Differentialgeometrie

Werbung
Differentialgeometrie
Hartmut Weiß
5. Februar 2015
Kapitel 1
Grundbegriffe
1.1
Untermannigfaltigkeiten
Definition 1.1. Eine Teilmenge M ⊂ Rn heißt d-dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rn (der Klasse C k für k ∈ N ∪ {∞}), falls für jeden Punkt
p ∈ M eine Umgebung U ⊂ Rn von p und ein Diffeomorphismus φ : U → V
(der Klasse C k ) auf eine offene Teilmenge V ⊂ Rn = Rd × Rn−d existieren
mit φ(M ∩ U ) = Rd × {0} ∩ V . Eine Abbildung φ : U → V wie oben heißt
Untermannigfaltigkeitskarte um p.
Beispiele.
1. Jeder d-dimensionale Untervektorraum V ⊂ Rn ist eine ddimensionale Untermannigfaltigkeit von Rn .
2. Für U ⊂ Rd offen und f : U → Rn−d differenzierbar ist
graph f = {(x, f (x)) : x ∈ U } ⊂ Rd × Rn−d = Rn
eine d-dimensionale Untermannigfaltigkeit.
Definition 1.2. Sei M eine d-dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rn .
Dann heißt
Tp M = {γ 0 (0) : γ : (−ε, ε) → M differenzierbar mit γ(0) = p} ⊂ Rn
der Tangentialraum von M in p.
Obige Definition ist geometrisch naheliegend, offenbart aber nicht die lineare
Struktur des Tangentialraums. Dies wird durch folgendes Lemma erledigt:
Lemma 1.1. Ist φ : U → V eine Untermannigfaltigkeitskarte von M um p,
dann gilt
Tp M = (Dφ(p))−1 (Rd × {0}).
Insbesondere ist Tp M ein d-dimensionaler Untervektorraum von Rn .
1
d
γ(t) für eine diffeBeweis. Ist v ∈ Tp M , so gilt definitionsgemäß v = dt
t=0
renzierbare Kurve γ : (−ε, ε) → M
mit
γ(0)
=
p.
Für
eine
Untermannigfal
d
d
tigkeitskarte φ um p gilt dann dt t=0 (φ ◦ γ)(t) ∈ R × {0}. Andererseits gilt
d
−1
d
dt t=0 (φ ◦ γ)(t) = (Dφ(p))v, also v ∈ (Dφ(p)) (R × {0}).
d
Umgekehrt verläuft für w ∈ R × {0} und t ∈ (−ε, ε) die Kurve γ(t) =
φ−1
γ(0) = p. Somit liefert der Geschwindigkeitsvektor
(φ(p) + tw) in M mit
d
−1 w einen Tangentialvektor in T M .
γ(t)
=
(Dφ(p))
p
dt t=0
Definition 1.3. Sei U ⊂ Rn offen und f : U → Rm differenzierbar. Dann
heißt y ∈ Rm ein regulärer Wert von F , falls Df (x) surjektiv ist für alle
x ∈ f −1 ({y}).
Bemerkung. Insbesondere ist also ein Wert, der nicht im Bild von f liegt,
automatisch regulär. Ist y regulär und f −1 ({y}) 6= ∅, dann gilt m ≤ n.
Der folgende Satz gibt uns eine bequeme Möglichkeit an die Hand, Untermannigfaltigkeiten zu definieren:
Satz 1.2 (Satz vom regulären Wert). Ist U ⊂ Rn offen und f : U → Rn−d
differenzierbar (der Klasse C k ) und y ∈ Rn−d ein regulärer Wert von f ,
dann ist M := f −1 (y) eine d-dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rn
(der Klasse C k ). Weiterhin gilt Tp M = ker Df (p) für p ∈ M .
Beweis. Sei p ∈ M , p = (p1 , . . . , pn ). Nach Voraussetzung ist die lineare
Abbildung Df (p) : Rn → Rn−d surjektiv. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit sind die letzen n − d Spalten von Df (p), d.h. die Vektoren
n ∂f
o
∂f
(p), . . . ,
(p) ,
∂xd+1
∂xn
linear unabhängig (sonst vertausche die Koordinaten). Der Satz über implizite Funktionen besagt nun, dass M lokal um p als Graph dargestellt
werden kann, d.h. es es existieren offene Umgebungen V von (p1 , . . . , pd )
in Rd und W von (pd+1 , . . . , pn ) in Rn−d und eine differenzierbare Funktion h : V → W ⊂ Rn−d so dass M ∩ V × W = graph h. Damit ist M als
d-dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rn nachgewiesen.
Sei v ∈Tp M . Für eine differenzierbare Kurve γ : (−ε, ε) → M mit γ(0) = p
d
und dt
γ(t) = v gilt (f ◦ γ)(t) = y für alle t ∈ (−ε, ε), also insbesondere
t=0
d
(Df (p))v = dt
(f ◦ γ)(t) = 0. Folglich gilt Tp M ⊂ ker Df (p). Da beide
t=0
Vektorräume d-dimensional sind, folgt die Gleichheit.
Beispiel. Die Einheitssphäre
S n−1 := {x ∈ Rn : kxk = 1}
ist eine (n − 1)-dimensionale Untermannigfaltigkeit von Rn mit Tangentialraum Tp S n−1 = {x ∈ Rn : hx, pi = 0} für p ∈ S n−1 .
2
1.2
Mengentheoretische Topologie
Definition 1.4. Sei X eine Menge. Ein System von Teilmengen O ⊂ P(X)
heißt Topologie auf X, falls gelten:
S
1. Ui ∈ O, i ∈ I beliebige Indexmenge =⇒ i∈I Ui ∈ O.
2. U, V ∈ O =⇒ U ∩ V ∈ O.
3. X, ∅ ∈ O.
Das Paar (X, O) heißt topologischer Raum, Mengen in X heißen offen. Eine
Menge A ⊂ X heißt abgeschlossen, falls ihr Komplement offen ist.
Beispiel. Ist (X, d) ein metrischer Raum, so wird durch
U ∈ O :⇐⇒ ∀x ∈ U ∃ ε > 0 : Bε (x) ⊂ U
eine Topologie auf X definiert.
Definition 1.5. Seien (X, OX ) und (Y, OY ) topologische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heißt stetig, falls gilt:
U ∈ OY =⇒ f −1 (U ) ∈ OX
(„Urbilder offener Mengen sind offen.“)
Eine stetige Abbildung f : X → Y heißt ein Homöomorphismus, wenn sie
bijektiv und f −1 ebenfalls stetig ist. X und Y heißen homöomorph, wenn ein
Homöomorphismus zwischen ihnen existiert.
Definition 1.6. Sei X ein topologischer Raum. Eine Teilmenge U heißt
Umgebung von x ∈ X, falls eine offene Teilmenge V existiert mit x ∈ V ⊂ U .
Der Umgebungsbegriff ermöglicht es, von Konvergenz von Folgen zu sprechen:
Definition 1.7. Sei X ein topologischer Raum und (xn )n∈N eine Folge in
X. Die Folge (xn ) heißt konvergent mit Grenzwert x ∈ X, falls für jede
Umgebung U von x eine Zahl N ∈ N existiert mit xn ∈ U für alle n ≥ N .
Definition 1.8. Ein topologischer Raum X heißt ein Hausdorff-Raum, falls
für jedes Punktepaar x 6= y ∈ X Umgebungen U ⊂ X von x und V ⊂ X
von y existieren mit U ∩ V = ∅.
Definition 1.9. Ein topologischer Raum (X, O) heißt kompakt, falls gilt:
[
X=
Ui , Ui ∈ O =⇒ ∃ i1 , . . . , ik : X = Ui1 ∪ . . . ∪ Uik
i∈I
(„Jede offene Überdeckung enthält eine endliche Teilüberdeckung.“)
3
Definition 1.10. Sei O eine Topologie auf X. Ein System von Teilmengen
B ⊂ O heißt Basis von O, falls sich jede Menge in O als Vereinigung von
Mengen aus B darstellen läßt.
Definition 1.11. Ein topologischer Raum erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom, falls seine Topologie eine abzählbare Basis besitzt.
Bemerkung. Rn erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom.
Teilmengen topologischer Räume werden selbst wieder zu topologischen Räumen vermöge folgender Definition:
Definition 1.12. Sei (X, OX ) ein topologischer Raum und A ⊂ X eine
Teilmenge. Die durch
U ∈ OA :⇐⇒ ∃ Ũ ∈ OX : U = Ũ ∩ A
definierte Topologie auf A heißt Relativtopologie.
Weitere wichtige Konstruktionen, die neue topologische Räume aus alten
hervorbringen, sind Quotienten und Produkte.
Definition 1.13. Sei (X, O) ein topologischer Raum und ∼ eine Äquivalenzrelation auf X. Es bezeichne X/ ∼ den mengentheoretischen Quotienten
und π : X → X/ ∼ die kanonische Projektion. Die durch
U ∈ OX/∼ :⇐⇒ π −1 (U ) ∈ OX
definierte Topologie auf X/ ∼ heißt Quotiententopologie.
Definition 1.14. Seien (X, OX ) und (Y, OY ) topologische Räume. Die Topologie auf X × Y , die das Mengensystem
{U × V : U ∈ OX , Y ∈ OY }
als Basis hat, heißt Produkttopologie.
Bemerkung. Ein System von Teilmengen B ⊂ P(X) ist Basis einer eindeutig
bestimmten Topologie O auf X, falls gilt:
U, V ⊂ B =⇒ U ∩ V ∈ B.
Dann ist O gegeben durch O = {∪i∈I Ui : Ui ∈ B}.
4
Kapitel 2
Differenzierbare
Mannigfaltigkeiten
2.1
Abstrakte Mannigfaltigkeiten
Definition 2.1. Ein topologischer Raum X heißt lokal Euklidisch (der Dimension n ∈ N ∪ {0}), falls für jeden Punkt x ∈ X eine offene Umgebung
U ⊂ X von x und ein Homöomorphismus ϕ : U → V auf eine offene Teilmenge V ⊂ Rn existieren. Eine solche Abbildung ϕ : U → V heißt Karte um
x.
Definition 2.2. Ein lokal Euklidischer Hausdorff-Raum (der Dimension n)
heißt topologische Mannigfaltigkeit (der Dimension n), falls er das zweite
Abzählbarkeitsaxiom erfüllt.
Bemerkung. Der Rn mit verdoppeltem Ursprung ist lokal Euklidisch, aber
kein Hausdorff-Raum.
Sind ϕ1 : U1 → V1 und ϕ2 : U2 → V2 Karten der topologischen Mannigfaltigkeit M , so heißen
ϕ2 ◦ ϕ−1
1 : ϕ1 (U1 ∩ U2 ) → ϕ2 (U1 ∩ U2 )
und
ϕ1 ◦ ϕ−1
2 : ϕ2 (U1 ∩ U2 ) → ϕ1 (U1 ∩ U2 )
die Kartenwechsel zwischen ϕ1 und ϕ2 . Definitionsgemäß sind die Kartenwechsel Homöomorphismen zwischen den offenen Teilmengen ϕ1 (U1 ∩ U2 ) ⊂
Rn und ϕ2 (U1 ∩ U2 ) ⊂ Rn .
Definition 2.3. Die Karten ϕ1 und ϕ2 heißen verträglich (der Klasse C k für
k ∈ N ∪ {∞}), falls die Kartenwechsel ϕ2 ◦ ϕ−1
1 : ϕ1 (U1 ∩ U2 ) → ϕ2 (U1 ∩ U2 )
−1
und ϕ1 ◦ ϕ2 : ϕ2 (U1 ∩ U2 ) → ϕ1 (U1 ∩ U2 ) differenzierbar (der Klasse C k )
sind.
5
Bemerkung. Sind ϕ1 und ϕ2 verträglich, dann sind die Kartenwechsel also
Diffeomorphismen zwischen den offenen Teilmengen ϕ1 (U1 ∩ U2 ) ⊂ Rn und
ϕ2 (U1 ∩ U2 ) ⊂ Rn .
Definition 2.4. Sei M eine topologische Mannigfaltigkeit. Eine Menge A
von Karten von M heißt differenzierbarer Atlas auf M (der Klasse C k ), falls
gelten:
1. Jeder Punkt p ∈ M liegt im Definitionsbereich einer Karte ϕ ∈ A.
2. Je zwei Karten ϕ1 , ϕ2 ∈ A sind verträglich (der Klasse C k ).
Definition 2.5. Zwei differenzierbare Atlanten A1 und A2 auf M heißen
äquivalent, falls A1 ∪ A2 wieder ein differenzierbarer Atlas auf M ist.
Dies definiert eine Äquivalenzrelation auf der Menge der differenzierbaren
Atlanten auf M . Jede Äquivalenzklasse enthält einen eindeutigen maximalen
Atlas, nämlich den, der durch Hinzunahme aller mit einem beliebigen Atlas
aus der Äquivalenklasse verträglichen Karten entsteht. (Dieser Atlas kann
offenbar nicht durch Hinzunahme weiterer Karten vergrößert werden, ist also
maximal bezüglich Inklusion.)
Definition 2.6. Eine differenzierbare Struktur (der Klasse C k ) auf der topologischen Mannigfaltigkeit M ist eine Äquivalenzklasse von differenzierbaren
Atlanten (der Klasse C k ).
Die Menge der differenzierbaren Strukturen steht also in Bijektion zu der
Menge der maximalen Atlanten und jeder differenzierbare Atlas definiert
eindeutig eine differenzierbare Struktur.
Definition 2.7. Eine differenzierbare Mannigfaltigkeit (der Klasse C k ) ist eine topologische Mannigfaltigkeit zusammen mit einer differenzierbaren Struktur (der Klasse C k ) .
Konvention. Im folgenden bedeute „differenzierbar“ stets „differenzierbar von
der Klasse C k “ für ein k ∈ N ∪ {∞}, das sich aus dem Kontext ergibt. In der
Regel wird dies k = ∞ sein.
Beispiele.
1. Jede offene Teilmenge U ⊂ Rn ist eine n-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit. Allgemeiner ist jede offene Teilmenge
U ⊂ M einer n-dimensionalen differenzierbaren Mannigfaltigkeit M
wieder eine n-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit.
2. Jede d-dimensionale Untermannigfaltigkeit M ⊂ Rn ist eine d-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit. Ist φ : U → V eine Untermannigfaltigkeitskarte um p ∈ M , so ist
ϕ := φ|U ∩M : U ∩ M → V ∩ Rd × {0}
eine Karte um p.
6
3. Wir betrachten folgende Äquivalenzrelation auf Rn+1 \ {0}:
v ∼ w :⇐⇒ ∃ λ ∈ R \ {0} : v = λw
Die Äquivalenzklassen sind gerade die ihres Ursprungs beraubten eindimensionalen Untervektorräume L ⊂ Rn+1 . Der Quotientenraum RPn
ist ein kompakter Hausdorff-Raum und heißt reell projektiver Raum.
Ist π : Rn+1 \ {0} → RPn die kanonische Projektion, so schreibt man
π(x) = [x0 : . . . : xn ], x = (x0 , . . . , xn ) (“’homogene Koordinaten“).
Betrachte die offenen Mengen
Ui := {[x0 : . . . : xn ] ∈ RPn : xi 6= 0}
und die Karten
ϕi : Ui → Rn ,
[x0 : . . . : xn ] 7→
xi−1 xi+1
xn
x0
,...,
,
,...,
xi
xi
xi
xi
.
Dies liefert einen differenzierbaren Atlas für RPn .
4. Sind M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten der Dimension n,
bzw. m, so ist das kartesische Produkt M × N (versehen mit der Produkttopologie) wieder eine differenzierbare Mannigfalitigkeiten der Dimension n + m. Sind ϕ : U → ϕ(U ) ⊂ Rn und ψ : V → ψ(V ) ⊂ Rm
Karten, so ist
ϕ × ψ : U × V −→ ϕ(U ) × ϕ(V ) ⊂ Rn+m
eine Karte für M × N . Das kartesische Produkt T n := S 1 × . . . × S 1
(n Faktoren) heißt n-dimensionaler Torus.
2.2
Differenzierbare Abbildungen
Definition 2.8. Sei M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine Funktion f : M → Rk heißt differenzierbar in p ∈ M , falls f ◦ ϕ−1 : V → Rk
differenzierbar in ϕ(p) ist für eine (und dann jede!) Karte ϕ : U → V ⊂ Rn
um p aus dem maximalen Atlas der differenzierbaren Struktur. Es heißt f
differenzierbar, wenn f differenzierbar in allen Punkten p ∈ M ist.
Um Differenzierbarkeit von Abbildungen zwischen differenzierbaren Mannigfaltigkeiten zu definieren, ist es sinnvoll, zunächst die Stetigkeit zu verlangen:
Definition 2.9. Seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten. Eine
stetige Abbildung F : M → N heißt differenzierbar in p ∈ M , falls für ein
(und dann jedes!) Paar von Karten ϕ : U → ϕ(U ) ⊂ Rn von M um p und
ψ : V → ϕ(V ) ⊂ Rm von N um F (p) mit F (U ) ⊂ V die zusammengesetzte
Abbildung ψ ◦ F ◦ ϕ−1 : ϕ(U ) → ψ(V ) differenzierbar in ϕ(p) ist. Es heißt
F differenzierbar, wenn F differenzierbar in allen Punkten p ∈ M ist.
