Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden

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Studie
Die Krise im Euroraum nachhaltig
überwinden
Stand: April 2014
www.vbw-bayern.de
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Vorwort
X
v bw – April 2014
Vorwort
Die Gemeinschaft stärken, weiteren Krisen vorbeugen
Die bayerische Wirtschaft bekennt sich klar zum Euro. Als stark exportorientiertes Land
profitiert Bayern in besonderem Maße von der gemeinsamen europäischen Währung.
Es ist notwendig, den Euroraum dauerhaft zu erhalten und die Staatsschuldenkrise in
ihren Ursachen zu überwinden. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat Schwächen in der
institutionellen Architektur der Eurozone und in einigen ihrer Mitgliedstaaten gezeigt.
Diese Schwächen müssen aufgearbeitet werden.
Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des renommierten ZEW Zentrum für Europäische
Wirtschaftsforschung in Mannheim, hat im Auftrag der vbw Möglichkeiten für eine
nachhaltige Überwindung der Krise untersucht. Die Studie stellt fest, dass bei den bisherigen Schritten zur Stabilisierung der Eurokrisenstaaten und der Stärkung ihrer
Wachstumskräfte die Richtung stimmt. Eine endgültige Entwarnung ist das nicht: Es
muss sich noch erweisen, ob sich die Länder auf einem stabilen Pfad der Schuldentrag- und Wettbewerbsfähigkeit befinden.
Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist, dass es bei einer dezentral orientierten
Fiskalunion bleibt: Fiskalpolitik und Staatsverschuldung sind weiterhin Sache der Mitgliedstaaten, werden aber auf europäischer Ebene koordiniert und überwacht. Dieser
dezentrale Ansatz entspricht auch der Haltung der vbw.
Auf dieser Grundlage entwickelt die Studie einen Ordnungsrahmen für die dauerhafte
Überwindung der Verschuldungsproblematik in Europa. Kern ist die Konzeption eines
Umschuldungsverfahrens für überschuldete Mitgliedstaaten einschließlich eines Übergangspfads, um das Umschuldungsverfahren einzurichten.
Die vbw will mit der Vorlage dieser Überlegungen die Diskussion über Wege und Verfahren anstoßen, wie einer erneuten Verschuldungskrise im Euroraum vorgebeugt
werden kann. Gemeinsames Ziel muss es sein, langfristige Stabilität der Wirtschaftsund Währungsunion in Europa zu gewährleisten.
Bertram Brossardt
01. April 2014
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Inhalt
v bw – April 2014
Inhalt
1
Der Weg zu einem neuen Ordnungsrahmen............................................... 1
2
Einleitung ........................................................................................................ 5
3
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern ................................... 6
3.1
Qualität der Konsolidierung öffentlicher Haushalte ......................................... 6
3.2
Private Verschuldung ....................................................................................... 9
3.3
Wettbewerbsfähigkeit und außenwirtschaftliche Ungleichgewichte ............. 11
3.4
Finanzsektorstabilität ..................................................................................... 16
3.5
Analyse von Indikatoren zur Reformbereitschaft........................................... 23
3.6
Fazit ................................................................................................................ 27
4
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone ................................... 29
4.1
Zentral versus dezentral orientierte Fiskalunion............................................ 29
4.2
Bisherige Reformen und Maßnahmen des Krisenmanagements ................. 30
4.3
Zentral orientierte Fiskalunion kurz- bis mittelfristig wenig realistisch .......... 31
4.4
Das Konzept einer Eurozone mit dezentral orientierter Fiskalpolitik ............ 32
4.5
Dezentrale Verantwortung für die Fiskalpolitik und der Zusammenhang zur
Regulierung des Finanzsektors ..................................................................... 32
4.6
Welche Rolle spielt die Koordination und gemeinsame Überwachung der
nationalen Fiskalpolitiken? ............................................................................. 33
4.7
Die Rolle des ESM ......................................................................................... 34
4.8
Die Neuordnung des Finanzsektors: Europäische Bankenunion.................. 35
4.9
Flexibilität der Arbeits- und Produktmärkte: Die Anpassungsunion .............. 37
5
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone .................................... 39
5.1
Ausgangspunkt............................................................................................... 39
5.2
5.2.1
Das langfristig zu etablierende Verfahren ..................................................... 40
Modelle in der Diskussion .............................................................................. 41
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Inhalt
v bw – April 2014
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.2.5
5.2.6
5.2.7
Grundentscheidung: Flexible Verhandlungslösung versus definiertes
Verfahren ........................................................................................................ 41
Das Insolvenzverfahren ................................................................................. 43
Trigger ............................................................................................................ 43
Organisation der Verhandlungen ................................................................... 44
Ausmaß des Schuldenschnitts....................................................................... 45
Absicherung gegen Holdouts und Litigation .................................................. 47
5.3
Die Brücke ...................................................................................................... 48
5.4
Abschließende Überlegungen........................................................................ 51
Literaturverzeichnis etc................................................................................................... 52
Abbildungsverzeichnis .................................................................................................... 55
Tabellenverzeichnis ........................................................................................................ 56
Anhang zu Kapitel 2.1 .................................................................................................... 57
Anhang zu Kapitel 3.4 .................................................................................................... 60
Anhang zu Kapitel 5: Überblick über in der Literatur entwickelte
Umschuldungsverfahren ................................................................................ 62
Ansprechpartner / Impressum ........................................................................................ 67
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Der Weg zu einem neuen Ordnungsrahmen
1
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1
Der Weg zu einem neuen Ordnungsrahmen
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Krisenländer der Eurozone haben erste sichtbare Fortschritte bei der Anpassung
im Hinblick auf eine Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und der Konsolidierung
öffentlicher und privater Haushalte erzielt. So weisen etwa die meisten GIIPS-Länder
(Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien) seit dem letzten Jahr erstmals
Überschüsse in ihren von Konjunktureinflüssen und Zinszahlungen bereinigten öffentlichen Haushalten auf. Überwiegend gingen die Konsolidierungserfolge auf eine Verringerung der öffentlichen Konsumausgaben zurück, meist wurden aber auch die wachstumsfördernden Investitionsausgaben gesenkt. Eine Steigerung der Primäreinnahmen
gelang insbesondere in Griechenland, Italien und Portugal. Die Verschuldung der Unternehmen und Haushalte ist nach wie vor hoch und belastet immer noch das Ausgaben- und Investitionsverhalten, was die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den Krisenländern verlangsamt. Eine gewisse Stabilisierung der privaten Schuldenstandsquoten hat in Portugal und Griechenland eingesetzt und in Spanien ist sogar ein Rückgang
festzustellen. In Irland allerdings ist der private Schuldenstand mit einer Quote von
über 300 Prozent immer noch untragbar hoch.
Wichtige Indikatoren zur Wettbewerbsfähigkeit und zu den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten zeigen Anpassungen, die in die richtige Richtung gehen. Sinkende
relative Lohnstückkosten, insbesondere in Griechenland, Irland, Spanien und Portugal
verbesserten die internationale preisliche Wettbewerbsfähigkeit dieser Volkswirtschaften in den vergangenen Jahren stetig. In Italien hingegen hat lediglich die Abwertung
des Euro gegenüber wichtigen Währungen zu einer leichten Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit geführt und in Zypern halten sich Lohnstückkostenanpassungen und
nominale Anpassungen ungefähr die Waage. Auch die teilweise enormen Leistungsbilanzdefizite der peripheren Eurozonen-Länder haben sich seit dem Jahr 2008 kontinuierlich reduziert. Hinter diesen gleichförmigen Anpassungsprozessen stehen ebenfalls
unterschiedliche Mechanismen in den einzelnen GIIPS-Ländern. Während die Reduktion der Leistungsbilanzdefizite in Griechenland und Zypern vor allem auf fallende Importe zurückgeht, tragen inzwischen in Spanien, Irland und Portugal auch Exporterfolge zu einem Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte bei. Bei der Betrachtung von Wettbewerbsfaktoren, die auf eine Veränderung der nicht-preislichen Wettbewerbsfähigkeit abzielen, wie das unternehmerische Umfeld oder der Zugang zu dynamisch wachsenden Schwellenländern, können vereinzelt ebenfalls leichte Verbesserungen festgestellt werden.
Der Finanzsektor in den Krisenstaaten hat sich beruhigt mit aktuell deutlich geringerer
Unsicherheit als zur Hochzeit der Finanz- und Schuldenkrise. Allerdings sind die Bilanzen der Banken in den Krisenländern noch durch ausfallgefährdete Kredite belastet
und die Neuvergabe von Krediten an den privaten Sektor ist im Vergleich zum Vorkrisenniveau auffallend restriktiv. Unternehmen sehen sich schwierigen Bedingungen für
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Der Weg zu einem neuen Ordnungsrahmen
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die Aufnahme von Krediten zur Finanzierung von Investitionen gegenüber und können
daher kaum Wachstumsimpulse für die Gesamtwirtschaft geben.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Tendenz der Anpassungen stimmt. Ob die Länder
auf einen nachhaltigen Pfad der Schuldentrag- und Wettbewerbsfähigkeit eingeschwenkt sind, muss sich allerdings erst noch erweisen. Eine Entwarnung zur Krise
kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem die meisten der betrachteten Länder sich
erst auf einen fragilen Erholungspfad befinden, noch nicht gegeben werden. Nach wie
vor ist die wirtschaftliche Situation in den Peripherieländern instabil, das Wirtschaftswachstum ist schwach, die Arbeitslosigkeit hoch und trotz nachweisbarer Konsolidierungsfortschritte sind die privaten und öffentlichen Schuldenstände immer noch deutlich erhöht und belasten das Wirtschaftswachstum. Für einen Abbau des Schuldenüberhangs genügt es nicht, ausgeglichene Haushalte vorzulegen, sondern es müssen
Primärüberschüsse über einen längeren Zeitraum erzielt werden. Außerdem besteht
immer noch Rückschlagpotential durch den Finanzsektor. Aktuell hat sich die Lage dort
zwar beruhigt, aber die Bilanzen der Banken in den Krisenländern sind noch nicht in
Ordnung, und Befürchtungen über die Insolvenz von Instituten können jederzeit wieder
zu einer Zunahme der Unsicherheit im Finanzsektor führen.
Ein wichtiges Element des Anpassungsprozesses stellen strukturelle Reformen auf den
Arbeits- und Produktmärkten dar. Umfragen der Europäischen Kommission zeigen
auch, dass das Reformbewusstsein seit Ausbruch der Krise in der Bevölkerung der
GIIPS-Länder zugenommen hat. In den nächsten Jahren wird viel Arbeit sowohl der
EU als auch der jeweiligen Nationalregierungen notwendig sein, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und somit die Reformprozesse erfolgreich weiterführen zu können.
Entscheidend für die Überwindung der Krise ist außerdem, dass es gelingt, die institutionelle Architektur der Eurozone so zu reformieren, dass sie langfristig wirtschaftliche
und finanzielle Stabilität verspricht. Im Bereich der öffentlichen Finanzen, der bei den
institutionellen Reformen in Europa eine Schlüsselrolle spielt, geht es im Kern um zwei
Fragen:
– Wer entscheidet über staatliche Einnahmen, Ausgaben und über die Staatsverschuldung?
– Wer haftet für Staatsschulden?
Wirtschaftliche Stabilität und wirksame demokratische Kontrolle der Fiskalpolitik sind
nur dann erreichbar, wenn Kontrolle und Haftung auf der gleichen Ebene angesiedelt
werden. Theoretisch wäre es denkbar, eine zentral orientierte Fiskalunion in Europa
anzustreben, in der zentral über Fiskalpolitik entschieden wird und für Staatsschulden
eine Gemeinschaftshaftung existiert. Für die dazu erforderlichen Integrationsschritte
fehlt derzeit jedoch die Bereitschaft der Bürger in den meisten Mitgliedstaaten.
Realistisch erscheint derzeit nur eine dezentral orientierte Fiskalunion, in der die Gestaltung der Fiskalpolitik einschließlich der Staatsverschuldung zwar auf europäischer
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Der Weg zu einem neuen Ordnungsrahmen
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Ebene koordiniert und überwacht, letztlich aber von den Mitgliedstaaten kontrolliert
wird. Für dieses institutionelle Arrangement ist es von fundamentaler Bedeutung, dass
im Fall der Überschuldung eines einzelnen Mitgliedstaates die privaten Gläubiger dieses Staates haften. Eine Schwäche des bisherigen institutionellen Rahmens der Währungsunion bestand darin, dass eine solche staatliche Insolvenz die Finanzstabilität in
der Währungsunion bedrohte, vor allem deshalb, weil Banken stark in heimischen
Staatsanleihen engagiert waren und teilweise wenig haftendes Kapital vorhielten. Für
die Zukunft ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, die Solidität des europäischen Bankensystems zu erhöhen sowie die gegenseitige finanzielle Abhängigkeit von
nationalen Regierungen und nationalen Bankensystemen zu mindern. Das leistet die
Europäische Bankenunion. Darüber hinaus ist ein transparentes und glaubwürdiges
Verfahren für staatliche Insolvenzen erforderlich, das es erlaubt, Staatsschulden zu
restrukturieren, ohne dass die Finanzstabilität in der Eurozone bedroht wird.
