu verfügen – Professionelle
haben immer noch oft eine eher paternalistische Haltung;
3. über mehrere Handlungsalternativen zu verfügen, unter denen man wählen
kann;
4. Durchsetzungsfähigkeit – nicht psychiatrisch diagnostizierte Personen werden
für solches Verhalten auch „belohnt“, in der Psychiatrie hingegen wird eher „bestraft“;
5. das Gefühl zu haben, als Individuum etwas bewegen zu können – Hoffnung ist
ein elementarer Bestandteil menschlichen Lebens;
6. kritisch denken zu lernen; Konditionierungen zu durchschauen und abzulegen –
das Erzählen der Lebensgeschichte, nicht der Fallgeschichte, ist wichtig;
7. Wut erkennen und äussern zu lernen – der Ausdruck von Ärger bedeutet nicht
automatisch eine „Dekompensation“, wie es so gerne dargestellt wird;
8. sich nicht allein zu fühlen, sondern als Teil einer Gruppe zu begreifen;
- 32 -
METHODEN
9. zu der Einsicht zu gelangen, dass jeder Mensch Rechte hat, auch PsychiatriePatienten / Psychiatrie-Patientinnen;
10. Veränderungen im eigenen Leben und Umfeld zu bewirken – bewirkt ein Mensch
Veränderungen, stärkt er oder sie dadurch das Gefühl, über Kompetenzen und
Kontrolle zu verfügen;
11. neue Fähigkeiten zu erlernen, die der Betroffene, nicht der Professionelle für
wichtig hält;
12. die Wahrnehmung anderer bezüglich der eigenen Handlungskompetenz und fähigkeit zu korrigieren – es ist ein Vorurteil, dass psychiatrische Patienten / psychiatrische Patientinnen nicht ihre Bedürfnisse und Wünsche wahrnehmen könnten;
13. Coming out bezüglich der Krankheit, das demonstriert Selbstbewusstsein;
14. ein niemals abgeschlossener, selbst gesteuerter Prozess inneren Wachstums
und innerer Entwicklung – Stärkung der Eigenmacht ist kein Endpunkt, sondern
ein fortlaufender Prozess;
15. sich ein positives Selbstbild zu erarbeiten und die Stigmatisierung zu überwinden
– dies wiederum fördert die Fähigkeit, das Leben aktiv zu gestalten, und damit
ein positives Selbstbild“ (S. 18-19).
„Professionell Tätigen fällt das Nichthandeln schwerer als das Handeln. Dabei ist gerade die professionelle Zurückhaltung die Ermöglichung dafür, dass Betroffene ihre eigenen Fähigkeiten entdecken und nutzen lernen“ (Knuf, 2001, S. 43).
Durch die professionelle Zurückhaltung, die passive Aktivität, wird für die Betroffenen
erst ein Feld geschaffen, in welchem sie selbst aktiv werden können. Die gewählten
Wege der Betroffenen werden nicht stets die gewünschten sein, aber es ist wichtig sie
alleine lernen zu lassen. Ist es jedoch offensichtlich, dass die erkrankte Person etwas
nicht kann, dann gilt diese Zurückhaltung natürlich nicht. In schweren akuten Phasen
braucht die erkrankte Person viel Hilfe und Unterstützung; dieser Zustand ist jedoch
nicht dauerhaft. Es ist eine sehr grosse Herausforderung zum richtigen Zeitpunkt, die
Unterstützung wieder zurückzuziehen und der erkrankten Person wieder mehr der Eigenverantwortung zu übergeben. Verpasst die professionelle Person diesen Zeitpunkt
oder gerät in einen fürsorglichen Aktivismus, dann wird die erkrankte Person ihrer eigenen Fähigkeiten beraubt. Die Reaktion der erkrankten Person, durch den Rückzug der
professionell Tätigen nach einer akuten Phase, kann einerseits Ärger und Regression
sein, aber möglicherweise auch eine Rückgewinnung von eigenen Fähigkeiten. (Knuf,
2001, S. 43)
- 33 -
METHODEN
4.4.2 Fragestellungen
Wolfgang Stark (2004) gibt mögliche Fragestellungen vor, welche helfen können mit
Empowerment gut zu arbeiten.
•
•
•
•
Unter welchen Bedingungen gelingt es Menschen, ihre eigene Stärke zusammen
mit anderen zu entdecken?
Was trägt dazu bei, dass Menschen aktiv werden und sie ihre eigenen Lebensbedingungen gestalten und kontrollieren?
Was können wir als Professionelle dazu beitragen, verschiedene Formen von
Selbstorganisation zu unterstützen? Wie können wir ein soziales Klima schaffen,
das Empowermentprozesse unterstützt?
Welche Konsequenzen hat dies auf die beteiligten Menschen, Organisationen
und Strukturen? (S. 536)
Dies entspricht der Beratungsmethodik aus dem Unterrichtskonzept der Hochschule für
Soziale Arbeit in Luzern von Esther Weber (2005), dem Konzept der Ressourcenorientierung einer Grundlage für einen Problemlösungsprozess. Ein Ziel soll nämlich sein,
dass die Klientel möglichst schnell wieder möglichst viel Verantwortung übergeben werden kann. Dadurch wird die Klientel selbst wieder aktiv und kann sich seiner Einflussnahme und seiner Ressourcen bewusst werden. Weber sieht die Sozialarbeit als eine
Art Ergänzung zu den Ressourcen der Klientel. Es ist wichtig, dass der Fokus auf der
Lösung und den Ressourcen liegt und nicht auf der Seite des Problems. Ein Grundbedürfnis der Menschen ist die Unlustvermeidung; diese wird jedoch durch eine Notlage
gestört. Aus diesem Grund haben Sozialarbeitende hier die Aufgabe, Hoffnung zu vermitteln. Dies zeigt sich in
•
•
Wertschätzung für den Mut über seine Probleme zu sprechen
Möglichkeit geben, über Positives zu berichten
Klappen Lösungsversuche nicht, so hat die Klientel das Gefühl, die Kontrolle über die
Situation zu verlieren. Hier ist für die Beratung von grosser Bedeutung, dass in transparenter Weise aufgezeigt und informiert wird, was die Ziele sind und mit welchen Strukturen diese erreicht werden wollen (Zeit, Termine etc.). Damit sich wieder Erfolgserlebnisse einstellen können werden erst (egal wie kleine) Aufgaben vereinbart. Durch das Lösen dieser Aufgaben bekommt die Klientel wieder Vertrauen in sich selbst. Dieses Vertrauen kann sich positiv auf den Beratungsprozess auswirken und schafft ein gutes
Fundament für eine konstruktive Zusammenarbeit. (S. 21-24)
Diese Art der Zusammenarbeit von Sozialarbeit und Klientel ist unerlässlich, sodass
sich nicht eine „erlernte Hilflosigkeit“ einstellt, welche die Klientel in ihren eigenen
Möglichkeiten massiv behindert. Martin E. P, Seligman12 hat Mitte der 1960er Jahre ei
1
*1942, US-amerikanischer Psychologe
- 34 -
METHODEN
ne Depressionstheorie entwickelt, die das Verhalten und die Kognitionen von Menschen
miteinander verbindet. Diese Theorie besagt, dass Menschen depressiv werden, wenn
a. sie die Kontrolle über ihr Handeln verlieren,
b. sie sich selbst dafür verantwortlich fühlen.
Dieser Hilflosigkeitseffekt zeigt sich in Passivität und in einem Hinnehmen der negativen
Situation. (Comer, 2001, S. 188-189)
- 35 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
5.
PSYCHISCHE KRANKHEITEN
5.1
Affektive Störungen
„Affektive Störungen sind hauptsächlich durch eine krankhafte Veränderung der Stimmung (Affektivität) meist zur Depression oder gehobenen Stimmung (Manie) hin charakterisiert“ (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 73).
Depressionen können ein vielgestaltiges Bild zeigen. Die Hauptsymptome sind gedrückte Stimmung, Hemmung von Denken und Antrieb und körperlich-vegetative Störungen.
Die Manie ist durch euphorisch-gehobene Stimmungslage, Enthemmung, Selbstüberschätzung und Ideenflucht gekennzeichnet
Als Dysthymie wird eine chronische, mindestens 2 Jahre andauernde depressive Verstimmung geringen Ausprägungsgrades bezeichnet. Diese Störung hat viel mit dem
Konzept der neurotischen Depression gemeinsam.
Bei der Zyklothymia handelt es sich um eine andauernde Instabilität der Stimmung mit
zahlreichen Perioden leichter Depression und leicht gehobener Stimmung“
(Möller, Laux, & Deister, 2001, S. 73).
Übersicht über affektive Störungen
Abbildung 3
(Möller, Laux & Deister, 2001, S. 76)
- 36 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
Erklärung der Störungen als Veranschaulichung
Abbildung 4
(Möller, Laux & Deister, 2001, S. 101)
5.1.1 Definition der Depression nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 3
Episode einer Major Depression13
„1. Mindestens fünf der folgenden Symptome bestehen während derselben ZweiWochen-Periode: depressive Verstimmung an fast allen Tagen; deutlich vermindertes Interesse oder Freude an allen oder fast allen Aktivitäten, an fast allen Tagen für
die meiste Zeit des Tages; deutlicher Gewichtverlust oder Gewichtzunahme oder
verminderter oder gesteigerter Appetit an fast allen Tagen; Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf an fast allen Tagen; psychomotorische Unruhe oder Verlangsamungen an fast allen Tagen; Müdigkeit oder Energieverlust an fast allen Tagen; Gefühle
von Wertlosigkeit oder übermässige Schuldgefühle an fast allen Tagen; wiederkehrende Gedanken an den Tod oder Suizidvorstellungen oder Planung eines Suizids.
2. Klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigung.
Major depressive Störung
1. Vorhandensein von einer Episode einer Major Depression
2. Keine manische oder hypomanische14 Episode in der Vorgeschichte“ (Comer, 2001,
Tabelle 7.1, S.178).
13
14
Im Schema entspricht dies der depressiven Störung
manisch, jedoch nicht so stark ausgeprägt
- 37 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
Dysthyme15 Störung
„1. Depressive Verstimmung, die die meiste Zeit des Tages an mehr als der Hälfte aller
Tage über mindestens zwei Jahre andauert.
2. Während der depressiven Stimmung bestehen mindestens zwei der folgenden Symptome: Appetitlosigkeit oder übermässiges Bedürfnis zu essen; Schlaflosigkeit oder
übermässiges Schlafbedürfnis; Energiemangel oder Erschöpfung; geringes Selbstwertgefühl; Konzentrationsstörungen oder Entscheidungserschwernis; Gefühl der
Hoffnungslosigkeit.
3. Während der betreffenden Zwei-Jahres-Periode gab es keinen Zeitraum von mehr
als zwei Monaten ohne Symptome
4. Keine manisch oder hypomanische Episode in der Vorgeschichte
5. Klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigung“ (Comer, 2001, Tabelle 7.1, S.
178).
5.1.2 Depression allgemein
Depression zeigt sich vor allem durch Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Antriebslosigkeit. Typische, körperliche Symptome können sein: Schlafstörungen, Müdigkeit, Appetitstörung, Konzentrationsstörungen, Suizidgedanken/-ideen, Wahnideen, Entscheidungsschwäche.
Das äussere Erscheinungsbild der Menschen mit einer depressiven Phase kann folgendermassen auffallend sein. Ernster Gesichtsausdruck, erstarrte Gestik und Mimik, leise,
zögernde Stimme und gesenkter Blick.
Psychosomatische Symptome können Kopfschmerzen, Schwindel, Rückenschmerzen,
Atembeschwerden (Atemkorsett, Lufthunger, Engegefühl, Globusgefühl), Herzbeschwerden und Magen-Darm-Beschwerden sein. Unterleibsbeschwerden können eine
Depression begleiten oder durch eine Depression ausgelöst werden.
Bei den affektiven Störungen kommt der depressiven Erkrankung die grösste Bedeutung zu. 5 -10% ist die Häufigkeitsrate bei Depression, 15 – 17 % ist das Lebenszeitrisiko an einer Depression zu erkranken. Frauen erkranken zweimal häufiger an Depression als Männer. Erwähnenswert ist, dass ca. 50 % der Depressiven keinen Arzt aufsuchen. Das Morbiditätsrisiko ist ca. 1 %.
(Möller, Laux & Deister, 2001, S. 77-85)
15
Siehe Abbildung 3
- 38 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
5.1.3 Entstehung und Ursachen der Depression
Es existieren verschiedene Depressionsarten; früher wurden sie nach Ursachen unterteilt. Da gab es zum Beispiel somatogene Depressionen (mit somatischer Ursache, z.B.
Eine Krebserkrankung kann eine Depression zur Folge haben), oder psychogene Depressionen (Erschöpfung führt zur Depression). Aufgrund des heutigen Wissensstandes
geht man davon aus, dass eine Depression multifaktoriell bedingt ist. Verschiedene Ursachen sind für eine Depression verantwortlich. Darum unterteilt man heute die Krankheit nach Schweregrad, Verlauf und Auslöser. Genetische Faktoren wie auch somatische Erkrankungen oder Pharmaka (Medikamente) können eine Rolle bei der Entstehung einer Depression spielen.
Schwierige Lebensereignisse finden sich vermehrt im Vorfeld bei Menschen mit einer
Depression. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 75–78) Die Symptome einer Depression
können sich in fünf Bereichen zeigen: Gefühl, Motivation, Verhalten, Kognition und Biologie. (Comer, 2001, S. 198)
5.1.4 Behandlung der Depression
Es gibt sehr unterschiedliche Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten. Eine Art der
Therapie ist die Psychoanalyse16, eine andere die kognitive Verhaltenstherapie. Ziel
dieser Therapien ist es, angenehme Ereignisse wieder einzuführen und nicht depressives Verhalten zu verstärken. Das kann zu grösserer Anteilnahme im Alltag und im Leben führen, was sich positiv auf die Stimmungslage auswirken kann. Bei den biologischen Therapien ist die EKT17 nennenswert. Dabei werden Stromstösse durch den Körper gejagt, was einen Krampfanfall im Hirn auslöst. Der Krampfanfall bringt die Nervenzellen dazu, Neurotransmitter18 zu produzieren. Durch die vermehrte Produktion von
Neurotransmittern kann die Depression zurückgehen. Einen ähnlichen Effekt wie das
EKT haben Medikamente wie Antidepressiva. Heute wird vermehrt mit Medikamenten
gearbeitet. (Comer, 2001, S. 205-216) Die Grundlage der Behandlung beruht auf das
stützende, verständnisvolle, ärztliche Gespräch mit der Erstellung eines Gesamtbehandlungsplans. Dazu gehören einerseits die Gespräche, andererseits eine medikamentöse Behandlung.
Die Behandlungsstrategie einer Depression ist in drei Phasen aufgeteilt:
a. Akutbehandlung
b. Erhaltungstherapie
c. Evt. Rezidivprophylaxe19
16
Verfahren zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind (Hellwig, Jahr
unbekannt, S. 506)
17
Elektrokrampftherapie
18
Biochemischer Stoff, welcher Informationen von einer Nervenzelle zur anderen gibt, das veranlasst die
Ausschüttung der chemischer Botenstoffe, die für das Glücksgefühl mitverantwortlich sind. (Hellwig, Jahr
unbekannt, S. 410)
19
Vorbeugung des Rückfalls (Hellwig, Jahr unbekannt, S. 535)
- 39 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
Ob eine an einer Depression erkrankte Person stationär, halbstationär oder ambulant
behandelt wird, hängt stark mit dem Faktor der Suizidalität zusammen. Kann sich die
betroffene Person nicht glaubhaft von dieser distanzieren, muss die Behandlung zu ihrem Schutz stationär geschehen.
Wichtig zu wissen ist auch, dass die Person, die an einer Depression leidet und ein Medikament dagegen einnimmt, die Wirkung des Medikaments nicht sofort spürt. Es
braucht oft bis zu vier Wochen, um eine Veränderung festzustellen. (Möller, Laux &
Deister, 2001, S. 94–99)
5.1.5 Ableitung der Behandlung für die Sozialarbeit
Sprache
Durch die grosse Traurigkeit und die Konzentration auf die Krankheit kann es für depressive Menschen schwierig sein, einem normalen Gespräch zu folgen. Eine langsame
klare, direkte und einfühlsame Sprache kann die Zusammenarbeit fördern. (PitschelWalz, Gabriele, Bäumel, Josef & Kissling, Werner, 2001, S. 139). Sozialarbeitende
müssen sich vermehrt rückversichern, ob der Klient / die Klientin verstanden hat, um
was es geht. Mit Paraphrasieren kann geprüft werden, ob der Inhalt des Gesprächs verstanden wurde. Falls der Inhalt des Gesprächs von der Klientel nicht aufgenommen
werden konnte, ist es dringend notwendig, die Sprache anzupassen.
Besonders die unten genannten Ratschläge sollten unterlassen werden, da sie sich
kontraproduktiv auf die Zusammenarbeit auswirken, durch das Gefühl nicht verstanden
zu werden:
•
•
•
•
Die Aufforderung, sich zusammenzureissen
Empfehlung zum Ausgehen, Verreisen als Ablenkung
Wahnideen ausreden
ihm / ihr einreden, es gehe einem besser als er / sie denkt.
(Möller, Laux & Deister, 2001, S. 100)
Entscheidungen
Entscheidungsschwäche kann ebenfalls ein Symptom sein. Wenn Sozialarbeitende dies
wissen, können sie darauf eingehen. Fragen wie: „Wann möchten Sie die Haushaltshilfe?“ sind zu schwer zu beantworten. Hilfreich sind Fragen wie: "Soll die Haushaltshilfe
am Montag oder am Donnerstag kommen?" Es darf dabei nicht vergessen werden,
dass Entscheidungen, die der Patient / die Patientin selber treffen kann, ihm/ ihr nicht
abgenommen werden. Die Autonomie muss gewahrt bleiben.
- 40 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
Bezugspersonen
Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, leiden unter verschiedenen Symptomen, wie Antriebslosigkeit u.v.a. Diese Symptome (Æ Siehe Kapitel 5.1.2) erschweren
den Alltag sehr. Die Energie für den Haushalt fehlt. Die Sozialarbeitenden müssen Unterstützung organisieren, damit ein Alltag wieder bewältigbar ist. Wichtig ist, dem Menschen Mut und Hoffnung zu geben und ihn während der depressiven Episode von wichtigen Entscheidungen beruflich-finanzieller oder persönlich-privater Art, abzuhalten. Ihn
von Pflichten befreien und die Familie oder enge Bezugspersonen mit einbeziehen.
(Möller, Laux & Deister., 2001, S. 100) Die Zusammenarbeit wird auf eine weitere Person erweitert, die hilft, die Probleme zu lösen.
Suizid
Wichtig: Menschen die an einer Depression leiden, haben ein erhöhtes Risiko, durch
Suizid zu sterben. 15% mit einer schweren, depressiven Episode sterben durch Selbstmord. Bei Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, kommt es häufig vor, dass
sie Suizidgedanken haben und auch bereit sind, diese umzusetzen (ÆSiehe Kapitel
5.7).
5.1.6 Definition der Manie nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 4
Manische Episode
„1. Eine mindestens einwöchige, abgegrenzte Periode mit abnorm und anhaltend gehobener, expansiver oder reizbarer Stimmung.
2. Es bestehen mindestens drei der folgenden Symptome: übersteigertes Selbstwertgefühl oder Grössenideen; vermindertes Schlafbedürfnis; vermehrte Gesprächigkeit
oder Rededrang; Ideenflucht oder subjektives Gefühl des Gedankenrasens; Ablenkbarkeit; gesteigerte Betriebsamkeit oder psychomotorische Unruhe; übermässige
Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten, die unangenehme Konsequenzen nach
sich ziehen können
3. Deutliche Beeinträchtigung“ (Comer, 2001, Tabelle 7.4, S. 196).
5.1.7 Manie Allgemein
Die vorwiegenden Symptome der Manie sind gehobene Stimmung, gesteigerter Antrieb,
Selbstüberschätzung und beschleunigtes Denken. Weitere Merkmale der Manie können
sein: übermütig-euphorische Stimmung in Kombination mit Hyperaktivität20, Rededrang
und wenig Schlaf, Feindseligkeit, Hypersexualität, Alkoholmissbrauch, Selbstüberschätzung, Euphorie, Ablenkbarkeit, Wahnideen, Irritierbarkeit u.a Der Einfallsreichtum mit
20
Überbetriebsamkeit (Hellwig, Jahr unbekannt, S. 249 / 367)
- 41 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
Rededrang kann sich bis zur Ideenflucht steigern. Grössenideen können durch Selbstüberschätzung entstehen. Menschen, die in einer manischen Phase sind, fühlen sich
häufig glücklich und sehr leistungsfähig. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 87)
Hypomanie ist eine Form der Manie, die nicht so stark ausgeprägt ist. Kurzfristige Erfolge durch die mitreissende Euphorie und Antriebssteigerung vor allem bei Künstlern und
Geschäftsleuten kann vorkommen. Lange anhaltende Dauer oder starke Ausprägung
führt aber zu Problemen.
Die Folgen der Manie können sehr schwerwiegend sein. Das leichtsinnige Ausgeben
von Geld kann die Erkrankten und deren Angehörige in grosse finanzielle Schwierigkeiten bringen. Auch Distanzlosigkeit und Enthemmungen können berufliche und familiäre
Tragödien auslösen. Die Behandlung der Manie ist sehr schwierig, da ein Fehlen der
Krankheitseinsicht fehlt. So findet die Behandlung oft gegen den Willen des Betroffenen
statt. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 87)
Wenn eine Therapie im stationären Rahmen erforderlich wird, ist es wichtig, die stimulierenden Aussenreize abzuschirmen und die manische Person ernst zu nehmen. Es
soll aber auch darauf geachtet werden, dass sich der Patient / die Patientin psychomotorisch austoben kann.
5.1.8 Entstehung und Ursachen der Manie
Psychoanalytische Theorien gehen davon aus, dass der Verlust eines Liebesobjektes
Auslöser einer Manie sein kann. Die Menschen verleugnen den Verlust und flüchten in
einen schnelllebigen und –denkenden Lebensstil. Systematische Studien konnten jedoch keinen Zusammenhang zwischen dem Verlusterlebnis und dem Beginn einer Manie herstellen. Die Ursachen sind viel mehr im biologischen Bereich zu suchen. Auch
genetische Faktoren müssen beachtet werden. Neigungen zu dieser Störung können
vererbbar sein. (Comer, 2001, S. 196-199)
5.1.9 Behandlung der Manie
Die Lithium21therapie eignet sich bei manischen Episoden, wie auch bei der Prophylaxe.
(Comer, 2001, S. 223). Menschen in einer manischen Episode leben in einem Hochgefühl und möchten sich deshalb meist nicht behandeln lassen.