7
Lemma 2.1. Seien M, N und P differenzierbare Mannigfaltigkeiten. Sind
die Abbildung F : M → N differenzierbar in p ∈ M und G : N → P
differenzierbar in F (p) ∈ N , dann ist die Komposition G ◦ F differenzierbar
in p ∈ M .
Beweis. Folgt direkt aus den Definitionen.
Definition 2.10. Eine differenzierbare Abbildung F : M → N heißt ein
Diffeomorphismus, wenn sie bijektiv ist und F −1 ebenfalls differenzierbar
ist. M und N heißen diffeomorph, falls ein Diffeomorphismus zwischen ihnen
existiert.
Bemerkung. Sind M und N diffeomorph, so haben M und N die gleiche
Dimension.
2.3
Der Tangentialraum
Sei M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und p ∈ M . Wir betrachten
differenzierbare Kurven γ : (−ε, ε) → M mit γ(0) = p. Zwei solche Kurven
γ1 : (−ε1 , ε1 ) → M und γ2 : (−ε2 , ε2 ) → M heißen äquivalent, falls für eine
(und dann jede!) Karte ϕ um p gilt
d
d
dt t=0 (ϕ ◦ γ1 )(t) = dt t=0 (ϕ ◦ γ2 )(t).
Wir bezeichnen mit [γ] die Äquivalenzklasse von γ.
Definition 2.11. Der Raum der Äquivalenzklassen
Tp M := {[γ] : γ : (−ε, ε) → M differenzierbar, γ(0) = p}
heißt Tangentialraum von M in p.
Lemma 2.2. Ist ϕ eine Karte um p, dann ist die Abbildung
d
Θϕ : Tp M → Rn , [γ] 7→ dt
(ϕ ◦ γ)(t)
t=0
wohldefiniert und bijektiv. Ist ψ eine weitere Karte um p, so ist Θϕ ◦ Θ−1
ψ
ein linearer Isomorphismus.
Beweis. Die Wohldefiniertheit und Injektivität von Θϕ folgt direkt aus den
Definitionen. Ist w ∈ Rn gegeben,
so setzen wir γ(t) := ϕ−1 (ϕ(p) + tw), t ∈
d
(−ε, ε). Dann gilt offenbar dt
(ϕ ◦ γ)(t) = w. Dies zeigt die Surjektivität
t=0
von Θϕ .
Die Abbildung Θϕ ◦ Θ−1
ψ ist gerade gegeben durch das Differential
D(ϕ ◦ ψ −1 )(ψ(p)) : Rn → Rn
des Kartenwechsels ϕ ◦ ψ −1 in ψ(p). Dies zeigt die letzte Behauptung.
8
Korollar 2.3. Es existiert eine eindeutige Vektorraumstruktur auf Tp M , so
dass Θϕ : Tp M → Rn ein linearer Isomorphismus ist für jede Karte ϕ um p.
Bemerkung.
1. Für eine offene Teilmenge U ⊂ Rn und p ∈ U erhalten wir
eine kanonische Identifikation Tp U = Rn , indem wir die Karte ϕ = idU
verwenden.
2. Ist M ⊂ Rn eine d-dimensionale Untermannigfaltigkeit und p ∈ M , so
wird durch [γ] 7→ γ 0 (0) der (abstrakte) Tangentialraum mit dem vorher
definierten (Untermannigfaltigkeits-)Tangentialraum identifiziert.
3. Ist {e1 , . . . , en } die Standardbasis von Rn und ϕ eine Karte um p, so
ist mit
−1
∂
∂xi (p) := Θϕ (ei )
also eine Basis {∂/∂x1 (p), . . . , ∂/∂xn (p)} von Tp M gegeben, die sogenannte Koordinatenbasis bezüglich ϕ.
Definition 2.12. Seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten und
F : M → N differenzierbar in p ∈ M , dann heißt die Abbildung
DF (p) : Tp M → TF (p) N,
[γ] 7→ [F ◦ γ]
das Differential von F in p.
Lemma 2.4. Das Differential DF (p) : Tp M → TF (p) N ist wohldefiniert und
linear.
Beweis. Für Karten ϕ : U → ϕ(U ) um p und ψ : V → ϕ(V ) um F (p) mit
F (U ) ⊂ V gilt
−1
d
d
dt t=0 (ψ ◦ F ◦ γ)(t) = D(ψ ◦ F ◦ ϕ )(ϕ(p)) dt t=0 (ϕ ◦ γ)(t)
d.h. die Äquivalenzklasse von F ◦ γ in F (p) hängt nur von der Äquivalenzklasse von γ in p ab. Das Differential ist dann gegeben durch
−1
DF (p) = Θ−1
ψ ◦ D(ψ ◦ F ◦ ϕ )(ϕ(p)) ◦ Θϕ ,
wobei Θϕ : Tp M → Rn und Θψ : TF (p) N → Rm aus Lemma 2.2 sind. Damit
ist es als linear nachgewiesen.
Bemerkung.
1. Für f : M → Rk differenzierbar und p ∈ M ist also
Df (p) = (df1 (p), . . . , dfk (p)) ∈ Hom(Tp M, Rk ) = Tp∗ M × . . . × Tp∗ M
für dfi (p) ∈ Tp∗ M . Es heißt Tp∗ M der Kotangentialraum von M in p.
Insbesondere gilt für k = 1: Df (p) = df (p) ∈ Tp∗ M .
2. A posteriori ist die Bijektion Θϕ aus Lemma 2.2 nichts anderes als
das Differential Dϕ(p) = (dx1 (p), . . . , dxn (p)) : Tp M → Rn der Karte
9
ϕ in p, wenn ϕ = (x1 , . . . , xn ). Ist v ∈ Tp M , so läßt sich v in die
Koordinatenbasis {∂/∂x1 (p), . . . , ∂/∂xn (p)} entwickeln als
v=
n
X
∂
(p).
vi ∂x
i
i=1
Die Differentiale dxi (p) ∈
Tp∗ M
erfüllen die Relation
dxi (p) ∂x∂ j (p) = δij
d.h. {dx1 (p), . . . , dxn (p)} ist die zur Koordinatenbasis von Tp M duale
Basis von Tp∗ M . Für die Koeffizienten von v erhält man vi = (dxi (p))v,
d.h. (v1 , . . . , vn ) = (Dϕ(p))v = Θϕ (v) ∈ Rn .
Ist ϕ̃ = (x̃1 , . . . , x̃n ) eine weitere Karte um p, so ergibt sich aus dem
kommutativen Diagramm
Tp M
Θϕ̃
Θϕ
Rn
|
D(ϕ̃◦ϕ−1 )(ϕ(p))
"
/ Rn
das Transformationsverhalten
 
 
ṽ1
v1
 .. 
 .. 
−1
 .  = D(ϕ̃ ◦ ϕ )(ϕ(p))  .  ,
ṽn
vn
d.h.
n
X
∂ x̃i
ṽi =
(ϕ(p))vj
∂xj
(2.1)
j=1
für i = 1, . . . , n, wobei (∂ x̃i /∂xj (ϕ(p)))ij ∈ Rn×n die Jacobi-Matrix
des Kartenwechsels ϕ̃ ◦ ϕ in ϕ(p) ist. Um zu bestimmen, wie die Koordinatenbasen auseinander hervorgehen, schreiben wir
−1
−1
∂
D(ϕ ◦ ϕ̃−1 )(ϕ̃(p))ei ,
∂ x̃i (p) = (D ϕ̃(p)) ei = (Dϕ(p))
so dass sich mit
D(ϕ ◦ ϕ̃−1 )(ϕ̃(p))ei =
n
X
∂xj
j=1
∂ x̃i
(ϕ̃(p))ej
das Transformationsverhalten
n
X
∂xj
∂
(2.2)
(ϕ̃(p)) ∂x∂ j (p)
∂ x̃i (p) =
∂ x̃i
j=1
ergibt.
10
Satz 2.5 (Kettenregel). Seien M, N und P differenzierbare Mannigfaltigkeiten. Ist die Abbildung F : M → N differenzierbar in p ∈ M und die
Abbildung G : N → P differenzierbar in F (p) ∈ N , dann gilt
D(G ◦ F )(p) = DG(F (p)) ◦ DF (p) : Tp M → TG(F (p)) P.
Beweis. Definitionsgemäß gilt
D(G ◦ F )(p) [γ] = [G ◦ F ◦ γ] = DG(F (p))[F ◦ γ]
= DG(F (p)) DF (p)[γ] ,
was die Behauptung zeigt.
Bemerkung. Für eine differenzierbare Kurve γ : I → M nennen wir
γ 0 (t) := (Dγ)(t)e1 ∈ Tγ(t) M
den Geschwindigkeitsvektor von γ zur Zeit t ∈ I. Insbesondere gilt mit dieser
Definition [γ] = γ 0 (0) ∈ Tp M für γ : (−ε, ε) → M mit γ(0) = p, denn für
eine Karte ϕ um p berechnet man
d
Dϕ(p) [γ] = dt
(ϕ ◦ γ)(t) = D(ϕ ◦ γ)(0) e1 = Dϕ(p) γ 0 (0)
t=0
mit Hilfe der Kettenregel.
2.4
Derivationen
Wir können einem Tangentialvektor v ∈ Tp M und einer differenzierbaren
Funktion f : M → R die Richtungsableitung von f in Richtung v zuordnen.
Genauer setzen wir
d
∂v f := dt
(f ◦ γ)(t) ∈ R
t=0
falls v durch die Kurve γ : (−ε, ε) → M mit γ(0) = p repräsentiert wird.
Dies ist wohldefiniert, da nach Definition des Differentials gilt ∂v f = df (p)v.
Ziel dieses Abschnitts ist zu zeigen, dass wir keine Information verlieren,
wenn wir von v ∈ Tp M zum Operator ∂v übergehen.
Sei jetzt M eine glatte Mannigfaltigkeit, d.h. eine differenzierbare Mannigfaltigkeit der Klasse C ∞ . Es bezeichne C ∞ (M ) den Vektorraum der glatten
Funktionen auf M . Der Operator ∂v : C ∞ (M ) → R hat folgende Eigenschaften:
1. R-linear: ∂v (λf + µg) = λ∂v f + µ∂v g für f, g ∈ C ∞ (M ), λ, µ ∈ R.
2. derivativ: ∂v (f g) = ∂v f · g(p) + f (p) · ∂v g für f, g ∈ C ∞ (M ).
3. lokal: f |U = 0 für eine Umgebung U von p =⇒ ∂v f = 0.
11
Wir betrachten lokal um p definierte glatte Funktionen, d.h. f : U → R
glatt für eine Umgebung U von p. Zwei solche Funktionen f1 : U1 → R und
f2 : U2 → R heißen äquivalent, falls eine Umgebung V ⊂ U1 ∩ U2 von p
existiert mit f1 |V = f2 |V .
Definition 2.13. Eine Äquivalenzklasse [f ] heißt Keim von f in p. Die RAlgebra der Keime glatter Funktionen in p werde mit Cp∞ (M ) bezeichnet.
Bemerkung. Die Existenz von Buckelfunktionen zeigt, dass jeder Keim in p
durch eine global definierte glatte Funktion f : M → R repräsentiert werden
kann.
Definition 2.14. Eine R-lineare Abbildung δ : Cp∞ (M ) → R heißt Derivation in p falls gilt
δ([f ] · [g]) = δ[f ] · g(p) + f (p) · δ[g]
für alle [f ], [g] ∈ Cp∞ (M ). Wir bezeichnen den R-Vektorraum der Derivationen in p ∈ M mit Der(Cp∞ (M )).
Bemerkung. Insbesondere liefert v ∈ Tp M ein Element ∂v ∈ Der(Cp∞ (M )).
Aus diesem Grund heißt Der(Cp∞ (M )) auch algebraischer Tangentialraum,
im Gegensatz zum geometrischen Tangentialraum Tp M . Wir schreiben im
folgenden auch δf := δ[f ] für eine lokal um p definierte glatte Funktion f .
Satz 2.6. Die Abbildung
∂ : Tp M → Der(Cp∞ (M )),
v 7→ ∂v
ist ein linearer Isomorphismus.
Beweis. Die Linearität folgt aus
∂λv+µw f = df (p)(λv + µw) = λdf (p)v + µdf (p)w = (λ∂v + µ∂w )f
für v, w ∈ Tp M , λ, µ ∈ R und f eine lokal um p definierte glatte Funktion.
Ist ϕ = (x1 , . . . , xn ) : U → V ⊂ Rn eine Karte um p, betrachte die Koor∂
dinatenbasis vi = ∂x
(p) von Tp M . Wir behaupten, dass die Bilder ∂vi eine
i
Basis des Vektorraums Der(Cp∞ (M )) bilden.
P
linear unabhängig: Sei ni=1 λi ∂vi = 0 für λi ∈ R. Dies bedeutet
n
X
i=1
λi df (p)vi =
n
X
λi ∂vi f = 0
i=1
für jede lokal um p definierte glatte Funktion f . Betrachte nun für j ∈
{1, . . . , n} fest die Funktion f = xj : U → R. Dann gilt dxj (p)vi = δij und
es folgt λj = 0.
12
erzeugend: Sei δ ∈ Der(Cp∞ (M )) beliebig. Wir behaupten, dass δ sich schreiben läßt als
n
X
δ=
δ(xi )∂vi .
i=1
Zunächst bemerken wir, dass δ wegen δ(λ) = δ(λ · 1) = λ · δ(1) und δ(1) =
δ(1 · 1) = δ(1) · 1 + 1 · δ(1) = 2δ(1) auf Keimen konstanter Funktionen
verschwindet. Sei nun f eine lokal um p definierte glatte Funktion. Mit Hilfe
des nachfolgenden Lemmas schreiben wir
f = f (p) +
n
X
(xi − xi (p))fi
i=1
für glatte Funktionen fi : U → R. (Nach eventueller Verkleinerung von U
dürfen wir V als konvex in Rn und f als definiert auf U annehmen.) Also
gilt
δf = δ(f (p)) +
n
n
X
X
(δ(xi − xi (p))fi (p) + 0 · δ(fi )) =
δ(xi )fi (p).
i=1
i=1
Auf dieselbe Weise berechnen
wir ∂vi f = fi (p), so dass wir insgesamt wie
P
gewünscht erhalten δf = ni=1 δ(xi )∂vi f .
Lemma 2.7. Sei V eine konvexe Umgebung von 0 ∈ Rn und g : V → Rn
eine glatte Funktion. Dann existieren glatte Funktionen gi : V → R so dass
g(x) = g(0) +
n
X
xi gi (x)
i=1
für alle x ∈ V . Insbesondere gilt ∂g/∂xi (0) = gi (0) für i = 1, . . . , n.
Beweis. Es gilt
Z
1
g(x) − g(0) =
0
für x ∈ V . Setze gi (x) :=
d
g(tx1 , . . . , txn ) dt =
dt
Z 1 X
n
0
∂g
xi ∂x
(tx)
i
dt
i=1
R1
∂g
0 ∂xi (tx1 , . . . , txn ) dt.
Bemerkung. Wir können also in der Tat den Tangentialvektor v ∈ Tp M mit
der Derivation ∂v identifizieren. Ab jetzt werden wird dies notationell nicht
mehr unterscheiden, d.h. wir schreiben v(f ) = ∂v f für v ∈ Tp M .
Eine differenzierbare Abbildung F : M → N induziert eine lineare Abbildung
F∗ : Der(Cp∞ (M )) → Der(CF∞(p) (N )),
13
(F∗ δ)([f ]) = δ([f ◦ F ]).
Diese Definition ist mit der vorherigen Definition des Differentials kompatibel
in dem Sinne, dass das Diagramm
DF (p)
Tp M
∼
=
Der(Cp∞ (M ))
F∗
/ TF (p) N
∼
=
/ Der(C ∞ (N ))
F (p)
kommutativ ist. Wir werden im folgenden DF (p) und F∗ synonym benutzen.
Ist ϕ eine Karte um p, betrachte die Koordinatenbasis
∂
∂x1 (p)
= (Dϕ(p))−1 (e1 ), . . . , ∂x∂n = (Dϕ(p))−1 (en )
von Tp M . Die Bezeichnungsweise wird klarer, wenn wir die zugehörigen Derivationen betrachten:
−1
∂
∂
(ϕ(p))
∂xi (p) f = ∂xi f ◦ ϕ
für eine lokal um p definierte glatte Funktion f .
2.5
Das Tangentialbündel
Definition 2.15. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit. Die disjunkte Vereinigung der Tangentialräume
G
T M :=
Tp M
p∈M
zusammen mit der Projektion
π : T M → M,
v 7→ π(v) = p falls v ∈ Tp M
heißt das Tangentialbündel von M .