Die Etablierung eines solchen Insolvenzverfahrens ist mit einer zentralen Herausforderung konfrontiert: Ein derartiges Verfahren ist zwar einerseits ein notwendiger institutioneller Bestandteil einer dezentral organisierten Anpassungsunion. Andererseits wäre
seine Etablierung im heutigen immer noch fragilen Umfeld mit erheblichen Risiken verbunden.
Vor diesem Hintergrund entwickelt diese Studie das Euro-VIPS-Modell (VIPS: „Viable
Insolvency Procedure for Sovereigns“). Die Grundidee dieses Modells ist es, die Etablierung eines dauerhaften Insolvenzverfahrens mit einem Übergangspfad zu verbinden,
der die Risiken einer Destabilisierung minimieren würde.
Das mit Euro-VIPS langfristig zu errichtende Insolvenzverfahren wäre durch folgende
Merkmale gekennzeichnet: ESM-Kredithilfen werden auf eine Schutzperiode von drei
Jahren streng begrenzt. Ist das Schuldnerland der Auffassung, dass es dann nicht zu
„akzeptablen“ Konditionen an den Kapitalmarkt zurückkehren kann, bleibt ihm nur der
Ausweg, ein Insolvenzverfahren zu beantragen. Die dann beginnenden Verhandlungen
über das Ausmaß des notwendigen Schuldenschnitts werden vom ESM moderiert. In
der auf maximal ein Jahr begrenzten Verhandlungsphase stellt der ESM weitere Liquidität bereit, um das sozial notwendige Ausgabevolumen des betreffenden Staates zu
gewährleisten. Das Ausmaß des Schuldenschnitts ist zu verhandeln und muss die anschließende Kapitalmarktfähigkeit des Landes gewährleisten. Um den Gläubigern einen „Erwartungs-Anker“ zu bieten, wird allerdings ausgeschlossen, dass der Schuldenschnitt die Staatsverschuldung unter 60 Prozent des BIP drücken könnte. Die ESMKredite aus der dreijährigen Schutzperiode verfügen über keinen bevorrechtigten
Gläubigerstatus, die anschließenden sozial notwendigen Kredite jedoch sehr wohl.
Eine Absicherung gegen Rechtsstreitigkeiten über die Umschuldung erfolgt durch Verankerung der Immunität der Aktiva von ESM-Programmländern im ESM-Vertrag.
Der Übergangspfad bis zur Etablierung des skizzierten Verfahrens folgt der Grundidee
der „verzögerten Implementation“: Bereits heute wird eine Entscheidung mit Bindungswirkung für die Zukunft getroffen. Das beschriebene Insolvenzverfahren wird schon
heute durch eine Vertragsänderung im ESM-Vertrag in allen Details kodifiziert; das
Verfahren tritt aber erst nach einem Stichtag in Kraft. Der Stichtag wird folgenderma-
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ßen definiert: Es handelt sich spätestens um ein festgelegtes Datum (z. B. 1.1.2030)
oder aber vorher, wenn die durchschnittliche Schulden-BIP-Quote in der Eurozone
unter einen bestimmten Schwellenwert gesunken ist und der Bankenrestrukturierungsfonds seine Zielausstattung erreicht hat. Diese Bedingungen spiegeln die Notwendigkeiten wider, einerseits einen verbindlichen Termin für die Etablierung zu fixieren und
andererseits eine weitere Verbesserung der Fundamentaldaten in der Eurozone abzuwarten.
Bereits heute würden im Euro-VIPS-Modell unmittelbar wirksame Vorbereitungen eingeleitet: Die heutigen für ESM-Mitgliedstaaten verbindlichen Collective-Action-Clauses
(CAC) bei der Emission von Staatsanleihen sind durch Aggregationsklauseln zu verbessern. Solche Aggregationsbestimmungen erleichtern Einigungen der Gläubiger
über verschiedene Anleiheemissionen hinweg. Außerdem würden Bestimmungen zur
Laufzeitstruktur neu begebener Staatsanleihen in Kraft treten. Dadurch würden bestimmte (durchschnittliche) Mindestlaufzeiten gewährleistet, die später den Kreditbedarf in einer dreijährigen ESM-Schutzperiode begrenzen würden. Schließlich sollte
schon heute ein Prozess begonnen werden, die Privilegierung staatlicher Schuldner
durch die Nullgewichtung im Bankeneigenkapital zu beenden.
Euro-VIPS wäre geeignet, einen glaubwürdigen Übergang in ein langfristig sinnvolles
und bei dezentraler Fiskalpolitik unverzichtbares neues Verfahren zu gestalten. Bleibt
eine solche Präzisierung des Insolvenzverfahrens aus, dann entwickelt sich die Eurozone hingegen in Richtung eines kaum funktionstüchtigen Hybrids: Eine weiterhin dezentrale Finanzpolitik bliebe auf absehbare Zeit kombiniert mit faktischer fiskalischer
(und monetär abgesicherter) Gemeinschaftshaftung. Dies würde die Erfolgsaussichten
des Projekts europäische Integration deutlich verringern.
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Einleitung
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2
Einleitung
Stabilisierung, Wachstumsimpulse und eine neue Architektur für die Währungsunion
Die Verschuldungskrise im Euroraum ist nicht überwunden. Durch die Ankündigung der
Europäischen Zentralbank, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, ist die
Krise allerdings in eine neue Phase getreten. Vor dieser Ankündigung stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit die Sorge, dass größere Mitgliedstaaten wie Spanien oder
Italien den Zugang zu privatem Kapital verlieren und aus der Währungsunion austreten
könnten. Nun sind die Probleme der anhaltenden Wachstumsschwäche und der wachsenden Arbeitslosigkeit in Südeuropa sowie die zunehmende Divergenz in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Kern und Peripherie in den Vordergrund getreten.
Gleichzeitig scheint sich Reformmüdigkeit breitzumachen. Forderungen, den Kurs der
fiskalischen Konsolidierung aufzugeben und neue Konjunkturprogramme aufzulegen,
werden lauter. Darüber hinaus werden Reformen auf europäischer Ebene, insbesondere das Projekt der Europäischen Bankenunion, trotz vorhandener Fortschritte langsamer umgesetzt als vielfach erwartet und erhofft.
Um die Krise nachhaltig zu überwinden, müssen Fortschritte bei der Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit, bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte, dem Abbau der
privaten Verschuldung sowie bei der Verbesserung der Finanzierungsbedingungen für
Unternehmen in den besonders von der Krise betroffenen Ländern erzielt werden. Um
die langfristige Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion zu gewährleisten, muss
sich die Gruppe der Mitgliedstaaten auf eine neue Architektur der Währungsunion einigen.
Das Gutachten untersucht in einem ersten Schritt, in welchem Umfang in den einzelnen Bereichen Fortschritte und Anpassungen in Richtung einer Überwindung der Krise
erzielt worden sind. Dazu wird in Kapitel 3 quantitativ der Verlauf der bisherigen Anpassungen der Euro-Krisenstaaten (Griechenland, Portugal, Irland, Italien, Spanien,
und Zypern) insbesondere im Hinblick auf wachstumsrelevante Faktoren wie Wettbewerbsfähigkeit und die Art der öffentlichen Konsolidierung analysiert und bewertet.
Dieser Teil arbeitet heraus, welche Länder sich immer noch in einer kritischen Verfassung befinden und wo die bisherige und geplante öffentliche Konsolidierung wachstumsfördernd bzw. –hindernd ist.
In Kapitel vier werden, aufbauend auf der Problemanalyse des ersten Kapitels, die wesentlichen Elemente eines Ordnungsrahmens für eine dauerhafte Überwindung der
(Staats-) Verschuldungsproblematik in Europa skizziert.
Kapitel fünf fokussiert auf ein bisher noch zu wenig diskutiertes, aber sehr bedeutendes Element der institutionellen Neuordnung der Eurozone: die Konzeption eines Umschuldungsverfahrens für überschuldete Mitgliedstaaten inklusive eines Übergangspfads zur Etablierung eines solchen neuen Verfahrens.
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Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
Verschuldung, Konsolidierung, Wettbewerbsfähigkeit, Stabilität und Reformbereitschaft
Die im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich angestiegenen
Zinsen auf Staatsanleihen der GIIPS-Staaten belasten deren öffentliche Haushalte.
Dies hat zur Folge, dass durchgeführte Konsolidierungsmaßnahmen aus den veröffentlichten Haushaltssalden nicht (oder nicht in vollem Umfang) ersichtlich sind.
3.1
Qualität der Konsolidierung öffentlicher Haushalte
Um dennoch einen Eindruck über etwaige Konsolidierungserfolge zu erhalten, wird der
Verlauf der Konsolidierungsanstrengungen in den GIIPS-Staaten 1 im Folgenden anhand des konjunkturbereinigten Primärsaldos in Relation zum Produktionspotential
(POT) 2 dargestellt. Die Kennzahl ermöglicht einen unverzerrten Einblick in die nationalen Konsolidierungserfolge, da zum einen konjunkturelle Einflüsse herausgerechnet
sind und zum anderen Zinszahlungen auf Staatsanleihen bei der Berechnung des
Staatsdefizits bzw. Staatsüberschusses nicht berücksichtigt werden.
Die Entwicklung des konjunkturbereinigten Primärsaldos in Prozent des Produktionspotentials seit der Gründung der Europäischen Währungsunion im Jahr 1999 ist in Abbildung 1 dargestellt. Mit Ausnahme von Portugal und Griechenland, die im gesamten
Zeitraum (Portugal) bzw. ab 2002 (Griechenland) keine konjunkturbereinigten Primärüberschüsse erzielt haben, schwanken die Primärsalden der verbleibenden Länder im
Zeitraum vor dem Ausbruch der Krise um einen ausgeglichenen konjunkturbereinigten
Saldo. Mit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 treten starke Einbrüche des konjunkturbereinigten Primärsaldos auf. Dies betrifft im Besonderen Irland,
Griechenland, Spanien und Portugal. Jedoch zeigt sich, dass in den vergangenen Jahren in allen Staaten erhebliche Konsolidierungsanstrengungen unternommen wurden.
Das konjunkturbereinigte Primärdefizit hat sich kontinuierlich verringert, sodass im Jahr
2013 alle betrachteten Staaten mit Ausnahme von Irland erstmals konjunkturbereinigte
Primärüberschüsse vorweisen konnten. Im Vergleich zu den starken Einbrüchen hat
jedoch auch Irland erhebliche Konsolidierungsanstrengungen untergenommen und
weist einen nur geringfügig negativen Saldo in Relation zum POT aus.
1
Die OECD stellt keine Daten für Zypern bereit. Werte für Deutschland w erden als Vergleichsmaßstab herangezogen.
Das Produktionspotential ist die Produktionsleistung, die bei Normalauslastung aller Produktionsfaktoren möglich
w äre, ohne Inflationsdruck aufzubauen.
2
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Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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Um über diese ersten Ergebnisse hinaus Rückschlüsse auf die Qualität der Konsolidierungserfolge zu ermöglichen, wird der relative Primärsaldo in seine Hauptbestandteile
zerlegt. Hierbei fassen wir die Jahre 2011 bis 2013 zusammen.
Ab b idung 1
Zeitliche Entwicklung des konjunkturbereinigten Primärsaldos in Relation zum
Produktionspotential
Quelle: OECD Economic Outlook
Eine individuelle Übersicht über die Zusammensetzung des Primärsaldos in den jeweiligen Kalenderjahren ist im Anhang dargestellt (Abbildung 19 und Abbildung 21). Eine
Verbesserung des Primärsaldos entsteht dabei durch eine Erhöhung der Primäreinnahmen, eine Senkung der konsumtiven Ausgaben und/oder eine Senkung der Investitionsausgaben. Unter konsumtiven Ausgaben versteht man Ausgaben, die ihren Nutzen in der laufenden Periode entfalten. Ein Beispiel hierfür sind die Verwaltungsausgaben des Staates. Investitionsausgaben entfalten ihren Nutzen in zukünftigen Perioden,
z. B. durch Investition in Sachanlagen, die der Volkswirtschaft langfristig nutzen.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten von Konsolidierungsmaßnahmen zeigt die wissenschaftliche Literatur, dass vor allem eine auf einer Senkung der konsumtiven Ausgaben
basierende Konsolidierung nachhaltig ist. Konsolidierungserfolge auf Basis von Einnahmesteigerungen werden hingegen schneller durch entsprechende Ausgabensteigerungen kompensiert. Darüber hinaus wirken sich Konsolidierungsmaßnahmen, die vor
allem an den Investitionen ansetzen, langfristig negativ aus, da der entstehende Investitionsstau in der Zukunft abgebaut werden muss (Alesina und Perotti, 1997; Europäische Kommission 2007; Perotti et al. 1998).
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Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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Die individuellen Konsolidierungsprofile der GIPS-Staaten (GIIPS ohne Irland) und
Deutschlands sind in Abbildung zwei dargestellt. 3 Hierzu sind die zugrundeliegenden
Daten so aufbereitet, dass Balken im negativen Bereich eine Verschlechterung des
Primärsaldos und Balken im positiven Bereich eine Verbesserung des Primärsaldos
implizieren. 4 Die angegebenen Werte hinter den Länderbezeichnungen geben die Gesamtverbesserung des Primärsaldos im Untersuchungszeitrum an.