21
Lithium ist ein Mineralsalz, welches ein wichtiges, antibipolares Medikament ist. (Comer, 2001, S. 517)
- 42 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
5.1.10 Ableitung der Behandlung für die Sozialarbeit
Urteilsunfähigkeit
Die Zusammenarbeit mit manischen Menschen ist sehr schwierig. Da die manischen
Menschen meistens nicht krankheitseinsichtig sind, ist es nötig, den (finanziellen)
„Schaden“ möglichst klein zu halten. Für die Sozialarbeitenden ist es wichtig zu wissen,
dass Urteilsunfähigkeit schützt. Vertragsabschlüsse welche im Zustand der Urteilsunfähigkeit abgeschlossen wurden, sind ungültig. Schwierig ist der Beweis der Urteilsunfähigkeit. Ein Arztzeugnis, welches im Nachhinein ausgestellt worden ist, kann nicht beweisen, dass zur Zeit des Vertragsabschlusses eine Krankheit da war. Damit das Arztzeugnis als Beweis verwendet werden kann, muss der Arzt / die Ärztin die Person rund
um die Vertragszeit intensiv gesehen und betreut haben. Das ist meistens nicht der Fall,
da Menschen, die manisch sind, selten das Gefühl haben, sie seien krank und sich somit auch nicht in ärztliche Behandlung geben. Es gibt auch andere Schutzmöglichkeiten
wie vormundschaftliche Massnahmen. Diese haben aber wieder zum Nachteil, dass die
betroffene Person über längere Zeit eingeschränkt ist, obwohl die Phasen der Manie
eher kurz sind. Wenn eine Manie oder bipolare Störung bekannt ist, können im Vorgeld
Schutzmassnahmen eingerichtet werden. Eine Möglichkeit ist, dass wichtige Bankgeschäfte nur mit einer zweiten Unterschrift (zum Beispiel von einem Familienangehörigen) getätigt werden kann. (Lüthy, Christoph, 2007, S. 27-28)
Beratung
Es ist besser, keine wichtigen Dinge zu besprechen, sondern die manische Phase abzuwarten; dennoch sollten die Gesprächstermine nicht abgesagt werden. Bei Gesprächen kann eruiert werden, wie krank die Menschen sind, ob sie sonst Hilfe brauchen. Es
muss auch abgeklärt werden, wo und ob sie sonst Hilfe brauchen, oder ob allenfalls eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik nötig ist.
Wertschätzung
Die Menschen mit einer Manie müssen immer ernst genommen werden. Sie sind sehr
gekränkt, wenn sie aufgrund der Manie nicht ernst genommen werden, oder wenn man
über sie lacht. Das kann der Zusammenarbeit erheblichen Schaden zufügen, denn die
manische Phase geht vorüber, doch die Kränkung wird nicht vergessen.
5.1.11 Definition der Bipolar I und Bipolar II Störung nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 5
Bipolar I Störung
„1. Aktuelle manische, hypomanische oder depressive Episode.
2. Vorgeschichte einer manischen Episode einer aktuellen hypomanischen oder depressiven Episode
3. Deutliche Beeinträchtigung „ Comer, 2001, Tabelle 7.4, S.196).
- 43 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
Bipolar II Störung
1. Aktuelle hypomanische oder depressive Episode.
2. Bei aktueller depressiver Episode, Vorgeschichte einer hypomanischen Episode; bei
aktueller hypomanischer Episode, Vorgeschichte einer depressiven Episode. Keine
Vorgeschichte einer manischen Episode
3. Deutliche Beeinträchtigung“ (Comer, 2001, Tabelle 7.4, S. 196).
5.1.12 Entstehung und Ursachen der bipolaren Störungen
Lange Zeit gab es keine Erklärungen für die manisch-depressiven Zyklen. Heute gibt es
Hinweise von der biologischen und genetischen Forschung. (Comer, 2001, S. 197-199)
5.1.13 Behandlung der bipolaren Störungen
Die Lithium-Therapie, kombiniert mit begleiteter psychologischer Behandlung, zeigt die
grössten Erfolge bei Menschen, die an einer bipolaren Störung leiden. Das Lithium wirkt
bei der Manie wie auch der Depression. (Comer, 2001, S. 197)
- 44 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
Tabelle 6
Übersicht über die Behandlungsziele der bipolaren Störung
Depression
Schutz vor Suizidalität,
therapeutische Bindung,
ggf. Einweisung, Medikation, aufsuchende Hilfen
Essen, Trinken, Schlaf
sichern
Hierarchie der Ziele
1. Leben schützen
Manie
Schutz vor Selbstgefährdung
2. Grundbedürfnisse sichern
Familie unterstützen, Erhalt der Arbeit, Krankschreibung
3. soziales Netz schützen, wer braucht Hilfe
Minimale Aktivitäten, Kontakte, Rhythmen, Aufgaben fördern
Entlastung ohne zusätzliche Kränkung
Ambulante oder stationäre
Hilfe? Art der Medikation
4. Selbsterhalt fördern,
was geht noch
Überprüfen von fremden,
Suche nach eigenen
Massstäben
Verdeckte Aggression,
Wut, Angst, Trauer?
Sich mehr spüren
7. Konflikte annehmen
Therapeutische Begrenzung, Einweisung, Medikation (Problem: Compliance22)
Ernährung, Schlaf-WachRhythmus, Angehörige
entlasten, sozialer Schutz
u.a. Krankschreibung
Unterscheidung von elementarem und assoziativem Handeln
Selbstschutz bei finanziellen Angelegenheiten
Behandlungsbedingungen
aushandeln, Gruppenoder Einzeltherapie
Konflikte rechtzeitig angehen
Verdeckte Bedürfnisse,
Sorgen? Balance von Arbeit und Genuss
5. Erkrankung akzeptieren
6. Entscheidungsspielraum erweitern
8. Gefühle wahrnehmen
9. Selbstkompetenz fördern
10. aus Phasen lernen,
Selbstwahrnehmung
vervollständigen
Verdeckte Trauer, Wünsche, alte Kränkungen
für Momente innehalten
Ungewohnte Stärken und
Wünsche? Ungewöhnliches im Alltag integrieren,
statt für Manie aufgeben
(Tabelle nach Bock Thomas, 2007, S. 9.)
22
Einnahme eines Medikamentes, das vom Arzt / der Ärztin in einer bestimmten Dosis über einen gewissen Zeitraum verschrieben wurde (Pitschel-Walz, Bäumel & Kissling, 2003, S. 5)
- 45 -
AFFEKTIVE STÖRUNGEN
5.1.14 Ableitungen für die Sozialarbeit
Beim dritten Ziel müssen Sozialarbeitende wirken. Es kann aber auch sein, dass ein
Betroffener / eine Betroffene zu uns kommt und das erste Ziel noch nicht gesichert ist.
Dann ist es sehr wichtig, die Person mit der richtigen Stelle zu vernetzen. Das kann der
Hausarzt, der Notfallpsychiater oder eine ambulante, psychiatrische Station sein.
Die Handlungsansätze für die Zusammenarbeit werden bereits im Teil der Manie und
Depression beschrieben. Sie können je nach Phase angewandt werden.
- 46 -
SUCHT / ALKOHOL
5.2
Suchtkrankheiten mit dem Fokus Alkohol
5.2.1 Definition der Abhängigkeit nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 7
Substanz23missbrauch
„1. Ein unangepasstes Muster von Substanzkonsum führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden.
2. Mindestens eines der folgenden Kriterien manifestiert sich innerhalb eines Jahres:
wiederholter Substanzkonsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger
Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt; wiederholter Substanzkonsum in Situationen, in denen es zu einer körperlichen Gefährdung kommen
kann; wiederholte Probleme mit dem Gesetz in Zusammenhang mit dem Substanzkonsum; fortgesetzter Substanzkonsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer
oder zwischenmenschlicher Probleme.
Substanzabhängigkeit
1. Ein unangepasstes Muster von Substanzkonsum führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden.
2. Mindestens drei der folgenden Kriterien: Toleranz24; Entzugssymptome; die Substanz wird häufig in grösseren Mengen oder länger als beabsichtigt eingenommen;
anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzkonsum zu kontrollieren; viel Zeit für Aktivitäten, um die Substanz zu beschaffen oder sich von ihr zu erholen; wichtige Aktivitäten werden aufgrund des Substanzkonsums aufgegeben;
fortgesetzter Substanzkonsum trotz Kenntnis eines anhaltenden oder wiederkehrenden körperlichen oder psychischen Problems“ (Comer, 2001, Tabelle 12.1, S. 307).
5.2.2 Abhängigkeit allgemein
Psychische Abhängigkeit bedeutet, eine Substanz aufgrund eines unwiderstehlichen
Dranges einzunehmen.
Physische Abhängigkeit ist definiert durch die Steigerung der Dosis (Toleranzentwicklung) und durch das Erscheinen von Entzugssymptomen.
23
Eine Droge ist eine Substanz, die kein Nahrungsmittel ist und die die physischen und psychischen
Funktionen verändert. Darum wird der Ausdruck Droge und Substanz austauschbar verwendet. (Comer,
2001, S. 306)
24
Toleranz bedeutet, dass die Person immer mehr von der Substanz braucht, um die gleiche ursprüngliche Wirkung zu spüren. (Comer, 2001, S. 306–307)
- 47 -
SUCHT / ALKOHOL
Absus oder Missbrauch heisst, dass von der Substanz eine unverhältnismässige Dosis eingenommen wird. Der Körper gewöhnt sich an die Droge durch wiederholtes Einnehmen.
Sucht ist durch die WHO 1968 durch den Begriff Abhängigkeit ersetzt worden. Aus diesem Grund wird von nun an nur noch der Begriff Abhängigkeit verwendet. Abhängigkeit
löst im Menschen einen übermächtigen Drang nach einer Substanz aus. Die Breite der
Abhängigkeit kann von einer bescheidenen Gewohnheit bis zur süchtigen Persönlichkeitsentwicklung gehen. Durch die Einnahme der Substanz oder Droge wird eine
schwierige Lebenssituation vermeintlich verbessert. Denn die meisten Suchtmittel rufen
euphorisierende Zustände hervor. Die Probleme werden durch das Suchtmittel verdrängt. Sobald die Wirkung der Substanz nachlässt, wird man wieder mit der Realität
und der schwierigen Lebenslage konfrontiert. Dieser Umstand löst ein Verlangen nach
Flucht aus, welches das Suchtmittel geben kann. Ein Circulus vitiosus entsteht, das bedeutet, dass das Verlangen nach der Substanz unerträglich wird; der Kontrollverlust tritt
ein, und das Nicht-aufhören-können.
Viele Menschen haben „Süchte“ wie Schokoladensucht, Fernsehsucht u.a. Diese Fehlhandlungen sind zu unterscheiden von selbstzerstörerischen Verhaltensweisen, die eine
Abhängigkeit hervorruft. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 306)
Klassifikation
Man unterscheidet zwei Hauptgruppen:
a. Stoffgebundene Abhängigkeit: Alkohol, Medikamente, Drogen (z.B. Opiate, Halluzinogene, Kokain), Genussmittel wie Koffein, Nikotin oder Cola-Getränke
b. Nichtstoffgebundene Abhängigkeit: Verhaltenssüchte, Gewohnheiten, die nicht
normal sind (z.B. Spielsucht). (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 309)
5.2.3 Entstehung und Ursachen der Abhängigkeit
Ätiopathogenese25: Drei Faktoren sind für den Beginn und die Entwicklung der Abhängigkeit entscheidend:
•
•
•
Droge
Individuum
Soziales Umfeld
Heute weiss man durch Forschung, dass auch genetische Faktoren für die Abhängigkeit
eine Rolle spielen.
25
Zeigt die Ursachen und Faktoren, welche zu einer psychischen oder physischen Krankheit beitragen
(Hellwig, Jahr unbekannt, S. 452)
- 48 -
SUCHT / ALKOHOL
Modellvorstellung zur Sucht-Entstehung (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 312)
Abbildung 5
Droge
Verfügbarkeit, Angebot
Dosis, Abhängigkeitpotenz
Drogenwirkung
Umwelt
„Broken home“
elterliches Vorbild
Erziehungsfehler
Gruppenzwänge
Konsumgesellschaft
Freizeitvakuum
Konfliktsituation
Gebrauch
Missbrauch
Abhängigkeit
Psychisch
physisch
Individuum
Frustrationstoleranz
Ich-Stärke
Neurotische / Genetische Entwicklung
Erlerntes Fehlverhalten
Bei einer Abhängigkeit können psychische, physische oder soziale Probleme auftauchen. Für die Sozialarbeitenden stellt sich die Frage, wie soziale Probleme vermieden
werden können. Dazu gehören in der Abhängigkeit: Kriminalität, Dissozialität26, berufliche Probleme, sozialer Abstieg und Suizidgefährdung. (Möller, Laux & Deister, 2001, S.
309-313)
Die soziokulturelle Ansicht geht davon aus, dass Menschen, die in einer belastenden
Gesellschaft leben und in deren Umfeld Drogen geduldet oder gebilligt werden, am häufigsten zu Substanzgebrauch neigen. (Comer, 2001, S. 325–336)
26
heisst, dass sich eine Person durch ihr Verhalten nicht in die bestehende Gesellschaft einordnen kann
- 49 -
SUCHT / ALKOHOL
5.2.4 Alkoholmissbrauch
„Unter Alkoholmissbrauch wird ein Alkoholkonsum verstanden, der gegenüber der soziokulturellen Norm überhöht ist bzw. zu unpassender Gelegenheit erfolgt. Dies geht mit
vorübergehenden, deutlichen Veränderungen der psychischen und physischen Funktionen des Konsumenten [/ der Konsumentin] einher“ (Möller, Laux & Deister, 2001, S.
315).
Es ist die populärste Droge in der Schweiz, und sie wird öfter von Männern als von
Frauen eingenommen. 3 – 5% der Bevölkerung sind alkoholabhängig. In psychiatrischen Kliniken, sind die Alkoholabhängigen die grösste Gruppe unter den Abhängigen.
(Möller, Laux & Deister, 2001, S. 316)
Alkohol ist eine dämpfende Substanz. Dämpfende Substanzen wirken sich auf die Funktion des Nervensystems aus und können spannungslösend sein. (Comer, 2001, S. 307)
Stufen, wie sich der Alkoholismus entwickeln kann
1. Stufe: Präalkoholische 27 Phase
Um Probleme besser zu ertragen, wird getrunken, was eine allgemeine Erleichterung
auslöst, jedoch sind seelische Belastungen dadurch schwerer zu tragen, eine grössere
Menge Alkohol wird gut vertragen
2. Stufe: Prodromal 28 Phase
Schwierigkeiten sich an Dinge zu erinnern, es wird viel heimlich und allein getrunken,
der Gedanke an Alkohol ist allgegenwärtig, schnelles Trinken vom ersten Glas Alkohol
an
3. Stufe: kritische Phase
Kontrollverlust über die Trinkmenge nach einigen Gläsern, was dann Trinkpausen auslöst, Erklärungsversuche und Ausreden, das soziale Verhalten ändert sich; es kommt zu
Isolierung, die körperliche Abhängigkeit ist nicht mehr zu leugnen, erste körperliche
Schäden des Trinkens treten auf
4. Stufe: Chronische Phase
Das erste Glas ist bereits am Morgen nötig, Räusche können mehrere Tage anhalten,
sozialer, körperlicher und seelischer Abbau, grobe Gedächtnisstörungen treten auf, kalter Entzug kann lebensgefährlich sein, Alkoholverträglichkeit vermindert sich, Zusammenbrüche körperlicher und seelischer Art, Demenz kann auftreten, Organschäden und
Tod Folgen des Alkoholmissbrauchs sind psychischer (häufig depressive Verstimmung)
wie auch physischer (Leberzirrhose, Zittern der Hände, Impotenz, Korsakow Syn27
Vor alkoholische Phase
Die Phase, in welcher die Symptome einer Störung noch nicht vorherrschen, die Leistungsfähigkeit der
Person jedoch bereits abnimmt. (Comer, 2001, S. 522)
28
- 50 -
SUCHT / ALKOHOL
drom29 etc.) Natur. Bei den physischen Symptomen muss speziell beachtet werden,
dass ein kalter Entzug30 zum Tod führen kann. Blutdruckanstieg, Pulsbeschleunigung
und Temperaturanstieg sind Anzeichen dafür. Durch den Alkoholmissbrauch kann auch
das soziale Gefüge stark beeinträchtigt werden. Probleme am Arbeitsplatz, gestörte
Partnerbeziehung, schwieriges Verhältnis zu den Kindern, gestörte Wohnverhältnisse,
Konflikte mit dem Gesetz, Verkehrsdelikte können Folgen der Abhängigkeit sein. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 320) Der Alkoholmissbrauch zerstört Millionen von sozialen
Beziehungen, Familien und Karrieren. (Comer, 2001, S. 311)
Typen der Abhängigkeit der Substanz Alkohol nach Jellinek
α (Alpha)-Typ:
Probleme werden durch Alkohol weggeschwemmt, was
Erleichterung bringt, die Abhängigkeit ist seelisch, da das
wegschwemmen als Angstabwehr gedeutet wird, diese
Angstabwehr vergrössert die Probleme zusehends
β (Beta)-Typ:
das Trinken ist an Situationen (Fernsehen, Wochenende,
Hausarbeit, Feierabendbier) gekoppelt, trinkt aus Gewohnheit
und als Anpassung, praktisch keine seelische Abhängigkeit,
später aber körperliche
γ (Gamma)-Typ
Prozess Trinker/Trinkerin, welcher/welche mit seelischer und
körperlicher Abhängigkeit einhergeht, Toleranzsteigerung,
Kontrollverlust, Entzugssymptome, jedoch sind Zeitspannen
mit Abstinenzzeiten möglich
δ (Delta)-Typ
Spiegeltrinker/Spiegeltrinkerin, das heisst, dass immer ein gewisser Spiegel an Alkohol im Blut ist, die Steigerung der Menge ist
gering und wird über lange Zeit eingenommen, Steigerung beginnt erst, wenn der Körper mehr verlangt, dadurch fehlender
Kontrollverlust, sozial überkorrekt Æ Problemeinsicht kommt selten vor
ε (Epsilon)-Typ
trinkt periodisch, im Alltag überkorrekt und braucht darum die
Flucht in den Alkhohl; ins zerstörerische Sozial-Unerlaubte, dann
kann er / sie wieder überangepasst im Alltag leben
(Dörner, Klaus, Plog, Ursula, Teller, Christine & Wendt, Frank, 2002, S. 248-249)
30
Entzug wird ohne unterstützende Medikamente gemacht. Mit den Medikamenten ist eine langsame
Dosissenkung möglich, dadurch entsteht keine Lebensgefahr
- 51 -
SUCHT / ALKOHOL
5.2.5 Behandlung der Alkoholabhängigkeit
Im psychoanalytischen Ansatz versucht man den Klienten und Klientinnen durch Aufzeigen der Faktoren, die zum Substanzmissbrauch geführt haben, zu helfen. Doch dies
zeigte wenig Erfolg. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich die Abhängigkeit unabhängig von den Ursachen zu einem eigenständigen Problem entwickelt. Verhaltens- und
biologische Therapien zeigen mehr Erfolg. Ein verhaltenstherapeutisches Verfahren
kann beispielsweise das Aufzeigen von Alternativen zum Drogenkonsum sein. Diese
Alternativen sollen anregen, Dinge in der Freizeit zu tun, die auch belohnen können wie
zum Beispiel meditieren, Sport, Malen, Basteln usw. Auch Selbstsicherheitstrainings
oder Training zu sozialen Fertigkeiten können erlernt werden, damit Konfliktsituationen
besser bewältigt werden können. Der Alkohol soll durch eine Fertigkeit oder eine Aktivität ersetzt werden. Diese Alternative soll eine ähnliche Wirkung wie der Alkohol haben,
zum Beispiel beruhigen und entspannen. Biologische Therapien sind die Entgiftung oder
das Verabreichen von Medikamenten, die eine weitere Einnahme der Substanz ungeniessbar machen. Beim Alkohol ist es das Medikament Disulfiram (Antabus). Die biologische Therapie durch Antabus wirkt aber nur bei Menschen, welche hoch motiviert
sind.
Behandlungskette für Alkoholkranke nach Möller, Laux und Deister (2001)
Kontakt- und Motivationsphase
Das Problem des Alkoholmissbrauchs wird erkannt durch Stellen wie die Suchtberatungsstelle, den Hausarzt oder Facharzt, den betriebliche Sozialdienst oder die Behörden. Diese Stellen sprechen das Thema an und probieren die betroffenen Personen zu
einer Therapie zu motivieren.
Entgiftungs-Entzugsphase
Nachdem der Alkoholkranke / die Alkoholkranke sich zu einer Therapie einverstanden
erklärt hat, muss zuerst der Körper entgiftet werden. Die Entgiftung wird meist in einer
psychiatrischen Klinik oder in einem Krankenhaus durchgeführt. Es gibt schwerwiegende Gründe, bei denen die betroffene Person in eine Entzugsklinik eingewiesen werden
muss. Diese sind: Suizidhandlungen, Entzugssyndrome, abnorme Rauch- und Erregungszustände, Alkoholfolgekrankheiten und Unfallverletzungen. In der Schweiz
braucht es dazu einen FFE (fürsorgerischen Freiheitsentzug), welcher in jedem Fall von
einem Arzt ausgesprochen werden muss. Die Dauer, um den Körper zu Entgiften, dauert eine bis vier Wochen.
Entwöhnungsphase
In dieser Phase geht es darum, Strategien zu lernen, um mit Problemen und Schwierigkeiten im Alltag umzugehen und somit ohne Alkohol leben zu können. Das dauert sechs
Wochen bis zu einem Jahr. Geeignete Institutionen sind entsprechende Fachkliniken
oder Facheinrichtungen. In Form von Gruppenpsychotherapie soll der Aufbau der
Selbstfindung und Eigenverantwortung erlernt werden.
- 52 -
SUCHT / ALKOHOL
Nachsorge- und Rehabilitationsphase
In dieser Phase geht es um die langfristige Stabilisierung durch ambulante Stellen, die
regelmässig von der Klientel frequentiert werden. Auch Selbsthilfeorganisationen zeigen
grosse Erfolge, um die Abhängigen langfristig zu überwinden. Fachstellen und Selbsthilfeorganisationen unterstützen die Patienten und Patientinnen beim Aufbau einer beruflichen und sozialen Existenz. (S. 328).