Ziel ist es, eine Struktur auf T M als glatte Mannigfaltigkeit zu erkären, so
dass π : T M → M differenzierbar wird. Wir bemerken zunächst folgendes:
Ist ϕ : U → ϕ(U ) ⊂ Rn eine Karte von M , so ist
Dϕ : π −1 (U ) → ϕ(U ) × Rn ,
v 7→ (ϕ(π(v)), Dϕ(π(v))v)
bijektiv. Ist ψ : V → ψ(V ) eine weitere Karte, dann ist
Dψ ◦ (Dϕ)−1 : ϕ(U ∩ V ) × Rn −→ ψ(U ∩ V ) × Rn
(x, v) 7−→ (ψ ◦ ϕ−1 (x), D(ψ ◦ ϕ−1 )(x)v)
14
ein Diffeomorphismus, insbesondere also ein Homöomorphismus, zwischen
offenen Teilmengen von R2n . Die Abbildungen Dϕ sind also Kandidaten für
Karten einer differenzierbaren Struktur auf T M . Weiterhin ist
ϕ ◦ π ◦ (Dϕ)−1 = πϕ(U ) : ϕ(U ) × Rn → ϕ(U )
differenzierbar, wobei πϕ(U ) : ϕ(U ) × Rn → ϕ(U ) die Projektion auf die erste
Komponente bezeichne.
Lemma 2.8. Sei X eine Menge und (Ui )i∈I eine Überdeckung von X zusammen mit Bijektionen ϕi : Ui → Vi auf Teilmengen Vi ⊂ Rn mit der
Eigenschaft, dass die Mengen ϕj (Uj ∩ Ui ) offen in Rn und die Abbildungen
ϕi ◦ ϕ−1
: ϕj (Ui ∩ Uj ) → ϕi (Ui ∩ Uj ) stetig sind für alle i, j ∈ I. Dann
j
existiert eine eindeutige Topologie auf X, so dass die Mengen Ui offen und
die Bijektionen ϕi zu Homöomorphismen werden für alle i ∈ I.
Beweis. Ist O eine Topologie auf X mit den gewünschten Eigenschaften, so
gilt offenbar
(2.3)
U ∈ O ⇐⇒ ϕi (Ui ∩ U ) offen in Rn für alle i ∈ I.
Dies zeigt die Eindeutigkeit. Man überprüft nun leicht, dass durch (2.3)
tatsächlich eine Topologie O auf X definiert wird. Es bleibt zu zeigen, dass
O die gewünschten Eigenschaften hat. Die Mengen Ui sind offen bezüglich
O, denn nach Voraussetzung ist ϕj (Uj ∩ Ui ) offen in Rn für alle j ∈ I. Die
Abbildungen ϕi sind stetig, denn für V ⊂ Vi offen ist ϕj (Uj ∩ ϕ−1
i (V )) =
n für alle j ∈ I. Schließlich sind die
ϕj ◦ ϕ−1
(ϕ
(U
∩
U
)
∩
V
)
offen
in
R
i
i
j
i
Umkehrabbildungen ϕ−1
i stetig, denn für U ⊂ Ui offen ist ϕi (U ) = ϕi (Ui ∩U )
offen in Rn nach Definition von O. Dies zeigt die Existenz.
Bemerkung. Ist die Indexmenge I abzählbar, so erfüllt die in Lemma 2.8
definierte Topologie das zweite Abzählbarkeitsaxiom.
Da M das zweite Abzählbarkeitsaxion erfüllt, besitzt M einen abzählbaren
Atlas. Somit wird mit Hilfe von Lemma 2.8 (angewendet auf X = T M )
eine Topologie auf T M erklärt, die das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt.
Mit dieser Topologie ist T M ein Hausdorff-Raum, denn für v 6= w ∈ T M
betrachte man zwei Fälle:
1. π(v) 6= π(w) : Dann existieren auf Grund der Hausdorff-Eigenschaft
von M Karten ϕ : U → ϕ(U ) und ψ : V → ψ(V ) mit U ∩ V = ∅. Dann
trennen die offenen Mengen π −1 (U ) und π −1 (V ) die Punkte v und w.
2. π(v) = π(w) =: p : Dann sind für eine Karte ϕ : U → ϕ(U ) um p die
Vektoren Dϕ(p)v und Dϕ(p)v verschieden, werden also durch Bälle
Bε (v) und Bε (w) in Rn getrennt. Dann trennen die offenen Mengen
(Dϕ)−1 (ϕ(U ) × Bε (v)) und (Dϕ)−1 (ϕ(U ) × Bε (w)) die Punkte v und
w in T M .
15
Insgesamt haben wir bewiesen:
Satz 2.9. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit der Dimension n. Dann ist das
Tangentialbündel T M eine glatte Mannigfaltigkeit der Dimension 2n und die
Projektion π : T M → M ist eine glatte Abbildung.
Weiterhin gilt: Für eine Karte ϕ : U → ϕ(U ) ⊂ Rn von M erhalten wir eine
sogenannte lokale Trivialisierung φ von T M durch
φ : π −1 (U ) → U × Rn ,
v 7→ (π(v), Dϕ(π(v))v).
Die Abbildung φ : π −1 (U ) → U × Rn hat die folgenden Eigenschaften:
1. Das Diagramm
π −1 (U )
φ
/ U × Rn
π
πU
U
U
ist kommutativ, d.h. φ(π −1 ({x})) ⊂ {x}×Rk für alle x ∈ U . Man sagt,
φ ist fasertreu.
2. Die Abbildung φx := φ|π−1 ({x}) : π −1 ({x}) → {x} × Rk ist ein linearer
Isomorphismus. Man sagt, φ ist faserweise ein linearer Isomorphismus.
Allgemeiner definiert man:
Definition 2.16. Eine differenzierbare Mannigfaltigkeit E zusammen mit
einer differenzierbaren Abbildung π : E → M heißt Vektorbündel über M
vom Rang k, falls π −1 ({p}) für jeden Punkt p ∈ M mit der Struktur eines
k-dimensionalen Vektorraums versehen ist und um jeden Punkt p ∈ M eine
lokale Trivialisierung existiert, d.h. eine offene Umgebung U von p zusammen
mit einer differenzierbaren Abbildung φ : π −1 (U ) → U × Rk , die fasertreu
und faserweise ein linearer Isomorphismus ist.
Bemerkung. Das Tangentialbündel π : T M → M einer glatten Mannigfaltigkeit M ist also ein Vektorbündel vom Rang n = dim M . Eine glatte
Abbildung F : M → N induziert eine glatte Abbildung
DF : T M → T N,
v 7→ DF (π(v))v
mit der das Diagramm
TM
DF
π
M
F
kommutativ wird.
16
/ TN
π
/N
Definition 2.17. Eine differenzierbare Abbildung s : M → E heißt differenzierbarer Schnitt von E, falls gilt π ◦ s = idM , d.h. s(p) ∈ Ep = π −1 ({p}) für
alle p ∈ M . Den Vektorraum der differenzierbaren Schnitte von E bezeichnen
wir mit Γ(E).
Definition 2.18. Ein Vektorbündel π : E → M heißt trivial, falls es eine
(globale) Trivialisierung φ : E → M × Rk besitzt.
Beispiel. Das Tangentialbündel T S 1 ist trivial. Das Möbiusband
M = [0, 1] × R/ ∼ ,
(0, t) ∼ (1, −t)
ist ein nichttriviales Geradenbündel über S 1 . (Ein Vektorbündel vom Rang
1 heißt Geradenbündel.)
2.6
Vektorfelder und Flüsse
Definition 2.19. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit. Ein differenzierbarer
Schnitt des Tangentialbündels X ∈ Γ(T M ) heißt differenzierbares Vektorfeld
auf M .
Bemerkung. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf M . Wir betrachten
die Karte ϕ : U → ϕ(U ) ⊂ Rn von M und Dϕ : π −1 (U ) → ϕ(U ) × Rn die
zugehörige Karte von T M . Dann ist also
(Dϕ)−1 ◦ X ◦ ϕ : ϕ(U ) → ϕ(U ) × Rn ,
x 7→ (x, (ξ1 (x), . . . , ξn (x))
differenzierbar. Insbesondere sind die Koeffizientenfunktionen
ξi : ϕ(U ) → R,
i = 1, . . . , n
differenzierbar und das Vektorfeld besitzt die lokale Darstellung
X(p) =
n
X
∂
Xi (p) ∂x
(p),
i
p∈U
i=1
für differenzierbare Koeffizientenfunktionen Xi := ξi ◦ ϕ : U → R. Ist nun
ϕ̃ : U → ϕ̃(U ) eine weitere Karte mit gleichem Definitionsgebiet U , so gilt
X(p) =
n
X
X̃i (p) ∂∂x̃i (p),
p∈U
i=1
für differenzierbare Koeffizientenfunktionen X̃i : U → R, die sich gemäß
(2.4)
X̃i (p) =
n
X
∂ x̃i
(ϕ(p))Xj (p)
∂xj
j=1
aus den Xi ergeben, vergl. die Transformationsregel (2.1).
17
Lemma 2.10. Eine Abbildung X : M → T M mit X(p) ∈ Tp M für alle
p ∈ M ist genau dann ein differenzierbares Vektorfeld auf M , wenn für jede
Karte ϕ : U → ϕ(U ) die Koeffizientenfunktionen Xi : U → R differenzierbar
sind. Sind ϕ : U → ϕ(U ) und ϕ̃ : U → ϕ̃(U ) Karten mit gemeinsamen
Definitionsgebiet U , so sind die Xi genau dann differenzierbar, wenn die X̃i
differenzierbar sind.
Beweis. Dies folgt im wesentlichen aus obiger Diskussion. Man beachte, dass
nach Definiton der Topologie auf T M die Differenzierbarkeit der Koeffizientenfunktionen Xi die Stetigkeit von X auf U impliziert.
∂
∂
Bemerkung. Insbesondere sind die Koordinatenvektorfelder ∂x
: p 7→ ∂x
(p)
i
i
differenzierbare Vektorfelder auf U (mit der induzierten Struktur als glatte
Mannigfaltigkeit).
Wir können ein Vektorfeld X ∈ Γ(T M ) mit einer Funktion f ∈ C ∞ (M )
multiplizieren, indem wir setzen
(f X)(p) := f (p)X(p)
für p ∈ M . Dies definiert eine R-bilineare Abbildung
C ∞ (M ) × Γ(T M ) → Γ(T M )
und es gilt die Rechenregel
(2.5)
f (gX) = g(f X) = (gf )X
für f, g ∈ C ∞ (M ) und X ∈ Γ(T M ). Umgekehrt operieren die Vektorfelder
X ∈ Γ(T M ) auf Funktionen f ∈ C ∞ (M ) durch die Vorschrift
X(f )(p) := X(p)f = df (p)(X(p))
für p ∈ M . Dies definiert eine R-bilineare Abbildung
Γ(T M ) × C ∞ (M ) → C ∞ (M )
und es gilt die Rechenregel
(2.6)
X(f g) = X(f )g + f X(g)
für X ∈ Γ(T M ) und f, g ∈ C ∞ (M ).
Bemerkung. Für X ∈ Γ(T M ) ist
X : C ∞ (M ) → C ∞ (M ),
f 7→ X(f )
ein lokaler Operator, d.h. es gilt (X(f ))(p) = (X(g))(p) falls f und g auf
einer Umgebung von p übereinstimmen.
18
Schließlich setzen wir
[X, Y ](f ) := X(Y (f )) − Y (X(f )) ∈ C ∞ (M ).
Dies definiert eine R-trilineare Abbildung
Γ(T M ) × Γ(T M ) × C ∞ (M ) → C ∞ (M )
und es gelten die Rechenregeln
(2.7)
[f X, gY ](h) = f X(g)Y (h) − gY (f )X(h) + f g[X, Y ](h)
(2.8)
[X, Y ](f g) = g[X, Y ](f ) + f [X, Y ](g)
für X, Y ∈ Γ(T M ) und f, g, h ∈ C ∞ (M ).
Satz 2.11. Seien X, Y ∈ Γ(T M ) glatte Vektorfelder. Dann existiert genau
ein glattes Vektorfeld Z ∈ Γ(T M ) mit [X, Y ](f ) = Z(f ) für alle f ∈ C ∞ (M ).
Beweis. Falls ein Vektorfeld Z ∈ Γ(T M ) mit dieser Eigenschaft existiert, gilt
notwendigerweise (Z(p))(f ) = ([X, Y ](f ))(p). Dies zeigt die Eindeutigkeit.
Für die Existenz zeigen wir zunächst, dass für p ∈ M durch
δf := [X, Y ](f ) (p)
eine Derivation δ ∈ Der(Cp∞ (M )) definiert wird. Dies folgt aus
δ(f g) = [X, Y ](f g) (p) = [X, Y ](f )g + f [X, Y ](g) (p)
= δ(f )g(p) + f (p)δ(g)
für alle lokal um p definierten glatten Funktionen f und g. Die Lokalität folgt
aus der Lokalität von X und Y . Dann berechnen wir in lokalen Koordinaten
mit
X
X
∂
∂
und
Y
=
X=
Yi ∂x
Xi ∂x
i
i
i
i
dass
[X, Y ]f =
X
∂
∂
∂
∂
∂
∂
Xi ∂x
(Y
)
−
Y
(X
)
+
[
,
]
j
j
i
∂xj
∂xj
∂xi
∂xi ∂xj f
i
i,j
=
X
∂
Xj ∂x
(Yj ) − Yj ∂x∂ j (Xi )
i
∂
∂xi
f,
i,j
was die Glattheit von Z zeigt.
Definition 2.20. Wir setzen [X, Y ] := Z für das Vektorfeld Z aus obigem
Satz. Das Vektorfeld [X, Y ] heißt die Lie-Klammer oder der Kommutator
von X und Y .
19
Bemerkung. Im Beweis von Satz 2.11 haben wir gesehen: Es gilt
∂
[ ∂x
, ∂ ] = 0,
i ∂xj
i, j = 1, . . . , n
für die Koordinatenvektorfelder einer Karte ϕ = (x1 , . . . , xn ). Sind X, Y von
der Klasse C k+1 , so ist [X, Y ] von der Klasse C k .
Satz 2.12 (Eigenschaften der Lie-Klammer). Die Abbildung
[· , ·] : Γ(T M ) × Γ(T M ) → Γ(T M )
hat die folgenden Eigenschaften:
1. R-bilinear
2. schiefsymmetrisch: [X, Y ] = −[Y, X] für alle X, Y ∈ Γ(T M ).
3. Jacobi-Identität: Es gilt
[X, [Y, Z]] + [Y, [Z, X]] + [Z, [X, Y ]] = 0
für alle X, Y, Z ∈ Γ(T M ).
Beweis. Der Beweis erfolgt durch Nachrechnen.
Bemerkung. Ist F : M → N eine differenzierbare Abbildung, dann heißen die Vektorfelder X ∈ Γ(T M ) und Y ∈ Γ(T N ) F -verwandt, falls gilt
(DF (p))X(p) = Y (p) für alle p ∈ M . Sind X, Y ∈ Γ(T M ) F -verwandt mit
X̃, Ỹ ∈ Γ(T N ), dann sind [X, Y ] und [X̃, Ỹ ] ebenfalls F -verwandt.
Definition 2.21. Sei X ein Vektorfeld auf M . Eine differenzierbare Kurve
γ : I → M heißt Integralkurve von X, falls gilt
γ 0 (t) = X(γ(t))
für alle t ∈ I.
Ist ϕ = (x1 , . . . , xn ) : U → ϕ(U ) eine Karte mit γ(I) ⊂ U , so gilt
X
X
∂
∂
γ 0 (t) =
(γ(t))
=
(γ(t))
dxi (γ(t))γ 0 (t) ∂x
γi0 (t) ∂x
i
i
i
i
mit γi (t) := (xi ◦ γ)(t) und
X(γ(t)) =
X
∂
Xi (γ(t)) ∂x
(γ(t)),
i
i
d.h. die Gleichung γ 0 (t) = X(γ(t)) übersetzt sich in das System gewöhnlicher
Differentialgleichungen
 0  

γ1 (t)
X1 (γ(t))
 ..  

..
(2.9)
 . =
 , t ∈ I.
.
γn0 (t)
Xn (γ(t))
20
Lemma 2.13. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf M . Für jeden
Punkt p ∈ M existiert ε > 0 und eine Integralkurve γ : (−ε, ε) → M von
X mit γ(0) = p. Die Integralkurve durch p ist in folgendem Sinne lokal eindeutig: Sind γi : (−εi , εi ) → M zwei Integralkurven mit γi (0) = p, so gilt
γ1 |(−ε,ε) = γ2 |(−ε,ε) für ε = min{ε1 , ε2 }.
Beweis. Die Kurzzeitexistenz von γ folgt daraus, dass das System (2.9) für
den (jeden!) Anfangswert (γ1 (0), . . . , γn (0)) = (x1 (p), . . . , xn (p)) eine eindeutige Kurzzeitlösung (γ1 , . . . , γn ) : (−ε, ε) → ϕ(U ) ⊂ Rn besitzt. Zur
Eindeutigkeit betrachten wir die Teilmenge
I = {t ∈ (−ε, ε) : γ1 (t) = γ2 (t)}
von (−ε, ε). Es gilt offenbar 0 ∈ I und I ⊂ (−ε, ε) ist abgeschlossen. Wegen
Eindeutigkeit der Kurzzeitlösung ist I offen. Also gilt I = (−ε, ε).