Ab b ildung 2
Konsolidierungsprofil GIPS (GIIPS ohne Irland) und Deutschland 2011-2013
Quelle: OECD Economic Outlook
Insgesamt lässt sich ein positives Fazit ziehen: Ein großer Anteil der Konsolidierungserfolge ist auf eine Verringerung der Konsumausgaben zurückzuführen. Darüber hinaus haben Griechenland und Italien deutliche relative Steigerungen der Primäreinnahmen zu verzeichnen, was insbesondere für Griechenland positiv zu bewerten ist. Die
Investitionsausgaben hingegen wurden in Relation zum POT nur geringfügig verringert.
Jedoch muss hierbei vor zu positiven Schlussfolgerungen gewarnt werden. Zwar wei-
3
Zur Stützung der irischen Banken hatte die irische Regierung in den Jahren 2009 und 2010 erhebliche Kapitalzahlungen geleistet. Diese Kapitaltransfers sind entsprechend der zugrundeliegenden Definition in den hier verw endeten
Investitionsausgaben enthalten und w urden in den Jahren 2011 bis 2013 w ieder zurückgeführt. Aufgrund der somit
entstehenden starken Verzerrung der irischen Investitionsausgaben wird die Zerlegung des Primärsaldos in seine Bestandteile für Irland nicht abgebildet.
4
Die individuellen Schritte der Zerlegung des Primärsaldos sind im Anhang abgebildet (Fehler! Verweisquelle konnte
nicht gefunden w erden. im Anhang).
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Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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sen die Staaten im Verhältnis zum POT nur geringfügige Verringerungen der Investitionen aus, jedoch ergibt sich ein anderes Bild, wenn die Werte in Relation zum Ausgangsniveau der Investitionen gesetzt werden. Mit Bezug auf die absolute Höhe der
Bruttoinvestitionen im Jahr 2007 (Daten von Eurostat) haben Irland und Griechenland
ihre Bruttoinvestitionen beispielsweise um ca. die Hälfte verringert. In Spanien kam es
zu einer Reduktion um ein Drittel, wohingegen die absoluten Investitionsausgaben in
Italien, Zypern und Portugal lediglich um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen sind.
Zusammengefasst hat sich somit trotz der im Vergleich zum POT niedrigen Investitionskürzungen ein erhebliches Investitionspotential angestaut, das in den kommenden
Jahren abgebaut werden sollte.
3.2
Private Verschuldung
Neben der hohen öffentlichen Verschuldung sowie der oftmals angespannten finanziellen Situation der Banken bestehen auch im Bereich der privaten Verschuldung der hier
betrachteten Länder zumeist weiterhin Probleme. Die Verschuldung der Unternehmen
(nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften) und der Privathaushalte ist bei überhöhtem Niveau ebenfalls mit wachstumshemmenden Mechanismen verbunden.
Ab b ildung 3
Privater Schuldenstand (konsolidiert)
Quelle: Eurostat
Haushalte kürzen ihre Ausgaben und der Konsum sinkt, Firmen können angesichts der
Schuldenlast kaum investieren und anfallende Kreditausfälle verringern das Eigenkapi-
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Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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tal der Banken, welche wiederum weniger Kredite vergeben. Zusätzlich erhöht ein hohes Niveau der privaten Verschuldung die Anfälligkeit einer Volkswirtschaft gegenüber
Vermögenspreisschocks, z. B. gegenüber einbrechenden Immobilienpreisen.
Ab b ildung 4
Privater Kreditfluss (konsolidiert), Zerlegung
Quelle: Eurostat, eigene Berechnungen
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Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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Angesichts dieser möglichen negativen Effekte einer überhöhten privaten Verschuldung definiert die EU-Kommission im Rahmen ihres „Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit“ einen Schwellenwert von 160 Prozent des BIP. Dieser Schwellenwert wird
im Jahr 2012 lediglich von Griechenland und Italien mit jeweils etwa 130 Prozent des
BIP unterschritten. Die anderen Länder liegen deutlich über dieser Marke, wobei Irland
und Zypern mit privaten Schuldenständen von jeweils nahe 300 Prozent des BIP besonders hervorstechen. Ein Abbau der privaten Verschuldung scheint daher unumgänglich, ist jedoch außer in Spanien bisher kaum zu erkennen. Allerdings hat eine
gewisse Stabilisierung in den meisten Ländern eingesetzt.
Bezüglich dieser Stabilisierung der privaten Verschuldungsquote ist es von Bedeutung,
inwieweit sie tatsächlich durch einen Abbau der Privatverschuldung (negativer Kreditfluss) zustande kommt und welche Rolle Bewegungen im BIP spielen. Abbildung vier
stellt eine Zerlegung der jeweiligen Anteile von Kreditfluss und BIP Wachstum dar und
zeigt, dass tatsächlich ein Abbau der privaten Verschuldung zu beobachten ist. Die
nach wie vor steigende private Schuldenquote ist demnach oft auf ein schrumpfendes
BIP zurückzuführen. Gerade in Portugal, Spanien und Griechenland sinkt der private
Schuldenstand, während dieser in Zypern unvermindert und in Irland nach kurzem
Knick erneut steigt. Es ist jedoch zu beachten, dass nicht jede Rückführung des privaten Schuldenstandes automatisch einer Gesundung entspricht. Es gilt beispielsweise
Insolvenzen und Übernahmen fauler Kredite transparent und möglichst regelgebunden
zu gestalten, um Unsicherheiten auch tatsächlich abzubauen anstatt diese zu verschärfen. Zudem ist zu beachten, dass es gilt, die Balance zwischen einem Abbau der
privaten Verschuldung und einer Gewährleistung produktiver Kreditvergabe nicht zu
halten. So gibt es beispielsweise in Spanien deutliche Anzeichen einer zu restriktiven
Kreditvergabe. In Irland zeigt sich zwar im Rahmen der langsam einsetzenden Erholung ein leicht ansteigender Wert der privaten Verschuldung, dennoch bleibt auch hier
die Kreditvergabe eingeschränkt. Gerade in der irischen Situation ist zudem der Schuldenstand nach wie vor untragbar hoch. Auch weist Irland von den betrachteten Ländern den höchsten Anteil notleidender Kredite auf (siehe Kapitel 3.4).
3.3
Wettbewerbsfähigkeit und außenwirtschaftliche Ungleichgewichte
Eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und ein nachhaltiger Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte sind essentielle Meilensteine auf dem Weg der wirtschaftlichen Gesundung der hier betrachteten Krisenstaaten. Seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 zeigen einige wichtige Indikatoren deutliche Anpassungsprozesse. Abbildung fünf und Abbildung sechs stellt exemplarisch die realen
effektiven Wechselkurse (real effective exchange rates, REER) auf Basis der Lohnstückkosten handelsgewichtet gegenüber 36 internationalen Handelspartnern sowie
die Leistungsbilanzsalden (LB) in Prozent des BIP dar.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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Ab b ildung 5
Wettbewerbsfähigkeit: Anpassungen REER und Komponenten
Ab b ildung 6
Wettbewerbsfähigkeit: Anpassungen Leistungsbilanz und Komponenten
Quellen Abbildungen 5 und 6: Europäische Kommission, Eurostat, eigene Berechnungen
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Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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In der Regel wird ein Rückgang des REER mit einer Verbesserung der relativen Wettbewerbsfähigkeit in Verbindung gesetzt, was den Abbau von Defiziten im Saldo der
Leistungsbilanz begünstigt. Nach deutlichem Anpassungsprozess liegt der reale effektive Wechselkurs in den betrachteten Ländern mit Ausnahme Italiens und Zyperns wieder nahe den Werten, die zu Beginn der europäischen Währungsunion beobachtet
wurden (Indexwert gleich 100 in 1999 in der Abbildung). In welcher Relation diese erreichte reale Abwertung zum gesamten Abwertungsbedarf der Krisenländer steht, ist
umstritten. Einige Beobachter sehen auf Grund schon vor der Euroeinführung bestehender Überbewertung einzelner Währungen einen realen Abwertungsbedarf von rund
30 Prozent (Goldman Sachs, 2012). Andere Wissenschaftler wiederum verorten den
realen Abwertungsbedarf unter Berücksichtigung moderner ökonomischer Theorie eher
in der Nähe von 10 Prozent für die Peripherie der Eurozone (Corsetti, Martin und Pesenti, 2013). Betrachtet man die Salden der Leistungsbilanzen (gemessen in Prozent
des BIP) zeigen sich auch hier deutliche Anpassungsentwicklungen.
Eine ausnahmslos positive Bewertung dieser Anpassung wäre jedoch verfrüht. Den
Anpassungsprozessen liegt eine Reihe von Faktoren zugrunde, welche nicht notwendigerweise auf eine nachhaltige Erholung schließen lassen. So ist die Anpassung der
REER zu einem gewissen Teil auch auf die Entwicklung des Eurowechselkurses zurückzuführen, die trendmäßig vor der Weltfinanzkrise eine Aufwertung und seit 2008
tendenziell eine leichte Abwertung des Euro erkennen lässt. Panel B in Abbildung fünf
zeigt daher die jeweiligen Wachstumsraten der relativen Lohnstückkosten und der nominalen Anpassungen über den effektiven Euro Wechselkurs (nominal effective
exchange rate, NEER). Der nominale Außenwert des Euro spielt im Vergleich zu den
Lohnstückkostenentwicklungen insgesamt eine eher untergeordnete Rolle – mit Ausnahme Italiens, wo die Verbesserung des REER nahezu allein auf die nominale Anpassung zurückgeht. In Zypern halten sich Lohnstückkostenanpassung und nominale
Anpassung auf niedrigem Niveau in etwa die Waage. Für Griechenland, Irland, Spanien und Portugal hingegen ist die Verbesserung der REER zum größten Teil auf sinkende relative Lohnstückkosten zurückzuführen. Hinter dieser Entwicklung stehen laut
einer aktuellen Studie des Internationalen Währungsfonds jedoch äußert unterschiedliche Mechanismen (IWF, 2013). In Spanien beispielsweise ist demnach nahezu der
gesamte Rückgang der Lohnstückkosten auf einen Anstieg der Entlassungsproduktivität zurückzuführen. In Portugal und Griechenland sind starke Entlassungseffekte und
tatsächliche Senkungen der Arbeitskosten in etwa gleichem Ausmaß auszumachen. In
Irland hingegen sind laut IWF fallende Arbeitskosten und Entlassungen nunmehr gemeinsam mit einer wieder leicht anziehenden Wirtschaftsleistung zu beobachten, was
auf eine leichte Gesundung schließen lassen könnte.
Hinsichtlich der Entwicklung der Leistungsbilanz ist es nach wie vor so, dass in manchen der betrachteten Länder sinkende Importe den Großteil des Rückgangs des Saldos ausmachen Abbildung sechs verdeutlicht, dass beispielsweise in Griechenland die
nominalen Importe von Gütern und Dienstleistungen zwischen 2008 und 2012 um über
30 Prozent gefallen sind. Auch für Zypern dominieren fallende Importe die Handelsbilanzveränderung seit 2008. Deutlich positive Impulse seitens des Exports sind dagegen in Spanien, Irland und Portugal zu erkennen. In Portugal und Spanien sind die
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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v bw – April 2014
Importe zwar zwischen 2008 und 2012 gefallen, die Verbesserung des Leistungsbilanzsaldos geht jedoch zu einem etwas stärkeren Teil auf die anziehenden Exporte
zurück. Irland weist sogar wachsende Importe auf, was in Einklang mit der leicht wachsenden Wirtschaftsleistung des Landes steht.
Insgesamt zeigt sich, dass hinter den homogen erscheinenden Anpassungsprozessen
sehr unterschiedliche Mechanismen stehen, die nicht notwendigerweise wirtschaftliche
Erholung reflektieren – vor allem wenn die Leistungsbilanz lediglich durch sinkende
Importe ins Positive dreht und eine Verbesserung der realen effektiven Wechselkurse
hauptsächlich durch Entlassungseffekte bei den Lohnkosten und dem Einfluss des
Eurowechselkurses getrieben ist.
Für einen nachhaltigen Abbau der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte wäre eine
stabile positive Entwicklung der Exporte wünschenswert. Gerade letztere kann auch
durch eine Verbesserung der nicht-preislichen Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden.
Zu diesem gleichsam wachstumsfördernden Ansatz zählen beispielsweise Reformen
bezüglich des unternehmerischen Umfelds („doing business“). Die Weltbank gibt hierzu
einen zusammenfassenden Indikator heraus, welcher 11 verschiedene Teilindikatoren
beinhaltet. 5 Um die relative Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft darzustellen, kann
der Abstand des Wettbewerbsfähigkeitsindikators für ein Land relativ zu dem Indikatorwert des besten Landes angegeben werden. Dieser Wert ist in Abbildung 7 dargestellt. Während Irland klar den relativ besten Wert aufweist, zeigen sich vor allem für
Portugal und Griechenland deutliche Aufwärtsbewegungen. Griechenland hat zwischen
2012 und 2013 durch die Einführung einer neuen Rechtsform mit beschränkter Haftung
und ohne minimale Kapitaleinlage, laut Weltbank sogar die weltweit größten Fortschritte bezüglich der Verringerung der Kosten einer Unternehmensgründung zu verzeichnen. In Portugal gab es neben vereinfachten Bedingungen zur Unternehmensgründung
auch eine deutliche Erleichterung der Registrierung von Eigentumsverhältnissen. 6 Die
exportsteigernde Wirkung einer Verbesserung des Teilindikators „Kosten der Unternehmensgründung“ wurde in einer IWF Studie auch ökonometrisch nachgewiesen
(IWF, 2013).