Für die Beziehung zwischen Therapeut / Therapeutin und dem Patienten / der Patientin
gibt es nach Dörner, Plog, Teller und Wendt (2002) einige Spielregeln zu beachten. Abhängige machen das Gegenüber gerne zum Freund aber auch zum Feind. Der oder die
Abhängige scheint nach aussen stark und tritt auch so auf. In Wahrheit sind diese Menschen zutiefst in ihrem Stolz verletzt und ohne jegliche Selbstachtung. Durch Überangepasstheit haben sie diese Diskrepanz ausgeglichen. Sie können nicht nein sagen,
sind frustriert darüber und wissen sich nicht anders zu helfen, als den Frust in Alkholkonsum auszuleben. Wenn die helfende Person nun Ratschläge erteilt, ist das kontraproduktiv. Der Patient / die Patientin sagt aus Gewohnheit "ja". Die wahren Probleme
sind aber nicht tangiert worden. Nicht selten hört man den Satz: “Wie schön, dass sie
mich verstehen.“ Darum geht es jedoch nicht, sondern der Abhängige / die Abhängige
muss sich und seine / ihre Verhaltensweisen selber begreifen lernen. Sonst ist es nicht
möglich, dass ein Erfolg eintritt. Für die Professionellen ist es daher wichtig, nicht in die
Rolle der Ratgebenden zu gehen, sondern die Patienten und Patientinnen durch gezielte Fragen anzuregen, selber zu denken, zu ergründen, das Problem zu finden und dann
Lösungen zu suchen. (S. 266-267)
Die helfende Beziehung hat in der Arbeit mit Abhängigenkranken die grössten Erfolge
gezeigt. Sie baut auf folgenden Grundlagen auf:
•
•
•
Wertschätzung der ratsuchenden Person, als eigenständige Person
Dem einfühlenden Verstehen in die Welt der Rat Suchenden Æ Empathie
Kongruenz, das heisst dem Rat Suchenden gegenüber Echtheit und Angemessenheit der eigenen Gefühle.
(Vogt, Irmgard & Schmid, Martin, 2004, S. 1055)
5.2.6 Ableitungen für die Sozialarbeit
Möller, Laux und Deister (2001) sagen, dass eine Beziehung zwischen Arzt / Ärztin
(bzw. Therapeut / Therapeutin) und Patient / Patientin entscheidend für den Erfolg der
Therapie ist. (S. 329) Bei den Soziarbeitern / Sozialarbeiterinnen ist das gleich. Eine
gute Beziehung ist ausschlaggebend für das Ergebnis der Beratung. Vertrauen ist eine
wichtige Komponente in der Beziehung.
- 53 -
SUCHT / ALKOHOL
Vertrauen
Bei der Beratung der Abhängigenkranken Menschen ist es wichtig, dass sie auf Vertrauensbasis stattfindet. Wenn das Vertrauen erst gegenseitig vorhanden ist, kann der
Abhängige auch Handlungen der Kontrolle seitens der Therapeuten / Therapeutinnen
akzeptieren. Das Vertrauen muss auf Ehrlichkeit beruhen. Das bedeutet auch, dass die
Professionellen nicht auf die Überangepasstheit hereinfallen dürfen und voller Tatendrang mit dem Lösen der Probleme beginnen. Stattdessen soll man sich am Anfang Zeit
lassen (sofern das möglich ist). Den Klienten / die Klientin kennen lernen, Muster hinter
der Abhängigkeit suchen, denn nicht das Symptom (Trinken) ist interessant, sondern die
Gründe dafür. Die Abhängigkeit muss als eine Krankheit gesehen werden und nicht als
ein Versagen. So ist es dem Klienten / der Klientin möglich, die Krankheit anzuschauen
und Lösungen zu suchen.
Hilflosigkeit
Um der Hilflosigkeit entgegenzuwirken, ist es sehr wichtig, dem Abhängigen / der Abhängigen wieder Verantwortung zu geben. Die Aufgaben, zum Beispiel Ämter anrufen,
sollten wenn möglich nicht von den Sozialarbeitenden erledigt werden. Der Klientel soll
die Unterstützung gegeben werden, die sie dafür braucht. Am Anfang gilt: Nicht überfordern. Kleine Schritte, kleine Erfolge. Dadurch kann das Selbstvertrauen wachsen und
grössere Aufgaben können nun bewältigt werden. Das hilft, der Hilflosigkeit entgegenzutreten. Die Erfolge sollen immer speziell gelobt werden, der Abhängige / die Abhängige
braucht Motivation und Bestätigung.
Kontrolle
Wenn die Zusammenarbeit in einem vertrauensvollen Rahmen stattfinden kann, ist es
nötig, auch die Kontrollfunktion wahrzunehmen. Um Frust und Streitigkeiten zu vermeiden, muss im vornherein abgemacht werden, was die Folgen sind, wenn Regeln gebrochen werden. Ein Behandlungsplan kann in solchen Situationen helfen. Die Ziele sollten
positiv formuliert sein. Die Professionellen der Sozialarbeit müssen sich aber konsequent daran halten und die Folgen durchsetzten.
Umfeld
Wenn ein Mensch, der Abhängigkeitprobleme hat, nach der Therapie in die gleichen,
alten Strukturen zurückkehrt, ist das Risiko eines Rückfalls sehr hoch. Auch die Sozialarbeitenden sollten auf Veränderung des Umfeldes achten. Selbsthilfegruppen können
helfen, neue Kontakte zu knüpfen. Alternativen der Freizeitgestaltung bieten neue Horizonte, neue Möglichkeiten der Befriedigung, die früher hauptsächlich die Substanz
brachte. Wenn die Angehörigen miteinbezogen werden, bricht auch da eine Struktur.
Sofern die Klienten / die Klientinnen einverstanden sind, ist es ratsam, Angehörige auch
zu den Gesprächen einzuladen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die Abhängigkeit
zerstört viele Lebensbereiche der Menschen, darum muss interdisziplinär zusammengearbeitet werden; der Ansatz des Case Managements ist hier sicher auch zu beachten
(Æ Siehe 4.2).
- 54 -
SUCHT / ALKOHOL
Was bei den verschiedenen Abhängigkeitstypen (Siehe S. 51) besonders beachtet werden sollte:
•
•
•
•
•
Alpha-Typ: Strategien zur Problemlösung müssen erarbeitet werden, Anlaufstellen suchen
Beta-Typ: Alternativen zur Freizeitgestaltung
Gamma-Typ: wie Alpha-Typ, Strategien zur Problemlösung
Delta-Typ: Möglichkeiten zur Konfliktlösung aufzeigen, Kommunikation mit dem
sozialen Umfeld anschauen und Veränderungen erarbeiten
Epsilon-Typ: Frust mit anderen Erlebnissen loswerden, zum Beispiel mit einem
verrückten Hobby, Extremsportart
Was vermieden werden sollte
•
•
•
Moralisierung dem Klientel gegenüber
Appelle an die Vernunft
Ratschläge erteilen (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 329)
Wichtig: Heute geht es nicht mehr in erster Linie darum, dass die Abhängigen ihre
Sucht vollkommen besiegen und nie mehr die Substanz einnehmen (Abstinenz), sondern es geht als erstes um das Überleben, dann um die Erhöhung der Lebensqualität,
die auch erreicht werden kann, wenn ein kontrollierter Umgang mit der Sucht erlernt
wird. (Clausen, Dresler & Eichenbrenner, 1997, S. 88)
5.3
Persönlichkeitsstörung mit Fokus Borderlinestörung
5.3.1 Definition der Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 8
Persönlichkeitsstörung
"1. Ein anhaltendes Muster der inneren Erfahrung und des Verhaltens, das deutlich von
den Erwartungen der Kultur des Betroffenen in mindestens zwei der folgenden Bereiche abweicht: Kognition31; Affekt; zwischenmenschliche Interaktion; Impulskontrolle.
2. Das Muster ist unflexibel und umfasst eine grosse Anzahl persönlicher und sozialer
Situationen
31
Kognition = „die intellektuelle Fähigkeit zu denken, sich zu erinnern und etwas im Voraus zu erwarten"
(Comer, 2001, S. 515).
- 55 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
3. Das Muster ist stabil und überdauernd und beginnt bereits in der Adoleszenz oder im
frühen Erwachsenenalter.
4. Deutlicher Leidensdruck oder Beeinträchtigung“ (Comer, 2001, Tabelle 17.1, S.
430).
Das DSM-IV unterscheidet zehn Persönlichkeitsstörungen und teilt sie nach deskriptiven (beschreibenden) Ähnlichkeiten in drei Cluster ein.
Cluster A: Charakteristisch sind sonderbare oder exzentrische Verhaltensweisen
Cluster B: zeichnet sich aus durch ein dramatisches, emotionales oder launenhaftes
Verhalten
Cluster C: Typisch hierfür ist ein ängstliches Verhalten.
5.3.2 Persönlichkeitsstörungen allgemein
Symptome der Störungen überschneiden sich häufig, was die Diagnose erschwert.
Wichtig ist an dieser Stelle auch zu erwähnen, dass viele Menschen dazu neigen, nach
diesen Kategorien sich oder sein Umfeld einzustufen und somit eine Selbstdiagnose zu
stellen. Dies wäre falsch und auch gefährlich. Wir alle haben unsere Persönlichkeitszüge, welche sich mit diesen Merkmalen in Verbindung bringen lassen, aber nur wenige
Menschen haben diese Ausprägungen so unangepasst, unflexibel und belastend, dass
diese als Störung bezeichnet werden können. (Comer, 2001, S. 432)
Zur Veranschaulichung ist im Anhang eine Tabelle mit den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen und ihren Merkmalen. Im Weiteren wird jedoch der Fokus auf die Borderlinestörung gelegt, eine der „dramatischen Persönlichkeitsstörungen“(Cluster B).
Typisch für Persönlichkeitsstörungen ist ein lang andauerndes fehlangepasstes Verhaltensmuster. Die Persönlichkeitseigenschaften werden so unflexibel und unangepasst,
dass das Leben der erkrankten Person massiv beeinträchtigt ist. Menschen, die an einer Persönlichkeitsstörung leiden, nehmen sich selbst und ihre Welt belastend wahr.
Möglicherweise wird dadurch auch die Alltagsbewältigung beeinträchtigt. Meist beginnt
diese Art der Störung in der Kindheit oder der Adoleszenz. (Atkinson, Rita L., Atkinson,
Richard C., Smith, Edward E., Bem, Daryl J. &, Nolen-Hoeksema, Susen 2001, S. 545)
In dieser Arbeit richtet sich der Fokus auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Otto F.
Kernberg (2000) berichtet in einem Interview der Fachzeitschrift Psychotherapie im Dialog über seine Forschung im Bereich der Borderlinestörung. Darin bringt er zum Ausdruck, dass die chronische Zerstörung der Familieneinheit, Armut, fehlende Arbeitsmöglichkeiten etc. sich traumatisierend auswirken können und somit die nächste Generation
stärker von Persönlichkeitsstörungen betroffen sein wird. Zeiten von raschem, sozialem
Umschwung begünstigen Persönlichkeitsstörungen. Speziell betroffen sind Menschen,
- 56 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
die sozial nicht integriert sind, arme Menschen, oder Angehörige marginaler32, sozialer
Gruppen. Dies aber ist nur ein Faktor. Die Borderlinestörung tritt auch in den "besten
Häusern" und in den organisiertesten Familien auf. Die Beziehung zwischen Eltern und
Kindern kann sehr subtil gestört sein und somit von Aussen schwer erkennbar sein.
Kernberg meint weiter, dass die Störung eine Mischung von genetischen, angeborenen
Dispositionen und von der Umwelt geförderten Auslösefaktoren ist. (Streeck, Ulrich, S.
88) Borderlinestörungen haben einen direkten Zusammenhang mit dem Erleben in der
Familie (Æ Siehe 5.3.4). Die Zerstörung der Familieneinheit ist in der Schweiz durch die
vielen Veränderungen innerhalb der Familie (Scheidung, Trennung, wechselnde Beziehungen der Eltern, Betreuung ausserhalb der Herkunftsfamilie) je länger je mehr ein
aktuelles Thema.
5.3.3 Borderline (Grenzfall) allgemein
Die Borderlinestörung gehört zu den, wie bereits erwähnt, „dramatischen Persönlichkeitsstörungen". Aus diesem Cluster werden insgesamt am meisten Diagnosen gestellt.
Die Ursachen der „dramatischen Persönlichkeitsstörungen" sind unklar, auch erweisen
sich die Behandlungen als sehr schwierig. (Comer, 2001, S. 437)
Bei Menschen mit einer Borderlinestörung ist Instabilität etwas sehr Zentrales. Zwischenmenschliche Beziehungen, das Selbstbild und der Affekt sind äusserst unbeständig. Auch ein sehr impulsives Verhalten und starke Stimmungsschwankungen sind typisch. Sie erleben Zustände von Depression, Angst und Erregung, welche Stunden oder
gar Tage andauern können. Das impulsive Verhalten zeigt sich häufig in Wutanfällen
und Feindseligkeit. Diese Wut können sie einerseits gegen Aussen richten (Tätlichkeiten, Gewalt) und andererseits gegen Innen, also gegen sich selbst.
Beispiele von selbstschädigendem Verhalten:
•
•
•
•
•
•
•
•
Alkohol- und Drogenmissbrauch
Fressanfälle
Delinquenz
Gefährliche, sexuelle Kontakte
Kauforgien
Riskantes Fahren
Aufschneiden der Pulsadern
Ritzen der Unterarme
Diese zerstörerischen Akte helfen ihnen, das chronische Leeregefühl und die Langeweile zu bekämpfen. Häufig erst durch das selbstschädigende Verhalten kommen die an
einer Borderlinestörung erkrankten Menschen dann in Kliniken und in eine Behandlung.
32
marginal = nebensächlich, hier verwendet im Sinne von Randgruppen
- 57 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
In diesem Zusammenhang ist auch auf das erhöhte Suizidrisiko hinzuweisen. 70 Prozent der Patienten / Patientinnen machen Selbstmordversuche, sechs bis neuen Prozent sterben dann auch tatsächlich daran. (Comer, 2001, S. 443)
Schwierig gestalten sich insbesondere ihre intensiven und sehr konfliktreichen Beziehungen (oft werden ihre Gefühle nicht unbedingt erwidert). Die Tendenz, sehr schnell zu
erzürnen, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden, ist typisch für diese Störung. Sie leiden sehr stark unter der Angst, allein gelassen zu werden, und klammern sich dann an
Beziehungen, auch wenn sie sehr enttäuscht sind. Dieses Klammern geht so weit, dass
sie sich auch manipulativ verhalten (Selbstverletzung, suizidale Handlung), damit sie
nicht verlassen werden. (Comer, 2001, S.444) Es kommt zu einem raschen Wechsel
von Überidealisierung und Abwertung (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 359).
Ungefähr 75 Prozent der Menschen mit einer Borderlinediagnose sind Frauen. Der Verlauf schwankt sehr stark; der Höhepunkt der Beeinträchtigung ist aber meist im frühen
Erwachsenenalter und nimmt mit zunehmendem Alter tendenziell wieder ab. (Comer,
2001, S.444)
5.3.4 Entstehung und Ursachen einer Borderlinestörung
Wie eingangs erwähnt, ist die Ursache der Borderlinestörung unklar, jedoch sehen Psychoanalytiker in der grossen Angst, verlassen zu werden, einen Zusammenhang zur
Beziehung zu den Eltern. Die Objektbeziehungstheorie geht auch von einem Beziehungsproblem zwischen Kind und einem ablehnenden Elternteil aus. Die mangelnde
Akzeptanz lässt das Kind das Selbstwertgefühl verlieren, dadurch wird es abhängiger
von den Eltern und die Fähigkeit, Trennungen zu bewältigen, wird gemindert. Für diese
Theorien sprechen die Berichte von Menschen mit einer Borderlinestörung, welche von
Eltern-Kind-Problemen (Vernachlässigung, Zurückweisung etc.) berichten und einer
grossen Anzahl von Vater- und Muttersubstituten. Auch ereigneten sich in der Familie
häufig Scheidungen und Todesfälle. Studien, welche frühe Traumata untersuchten, zeigen eine Prävalenz33 von Kindesmisshandlung und -missbrauch bei Menschen mit Anzeichen einer Borderlinestörung. Es gibt auch biologische Befunde, welche mit einigen
Schlüsselfaktoren der Störung in Verbindung gebracht werden können. Dies kann auch
erklären, weshalb die Störung unter nahen Verwandten fünfmal häufiger auftritt, als bei
der Allgemeinbevölkerung. (Comer, 2001, S. 444-445)
5.3.5 Behandlung von Borderlinestörungen
„Im klinischen Alltag kommt den Persönlichkeitsstörungen vom Boderline-Typ eine zunehmend grössere Bedeutung zu. Patienten mit diesen Störungen erweisen sich in der
33
Prävalenz = Krankheitshäufigkeit
- 58 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
Therapie oft als ausgesprochen problematisch und weisen lange und chronifizierte
Krankheitsverläufe auf“ (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 359).
Die Therapie dieser Störung gestaltet sich durch die Beziehungsprobleme als schwierig.
Langzeittherapien können Erfolge zeigen, z.B. mit einer Kombination von medikamentöser Behandlung und Psychotherapie (auch Gruppentherapien). (Comer, 2001, S. 445)
Monika A. Geibel-Jakobs und Eva Koppenhöfer (2000) gehen in ihrem Aufsatz in der
Fachzeitschrift Psychotherapie im Dialog zum Thema Boderlinestörungen auf die Verhaltenstherapeutischen Konzepte der Behandlung ein. Aus klinischen Erfahrungen heraus haben sich innerhalb einer Therapie Phasen entwickelt, die das Verhalten der an
Boderline erkrankten Person besser verständlich machen. Daraus ergeben sich phasenspezifische Ziele.
Phase 1: schwere Probleme auf der Verhaltensebene: Kontrolle und Stabilisierung in
Bezug auf suizidales oder parasuizidales Verhalten, Schaffung eines stabilisierenden
Umfeldes
Phase 2: schweres Leid auf der emotionalen Ebene: Das Ziel dieser Phase ist das
Erlernen von nicht-traumatisierendem Erleben von Emotionen. Zu beachten ist, dass in
dieser Phase das Ansprechen von schwierigen Themen mit Konflikten (Selbstverletzung, depressive Reaktionen) verbunden sein kann. Dies kann die Therapie aufhalten
oder gar verunmöglichen. Diese Problematik kann nicht immer verhindert werden, aber
der Therapeut / die Therapeutin hat hier die Verantwortung über die Themenwahl und
die Ausführlichkeit, in der die Themen besprochen werden, zu tragen. Die manipulativen
und appellativen Tendenzen, welche die an Boderline erkrankten Menschen oft aufzeigen, machen eine Einschätzung des Verhaltens schwierig. In Bezug auf Suizidalität ist
es wichtig, rechtzeitig gemeinsam zu besprechen, wie man vorgehen will.
Phase 3: Probleme der Lebensführung: Hier fokussiert sich der Therapeut / die Therapeutin auf die spezifischen, individuellen Schwierigkeiten und arbeitet an einer Erhöhung der Selbstachtung des Klientel.
Phase 4: Gefühle der Unerfülltheit (S. 27)
5.3.6 Ableitungen für die Sozialarbeit
Menschen, welche an einer Boderlinestörung leiden, haben grosse Schwierigkeiten,
verlässliche Beziehungen einzugehen. Menschen, die mit ihnen zusammenarbeiten,
werden von ihnen auf ihre Verlässlichkeit und Beständigkeit geprüft. Rainer Sachse
(2006) erwähnt dies im Zusammenhang mit der therapeutischen Arbeit, was aber auch
auf die Sozialarbeit übertragen werden kann. Ebenfalls in diesem Setting wird die Klientel versuchen, herauszufinden, ob es sich auf diese Beziehung einlassen will oder nicht.
- 59 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
Diese Tests (z.B. Kritik aus heiterem Himmel) können unangenehm sein, müssen aber
von dem Sozialarbeiter / der Sozialarbeiterin bestanden werden, damit eine tragfähige
Beziehung überhaupt entstehen kann. (S. 61)
Die vier Seiten einer Nachricht nach Friedmann Schulz von Thun
Abbildung 6
Sachinhalt
Selbstoffenbarung
NACHRICHT
(sprachlich und nichtsprachlich)
Appell
Beziehung
(nach Schulz von Thun, Friedman, 2005, Abb. 1, S. 14)
So, wie es vier Seiten einer Nachricht gibt, so kann die Nachricht auch auf vier Ohren
gehört werden. Menschen mit einer Boderlinestörung gewichten die Beziehungsseite
(wie wir zueinander stehen) sehr stark, das heisst, sie hören vor allem auf dem Beziehungsohr. Die übrigen Seiten einer Nachricht geraten in den Hintergrund. Daraus entstehen Probleme in der Kommunikation. Ein Mensch welcher sich zu sehr auf den Beziehungsaspekt fokussiert, denkt immer daran, wie das Gegenüber einen beurteilt. Da
das Beziehungsohr überempfindlich ist, sehen sie den Sachinhalt einer Nachricht nicht
mehr, sondern fühlen sich durch die Nachricht oft angegriffen, ausgelacht und abgelehnt. (Schulz von Thun, 2005, S. 51) Nachrichten können explizite34 oder implizite35
Botschaften sein. Die Nachricht wird auch in der Wahl der Formulierung, dem Tonfall
und nichtsprachlichen Komponenten übermittelt, auch diese können auf der Beziehungsebene gedeutet werden. (Schulz von Thun, 2005, S. 27) Auf Dauer haben diese
34
explizit = ausdrücklich formuliert
implizit = nicht direkt gesagt, aber dennoch in der Nachricht enthalten (z.B. nonverbale Botschaften wie
Mimik, Gestik, Aussprache etc.), die Kernaussagen einer Nachricht werden oft implizit gesendet.
35
- 60 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
Beziehungsbotschaften auch Einfluss auf das Selbstkonzept und somit auf die Persönlichkeitsentwicklung. (Schulz von Thun, 2005, S. 187-188) Es ist also im Umgang mit
Menschen mit einer Borderlinestörung vermehrt darauf zu achten, dass der Beziehungsseite viel Beachtung geschenkt wird.
Schulz von Thun hat ein Modell entwickelt welches die Beziehungsklärung fördern soll.
Abbildung 7
Sachinhalte
Ich- Botschaften
Selbstoffenbarung
(Herunter von der Sachebene!)
Wünsche
Appell p
o
Explizite Beziehungsaussagen
n
n
Die starke Tendenz der Menschen mit einer Borderlinestörung, auf dem Beziehungsohr zu hören, bringt den Sachinhalt auf die Beziehungsebene.
o
Um von gegenseitigen Beschuldigungen wegzukommen ist es wichtig, in IchBotschaften (Æ Siehe folgender Abschnitt) zu kommunizieren
p
Wünsche und Appelle werden abgeleitet, das Gespräch bekommt eher Verhandlungscharakter (Æ Siehe Metakommunikation, S. 64)
(nach Schulz von Thun, 2005, Abb. 74, S. 201-204)
Ich- und Du-Botschaften
Du-Botschaften sind Botschaften, welche das Gegenüber betreffen; sie werten, moralisieren und beschämen. Das Gegenüber nimmt Du-Botschaften als Wertung von sich
selbst auf. Dies drängt das Gegenüber in eine Verteidigungsposition, welche sich negativ auf die Kommunikation auswirkt. Ich-Botschaften hingegen sind Äusserungen über
die eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Diese Botschaften werden vom Gegenüber als
- 61 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
einfache Mitteilung über sich selbst wahrgenommen. (Hobair et al., 1997, S. 343-344)
Es ist wichtig, mit Menschen, welche an einer Borderlinestörung leiden, besonders auf
die Beziehungsgestaltung zu achten, da diese durch die Krankheit massgeblich gestört
ist. Aus diesem Grund sind Ich-Botschaften sehr wichtig in der Kommunikation.