Bemerkung. Ist X von der Klasse C k , so ist jede Integralkurve γ von der
Klasse C k+1 .
Definition 2.22. Sei X ein Vektorfeld auf M . Eine differenzierbare Abbildung
Φ : U × (−ε, ε) → M, (p, t) 7→ Φ(p, t) =: Φt (p)
für ε > 0 und U ⊂ M offen heißt lokaler Fluss von X, falls gilt
Φ0 (p) = p und
d
dt Φt (p)
= X(Φt (p))
für alle p ∈ U , t ∈ (−ε, ε).
Satz 2.14. Sei X ein differenzierbares Vektorfeld auf M . Dann existiert für
jeden Punkt p ∈ M ein lokaler Fluss Φ : U × (−ε, ε) → M mit p ∈ U .
Beweis. Dies folgt aus der differenzierbaren Abhängigkeit der Lösung des
Systems (2.9) vom Anfangswert (γ1 (0), . . . , γn (0)).
Bemerkung. Der lokale Fluss ist lokal eindeutig. Ist X von der Klasse C k , so
ist jeder lokale Fluss Φ von der Klasse C k .
Definition 2.23. Das Vektorfeld X ∈ Γ(T M ) heißt vollständig, falls es einen
(globalen) Fluss Φ : M × R → M besitzt.
Bemerkung. Der Fluss eines vollständigen Vektorfeldes ist eindeutig. Es gilt
die Flussgleichung
Φt ◦ Φs = Φt+s
für alle s, t ∈ R. Insbesondere sind alle Φt Diffeomorphismen mit Φ−1
t = Φ−t .
Satz 2.15. Ist X ein differenzierbares Vektorfeld auf der kompakten Mannigfaltigkeit M , dann ist X vollständig.
21
Beweis. Jeder Punkt besitzt eine Umgebung Up , auf der der lokale Fluss auf
dem Intervall (−εp , εp ) existiert. Da M kompakt ist, existiert eine endliche
Teilüberdeckung Up1 , . . . , Upk . Setze ε := min{εp1 , . . . , εpk }, dann existiert
der Fluss zunächst auf M × (−ε, ε), und schließlich auf M × R.
Definition 2.24. Seien X und Y differenzierbare Vektorfelder auf M und
Φ : U × (−ε, ε) → M der lokale Fluss von X um p ∈ M . Die Lie-Ableitung
von Y nach X in p ist definiert als
−1
d
(LX Y )(p) := dt
(DΦt )(p) (Y (Φt (p)).
t=0
Bemerkung. Ist X ein differenzierbares Vektorfeld auf M und f : M → R
differenzierbar, so setzen wir
d
f (Φt (p))
(LX f )(p) := dt
t=0
für p ∈ M . Offenbar gilt dann LX f = X(f ).
Satz 2.16. Seien X und Y glatte Vektorfelder auf M . Dann gilt
LX Y = [X, Y ].
Beweis. Sei Φt der lokale Fluss von X und Ψt der lokale Fluss von Y .
Definitionsgemäß gilt
(LX Y )(p) f =
=
=
d
dt t=0
d
dt t=0
∂2H
∂t∂u
−1
(DΦt )(p) (Y (Φt (p))f
Y (Φt (p)) (f ◦ Φ−t )
(0, 0)
für die Hilfsfunktion
H(t, u) = f (Φ−t ◦ Ψu ◦ Φt (p)),
denn es gilt gerade
∂H
(t, 0) = Y (Φt (p)) (f ◦ Φ−t ).
∂u
Andererseits gilt
∂2H
∂2H
(0, 0) =
(0, 0)
∂t∂u
∂u∂t ∂ = ∂
∂ f
◦
Φ
◦
Ψ
(p)
+
f
◦
Ψ
◦
Φ
(p)
−t
u
u
t
∂u u=0 ∂t t=0
∂t t=0
∂ ∂ = − ∂u
X(f )(Ψu (p)) + ∂u
X(p)(f ◦ Ψu )
u=0
u=0
∂ X(f )(Ψu (p))
= X(p)(Y (f )) − ∂u
u=0
= X(p)(Y (f )) − Y (p)(X(f )) = [X, Y ](p) (f ),
was zu zeigen war.
22
Kapitel 3
Riemannsche
Mannigfaltigkeiten
3.1
Riemannsche Metriken
Sei V ein endlichdimensionaler R-Vektorraum und
g :V ×V →R
ein Skalarprodukt auf V . Ist {e1 , . . . , en } eine Basis von V , so besitzen die
Vektoren v, w ∈ V Darstellungen
X
X
v=
vi ei und w =
wi e i
i
i
und es gilt
g(v, w) =
X
gij vi wj
i,j
für gij = g(ei , ej ). Die symmetrische Matrix (gij )ij ∈ Rn×n heißt darstellende
Matrix und die Einträge gij ∈ R heißen Koeffizienten der symmetrischen
Bilinearform g bezüglich der Basis ei .
Ein euklidischer Vektorraum ist ein Paar (V, g) bestehend aus einem RVektorraum V und einem Skalarprodukt g auf V . Sind (V, g) und (W, h)
euklidische Vektorräume, dann heißt eine lineare Abbildung F : V → W
eine lineare Isometrie, falls gilt
h(F v, F w) = g(v, w)
für alle v, w ∈ V . Eine lineare Isometrie zwischen euklidischen Vektorräumen
ist insbesondere injektiv.
Definition 3.1. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit. Eine Zuordnung g, die
jedem Punkt p ∈ M ein Skalarprodukt
g(p) : Tp M × Tp M → R
23
zuordnet, heißt Riemannsche Metrik, falls für jede Karte ϕ : U → ϕ(U ) von
M die Koeffizientenfunktionen
∂
gij := g( ∂x
, ∂ ):U →R
i ∂xj
glatt, d.h. differenzierbar von der Klasse C ∞ sind.
Wir schreiben
g(p) =
X
gij (p) dxi (p) ⊗ dxj (p)
i,j
für p ∈ U , bzw.
g|U =
X
gij dxi ⊗ dxj
i,j
für gij : U → R.
Lemma 3.1. Sind ϕ : U → ϕ̃(U ) und ϕ̃ : U → ϕ̃(U ) Karten mit gleichem
Definitionsgebiet U , dann sind die g̃ij : U → R genau dann differenzierbar,
wenn die gij : U → R differenzierbar sind.
Beweis. Die Transformationsregel (2.2) liefert
∂
∂ x̃i (p)
=
X ∂xj
∂ x̃i
j
(ϕ̃(p)) ∂x∂ j
für p ∈ U , so dass gilt
∂
g̃ij (p) = g̃( ∂x
(p), ∂x∂ j (p))
i
X ∂xk
∂xl
∂
=
(ϕ̃(p))
(ϕ̃(p))g( ∂x∂ k (p), ∂x
(p))
l
∂ x̃i
∂ x̃j
k,l
=
X ∂xk
k,l
∂ x̃i
(ϕ̃(p))
∂xl
(ϕ̃(p))gkl (p).
∂ x̃j
Das zeigt die Behauptung.
Beispiel. Sei M ⊂ Rn eine glatte Untermannigfaltigkeit und h· , ·i das Standardskalarprodukt auf Rn . Dann ist die erste Fundamentalform
g(p)(v, w) := hv, wi,
p ∈ M, v, w ∈ Tp M
eine Riemannsche Metrik auf M .
Sind X, Y ∈ Γ(T M ) glatte Vektorfelder und g eine Riemannsche Metrik auf
M , dann ist durch
g(X, Y )(p) := g(p)(X(p), Y (p))
24
für p ∈ M eine R-bilineare Paarung
g : Γ(T M ) × Γ(T M ) → C ∞ (M )
definiert und es gilt die Rechenregel
g(f X, Y ) = f g(X, Y ) = g(X, f Y )
(3.1)
für X, Y ∈ Γ(T M ) und f ∈ C ∞ (M ).
Definition 3.2. Eine Riemannsche Mannigfaltigkeit ist ein Paar (M, g) bestehend aus einer glatten Mannigfaltigkeit M und einer Riemannschen Metrik g auf M .
Eine Riemannsche Metrik ermöglicht es, Längen und Winkel zu messen.
Definition 3.3. Sie (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit, [a, b] ein
kompaktes Intervall und γ : [a, b] → M eine C 1 –Kurve. Dann heißt
Z bp
L(γ) :=
g(γ 0 (t), γ 0 (t)) dt
a
die Länge von γ.
Bemerkung. Die Kurvenlänge ist invariant unter Parametertransformationen
der Klasse C 1 .
Definition 3.4. Eine differenzierbare Abbildung F : M → N heißt lokaler
Diffeomorphismus, falls das Differential DF (p) : Tp M → TF (p) N invertierbar
ist für alle p ∈ M .
Bemerkung. Der lokale Umkehrsatz impliziert: Ist F : M → N ein lokaler
Diffeomorphismus, so existieren für jeden Punkt p ∈ M offene Umgebungen
U von p und V von F (p) so dass F |U : U → V ein Diffeomorphismus ist.
Definition 3.5. Seien (M, g) und (N, h) Riemannsche Mannigfaltigkeiten.
Ein lokaler Diffeomorphismus F : M → N heißt lokale Isometrie falls
DF (p) : Tp M → TF (p) N eine lineare Isometrie ist für alle p ∈ M . Eine
lokale Isometrie, die ein (globaler) Diffeomorphismus ist, heißt Isometrie.
Bemerkung. Die Kurvenlänge ist invariant unter lokalen Diffeomorphismen,
d.h. ist γ : [a, b] → M eine C 1 -Kurve und F : (M, g) → (N, h) eine lokale
Isometrie, so gilt L(F ◦ γ) = L(γ).
Definition 3.6. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeiten. Die Gruppe der Isometrien F : M → N heißt Isometriegruppe von (M, g) und werde
mit Isom(M, g) bezeichnet.
Definition 3.7. Sei h eine Riemannsche Metrik auf N und F : M → N ein
lokaler Diffeomorphismus. Dann heißt die durch
(F ∗ h)(v, w) := h(DF (p)v, DF (p)w),
v, w ∈ Tp M
definierte Metrik der Rückzug (engl. „Pull-back“) von h.
25
Exkurs: Existenz Riemannscher Metriken
Lemma 3.2 (Hutfunktion). Seien R > r > 0. Dann existiert eine glatte
Funktion f : Rn → R mit den Eigenschaften:
1. f (x) = 1 für x ∈ Br (0),
2. 0 < f (x) < 1 für x ∈ BR (0) \ Br (0),
3. f (x) = 0 für x ∈ Rn \ BR (0).
Beweis. Zur Übung!
Sei X ein topologischer Raum. Eine (nicht notwendigerweise offene) Überdeckung (Ui )i∈I von X heißt lokal endlich, falls jeder Punkt p ∈ X eine
Umgebung besitzt, die nur endlich viele der Mengen Ui trifft. Ein Überdeckung (Vj )j∈J heißt Verfeinerung der Überdeckung Ui , falls jede Menge Vj
in einer Menge Ui für ein i = i(j) enthalten ist.
Definition 3.8. Ein topologischer Raum X heißt parakompakt, falls jede
offene Überdeckung (Ui )i∈I von X eine lokal endliche offene Verfeinerung
(Vj )j∈J besitzt.
Wir zitieren den folgenden Satz aus der Topologie, der wesentlich das zweite
Abzählbarkeitsaxiom benutzt:
Satz 3.3. Eine topologische Mannigfaltigkeit ist parakompakt.
Definition 3.9. Sei (Ui )i∈I eine offene Überdeckung der differenzierbaren
Mannigfaltigkeit M . Eine der Überdeckung Ui untergeordnete Teilung der
Eins ist eine Familie differenzierbarer Funktionen (χj : M → R≥0 )j∈J mit
den Eigenschaften:
1. Die Träger (supp χj )j∈J bilden eine lokal endliche Verfeinerung der
Überdeckung Ui von M .
P
2.
j∈J χj (p) = 1 für alle p ∈ M .
Bemerkung. Wegen 1. ist die Summe in 2. (lokal) endlich für alle p ∈ M .
Im wesentlichen aus der Parakompaktheit folgt:
Satz 3.4. Sei (Ui )i∈I eine offene Überdeckung der differenzierbaren Mannigfaltigkeit M . Dann existiert eine der Überdeckung Ui untergeordnete Teilung
der Eins.
Eine erste Anwendung ist der folgende Satz:
Satz 3.5. Sei M eine glatte Mannigfaltigkeit. Dann existiert eine Riemannsche Metrik auf M .
26
Beweis. Betrachte eine Überdeckung (Ui )i∈I von M durch Definitionsgebiete
von Karten ϕi : Ui → ϕ(Ui ) ⊂ Rn und eine untergeordnete Teilung der Eins
(χj )j∈J . Insbesondere existiert eine Funktion i(j) so dass supp χj ⊂ Ui(j) für
alle j ∈ J. Sei
X
geukl =
δij dxi ⊗ dxj
i,j
die euklidische Metrik auf
Rn .
Dann ist
X
g=
χj ϕ∗i(j) geukl
j∈J
eine Riemannsche Metrik auf M .
3.2
Der Levi-Civita Zusammenhang
Wenn wir Vektorfelder differenzieren wollen, müssen wir benachbarte Tangentialräume identifizieren, um den Differentialquotienten hinschreiben zu
können. Eine Möglichkeit haben wir bereits diskutiert: Wir können dem Fluss
eines Vektorfeldes folgen. Dies führte zum Konzept der Lie-Ableitung. Eine
andere ist der sogenannte Paralleltransport, der zum Konzept der kovarianten Ableitung führt.
Definition 3.10. Eine R-bilineare Abbildung
∇ : Γ(T M ) × Γ(T M ) → Γ(T M ),
(X, Y ) 7→ ∇X Y
heißt Zusammenhang auf T M oder kovariante Ableitung auf Γ(T M ), falls
gilt
1. ∇f X Y = f ∇X Y , und
2. ∇X (f Y ) = X(f )Y + f ∇X Y
für alle f ∈ C ∞ (M ), X, Y ∈ Γ(T M ).
Bemerkung. Man sagt, ∇ ist tensoriell im ersten und derivativ im zweiten
Argument. Im Gegensatz dazu gilt für die Lie-Ableitung
Lf X Y = f LX Y − (LY f )X
und LX (f Y ) = f LX Y + (LX f )Y,
d.h. die Lie-Ableitung ist in keiner der beiden Argumente tensoriell.
Um eine lokalen Ausdruck herleiten zu können, benötigen wir zunächst die
Lokalität der kovarianten Ableitung:
Lemma 3.6. Eine kovariante Ableitung ∇ : Γ(T M ) × Γ(T M ) → Γ(T M ) ist
ein lokaler Operator, d.h. (∇X Y )(p) = 0 falls X oder Y auf einer Umgebung
von p verschwindet.
27
Beweis. Gilt X|U = 0 für eine Umgebung U von p, so betrachte eine Hutfunktion χ : M → R≥0 mit supp χ ⊂ U und ϕ(p) = 1 . Dann gilt
(∇X Y )(p) = (∇(1−χ)X Y )(p) = (1 − χ(p))(∇X Y )(p) = 0
wie behauptet. Ist umgekehrt Y |U = 0, so gilt
(∇X Y )(p) = (∇X (1 − χ)Y )(p)
= (1 − χ(p))(∇X Y )(p) + (X(1 − χ))(p)Y (p) = 0,
was zu zeigen war.
Sei ϕ : U → ϕ(U ) ⊂ Rn eine Karte und seien
X
X
∂
∂
X|U =
Xi ∂x
und Y |U =
Yi ∂x
i
i
i
i
die lokalen Darstellungen der Vektorfelder X, Y ∈ Γ(T M ), dann gilt
X X
∇X Y |U =
Xi ∇∂/∂xi
Yj ∂x∂ j
i
=
X
=
X
j
Xi
∂
∂
∂xi (Yj ) ∂xj
+ Yj ∇∂/∂xi ∂x∂ j
Xi
∂
∂
∂xi (Yj ) ∂xj
+ Yj
X
i,j
i,j
Γkij ∂x∂ k
k
für eindeutige bestimmte Koeffizientenfunktionen Γkij : U → R, die sogenannten Christoffel-Symbole des Zusammenhangs ∇ bzgl. der Karte ϕ. Es
gilt offenbar
(3.2)
Γkij = dxk ∇∂/∂xi ∂x∂ j
für alle i, j, k.
Diese lokale Darstellung zeigt folgende Verschärfung (einer Teilaussage) von
Lemma 3.6: Der Wert (∇X Y )(p) ∈ Tp M hängt nur von X(p) ∈ Tp M ab,
d.h. wir erhalten eine R-bilineare Abbildung
Tp M × Γ(T M ) → Tp M,
(v, Y ) 7→ ∇v Y
für alle p ∈ M , indem wir ∇v Y := (∇X Y )(p) für ein beliebiges Vektorfeld
X ∈ Γ(T M ) mit X(p) = v setzen.