5
Eine detaillierte Beschreibung und w eitere Auswertungen sind auf der Internetseite www.doingbusiness.org zu finden.
Einen umfassenden Überblick über eingeleitete Reformmaßnahmen gibt die Internetseite
www.doingbusiness.org/reforms.
6
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
15
v bw – April 2014
Ab b ildung 7
Doing Business (Abstand zu bestem Wert)
Quelle: Weltbank
Neben dem unternehmerischen Umfeld stellen auch die Fähigkeit der Anpassung von
Exportprodukten an lokale Präferenzen sowie die Möglichkeiten des Markteintritts und
der andauernden Präsenz in schnell wachsenden Absatzmärkten wichtige Wettbewerbsfaktoren dar. Abbildung acht zeigt daher den Anteil der Exporte eines Landes in
die in den letzten Jahren besonders dynamischen BRIC Staaten (Brasilien, Russland,
Indien, China). Es fällt auf, dass gerade Italien den Exportfokus auf die schnell wachsenden Schwellenländer ausbauen konnte. Spanien hat den zweitgrößten Anteil, was
die recht robuste Exportentwicklung erklären könnte. Portugal hingegen zeigt zwar eine
deutliche Aufwärtsbewegung, allerdings von niedrigem Niveau ausgehend. Griechenland konnte den Anteil seiner Exporte in die BRIC Staaten seit einigen Jahren nicht
nennenswert steigern.
In Anlehnung an die Fähigkeit zu innovativen Exportstrategien erscheinen eine Erhöhung des Technologiegehaltes durch Forschung und Entwicklung sowie eine Erhöhung
der Produktivität unternehmensnaher Dienstleistungen als Möglichkeiten zu nachhaltiger Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Die EU-Kommission schlägt diesbezüglich
beispielsweise eine Liberalisierung der Post und Telekommunikationsmärkte in Europa
vor (EU-Kommission 2010). Auch auf Firmenebene ergeben sich laut eines EUgeförderten Forschungsprojekts Reformansätze, die auf eine Erhöhung der Anzahl
exportierender Firmen hinauslaufen (Altomonte, Aquilante und Ottaviano, 2012). So
können der Abbau von Markteintrittsbarrieren, die Förderung von Forschung und Entwicklungstätigkeiten und ein verbesserter Zugang zu Krediten für aufstrebende, kleine-
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
16
v bw – April 2014
re Unternehmen die Exportleistung eines Landes über den extensiven Rand (die Anzahl der Exporteure) verbessern. 7
Ab b ildung 8
Anteil Exporte in BRIC Länder
Quelle: OECD STAN
Insgesamt kann es nur mit einem Fokus auf eine wachstumsorientierte Verbesserung
der Wettbewerbsfähigkeit, nicht zuletzt über nicht-preisliche Faktoren, gelingen, die
Ungleichgewichte im Euroraum nachhaltig abzubauen.
3.4
Finanzsektorstabilität
Ziel dieses Abschnitts ist, die Stabilität des Finanzsektors in den GIIPS-Ländern anhand von unterschiedlichen Indikatoren seit dem Ausbruch der Finanzkrise zu beurteilen. Dazu wurden länderspezifische Stressindikatoren konzipiert. Diese spiegeln die
Lage im Finanzsektor wider und zeigen insbesondere Instabilitäten und Unsicherheiten
auf. Die Stressindikatoren basieren auf acht Variablen, die sowohl den Bankensektor
als auch den Wertpapiermarkt ansprechen (siehe Tabelle 1).
7
Diese Ergebnisse sind Teil des EU geförderten Forschungsprojekts „European Firms in the Global Economy (EFIGE)“,
dessen ausführliche Ergebnisse unter www.efige.org zugänglich sind.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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v bw – April 2014
Die Auswahl der Variablen steht im Einklang mit der des renommierten IWF Finanzmarktstressindikators, wird aber noch erweitert um (i) den Geldmarkt-Spread, der die
Unsicherheit im Euro-Interbankenmarkt widerspiegelt, und (ii) die Kreditvergabe der
Banken an den privaten Sektor (Haushalte und Unternehmen), welche einen Indikator
für eine etwaige Kreditklemme darstellt. Die Variablen werden so transformiert, dass
ein höherer Wert höheren Stress bzw. höhere Unsicherheit bedeutet, und standardisiert, d.h. der Mittelwert wird subtrahiert und durch die Standardabweichung geteilt.
Somit kann eine Aggregation der einzelnen Indikatoren erfolgen, die schließlich den
Stressindikator des jeweiligen Finanzsektors ergibt.
Tab elle 1
Indikatoren zur Finanzsektorstabilität
Variable
Bedeutung
TED Spread
-
Prämie, die Banken gegenüber kurzfristigen Staatsanleihen verlangen; Ausfallrisiko der Gegenpartei (der anderen
Banken)
-
Betafaktor des Bankensektors
-
Risiko im Bankensektor relativ zum
Marktrisiko
-
Zinsstrukturkurve
-
Negative Steigung bedeutet eine höhere Profitabilität, da geringere Kurzfristzinsen (Einlagen) als Langfristzinsen
(Darlehen)
-
Wertpapierrenditen
-
Maß für die Performance am Wertpapiermarkt, Rückgang der Wertpapierpreise führt zu höherem Stress auf dem
Finanzmarkt
-
Volatilität der Wertpapierrenditen
-
Volatilität auf dem Wertpapiermarkt,
-
Unternehmensanleihen-Spread
-
-
Kreditvergabe an den Privatsektor
-
Indikator für mögliche Kreditklemme
-
Geldmarkt-Spread
-
Fehlende Liquidität oder Misstrauen im
Bankensektor/Interbankenmarkt, An-
Maß für die Unsicherheit
Unsicherheit, Instabilität und Bonität im
Unternehmenssektor
stieg des Spreads kann auch als Risikoprämie interpretiert werden
Der Zusammenbruch von Lehman Brothers im September 2008 und die darauffolgende Eskalation der Finanzkrise zeigen sich deutlich durch einen Anstieg des Stressindikators für Griechenland und Spanien (Abbildung 9 und Abbildung 10). Gleiches gilt für
die Stressindikatoren für Irland, Portugal und Italien (siehe Anhang Abbildung 23 bis 24
im Anhang). Vor allem Unsicherheitsmaße wie der Geldmarkt-Spread, ein Ausdruck
der Risikoprämie im Interbankenmarkt, und die Volatilität der Wertpapierrenditen sind
für diese Zunahme verantwortlich. Die Staatsschuldenkrise, die je nach Land 2010
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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v bw – April 2014
oder 2011 eingesetzt hat, spiegelt sich vor allem in einem Anstieg der Zinsen auf Unternehmensanleihen (Unternehmensanleihen-Spread) wider. In den vergangenen Monaten hat sich die Lage im Finanzsektor für die Euro-Krisenstaaten etwas beruhigt.
Das begründet sich länderübergreifend aus einem Rückgang der Risikoprämie im Interbankenmarkt. Zusätzlich sind die Zinsen auf Unternehmensanleihen in Italien, Portugal und Spanien zurückgegangen. In Griechenland scheint eher ein niedrigeres Risiko im Bankensektor im Vergleich zum Gesamtmarkt stressmindernd zu wirken. Jedoch
besteht im Bankensektor generell weiter ein erhöhtes Risiko für eine Kreditklemme.
Wie aus den Abbildungen ersichtlich, ist die Kreditvergabe an den privaten Sektor (roter Balken) im Vergleich zum Vorkrisenniveau noch auffallend restriktiv.
Ab b ildung 9
Stressindikator für Griechenland
Quelle: Thomson Reuters Datastream, EZB, eigene Berechnungen
Anhand von Griechenland und Spanien zeigt sich, dass durch Rettungspakete, die
Ankündigung über das EZB-Anleihekaufprogramm (OMT) sowie die berühmte Rede
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
19
v bw – April 2014
des EZB-Präsidenten Draghi8 in den einzelnen Ländern eine Beruhigung nach der
Krise erfolgte, die jedoch nicht immer nachhaltig war. Wenige Monate nach dem zweiten Rettungspaket für Griechenland im März 2012 war wieder eine Zunahme des
Stresses im Finanzsektor sichtbar, welcher sogar das Stressniveau vor der Verkündung dieser weiteren Hilfsmaßnahme übertraf. Zum Teil haben auch Rettungspakete in
anderen Ländern zur Beruhigung des heimischen Finanzsektors beigetragen. Exemplarisch lässt sich das anhand der Indikatoren zur Finanzsektorstabilität in Spanien in
Abbildung 10 erkennen. Das erste Rettungspaket in Griechenland im Mai 2010 hat zu
einer Reduktion der Unsicherheit geführt, die sich vor allem aus einem Anstieg der
Wertpapierpreise (=Rückgang des Indikators) speist. Die Ankündigung des Anleihekaufprogramms (OMT) hat keinen bedeutenden Effekt auf die Indikatoren ausgeübt,
wohingegen sich die Draghi-Rede, die zeitgleich mit der Zusage für ein Rettungspaket
aus dem ESM in Spanien stattfand, in einer leichten Reduktion des Gesamtindikators
bemerkbar machte.
Ab b ildung 10
Stressindikator für Spanien
Quelle: Thomson Reuters Datastream, EZB, eigene Berechnungen
8
"Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie
mir, es w ird reichen", Mario Draghi im Juli 2012.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
20
v bw – April 2014
Diese Ergebnisse decken sich mit den Aussagen im Finanzstabilitätsbericht des IWF
von Oktober 2013. Darin wird erwähnt, dass politische Maßnahmen bzw. Fortschritte in
der Einigung der europäischen Institutionen (wie Rettungspakete, Bankenunion, ESM,
Einigung über Abwicklung und Sanierung von Banken) zur Beruhigung des Finanzsektors beigetragen haben. Die sinkenden Target2-Salden sind auch Ausdruck dessen. 9
Dennoch bleibt die Kreditvergabe als Folge nachteiliger Feedbackeffekte von Banken,
Unternehmen und Staaten, die in Abbildung 11 dargestellt sind, in den Krisenländern
weiterhin restriktiv.
Ab b ildung 11
Feedbackeffekte
Quelle: IWF (2013), eigene Darstellung
9
Siehe Website der Bundesbank,
http://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/its_detai
ls_value_node.html?tsId=BBK01.EU8148B.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
21
v bw – April 2014
Banken, die eine geringe Kapitalausstattung aufweisen, werden weniger Kredite oder
diese nur zu höheren Zinssätzen vergeben. Generell sind die Buchwert-KursVerhältnisse der Banken mit Ausbruch der Krise zurückgegangen (siehe Abbildung
12). Diese Reduktion speist sich aus einem Rückgang sowohl des Kurses als auch des
Buchwerts, wobei letzterer deutlich stärker zurückgegangen ist. Das kann als Folge
niedrigerer Vermögenswerte (Eigenkapital, Sachanlagen, Anlagevermögen) in der Bilanz bewertet werden. Besonders dramatisch zeigt sich das in dem Buchwert-KursVerhältnis der griechischen Banken, das seit Anfang 2011 negativ ist, wobei in den
vergangenen Monaten eine Erholung der Buchwerte eingesetzt hat. Ausgenommen die
zypriotischen Banken weisen alle anderen Banken die Tendenz eines steigenden
Buchwert-Kurs-Verhältnisses auf. Die weiterhin restriktive Kreditvergabe belastet jedoch die bereits hoch verschuldeten Unternehmen.
Ab b ildung 12
Buchwert-Kurs-Verhältnis der Banken
Quelle: Financial Thomson Datastream
Die IWF Studie (2013) findet im Speziellen für Krisenstaaten empirische Evidenz, dass
Banken mit geringer Kapitalausstattung eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, die
Kreditvergabe zu beschränken. Aufgrund der bereits hohen Verschuldungsrate von
Unternehmen besteht zusätzlich die Gefahr, dass auch Unternehmen ihre Kredite nicht
bedienen können. Das spiegelt sich auch in der Höhe des Verhältnisses von notleidenden Krediten zu Gesamtkrediten in den Bankbilanzen wider, das seit dem Jahr 2008
für alle Euro-Krisenländer deutlich angestiegen ist (siehe Abbildung 13).
Notleidende Kredite stellen eine Annäherung an den Abschreibungsbedarf der Banken
dar. Für Irland, Griechenland, Italien und Zypern zeichnet sich der deutlichste Anstieg
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
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v bw – April 2014
ab, während Portugal und Spanien zumindest in den Jahren 2010 und 2011 keine derartig hohen Zuwächse zu verzeichnen haben. 10 Entsprechend hohe Zinsen auf Unternehmensanleihen erschweren zusätzlich den Zugang zu neuem Kapital, was insgesamt zu einem Innovations- und Investitionsstau führt, der das Wachstum der Gesamtwirtschaft belastet. Das für Budgetüberschüsse dringend notwendige Wirtschaftswachstum bleibt folglich aus. Die erheblich verschuldeten Staaten stellen zudem eine
Belastung für die Banken dar, da diese noch risikobehaftete Staatsanleihen in ihren
Bilanzen führen.