Menschen mit Persönlichkeitsstörungen brauchen ein Gegenüber, welches die Haltung
verkörpert, bemüht zu sein, das Beste zu geben, aber sich auch komplementär und konfrontativ verhält. Sozialarbeitende haben somit einfach die Möglichkeit, Angebote zu
machen, ob sie von der Klientel angenommen werden oder nicht, steht nicht mehr in
ihrer Verantwortung. (Sachse, 2006, S. 62) Das komplementäre Verhalten kann das
Spielverhalten der Klientel verringern, wenn sie nämlich erkennt, dass diese manipulativen Strategien überhaupt nicht nötig sind. Das konfrontative Verhalten ist nötig, damit
die Klientel den eigenen Anteil am Problem sehen kann. Dadurch entsteht das Vertrauen, welches überhaupt eine Kommunikation und eine Beziehung erst entstehen lässt.
(S. 50)
Im Folgenden sind Aspekte der therapeutischen Beziehung von Geibel-Jakobs und
Koppenhöfer (2000) für die Sozialarbeit abgeleitet: Diese Grundsätze helfen, eine professionelle Beziehung aufzubauen, damit eine Zusammenarbeit möglich wird.
Eine tragfähige Beziehung ist essentiell. Sie wird sich wie ein roter Faden durch die gemeinsame Arbeit ziehen. An ihr können Veränderungen gemessen werden, sie dient als
Instrument zur Beeinflussung von Problemlöse- und Bewältigungsmöglichkeiten, und sie
ist Modell für die Regulation der Beziehung (Nähe-Distanz) im Alltag.
Balance zwischen Akzeptanz und Veränderungsstreben
Akzeptanz von Seiten des Klientel und der Sozialarbeitenden für die Zusammenarbeit
und den damit verbundenen momentanen Zustand (die Ziele werden jedoch nicht aus
den Augen verloren).
Standfestigkeit vs. Mitfühlende Flexibilität
Wohlwollendes Fordern vs. Versorgen
Balance zwischen aktiver Passivität und scheinbarer Kompetenz
Wird der Fokus zu stark auf die Kompetenz der Klientel gerichtet, kann es zu einer Überforderung kommen (Signale dafür werden übersehen). An Borderline erkrankte Menschen neigen dazu, alles in Extremen darzustellen. Hier ist es wichtig, dass die Sozialarbeitenden die Fähigkeiten und Defizite mit dem Klientel betrachten, um im Bedarfsfall
bestimmte Dinge einzufordern (Weg aus der aktiven Passivität) oder im Gegenzug Hilfe
anzubieten (Infragestellen der scheinbaren Kompetenzen).
- 62 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
Nähe-Distanz-Regulierung
Diese Regulierung ist sehr wesentlich, da in der Entwicklungsgeschichte der Klientel oft
keine adäquaten Modelle vorhanden waren. In der Zusammenarbeit mit den Sozialarbeitenden soll ein gesundes Nähe-Distanz-Modell aufgebaut werden. Durch das „Lernen am Modell“ kann die Erfahrung von der Klientel weiter in den Alltag getragen werden. Vom Sozialarbeiter / von der Sozialarbeiterin können bewusst verschiedene Rollen
eingenommen werden (Mutter, gute Freundin, grosse Schwester). Hier kann es auch
wichtig sein, dass persönliche Erfahrungen zu Lösungen von Problemen einfliessen. Die
Aufmerksamkeit liegt aber auf der klaren Definition der eigenen Grenzen, die in einer
„liebevollen“ Art übermittelt werden sollten. (Geibel-Jakobs & Koppenhöfer, 2000, S. 3031)
Gehen wir nochmals zurück auf die vier Phasen (Æ Siehe 5.3.5) der Verhaltenstherapie
von Geibel-Jakobs und Koppenhöfer (2000). In diesen Phasen zeigen sich Ziele für eine
therapeutische Arbeit mit Borderline-Patienten / -Patientinnen. Hieraus lassen sich auch
Ableitungen für die Sozialarbeit machen.
In der Phase 1, welche auf die schweren Probleme auf der Verhaltensebene eingeht
und ein stabiles Umfeld ermöglichen soll. Hierzu gehört, eine Lebensform zu fördern,
die beispielsweise den Abstand zur Familie ermöglicht (falls z.B. die Familie zu einem
Missbrauch beigetragen hat). Je nach Intensität der Störung kann ein betreutes Wohnen
oder eine eigene Wohnung angezeigt sein. Das in Phase 2 angesprochene Verhalten in
einer Suizidalen Phase, ist auch ein wichtiger Punkt für die Sozialarbeit. Da die Suizidrate bei Menschen mit einer Borderlinestörung sehr hoch ist, ist es wichtig, mit dem
Klientel im Voraus ein Vorgehen für den Fall einer akuten, suizidalen Krise zu besprechen. Auch in der Phase 3 mit dem Fokus auf individuelle Probleme in der Lebensführung kommt die Sozialarbeit zum Zuge. Zusammen mit der Klientel sollen die Punkte
angesprochen werden, welche grosse Schwierigkeiten machen, um gemeinsam nach
Lösungen zu suchen.
In der Alltagsbewältigung fehlen an Borderline erkrankten Menschen oft spezielle Fertigkeiten. Im Folgenden sind Punkte aufgelistet, welche Geibel-Jakobs und Koppenhöfer
(2000) im Zusammenhang mit Gruppen- oder Einzeltherapie genannt haben.
„Innere Achtsamkeit“ und „Umgang mit Gefühlen“
Gefühl und Verstand sollen ins Gleichgewicht gebracht werden. Das Gefühl soll erst
bewusst gemacht werden (beschreibende Ebene), und dann soll daraus der Umgang
erlernt werden. Wichtig sind hier, dass die Klientel bewusst keine urteilende Haltung
einnimmt (weder idealisieren noch abwerten) und sich nur auf das aktuelle Ereignis konzentriert. Dadurch werden Gefühle und Verstand miteinander verbunden. (S. 28)
Zwischenmenschliche Fertigkeiten
Typisch für die Boderlinestörung ist, dass die Betroffenen über das Wissen von sozialen
Kompetenzen verfügen, dieses aber selbst nicht anwenden können. Diese können je
- 63 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
doch im Gespräch trainiert werden. Wichtig sind hier die Aufrechterhaltung und Pflege
von Beziehungen, Gleichgewicht zwischen persönlichen Zielen und Anforderungen von
Aussen, Prioritäten setzen etc. (S. 29)
Ein geeignetes Instrument für die Sozialarbeit wäre hierfür die Metakommunikation.
Bei der Metakommunikation handelt es sich um eine Kommunikation über eine Kommunikation. Es fällt vielen Menschen schwer, darüber zu reden, wie sie miteinander umgehen. Gelingt die Metakommunikation jedoch, dann wird diese als Entlastung erfahren.
Viele Störungen in einer Kommunikation können behoben werden, indem darüber gesprochen wird. (Flammer, August, 2001, S. 129) „Nach der systemtheoretischen Sichtweise ist Kommunikation kreisförmig und ohne Anfang. Die Metakommunikation sollte
daher nicht die Frage nach dem Anfang und nach der Schuld stellen, sondern dazu führen, das gemeinsame Spiel zu erkennen und Neuverabredungen zu treffen [...]“ (Schulz
von Thun, 2005, S. 87).
Beispiel für Neuverabredung:
•
•
•
Was können wir ändern, damit die Zusammenarbeit besser wird?
Was sind Wünsche, wie wir in Zukunft miteinander umgehen wollen?
Wie wollen Sie in Zukunft dazu beitragen, dass Beziehungen gepflegt und aufrechterhalten werden können?
Beispiele für die Anerkennung des gemeinsamen Spiels:
•
•
•
So gehen wir miteinander um, und das löst jeweils diese Reaktion aus.
Es geht nicht um die Frage wer Schuld hat, sondern wie dieses Problem gelöst
werden kann.
Ich kann verstehen, dass dies auch falsch verstanden werden kann.
Emotionsmodulation und Stresstoleranz
Mit Emotionsmodulation ist das Erlernen der Regulation von körperlichen Erregungszuständen gemeint, welche in Verbindung mit Emotionen stehen. Stresstoleranz meint
denselben Umfang auf der kognitiven Seite. Emotionsmodulation und Stresstoleranz
gehören zusammen und sollen ein Erleben von Emotionen ermöglichen, welches weder
in Eskalation noch in Vermeidung endet.
Æ Erregungszustand nicht durch Beobachtung verstärken, Aufmerksamkeit umorientieren an selbst gewählten Zielen, nicht aus der Situation heraus reagieren. Wirksam ist
hier auch eine Ablenkung durch eine andere Aktivität.
Da jedoch negative Gefühle nicht gänzlich aus einem Leben vertrieben werden können,
ist es wichtig, eine grundsätzliche Akzeptanz aufzubauen. Stresstoleranz dient dazu,
Krisen ertragen zu können. Diese Fähigkeit hängt aber davon ab, inwieweit sie als Teil
des Lebens angenommen werden können. Dies wiederum steht in Zusammenhang damit, wie sicher man sich der eigenen Fähigkeit zur Bewältigung ist. Die Aufmerksamkeit
muss bewusst auf die neutralen oder die positiven Momente im Leben der Klientel ge
- 64 -
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN / BORDERLINE
lenkt werden. Dadurch kann mit der Zeit eine Relation zu negativen Ereignissen hergestellt werden. Hilfreich kann auch der Vergleich mit Problemen von anderen und deren
Wahrnehmung von Unterstützung sein. Für Boderline-Betroffene ist der Zustand von
Leid alles überdeckend. Durch die Bestätigung in den eigenen Fähigkeiten kann jedoch
erlernt werden, eine Krise von Aussen zu analysieren. Nützlich hierfür sind Krisenpläne.
(Geibel-Jakobs & Koppenhöfer, 2000, S. 29-30)
5.4
Schizophrenie
5.4.1 Definition der Schizophrenie nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 9
Schizophrenie
„1. Mindestens zwei der folgenden Symptome, jedes bestehend für einen erheblichen
Teil einer Zeitspanne von einem Monat: Wahn; Halluzinationen; desorganisierte
Sprache; grob desorganisiertes oder katatones 36 Verhalten; negative Symptome37.
2. Leistungseinbussen verglichen mit vor dem Beginn der Störung.
3. Zeichen des Störungsbildes halten mindestens sechs Monat an, wobei die floriden
(im Gegensatz zu den promodalen oder residualen) Symptomen mindestens einen
Monat dauern“ (Comer, 2001, Tabelle 14.1, S. 373).
5.4.2 Schizophrenie allgemein
Unter Schizophrenie wird eine Gruppe von Erkrankungen zusammengefasst, bei denen
Desorganisation der Persönlichkeit, verzerrte Wahrnehmung der Realität und die Unfähigkeit einer normalen Lebensführung typisch sind. Etwa ein Prozent der Bevölkerung
ist davon betroffen; (Frauen und Männer gleich oft). Meist bricht die Krankheit zwischen
dem 15. und dem 35. Lebensjahr aus. In der Regel benötigen die an Schizophrenie erkrankten Menschen eine stationäre Behandlung. Die Krankheit kann sich langsam entwickeln. Dabei tritt schrittweise zunehmend unangepasstes Verhalten auf. Es kann aber
auch sein, dass die Störung plötzlich ausbricht, kennzeichnend dafür sind extreme Konfusion und eine Aufruhr der Gefühle. In beiden Fällen sind die Symptome sehr vielfältig,
die Hauptsymptome werden unten aufgeführt. Die Krankheitsverläufe sind aber sehr
unterschiedlich, und es müssen bei einer erkrankten Person nicht zwangsläufig alle
Symptome auftreten. (Atkinson, Atkinson, Smith, Bem & Nolen-Hoeksema, 2001, S.
538-539) Der Verlust der Beziehung zur Realität wird als Psychose bezeichnet.
36
Katatonie = psychomotorische Symptome (unnatürlich verkrampften Haltung)
Negative Symptome bei einer Schizophrenie sind Symptome, welche sich durch eine Reduktion kennzeichnen, z.B. flacher Affekt, Spracharmut, motorische Verlangsamung, sozialer Rückzug (Comer, 2001,
S. 519)
37
- 65 -
SCHIZOPHRENIE
Symptome
Denk- und Aufmerksamkeitsstörungen
Typisch sind verworrene Denkprozesse. Diese scheinen zusammenzuhängen, mit der
generellen Schwierigkeit bei der Fokussierung der Aufmerksamkeit und der Ausfiltrierung irrelevanter Reize. Gesunde Menschen können verschiedene Einflüsse, die auf sie
einwirken, filtern und Wichtiges von Unwichtigem trennen. Einer schizophrenen Person
ist dies jedoch nicht möglich. Weiter sind Wahnvorstellungen38 typisch. Eine Person,
welche unter solchen, wahnhaften Zuständen leidet, nennt man paranoid. Unterschieden werden:
•
Beeinflussungswahn (z.B. Gedankeneingebung, eigene Gedanken können von
anderen gehört werden)
• Verfolgungswahn (Glaube, andere haben sich gegen einen verschworen)
• Grössenwahn (Glaube, eine einflussreiche Persönlichkeit zu sein), kommt eher
selten vor
(Atkinson, Atkinson, Smith, Bem & Nolen-Hoeksema, 2001, S. 539)
Wahrnehmungsstörungen: Bei akuten Erkrankungen ist es typisch, dass die Welt verändert wahrgenommen wird. Auch der erkrankte Mensch kann sich verändert wahrnehmen, oder sich auch gar nicht mehr erkennen. Die extremste Ausprägung von
Wahrnehmungsstörungen sind Halluzinationen. Es liegen sensorische Empfindungen
vor, bei welchen aber die äusseren Reize fehlen. Unterschieden werden hier:
•
Auditorische Halluzinationen (kommt am häufigsten vor; hier sind es meist Stimmen, die Anweisungen geben oder Handlungen kommentieren)
• Visuelle Halluzinationen (seltener, es werden unwirkliche Wesen / Menschen gesehen)
• Geruchshalluzinationen (treten nur vereinzelt auf)
• Geschmackshalluzinationen (treten selten auf, beispielsweise wird Gift im Essen
wahrgenommen)
• Taktile Halluzinationen (treten nur vereinzelt auf, es ist z.B. das Gefühl, von einer
Nadel gestochen zu werden)
• Wahrnehmungsstörungen können auch unabhängig von Wahnvorstellungen auftreten oder mit ihnen verwoben sein. Wahrnehmungsstörungen können auch
nicht weit von gewöhnlichen Erfahrungen entfernt sein
(Atkinson, Atkinson, Smith, Bem & Nolen-Hoeksema, 2001, S. 541)
„Die Unfähigkeit, zwischen innen und aussen, zwischen real und imaginär zu unterscheiden, sind wesentliche Merkmale einer Schizophrenie“ (Atkinson, Atkinson, Smith,
Bem & Nolen-Hoeksema, 2001, S. 541).
38
Wahnvorstellungen sind Auffassungen und Überzeugungen, die die meisten Menschen als Fehlinterpretation der Wirklichkeit ansehen würden – zum Beispiel der Glaube, das eigene Handeln werde von
Ausserirdischen gesteuert. (Atkinson, Atkinson, Smith, Bem & Nolen-Hoeksema., 2001, S. 540)
- 66 -
SCHIZOPHRENIE
Störungen des emotionalen Ausdrucks: Es gelingt den an Schizophrenie erkrankten
Menschen oft nicht, emotional in normaler oder angemessener Weise zu reagieren.
Entweder kann diese Störung eine Abstumpfung des äusseren Gefühlsausdrucks sein
oder ein plötzlicher Wutausbruch. Das emotionale Verhalten kann dem „normalen“ Verhalten entgegengesetzt sein (z.B. Lächeln bei traurigem Ereignis). (Atkinson, Atkinson,
Smith, Bem & Nolen-Hoeksema, 2001, S. 541)
Motorische Symptome und Rückzug von der Aussenwelt: Häufig treten bizarre Körperhaltungen oder Bewegungen auf. Grimassen und wiederholte, eigentümliche Bewegungsfolgen bis hin zu völliger Bewegungslosigkeit in ungewöhnlichen Körperhaltungen
sind typisch. (Atkinson, Atkinson, Smith, Bem & Nolen-Hoeksema, 2001, S. 542)
Störungen bei der Lebensbewältigung: Bei den Anforderungen des täglichen Lebens
sind von Schizophrenie Betroffene erheblich eingeschränkt. Die Stellensuche oder die
Wahrung der Arbeitsstelle sind meist nicht möglich. Die persönliche Hygiene lässt durch
die Krankheit nach. (Atkinson, Atkinson, Smith, Bem & Nolen-Hoeksema, 2001, S. 543)
Es werden laut DSM-IV fünf Kategorien der Schizophrenie unterschieden
a. desorganisierter Typus: charakteristisch sind Verwirrung, bruchstückhafte Wahnvorstellungen oder Halluzinationen, flacher oder inadäquater Affekt. Das Denken
ist jedoch so wirr, dass gar keine umfassenden Wahnvorstellungen entstehen.
Auch typisch ist „Läppischkeit“, d.h. die erkrankte Person kichert ohne ersichtlichen Grund. Dieses Muster wird als hepephren bezeichnet.
b. katatoner Typus: Das Hauptmerkmal ist eine Störung der Psychomotorik. Es
kann sein, dass der / die Betroffene in eine Starre verfällt, stumm und reaktionsunfähig, oder im Gegenteil sehr erregt ist und unkontrolliert herumfuchtelt. Diese
beiden Extreme können sich auch abwechseln.
c. paranoider Typus: ganz zentral bei diesem Typus ist ein organisiertes System
von Wahnideen und audidatorischen Halluzinationen (Hören nicht vorhandener
Geräusche und Stimmen), welche das Leben der Person lenken
d. undifferenzierter Typus: Da sich die Krankheit in sehr vielen unterschiedlichen
Facetten zeigt, lassen sich nicht alle an einer Schizophrenie erkrankten Menschen in einen dieser Typen einordnen. Diese werden dann unter dem undifferenzierten Typus zusammengefasst.
e. residualer Typus: Vom residualen Typus wird gesprochen, wenn die floriden
Symptome in Bezug auf Stärke und Zahl nach lassen, jedoch in einer Restform
weiter bestehen.
(Comer, 2001, S. 373)
- 67 -
SCHIZOPHRENIE
Bei Klinikern / Klinikerinnen wird zurzeit weiter unterschieden zwischen Typ-I- und TypII-Schizophrenie. Die Typ-I-Schizophrenie kennzeichnet sich durch positive Symptome39, der Typ-II durch negative Symptome. (Comer, 2001, S. 385)
5.4.3 Entstehung und Ursachen der Schizophrenie
Wahrscheinlich spielen genetische und biologische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung der Krankheit. Allerdings können Stress und belastende Umweltbedingungen
schizophrenieanfälliger Menschen die Krankheit und deren Schweregrad beeinflussen.
(Atkinson, Atkinson, Smith, Bem & Nolen-Hoeksema, 2001, S. 543) Bisher haben biologische Faktoren die beste empirische Abstützung. Es wird aber stark davon ausgegangen, dass bei Menschen mit einer entsprechenden, biologischen Anlage die Krankheit
erst unter psychologischer Belastung ausbricht. Auch Drogen können eine Schizophrenie begünstigen. (Comer, 2001, S. 374)
Soziokulturelle Ansätze
Der soziokulturelle Ansatz betont die gesellschaftlichen Ansätze, die bei der Entstehung
der Störung mitverursachend sein können. Die Gesellschaft etikettiert die Menschen mit
dieser Krankheit und behandelt sie entsprechend. Es wird von ihnen erwartet, sich
„krank“ zu verhalten und bestärkt sie in ihrem Verhalten. Dies kann dann zu einer sich
selbst erfüllenden Prophezeiung führen, welche viele schizophrene Symptome fördern.
(Comer, 2001, S. 380)
5.4.4 Behandlung der Krankheit Schizophrenie
Schizophrenie wird mit Medikamenten und Psychotherapie behandelt. Die Psychotherapie wird aber meist erst dann begonnen, wenn die Medikamente gegriffen haben. Die
Störung ist immer noch schwer zu behandeln, doch es wurden grosse Fortschritte gemacht. Einen grossen Teil haben die antipsychotischen Medikamente beigetragen. Diese Medikamente ermöglichen ein vernünftigeres Denken, sodass es möglich ist, an Therapien teilzunehmen. (Comer, 2001, S. 389) In einer akuten Krankheitsphase steht die
Medikamententherapie an erster Stelle. Tritt dadurch die akute Psychose zurück, wird
auch die Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft besser. Dies ist notwendig für eine
Psychotherapie oder für soziotherapeutische Massnahmen. Durch die fehlende Krankheitseinsicht ist eine regelmässige Therapie (insb. in akuten Phasen) sehr schwierig. da
die Einsicht fehlt, dass eine Therapie nötig sei. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 150)
39
Positive Symptome einer Schizophrenie sind Symptome welche sich durch einen Überschuss kennzeichnen (z.B. Wahnvorstellungen, Halluzinationen, intensivierte Wahrnehmung). (Comer, 2001, S. 368)
- 68 -
SCHIZOPHRENIE
Es gibt drei Pfeiler der Therapie für Menschen mit einer Schizophrenie
a. Psychotherapie: Bei der Psychotherapie steht eine Behandlung im Sinne eines
Supports im Zentrum. Der Therapeut / die Therapeutin soll in realistischer Weise
Hoffnung und Mut vermitteln, Informationen über die Krankheit vermitteln und
über die möglichen Behandlungsansätze informieren. Probleme des täglichen
Lebens werden in der Psychotherapie angeschaut. Auch ein wichtiger Punkt in
der Therapie ist, das Augenmerk auf die Problematik von Überstimulation
(Stress) aber auch der Unterstimulation (z.B. Unterforderung) zu richten. Dies
sind bei schizophrenen Menschen sehr zentrale Probleme. Bereits kleine Änderungen der Lebensgewohnheiten können als Stress empfunden werden.
b. Spezielle psychotherapeutische Massnahmen (psychoanalytische Therapie,
verhaltenstherapeutische Ansätze (durch Erlernen von Strategien soll das Verhalten verändert werden), Familientherapie
c. Soziotherapie: Sie soll die vorhandenen Fähigkeiten fördern und die Entstehung
von Defiziten verhindern.