Definition 3.11. Ein Zusammenhang ∇ auf T M heißt torsionsfrei, falls gilt
T (X, Y ) = 0 für alle X, Y ∈ Γ(T M ), wobei der Torsionstensor
T : Γ(T M ) × Γ(T M ) → Γ(T M )
definiert sei durch T (X, Y ) = ∇X Y − ∇Y X − [X, Y ].
28
Bemerkung. Die Rechenregeln für ∇ und [· , ·] besagen, dass T tensoriell in
beiden Argumenten ist.
∂
Ist ∇ torsionsfrei, so gilt ∇∂/∂xi ∂x∂ j = ∇∂/∂xj ∂x
und daher
i
Γkij = Γkji
(3.3)
für alle i, j, k, da [∂/∂xi , ∂/∂xj ] = 0.
Definition 3.12. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit. Dann heißt
ein Zusammenhang ∇ auf T M metrisch, falls gilt
Xg(Y, Z) = g(∇X Y, Z) + g(Y, ∇X Z)
für alle X, Y, Z ∈ Γ(T M ).
Satz 3.7. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit. Dann existiert genau ein metrischer und torsionsfreier Zusammenhang ∇ auf T M .
Beweis. Ist ∇ ein metrischer Zusammenhang auf T M , so gilt
Xg(Y, Z) = g(∇X Y, Z) + g(Y, ∇X Z),
−Zg(X, Y ) = −g(∇Z X, Y ) − g(X, ∇Z Y ),
Y g(Z, X) = g(∇Y Z, X) + g(Z, ∇Y X)
für alle X, Y, Z ∈ Γ(T M ), also
Xg(Y, Z) − Zg(X, Y ) + Y g(Z, X)
= g(∇X Y, Z) + g(Y, ∇X Z) − g(∇Z X, Y )
− g(X, ∇Z Y ) + g(∇Y Z, X) + g(Z, ∇Y X).
Ist ∇ außerdem torsionsfrei, so folgt
(3.4) g(∇X Y, Z) =
1
2
Xg(Y, Z) − Zg(X, Y ) + Y g(Z, X)
+ g([X, Y ], Z) + g([Z, X], Y ) − g([Y, Z], X)
für alle X, Y, Z ∈ Γ(T M ). Da g nicht-ausgeartet ist, legt dies ∇X Y eindeutig
fest. Es bleibt zu zeigen, dass die durch (3.4) definierte R-bilineare Abbildung
(X, Y ) 7→ ∇X Y ein Zusammenhang mit den geforderten Eigenschaften ist.
Mit Hilfe der Rechenregeln für die Lie-Klammer rechnet man leicht nach,
dass ∇X Y tensoriell in X und derivativ in Y und damit also ein Zusammenhang auf T M ist. ∇ ist metrisch, da (3.4) impliziert, dass
g(∇X Y, Z) + g(Y, ∇X Z) = Xg(Y, Z),
denn alle anderen Terme heben sich weg. Genauso erhält man
g(∇X Y, Z) − g(∇Y X, Z) = g([X, Y ], Z),
also die Torsionsfreiheit von ∇.
29
Definition 3.13. Sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit. Der nach
obigem Lemma eindeutige metrische und torsionsfreie Zusammenhang ∇ =
∇g auf T M heißt Levi-Civita-Zusammenhang der Metrik g.
Bemerkung.
1. Die Formel (3.4) heißt auch die Koszul-Formel für den
Levi-Civita-Zusammenhang.
2. Sind (M, g) und (N, h) Riemannsche Mannigfaltigkeiten und ist ferner F : M → N eine lokale Isometrie, dann sind die Levi-CivitaZusammenhänge ∇g und ∇h auf T M und T N in folgendem Sinne
verträglich: Sind X, Y ∈ Γ(T M ) F -verwandt mit X̃, Ỹ ∈ Γ(T N ), so
sind ∇gX Y und ∇hX̃ Ỹ ebenfalls F -verwandt.
Die Christoffel-Symbole bezüglich einer lokalen Karte ϕ berechnen sich aus
1 ∂
g ∇∂/∂xi ∂x∂ j , ∂x∂ k =
(gjk ) −
2 ∂xi
X
=
glk Γlij
∂
∂xk (gij )
+
∂
∂xj (gik )
l
zu
(3.5)
Γkij =
1 X lk ∂
g ∂xi (gjl ) −
2
∂
∂xl (gij )
+
∂
∂xj (gil )
l
wobei (g ij )ij ∈ Rn×n die zu (gij )ij ∈ Rn×n inverse Matrix bezeichne. Beide
Matrizen sind symmetrisch und positiv definit, also insbesondere invertierbar.
3.3
Paralleltransport
Wir wollen nun einsehen, wie ein Zusammenhang auf T M einen Begriff von
Paralleltransport von Vektoren entlang Kurven induziert. Dazu benötigen
wir zunächst das Konzept des Vektorfeldes entlang einer Abbildung.
Definition 3.14. Sei F : M → N eine differenzierbare Abbildung zwischen
den differenzierbaren Mannigfaltigkeiten M und N . Eine differenzierbare
Abbildung X : M → T N heißt differenzierbares Vektorfeld entlang F , falls
gilt X(p) ∈ TF (p) N für alle p ∈ M .
Bemerkung. Der Vektorraum der glatten Vektorfelder entlang F wird üblicherweise mit Γ(F ∗ T N ) bezeichnet. Die Bezeichnung rührt daher, dass es
tatsächlich ein Vektorbündel F ∗ T N über M gibt (den sogenannten Rückzug von T N entlang F ) mit der Eigenschaft, dass Schnitte in F ∗ T N gerade
Vektorfeldern entlang F entsprechen.
30
Ebenso wie gewöhnliche Vektorfelder können auch Vektorfelder entlang F
mit Funktionen auf M multipliziert werden, d.h. durch
(f X)(p) := f (p)X(p) ∈ TF (p) N
wird eine R-bilineare Abbildung
C ∞ (M ) × Γ(F ∗ T N ) → Γ(F ∗ T N )
definiert.
Beispiel. Ist Ỹ ein Vektorfeld auf N , so wird durch (F ∗ Ỹ )(p) := Ỹ (F (p))
ein Vektorfeld entlang F definiert. Ist umgekehrt X ein Vektorfeld auf M ,
so wird durch (F∗ X)(p) := (DF (p))X(p) ebenfalls ein Vektorfeld entlang F
definiert. Ist ∇ ein Zusammenhang auf T N , X ein Vektorfeld auf M und Ỹ
ein Vektorfeld auf N , so ist durch
(∇F∗ X Ỹ )(p) := ∇(F∗ X)(p) Ỹ ∈ TF (p) N
ein Vektorfeld entlang F definiert.
Definition 3.15. Eine R-bilineare Abbildung
∇ : Γ(T M ) × Γ(F ∗ T N ) → Γ(F ∗ T N )
heißt kovariante Ableitung auf Γ(F ∗ T M ), falls gilt
1. ∇f X Y = f ∇X Y , und
2. ∇X (f Y ) = X(f )Y + f ∇X Y
für alle f ∈ C ∞ (M ), X, Y ∈ Γ(F ∗ T N ).
Lemma 3.8. Sei ∇T N ein Zusammenhang auf T N und F : M → N glatt.
Dann existiert genau eine kovariante Ableitung
∇F
∗T N
: Γ(T M ) × Γ(F ∗ T N ) → Γ(F ∗ T N )
mit der Eigenschaft, dass gilt
∗T N
∇FX
F ∗ Ỹ = ∇TF∗NX Ỹ
für alle X ∈ Γ(T M ) und Y ∈ Γ(T N ).
Beweis. Lokal ist jedes Vektorfeld Y entlang F eine Linearkombination mit
C ∞ (M )-Koeffizienten von Vektorfeldern des Typs F ∗ Ỹ für Ỹ ∈ Γ(T N ).
Genauer: Ist ψ = (y1 , . . . , ym ) : V → ψ(V ) ⊂ Rm eine Karte von N und
U ⊂ M offen mit F (U ) ⊂ V , dann gilt
X
X
Yi F ∗ ∂y∂ i .
Y |U =
Yi ∂y∂ i ◦ F =
i
i
31
Also gilt notwendigerweise
∗T N
∇FX
Y |U =
X
=
X
=
X
∗T N
Yi F ∗ ∂y∂ i
∇FX
i
∗T N
X(Yi ) F ∗ ∂y∂ i + Yi ∇FX
F ∗ ∂y∂ i
i
X(Yi ) F ∗ ∂y∂ i + Yi ∇TF∗NX ∂y∂ i
i
und man rechnet nach, dass durch diese Vorschrift eine kovariante Ableitung
auf Γ(F ∗ T N ) definiert wird.
Bemerkung. Ist T der Torsionstensor von ∇T N , so gilt für X, Y ∈ Γ(T M )
T (F∗ X, F∗ Y ) = ∇FY
∗T N
∗T N
F∗ X − ∇FX
F∗ Y − F∗ [X, Y ]
als Gleichheit von Vektorfeldern entlang F .
Im Folgenden werden wir ∇T N und ∇F
∗T N
gleichermaßen mit ∇ bezeichnen.
Wir spezialisieren nun auf den Fall einer differenzierbaren Kurve γ : I → M
für ein offenes Intervall I = (a, b). Es bezeichne ∂/∂t das Koordinatenvektorfeld auf I bzgl. der Standardkarte ϕ = idI : I → I ⊂ R.
Definition 3.16. Sei ∇ ein Zusammenhang auf T M und X ein Vektorfeld
entlang der Kurve γ : I → M . Dann heißt X parallel bzgl. ∇, falls gilt
∇∂/∂t X = 0.
Bemerkung. Das Geschwindigkeitsvektorfeld γ 0 = γ∗ (∂/∂t) ist ein Vektorfeld
entlang γ. Ist X ein Vektorfeld auf X, so gilt
∇∂/∂t X ◦ γ = ∇γ 0 X
als Gleichheit von Vektorfeldern entlang γ.
Ist ϕ = (x1 , . . . , xn ) : U → ϕ(U ) ⊂ Rn eine Karte mit γ(I) ⊂ U und X ein
Vektorfeld entlang γ, dann gilt
X
∂
X=
Xi ∂x
◦γ
i
i
für Funktionen Xi : I → R und
γ0 =
X
γi0
i
32
∂
∂xi
◦γ
für Funktionen γi0 : I → R. Damit berechnen wir
X
∂
∂
◦ γ + Xi ∇∂/∂t ∂x
◦γ
∇∂/∂t X =
Xi0 ∂x
i
i
i
=
X
=
X
=
X
=
X
Xi0
∂
∂xi
∂
◦ γ + Xi ∇γ 0 ∂x
i
Xi0
∂
∂xi
◦ γ + Xi
X
◦ γ + Xi
X
i
i
j
∂
Xi0 ∂x
i
i
i
∂
γj0 ∇∂/∂xj ∂x
◦γ
i
γj0 Γkji ◦ γ
∂
∂xk
◦γ
j,k
Xi0
+
X
Xk γj0
Γijk ◦ γ
∂
∂xi
◦ γ.
j,k
Die Gleichung ∇∂/∂t X = 0 übersetzt sich also in das System linearer gewöhnlicher Differentialgleichungen
X
(3.6)
Xi0 +
Xk γj0 Γijk ◦ γ = 0, i = 1, . . . n.
j,k
Da die Lösung eines Systems linearer Differentialgleichung zu gegebenem
Anfangswert für alle Zeiten existiert, folgt mit Hilfe geeigneter Kartenwahl:
Satz 3.9. Sei ∇ ein Zusammenhang auf T M , γ : I → M eine differenzierbare Kurve und t0 ∈ I. Dann existiert zu v ∈ Tγ(t0 ) M genau ein paralleles
Vektorfeld X entlang γ mit X(t0 ) = v.
Sind p, q ∈ M und ist γ : (a − ε, b + ε) → M eine differenzierbare Kurve
mit γ(a) = p und γ(b) = q, dann setzen wir Pγ (v) := X(b), wobei X das
eindeutige parallele Vektorfeld entlang γ mit X(a) = v ∈ Tp M sei.
Definition 3.17. Der Operator Pγ : Tp M → Tq M heißt Paralleltransport
bzgl. ∇ entlang γ.
Bemerkung. Der Operator Pγ ist eine linearer Isomorphismus für jeden Zusammenhang ∇. Ist (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit und ∇ metrisch, so ist Pγ eine lineare Isometrie. Letzteres begründen wir wie folgt:
Betrachte für v, w ∈ Tp M die eindeutigen parallelen Vektorfelder X(t), Y (t)
entlang γ mit X(a) = v und Y (a) = w. Dann gilt Pγ (v) = X(b) und
Pγ (w) = Y (b) sowie
d
dt g(X(t), Y (t)) = g ∇∂/∂t X(t), Y (t) + g X(t), ∇∂/∂t Y (t) = 0
für alle t ∈ [a, b], insbesondere also g(Pγ (v), Pγ (w)) = g(v, w).
Ist e1 , . . . , en eine Basis von Tp M , so erhalten wir ein eindeutiges paralleles Basenfeld e1 (t), . . . , en (t) entlang γ mit ei (a) = ei für i = 1, . . . , n.
Ist e1 , . . . , en eine Orthonormalbasis von Tp M und ∇ metrisch, dann ist
e1 (t), . . . , en (t) ein paralleles Orthonormalbasenfeld entlang γ.
33
Wir könnnen schließlich die kovariante Ableitung aus dem Paralleltransport
zurückgewinnen:
Satz 3.10. Seien X, Y ∈ Γ(T M ) Vektorfelder, p ∈ M und γ : (−ε, ε) → M
eine differenzierbare Kurve mit γ 0 (0) = X(p). Dann gilt
d
(∇X Y )(p) = dt
P −1 (Y (γ(t)),
t=0 γ
wobei Pγ : Tp M → Tγ(t) M der Paralleltransport von ∇entlang γ ist.
Beweis. Sei e1 , . . . , en eine Basis von Tp M und e1 (t), . . . , en (t) das eindeutige
parallele Basenfeld entlang γ mit ei (0) = ei für i = 1, . . . , n. Dann gilt
X
Y (γ(t)) =
Yi (t)ei (t)
i
für differenzierbare Funktionen Yi : (−ε, ε) → R. Damit ist
X
(∇X Y )(p) = (∇∂/∂t Y ◦ γ)(0) =
Yi0 (0)ei
i
und
Pγ−1 (Y (γ(t)) =
X
Yi (t)ei ,
i
woraus die Behauptung durch Differenzieren folgt.
3.4
Geodätische und Exponentialabbildung
Im Folgenden sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit. Es sei T M stets
mit dem Levi-Civita-Zusammenhang ∇ = ∇g ausgestattet.
Definition 3.18. Eine C 2 -Kurve γ : I → M heißt Geodätische, falls gilt
∇∂/∂t γ 0 = 0, d.h. das Geschwindigkeitsvektorfeld parallel entlang γ ist.
Bemerkung.
1. Eine Geodätische ist proportional zur Bogenlänge parametrisiert, denn es gilt
0
0
0
0
d
g(γ
(t),
γ
(t))
=
2g
∇
γ
(t),
γ
(t)
=0
∂/∂t
dt
für alle t ∈ I.
2. Es seien (M, g) und (N, h) Riemannsche Mannigfaltigkeiten und ferner
F : M → N eine lokale Isometrie. Ist γ : I → M eine Geodätische, so
auch F ◦ γ : I → N . Dies folgt aus der Verträglichkeit des Levi-CivitaZusammenhangs mit lokalen Isometrien.
34
Ist ϕ = (x1 , . . . , xn ) : U → ϕ(U ) ⊂ Rn eine Karte mit γ(I) ⊂ U , dann gilt
X
∂
γ0 =
γi0 ∂x
◦γ
i
i
für Funktionen γi0 : I → R. Damit berechnen wir
X
X
∂
◦ γ.
∇∂/∂t γ 0 =
γi00 +
γk0 γj0 Γijk ◦ γ ∂x
i
i
j,k
Die Gleichung ∇∂/∂t γ 0 = 0 übersetzt sich also in das System gewöhnlicher
Differentialgleichungen
X
(3.7)
γi00 +
γk0 γj0 Γijk ◦ γ = 0, i = 1, . . . n,
j,k
vergl. (3.6). Im Gegensatz dazu ist das System (3.7) jedoch nichtlinear und
von zweiter Ordnung.
Satz 3.11. Für p ∈ M und v ∈ Tp M existiert ε > 0 und genau eine Geodätische γ : (−ε, ε) → M mit γ(0) = p und γ 0 (0) = v.
Beweis. Dies folgt daraus, dass das System (2.9) für jeden Anfangswert
(γ1 (0), . . . , γn (0)) = (x1 (p), . . . , xn (p)) und (γ10 (0), . . . , γn0 (0)) = (v1 , . . . , vn )
eine eindeutige Kurzzeitlösung (γ1 , . . . , γn ) : (−ε, ε) → ϕ(U ) ⊂ Rn besitzt.
Bemerkung. Für p ∈ M und v ∈ Tp M existiert also eine eindeutige maximale
− , T + ) → M mit γ(0) = p und γ 0 (0) = v.
Geodätische γ : Imax = (−Tmax
max
Definition 3.19. Sei [a, b] ein kompaktes Intervall und γ : [a, b] → M eine
C 1 –Kurve. Dann heißt
Z
1 b
E(γ) :=
g(γ 0 (t), γ 0 (t)) dt
2 a
die Energie von γ.