Ab b ildung 13
Notleidende Kredite (Anteile an den Gesamtkrediten)
Quelle: World Bank, World Development Indicators
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass aktuell eine beruhigtere Lage im Finanzsektor mit geringerer Unsicherheit vorzufinden ist. Das Stressniveau im Finanzsektor der
GIIPS-Staaten ist so gering, wie es seit Ausbruch der Finanzkrise nur phasenweise
oder noch gar nicht zu beobachten war. Jedoch ist Vorsicht geboten, da zum einen
keine Aussage über die Nachhaltigkeit dieser Reduktion getroffen werden kann, und
zum anderen durch die eingeschränkte Kreditvergabe ein realer Risikofaktor weiterhin
Stresssignale sendet.
10
Jedoch sind lediglich Zahlen bis 2012 oder sogar nur 2011 vorhanden, sodass die aktuelle Lage nicht beurteilt w erden kann.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
23
v bw – April 2014
3.5
Analyse von Indikatoren zur Reformbereitschaft
Neben fiskalischen Anpassungen oder Anpassungen auf den Arbeits- und Gütermärkten muss bei einer Analyse der Anpassungsprozesse ebenfalls beachtet werden, inwiefern die Bevölkerung der von der Krise am stärksten betroffenen Staaten den weiteren Reformkurs stützt. Die wissenschaftliche Literatur hierzu zeigt, dass unter anderem
Vertrauen in öffentliche Institutionen und ein vorhandenes Reformbewusstsein in der
Bevölkerung wesentliche Determinanten erfolgreicher Reformprogramme sind (für einen Überblick über Determinanten von Reformwiderständen siehe Heinemann und
Grigoriadis, 2013). Um Erkenntnisse darüber zu erhalten, wie sich die Reformbereitschaft in den Krisenstaaten (GIIPS und Zypern) im Zeitablauf der Finanz- und Wirtschaftskrise entwickelt hat, werden im Folgenden Daten der Eurobarometer-Umfrage
ausgewertet. 11 Hierbei handelt es sich um eine halbjährlich durchgeführte Umfrage im
Auftrag der Europäischen Kommission, die die öffentliche Meinung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union abbilden soll. Wie auch bei den an anderer Stelle vorgestellten Indikatoren wird Deutschland als Referenz für einen weniger stark von der Krise betroffenen Staat herangezogen.
Ab b ildung 14
Vertrauen in die Europäische Union
Quelle: Eurobarometer
11
http://www.gesis.org/eurobarometer
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
24
v bw – April 2014
Die Entwicklung des Vertrauens in die Europäische Union bzw. die jeweilige Nationalregierung ist in Abbildung 14 und Abbildung 15 argestellt. Höhere Prozentangaben
stehen für ein größeres Vertrauen in die jeweilige Institution. Für die GIIPS-Staaten
und Zypern ist ersichtlich, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise mit einem erheblichen
Vertrauensverlust sowohl in die Europäische Union als auch die jeweilige Nationalregierung einhergeht. Es ist keine gegenseitige Kompensation ersichtlich. Jedoch ist der
Vertrauensverlust der Bürger in die Europäische Union stärker ausgeprägt als bei den
nationalen Regierungen: Ausgehend von einem durchschnittlichen Niveau von ungefähr 60 Prozent nimmt das Vertrauen der GIIPS-Staaten und Zypern in die EU im Verlauf der Krise um durchschnittlich 40 Prozentpunkte ab.
Ab b ildung 15
Vertrauen in die jeweilige Nationalregierung
Quelle: Eurobarometer
Das Vertrauen in die Nationalregierungen sinkt von einem bereits niedrigen Ausgangsniveau von 40 Prozent auf unter 20 Prozent. Ein ähnlicher Vertrauensverlust in die Europäische Union ist auch für Deutschland festzustellen: Gegenwärtig vertrauen lediglich ca. 30 Prozent der Bundesbürger der EU. Jedoch ist der Vertrauensverlust im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise weniger stark ausgeprägt, da die
Deutschen bereits vor der Krise nur ein relativ geringes Vertrauen in die EU hatten. Im
Unterschied hierzu ist das Vertrauen der Deutschen in ihre nationale Regierung im
Zeitablauf relativ konstant und in seiner Entwicklung weniger stark durch die aktuelle
Krise beeinflusst. Dies wird insbesondere zum Jahresende 2012 deutlich. Den größten
Vertrauensverlust die Regierung in Zypern erlitten. Hier sank das Vertrauen von hohen
Werten von über 60 Prozent auf unter 20 Prozent.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
25
v bw – April 2014
Hierzu lässt sich zeigen, dass der konstatierte Vertrauensverlust in die Nationalregierungen stark mit der Einschätzung der ökonomischen Situation korreliert. Dies wird aus
Abbildung 16 ersichtlich, in der die Umfragewerte zur Einschätzung der ökonomischen
Situation für die GIIPS-Staaten sowie Zypern und Deutschland dargestellt sind. Die
Ergebnisse werden im Auftrag der Europäischen Kommission sowohl bei Unternehmern als auch Endverbrauchern erhoben. Höhere Werte stehen für eine bessere Gesamteinschätzung der ökonomischen Situation, wobei 100 dem langfristigen Durchschnitt entspricht.
Mit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise verschlechtern sich die ökonomischen
Erwartungen in allen Staaten erheblich. Während sich die Erwartungen in den GIIPSStaaten und Zypern jedoch auf einem niedrigeren Niveau stabilisieren, ist Deutschland
von einer positiveren Einschätzung geprägt, was, wie aus dem Vergleich in Abbildung
15 ersichtlich, auch mit einem höheren Vertrauen in die eigene Regierung einhergeht.
Ab b ildung 16
Ökonomische Einschätzung
Quelle: Europäische Kommission (Economic Sentiment)
Positiv zu bewerten ist ein sich verstärkendes Reformbewusstsein in den Krisenstaaten. Im Verlauf der Krise nimmt die Zustimmung zu der Aussage „Unser Land benötigt
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
26
v bw – April 2014
Reformen, um der Zukunft zu begegnen“ zu (Abbildung 17). 12 Auch wenn diese Aussage sehr allgemein ist und damit keine Rückschlüsse auf spezifische Reformprojekte
bzw. die Richtung von Reformvorhaben ermöglicht, lässt sich zumindest konstatieren,
dass die Bevölkerung der GIIPS-Staaten und Zyperns Veränderungsbereitschaft signalisieren. Auch die deutschen Befragten sind dieser Ansicht. Die Zustimmung zu der
Aussage, dass Maßnahmen, die das Staatsdefizit zu reduzieren, nicht weiter verschoben werden können, stellt hingegen ein konkretes Politikvorhaben zur Entscheidung
(Abbildung 18). Mit Ausnahme von Zypern lässt sich hier kein deutlich zunehmender
Reformwille konstatieren. Lediglich Zypern signalisiert einen moderaten Anstieg der
Zustimmung zu diesem Reformvorhaben.
Ab b ildung 17
Entwicklung der generellen Reformbereitschaft
Quelle: Eurobarometer
Während somit leichte Verbesserungen im Bereich Reformbewusstsein vorliegen, bestehen die größten Probleme der GIIPS-Staaten nach wie vor in der Umsetzung der
Programme. Hier wird in den nächsten Jahren viel Arbeit sowohl für die EU als auch
die jeweiligen Nationalregierungen notwendig sein, um verlorengegangenes Vertrauen
zurückzugewinnen und somit die Reformprozesse erfolgreich abschließen zu können.
12
Die Abbildung 17 und Abbildung 18 dargestellten Indikatoren w urden erstmals in der Eurobarometer-Umfrage 2009
bzw . 2010 aufgenommen. Aus diesem Grund ist der Vergleich der Entw icklung mit dem Vorkrisen-Zeitraum nicht möglich.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
27
v bw – April 2014
Ab b ildung 18
Entwicklung spezifischer Reformbereitschaft: Reduktion des Staatsdefizit
Quelle: Eurobarometer
3.6
Fazit
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Tendenz der Anpassungen stimmt. Ob die Länder
auf einen nachhaltigen Pfad der Schuldentrag- und Wettbewerbsfähigkeit eingeschwenkt sind, muss sich allerdings erst noch erweisen. Eine Entwarnung zur Krise
kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem die meisten der betrachteten Länder sich
erst auf einen fragilen Erholungspfad befinden, noch nicht gegeben werden. Nach wie
vor ist die wirtschaftliche Situation in den Peripherieländer instabil, das Wirtschaftswachstum ist schwach, die Arbeitslosigkeit hoch und trotz nachweisbarer Konsolidierungsfortschritte sind die privaten und öffentlichen Schuldenstände immer noch deutlich erhöht und belasten das Wirtschaftswachstum. Für einen Abbau des Schuldenüberhangs genügt es nicht, ausgeglichene Haushalte vorzulegen, sondern es müssen
Primärüberschüsse über einen längeren Zeitraum erzielt werden. Außerdem besteht
immer noch Rückschlagpotential durch den Finanzsektor. Aktuell hat sich die Lage dort
zwar beruhigt, aber die Bilanzen der Banken in den Krisenländern sind noch nicht in
Ordnung und Befürchtungen über die Insolvenz von Instituten können jederzeit wieder
zu einer Zunahme der Unsicherheit im Finanzsektor führen.
Ein wichtiges Element des Anpassungsprozesses stellen strukturelle Reformen auf den
Arbeits- und Produktmärkten dar. Umfragen der Europäischen Kommission zeigen
auch, dass das Reformbewusstsein seit Ausbruch der Krise in der Bevölkerung der
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Eurozone: Anpassungsprozesse in Krisenländern
28
v bw – April 2014
GIIPS-Länder zugenommen hat. In den nächsten Jahren wird viel Arbeit sowohl der
EU als auch der jeweiligen Nationalregierungen notwendig sein, um verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und somit die Reformprozesse erfolgreich weiterführen zu können. Auf europäischer Ebene erlaubt die aktuell weniger dramatische Situation, mittel- und langfristige Stabilitätsüberlegungen zu formulieren.
Der folgende Abschnitt steckt den grundsätzlichen Ordnungsrahmen ab, innerhalb
dessen ein langfristiger Umgang mit untragbar hoher Staatsverschuldung ausgestaltet
werden könnte. Das darauffolgende Kapitel skizziert ein konkretes Umschuldungsverfahren und beschreibt den Übergangspfad dorthin.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
29
v bw – April 2014
4
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
Fiskalpolitik, Finanzmarktregulierung, ESM, Bankenunion und Marktflexibilität
In der Debatte über die künftige institutionelle Architektur der Eurozone wird immer
wieder darauf hingewiesen, dass eine Währungsunion dauerhaft nur dann stabil sein
könne, wenn sie durch eine „Politische Union“ ergänzt werde. Der Begriff der Politischen Union ist jedoch konkretisierungsbedürftig. Man kann sich höchst unterschiedliche Formen einer Politischen Union in Europa vorstellen. Denkbar sind einerseit ein
sehr dezentrales Arrangement, das einem Bund souveräner Staaten nahekommt, man
kann sich andererseits aber auch eine Union vorstellen, die sich an bundesstaatlichen
Institutionen orientiert.
4.1
Zentral versus dezentral orientierte Fiskalunion
Im Bereich der öffentlichen Finanzen, der bei den institutionellen Reformen in Europa
eine Schlüsselrolle spielt, wird häufig der Begriff der Fiskalunion verwendet. Für den
Begriff der Fiskalunion gilt ebenfalls, dass er konkretisierungsbedürftig ist. Hier sind
zwei Fragen von zentraler Bedeutung:
– Wer entscheidet über staatliche Einnahmen, Ausgaben und über die Staatsverschuldung?
– Wer haftet für Staatsschulden?
Mit der Beantwortung dieser Fragen werden grundlegende Charakteristika der Fiskalunion bestimmt. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass wirtschaftliche Stabilität und
wirksame demokratische Legitimation der Fiskalpolitik nur dann erreichbar sind, wenn
Kontrolle und Haftung auf der gleichen Ebene angesiedelt werden. Zur Orientierung ist
es hilfreich, zwei idealtypische Formen einer Fiskalunion zu unterscheiden (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, 2012):
Die erste Form kann als zentral orientierte Fiskalunion bezeichnet werden. In der zentral orientierten Fiskalunion wird auf zentraler Ebene über die Fiskalpolitik entschieden.
Zumindest werden die Spielräume der nationalen Parlamente stark eingeschränkt. Vor
allem die Kontrolle über die Staatsverschuldung, die derzeit bei den nationalen Parlamenten liegt, würde auf die europäische Ebene verlagert. Wenn die Verschuldung der
Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene bestimmt wird, kann es eine gemeinsame Haftung für Staatsschulden geben, beispielsweise in Form von Eurobonds.
Die zweite Form von Fiskalunion ist dezentral organisiert. Die Gestaltung der Fiskalpolitik einschließlich der Staatsverschuldung obliegt den Mitgliedstaaten. Im Fall einer
Überschuldung ist die Haftung dezentral, die einzelnen Mitgliedstaten müssen sich also
mit ihren Gläubigern über eine Umstrukturierung der Staatsverschuldung einigen.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
30
v bw – April 2014
Die nach der Gründung der Europäischen Währungsunion getroffenen Vereinbarungen
im Bereich der Fiskalpolitik beinhalteten Elemente beider Konzepte, betonten aber die
dezentralen Aspekte. Grundlage dieser Ordnung war die No-Bailout-Klausel, also der
Ausschluss zentraler Haftung. Zwar gab es Regeln für die Koordination der nationalen
Fiskalpolitiken und die Begrenzung der Staatsverschuldung. Das sind Elemente einer
zentral orientierten Fiskalverfassung. Die damit verbundene Kontrolle der Staatsverschuldung durch die europäische Ebene war aber wenig effektiv. Letztlich lag die Entscheidungshoheit über die nationalen Fiskalpolitiken bei den nationalen Parlamenten.