Wichtige Massnahmen im Behandlungskonzept sind:
•
•
•
•
Milieutherapie
Arbeits- und Beschäftigungstherapie
Rehabilitative Massnahmen
Teilstationäre Behandlungsangebote
Æ Es ist wichtig, dass das Prinzip der kleinen Schritte beachtet wird. Es braucht eine
Abstufung, um die erkrankte Person nicht zu überfordern und Stress auszulösen. Viele
Schizophreniepatienten / -patientinnen sind nach der Klinik wieder so gesund, dass sie
keine soziotherapeutischen Behandlungen mehr brauchen. Ziel ist es, die Patienten /
Patientinnen so weit zu fördern, dass sie wieder ein möglichst eigenständiges Leben
führen können. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 155-157)
„Milieutherapeuten [/ Milieutherapeutinnen] gehen davon aus, dass sich der Zustand
hospitalisierter Patienten [/ Patientinnen] hauptsächlich deswegen verschlechtert, weil
ihnen die Möglichkeit genommen wird, Selbstachtung, Unabhängigkeit und Verantwortungsgefühl zu entwickeln und sinnvollen Tätigkeiten nachzugehen – grundlegende Erfahrungen für ein gesundes Erleben und Verhalten“ (Comer, 2001, S. 389). Milieutherapeutische Ansätze werden beispielsweise in psychiatrischen Kliniken verwendet, damit
die Patienten und Patientinnen verlorene Fähigkeiten wieder erlernen, um ausserhalb
der Klinik wieder möglichst selbstständig leben zu können und sich ihrer Ressourcen
bewusst zu werden. Damit kann dann auch abgeschätzt werden, welche Hilfestellungen
die erkrankte Person gegebenenfalls zusätzlich braucht.
Im Sinne der Desinstitutionalisierung spielt das Konzept der gemeindenahen Versorgung eine grosse Rolle. Damit ist gemeint, dass die an Schizophrenie erkrankten Men
- 69 -
SCHIZOPHRENIE
schen möglichst in ihrer gewohnten Umgebung leben sollten, ausserhalb einer Klinik.
Dafür sollten verschiedenste, gemeindenahe Gesundheitsdienste die Behandlung übernehmen. Wenn eine solche gemeindenahe Versorgung mangelhaft ist, besteht eine Gefahr einer Drehtürpsychiatrie, in welcher die Patienten / die Patientinnen ständig wechseln zwischen Klinik und Austritt zurück in die eigene Gemeinde. (Comer, 2001, S. 398399).
Leistungen der gemeindenahen Versorgung:
•
•
•
•
•
Koordinierte Dienste (kommunale, psychiatrische Behandlungszentren)
Kurzzeitige Hospitalisierung
Teilstationäre Angebote (z.B. Tageskliniken)
Übergangsheime (für Menschen, die den geschützten Rahmen der Klinik nicht
mehr brauchen, aber dennoch nicht alleine leben können)
Berufliche Rehabilitation, z.B. eine beschütze Werkstatt. (Eine regelmässige Beschäftigung gibt Struktur und erlaubt es, Kooperation zu erlernen und Selbstachtung zu gewinnen, und gibt Möglichkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen) (Comer,
2001, S. 400)
Probleme stellen die schlechte Koordination und die Knappheit der Dienste dar, wie Untersuchungen aus Amerika zeigen. (Comer, 2001, S. 401) Aber auch die Erfahrung der
Autorinnen in der Arbeit in Psychiatrien in der Schweiz zeigt dieselbe Problematik.
Durch die heutigen Medikamente (Neuropleptika) und die verbesserten psychosozialen
Therapien hat sich die Prognose für Menschen mit einer Schizophrenie stark verbessert. Dennoch nehmen die Hälfte der Erkrankungen einen ungünstigen Verlauf mit Rezidiven40 und einem Residualzustand41. (Möller et al, 2001, S. 158) Eine Prognose lässt
sich nicht voraussagen, dennoch gibt es eine Faustregel: „Je akuter der Beginn, je deutlicher situative Auslöser, desto günstiger die Prognose“ (Möller, Laux & Deister, 2001,
S. 158).
Menschen aus niedrigen Herkunftsschichten haben eine eher ungünstige Prognose.
Frauen haben eine bessere Prognose als Männer. Jüngere Betroffene (Alter bei Erstmanifestation) haben eine tendenziell schlechtere Prognose. (Möller, Laux & Deister,
2001, S. 159)
Ein Alternativprojekt sei hier noch speziell zu erwähnen. Bettina Kroll (1998) behandelt
in ihrem Buch die Arbeit der Soteria. Soteria ist ein Projekt für junge Menschen, welche
erstmals an einer Schizophrenie erkrankt sind. Es ist eine Alternative zur stationären
Behandlung in einer Klinik. Die Arbeit ist stark psycho-, sozio- und milieutherapeutisch
geprägt. Sie arbeiten grob nach 4 Phasen:
40
Rezidivs = Rückfall
Zustand des bestehenbleibens von Symptomen nach Abklingen einer akuten psychischen Erkrankung.
(Möller, Laux & Deister, 2001, S. 578)
41
- 70 -
SCHIZOPHRENIE
1. Phase: Beruhigung
Bei einer akuten Psychose wirken zu viele Reize auf die an Schizophrenie erkrankte
Person ein. Dies erzeugt Angst und Verwirrtheit, deshalb ist in dieser Phase eine Reizabschirmung sowie eine 1:1 Betreuung wichtig (auf eine optimale Distanz wird geachtet
im Sinne eines behutsamen „Dabeiseins“).
2. Phase: Aktivierung
Durch kleine Arbeiten wird langsam der Realitätsbezug wiederhergestellt, damit kann
der Zugang zum Alltag gefunden werden. Dadurch stellen sich Erfolgserlebnisse ein
und die Betroffenen übernehmen wieder Verantwortung. In dieser Phase wird auch über
die Psychose gesprochen (u.a. Informationsvermittlung), so kann das Rückfallrisiko gemindert werden. Auch Familiengespräche starten in der 2.Phase
3. Phase: Soziale und berufliche Integration
In kleinen Schritten werden die in den Phase 2 erworbenen Fähigkeiten ausgebaut. Immer mehr Verantwortung geht wieder an die erkrankte Person über. Es werden auch
Kontakte ausserhalb der Soteria gefördert. In gemeinsamer Arbeit werden Ziele formuliert, welche auf die Anforderungen im Alltag vorbereiten. Wichtig ist auch das Ausarbeiten von Hilfsplänen bei einem erneuten Rückfall und bei Situationen starker Belastung.
Eine geeignete Nachbetreuung wird organisiert.
4. Phase: Psychosoziale Stabilisierung und Nachbetreuung
Nach dem Austritt aus der Soteria kommt die Phase 4. Trotz eigener Wohnung und therapeutischer Begleitung ausserhalb von der Soteria bleibt ein Restkontakt zum Soteriateam (insb. Zur Bezugsperson). Dies geschieht durch spontane Besuche im Haus oder
vereinbarte Termine für ein Gespräch. In Bedarfsfällen kann auch eine kurzfristig angelegte Rückzugsmöglichkeit geboten werden. Durch Phase 4 besteht die Kontinuität der
Begleitung noch weiter und dies kann Sicherheit vermitteln. (S. 39-41)
5.4.5 Ableitungen für die Sozialarbeit
Menschen die an einer Schizophrenie leiden, leben in einer eigenen Welt mit einer eigene Realität. Da die Umgebung diesen Zustand nicht verstehen kann, ist es nicht verwunderlich, dass sich diese Menschen emotional und sozial zurückziehen. Dieser
Rückzug entfernt sie dann noch weiter von der Realität. Dadurch kommt es zu einer
Minderung der sozialen Fertigkeiten und zur Minderung der Fähigkeit Gefühle und Bedürfnisse von anderen Menschen zu erkennen. Durch die Wahrnehmungsstörung leidet
auch die Kommunikation. Menschen mit einer Schizophrenie sind teilweise nicht mehr in
der Lage, sich selbst zu versorgen, soziale Beziehungen zu pflegen oder zu arbeiten
(Vgl. desorganisierte Schizophrenie). (Comer, 2001, S. 372-373)
- 71 -
SCHIZOPHRENIE
Arbeit
Für die Alltagsbewältigung und Verminderung des Erkrankungsrisikos ist die Teilnahme
am Arbeitsleben von sehr grosser Bedeutung. Es müssen Hilfsangebote gefunden werden, die einen Einstieg/Wiedereinstieg in eine Arbeitssituation möglich machen. Dadurch wird die Lebensqualität gehoben, Rückfälle und Chronifizierungen werden gemindert. Der Verlust eines Arbeitsplatzes wirkt bedrohlich, die Existenz ist nicht mehr gesichert und das Vertrauen in sich selbst nimmt ab. Auch die soziale Eingebundenheit
steht im direkten Zusammenhang mit der Arbeitwelt. In der aktuellen Arbeitsrehabilitationsforschung zeigt sich, dass es günstiger ist, einen Arbeitsplatz zu erhalten/zu finden
und dann mit spezifischen Mitteln gezielt zu betreuen (vs. Vorher in Einrichtungen zu
trainieren und dann einen Arbeitsplatz zu finden). Chef/Chefin und Mitarbeitende müssen motiviert sein den Arbeitsplatz für die erkrankte Person zu erhalten. Sie brauchen
aber immer wieder Unterstützung. (Amering & Schmolke, 2007, S. 54) Sozialarbeitende
sollen der erkrankten Person helfen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, oder einen neuen
Einstieg in die Berufswelt zu finden. Es geht nicht alleine um Lohnarbeit, sondern auch
um eine regelmässige Tagesstruktur, welche wichtig für die Lebensqualität ist. Hier verstehen sich die Sozialarbeitenden als Vermittelnde, welche auf die Situation und die
Erkrankung aufmerksam machen können und damit das Verständnis fördern. Zudem
soll in der interdisziplinären Zusammenarbeit eine individuelle Lösung gefunden werden.
Hier sei auf die 3.Phase der Arbeitsweise der Sotria zu verweisen, in welcher die soziale
und berufliche Integration im Zentrum steht.
„Auf der Ebene der Klärung des Hilfebedarfs und der Organisation von Hilfen ist die intensive Zusammenarbeit von klinisch-therapeutischen Berufsgruppen mit denen des
sozialen Bereiches von essenzieller Bedeutung. Idealerweise geht es auch darum, dass
alle Beteiligten ihren Platz in einem multiprofessionellen Team finden, das flexibel und
mobil über die Grenzen zwischen stationärem und ambulantem Bereich hinweg vernetzt
ist. Regionale Hilfeplankonferenzen sind ein wichtiges Organisationsmittel für die Durchführung von individuellen Behandlungs- und Rehabilitationsplänen“ (Kunze, H. (vollständiger Name unbekannt) (2003) zit in Amering, 2007, S. 54).
Wahrnehmung der Realität
Menschen die an einer Schizophrenie leiden nehmen eine andere Realität wahr. Es
nützt nichts, diesen Menschen einzureden, dass ihre Wahrnehmung nicht mit der Realität übereinstimmt. Sozialarbeitende müssen sehr wachsam sein und erkennen, wenn
sich eine an Schizophrenie erkrankte Person in die Enge getrieben fühlt. Leidet die
Klientel beispielsweise an einem Verfolgungswahn, wird das Umfeld als sehr bedrohlich
wahrgenommen. Es kann im Extremfall sogar sein, dass diese Menschen um ihr Leben
fürchten. In akuten Phasen fühlt sich die betroffene Person massiv gestresst. Daraus
erklärt sich sicherlich, dass während solchen akuten Phasen ein Abstand gewahrt werden soll. Dieser dient dem eigenen Schutz, aber auch dem Sicherheitsgefühl der erkrankten Person. Eine Möglichkeit hierfür könnte sein, dass die Türe während des Gesprächs offen gelassen wird, damit eine Fluchtmöglichkeit für die Klientel vorhanden ist.
In einer Situation in der ein Mensch um sein Leben fürchtet, sind immense körperliche
- 72 -
SCHIZOPHRENIE
Kräfte vorhanden, deshalb sollte man niemals versuchen, sich alleine körperlich zur
Wehr zu setzen.
Dennoch wird das Thema der Gewalt bei schizophrenen Menschen überbewertet. Das
Gewaltrisiko ist im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung nur leicht erhöht, was aber ehre auf die Persönlichkeit als auf die Diagnose der Krankheit zurückzuführen ist. (Amering & Schmolke, 2007, S. 49)
Gespräch
Vorbereitend für ein Gespräch mit einer an Schizophrenie erkrankten Person ist immer
zu beachten, dass es bestimmte krankheitsbedingte Merkmale gibt, welche die Zusammenarbeit stark prägen werden. Sie gehören zur Krankheit und sind deshalb auch so zu
gewichten. Es handelt sich dabei nicht um ein absichtliches schwieriges (z.B. feindliches) Verhalten, sondern es ist Ausdruck der Krankheit.
•
•
•
•
Durch die Reizüberflutung und die formalen Denkstörungen können viele Aspekte eines Gesprächs gar nicht richtig aufgenommen und verarbeitet werden
Durch die grosse Angst welche mit der Krankheit einher geht, sind ungeahnte
körperliche Kräfte vorhanden, auch das empfinden von Schmerz ist verändert
Typisch ist ein grosses Misstrauen seinen Mitmenschen gegenüber (da niemand
diese Realität nachvollziehen kann)
Die Stimmung kann sehr schnell wechseln, auch ein sehr impulsives Verhalten
kann eintreten
Aus diesen Gründen ist es sehr wichtig in einem Gespräch folgendes zu beachten:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Es ist sehr wichtig ruhig zu bleiben und keine überraschenden Bewegungen zu
machen, die die betroffene Person erschrecken könnte
Eine gewisse räumliche Distanz ist zu wahren und eine Möglichkeit zur Flucht
(wie bereits im Abschnitt oben erwähnt) sollte gewährleistet sein
Genügend Zeit für ein Gespräch einplanen
Wegen der formalen Denkstörungen eher wenig, dafür klar und langsam sprechen
Aufgrund des starken Misstrauens und der Angst sollte eher leise gesprochen
werden, damit sich die Betroffenen nicht angegriffen fühlen.
Das Gespräch sollte wegen der Reizüberflutung in einem möglichst ruhigen Umfeld mit wenig Ablenkung geführt werden.
Wahnvorstellungen ernst nehmen und nicht versuchen diese auszureden
Fühlt sich die betroffene Person in einer bedrohlichen Situation, kann sogar auf
den Wahn eingegangen werden (ohne diesem jedoch zuzustimmen). Dadurch
kann auf den Schutzwunsch der betroffenen Person eingegangen werden, was
sich positiv auf das Vertrauen auswirken kann.
Auf jeden Fall ist eine Eskalation zu vermeiden
- 73 -
SCHIZOPHRENIE
•
In akut psychotischen Phasen wird ein Gespräch gar nicht möglich sein (Susanna Niehaus, 2008, S. 4-5)
Empowerment
Ein sehr wichtiger Einflussfaktor in der Zusammenarbeit mit an Schizophrenie erkrankten Menschen ist das Arbeiten mit den Empowermentstrategien. Durch diese Arbeit soll
den Betroffenen ein Rahmen gegeben werden, in welchem sie mit ihren Ressourcen
und Grenzen möglichst selbständig aktiv sein können. Dies kann durch die Methode des
Case Managements geschehen. (Nagel Dettling, Maja, 2004, S. 30) „Case Management
ist überall einsetzbar, wo eine komplexe, langfristige und kostenintensive Versorgung
und Betreuung zu koordinieren ist“ (Nagel Dettling, Maja, 2004, S. 30). (Æ Siehe 4.2)
Bewältigungsorientierte Therapie bei Patienten und Patientinnen mit einer schizophrenen Psychose
Tabelle 10
Aufklärung über die Krankheit und Behandlung
• Information zur Erkrankung
• Information zur Behandlung
• Erkennen und Umgang von Frühwarnsymptomen
Bewältigung von Belastungen
• Identifikation von Belastungen in verschiedenen Lebensbereichen
• Analyse von belastendenden Situationen
• Stress Management (Strategien, Training sozialer Fertigkeiten etc.)
Aufbau von Gesundheitsverhalten
• Identifikation von Ressourcen in verschiedenen Lebensbereichen
• Positive Lebensgestaltung (z.B. Freizeitgestaltung)
(Vereinfachte Tabelle nach Schaub A. (vollständiger Vorname unbekannt) (1999) in
Bäuml, Josef, Pitschel-Walz, Gabi, Berger, Hartmut, Gunia, Hans, Heinz, Andreas &
Juckel, Georg, 2005, Tab. A3-8, S. 50)
Die Sozialarbeitenden kommen bei den Punkten Bewältigung von Belastungen und
Aufbau von Gesundheitsverhalten zum Zuge, auch wenn diese Arbeit weiterhin von der
therapeutischen Arbeit zu trennen ist. Durch das Erschliessen von Ressourcen kann
Unterstützung geboten werden, z.B. bei einer positiven Freizeitgestaltung. Die ressourcenorientierte Arbeit baut das Gesundheitsverhalten des Klientel auf. Im Beratungsprozess kann die Sozialarbeit Belastungen mit der Klientel benennen und durch eine Ressourcen- und lösungsorientierte Arbeit dazu beitragen, dass Stress gemindert wird. Die
Aufklärung über Krankheit und deren Behandlung soll durch Professionelle der medizinischen und therapeutischen Arbeit getätigt werden.
- 74 -
ANGST- UND PANIKSTÖRUNG
5.5
Angst- und Panikstörung
„Unter dem Oberbegriff Angst- und Panikstörungen werden mehrere Erkrankungsformen zusammengefasst, die durch unterschiedliche Erscheinungsweisen der Angst geprägt sind. Die wesentlichen Formen sind die frei flottierende Angst, phobische Angst
sowie Panik. Die Symptomatik umfasst in der Regel sowohl seelische als auch körperliche Beschwerden. Angststörungen haben gravierende Folgen auch im sozialen Bereich
und führen oft zu ausgeprägter Behinderung“ (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 106).
Es gibt unterschiedliche Subtypen der Angst, stellvertretend dafür gehen wird auf die
generalisierte Angststörung ein. Die Behandlung wie auch die Ableitungen für die Sozialarbeit der verschiedenen Subtypen der Angst, bewegt sich in einem ähnlichen Rahmen. Die anderen Subtypen sind: Agoraphobie (Angst an bestimmten Orten), Soziale
Phobie (Angst vor Begegnung mit Menschen und Angst vor der Bewertung der Menschen), Spezifische Phobie (Angst vor bestimmten Dingen wie: Tiere, Höhe, Flugreisen). Ein weiterer Typ ist auch die Panikstörung. Darauf wird speziell eingegangen.
(Möller, Laux, Deister, 2001, S. 120)
5.5.1 Definition der generalisierten Angststörung nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 11
Generalisierte Angsterkrankung
„1. Übermässige Angst und Sorge bezüglich mehrerer Ereignisse oder Tätigkeiten, die
während mindestens sechs Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten.
2. Schwierigkeiten, die Sorgen zu kontrollieren.
3. Die Angst ist mit mindestens drei der folgenden Symptome verbunden; Ruhelosigkeit, Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Muskelanspannung,
Schlafstörungen
4. Bedeutsame Beeinträchtigung im beruflichen oder privaten Bereich“ (Comer, 2001,
Tabelle 5.1, S. 109).
5.5.2 Angststörungen allgemein
Angst ist ein unangenehmes Gefühl, das vor einer Bedrohung warnt Jeder Mensch
kennt Angst. Sie schützt die Menschen und ist überlebensnotwendig. Diese Angst wird
auch Realangst, normale Angst genannt. Sie warnt vor Gefahren, veranlasst den Menschen zum Handeln und verschwindet wieder. In diesem Sinne werden die körperliche
und seelische Abwehrfunktion gestärkt. Pathologische42 Angst dagegen ist eine Krank-
42
krankhaft
- 75 -
ANGST- UND PANIKSTÖRUNG
heit. Sie lähmt die geistigen und körperlichen Funktionen. Sie kommt scheinbar grundlos und übermässig.
Es gibt verschiedene Kriterien um die Angst zu unterscheiden:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
objektiv- bzw. situationsgebunden
akut
isoliert
attackenweise
gerichtet
ohne äusseren Anlass
chronisch
generalisiert
kontinuierlich
ungerichtet
Angst – und Panikstörungen machen den grössten Teil der psychischen Erkrankungen
aus. Dabei sind die Tierphobien und die soziale Phobie am häufigsten verzeichnet.
Frauen sind öfter davon betroffen als Männer.
Nicht das Erleben der Angst steht im Vordergrund sondern oft körperliche Symptome
wie Schwindel, verminderte Belastbarkeit, Herzrasen etc.)
Angst, normale wie auch pathologische, sind immer ein körperliches wie auch ein seelisches Phänomen. Sie sind untrennbar miteinander verbunden.
Genetische und auch lebensgeschichtliche Aspekte können eine Angst und Panikstörung beeinflussen. Die Angst aufrechterhaltende Faktoren sind individuell unterschiedlich.
5.5.3 Entstehung und Ursachen der Angststörung
Lerntheoretische Modelle sind Erklärungsversuche über die Entstehung von Angst. Das
Modell wird jedoch der Komplexität der Entstehung der Angst – und Panikstörung nicht
gerecht. Die Veranschaulichung soll aber dazu beitragen, eine Vorstellung davon zu
bekommen, wie die Angststörung entstehen kann. Der Angstkreis zeigt das Zusammenspiel der physischen und psychischen Faktoren, im lerntheoretischen Modell. So wird
auch die Erwartungsangst (Betroffene mit Erwartungsangst, erwarten dass etwas passiert, dadurch bekommen sie Angst, unabhängig davon, ob wirklich etwas passiert oder
nicht) erklärt.
- 76 -
ANGST- UND PANIKSTÖRUNG
Angstkreis
Abbildung 7
Auslöser
z.B. Gedanken,
körperliche Veränderungen
Wahrnehmung
Körperliche
Symptome
Gedanken
(Gefahr)
Körperliche
Veränderungen
ANGST
(Möller, Laux & Deister, 2001, S. 109)
- 77 -
ANGST- UND PANIKSTÖRUNG
Personen mit einer Angst-Störung nehmen körperliche Symptome wahr, die durch die
Angst ausgelöst werden. Dadurch wird die Angst wieder grösser, noch mehr körperliche
Symptome werden wahrgenommen, Angst steigert sich Æ daraus entsteht ein Teufelskreis.
Es existieren viele Theorien zur Entstehung von Angst und Panikstörungen. Die Grundlage psychoanalytischer Theorien ist die vereinfachte Idee der Unfähigkeit der Konfliktlösung, die zum Erscheinen der Angst führen kann. Bei drohenden Trennungen oder
Verlust von nahe stehenden Personen, wie auch bei drohendem Verlust von sozialer
Anerkennung, kann eine generalisierte Angst auftreten.
Gesteigerte gesellschaftliche Gefahren und Belastungen können ein Klima schaffen, in
welchen sich eine generalisierte Angststörung leichter entwickeln kann. Carl Rogers43
geht davon aus, dass Personen die an dieser Störung leiden, als Kinder zu wenig positive Wertschätzung erhalten haben. Auch biologische Faktoren spielen eine Rolle.
(Comer, 2001, S. 141)
5.5.4 Behandlung der Angststörung
Soziale Kontakte zu pflegen, verlernt man durch den sozialen Rückzug. Die Angst
macht es den Menschen unmöglich, den Alltag zu bewältigen. Dadurch entsteht ein
Vermeidungsverhalten, viele Situationen vor denen man sich fürchtet werden gemieden.
