Könnte es sein, dass die im folgenden Artikel bezeugte Wahrheit

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G e m eindel eb e n · Le h re
Könnte es sein, dass die im folgenden Artikel
bezeugte Wahrheit fremd und unrealistisch
erscheint? Der Autor hofft, dass sie „revolutionär
wirkt“, fügt allerdings hinzu, dass man sich
„genügend Zeit zum Hinhören“ lassen soll.
Wer bin ich wirklich?
von Wolfram Kopfermann
I
n meinem ersten Artikel (siehe die
letzte Ausgabe von Charisma) versuchte ich deutlich zu machen, dass nach
Paulus die Befreiung von der Macht
der Sünde mit dem Tod meines „alten Menschen“ zusammenhängt. Dieser „alte
Mensch“ wurde am Kreuz Jesu getötet, damit
Raum würde für das Leben Jesu in mir. Jeder
Gläubige darf sich darauf verlassen, dass er
durch die Wiedergeburt mit Jesus innig verbunden, dass er jetzt „in Christus“ ist.
Das Neue Testament betont den Vorrang
des Seins vor dem Tun. Wer wir sind, entscheidet darüber, wie wir uns verhalten. Die
Qualität des Baumes bestimmt die Qualität seiner Früchte. Der Christ macht nun die Beobachtung, dass sein „alter Mensch“, obwohl er
doch gekreuzigt ist, sich nicht einfach in Luft
aufgelöst hat, dass er sich auch in dem neuen Leben noch bemerkbar macht. Von daher
taucht die Frage auf: Wer bin ich wirklich?
Worin besteht meine wahre Identität?
Eine doppelte Identität?
Auf diese Frage hat Martin Luther (1483–1546)
eine berühmte Antwort gegeben, die das Denken sehr vieler Christen über Jahrhunderte
prägte. Er lehrte, der Christenmensch sei „gerecht und Sünder zugleich“. Er schrieb dem
Gläubigen also eine doppelte Identität zu. Dies­
begründete er mit seinem Verständnis von Römer 7,7–25. Dort begegnet uns ein Ich, das über
seine innere Zerrissenheit klagt: „Das Gute, das
ich will, das tue ich nicht, das Böse aber, das
ich nicht will, das tue ich.“ Luther war überzeugt, dass nur ein wahrer Christ so sprechen
könne. Auch Galater 5,16–18 war dem Reformator wichtig. Er glaubte, diese Stelle rede
von dem Kampf des Heiligen Geistes gegen das
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menschliche Fleisch im Herzen des Gläubigen.
Es gehe hier um ein lebenslanges Ringen, bei
dem das Fleisch sich immer wieder durchsetze.
Ich halte Luther für eine Jahrtausendgestalt, der wir alle unermesslich viel verdanken. Und doch geht das Neue Testament in
dieser Frage von einer anderen Sicht aus. Der
Gläubige besitzt nur noch eine Identität. Er
ist kein Sünder mehr (vgl. Röm 5,8), auch
wenn er noch sündigen kann und dies ja leider auch tut. Ein Prinz bleibt eben auch dann
ein Prinz, wenn er sich nicht wie ein solcher
in der Öffentlichkeit verhält. Das entschuldigt ein mögliches Fehlverhalten natürlich
nicht. Ein Christ bleibt ein dieser alten Welt
Entrissener, ein für Gott Zurückgewonnener, ein Heiliger, auch wenn er akut sündigt.
Das Problem, um das es an dieser Stelle geht,
verdient mehr als nur theoretisches Interesse.
Denn: Je nach der Antwort auf die Frage, ob
wir eine Identität oder zwei Identitäten besitzen,
werden wir unser Christsein unterschiedlich
ausleben. Wir wollen uns dazu einige zentrale Paulustexte ansehen.
Die Zeit des „Ich-Lebens“ ist vorbei
Das Ich-Leben, der alte Mensch, gehört nach
Paulus der Vergangenheit an. „Nicht mehr ich
lebe, sondern Christus lebt in mir“, heißt es im
Brief an die Galater (2,20). Die Zeit des Ich-Lebens ist vorbei, sie ist abgelöst durch die Chris­
tus-Zeit. Warum dies so ist, sagt Römer 6,6:
„Unser alter Mensch wurde (auf Golgatha) mitgekreuzigt“ und durch die Wiedergeburt wurden wir in das neue Christusleben einbezogen.
Den nichtchristlichen Menschen in seiner
Gottabgewandtheit und Gottfeindlichkeit bezeichnet Paulus als „Fleisch“. Fleisch ist also
der ganze unerlöste Mensch nach Geist, Seele
und Leib, nicht nur ein böser Teil an ihm. Die
Ungläubigen sind so sehr Gefangene des Fleisches, dass Paulus ihnen ein Sein „nach“ dem
Fleisch (Röm 8,5) bzw. ein Sein „im“ Fleisch
(Röm 8,8), also eine vom Fleisch bestimmte
Existenzweise zuschreibt. Aber Gott hat im
Tod Jesu unser Fleisch hingerichtet (Röm 8,3),
und die Christen haben bei ihrer Taufe dieses Todesurteil unterschrieben (Gal 5,24). Sie
können dem Fleisch noch Raum geben, müssen es aber nicht mehr. Ihre Existenz ist eine
vom Heiligen Geist bestimmte, wie Römer 8,9
lehrt: „Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern
im Geist“. Das bedeutet: Für die Gläubigen gehört das Leben im Fleisch der Vergangenheit
an, jetzt gilt: Sie sind Gottes Söhne, vom Geist
geleitet (Röm 8,14).
Kein Nebeneinander von Alt und Neu
Nach 2. Korinther 5,17 ist der Gläubige ein
neues Geschöpf in Christus. Er ist es nicht nur
teilweise: „Das Alte ist vergangen – Neues ist
geworden.“ Man muss dieser Aussage wirklich
Gewalt antun, um in ihr eine Koexistenz von
Alt und Neu bezeugt zu finden. Was immer der
Gläubige in sich und an sich beobachten wird:
Seine Identität bleibt von daher bestimmt, dass
er in Christus eine neue Schöpfung – und nur
eine neue – ist. Weil mit dem Kreuzestod Jesu
Christi die alte Schöpfung beendet wurde und
mit seiner Auferstehung die neue begann, ist
nun der Christ als Teilhaber der Osterwirklichkeit selbst ein neues Geschöpf.
Die Herrin Sünde wohnte in uns, solange
wir im Unglauben lebten. In Römer 7,17 und
20 spricht Paulus von der „in mir wohnenden
Sünde“. Das ist einer der Gründe, warum Römer 7,7–25 nicht vom normalen Christsein
reden kann: Paulus sagt etwas Derartiges an
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