4.2
Bisherige Reformen und Maßnahmen des Krisenmanagements
Im Verlauf der Verschuldungskrise im Euroraum ist deutlich geworden, dass dieses
institutionelle Arrangement eine Fehlkonstruktion war. Erstens konnte nicht verhindert
werden, dass Mitgliedstaaten der Währungsunion ihre Schulden weit über das im
Maastricht-Vertrag vereinbarte Niveau hinaus ausdehnten. Zweitens wurde die NoBailout-Klausel nicht eingehalten, als einzelne Mitgliedstaaten in finanzielle Schwierigkeiten gerieten.
Ausgehend von den Erfahrungen der Krise hat die Politik in Europa eine Reihe von
Reformen eingeleitet, um die Mängel des institutionellen Rahmens zu beheben. Dazu
gehören erstens die Neuerungen bei den Inhalten der wirtschafts- und finanzpolitischen Koordination sowie der Sanktionierung in Fällen, in denen einzelne Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen (Sixpack und Two-Pack). Zweitens wurde
mit dem ESM eine Institution geschaffen, die im Fall von Finanzkrisen einzelner Mitgliedstaaten Liquiditätshilfen gewähren kann. Darüber hinaus wurden im Rahmen des
Krisenmanagements Beschlüsse gefasst, die für das Zusammenspiel zwischen Fiskalpolitik, Wirtschaftspolitik und Geldpolitik in Europa weit reichende Auswirkungen haben. Von besonderer Bedeutung ist hier das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank, das unter bestimmten Bedingungen Staatsanleihenkäufe der Notenbank vorsieht.
Durch das OMT-Programm ist die fiskalpolitische Ordnung der Europäischen Währungsunion grundlegend verändert worden. Das Programm gibt das Signal einer weit
reichenden gemeinsamen Haftung für Staatsschulden der Mitgliedstaaten. Diese Haftung soll daran gebunden werden, dass Staaten, deren Anleihen gekauft werden, sich
den Bedingungen eines makroökonomischen Anpassungsprogramms unterwerfen.
Was passiert, wenn diese Bedingungen nicht eingehalten werden, ist unklar. Einer weit
reichenden Zusage zentraler Haftung für Staatsschulden steht eine dezentrale Kontrolle der Staatsverschuldung gegenüber. Diese dezentrale Kontrolle wird durch die mit
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
31
v bw – April 2014
Anleihekäufen verbundene Konditionalität eingeschränkt. Welche Bindungswirkungen
diese Konditionalität entfaltet, ist eine offene Frage. 13
4.3
Zentral orientierte Fiskalunion kurz- bis mittelfristig wenig realistisch
Insgesamt haben die bisher erfolgten Reformen und Interventionen im Rahmen der
Bemühungen zur Bekämpfung der Krise die Eurozone in eine Lage gebracht, in der
sowohl eine Fortentwicklung zu einer stärker zentral orientierten Fiskalunion als auch
eine Revitalisierung der dezentralen Ordnungsidee des Vertrags von Maastricht prinzipiell möglich sind.
Wenn man fragt, was kurz- bis mittelfristig politisch möglich erscheint und in der Bevölkerung der Mitgliedstaaten akzeptiert würde, ergibt sich allerdings, dass die Perspektive einer zentral orientierten Fiskalunion wenig realistisch ist. Von grundlegender Bedeutung ist hier die Frage, ob und in welchem Umfang das Budgetrecht der nationalen
Parlamente in den Mitgliedstaaten zur Disposition steht, eingeschränkt werden oder
gar vollständig auf die europäische Ebene verlagert werden kann. Im Folgenden gehen
wir davon aus, dass es bis auf weiteres dabei bleiben wird, dass die Fiskalpolitik
grundsätzlich auf nationaler Ebene gestaltet wird und sie dort auch demokratischer
Kontrolle unterliegt, unbeschadet der finanzpolitischen Koordination auf europäischer
Ebene. Daher konzentrieren wir uns auf das Szenario einer dezentral orientierten Fiskalunion.
Das Konzept einer dezentral orientierten Fiskalunion bedarf allerdings ebenfalls der
Konkretisierung und Einbettung in ein Gesamtkonzept, das Wirtschaftswachstum und
Stabilität für die Eurozone sichern kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die bei der
Gründung der Europäischen Währungsunion errichtete institutionelle Architektur ebenfalls auf der dezentralen Verantwortung der Mitgliedstaaten für die öffentlichen Finanzen beruhte. Diese Architektur muss vor dem Hintergrund der aktuellen Verschuldungskrise als gescheitert angesehen werden.
Damit stellt sich die Frage, in welchen Punkten Reformen notwendig sind, damit eine
Ordnung mit dezentraler fiskalpolitischer Verantwortung sich in Zukunft auch unter
schwierigen Bedingungen als tragfähig erweist. Wie im Folgenden näher erläutert wird,
sind Reformen erforderlich, die zwar den Bereich der Fiskalpolitik betreffen, sich aber
nicht darauf beschränken. Die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Eurozone beruht
auf Voraussetzungen, die über die Bereiche der Geld- und Fiskalpolitik hinausreichen
und vor allem die Ordnung des Finanzsektors und der Arbeitsmärkte betreffen.
13
Ein grundlegendes Problem der Konditionalität von Hilfen liegt darin, dass die Drohung, Hilfen einzustellen, w enn
Bedingungen verletzt w erden, wenig glaubwürdig ist. Wenn man die Hilfen ohne großen Schaden für die Eurozone
insgesamt einstellen könnte, w ürde ein zentrales Argument für stabilisierende Eingriffe, zu denen unter anderem das
OMT-Programm gehört, entfallen. Siehe hierzu Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2012).
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
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v bw – April 2014
4.4
Das Konzept einer Eurozone mit dezentral orientierter Fiskalpolitik
Ausgehend von der Überlegung, dass die Verantwortung für die Gestaltung der Fiskalpolitik und die Stabilität der öffentlichen Finanzen im Grundsatz bei den Mitgliedstaaten
bleibt, stellt sich die Frage, wie Mängel in der institutionellen Architektur der Eurozone,
die zur aktuellen Verschuldungskrise geführt haben, behoben werden können. Dabei
geht es im Wesentlichen um die Unabhängigkeit der Geldpolitik.
Die wichtigste Grundlage der Europäischen Währungsunion besteht in der Übereinkunft, dass die Geldpolitik unabhängig ist und das Ziel verfolgt, die Geldwertstabilität zu
sichern. Im Laufe der aktuellen Krise hat sich gezeigt, dass es bei Krisen der öffentlichen Finanzen einzelner Mitgliedstaaten oder bei Krisen des Finanzsystems leicht zu
Entwicklungen kommen kann, die Gefahren für die Unabhängigkeit der Geldpolitik mit
sich bringen. Dazu gehört, dass eine Notenbank beginnt, fiskalpolitische Ziele zu verfolgen oder die Stabilität des Finanzsystems in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen. Über kurz oder lang drohen dabei Konflikte zu geldpolitischen Zielen. Hinzu kommen Fragen der demokratischen Legitimation. Die Debatte über die Frage, ob die Europäische Zentralbank mit dem OMT-Programm die Grenzen ihres Mandats überschreitet, hat das verdeutlicht.
Um einer potentiellen Dominanz der Geldpolitik durch die Fiskalpolitik oder durch Anliegen der Finanzstabilität vorzubeugen, ist es notwendig, dafür zu sorgen, dass die
Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten und die Akteure des Finanzsektors auftretende Probleme lösen können, ohne auf einen Bailout durch die Notenbank angewiesen zu sein.
4.5
Dezentrale Verantwortung für die Fiskalpolitik und der Zusammenhang zur
Regulierung des Finanzsektors
Dezentrale Verantwortung für die Fiskalpolitik bedeutet einerseits, dass die Mitgliedstaaten über die Gestaltung der öffentlichen Ausgaben und Einnahmen einschließlich
der Verschuldungspolitik frei entscheiden können. Andererseits muss jeder Mitgliedstaat im Fall einer Überschuldung seine Verbindlichkeiten restrukturieren, also mit den
Gläubigern über eine Umschuldung verhandeln. Vor allem darf es nicht dazu kommen,
dass ein Staat die Kosten der Überschuldung auf andere Mitgliedstaaten abwälzt.
Im Umgang mit Krisen der öffentlichen Finanzen einzelner Mitgliedstaaten liegt für jede
Währungsunion eine große Herausforderung. In Ländern, die eine eigene Währung
haben, führt eine Überschuldung des öffentlichen Sektors in der Regel zu einem Bailout durch die nationale Notenbank. Das funktioniert jedenfalls bei Verschuldung in
eigener Währung. Wenn die Disziplin der öffentlichen Finanzen dauerhaft gestört ist,
kann es dadurch zu Inflation und im Extremfall zu Hyperinflation kommen. Ein Zahlungsausfall droht jedoch nicht.
In einer Währungsunion ist die Lage anders. Die Notenbank sollte nicht „lender of last
resort“ für einzelne Mitgliedstaaten sein, weil sonst die Gefahr besteht, dass Kosten
der Überschuldung auf die Gemeinschaft der Mitgliedstaaten abgewälzt werden. Anreize, eine solide Finanzpolitik zu betreiben, wären unterminiert. Deshalb ist es folgerich-
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
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v bw – April 2014
tig, dass der Europäischen Zentralbank die Staatenfinanzierung untersagt ist. Das hat
jedoch seinen Preis. Überschuldung von Mitgliedstaaten einer Währungsunion führt zu
Zahlungsausfällen oder zur Notwendigkeit, Staatsschulden zu restrukturieren.
Als in der Eurozone erst Griechenland und dann andere Staaten in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, hat die Politik lange gezögert, zum Instrument der Restrukturierung
zu greifen. Der wichtigste Grund war die Sorge, eine Restrukturierung könne die Stabilität des Finanzsektors gefährden. In der Tat waren und sind viele Banken massiv in
Staatsanleihen ihrer Heimatländer engagiert.
Daher ist es von zentraler Bedeutung für die Durchführbarkeit von Schuldenschnitten
und folglich für die Glaubwürdigkeit entsprechender Verfahrensregeln, dass der Finanzsektor stabil genug ist, um Schuldenschnitte oder andere Formen der Restrukturierung von Staatsschulden absorbieren zu können. Darüber hinaus ist es grundlegend, dass Staaten, die überschuldet sind, trotz des Schuldenschnittes elementare
staatliche Funktionen aufrechterhalten können. Wenn diese Bedingungen nicht gelten,
besteht die Gefahr, dass die Staatengemeinschaft es in Finanzkrisen einzelner Mitgliedstaaten als geringeres Übel sieht, einzuspringen und die Gläubiger schadlos zu
halten.
Eine Regulierung, die sicherstellt, dass der Finanzsektor Verluste in Folge staatlicher
Umschuldungen absorbieren kann, ohne dass es zu einer Finanzkrise kommt, ist für
das Konzept einer Währungsunion mit dezentraler fiskalpolitischer Verantwortung daher von fundamentaler Bedeutung. Nur wenn dies gewährleistet ist, kann die Disziplinierung der Finanzpolitik durch Märkte funktionieren. Wenn die Anleger an den Finanzmärkten hingegen mit einem Bailout überschuldeter Staaten rechnen können,
haben sie keinen Grund, angemessene Risikoprämien zu fordern oder die Kreditvergabe an diese Staaten einzustellen, sodass die Marktdisziplinierung nicht funktioniert.
4.6
Welche Rolle spielt die Koordination und gemeinsame Überwachung der
nationalen Fiskalpolitiken?
In einer dezentral orientierten Fiskalunion spielt die Disziplinierung der Finanzpolitik
durch die Finanzmärkte eine zentrale Rolle. Das wirft die Frage auf, ob es einer zusätzlichen Kontrolle durch politische Koordination auf europäischer Ebene bedarf. Die Antwort auf diese Frage lautet „ja“. Der wichtigste Grund dafür liegt darin, dass Finanzkrisen einzelner Mitgliedstaaten auch in einer Eurozone mit glaubwürdigem Umschuldungsverfahren negative Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten haben. Es gibt ein
dringendes Interesse aller Mitgliedstaaten der Eurozone an soliden Staatsfinanzen
jedes einzelnen Mitglieds. Die Disziplinierung der Fiskalpolitik durch Finanzmärkte ist
ein wichtiges Element zur Sicherung fiskalischer Stabilität, sie allein ist aber nicht hinreichend.