Lemma 3.12. Es gilt L(γ)2 ≤ 2(b − a)E(γ) mit Gleichheit genau dann,
wenn γ proportional zur Bogenlänge parametrisiert ist.
Beweis. Die Cauchy-Schwarz-Ungleichung liefert
Z b
Z b
2
0
0
L(γ) ≤
g(γ (t), γ (t)) dt
1 dt = 2(b − a)E(γ)
a
a
mit Gleichheit genau dann, wenn γ 0 ein Vielfaches der 1-Funktion ist, d.h. γ
proportional zur Bogenlänge parametrisiert ist.
Geodätische tauchen in natürlicher Weise auf bei der Frage nach kürzesten
Verbindungskurven zwischen zwei Punkten p, q ∈ M . Auf Grund des obigen
35
Lemmas minimiert eine Verbindungskurve genau dann die Energie, wenn sie
die Länge minimiert und proportional zur Bogenlänge parametrisiert ist.
Sei H : (−ε, ε) × [a, b] → M eine C 2 -Variation der Kurve γ : [a, b] → M , d.h.
für γs : [a, b] → M, t 7→ H(s, t) gilt γ = γ0 . Das Vektorfeld
∂
V (t) = (H∗ ∂s
)(0, t)
entlang γ heißt Variationsvektorfeld.
Satz 3.13 (Erste Variation von Länge und Energie). Es gilt
d
ds s=0 E(γs )
= g(V (b), γ 0 (b)) − g(V (a), γ 0 (a)) −
Z
b
g V (t), ∇∂/∂t γ 0 (t) dt.
a
und, falls γ proportional zur Bogenlänge parametrisiert ist,
Z b
1
0
0
=
g(V (b), γ (b))−g(V (a), γ (a))−
g V (t), ∇∂/∂t γ 0 (t) dt ,
c
a
p
wobei c := g(γ 0 (t), γ 0 (t)) ∈ R+ .
d
ds s=0 L(γs )
Beweis. Wir führen die Rechnung im Falle des Energiefunktionals durch, der
Fall des Längenfunktionals ist analog zu behandeln. Es gilt
Z
Z
d 1 b
1 b ∂
0
0
0
0
g(γ
(t),
γ
(t))
dt
=
g(γ
(t),
γ
(t))
dt
s
s
s
s
ds s=0 2 a
2 a ∂s
s=0
Z b
Z b
∂
∂
, γs0 (t)) dt =
g(∇∂/∂t H∗ ∂s
, γs0 (t)) dt =
g(∇∂/∂s H∗ ∂t
s=0
s=0
a
a
Z b
=
g(∇∂/∂t V (t), γ 0 (t)) dt
a
Z b
Z b
0
d
=
g(V (t), ∇∂/∂t γ 0 (t)) dt
dt g(V (t), γ (t)) dt −
a
a
Z b
0
0
=g(V (b), γ (b)) − g(V (a), γ (a)) −
g(V (t), ∇∂/∂t γ 0 (t)) dt,
a
wobei wir benutzt haben, dass [∂/∂s, ∂/∂t] = 0 und allgemein
∇X H∗ Y − ∇Y H∗ X = H∗ [X, Y ]
für Vektorfelder X, Y auf (−ε, ε) × [a, b], da ∇ torsionsfrei ist.
Eine Variation H heißt eigentlich, falls die Endpunkte festgehalten werden,
d.h. falls gilt γs (a) = γ(a) und γs (b) = γ(b) für alle s ∈ (−ε, ε). In diesem
Fall gilt V (a) = V (b) = 0.
36
Korollar 3.14. Für eine eigentliche Variation gilt
Z b
d
g V (t), ∇∂/∂t γ 0 (t) dt.
ds s=0 E(γs ) = −
a
und, falls γ proportional zur Bogenlänge parametrisiert ist,
Z
1 b
d
L(γ
)
=
−
g V (t), ∇∂/∂t γ 0 (t) dt.
s
ds s=0
c a
Geodätische sind also kritische Punkte des Energiefunktionals auf dem Raum
der Kurven
Ωp,q (M ) := {γ : [a, b] → M C 2 -Kurve : γ(a) = p, γ(b) = q}
und kritische Punkte des Längenfunktionals auf dem Raum der proportional
zur Bogenlänge parametrisierten Kurven. Umgekehrt gilt:
d
Korollar 3.15. Sei γ : [a, b] → M eine C 2 -Kurve. Gilt ds
E(γs ) = 0
s=0
für jede eigentliche Variation von γ, so ist γ eine Geodätische. Insbesondere
sind also Minimierer des Energiefunktionals Geodätische.
Beweis. Später werden wir sehen: Zu jedem Vektorfeld V entlang γ mit
V (a) = V (b) = 0 existiert eine eigentliche Variation H von γ mit Variationsvektorfeld V . Angenommen, es gibt t0 ∈ (a, b) mit ∇∂/∂t (t0 ) 6= 0. Wähle
eine glatte Funktion ϕ : (a, b) → R≥0 mit kompaktem Träger und ϕ(t0 ) = 1.
Setze nun V (t) := ϕ(t)∇∂/∂t γ 0 (t), dann liefert die erste Variationsformel
d
ds s=0 E(γs )
Z
=−
b
ϕ(t)g(∇∂/∂t γ 0 (t), ∇∂/∂t γ 0 (t)) dt < 0
a
da der Integrand nichtnegativ und sogar positiv in t0 ist.
Bemerkung. Man formuliere und beweise eine analoge Aussage für das Längenfunktional!
Für p ∈ M und v ∈ Tp M bezeichne γv : Imax (v) → M die maximale
Geodätische mit γv (0) = p und γv0 (0) = v. Für λ ∈ R gilt γλv (t) = γv (λt),
d
d
0 (t) und daher ∇
0
denn dt
γv (λt) = γλv
∂/∂t γλv = 0 und dt t=0 γv (λt) = λv.
Liegt also 1 im maximalen Definitionsintervall von γv , so auch im maximalen
Definitionsintervall von γλv für alle 0 ≤ λ ≤ 1.
Definition 3.20. Für p ∈ M sei.
Dp = {v ∈ Tp M : 1 ∈ Imax (v)}.
Die Abbildung
expp : Dp → M,
v 7→ γv (1).
heißt Exponentialabbildung von (M, g) in p.
37
Bemerkung. Es gelten:
1. 0 ∈ Dp und expp (0) = p.
2. γv (t) = expp (tv).
3. Dp ⊂ Tp M ist sternförmig bzgl. 0 ∈ Tp M .
Wegen der differenzierbaren Abhängigkeit der Lösung
F einer gewöhnlichen
Differentialgleichung von den Anfangsdaten ist D := p∈M Dp ⊂ T M offen
und
exp : D → M, v 7→ expπ(v) v
differenzierbar. Insbesondere ist Dp ⊂ Tp M offen und expp : Tp M → M
differenzierbar.
Lemma 3.16. Das Differential der Exponentialabbildung expp : Dp → M in
0 ∈ Dp ist gegeben durch
(D expp )(0) = idTp M : Tp M → Tp M.
Dabei sei T0 Dp mit Tp M identifiziert.
Beweis. Für v ∈ Tp M gilt
d
dt t=0 expp (tv) =
d
dt t=0 γv (t)
= v,
was die Behauptung zeigt.
Bemerkung. Sei γ : [a, b] → M eine C 2 -Kurve. Die im Beweis von Lemma
3.15 benutzte Variation H : (−ε, ε) × [a, b] → M von γ kann mit Hilfe der
Exponentialabbildung wie folgt konstruiert werden:
H(s, t) = expγ(t) sV (t).
Dabei sei ε > 0 so klein gewählt, dass ±εV (t) im Definitionsgebiet von
expγ(t) liegt für alle t ∈ [a, b].
Der lokale Umkehrsatz liefert mit Hilfe des obigen Lemmas:
Korollar 3.17. Es existiert ε > 0 so dass
expp |Bε (0) : Bε (0) → expp (Bε (0)) ⊂ M
ein Diffeomorphismus ist. Dabei bezeichne Bε (0) ⊂ Tp M den offenen ε-Ball
um 0 bzgl. der Riemannschen Metrik g(p) auf Tp M .
Definition 3.21. Die positive Zahl
injp := sup{r > 0 : expp |Br (0) : Br (0) → expp (Br (0)) ist Diffeomorphismus}
heißt Injektivitätsradius von (M, g) in p.
38
Insbesondere ist expp |Br (0) Br (0) → expp (Br (0)) ein Diffeomorphismus für
alle 0 < r ≤ injp . Sei nun {e1 , . . . , en } ein Orthonormalbasis von Tp M . Diese
vermittelt eine P
lineare Isometrie A : Rn → Tp M vermöge der Vorschrift
(v1 , . . . , vn ) 7→ i vi ei . Es gilt offenbar A(Br (0)) = Br (0). Dann ist durch
ϕ := (expp ◦A)−1 eine Karte ϕ : U → V ⊂ Rn gegeben mit U = expp (Br (0))
und V = Br (0) ⊂ Rn .
Definition 3.22. Die so konstruierten Koordinaten heißen Riemannsche
Normalkoordinaten um p.
Normalkoordinaten sind besonders gut an die lokale Geometrie von (M, g)
um p angepasst, es gilt nämlich:
Satz 3.18. Sei r ≤ injp und seien ϕ : expp (Br (0)) → Br (0) ⊂ Rn Riemannsche Normalkoordinaten um p. Dann gilt
gij (p) = δij
und
Γkij (p) = 0
für 1 ≤ i, j, k ≤ n.
Beweis. Es gilt
gij (p) = g
∂
∂
∂xi (p), ∂xj (p)
= g (D expp (0))ei , (D expp (0))ej
= g(p)(ei , ej ) = δij
da D expp (0) = idTp M und {e1 , . . . , en } eine Orthonormalbasis von Tp M ist.
Insbesondere haben wir eingesehen, dass ∂/∂xi (p) = ei . Also gilt
Γkij (p) = g(p) ∇∂/∂xi ∂x∂ j , ∂x∂ k .
P
Betrachte die Bilinearform β k (v, w) = i,j Γkij (p)vi wj auf Rn . Die Bilinearform β k ist symmetrisch, da
P∇ torsionsfrei ist und [∂/∂xi , ∂/∂xj ] = 0.
Andererseits ist γ(t) = expp (t i vi ei ) für v ∈ Rn eine Geodätische. Mit
γ 0 (t) =
d
dt
expp (t
X
vi ei ) =
i
X
vj ∂x∂ j (γ(t))
j
folgt
0 = (∇∂/∂t γ 0 )(0) =
X
(∇∂/∂xi ∂x∂ j )(p)vi vj
i,j
für alle v ∈
Rn
und insbesondere
β k (v, v) =
X
Γkij (p)vi vj
für alle v ∈ Rn und alle k. Wegen der Polarisierungsidentität
β k (v, w) =
1
2
β k (v + w, v + w) − β k (v, v) − β k (w, w)
39
folgt β k (v, w) = 0 für alle v, w ∈ Rn und alle k, d.h. wie behauptet Γkij (p) = 0
für alle i, j, k.
Weiterhin ist die Exponentialabbildung eine „radiale Isometrie“, genauer gilt
der folgende:
Satz 3.19 (Gauß-Lemma). Sei v ∈ Tp M . Dann gelten:
1. g (D expp (v))λv, ((D expp (v))λv = g(λv, λv) für alle λ ∈ R.
2. g (D expp (v))v, ((D expp (v))w = 0 für alle w ∈ Tp M mit g(v, w) = 0.
Beweis. OBdA gilt λ = 1. Der allgemeine Fall folgt aus der Bilinearität
beider Seiten. Betrachte die Geodätische γv (t) = expp (tv). Dann ist einerseits
t 7→ g(γv0 (t), γv0 (t)) konstant. Andererseits gilt aber γv0 (0) = v und γv0 (1) =
(D expp (v))v. Dies zeigt die erste Behauptung.
Betrachte nun eine differenzierbare Kurve τ : (−ε, ε) → Sρ (0) für ρ = kvk,
wobei Sρ (0) ⊂ Tp M die Sphäre vom Radius ρ > 0 bzgl. der Riemannschen
Metrik g(p) auf Tp M bezeichne, und die Variation γs (t) = expp (tτ (s)) der
Geodätischen γv . Die Kurven γs sind Geodätische für alle s ∈ (−ε, ε) mit
γs0 (t) = (D expp (tτ (s)))τ (s) und haben daher wegen des ersten Teils gleiche
Länge. Also liefert die erste Variationsformel
d
0 = ds
L(γs ) = g(V (1), γv0 (1)) − g(V (0), γv0 (0)).
s=0
Nun gilt aber V (0) = 0, V (1) = (D expp (v))w und γv0 (1) = (D expp (v))v, so
dass die Behauptung folgt.
3.5
Riemannsche Mannigfaltigkeiten als metrische
Räume
In diesem Abschnitt werden wir einer Riemannschen Mannigfaltigkeit M auf
natürliche Weise die Struktur eine metrischen Raumes verleihen.
Zur Erinnerung: Ein metrischer Raum ist ein Paar (X, d) bestehend aus
einer Menge X und einer Distanzfunktion d : X × X → [0, ∞) mit den
Eigenschaften:
1. d(p, q) = d(q, p) (Symmetrie)
2. d(p, q) = 0 ⇔ p = q (Definitheit)
3. d(p, r) ≤ d(p, q) + d(q, r) (Dreiecksungleichung)
Für einen metrischen Raum (X, d) und p ∈ X sowie r > 0 bezeichne Br (p) =
{q ∈ X : d(p, q) < r} und Sr (p) = {q ∈ X : d(p, q) = r}.
Definition 3.23. Eine Kurve γ : [a, b] → M heißt stückweise C 1 -Kurve,
falls γ stetig ist und eine Unterteilung a = t0 < . . . < tN = b gibt, so dass
γ|[ti−1 ,ti ] eine C 1 -Kurve ist für alle i = 1, . . . , N .
40
Die Länge einer stückweisen C1 -Kurve γ ist definiert als
Z
b
0
kγ (t)kg dt :=
L(γ) =
a
N Z
X
i=1
wobei wir setzen kγ 0 (t)kg :=
ti
kγ 0 (t)kg dt,
ti−1
p
g(γ 0 (t), γ 0 (t)).
Definition 3.24. Wir setzen für p, q ∈ M
dg (p, q) = inf{L(γ) : γ stückweise C 1 -Kurve mit γ(a) = p, γ(b) = q}
∈ [0, ∞].
Die Abbildung dg : M × M → [0, ∞] heißt Riemannsche Distanzfunktion.
Bemerkung. Ist M wegzusammenhängend, so existiert für p, q ∈ M stets eine
stückweise C 1 -Kurve γ : [a, b] → M mit γ(a) = p und γ(b) = q, inbesondere
gilt d(p, q) < ∞ für alle p, q ∈ M .
Satz 3.20. Ist die Riemannsche Mannigfaltigkeit M wegzusammenhängend,
dann definiert die Riemannschen Distanzfunktion d = dg eine Metrik auf M ,
im Folgenden oft auch Pfadmetrik genannt.
Beweis. Die Symmetrie und die Dreiecksungleichung sind klar, ebenso dass
d(p, p) = 0 gilt. Die Umkehrung d(p, q) = 0 ⇒ p = q ergibt sich aus dem
nachfolgenden Lemma.
Lemma 3.21. Ist v ∈ S1 (0) ⊂ Tp M und γv (ρ) = expp (ρv) für ρ < injp , so
gilt
d(p, γv (ρ)) = L(γv |[0,ρ] ) = ρ
und γv |[0,ρ] ist bis auf Umparametrisierung die eindeutige kürzeste stückweise
C 1 -Kurve zwischen p und expp (ρv).
Beweis. Betrachte den Diffeomorphismus expp : Br (0) → expp (Br (0)) für
r = injp > 0. Sei γ : [a, b] → M eine stückweise C 1 -Kurve mit γ(a) = p
und γ(b) = expp (ρv). Wir nehmen zunächst an: γ verläuft vollständig in
expp (Br (0)) und γ −1 ({p}) = {0}. Dann schreiben wir
γ(t) = expp (r(t)v(t))
für r : [a, b] → [0, r], v : [a, b] → S1 (0). Da
γ 0 (t) = D expp (r(t)v(t) (r0 (t)v(t) + r(t)v 0 (t))
41
und v 0 (t) ⊥ v(t), folgt mit Hilfe des Gauß-Lemmas
Z b
kγ 0 (t)kg dt
L(γ) =
a
Z b
D expp (r(t)v(t) (r0 (t)v(t) + r(t)v 0 (t)) dt
=
g
a
Z b
D expp (r(t)v(t) r0 (t)v(t) dt
≥
g
a
Z b
Z b
=
|r0 (t)| dt ≥
r0 (t) dt = r(a) − r(0) = ρ.
a
a
Gleichheit gilt genau dann, wenn r(t) monoton wachsend und v(t) konstant
ist. A posteriori sehen wir, dass obige Annahmen gerechtfertigt waren.
Bemerkung.