Durch das Vermeidungsverhalten entsteht dann der soziale Rückzug. Die erlebten Zurückweisungen verstärken den Rückzug. Dies löst Schwierigkeiten am Arbeitsplatz aus
und die Abwärtsspirale von Angst, Rückzug, Ausgrenzung, finanziellen Schwierigkeiten
und sozialen Nöten nimmt ihren Lauf. (Dubois, Brigitte, 2003, S. 26)
Hilfe und Selbsthilfe
Aufklärung über die Symptome kann den Patienten und Patientinnen helfen mit der
Krankheit klar zu kommen, wenn die Ausprägung nicht so stark ist. Ratgeber oder
Selbsthilfeorganisationen können gute Mittel sein, um sich zu informieren. Es braucht
nicht in jedem Fall eine (medizinische oder therapeutische) Behandlung. (Hättenschwiler, Josef & Höck, Paul, 2003, S. 12-13)
Psychotherapie und Medikamente
Für Menschen, die an einer Angst- und Panikstörung erkrankt sind, empfehlen Möller,
Laux und Deister (2001) eine Verhaltenstherapie zu machen. Die medikamentöse Einstellung ist eine wichtige Komponente in der Behandlung der Angst- und Panikstörung.
(S. 12-13)
Hättenschwiler und Höck (2003), sprechen sich aus für eine kognitive Verhaltenstherapie. Kognitiv heisst hier, die Angst verstehen lernen um sie dadurch zu kontrollieren und
zu bewältigen.
43
US-amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut, bekannt insbesondere durch die Entwicklung der
klientenzentrierten / klientinnenzentrierten Gesprächsführung
- 78 -
ANGST- UND PANIKSTÖRUNG
Vier Grundsätze zur kognitiven Verhaltenstherapie:
a. Durch sachliche Informationen werden diffuse Vorstellungen über Angst abgebaut
b. Mit gedanklichen Übungen, wird der Angst entgegengewirkt, was hilft sie realistisch einzuschätzen
c. Mit Expositionsübungen, wird die angsteinflössende Situation durchlebt und die
Angst muss ausgehalten werden. Mit der Zeit lernen die Patienten / Patientinnen
dass die Angst abnimmt, ohne dass eine Katastrophe eintritt.
d. Ein Grundprinzip der Behandlung ist, nicht nur die Angst zu vermindern, sondern
Bewältigungsstrategien zu lernen, wie mit der Angst umgegangen werden kann.
Mit Techniken wie Atemübungen, Muskelentspannungs- und Wahrnehmungsübungen soll der Angst Einhalt geboten werden. (S.12)
Akutbehandlung der Angst
Das kompetente, verständnisvolle Gespräch kann in Notsituationen die Betroffenen beruhigen. Frische Luft, einen Raumwechsel, das Öffnen der Tür, Platz etc. All diese Dinge können sich gegen die aufsteigende Panikattacke als nützlich erweisen. Wenn es
zum hyperventilieren kommt, sollte durch Tütenrückatmung (eine Tüte wird über Mund
und Nase gehalten und es wird solange weitergeatmet, bis die Atmung wieder normal
funktioniert) das Symptom bekämpft werden können.
Mittel- bis langfristige Behandlung
Die Medikamente erster Wahl bei einer Angst- und Panikstörung sind Antidepressiva.
Denn nicht selten kommt es vor, dass die Störung eine Depression zur Folge haben
kann. Pflanzliche Mittel wie Johanniskraut (stimmungsaufhellend) oder Baldrian (beruhigend) werden auch immer wieder eingesetzt. Ihre Wirksamkeit ist aber umstritten.
Behandlung
Eine fachgerechte, individuelle, der Schwere der Störung angemessene Behandlung
begünstigt den Krankheitsverlauf positiv. Die Zusammenarbeit muss vertrauensvoll sein,
ist sie doch den Schlüssel zu einer erfolgreichen Behandlung.
5.5.5 Definition der Panikstörung nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 13
Panikstörung
„Eine klar abgegrenzte Episode intensiver Angst und Unbehagens bei der mindestens
vier der nachfolgenden genannten Symptome abrupt auftreten und innerhalb von zehn
Minuten einen Höhepunkt erreichen:
1. Palpitationen (Herzklopfen oder beschleunigter Herzschlag)
2. Schwitzen
- 79 -
ANGST- UND PANIKSTÖRUNG
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
Zittern und Beben
Gefühl der Kurzatmigkeit oder Atemnot
Erstickungsgefühle
Schmerzen oder Beklemmungsgefühle in der Brust
Übelkeit oder Magen-Darm-Beschwerden
Schwindel, Unsicherheit, Benommenheit oder der Ohnmacht nahe sein
Derealisation (Gefühl der Unwirklichkeit) oder Depersonalisation (sich losgelöst fühlen)
Angst die Kontrolle zu verlieren oder verrückt zu werden
Angst zu sterben
Parästhesien (Taubheit oder Kribbelgefühl)
Hitzewallungen oder Kälteschauer“ (Comer, 2001, Tabelle 6.1., S. 114).
Nicht alle die eine Panikstörung haben leiden auch unter einer Agoraphobie, doch es
kommt häufig vor. (Comer, 2001, S. 145)
Eine Panikattacke dauert normalerweise 10 bis 30 Minuten, kann aber auch einige
Stunden andauern. Es kommt häufig vor, dass nach der ersten Panikattacke eine Phobophobie entwickelt. Diese kann später zu erheblichen Problemen wie sozialem Rückzug führen.
5.5.6 Entstehung und Ursachen der Panikstörung
Biologische Faktoren können eine Panik Störung nur teilweise erklären. Menschen die
an dieser Störung leiden, können sensiblere Körperempfindungen aufweisen und diese
als drohende Katastrophe missdeuten. Faktoren für dieses Verhalten sind unterschiedlich. In Erwägung wurden gezogen: unter anderem fehlende soziale Unterstützung und
eine Kindheit, die von Unvorhersehbarkeit, fehlender Kontrolle, chronischer Krankheit
der Familie und Überreaktion der Eltern auf somatische Symptome des Kindes gekennzeichnet war und unangemessene Bewältigungsstrategien. Es gibt auch Menschen die
an einer Panikstörung leiden und keine solchen Faktoren in ihrer Geschichte aufweisen.
Die Forschungen zeigen, dass eine hohe Angstsensibilität entwickelt wird. Diese Patienten und Patientinnen beschäftigen sich übermässig mit ihren körperlichen Empfindungen und können diese nicht logisch beurteilen.
5.5.7 Behandlung der Panikstörung
Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapie zielt darauf ab, die Missdeutungen von
den Empfindungen eine logische Erklärung zu geben. Die allgemeine Natur ihrer Panikattacke wird erklärt. Wenn diese Menschen zum Beispiel Schwäche verspüren, heisst
das nicht, dass sie nun sterben müssen, sondern dass der Kreislauf aufgrund der Lageveränderung reagiert. Der Panikcountdown kann so früher abgebrochen werden. Auch
- 80 -
ANGST- UND PANIKSTÖRUNG
Coping-Strategien können helfen. Das bedeutet, dass die Patienten und Patientinnen
lernen sich zu entspannen, das Herzrasen durch tiefes Ein- und Ausatmen zu kontrollieren usw. Auch langfristige Konfrontationen mit Angst auslösenden Empfindungen sind
bei Panikstörung wirksam. Wenn zur Panikstörung noch eine Agoraphobie dazukommt,
wird die Konfrontation mit der Angst erregenden Situation durchgeführt. (Comer, 2001,
S. 148 / 171)
5.5.8 Ableitungen für die Sozialarbeit
Grundsatz der Zusammenarbeit
Wie bereits im therapeutischen Ansatz erwähnt, ist eine vertrauensvolle Beziehung der
Schlüssel der Zusammenarbeit. Dies gilt sicher auch für die Sozialarbeitenden.
Mit Menschen zu arbeiten, die an einer Angst- und Panikstörung leiden ist nicht einfach
zusammenzuarbeiten. Aufgrund des Rückzuges ist es schwer Zugang zu Ihnen zu erhalten. Wenn es zu sozialen Problemen kommt, haben die Professionellen der Sozialarbeit einen Auftrag und müssen handeln. Eine Möglichkeit, dass es überhaupt zu einer
Zusammenarbeit kommen kann, ist der Hausbesuch.
Hausbesuch
Wenn ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin einen Hausbesuch macht, kann das
für die Klientel unangenehm sein. Denn jeder Hausbesuch ist das Eindringen in die Intimsphäre. Darum sollten die Besuche angekündigt werden, wenn nicht schriftlich, dann
sicher telefonisch.
Die Wohnung kann für den Klient oder die Klientin die letzte Rückzugsmöglichkeit bedeuten, darum ist es wichtig, die Lebenswelten zu respektieren. Man weiss nie, was
man antrifft. Die Wohnung könnte schön sauber und ordentlich sein, es kann aber auch
sein dass sie aufgefüllt ist mit Müll bis zur Decke oder völlig leer ist. Die Einrichtung und
Sauberkeit der Wohnung kann viel über den Zustand des Menschen aussagen, der darin wohnt. Darum ist es wichtig, auf konkrete Gefährdung durch technische und hygienische Mängel zu achten und die nötigen Schritte einzuleiten.
Es kommt aber nicht oft vor, dass Sozialarbeitende ausschliesslich negative Erfahrungen mit Hausbesuchen machen. Die Klientel zieht Hausbesuche den Beratungen im
Büro oft vor, denn zuhause fühlen sie sich wohl, die Rolle des Gastgebers verbessert
den eigenen Status und normalisiert die Beziehung was sich positiv auf die Zusammenarbeit auswirkt.
Panikattacke während dem Gespräch
Wenn eine Panikattacke während der Beratung eintritt, soll der Sozialarbeiter, oder die
Sozialarbeiterin ruhig und vertrauensvoll auf die betroffene Person einreden. Das Verhalten bei einer Akuten Krise wie Panikattacke kann von einem Therapeuten / einer
Therapeutin übernommen werden.
- 81 -
ANGST- UND PANIKSTÖRUNG
Spitex
Viele soziale Probleme können nicht von den Sozialarbeitenden gelöst werden, da Betroffene oft 1:1 Betreuung brauchen. Ihre Angst verunmöglicht es Ihnen, die Probleme
anzugehen. Eine gute Möglichkeit für die Sozialarbeitenden ist die Vermittlung der psychiatrischen Spitex. Somit ist eine 1:1 Betreuung44 garantiert.
5.6
Zwangsstörung
5.6.1 Definition der Zwangsstörung nach DSM-IV-Kriterien
Tabelle 14
Zwangsstörung
„1. Wiederkehrende Zwangsgedanken oder wiederholte Zwangshandlungen
2. Zumindest zeitweise Einsicht, dass die Zwangsgedanken oder -handlungen übertrieben sind.
3. Deutliche Beeinträchtigung des Alltagslebens oder Belastung dadurch“ (Comer,
2001,Tabelle, 6.4, S. 149).
5.6.2 Zwangsstörungen allgemein
Um die Situation von Menschen mit Zwangsstörungen zu veranschaulichen folgen Zitate aus einem Buch von Brigitte Woggon (1999) in welchem Betroffene über ihre psychiatrischen Krankheiten berichten.
Die meisten Menschen können gar nicht nachvollziehen, was das für ein Leben ist, dieses Ausgeliefertsein, dieses Sich-Nicht-Wehren-Können. Die Gedanken sind nicht logisch. Niemand kann einen schmutzig machen. Theoretisch weiss ich das wohl, aber
ich fühle es eben anders. Ein solcher Gedanke setzt sich fest, man hat keine Chance.
[…] Sehr schlimm ist es, wenn man von niemandem verstanden wird und ganz alleine
mit den zwanghaften Gedanken dasteht. In den vergangenen Jahren habe ich versucht,
meine Probleme meiner Mutter näherzubringen. […] meine Mutter versuchte auch immer, mir meine Logik auszureden, aber auch sie konnte meine Verbindungen nicht zerstören. Wenn sich noch nichts Festes gebildet hat, war dies zwar eine kleine Erleichterung, bei ausgeprägten Zwängen wollte ich aber von Ausreden nichts mehr wissen. (S.
41-43)
Zu unterscheiden bei Zwangsstörungen sind die Zwangshandlungen und die Zwangsgedanken. Zwangshandlungen sind sich immer wiederholenden Handlungen, zu der
44
Betreuungsperson gibt nicht nur Anleitung und Unterstützung, sondern führt die Tätigkeiten mit der
betroffenen Person zusammen aus.
- 82 -
ZWANGSSTÖRUNG
sich die Person gezwungen fühlt. Durch diese Handlungen können Ängste verhindert
oder gemindert werden. Zwangsgedanken sind immer wiederkehrende Gedanken, Ideen oder Bilder die das Bewusstsein einer Person zu beherrschen vermögen. In einer
milden Form kennen wir wohl alle diese beiden Verhaltensformen, Beispielsweise das
kontrollieren, ob wir auch sicher die Türe geschlossen haben (vgl. Zwangshandlung)
oder wenn uns über längere Zeit ein Lied einfach nicht mehr aus dem Kopf will (vgl.
Zwangsgedanke). Dies ist ganz normal und beeinträchtigt unser Leben kaum. Eine Person die jedoch unter Zwangsstörungen leidet, wird durch diese Zwänge regelrecht beherrscht. Zwangstörungen werden unter Angststörungen klassifiziert, da diese Zwangsgedanken massiv mit Angst verbunden sind, die Zwangshandlungen vermögen hingegen diese Angst zu mindern.
Zwangsgedanken
Die Menschen, welche unter Zwangsgedanken leiden, sind sich bewusst, dass ihre Gedanken übertrieben sind. Die Gedanken selbst sind Angst auslösend, der Versuch jedoch diese Gedanken zu unterdrücken, kann die Angst noch verstärken.
•
•
•
zwanghafte Gedanken ( z.B. jemand könnte sterben)
Vorstellungen (z.B. unerlaubte sexuelle Szenen)
Impulse (z.B. den Impuls jemanden zu erstechen, wenn man ein Messer in den
Händen hält)
Zwangshandlungen
Grundsätzlich unterliegen die Handlungen noch dem Willen der Person, aber für diejenigen welche unter Zwangsstörungen leiden, besteht das Gefühl keine andere Alternative zu haben. Sie glauben, dass etwas Schlimmes passieren wird, wenn sie die Handlung nicht ausführen. Dies verursacht Angst, welche durch die Handlung gemildert werden kann. Meist wissen die Betroffenen, dass ihre Handlungen unvernünftig sind, aber
die Angst zwingt sie dazu, dennoch die Handlungen auszuführen. Die Handlungen können gar zu Ritualen werden, welche sehr detailliert immer wieder wiederholt werden
müssen. Folgende Zwänge sind beispielsweise sehr typisch: Reinlichkeitszwang, Kontrollzwang, Berührzwang, Zählzwang, Esszwang und verbale Zwänge.
Meist treten die beiden Arten von Zwängen kombiniert auf. Die Zwangshandlungen sind
dann oft wie ein Ventil für die Zwangsgedanken.
Pro Jahr sind etwa 2 Prozent der Bevölkerung von Zwangsstörungen betroffen. Frauen
und Männer sind gleichermassen davon betroffen. Die Störung bricht meist zur Zeit der
Adoleszenz oder zu Beginn des dritten Lebensjahrzehnts aus. Die Störung kann sich
über viele Jahre sehr schwankend in der Intensität zeigen. Sie kann auch mit Depressionen und Essstörungen zusammen auftreten. (Comer ,2001, S. 150)
- 83 -
ZWANGSSTÖRUNG
Für eine Diagnose einer Zwangsstörung müssen Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen im Vordergrund der Symptomatik stehen. Andere psychische Störungen
müssen ausgeschlossen werden können. Das DSM-IV gibt eine Zeitangabe vor. Für
eine Diagnose müssen diese Zwangsgedanken und –handlungen mehr als eine Stunde
im Tag in Anspruch nehmen. Auch die Folgen sind für eine Diagnose wichtig (erhebliches psychisches Leiden, Zeit raubend, beeinträchtigen den normalen Tagesablauf, die
berufliche Leistung und die sozialen Aktivitäten). (Möller. Laux & Deister, 2001, S. 130131)
5.6.3 Ursachen für die Entstehung einer Zwangsstörung
Die Zwangsstörungen sind in ihrer Entstehung sehr rätselhaft. Es gibt psychoanalytische Erklärungsversuche welche sich empirisch jedoch nicht belegen liessen. (Comer,
2001, S. 154)
5.6.4 Behandlung von Zwangsstörungen
Der Verhaltenstherapeutische Ansatz Abhängigkeit mit Konfrontation und Reaktionsverminderung gegen die Zwänge zu arbeiten. Aus dem biologischen Ansatz heraus ergeben sich medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. Lange Zeit schien die Zwangsstörung auf keine Therapie anzusprechen. Durch Konfrontation- und Reaktionsminderungstherapie und medikamentöse Behandlung (kombiniert oder einzeln), hat sich die
Behandlungsmöglichkeit stark verbessert. (Comer, 2001, S. 154-160) Im Gespräch mit
dem Arzt/ der Ärztin ist es wichtig, dass die Person welche unter Zwängen leidet einsehen kann, dass die fehlende Kontrolle über diese Zwänge nicht eigenes Versagen ist. In
Verhaltenstherapien wird stufenweise gearbeitet45, Entspannungsverfahren können damit kombiniert werden. Es ist wichtig, die Umgebung einzubeziehen, damit ein sozialer
Rückzug und Isolierung der erkrankten Person vermieden werden kann. Wird eine
Zwangsstörung nicht behandelt, wird sie meist chronisch, die Intensität der Symptomatik
kann aber stark schwanken. In der Tendenz breiten sich die Zwangsgedanken und –
handlungen aus. Dadurch wird immer ein grösserer Teil des Alltags bestimmt, Folgen
können Isolierung, sozialer Rückzug und körperliche Schädigung sein (z.B. ekzematöse
Hände bei Waschzwang). Wird immer mehr Zeit für die Zwänge aufgewendet, kommen
andere Gebiete des Alltags zu kurz, möglicherweise wird die direkte Umgebung vernachlässigt und es kann zu einer Verwahrlosung kommen. Im Extremfall wird das Leiden so stark, dass Suizid als einziger Ausweg angesehen wird. Durch Medikamente und
Therapie wird die Prognose zwar häufig gebessert (geminderter Leidensdruck, bessere
Kontrolle), aber meist kommt es zu keiner vollständigen Heilung der Zwangssymptomatik. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 132-133)
45
Das am wenigsten belastende Ereignis wird am Anfang zum Thema, später werden immer belastendere Situationen aufgegriffen.
- 84 -
ZWANGSSTÖRUNG
5.6.5 Ableitungen für die Sozialarbeit
Das stufenweise Arbeiten der Verhaltenstherapie kann auch im sozialarbeiterischen
Setting angewandt werden. Es kann eine Liste gemacht werden, von Dingen die zu erledigen sind. Diese Dinge zu machen war für das Klientel nicht mehr möglich, da die
Zwänge sie direkt davon abgehalten haben, oder weil wegen der Zwänge keine Zeit
mehr dafür übrig blieb. Wenn die zu erledigenden Dinge in einer Liste aufgeführt werden, können sie nach der Intensität der Belastung geordnet werden. Mit dem am wenigsten Belastenden kann begonnen werden. Das Problem für die Sozialarbeit kann hier
sein, dass dies eventuell aber nicht das Wichtigste ist. Hier muss ganz klar aufgepasst
werden, dass die Klientel nicht überfordert wird. Wenn Wichtiges ansteht, was das
Klientel aber alleine nicht schafft, dann soll der Sozialarbeiter/ die Sozialarbeiterin einspringen. Im Gegenzug soll die Klientel aber versuchen „einfachere“ Dinge selbstständig zu machen und somit zu üben. Durch Erfolgserlebnisse, und sind es noch so kleine,
wird sich die an Zwangsstörungen erkrankte Person wieder mehr den eigenen Kräften
bewusst. Eine Überforderung ist für die Klientel mit Stress verbunden und dieser löst
wiederum das zwanghafte Verhalten aus. Da die erkrankte Person meist einsieht, dass
die Zwangshandlungen übertrieben sind, kann im direkten Gespräch herauskristallisiert
werden, wo die Grenze zur Überforderung liegt.
In Therapieverfahren soll die nächste Umgebung einbezogen werden (z.B. Familie) dadurch können sozialer Rückzug und Isolation gemindert werden. (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 132) Dies ist auch für die Sozialarbeit wichtig, denn auch hier kann die
nächste Umgebung mit einbezogen werden, damit beispielsweise eine Verwahrlosung
verhindert werden kann.
5.7
Suizid
Menschen in Krisen, neigen öfters zu Suizidgedanken und Handlungen. Sozialarbeitende müssen immer auf eine Suizidgefährdung bei den Klienten und Klientinnen achten,
suizidale Tendenzen ansprechen, aufnehmen und bearbeiten.
Besonders Menschen mit Depressionen und Alkoholabhängigkeit haben ein grösseres
Suizidrisiko, denn sie haben eine Lebenszeit-Suizidsterblichkeit von 15%, Menschen mit
schizophrenen Störungen von 10%, Angst- und Panikstörungen- Somatisierungs- und
Persönlichkeitsstörungen ist das Suizidrisiko erhöht. Selbsttötungsversuche können
auch einen appellativen Charakter aufweisen oder den Wunsch nach Ruhe auslösen,
doch jeder Versuch muss ernst genommen werden. (Dross, 2001, S. 54–55)
Warnzeichen bei Selbstmordgedanken:
• sprechen öfters und häufiger über Hoffnungslosigkeit, Lebensüberdruss, Selbstmordgedanken oder konkrete Selbstmordpläne
• ein selbstzerstörerisches und riskantes Verhalten zeigen
• Steigerung von Alkohol und Drogenkonsum
- 85 -
SUIZID
•
•
•
•
•
wichtige persönliche Gegenstände werden verschenkt
wichtige Angelegenheiten sofort regeln
Rückzug von Familie, Freunden und gewohnten Aktivitäten
grobe Änderung des Verhaltens
Identifizierung mit Menschen die Suizid begangen haben
Nicht alle Patienten und Patientinnen die Selbstmordgedanken haben, sprechen darüber oder zeigen Warnzeichen. Wenn die Sozialarbeitenden den Verdacht haben, sollten sie unbedingt darüber Sprechen. Das Thema ansprechen, auch wenn es schwierig
ist. Sätze wie: „Ich mache mir Sorgen, dass Sie sich was antun werden“ oder „Muss ich
Angst haben, dass Sie sich was antun werden“ können helfen abzuschätzen, ob sich
der Verdacht erhärtet. Wichtig ist bei der Antwort des Patienten / der Patientin, ob der
Augen Kontakt gehalten wird. Wenn er/sie glaubhaft versichern kann, dass kein Anlass
zur Sorge besteht, ist das ein gutes Zeichen. (Pitschel-Walz, Bäuml & Kissling, 2003,
Anhang, Folie 20)
Beispiel der Krisenintervention bei Menschen in einer suizidalen Krise anhand der
Merkmale von Suizidpräventionszentren (z.B. die dargebotene Hand):
•
•
•
•
•
Eine positive Beziehung herstellen: positiver und beruhigender Gesprächston,
aktiv zuhören, verständnisvoll und interessiert sein, nicht abwerten
Das Problem verstehen und klären: versuchen das Ausmass der Krise zu erfassen, helfen das Problem in klaren Worten zu formulieren, das zentrale Problem
und die vorübergehende Natur der Krise herausarbeiten, Alternativen erkennen
Das Suizidpotential beurteilen: Wie stark ist die Belastung? Welche Persönlichkeitsmerkmale spielen eine Rolle? Wie weit ist der Suizidplan ausgearbeitet?