Entscheidend ist allerdings, dass die Koordination der Fiskalpolitik auf europäischer
Ebene wirksam ist und Fehlentwicklungen in der Fiskalpolitik tatsächlich korrigiert. In
den Jahren vor der Verschuldungskrise war die Koordination der nationalen Fiskalpoli-
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Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
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v bw – April 2014
tiken in Europa wenig effektiv. Mittlerweile sind die Koordinationsmechanismen erweitert und reformiert worden, um sicherzustellen, dass übermäßige Verschuldung erst
gar nicht entsteht (präventiver Arm) und dass, wenn sie gleichwohl vorkommt, Korrekturmaßnahmen eingeleitet werden (korrektiver Arm). Diese Reformen sind zu begrüßen. Ob sie in der Praxis so gehandhabt werden, dass sie Wirkung entfalten, werden
die nächsten Jahre zeigen.
4.7
Die Rolle des ESM
Selbst bei einer effektiven Koordination der nationalen Fiskalpolitiken wird man nicht
ganz ausschließen können, dass einzelne Mitgliedstaaten in finanzielle Schwierigkeiten
geraten. In derartigen Fällen wäre es prinzipiell denkbar, den Verlauf der Krise ganz
dem Geschehen an Märkten und eventuellen Verhandlungen zwischen dem betroffenen Staat und seinen Gläubigern zu überlassen.
Die Europäische Politik hat sich jedoch dafür entschieden, mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) eine Institution zu schaffen, die Mitgliedstaaten, die den
Zugang zu privaten Kapitalmärkten zu verlieren drohen, Kredite geben kann.
Das wichtigste ökonomische Argument für eine solche Institution beruht auf der These,
dass es an Kapitalmärkten multiple Gleichgewichte geben kann (siehe De Grauwe,
2012 sowie De Grauwe und Yi, 2013). Wenn die Erwartung vorherrscht, dass ein finanziell angeschlagenes Land seine Probleme ohne eine Umschuldung nicht lösen
kann, dann kommt es zu einer Flucht privater Investoren und einem Anstieg der Finanzierungskosten des betreffenden Landes. Durch die steigenden Finanzierungskosten
wird es wahrscheinlicher, dass das Land seine Schulden tatsächlich nicht bedienen
kann. Herrscht hingegen bei gleichen Fundamentaldaten die Erwartung vor, dass das
Land seine Probleme löst, dann sind die Finanzierungskosten niedrig, was dazu beiträgt, dass der gute Ausgang wahrscheinlicher wird. Institutionen wie der ESM können
durch die Bereitstellung von Liquiditätshilfen dazu beitragen, dass die Gläubiger sich
auf das „gute“ Gleichgewicht einstellen und Panikreaktionen auf den Kapitalmärkten
ausbleiben. Die Kreditvergabe ist mit der Bedingung verbunden, dass das betreffende
Land sich einem makroökonomischen Anpassungsprogramm unterwirft.
Allerdings ist zu bedenken, dass die Kreditvergabe durch den ESM auch Schaden anrichten kann. Zum einen werden die Anreize für die Mitgliedstaaten reduziert, für solide
öffentliche Finanzen zu sorgen. Zum anderen besteht die Gefahr, dass Kredite auch in
Fällen vergeben werden, in denen eine Überschuldung vorliegt. Dann wird die Kontrolle der Fiskalpolitik durch die Finanzmärkte unterminiert, und die Kosten der Überschuldung einzelner Mitgliedstaaten werden auf die Steuerzahler anderer Mitgliedstaaten
abgewälzt. Um das zu verhindern, ist es von entscheidender Bedeutung, dass einer
Kreditvergabe eine sorgfältige Analyse der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung in
dem betreffenden Land vorangeht. Wenn die Verschuldung nicht tragfähig ist, muss
eine Restrukturierung der Staatsschulden erfolgen, die diese Tragfähigkeit wieder herstellt. Das führt zu der Frage, wie eine Restrukturierung von Staatsschulden in der Eurozone ablaufen kann und sollte. Dieser wichtige Punkt wird im Abschnitt 5 näher erläutert.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
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v bw – April 2014
4.8
Die Neuordnung des Finanzsektors: Europäische Bankenunion
In der Eurozone wird der institutionelle Rahmen des Finanzsektors unter dem Stichwort
„Europäische Bankenunion“ diskutiert. Das Projekt der Bankenunion beinhaltet vier
Elemente: Eine gemeinsame Bankenregulierung, eine gemeinsame Bankenaufsicht,
eine gemeinsame Institution zum Auffangen und Restrukturieren von finanziell angeschlagenen Banken sowie eine gemeinsame Einlagensicherung. Ob alle Elemente für
eine funktionierende Bankenunion erforderlich sind und wie sie gestaltet sein sollten,
ist umstritten. Das gilt besonders für die Einlagensicherung.
Mit der Errichtung einer Bankenunion in der Eurozone werden mehrere Ziele verfolgt.
Das ist erstens das Durchbrechen der gegenseitigen Abhängigkeit der Banken und des
Staates in den einzelnen Mitgliedstaaten. Diese gegenseitige Abhängigkeit hat in den
letzten Jahren dazu geführt, dass die finanziellen Probleme des Staates und der Banken sich in den von der Verschuldungskrise besonders betroffenen Mitgliedstaaten
gegenseitig verstärkt haben. Zweitens wird mit der Bankenunion das Ziel verfolgt, europaweit agierende Banken effektiver beaufsichtigen und besser auf Bankenkrisen mit
grenzüberschreitenden Wirkungen reagieren zu können. Die Belastung der Steuerzahler durch Bankenkrisen soll minimiert werden. Drittens soll die Bankenunion eine Vertiefung des europäischen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen fördern.
Außerdem wurde bereits erwähnt, dass eine dezentral orientierte Fiskalunion besondere Anforderungen an die Solidität des Finanzsektors stellt. Die Disziplinierung der Fiskalpolitik durch Finanzmärkte erfordert ein glaubwürdiges Verfahren zur Restrukturierung von Staatsschulden, und das ist nur erreichbar, wenn der Finanzsektor Verluste
aus derartigen Restrukturierungen absorbieren kann, ohne dass die Finanzstabilität in
Gefahr gerät. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Europäische Bankenunion die finanziellen Verbindungen zwischen den nationalen Bankensystemen und dem
öffentlichen Sektor in den einzelnen Mitgliedstaaten begrenzt.
Die Politik in Europa versucht derzeit das Projekt der Bankenunion voranzutreiben,
muss dabei allerdings eine Reihe von Hindernissen überwinden. Das wichtigste Hindernis liegt in der Asymmetrie der wirtschaftlichen Lage in den Peripheriestaaten einerseits und im Kern der Eurozone andererseits. In dieser Lage ist es problematisch, einen gemeinsamen Restrukturierungsfonds zu schaffen, weil es dadurch zu einer Umverteilung bereits vorhandener Verluste unter den Banken, den Sparern oder den
Steuerzahlern der einzelnen Mitgliedstaaten kommen kann. Deshalb wurde vorerst
entschieden, zwar ein gemeinsames Verfahren zur Restrukturierung von Banken einzuführen, einen gemeinsamen Restrukturierungsfonds aber erst nach einer längeren
Übergangszeit zu schaffen und es vorerst, für diese Übergangszeit, bei nationalen
Restrukturierungsfonds zu belassen.
Ein weiteres Hindernis liegt darin, dass die Bankenunion zwar vor allem in der Eurozone dringlich ist, einige ihrer Ziele aber, vor allem die Vertiefung des Binnenmarktes, für
die gesamte EU relevant sind. Die Unterschiede zwischen Mitgliedern der Eurozone
und EU-Staaten mit eigener Währung gewinnen dadurch an Relevanz, dass die Bankenaufsicht der EZB anvertraut wurde, in der nur die Euro-Staaten vertreten sind.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
36
v bw – April 2014
Insgesamt weisen die erfolgten Schritte in Richtung Bankenunion in die richtige Richtung, allerdings sind sie in folgenden Punkten ergänzungsbedürftig:
1. Das Haftungsprinzip muss sowohl im Finanzsektor als auch bei Staatsschulden
noch besser verankert werden. Mittelfristig sollte Europa höhere Anforderungen
an die Ausstattung der Banken mit haftendem Kapital und restriktivere Liquiditätsanforderungen anstreben, als bisher im Rahmen von Basel III sowie durch
die Kapitalrichtlinie (Capital Requirements Directive, CRD IV) vorgesehen ist. Es
ist darüber hinaus richtig vorzusehen, dass im Rahmen der geplanten Haftungskaskade zunächst Aktionäre und dann nachrangige Gläubiger von Banken im
Fall einer Bankenkrise haften. Aber zu dieser Haftung wird es nur kommen,
wenn sichergestellt ist, dass es haftendes Kapital in hinreichendem Umfang gibt
und die Haftung die Finanzstabilität nicht in Frage stellt. Wenn nachrangige
Bankanleihen oder die mit ihnen verbundenen Risiken beispielsweise selbst von
Banken gehalten werden, ist zu befürchten, dass die beabsichtigte Haftung im
Krisenfall nicht erfolgt, weil dadurch die Stabilität des Finanzsystems gefährdet
wäre.
2. Kurzfristig ist es sinnvoll, wegen der bereits vorhandenen Expertise im Bereich
der Analyse des Finanzsektors die Bankenaufsicht bei der EZB anzusiedeln.
Mittelfristig sollte die europäische Bankenaufsicht jedoch in einer unabhängigen
Behörde angesiedelt werden. Grund dafür ist nicht nur das Ziel, Konflikte zwischen Anliegen der Geldpolitik und Anliegen der Bankenaufsicht zu vermeiden.
Die Ausgliederung würde auch die Beteiligung der Nicht-Euro-Staaten vereinfachen.
3. Es ist wichtig, für Krisen vorzusorgen, in denen Banken so hohe Verluste erleiden, dass das vorhandene haftende Kapital zur Deckung der Verluste nicht ausreicht. Bislang ist geplant, dass ein gemeinsamer Fonds eingerichtet wird, der
durch Beiträge aller Banken in den Mitgliedstaaten der Eurozone finanziert wird.
Offen ist allerdings die Frage, was passiert, wenn im Fall einer größeren Krise
die Mittel dieses Fonds ebenfalls erschöpft sind. In diesem Fall wird man nicht
verhindern können, öffentliche Mittel bereitzustellen. Hier liegt eine wichtige Frage darin, ob es künftig dauerhaft eine Zuordnung von Verlusten zu den einzelnen Mitgliedstaaten und eine entsprechende nationale Haftung geben soll, oder
ob ein europäischer Fonds einspringen soll, für den die Mitgliedstaaten gemeinschaftlich haften. Für eine nationale Zuordnung spricht, dass die Mitgliedstaaten
viele wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen treffen, die sich auf die
Lage des Finanzsektors in dem jeweiligen Land auswirken. Andererseits liegt
die Finanzaufsicht auf europäischer Ebene. Eine pragmatische Lösung könnte
darin bestehen, eine Aufteilung eventueller Kosten der Bankenrettung zwischen
einem neu zu schaffenden europäischen Fonds und allen Mitgliedstaaten vorzusehen.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
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v bw – April 2014
4.9
Flexibilität der Arbeits- und Produktmärkte: Die Anpassungsunion
Eine wichtige Konsequenz der Mitgliedschaft eines Landes in einer Währungsunion
liegt darin, dass es für einzelne Mitgliedstaaten nicht mehr möglich ist, auf länderspezifische ökonomische Schocks mit nationaler Geldpolitik (Zins- und Wechselkurspolitik)
zu reagieren. Da damit ein wichtiger Anpassungsmechanismus entfällt, müssen Anpassungsbedarfe stärker durch andere Mechanismen aufgefangen werden.
Als mögliche Anpassungsmechanismen in Währungsunionen werden üblicherweise
fiskalische Transfers und Arbeitskräftemobilität diskutiert.
Zwischenstaatliche Transfers finden zwar im Rahmen des EU-Haushalts statt, ihr Ziel
sind aber nicht das Auffangen ökonomischer Schocks, sondern beispielsweise langfristige Konvergenzprozesse. Das Einrichten neuer Transferprogramme wird derzeit zwar
diskutiert, insbesondere Vorschläge zur Errichtung einer europäischen Arbeitslosenversicherung oder Ideen zur Verbindung von Transferzahlungen mit wirtschaftspolitischen Reformprogrammen für die Empfängerstaaten. Diese Initiativen sind jedoch
höchst umstritten und stoßen vor allem in den potentiellen Zahlerländern auf Widerstände.
Dass mehr Arbeitskräftemobilität in Europa wünschenswert wäre, ist weniger umstritten, obwohl die Debatten über Zuwanderung in Sozialsysteme derzeit an Gewicht gewinnen. Bislang ist die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitskräften in Europa
noch recht gering ausgeprägt. Obwohl diese Mobilität wächst, ist nicht abzusehen,
dass sie allein künftig als Anpassungsmechanismus ausreichen wird.
Dies spricht dafür, dass die Frage der Anpassung an ökonomische Schocks in einer
Währungsunion mit vorrangig dezentraler Verantwortung für die Wirtschafts- und Fiskalpolitik vertieft diskutiert werden sollte und weitere Anpassungsmechanismen auf
nationaler Ebene in den Blick zu nehmen sind. An erster Stelle steht hier vermehrte
Arbeitsmarktflexibilität. Dazu gehört nicht nur Flexibilität der Löhne und der Einstellungs- und Entlassungsentscheidungen, sondern auch Flexibilität der Arbeitszeiten.