1. Das obige Lemma besagt, dass expp (Sr (0)) = Sr (p)) für
alle r < injp und expp (Br (0)) = Br (p) für alle r ≤ injp .
2. Sei (X, d) ein metrischer Raum . Ein Homöomorphismus φ : X → X
heißt Isometrie falls gilt d(p, q) = d(φ(p), φ(q)) für alle p, q ∈ X. Ein
Diffeomorphismus F : M → M ist genau dann eine Isometrie von
(M, g) im Sinne von Definition 3.5, wenn F eine Isometrie von (M, dg )
ist. Übung!
Korollar 3.22. Die durch die Pfadmetrik induzierte Topologie auf M stimmt
mit der ursprünglichen Topologie von M als differenzierbare Mannigfaltigkeit
überein.
Korollar 3.23. Sind p, q ∈ M und ist γ : [a, b] → M eine kürzeste stückweise C 1 -Kurve zwischen p und q, so ist γ die Umparametrisierung einer
Geodätischen, hat also insbesondere keine Knickstellen.
Beweis. Kürzeste sind insbesondere lokal Kürzeste, und solche sind Geodätische nach obigem Lemma.
Bemerkung. Selbst wenn eine kürzeste Geodätische zwischen den Punkten p
und q existiert, braucht diese nicht eindeutig zu sein.
Definition 3.25. Die Riemannsche Mannigfaltigkeit (M, g) heißt geodätisch
vollständig, falls für jeden Punkt p ∈ M und jeden Tangentialvektor v ∈ Tp M
gilt Imax (v) = R.
Bemerkung. Eine Riemannsche Mannigfaltigkeit M ist geodätisch vollständig genau dann, wenn Dp = Tp M gilt für alle p ∈ M .
Zur Erinnerung: Eine metrischer Raum (X, d) heißt vollständig, falls jede
Cauchy-Folge in X konvergent ist. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt beschränkt,
falls p ∈ X und R > 0 existieren mit A ⊂ BR (p). Für q ∈ X beliebig gilt
dann wegen der Dreiecksungleichung A ⊂ BR(q) (q) für R(q) := d(p, q) + R.
42
Lemma 3.24. Sei p ∈ M und ρ < injp . Für jeden weiteren Punkt q ∈ M
existiert p0 ∈ Sρ (p) mit d(p, q) = d(p, p0 ) + d(p0 , q).
Beweis. Da Sρ (p) kompakt ist, existiert ein Punkt p0 ∈ Sρ (p), der die stetige
Funktion
dq : Sρ (p) → R≥0 , x 7→ d(x, q)
minimiert. Ist γ : [a, b] → M eine stückweise C 1 -Kurve mit γ(a) = p und
γ(b) = q, dann existiert wegen des Zwischenwertsatzes t0 ∈ (a, b) mit γ(t0 ) ∈
Sρ (p).(O.B.d.A. gilt ρ < d(p, q).) Für die Länge von γ gilt nun
L(γ) = L(γ|[a,t0 ] ) + L(γ|[t0 ,b] )
≥ d(p, γ(t0 )) + d(γ(t0 ), q) ≥ d(p, p0 ) + d(p0 , q)
wegen der Wahl von p0 . Damit gilt d(p, q) ≥ d(p, p0 ) + d(p0 , q) auf Grund
der Definition der Pfadmetrik, andererseits wegen der Dreiecksungleichung
d(p, q) ≤ d(p, p0 ) + d(p0 , q), also Gleichheit.
Satz 3.25. Sei (M, g) eine wegzusammenhängende Riemannsche Mannigfaltigkeit und p ∈ M ein Punkt mit Dp = Tp M . Dann existiert für alle q ∈ M
eine kürzeste Geodätische γ zwischen p und q mit d(p, q) = L(γ).
Beweis. Betrachte ρ < injp und wähle nach obigem Lemma p0 ∈ Sρ (p) mit
d(p, q) = d(p, p0 ) + d(p0 , q). Es existiert nun eindeutig v ∈ Tp M mit kvkg = 1
mit γv (ρ) = p0 . Nach Annahme existiert die Geodätische γv für alle Zeiten,
außerdem ist sie nach Bogenlänge parametrisiert. Wir behaupten: γv (d) = q
für d = d(p, q). Dann gilt nämlich L(γ|[0,d] ) = d(p, q), d.h. γ|[0,d] ist Kürzeste
von p nach q. Betrachte dazu das Intervall
I := {t ∈ [0, d] : t + d(γv (t), q) = d} ⊂ [0, d].
Wegen der Dreiecksungleichung gilt d = d(p, γv (t)) + d(γv (t), q) für t ∈ I
und insbesondere t = d(p, γv (t)). Es reicht also zu zeigen: I = [0, d]. Wegen
der Stetigkeit von dq ist I abgeschlossen in [0, d]. Die Offenheit erhält man
durch erneute Anwendung des obigen Lemmas: Sei t0 ∈ I und p0 = γv (t0 ).
Dann existiert für ρ0 < injp0 ein Punkt p00 ∈ Sρ0 (p0 ) mit d(p0 , q) = d(p0 , p00 ) +
d(p00 , q) und eine Kürzeste γv0 von p0 nach p00 . Da d(p, p0 ) + d(p0 , q) = d(p, q)
nach Voraussetzung, folgt d(p, p0 ) + d(p0 , p00 ) = d(p, p00 ), d.h. γv |[0,t0 ] ∪ γv0
ist Kürzeste von p nach p00 , stimmt also mit γv |[0,t0 +ρ0 ] überein, da Kürzeste
keine Knickstellen haben. Insbesondere gilt t0 + ρ0 ∈ I.
Theorem 3.26 (Hopf-Rinow). Es sei (M, g) eine wegzusammenhängende
Riemannsche Mannigfaltigkeit. Dann sind folgende Aussagen äquivalent
1. Es gilt Dp = Tp M für alle p ∈ M .
2. Es existiert p ∈ M mit Dp = Tp M .
43
3. Jede beschränkte und abgeschlossene Teilmenge K ⊂ M ist kompakt.
4. Der metrische Raum (M, dg ) ist vollständig.
und jede einzelne impliziert
5. Zu p, q ∈ M existiert eine kürzeste Geodätische zwischen p und q.
Bemerkung. Eigenschaft 5. impliziert im Allgemeinen nicht die geodätische
Vollständigkeit.
Beweis. Die Implikation 1. ⇒ 2. ist klar.
Es gelte nun 2. für p ∈ M . Sei K ⊂ M abgeschlossen und beschränkt. Wegen
Satz 3.25 und der Beschränktheit von K gilt K ⊂ expp (BR (0)) für R > 0.
Die Menge exp−1
p (K) ∩ BR (0) ⊂ Tp M ist abgeschlossen und beschränkt und
daher wegen Heine-Borel kompakt. Damit ist K als Bild einer kompakten
Menge unter einer stetigen Abbildung ebenfalls kompakt.
Sei nun 3. erfüllt und (xn ) eine Cauchy-Folge in M . Die Menge K :=
{xn : n ∈ N} ist abgeschlossen und beschränkt, also nach Voraussetzung kompakt, insbesondere folgenkompakt. Damit besitzt xn eine konvergente Teilfolge, ist also als Cauchy-Folge selbst konvergent.
Gilt 4. und ist v ∈ Tp M derart, dass γv nicht auf ganz R definiert ist.
O.B.d.A. gelte Tmax < ∞. Sei (tn ) eine Folge von Zeiten mit limn→∞ tn =
Tmax . Dann ist (γv (tn )) eine Cauchy-Folge in M , nach Voraussetzung also
konvergent gegen einen Punkt p∞ . Wegen Kompaktheit der Menge Br+δ (0) ⊂
Tp∞ M für r = kvkg und der Stetigkeit der Riemannschen Metrik g konvergiert die Folge (γ 0 (tn )) nach Übergang zu einer Teilfolge gegen v∞ ∈ Sr (0) ⊂
Tp∞ M . Die stetige Abhängigkeit der Lösung einer gewöhnlichen Differentialgleichung von den Anfangsdaten liefert nun ein uniformes Existenzintervall
(−ε, ε) für die Geodätischen in Richtung γ 0 (tn ). Die lokale Eindeutigkeit
von Geodätischen zeigt, dass γv über Tmax hinaus fortgesetzt werden kann.
Widerspruch!
Schließlich gilt 1. ⇒ 5. wegen Satz 3.25 und damit folgt wegen der Äquivalenz
von 1.-4. die letzte Aussage.
Korollar 3.27. Eine kompakte Riemannsche Mannigfaltigkeit ist geodätisch
vollständig.
Beweis. Jede Wegzusammenhangskomponente ist kompakt, also ein vollständiger metrischer Raum. Wende nun den Satz von Hopf-Rinow an.
Bemerkung. Sei (M, g) wegzusammenhängend und vollständig und seien
F1 , F2 : M → M Isometrien. Existiert ein Punkt p ∈ M mit F1 (p) = F2 (p)
und DF1 (p) = DF2 (p), dann gilt bereits F1 = F2 . Übung!
44
3.6
Krümmungsgrößen
Wie im vorigen Abschnitt sei (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit und
∇ = ∇g der Levi-Civita-Zusammenhang auf T M .
Definition 3.26. Seien X, Y, Z ∈ Γ(T M ). Die R-trilineare Abbildung
R = Rg : Γ(T M ) × Γ(T M ) × Γ(T M ) → Γ(T M )
definiert durch
Rg (X, Y )Z := ∇gX ∇gY Z − ∇gY ∇gX Z − ∇g[X,Y ] Z
heißt Riemannscher Krümmungstensor.
Bemerkung. Offenbar ist der Riemannsche Krümmungstensor schiefsymmetrisch in den ersten beiden Argumenten, d.h. es gilt
R(X, Y )Z = −R(Y, X)Z
für alle X, Y, Z ∈ Γ(T M ).
Sei ϕ : U → ϕ(U ) ⊂ Rn eine Karte und seien
X
X
X
∂
∂
∂
,
Y
|
=
und
Z|
=
Y
Zi ∂x
X|U =
Xi ∂x
i
U
U
∂xi
i
i
i
i
i
die lokalen Darstellungen der Vektorfelder X, Y, Z ∈ Γ(T M ), dann gilt
X
l
∂
R(X, Y )Z|U =
Xi Yj Zk Rijk
∂xl
i,j,k,l
für die durch
∂
R( ∂x
, ∂ ) ∂ =
i ∂xj ∂xk
X
l
∂
Rijk
∂xl
l
l
Rijk
: U → R. Eine Rechnung zeigt, dass
eindeutig bestimmte Funktionen
gilt
X
l
l
m l
∂
Rijk
= ∂x
(Γljk ) − ∂x∂ j (Γlik ) +
Γm
kj Γmi − Γki Γmj ,
i
m
insbesondere hängt die Krümmung also von zwei Ableitungen der Metrik ab.
Lemma 3.28. Der Riemannsche Krümmungstensor ist tensoriell in allen
drei Argumenten, d.h. es gilt
R(f X, Y )Z = R(X, f Y )Z = R(X, Y )f Z = f R(X, Y )Z
für alle f ∈ C ∞ (M ) und X, Y, Z ∈ Γ(T M ).
45
Beweis. Wir rechnen zunächst die Tensorialität im ersten Argument nach:
R(f X, Y ) = ∇f X ∇Y Z − ∇Y ∇f X Z − ∇[f X,Y ] Z
= f ∇X ∇Y Z − Y (f )∇X Z − f ∇Y ∇X Z − f ∇[X,Y ] Z + Y (f )∇X Z
= f R(X, Y )Z.
Auf Grund der Schiefsymmetrie in den ersten beiden Argumenten folgt sofort
die Tensorialität im zweiten Argument. Schließlich rechnen wir die Tensorialität im dritten Argument nach:
R(X, Y )f Z =∇X (Y (f )Z + f ∇Y Z) − ∇Y (X(f )Z + f ∇X Z)
− [X, Y ](f )Z − f ∇[X,Y ] Z
=X(Y (f )) + Y (f )∇X Z + X(f )∇Y Z + f ∇X ∇Y Z
− Y (X(f ))Z − X(f )∇Y Z − Y (f )∇X Z
− f ∇Y ∇X Z − [X, Y ](f )Z − f ∇[X,Y ] Z
=f R(X, Y )Z
Dies zeigt die Behauptung.
Bemerkung.
1. Wegen der Tensorialität in allen drei Argumenten hängt
also (R(X, Y )Z)(p) ∈ Tp M nur von den Werten X(p), Y (p), Z(p) ∈
Tp M ab, d.h. für p ∈ M induziert R eine R-trilineare Abbildung
Tp M × Tp M × Tp M → Tp M,
(v, w, u) 7→ R(v, w)u,
wobei wir R(v, w)u = (R(X, Y )Z)(p) setzen für eine beliebige Wahl
von X, Y, Z ∈ Γ(T M ) mit X(p) = v, Y (p) = w und Z(p) = u.
2. Ist F : (M, g) → (N, h) eine lokale Isometrie, und X, Y, Z ∈ Γ(T M )
sowie X̃, Ỹ , Z̃ ∈ Γ(T N ) jeweils F -verwandt, so sind auch Rg (X, Y )Z
und Rh (X̃, Ỹ )Z̃ F -verwandt. Dies folgt aus der Verträglichkeit des
Levi-Civita-Zusammenhangs mit lokalen Isometrien.
3. Ist (N, h) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit und F : M → N eine
differenzierbare Abbildung, so gilt für Vektorfelder X, Y ∈ Γ(T M )
und ein Vektorfeld Z̃ entlang F die Gleichheit
Rh (F∗ X, F∗ Y )Z̃ = ∇hX ∇hY Z̃ − ∇hY ∇hX Z̃ − ∇h[X,Y ] Z̃
von Vektorfeldern entlang F .
In gewissem Sinne misst der Krümmungstensor die Wegabhängigkeit des
Paralleltransports, genauer gilt: Sei γ : [a, b] → M eine Kurve von p nach q
und H : (−ε, ε) × [a, b] → M eine Variation von γ = γ0 , γs (t) = H(s, t). Sei
X ein Vektorfeld entlang H mit den Eigenschaften
1. ∇∂/∂t X = 0, d.h. X ist parallel entlang γs für alle s ∈ (−ε, ε).
46
2. X(s, a) = v ∈ Tp M für alle s ∈ (−ε, ε).
Ist R = 0, dann gilt
∂
∂
∇∂/∂t ∇∂/∂s X(s, t) = ∇∂/∂s ∇∂/∂t X(s, t) + R(H∗ ∂s
, H∗ ∂t
)X(s, t) = 0
da [∂/∂t, ∂/∂s] = 0. Somit folgt, da ∇∂/∂s Y (s, a) = 0, dass ∇∂/∂s Y (s, b) = 0.
Dies bedeutet: Der Paralleltransport Pγs : Tp M → Tq M ist unabhängig
von s ∈ (ε, ε), m.a.W. die Abbildung γ 7→ Pγ ist „lokal konstant“ auf dem
Wegeraum Ωp,q (M ).
Wir stellen die Symmetrien des Krümmungstensors in folgendem Lemma
zusammmen:
Lemma 3.29. Für X, Y, Z, U ∈ Γ(T M ) gilt:
1. R(X, Y )Z = −R(Y, X)Z
2. R(X, Y )Z + R(Y, Z)X + R(Z, X)Y = 0 (1. Bianchi-Identität)
3. g(R(X, Y )Z, U ) = −g(R(X, Y )U, Z)
4. g(R(X, Y )Z, U ) = g(R(Z, U )X, Y ) (Blockvertauschung)
Beweis. 1. hatten wir schon oben bemerkt. O.B.d.A. kommutieren nun die
Vektorfelder X, Y, Z, U paarweise. Dann gilt
R(X, Y )Z + R(Y, Z)X + R(Z, X)Y
=∇X ∇Y Z − ∇Y ∇X Z + ∇Y ∇Z X − ∇Z ∇Y X + ∇Z ∇X Y − ∇X ∇Z Y
=∇X ∇Z Y − ∇Y ∇X Z + ∇Y ∇X Z − ∇Z ∇Y X + ∇Z ∇Y X − ∇X ∇Z Y = 0,
wobei wir die Torsionsfreiheit von ∇ genutzt haben, also folgt 2. Für 3.
reicht es, zu zeigen, dass gilt g(R(X, Y )Z, Z) = 0 für alle Z ∈ Γ(T M ). Mit
g(∇X ∇Y Z, Z) = Xg(∇Y Z, Z)−g(∇Y Z, ∇X Z) und g(∇Y Z, Z) = 21 Y g(Z, Z)
folgt
g(R(X, Y )Z, Z) = g(∇X ∇Y Z, Z) − g(∇Y ∇X Z, Z)
=Xg(∇Y Z, Z) − g(∇Y Z, ∇X Z) − Y g(∇X Z, Z) + g(∇X Z, ∇Y Z)
= 12 X(Y (g(Z, Z))) − 21 Y (X(g(Z, Z))) = 0
Schließlich folgt 4. aus 1.-3., indem wir mit 1. und 2.
g(R(X, Y )Z, U ) = −g(R(Y, X)Z, U ) = g(R(X, Z)Y, U ) + g(R(Z, Y )X, U )
sowie mit 3. und 2.
g(R(X, Y )Z, U ) = −g(R(X, Y )U, Z) = g(R(Y, U )X, Z) + g(R(U, X)Y, Z)
47
berechnen und aufsummieren zu
2g(R(X, Y )Z, U ) =g(R(X, Z)Y, U ) + g(R(Z, Y )X, U )
+ g(R(Y, U )X, Z) + g(R(U, X)Y, Z).