Gibt es Bewältigungsressourcen?
Ressourcen abschätzen und mobilisieren: Gibt es Freunde oder Angehörige welche hinzugezogen werden können?
Einen Plan erstellen: gemeinsames ausarbeiten eines Aktionsplanes, Einigung
über einen alternativen Weg aus der Krise, nachfolgende Termine vereinbaren,
„Kein-Suizid“-Vertrag abschliessen, Vereinbarung bei erneuter Krise Kontakt aufzunehmen, Veränderungen vornehmen im persönlichen Leben, evtl. Familie und
Freundeskreis einbeziehen. (Comer, 2001, S. 249-250)
Die Sozialarbeitenden sind keine Psychiater / Psychiaterinnen oder Psychologen / Psychologinnen. Bei Unsicherheiten lieber Angehörige oder Arzt kontaktieren. Bei einer akuten Krise, soll nach dem Prinzip der Krisenintervention gearbeitet werden. Falls es
sich anzeigt, ist eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu veranlassen Eine Einweisung muss zusammen mit einem Arzt erfolgen. Wenn es gar nicht mehr geht, Patient / Patientin zum Arzt begleiten, er/sie in sicheren Händen ist. Trotz aller Vorsichtsmassnahmen kann es immer wieder passieren, dass sich ein Mensch umbringt. Unter
Voraussetzung mit allem was getan werden kann, sollte nicht vergessen werden, dass
- 86 -
SUIZID
jeder Mensch für sich selber verantwortlich ist. (Pitschel-Walz, Bäuml & Kissling, 2003,
Anhang, Folie 20)
- 87 -
6.
ÜBERSICHT DER PSYCHISCHEN KRANKHEITEN, DEREN BEHANDLUNG UND DIE ABLEITUNG FÜR DIE SOZIALARBEIT
Diese Methoden sind wichtig für alle psychischen Krankheiten, welche beschrieben
wurden. Es sollte von den Sozialarbeitenden immer geprüft werden, ob eine dieser Methoden angewandt werden soll.
- 88 -
Krisenintervention
Case Management
Tabelle 15
Erklärung
Der Fall wird von einer Person geführt. Diese Person hat Kontakt zum ganzen Helfersystem, plant, delegiert und organisiert
den Lösungsprozess. Die Aufgaben werden klar verteilt und es gibt eine Ansprechperson, welche den Überblick behält
Ziel
Das ganze Helfersystem wird geführt und somit kann interdisziplinär zusammengearbeitet werden Kosten möglichst niedrig
halten, ohne Qualitätsverlust der Behandlung zu riskieren.
Techniken
Case Management ist in diesem Fall nach folgenden Phasen aufgebaut:
1. Vorabklärung
2. Erfassen der Ausgangslage
3. Planung und Kontakt
4. Ressourcenerschliessung
5. Monitoring
6. Evaluation
Erklärung
Handeln in akuten Krisensituationen
Ziel
Durch richtiges Handeln, soll die Krisensituation entspannt und vermindert werden.
Techniken
Würdigung der Krise, aktive Haltung, direktives Handeln, Multidisziplinarität, Entspannungstraining, Wunderfrage stellen, Suizidgefahr klären, Ressourcen nutzen, Anteilnahme zeigen, Unruhe auffangen durch Ansprechen, Hilfeleistungen anbieten
- 89 -
Empowerment
Erklärung
Empowerment (Selbstbefähigung) meint hier die gezielte Unterstützung der psychisch kranken Menschen, damit sie ihre eigenen Kräfte und Ressourcen wieder Gewahr werden und diese für sich nutzen können.
Ziel
Die vorhandenen Ressourcen aktivieren, um wieder möglichst viel Autonomie zu erlangen.
Techniken
Professionelle Zurückhaltung, Fragen stellen zu Situationen, in welchen die eigenen Kräfte genutzt werden konnten, Ressourcenorientierung, Person wertschätzen, motivieren, loben.
- 90 -
Tabelle 16
affektive Störungen
Kurzinformation über die Krankheit
Behandlung
Affektive Störung: „Störung, die den Die Grundlage zur Behandlung der Deemotionalen Zustand verändern, etwa pression ist das stützende ärztliche GeDepression oder bipolare Störung“ spräch.
(Comer, 2001, S.505).
Im Vordergrund stehen die Therapie mit
Depression: „Ein niedergeschlagener Antidepressiva und die Psychotherapie.
trauriger Zustand der von mangelnder
Energie, geringem Selbstwertgefühl, Eine weitere Behandlungsform ist die
Schuldgefühlen und ähnlichen Sympto- kognitive Verhaltenstherapie. Auch das
men gekennzeichnet ist“ (Comer, 2001, EKT wird heute wieder angewandt.
S.509).
Wichtig ist die Abschätzung der SuizidaManie: „Ein Zustand oder eine Episode lität. Sie muss angesprochen werden.
von Euphorie hektischer Aktivität oder
ähnlichen Episoden“ (Comer, 2001, Die Manie zu behandeln ist sehr schwieS.517).
rig, wegen fehlender Krankheitseinsicht.
Bei ausgeprägter Symptomatik ist eine
Bipolare Störung: „Eine Störung, bei stationäre Einweisung erforderlich. In
der eine Person abwechselnd oder mit- der Behandlung wird mit Medikamenten
einander vermischte manische und de- gearbeitet. Wichtig ist, dass sich der
pressive Episoden erlebt“ (Comer, 2001, Betroffene / die Betroffene psychomotoS.508).
risch abreagieren kann.
Inhaltliche Schwerpunkte in der sozialarbeiterischen Zusammenarbeit
Depression
- direkte und einfühlsame Sprache,
nicht zu viele Informationen in einem
Gespräch
- Ratschläge wie: sich zusammenreissen, Verreisen als Ablenkung usw.,
unterlassen
- Entscheidungshilfen geben
- Enge Bezugspersonen mit in die Beratung einbeziehen
Manie
- Person ernst nehmen
- Arztzeugnis organisieren, damit Unzurechnungsfähigkeit belegt werden
kann und somit Verträge ungültig
sind
- Beratung zu einem späteren Zeitpunkt weiterführen, da meistens keine Krankheitseinsicht besteht und
somit Schadensbegrenzung im Vordergrund steht
Bei der bipolaren Störung hat man gute Bipolare Störung
Erfolge mit Lithium gemacht.
Je nach Phase werden Handlungsansätze von Depression oder Manie angewandt.
- 91 -
Abhängigkeit Fokus: Alkoholismus
Persönlichkeitsstörungen Fokus Borderlinestörung
Kurzinformation über die Krankheit
Behandlung
Sucht: „Körperliche Abhängigkeit von
einer Substanz, was sich in Merkmalen
wie Toleranz, Entzugssymptomen bei
Abstinenz oder beidem ausdrückt“ (Comer, 2001, S.527).
Behandlung der Abhängigkeit durch
Verhaltenstherapie oder biologische
Therapien
Die Behandlungskette ist nach folgenden Phasen gegliedert:
Alkoholismus: „Ein Verhaltensmuster, 1. Kontakt- und Motivationsphase
bei dem eine Person Alkohol miss- 2. Entgiftungs- Entzugsphase
braucht oder eine Abhängigkeit davon 3. Entwöhnungsphase
entwickelt“ (Comer, 2001, S.506).
4. Nachsorge und Rehabilitationsphase
Die helfende Beziehung ist die Grundlage der Beratung
Durch die Probleme auf der Beziehungsebene gestaltet sich eine Therapie als sehr schwierig, dennoch kommt
der Behandlung im klinischen Kontext
eine immer grössere Bedeutung zu.
Persönlichkeitsstörung: „Eine Störung, die durch ein dauerhaftes, umfassendes, fehlangepasstes und inflexibles
Muster des Erlebens und Verhaltens,
das deutlich von den Erwartungen der
jeweiligen Kultur abweicht gekennzeichnet ist“ (Comer, 2001, S.521).
Verhaltenstherapeutische
Therapie
(evtl. verbunden mit psychoanalytiBorderline-Persönlichkeitsstörung:
schem Ansatz)
„Eine Persönlichkeitsstörung, die durch
durchgängige Instabilität der zwischen- evtl. Medikamente
menschlichen Beziehung, des Selbstbildes und der Stimmung sowie durch
deutliche Impulsivität gekennzeichnet
ist“ (Comer, 2001, S.508).
Inhaltliche Schwerpunkte in der sozialarbeiterischen Zusammenarbeit
- Vertrauensvolle Beziehung aufbauen, erst dann die zusätzliche Kontrollfunktion wahrnehmen
- Wenn die Klientel bereit ist, schrittweise Verantwortung übergeben, um
der Hilflosigkeit entgegenzuwirken
- In kleinen Schritten vorangehen
- Strukturen müssen sich verändern,
also Umfeld (Freunde, Wohnung,
Freizeitgestaltung) verändern
Bitte vermeiden: Moralisieren, Appelle
an die Vernunft und Ratschläge erteilen
-
-
-
Fokus auf die Beziehungsgestaltung
legen
Ich-Botschaften verwenden
Sich bemüht zeigen
Komplementäres Verhalten: verringert Spielverhalten (brauchen manipulatives Verhalten nicht mehr)
Konfrontatives Verhalten: Damit die
Betroffenen ihre eigenen Anteile erkennen
Balance zwischen aktiver Passivität
und scheinbarer Kompetenz
Nähe-Distanz-Regulierung
Stabiles Umfeld ermöglichen
Metakommunikation
Sachlich und transparent bleiben
- 92 -
Schizophrenie
Kurzinformation über die Krankheit
„Eine psychotische Störung von mindestens sechs Monaten Dauer, bei der sich
infolge verzerrter Wahrnehmung, gestörter Denkprozesse, abweichender
emotionaler Zustände und motorische
Auffälligkeiten die persönliche, soziale
und berufliche Leistungsfähigkeit verschlechtert“ (Comer, 2001, S.524).
Behandlung
Inhaltliche Schwerpunkte in der sozialarbeiterischen Zusammenarbeit
Psychotherapie
- Ruhig bleiben, keine überraschenden Bewegungen
Antipsychotische Medikamente (ermög- - Gewisse räumliche Distanz wahrend
lichen ein vernünftigeres Denken, da- - Genügend Zeit für ein Gespräch eindurch wird eine Therapie erst möglich)
rechnen
- Für das Gespräch ein ruhiges UmSoziotherapeutische Massnahmen
feld wählen
- Wahnvorstellungen erst nehmen,
Problem: fehlende Krankheitseinsicht
nicht versuchen sie auszureden
- Evtl. auf Schutzwunsch der Betroffenen eingehen
- Leise, wenig, klar sprechen
- Erschliessen von Ressourcen (Empowerment)
- Eskalation vermeiden
- 93 -
Angst- und Panikstörung
Kurzinformation über die Krankheit
Behandlung
Angststörung: „Störungen, bei denen Grundlagen
das Hauptsymptom in Angst besteht“ - Motivation der Patienten / Patientin(Comer, 2001, S.507).
nen
- Genügend Zeit seitens des TheraPanikstörung: „Eine Angststörung, die
peuten / der Therapeutin
durch wiederkehrende und unvorher- - Gegenseitiges Vertrauen
sagbare Panikattacken gekennzeichnet
ist“ (Comer, 2001, S.520).
Verhaltenstherapie spielt eine grosse
Rolle.
Information und Aufklärung über Symptome
Soziotherapeutische Strategien können
helfen, die soziale Isolierung zu vermindern
Inhaltliche Schwerpunkte in der sozialarbeiterischen Zusammenarbeit
- vertrauensvolle Beziehung ist der
Schlüssel zum Erfolg
- Möglichkeit der Kontaktaufnahme
durch Hausbesuche, da Angst- und
Panikstörungen den Betroffenen oft
nicht erlauben, das Haus zu verlassen
- Bei Panikattacke beim Gespräch
ruhig auf Klient / Klientin einreden,
Platz machen, Luft reinlassen, eventuell kurz nach draussen gehen
- Mit Spitex vernetzen, Betroffene
brauchen oft Hilfe bei kleinsten Angelegenheiten, welche die Sozialarbeitenden nicht immer leisten können
Entspannungsverfahren werden angewandt.
Unterstützende pharmakologische Therapie mit z.B. Antidepressiva, Benzodiazepine
Bei Panikattacken haben sich kognitive
Verfahren bewährt
- 94 -
Zwangsstörung
Kurzinformation über die Krankheit
Behandlung
„Eine Störung, bei der eine Person wiederkehrende und ungewollte Gedanken
oder den Drang zur Ausführung repetitiver und ritualisierter Handlungen hat
und intensive Angst empfindet, wenn
diese Verhaltensweisen unterdrückt
werden“ (Comer, 2001, S.531).
Therapien mit verhaltenstherapeutischem Ansatz (durch Konfrontation und
Reaktionsverminderung,
Entspannungsverfahren)
evtl. in Kombination mit Medikamenten
ohne Behandlung werden Zwangsstörungen meist chronisch
auch mit Behandlung und Medikamenten wird eine Zwangsstörung zwar gelindert aber meist nicht geheilt
Inhaltliche Schwerpunkte in der sozialarbeiterischen Zusammenarbeit
- Stufenweise Arbeiten (vgl. Verhaltenstherapie)
- Möglichkeit für Erfolgserlebnisse
schaffen
- Überforderung und Stress vermeiden
(löst zwanghaftes Verhalten aus)
- Gemeinsam im Gespräch Grenze
zur Überforderung herauskristallisieren
- Evtl. soziales Umfeld mit einbeziehen
- 95 -
SCHLUSSFOLGERUNGEN
7.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
In diesem abschliessenden Kapitel gehen wir auf die während des Verfassens der
Arbeit gewonnen Erkenntnisse ein. Aus diesen Erkenntnissen leiten wir Schlussfolgerungen für die berufliche Praxis der Sozialarbeit.
Durch die intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Krankheitsbildern
die wir für diese Arbeit gewählt haben, hat sich gezeigt, dass die erkrankten Menschen in unterschiedlichen Bereichen (je nach Krankheit) spezielle Fürsorge und Unterstützung brauchen.
Es ist uns sehr wichtig, dass wir durch diese Bachelorarbeit aufzeigen können, dass
die krankheitsbedingten Eigenarten auch wirklich als Teil einer Krankheit angesehen
werden müssen. Menschen mit psychischen Krankheiten dürfen nicht für ihre Krankheit bestraft werden (z.B. Verweigerung einer Zusammenarbeit, wirtschaftliche Sanktionen etc.) Die Sozialarbeit hat hier eine ganz wichtige Aufgabe, sie soll sich zusammen mit den psychisch kranken Menschen gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung einsetzen. Stigmatisierung ist ein ganz grosses Problem, denn durch die vielen
falschen Vorurteile psychisch kranken Menschen gegenüber, werden diese ausgegrenzt und ihrer gesunden Anteile beraubt. Viele psychisch kranke Menschen haben
durch das vorhandene Unwissen (über psychische Krankheiten) in der Allgemeinbevölkerung schon Verletzungen erlebt. Das dadurch entstandene Misstrauen ist eine
zusätzliche Hürde für die Zusammenarbeit. Mit dem Wissen über die Krankheiten
können Sozialarbeitende lernen zu verstehen, wo die Schwerpunkte in der Kommunikation, der Beratung und der Unterstützung zu setzen sind.
Sozialarbeitende selbst müssen sich immer wieder selbst hinterfragen, ob sie den
einzelnen Menschen gerecht werden. Die Gefahr eine erkrankte Person einfach aufzugeben und sie nicht mehr im Sinne von Empowerment zu stützen, ist bei der oft
sehr grossen Arbeitsbelastung gegeben. Hier müssen Sozialarbeitende immer wieder die Menschenrechte und Berufsverständnis der Sozialen Arbeit im Hinterkopf
behalten, denn darin liegt das Fundament der Sozialarbeit.
Menschen mit psychischen Problemen können in einer Beratung etc. oft sehr fehlangepasst reagieren und dies kann zu Wut, Angst, Trauer, Unverständnis und dem Gefühl der Ohnmacht seitens der Sozialarbeitenden führen. Hier haben die Sozialarbeitenden die Aufgabe, die kranken und die gesunden Anteile eines Menschen zu erkennen und die gesunden Anteile in der Zusammenarbeit zu nutzen.
Die Gedanken die wir uns über die Handlungsansätze der Sozialarbeit in Verbindung
mit abgeleitetem Wissen aus anderen Professionen gemacht haben, zeigten uns
mögliche Hilfestellungen für eine konstruktive Zusammenarbeit mit psychisch kranken Menschen auf. Wir haben sie in dieser Bachelorarbeit zusammengetragen und
nach unseren Erkenntnissen entsprechend geordnet. In der Schweiz gibt es leider
- 96 -
SCHLUSSFOLGERUNGEN
keine Literatur welche die Zusammenarbeit mit psychisch kranken Menschen ausserhalb der klinischen Sozialarbeit behandelt. Dies ist sehr schade und unseres Erachtens auch eine grosse Lücke, denn es wird wohl kein Gebiet der Sozialarbeit geben, in welchem psychische Krankheiten kein Thema darstellen. Auch ausserhalb
der Klinik soll professionell mit dem betroffenen Klientel gearbeitet werden und dazu
gehört ein Fundament an Wissen und damit verbundenen Verständnis.
Eines der grössten Probleme von psychisch kranken Menschen scheint durch alle
Krankheiten hindurch dasselbe zu sein, die soziale Isolation. Dies ist auf mehrere
Gründe zurückzuführen, durch die Krankheit direkt, durch die Stigmatisierung und
durch wirtschaftliche Ausgrenzung. Ein grosses Ziel für die Sozialarbeit soll in dieser
Problematik, die Integration von psychisch kranken Menschen in die Gemeinschaft
sein.
Der Begriff der sozialen Unterstützung aus der Sozialpsychologie fasst einen wichtigen Grundgedanken dieser Bachelorarbeit zusammen. „Soziale Unterstützung:
Bringt die Information von Seiten anderer zum Ausdruck, dass man geliebt wird und
andere sich um die eigene Person sorgen, man geschätzt und geachtet wird sowie
Bestandteil eines Netzes von Kommunikation und gegenseitiger Verpflichtung ist“
Stroebe, Wolfgang, Jonas, Klaus & Hewstone, Miles, 2003, S. 614). Diese soziale
Unterstützung brauchen psychisch kranke Menschen ganz besonders, sie brauchen
das Gefühl wertschätzend behandelt zu werden und durch das Gefühl einer gegenseitigen Verpflichtung können die eigenen Kräfte wieder mobilisiert werden.
Menschen mit psychischen Krankheiten brauchen eine spezielle Zusammenarbeit,
welche sich je nach Stadium der Krankheit wieder verändern kann. In einer akuten
Krise, brauchen Betroffene viel Unterstützung (z.B. Case Management oder eine Krisenintervention) Sozialarbeitende können durch ihr Wissen über das adäquate Handeln in Krisensituationen viel auffangen und die richtigen Prioritäten setzen. Wenn
die Krankheit nicht in einem akuten Stadium ist, dann sollen Sozialarbeitende im Sinne von Empowerment die Betroffenen soweit unterstützen, dass sie wieder möglichst
viel Autonomie erlangen können. Damit es aber überhaupt zu einer Zusammenarbeit
kommen kann, muss dieser eine tragfähige Beziehungsgestaltung vorausgegangen
sein. Diese erreichen Sozialarbeitende indem sie ihre Kenntnisse über die Krankheit
in den Beratungsprozess mit einfliessen lassen. Auch wenn sich Zusammenarbeit mit
psychisch kranken Menschen durch viel Wissen über die Krankheit nicht zwangsläufig einfach gestalten wird, können viele typische Fehler vermieden werden.
Die intensiven Recherchen für diese Bachelorarbeit haben uns gezeigt, dass es keine Patentrezepte für den richtigen Umgang mit Menschen mit psychischen Störungen gibt, aber es gibt Hilfestellungen welche die Zusammenarbeit optimieren. Aus
der Auseinandersetzung mit den Krankheiten haben sich für uns wichtige mögliche
Aspekte für eine gut vorbereitete und auf Verständnis basierende Zusammenarbeit
- 97 -
SCHLUSSFOLGERUNGEN
herauskristallisiert. Diese Arbeit hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn dies
würde niemals der Vielfalt der Menschen gerecht werden. Auch sind die Krankheiten
oft nicht trennscharf auseinanderzuhalten. Hier soll sich die Sozialarbeit die multidisziplinäre Zusammenarbeit zu Hilfe nehmen. Durch das spezifische Wissen aus anderen Professionen, wird das auf den spezifischen Fall bezogenen Wissen erweitert
und es kann noch fundierter gearbeitet und verstanden werden. Was ist Teil der
Krankheit und was ist Eigenart der betroffenen Person, auf diese Frage kann der professionsübergreifende Austausch (z.B. mit Pflegenden, Ärzten /Ärztinnen und Psychologen / Psychologinnen) möglicherweise eine grosse Hilfestellung bieten.
- 98 -
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der Medizinischen Statistik [Arbeitsdokument 28]. Neuchâtel: Hans-Christian
Kuhl & Jörg Herdt.
Stark, Wolfang (2004). Beratung und Empowerment – empowerment-orientierte Beratung? In Frank Nestmann, Frank Engel & Ursel Sickendieck (Hrsg.), Das
Handbuch der Beratung. Band 1: Disziplinen und Zugänge (S.535-546). Tübingen: dgvt-Verlag.
- 101 -
QUELLENVERZEICHNIS
Steeck, Ulrich (2000). Interview. Otto F. Sternberg im Gespräch mit Ulrich Streeck.
Psychotherapie im Dialog, 4, 84-89.
Stroebe, Wolfgang, Jonas, Klaus & Hewstone, Miles (Hrsg.). (2003). Sozialpsychologie. Eine Einführung (4.Aufl.). Berlin, Heidelberg und New York: Springer Verlag.
Vogt, Irmgard & Schmid, Martin (2004). Sucht- und Drogenberatung. In Frank Nestmann, Frank Engel & Ursel Sickendieck (Hrsg.), Das Handbuch der Beratung.
Band 2: Ansätze, Methoden und Felder (S.1051-1062). Tübigen: dgvt-Verlag.
Von Schlippe, Arist & Schweitzer, Jochen (2003). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung (9.Aufl.). Tübingen: Gulde-Druck.
Watzlawick, Paul, Beavin, Janet H. & Jackson Don D. (2003). Menschliche Kommunikation. Formen Störungen Paradoxien (10.Aufl.). Bern: Verlag Hans Huber.
Weber, Esther. (2005). Beratungsmethodik in der Sozialarbeit. Das Unterrichtskonzept der Beratungsmethodik an der Hochschule für Soziale Arbeit Luzern
(2.Aufl). Luzern: Sticher Printing.