Vertauschen von X mit Z sowie Y mit U liefert
2g(R(Z, U )X, Y ) =g(R(Z, X)U, Y ) + g(R(X, U )Z, Y )
+ g(R(U, Y )Z, X) + g(R(Y, Z)U, X),
so dass die Behauptung durch Anwendung von 1. und 3. folgt.
Definition 3.27. Für v, w ∈ Tp M linear unabhängig bezeichne Ev,w ⊂ Tp M
die von v und w aufgespannte Ebene. Dann heißt
K(Ev,w ) :=
g(R(v, w)w, v)
kvk2g kwk2g − g(v, w)2
die Schnittkrümmung der Ebene Ev,w .
Bemerkung.
1. Der Nenner in obiger Definition ist das Quadrat des Flächeninhalts des von v und w in Tp M aufgespannten Parallelogramms
(Gramsche Determinante).
2. Der Wert K(E) für E = Ev1 ,v2 hängt tatsächlich nur von E und nicht
von der Auswahl der Basis {v1 , v2 } ab, denn ist {ṽ1 , ṽ2 } eine andere
Basis von E mit ṽ1 = a11 v1 + a12 v2 und ṽ2 = a21 v1 + a22 v2 , so gilt
g(R(ṽ1 , ṽ2 )ṽ2 , ṽ1 ) = (det A)2 · g(R(v1 , v2 )v2 , v1 )
und
kṽ1 k2g kw̃2 k2g − g(ṽ1 , ṽ2 )2 = (det A)2 · kv1 k2g kw2 k2g − g(v1 , v2 )2
für A = (aij )ij ∈ R2×2 .
3. Ist {e1 , e2 } eine Orthonormalbasis von E, so gilt
K(E) = g(R(e1 , e2 )e2 , e1 ),
da {e1 , e2 } das Einheitsquadrat in Tp M aufspannen.
Definition 3.28. Für eine 2-dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit
(M, g) heißt K(p) := K(Tp M ) die Gauß-Krümmung in p ∈ M .
48
Definition 3.29. Sei {e1 , . . . , en } eine Orthonormalbasis von Tp M . Dann
heißt
X
Ric(v, w) :=
g(R(v, ei )ei , w)
i
für v, w ∈ Tp M der Ricci-Tensor und
ric(v) := Ric(v, v)/kvk2g
die Ricci-Krümmung in Richtung v ∈ Tp M \ {0}. Weiterhin heißt
X
scal(p) =
Ric(ei , ei )
i
die Skalarkrümmung in p.
Bemerkung.
1. Die Definition des Ricci-Tensors und der Skalarkrümmung
hängt nicht von der Wahl der Orthonormalbasis ab.
2. Auf Grund der Symmetrien des Krümmungstensor ist der Ricci-Tensor
symmetrisch in v und w.
3. Die Ricci-Krümmung in Richtung v ∈ Tp M \ {0} ist in gewissem Sinne
der Mittelwert der Schnittkrümmungen aller Ebenen, die v enthalten.
Die Skalarkrümmung ist dementsprechend der Mittelwert der Schnittkrümmungen aller Ebenen in Tp M .
3.7
Modellräume konstanter Krümmung
Definition 3.30. Es seien (M, g) eine Riemannsche Mannigfaltigkeit und
f ∈ C ∞ (M ). Dann heißt das durch
df (X) = g(grad f, X) ∀ X ∈ Γ(T M )
eindeutige bestimmte Vektorfeld grad f ∈ Γ(T M ) der Gradient von f . Der
durch
(X, Y ) 7→ Hess f (X; Y ) := g(∇X grad f, Y )
definierte Tensor Hess f : Γ(T M ) × Γ(T M ) → C ∞ (M ) heißt die Hessesche
von f .
Bemerkung. Es gilt Hess f (X, Y ) = X(Y (f )) − (∇X Y )(f ) für alle Vektorfelder X, Y ∈ Γ(T M ). Die Torsionsfreiheit von ∇ impliziert, dass Hess f
symmetrisch in X und Y ist.
Definition 3.31. Die Metriken g und g̃ auf M heißen konform, falls gilt
g = f g̃ für f ∈ C ∞ (M ) mit f (p) > 0 für alle p ∈ M .
49
Bemerkung. Sind g und g̃ konform, so stimmt die Winkelmessung bezüglich
g und g̃ überein.
˜ = ∇g̃ sowie R = Rg und R̃ = Rg̃ .
Es bezeichne im Folgenden ∇ = ∇g und ∇
2u
Weiterhin schreiben wir f = e für u ∈ C ∞ (M ).
Lemma 3.30. Sind g und g̃ konform, so gilt
˜ X Y = ∇X Y + X(u)Y − g(X, Y ) grad u + Y (u)X
∇
und
R̃(X, Y )Z =R(X, Y )Z
+ Z(u)Y (u) − (Hess u)(Y, Z) − g(Z, Y )k grad uk2g X
+ (Hess u)(X, Z) + g(Z, X)k grad uk2g − Z(u)X(u) Y
+ X(u)g(Z, Y ) − Y (u)g(Z, X) grad u
+ g(X, Z)∇Y grad u − g(Y, Z)∇X grad u.
Beweis. Die Koszul-Formel impliziert
˜ X Y, Z) = 1 X g̃(Y, Z) − Z g̃(X, Y ) + Y g̃(Z, X)
g̃(∇
2
+ g̃([X, Y ], Z) + g̃([Z, X], Y ) − g̃([Y, Z], X)
=f g(∇X Y, Z)
+ 21 X(f )g(Y, Z) − Z(f )g(X, Y ) + Y (f )g(Z, X)
=f g(∇X Y, Z)
+ 21 X(f )g(Y, Z) − g(grad f, Z)g(X, Y ) + Y (f )g(Z, X)
und somit
˜ X Y = ∇X Y +
∇
1
2f
X(f )Y − g(X, Y ) grad f + Y (f )X
= ∇X Y + X(u)Y − g(X, Y ) grad u + Y (u)X
wie behauptet. Also folgt
˜ Y Z =∇X ∇Y Z + X(Y (u))Z + Y (u)∇X Z − X(g(Z, Y )) grad u
˜ X∇
∇
− g(Z, Y )∇X grad u + X(Z(u))Y + Z(u)∇X Y
+ X(u) ∇Y Z + Y (u)Z − g(Z, Y ) grad u + Z(u)Y
− g X, ∇Y Z + Y (u)Z − g(Z, Y ) grad u + Z(u)Y grad u
+ ∇Y Z + Y (u)Z − g(Z, Y ) grad u + Z(u)Y )(u)X.
Wir nehmen nun an, dass X und Y kommutieren, d.h.
˜ X∇
˜Y Z − ∇
˜Y ∇
˜ X Z.
R̃(X, Y )Z = ∇
Wenn man obigen Ausdruck in diese Formel einsetzt, so erhält man das
gewünschte Ergebnis.
50
Korollar 3.31. Ist {v, w} eine g-Orthonormalbasis von E ⊂ Tp M , so gilt
f K̃(E) = K(E) + v(u)2 + w(u)2 − k grad uk2g − Hess u(v, v) − Hess u(w, w)
wobei wie oben f = e2u .
Beweis. Es gilt K(E) = g(R(v, w)w, v) und
f K̃(E) =
f g̃(R̃(v, w)w, v)
= g(R̃(v, w)w, v).
kvk2g̃ kwk2g̃ − g̃(v, w)2
Hieraus folgt die behauptete Formel mit Lemma 3.30.
Definition 3.32. Die Modellräume konstanter Krümmung sind die wie folgt
definierten Riemannschen Mannigfaltigkeiten Mnκ für κ ∈ {0, ±1}:
1. Es sei Mn0 die Riemannsche Mannigfaltigkeit (Rn , geukl ).
2. Es sei Mn+1 die Riemannsche Mannigfaltigkeit (S n , gsph ), wobei gsph
die erste Fundamentalform auf S n ⊂ Rn+1 sei.
3. Es sei Mn−1 die Riemannsche Mannigfaltigkeit (B1 (0), ghyp ), wobei
ghyp =
4
geukl
(1 − kxk2 )2
die hyperbolische Metrik auf dem offenen Einheitsball B1 (0) ⊂ Rn sei.
Bemerkung. Mn−1 ist eine vollständige Riemannsche Mannigfaltigkeit und
heißt der n-dimensionale hyperbolische Raum.
Satz 3.32. Der Modellraum Mnκ hat konstante Schnittkrümmung κ ∈ {0, ±1}.
Beweis. Für κ = 0 ist die Aussage klar. Für κ = −1 benutzen wir die Formel
aus Korollar 3.31 für g = f geukl mit f (x) = 4/(1 − kxk2 )2 . Für v = ∂/∂xi
und w = ∂/∂xj gilt
∂u
2xi
=
,
∂xi
1 − kxk2
also insbesondere
4kxk2
k grad uk2 =
,
1 − kxk2 )2
und
∂2u
2(1 − kxk2 ) + 4x2i
=
.
(1 − kxk2 )2
∂x2i
Damit folgt K̃(∂/∂xi , ∂/∂xj ) = −1 für i 6= j. Für κ = 1 ziehen wir gsph mit
Hilfe der stereographischen Projektion zurück zu der Metrik g = f geukl auf
Rn mit f (x) = 4/(1 + kxk2 )2 . Eine analoge Rechnung wie oben zeigt nun
K(∂/∂xi , ∂/∂xj ) = 1 für alle i 6= j.
Bemerkung. Durch Skalieren erhält man die Modellräume konstanter Krümmung Mnκ für alle κ ∈ R.
51
3.8
Zweite Variationsformel und Jacobifelder
Um die Natur kritischer Punkte des Energiefunktionals E zu untersuchen,
berechnen wir die zweite Variation.
Satz 3.33 (Zweite Variation der Energie). Sei γ : [a, b] → M eine Geodätische und H : (−ε, ε) × [a, b] → M eine C 3 -Variation von γ. Dann gilt
d2 E(γs ) =g(∇∂/∂s V (b), γ 0 (b)) − g(∇∂/∂s V (a), γ 0 (a))
ds2 s=0
Z b
k∇∂/∂t V k2g + g(R(V, γ 0 )V, γ 0 ) dt.
+
a
∂
∂
Beweis. Es bezeichne V = H∗ ( ∂s
) und W = H∗ ( ∂t
). Damit gilt
d
E(γs ) =
ds
Z
b
g(∇∂/∂t V, W ) dt
a
und daher
d2 E(γs ) =
ds2 s=0
Z
b
g(∇∂/∂s ∇∂/∂t V, W ) + g(∇∂/∂t V, ∇∂/∂s W ) dt
a
Z
=
b
g(∇∂/∂t ∇∂/∂s V, W ) + g(R(V, W )V, W ) + k∇∂/∂t V k2 dt
a
=g(∇∂/∂s V (b), γ 0 (b)) − g(∇∂/∂s V (a), γ 0 (a))
Z b
+
k∇∂/∂t V k2 + g(R(V, γ 0 )V, γ 0 ) dt,
a
da ∇∂/∂t W = 0.
Korollar 3.34. Für eine eigentliche Variation der Geodätischen γ gilt
d2 E(γs ) =
ds2 s=0
Z
b
k∇∂/∂t V k2g + g(R(V, γ 0 )V, γ 0 ) dt.
a
Definition 3.33. Ist (X, d) ein metrischer Raum, so heißt
diam(X) := {sup d(p, q) : p, q ∈ X} ∈ [0, ∞]
der Durchmesser von X.
Theorem 3.35 (Bonnet-Myers). Sei (M n , g) eine vollständige Riemannsche
Mannigfaltigkeit mit Ric ≥ (n − 1)g. Dann gilt diam(M ) ≤ diam(S n ) = π.
Insbesondere ist M kompakt.
52
Beweis. Seien p, q ∈ M mit p 6= q. Wir setzen d := d(p, q). Nach dem
Satz von Hopf-Rinow existiert eine kürzeste nach Bogenlänge parametrisierte
Geodätische γ : [0, d] → M von p nach q. Betrachte e ∈ Tp M mit e ⊥ γ 0 (0)
und e(t) das parallele Vektorfeld entlang γ mit e(t) = e. Setze
V (t) = sin( πd t)e(t)
und betrachte die eigentliche Variation
H(s, t) = expγ(t) sV (t)
mit Variationsvektorfeld V . Dann liefert die zweite Variationsformel
Z d
d2 k∇∂/∂t V k2g − g(R(γ 0 , V )V, γ 0 ) dt
E(γs ) =
0 ≤ 2
ds s=0
0
Z d
( πd )2 cos2 ( πd t) − sin2 ( πd t)g(R(γ 0 , e)e, γ 0 ) dt.
=
0
Ist nun {e1 , . . . , en−1 } eine Orthonormalbasis von γ 0 (0)⊥ , so ergibt sich durch
Summation über i die Ungleichung
Z d
0≤
(n − 1)( πd )2 cos2 ( πd t) − sin2 ( πd t) Ric(γ 0 , γ 0 ) dt
0
Z d
≤ (n − 1)
( πd )2 cos2 ( πd t) − sin2 ( πd t) dt
0
π 2 − d2
= (n − 1)
,
2d
die äquivalent ist zu d ≤ π. Insbesondere gilt diam(M ) ≤ π. Wegen HopfRinow impliziert dies die Kompaktheit von M .
Definition 3.34. Sei γ : [a, b] → M eine Geodätische. Für Vektorfelder
X, Y entlang γ setze
Z b
g(∇∂/∂t X, ∇∂/∂t Y ) − g(R(X, γ 0 , )γ 0 , Y ) dt.
Iγ (X, Y ) =
a
Die symmetrische Bilinearform
Iγ : Γ(γ ∗ T M ) × Γ(γ ∗ T M ) → R
heißt Indexform von γ.
Obige Definition ist gerade so gemacht, dass für eine eigentliche Variation H
der Geodätischen γ mit Variationsvektorfeld V gilt
d2 E(γs ) = Iγ (V, V )
ds2 s=0
53
denn g(R(V, γ 0 )V, γ 0 ) = −g(R(V, γ 0 , )γ 0 , V ).
Ist Iγ (X, Y ) = 0 für alle Y ∈ Γ(γ ∗ T M ) mit Y (a) = Y (b) = 0, so gilt wegen
Iγ (X, Y ) =g(∇∂/∂t X(b), Y (b)) − g(∇∂/∂t X(a), Y (a))
Z b
g(∇∂/∂t X, ∇∂/∂t Y ) + g(R(X, γ 0 , )γ 0 , Y ) dt
−
a
dass ∇∂/∂t ∇∂/∂t X + R(X, γ 0 )γ 0 = 0.
Ist weiterhin H eine geodätische Variation, d.h. die Kurven γs sind Geodätische für alle s ∈ (−ε, ε), dann gilt für das Variationsvektorfeld V
∇∂/∂t ∇∂/∂t V =∇∂/∂t ∇∂/∂s W = ∇∂/∂s ∇∂/∂t W + R(W, V )W
= − R(V, γ 0 )γ 0
∂
wobei wir wie im Beweis der zweiten Variationsformel V = H∗ ( ∂s
) und
∂
W = H∗ ( ∂t ) gesetzt haben.
Dies zusammen motiviert folgende Definition:
Definition 3.35. Sei γ : [a, b] → M eine Geodätische. Ein Vektorfeld V
entlang γ heißt Jacobi-Feld falls gilt
∇∂/∂t ∇∂/∂t V + R(V, γ 0 )γ 0 = 0.
Bemerkung. Die Jacobi-Feld-Gleichung ist ein System linearer Differentialgleichung zweiter Ordnung, für v, w ∈ Tγ(a) M existiert also genau ein JacobiFeld entlang γ mit V (a) = v und (∇∂/∂t V )(a) = w. Insbesondere ist der
Raum der Jacobi-Felder entlang γ ein reeller Vektorraum der Dimension 2n,
wobei n = dim M .
Die Nützlichkeit dieses Begriffes offenbar sich bereits im folgenden Lemma:
Lemma 3.36. Für 0 6= v ∈ Dp ⊂ Tp M und w ⊥ v gilt
(D expp (v))v = γv0 (1)
und
(D expp (v))w = V (1)
wobei V das Jacobi-Feld entlang γv mit V (0) = 0 und (∇∂/∂t V )(0) = w ist.
Beweis. Die erste Aussage ist klar, vergl. den Beweis des Gauß-Lemmas. Für
die zweite Aussage betrachte die geodätische Variation
γs (t) = expp t(v + sw)
mit zugehörigem Variationsvektorfeld V . Dann gilt V (1) = (D expp (v))w
und V (0) = 0 sowie (∇∂/∂t V )(0) = (∇∂/∂s H∗ (∂/∂t))(0) = w.
54
Herunterladen