Weltgesundheitsorganisation [WHO]. (2006). Psychische Gesundheit: Herausforderungen annehmen, Lösungen schaffen. Bericht über die Europäische Ministerielle WHO-Konferenz. Kopenhagen: Bibliographische Datenbank der WHO.
Woggon, Brigitte (1999). Niemand hilft mir! Behandlungsprotokolle angeblich unheilbarere psychiatrischer Patienten. Bern: Verlag Hans Huber.
Titelblatt
Das Titelblatt ist eine Illustration vom Luzerner Kunstmaler Thurry Schläpfer, speziell
angefertigt für diese Bachelorarbeit. Das Gesicht symbolisiert die Sozialarbeitenden
mit einem Baum im Geiste, auf welchem sich die „verrückten Vögel“ auch mal ausruhen dürfen, bevor sie weiterfliegen.
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9. Anhang
Methoden der Psychotherapie
Somatotherapeutische Verfahren
Die somatotherapeutischen Verfahren haben zum Ziel die organischen Prozesse des
Körpers zu beeinflussen. Es geht nicht um innerseelische Vorgänge und auch nicht
um die sozialen Beziehungen des Erkrankten. Zur Somatotherapie zählen Methoden
wie Schlafentzugsbehandlung, Elektrokrampftherapie (EKT), die medikamentöse Behandlung aber auch körperorientierte Verfahren wie Bewegungs-, Sport- und Tanztherapien. Die Psychopharmaka46 sind heute zahlreich in der Medizin verfügbar. Sie
greifen in die Regulation von Gehirnfunktionen ein. Dadurch können sie Denken,
Wollen, Gefühle und Verhalten der Menschen ändern. Die Anwendung der Psychopharmaka wird von verschiedenen Seiten kontrovers diskutiert, denn sie haben zum
Teil starke Nebenwirkungen. Ihr Erfolg ist nachweislich bei richtiger Anwendung eine
wichtige Methode im Behandlungsprozess. Das somatotherapeutische Verfahren
wird bei Krankheiten wie schizophrenen und affektiven Psychosen angewandt.
Elektrokrampf Therapie (EKT)
Das EKT wird bei therapieresistenten, endogenen Depressionen wie auch bei katatonen Schizophrenien mit vitaler Bedrohung eingesetzt. In den siebziger und achtziger Jahren, hat die EKT-Therapie an Bedeutung verloren. Heute wird sie wieder
vermehrt eingesetzt, denn aus klinischer Sicht wird sie als lebensrettende Massnahme wahrgenommen. Die genaue Wirkungsweise ist aber nicht bekannt. Man geht
davon aus, dass die Stromstösse die Transmitterstimulation anregt. Dadurch kann
das psychotische Erleben vermindert oder gar behoben werden. Häufig hat das EKT
nur kurzfristig Erfolg. Der Patient / die Patientin muss mit der Behandlung einverstanden sein und das Einverständnis geben. Nebenwirkungen dieser Therapie können sein: Desorientiertheit, Gedächtnisstörungen, Gefühlslabilität, manchmal auch
Atemlähmungen.
Psychotherapeutische Verfahren
Psychotherapie behandelt psychische Störungen und emotionale Probleme „durch
bewusste, seelische Einflussnahme unter Einbeziehung der therapeutischen Beziehung“ (Clausen, Dresler &Eichenbrenner, 1997, S.102). Der Prozess der Psychotherapie hat das Ziel, psychische Symptome zu mildern oder zu beseitigen, gestörte
Verhaltensweisen zu ändern und eine angepasste Entwicklung und Reifung der Persönlichkeit zu fördern. Die Nutzen der Psychotherapie sind nachgewiesen, obwohl
auch hier Wirkungsmechanismen kontrovers diskutiert werden. Es gibt verschiedene
Verfahren der Psychotherapie, dazu gehören: Psychoanalytisch-psychodynamische
Verfahren, Lerntheoretisch-kognitive Verfahren, Verfahren der humanistischen Psychologie, Systemische Therapieverfahren.
Psychoanalytisch-psychodynamische Verfahren
Seelische Abläufe werden von inneren Kräften wie Impulsen, Ängsten, Konflikten
bestimmt. Das ist das Verständnis der Psychoanalyse. Die Ursache der psychischen
Störungen erklärt man sich durch unbewusste Konflikte. Einerseits wurzeln die Kon46
Psychopharmaka lassen sich unterteilen in Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktikta und
Tranquilizer
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flikte in Traumas (meist aus der Kindheit), andererseits können sie auch aus momentanen Situationen entstehen. Die Gefühle der Konflikte mussten unterdrückt werden,
da sie anders nicht zu bewältigen waren. Wenn diese Gefühle durch einen aktuellen
Konflikt wieder hervorgeholt werden, kann das eine psychische Störung auslösen.
Das Ziel der Psychotherapie ist das Verarbeiten der unterdrückten Gefühle. Die Methode dazu, ist das nochmalige Erleben der Situation, so Freud/Breuer 1895, das
kognitive Wissen um das Erlebnis reicht nicht aus. Das nochmalige Erleben dieser
konfliktreichen Situation kann sehr schmerzhaft sein, darum setzt die Psyche einen
Widerstand gegen diese Schmerzen. Diesen gilt es nicht zu brechen, sondern als
Leistung des Patienten / der Patientin anzuerkennen und eventuell die Therapie an
diesem Punkt zu beginnen. Unerlässlich ist eine Vertrauensbeziehung zwischen Therapeut / Therapeutin und Patient / Patientin. Denn in der psychoanalytischen Behandlung kommt es immer wieder zu Übertragungen und Gegenübertragungen. Das
heisst, durch das wiederholte Erleben der schwierigen Situation können frühere Beziehungsmuster in der therapeutischen Beziehung übertragen werden. Sigmund
Freud, der Begründer dieser Theorie, ging zur Erklärung der psychischen Konstitution des Menschen vom sogenannten Strukturmodell aus (Ich, Über-Ich und Es). Diese Idee wurde weiterentwickelt und dient der Identitätsfindung und der Regulierung
des Selbstwertgefühls.
((Clausen, Dresler & Eichenbrenner, 1997, S. 103-104)
Lerntheoretisch-kognitive Verfahren
Der Behaviorismus entwickelte sich als Gegenpol zur psychoanalytischen Behandlung. Der Behaviorismus richtete sein Augenmerk anfangs auf das sichtbare und
messbare Verhalten. Die Symptome eines Menschen wurden als erlernte Reflexe
betrachtet. Um diese zu optimieren und Störungen zu vermindern wurden Lerntheorien entwickelt. Nicht beachtet bei diesem Verfahren wurden: individuelle Lebensgeschichte, die Motive und Überzeugungen des Patienten / der Patientin und das Unbewusste eines Menschen. Später flossen jedoch auch kognitive und soziale Lernprozesse in die lerntheoretischen Therapieverfahren mit ein. Ein grosser Umbruch
kam durch die kognitiven Verhaltenstherapie, welche durch Aron T. Beck (1967),
entwickelt wurde. Die kognitive Verhaltenstherapie stellt Motivation und persönliche
Denkschemata ins Zentrum. Die lerntheoretisch-kognitive Verhaltenstherapie hat
zum Ziel alte Denk- und Verhaltensmuster abzubauen, unangemessenes Verhalten
zu verändern, neue Verhaltensweisen zu entwickeln. Die möglichen, zugrunde liegenden unbewussten Konflikte spielen nur eine untergeordnete Rolle. Methoden um
diese Ziele zu erreichen sind: Reizkonfrontation, systematische Desensibilisierung,
Training von sozialen Fähigkeiten und Selbstkontrolltechniken, Lernen am Modell
und am Erfolg oder an der Informationsvermittlung. (Clausen, Dresler & Eichenbrenner,1997, S.105)
Verfahren der humanistischen Psychologie
In den vierziger, fünfziger Jahren entstand die humanistische Psychologie als Antwort auf den Behaviorismus. Verschiedene Therapieansätze haben sich aus der humanistischen Psychologie entwickelt, zum Beispiel die Gesprächspsychotherapie von
Carl Rogers (1942), Gestalttherapie von Fritz Perls, (u. a. 1959) und die Transaktionsanalyse von Eric Berne (1961). Diese Therapien haben zum Ziel, die schöpferischen Möglichkeiten, die jeder Mensch hat, durch einen geeigneten Rahmen zu fördern und so zu entfalten. Im Zentrum steht also das Individuum mit seinen Ressourcen.
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Systemische Therapieverfahren
Aus den Ergebnissen der Kommunikationsforschung, die „zwischenmenschliche Interaktionen und ihre zugrundeliegenden Muster untersuchten“, entwickelten sich die
systemischen Therapieverfahren. Die Grundannahme des systemischen Therapieverfahrens geht davon aus, dass komplexe Systeme nur anhand mehrdimensionaler
Prozesse, in welchen die einzelnen Interventionen eine Wirkung auf das Ganze haben, erklärbar sind. So kann aus systemischer Sicht, nur eine Verbesserung des Gesundheitszustandes erfolgen, wenn sich das gesamte System (z. B. Familie) verändert. Daraus ergibt sich, dass bei einer Therapie auch die Betroffenen des Systems
miteinbezogen werden, zum Beispiel in der systemischen „Paar- oder Familientherapie“ unter anderen. (Clausen, Dresler &Eichenbrenner, 1997, S. 105)
Soziotherapeutische Verfahren
Im soziotherapeutischen Verfahren geht es um eine Gesamtbehandlungs- Rehabilitationsplanes der durch SozialarbeiterInnen, Sozialpädagogen / Sozialpädagoginnen
und Professionelle anderer Berufsgruppen realisiert werden. Dabei ist die interdisziplinäre und abgestimmte Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen eine
Voraussetzung. Diese Therapie wird stationär und ambulant durchgeführt.
(Clausen, Dresler &Eichenbrenner, 1997, S. 98–107)
- 105 -
zwanghaft
dependent
narzisstisch
histrionisch
Boderline
antisozial
Ð
schizotypisch
Merkmale
schizoid
Î
paranoid
Persönlichkeitsstörung
selbstunsicher
Tabelle von Persönlichkeitsstörungen
Beziehungsprobleme
argwöhnisch/
misstrauisch
feindselig
sucht Schuld bei
anderen
betrügerisch
kontrollierend/
manipulativ
eifersüchtig
sensibel
distanziert/
isoliert
mit sich selbst
beschäftigt
selbstkritisch
impulsiv/
skrupellos
grandios/
egozentrisch
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zwanghaft
dependent
selbstunsicher
narzisstisch
histrionisch
Boderline
antisozial
Ð
schizotypisch
Merkmale
schizoid
Î
paranoid
Persönlichkeitsstörung
emotional instabil
übermässig emotional
depressiv/
hilflos
ängstlich/
gespannt
Kognitive/Wahrnehmung
sexzentrizitäten
Aufmerksamkeitsdefizite
psychoseähnliche
Episoden
(Comer, 2001, S. 431)
Hautmerkmal
auffälliges Merkmal
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Ethik in der Sozialen Arbeit – Erklärung der Prinzipien
International Federation of Social Workers (IFSW)
International Association of Schools of Social Work (IASSW)
1. Vorwort
Ethisches Bewusstsein ist ein grundlegender Teil der beruflichen Praxis von Sozialarbeitern/innen. Ihre Fähigkeit
und ihre Verpflichtung ethisch zu handeln ist ein wesentlicher Aspekt der Qualität der Dienstleistung, die denjenigen angeboten wird, die sozialarbeiterische Dienste nutzen.
Das Ziel der Arbeit von IASSW und ISFW ist, die Ethikdebatte und Überlegungen in den Mitgliedsorganisationen
zu fördern, ebenso bei den Anbietern von sozialer Arbeit in den Mitgliedsländern, auch den Ausbildungsstätten für
soziale Arbeit und unter den Studierenden. Einige ethischen Herausforderungen und Probleme mit denen Sozialarbeiter/innen konfrontiert werden sind in manchen Ländern ganz spezifisch andere sind gemeinsam oder allgemein.
Dadurch, dass diese gemeinsame Stellungnahme von IASSW und IFSW auf der Ebene allgemeiner Prinzipien
bleibt, sollen Sozialarbeiter/innen auf der ganzen Welt ermutigt, werden über die ihnen begegnenden Herausforderungen und Dilemmata nachzudenken, und so ethisch begründete Entscheidungen zu treffen wie in jedem
einzelnen Fall zu handeln ist. Einige dieser Problembereiche beinhalten:
•
•
•
•
die Tatsache, dass die Loyalität von Sozialarbeiter/innen oft inmitten widerstreitender Interessen liegt
Die Tatsache, dass die Rolle des/der Sozialarbeiters/in sowohl die des Helfers, wie die des Überwachers
ist.
Die Konflikte zwischen der Pflicht von Sozialarbeitern/innen die Interessen derjenigen zu schützen, mit
denen sie arbeiten und den gesellschaftlichen Anforderungen von Effizienz und Nutzen
Die Tatsache, dass die Ressourcen einer Gesellschaft begrenzt sind.
Ausgangspunkt dieses Dokumentes ist die Definition von Sozialer Arbeit, die von IFSW und IASSW auf ihrer
jeweiligen Generalversammlung in Montreal Kanada 2000 verabschiedet und dann im Mai 2001 in Kopenhagen
als eine gemeinsame angenommen wurde.( Kapitel 2) Diese Definition betont die Prinzipien der Menschenrechte
und der sozialen Gerechtigkeit. Das nächste Kapitel (3) weist auf verschiedene Menschenrechtserklärungen und übereinkommen hin, die für die Soziale Arbeit relevant sind, gefolgt von einer Darstellung allgemeiner ethischer
Prinzipien unter den beiden weiten Überschriften Menschenrechte und Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit. (Kapitel 4) Das letzte Kapitel führt in einige grundlegende Anleitungen zu ethischem Handeln in der Sozialen
Arbeit ein. Es wird erwartet, dass diese Richtlinien und verschieden Kodizes von den Mitgliedsorganisationen des
IFSW und IASSW erarbeitet werden.
2. Definition Sozialer Arbeit
Die Profession Soziale Arbeit fördert sozialen Wandel, Problemlösungen in menschlichen Beziehungen und die
Stärkung und Befreiung von Menschen, um das Wohlergehen zu stärken. Gestützt auf Theorien über menschliches Verhalten und sozialer Systeme greift Sozialarbeit an den Stellen ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in
Wechselwirkung stehen. Die Grundlagen von Menschenrechten sozialer Gerechtigkeit sind für die Soziale Arbeit
wesentlich.
3. Internationale Übereinkommen
Internationale Menschenrechtserklärungen und Übereinkommen bilden allgemeine
Zielsetzungen und anerkannte Rechte , die von der Weltgemeinschaft akzeptiert werden. Für die soziale Arbeit
besonders relevante Dokumente sind:
allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Die internationale Verpflichtung über bürgerliche und politische Rechte
Die internationale Verpflichtung über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung
Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung gegen Frauen
Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes
Das Übereinkommen betreffend die Ureinwohner und Stammesvölker (ILO Übereinkommen 169)
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4. Prinzipien
4.1. Menschenrechte und Menschenwürde
Soziale Arbeit basiert auf der Achtung vor dem besonderen Wert und der Würde aller Menschen, und aus den
Rechten, die sich daraus ergeben. Sozialarbeiter/innen sollen die körperliche, psychische, emotionale und spirituelle Integrität und das Wohlergehen einer jeden Person wahren und verteidigen. Das heißt:
1. Das Recht auf Selbstbestimmung achten- Sozialarbeiter/innen sollten das Recht der Menschen achten und
fördern, eigene Wahl und Entscheidungen zu treffen, ungeachtet ihrer Werte und Lebensentscheidung, vorausgesetzt, das dadurch nicht die Rechte und legitimen Interessen eines anderen gefährdet werden.
2. Das Recht auf Beteiligung fördernSozialarbeiter/innen sollten das volle Einbeziehen und die Teilnahme der Menschen, die ihre Dienste nutzen
fördern, so dass sie gestärkt werden können in allen Aspekten von Entscheidungen und Handlungen, die ihr
Leben betreffen.
3. Jede Person ganzheitlich behandeln- Sozialarbeiter/innen sollten sich mit der Person als Ganzes innerhalb der
Familie, der Gemeinschaft, sowie der sozialen und natürlichen Umwelt beschäftigen, und sollten darauf bedacht
sein, alle Aspekte des Lebens einer Person wahrzunehmen.
4. Stärken erkennen und entwickeln- Sozialarbeiter/innen sollten den Schwerpunkt auf die Stärken des Einzelnen,
der Gruppen und der Gemeinschaften richten um dadurch ihre Stärkung weiter zu fördern
4.2. Soziale Gerechtigkeit
Sozialarbeiter/innen haben eine Verpflichtung, soziale Gerechtigkeit zu fördern in Bezug auf die Gesellschaft im
Allgemeinen und in Bezug auf die Person mit der sie arbeiten. Das heißt:
1. Negativer Diskriminierung entgegentreten(1)- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, negativer Diskriminierung
auf Grund von Merkmalen wie Fähigkeiten, Alter, Kultur, Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischem Status,
politischer Überzeugung, Hautfarbe, Rasse oder anderer körperlicher Gegebenheiten, sexueller Orientierung,
oder spiritueller Überzeugung entgegenzutreten.
2. Verschiedenheit anerkennen- Sozialarbeiter/innen sollten die ethnischen und kulturellen Unterschiede von
Gesellschaften in denen sie arbeiten anerkennen und respektieren und die Unterschiede von Einzelnen, Gruppen
und Gemeinschaften beachten.
3. Gerechte Verteilung der Mittel-Sozialarbeiter/innen sollten sicherstellen, dass die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gerecht- gemäß den Bedürfnissen verteilt werden.
4. Ungerechte Politische Entscheidungen und Praktiken zurückweisen- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, ihre
Arbeitgeber, Gesetzgeber, Politiker und die Allgemeinheit darauf aufmerksam zu machen, wo Mittel unzulänglich
sind oder wo die Verteilung von Mitteln durch Verordnungen und Praxis unterdrückerisch, ungerecht oder schädlich ist.
5. Solidarisch arbeiten- Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, sozialen Bedingungen entgegen zu treten, die zu
sozialem Ausschluss, Stigmatisierung oder Unterdrückung führen. Sie sollen auf eine einbeziehende Gesellschaft
hinarbeiten.
5. Berufliches Verhalten
Die Mitgliedsverbände des IFSW und IASSW sind verpflichtet, ihre eigenen Ethik Kodizes und ethischen Richtlinien im Einklang mit der Stellungnahme von IFSW und IASSW weiterzuentwickeln, und auf den neuesten Stand
zu bringen. Es ist auch Pflicht der Mitgliedsorganisationen die Sozialarbeiter/innen und die Schulen für soziale
Arbeit über diese Kodizes und Richtlinien zu informieren.
Sozialarbeiter/innen sollten in Übereinstimmung mit dem in ihrem Land aktuell geltenden ethischen Kodex oder
Richtlinien handeln. Diese werden im Allgemeinen detailliertere Anleitungen der ethischen Praxis abgestimmt auf
den nationalen Kontext enthalten. Es gelten die folgenden allgemeinen Richtlinien für berufliches Handeln:
1. Es wird von Sozialarbeitern/innen erwartet, dass sie die erforderliche Fertigkeiten und Fähigkeiten, um ihre
Arbeit ausüben zu können, weiterentwickeln und aufrechterhalten.
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2. Sozialarbeiter/innen sollten nicht zulassen, dass ihre Fertigkeiten für inhumane Zwecke missbraucht werden,
wie Folter und Terrorismus
3. Sozialarbeiter/innen sollten redlich handeln. Dies beinhaltet, keinen Missbrauch der Vertrauensbeziehung der
Menschen, die ihre Dienste nutzen. Anerkennung der Grenzen zwischen privatem und beruflichem Leben, keine
Ausnutzung der Stellung zu persönlichem Vorteil oder Gewinn.
4. Sozialarbeiter/innen sollten die Menschen, die die Dienste nutzen, mit Mitgefühl, Einfühlungsvermögen und
Achtsamkeit behandeln.
5. Sozialarbeiter/innen sollten die Bedürfnisse und Interessen der Menschen, die die Dienste nutzen, nicht ihren
eigenen Bedürfnissen und Interessen unterordnen.
6. Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, notwendige Schritte zu unternehmen, um am Arbeitsplatz und in der
Gesellschaft beruflich und privat für sich selbst Sorge zutragen, um sicherzustellen, dass sie angemessene
Dienstleistungen erbringen können.
7. Sozialarbeiter/innen sollten die Vertraulichkeit von Informationen der Menschen, die ihre Dienste nutzen, gewährleisten. Ausnahmen dürfen nur durch höhere ethische Erfordernisse gerechtfertigt sein. (wie etwa der Schutz
des Lebens)
8. Sozialarbeiter/innen müssen anerkennen, dass sie den Nutzern der Dienste verantwortlich sind für ihr Handeln
ebenso ihrem Anstellungsträger, der Berufs-organisation und dem Gesetz und dass diese Verantwortlichkeiten
sich widersprechen können.
9. Sozialarbeiter/innen sollten bereit sein, mit den Ausbildungsstätten für soziale Arbeit zusammenzuarbeiten, um
Studierende zu unterstützen damit sie ein qualitativ gutes Praxistraining und zeitnahes Praxiswissen, bekommnen.
10. Sozialarbeiter/innen sollten Debatten über Ethik pflegen und fördern sowohl mit ihren Kollegen, wie mit Ihren
Anstellungsträgern. Sie sollen Verantwortung übernehmen für ethisch begründete Entscheidungen.
11. Sozialarbeiter/innen sollten bereit sein, die Gründe für ihre ethischen Überlegungen darzulegen, und Verantwortung übernehmen für ihre Entscheidungen und Handlungen.
12. Sozialarbeiter/innen sollten sich bemühen, bei ihren Anstellungsträgern und in ihrem Land solche Bedingungen zu schaffen, in denen diese Prinzipien and die ihres eigenen nationalen Kodex (soweit anwendbar) diskutiert
ausgewertet und unterstützt werden.
Das Dokument „Ethik in der Sozialen Arbeit Erklärung der Prinzipien“ wurde auf der Generalversammlung des IFSW und des IASSW in Adelaide, Australien, Oktober 2004 verabschiedet.
(1) In einigen Ländern wird der Ausdruck „ Diskriminierung“ an Stelle von „negativer Diskriminierung“ gebraucht.
Das Wort negativ wird hier gebraucht, weil in einigen Ländern der Begriff „positive Diskriminierung“ gebräuchlich
ist. Positive Diskriminierung ist auch bekannt als „positive Handlung“. Positive Diskriminierung oder Handlung
meint positive Schritte, die unternommen wurden, um die Auswirkungen früherer Diskriminierungen gegen die in
4.2.1. genannten Gruppen wieder gut zu machen.
Übersetzung: Barbara Molderings DBSH e.V.
Gefunden am 22.07.08 unter http://www.ifsw.org/en/p38000739.html
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