Reformen, die darauf ausgerichtet sind, diesem vermehrten Bedarf an Flexibilität
Rechnung zu tragen, müssen berücksichtigen, dass es auf Seiten der Arbeitnehmer
ein hohes Interesse an Einkommenssicherheit und sonstiger sozialer Sicherung (etwa
im Krankheitsfall) gibt. Die Herausforderung besteht darin, diese Ziele miteinander in
Einklang zu bringen. Orientierung kann dabei das vor allem aus Dänemark bekannte
Konzept der „Flexicurity“ bieten, das versucht, hohe Arbeitsmarktflexibilität und Beschäftigungsanreize mit einem hohen Niveau an sozialer Sicherung zu verbinden.
Sachs und Schleer (2013) zeigen, dass der Arbeitsmarkt in südeuropäischen Ländern
(Italien, Portugal, Griechenland und Spanien) von einer Deregulierung – insbesondere
des Kündigungsschutzes und bei Lohnverhandlungssystemen – profitieren würde, wohingegen eine stärkere Deregulierung dieser Arbeitsmarktinstitutionen in den skandinavischen Ländern (Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland) sogar teils nachteilige
Arbeitsmarkteffekte erbringen würde.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Künftige institutionelle Architektur der Eurozone
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Die Frage der Anpassungsfähigkeit geht allerdings über den Bereich des Arbeitsmarktes weit hinaus. Gefragt ist letztlich mehr Anpassungs- und Reformbereitschaft in vielen Politikbereichen, so etwa in der Steuerpolitik, der Sozialpolitik und der Bildungspolitik.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
39
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5
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
Neues Verfahren, Ausmaß des Schuldenschnitts und Brücke in das Verfahren
Die vorhergehende Analyse hat deutlich gemacht, dass die Eurozone auf absehbare
Zeit durch eine dezentrale Finanzpolitik charakterisiert sein wird. Trotz der Präzisierung
von flankierenden Fiskalregeln bleibt die nationale Haushaltspolitik damit in starkem
Maße autonom.
5.1
Ausgangspunkt
Folglich ist es zwingend, dass für überschuldete Mitgliedstaaten ein glaubwürdiges
Verfahren zur Restrukturierung der Staatsverschuldung im Falle einer staatlichen Insolvenz verfügbar ist. Bei dezentraler Autonomie muss die Haftung auf der nationalen
Ebene angesiedelt bleiben mit der Konsequenz, dass der Schaden im Fall einer Insolvenz durch die privaten Gläubiger des betreffenden Mitgliedstaats getragen wird. Die
damit verbundene Disziplinierung von Euro-Mitgliedstaaten durch risikoadäquate Zinsaufschläge ist ein notwendiges Merkmal einer dezentral organisierten Fiskalverfassung
in der Eurozone. Nur so wird die unverzichtbare Einheit von Haftung und Verantwortung gewährleistet.
Bezogen auf die gegenwärtige Rettungspolitik schwächt das fehlende realistische und
beherrschbare Szenario für eine Umschuldung die Glaubwürdigkeit jeglicher Kreditkonditionalität. Wenn die Illiquidität eines größeren Eurostaats tatsächlich stets ein unbeherrschbares Katastrophenszenario darstellt, dann sind Ankündigungen, bei Reformverweigerung neue Kredite zu verwehren, letztlich nicht zeitkonsistent. Sanktionsdrohungen für den Fall fehlenden Schuldner-Wohlverhaltens verlieren damit ihre
Glaubwürdigkeit (Heinemann, 2013). Ohne eine realistisch verfügbare Restrukturierungsoption haben ESM-Kredite an Eurostaaten in Insolvenzgefahr einen Transfercharakter (Buchheit et al., 2013).
Die Etablierung eines glaubwürdigen Restrukturierungsverfahrens ist jedoch mit einer
zentralen Herausforderung konfrontiert: Die quantitativen Analysen dieser Studie haben einen gewissen Anpassungsfortschritt in den Euro-Krisenstaaten dokumentiert,
von einer bereits erfolgreich bewältigten Anpassung kann aber noch keine Rede sein.
Insbesondere stehen die Bereinigung der Verschuldungssituation und die Etablierung
einer Bankenunion erst am Anfang. In dieser Situation wäre die Umschuldung eines
größeren Euro-Staats ein in seinen Folgen kaum abschätzbares Risikoszenario. Würde
in dieser weiterhin fragilen Situation ein Verfahren etabliert, welches ab sofort wohldefinierte Regeln und Institutionen für die Restrukturierung von Euro-Mitgliedstaaten
schaffte, dann könnte dies als Signal für eine unmittelbar bevorstehende Umschuldung
in größeren Mitgliedstaaten verstanden werden. Alleine die sofortige Verfügbarkeit des
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
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v bw – April 2014
Systems könnte somit die mühsam errungene Stabilisierung gefährden. Weil die vergangenen vier Jahre die gefährliche Dynamik von sich selbst verstärkenden Abwärtsspiralen demonstriert haben, ist große Vorsicht mit allen sofortigen Reformen verbunden, die eine solche Dynamik neu in Gang setzen könnten.
Somit besteht folgendes Reformdilemma (Mody, 2013): Ein praktikables Umschuldungsverfahrens ist als Element einer dezentral konzipierten Fiskalunion in Zukunft
unverzichtbar. Die unmittelbare Etablierung wäre aber bis auf weiteres mit kaum verantwortbaren zusätzlichen Risiken für die Stabilisierung der Eurozone verbunden.
Als Ausweg aus diesem Dilemma empfiehlt diese Studie das „Euro-VIPS-Modell“ (Fuest, Heinemann und Schröder, 2014), das eine Brücke in ein durchführbares Insolvenzverfahren für Staaten definiert („Viable Insolvency Procedure for Sovereigns“:
VIPS). Euro-VIPS nimmt Elemente aus existierenden Vorschlägen für Insolvenzverfahren für staatliche Schuldner auf, modifiziert und konkretisiert diese. Im Gegensatz zu
den existierenden Konzepten bietet es eine Lösung für das Übergangsproblem. EuroVIPS folgt hier der Grundidee der „verzögerten Implementation“: Bereits heute werden
die irreversible Entscheidung über die Etablierung des neuen Verfahrens gefällt und
erste Vorbereitungen eingeleitet. Das eigentliche Insolvenzverfahren bleibt aber noch
außer Kraft bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft. Dieser Zeitpunkt ist
dadurch gekennzeichnet, dass dann die heute eingeleiteten Reformen ihre Ziele weitgehend erreicht haben ( u. a. Konsolidierung der Staatsverschuldung, Stabilisierung
der Banken und eine funktionsfähige Bankenunion), sodass die Etablierung des Umschuldungsverfahrens in einem stabilen Umfeld erfolgen kann.
Im Folgenden wird diese Brücke in das langfristige System in ihren Details beschrieben. Die Vorgehensweise ist zweistufig: Zunächst wird vor dem Hintergrund der seit
Jahren anhaltenden Diskussion über staatliche Insolvenzverfahren das dauerhaft zu
etablierende Verfahren entwickelt. Dem folgt die Beschreibung des Übergangsprozesses.
5.2
Das langfristig zu etablierende Verfahren
Seit den 1980er Jahren wurden mit Blick auf die in Entwicklungs- und Schwellenländern auftretenden Schuldenkrisen immer wieder Konzeptionen für Insolvenzverfahren
für Staaten vorgelegt (für einen Überblick über diese Rerformdiskussion vgl.: Das, Papaioannou und Trebesch, 2012). Die Grundidee ist naheliegend. Genau wie Insolvenzverfahren für private Schuldner einen Rahmen zum transaktionskostensparenden Umgang mit Überschuldungssituationen bieten, so könnten Verfahren für öffentliche
Schuldner helfen, Konflikte zwischen Gläubigern und Schuldnern, aber auch besonders zwischen unterschiedlichen Gläubigergruppen zu lösen. Verfechter eines solchen
Ansatzes verweisen auf die Tatsache, dass es Verfahren für staatliche Jurisdiktionen
mit dem Insolvenzverfahren für US-Kommunen („Chapter 9“) bereits gibt und analoge
Verfahren für Nationalstaaten etabliert werden könnten.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
41
v bw – April 2014
5.2.1
Modelle in der Diskussion
Der bislang prominenteste Vorschlag für einen gesetzlichen „Sovereign Debt Restructuring Mechanism (SDRM)“ aus dem Jahr 2002 geht auf die ehemalige Vizedirektorin
des Internationalen Währungsfonds (IWF) Anne O. Krueger zurück (Krueger 2002).
Der SDRM sollte unter der Kontrolle des IWF etabliert werden, war aber letztlich im
IWF nicht durchsetzbar. Die europäische Schuldenkrise hat das Interesse für derartige
Verfahren nun im Kontext von Industriestaaten wieder belebt. Zu nennen ist hier beispielsweise der „European Crisis Resolution Mechanism“ (ECRM) (Gianviti et al.,
2010) oder das von Mody entwickelte Verfahren, bei dem Staaten nachrangige Schuldtitel emittieren müssten („contingent convertible bonds“), die bei Erreichen festgelegter
Schwellenwerte (.z. B. der Höhe der Staatsverschuldung) von Fremd- in Eigenkapital
umgewandelt werden (Mody, 2013). Im Anhang geben wir einen Überblick über diese
und weitere Modelle (Anhang 6.2).
5.2.2
Grundentscheidung: Flexible Verhandlungslösung versus definiertes Verfahren
Schon die Debatte um Kruegers SDRM war von der Kontroverse geprägt, inwieweit für
die Durchführbarkeit einer Restrukturierung überhaupt ein wohl definiertes Verfahren
notwendig ist oder ob nicht vielmehr auf den Erfolg einer flexiblen Verhandlungslösung
gesetzt werden kann.
Vor allem bei Anleiheschulden ist die Gruppe der Gläubiger sehr groß und heterogen,
was eine schnelle und effektive Umschuldung aufgrund des Problems des kollektiven
Handelns („Collective-Action-Problem“) behindern und verzögern kann: Es besteht das
Risiko, dass einige Gläubiger nicht an der Schuldenumstrukturierung teilnehmen („Holdout-Problem“) und auf die volle Rückzahlung der ursprünglichen Schulden bestehen
und dazu den Rechtsweg beschreiten. Dies vermindert die Anreize aller (grundsätzlich
bereitwilligen) anderen Gläubiger, den Schuldentausch zu akzeptieren. So werden
Schuldenumstrukturierungen aufgrund der bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf
den Prozess und das Ergebnis der Umschuldung oft unnötig lange hinausgezögert,
wodurch sich das Überschuldungsproblem verschärfen kann (Krueger 2002, IWF
2013). Finden Verhandlungen dann endlich statt, können sich diese wiederum lange
hinziehen, was die Kosten der Umschuldung (z. B. Rückgang der Währungsreserven,
Kapitalflucht, bis hin zu Währungs- und Finanzkrisen) erhöht. Daher wird häufig ein
geregeltes und verbindliches Umschuldungsverfahren gefordert, das Sicherheit und
Verlässlichkeit bei gleichzeitiger Lösung des Überschuldungsproblems für Schuldner
und Gläubiger schafft und garantiert.
Gegner eines strukturierten Umschuldungsmechanismus vertreten den Standpunkt,
dass eine Markt- bzw. Verhandlungslösung bei Umschuldungen ausreiche. Einige Vorschläge beschränken sich daher auf die Empfehlung von „Codes of Good Conduct“,
die unverbindliche Verhaltens- und Verhandlungsregeln für Gläubiger und Schuldner
beinhalten. Außerdem wird argumentiert, dass Anleiheverträge lediglich um Collective
Action Clauses (CAC) erweitert werden müssten, sodass eine qualifizierte Mehrheit der
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Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
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Gläubiger über Art und Höhe der Umschuldung entscheiden kann und diese Entscheidung für alle Gläubiger bindend ist.
Bezogen auf die Situation der Eurozone und die bisherigen Erfahrungen in der europäischen Schuldenkrise zeigt sich jedoch die Notwendigkeit eines geordneten und ex
ante definierten Verfahrens mit großer Deutlichkeit:
– Das Fehlen eines Verfahrens hat gerade zu Beginn der akuten europäischen Vertrauenskrise im Jahr 2010 im Hinblick auf die griechischen Staatsanleihen große
Unsicherheit erzeugt. Dass Griechenland in eine Insolvenz-Situation geraten war,
war im Jahr 2010 bereits offensichtlich. Es fehlte aber jedweder Hinweis darauf,
welches Ausmaß an Verlusten mit einer letzten Endes unausweichlichen Restrukturierung der griechischen Staatsschuld auf die Investoren zukommen würde. Ein geordnetes Verfahren kann helfen, einen Anker für die Verlusterwartungen zu setzen.
Modys (2013, S. 16) Diagnose ist zuzustimmen: „Märkte bevorzugen die Sicherheit
der Schulden-Restrukturierung gegenüber der Unsicherheit eines ad hoc-Prozesses
ohne unmittelbare Lösung für das zu Grunde liegende Verschuldungsproblem“.
– Das besondere Integrationsniveau der Eurozone, die Höhe der Staatsverschuldung
und die Gläubigerstruktur (Finanzinstitute der Eurozone sind besonders engagiert)
erhöhen die Risiken einer ungeordneten Restrukturierung für Länder der Eurozone
in besonderem Maße (Gianviti et al., 2010). Die vergleichsweise günstigen Erfahrungen mit ad hoc organisierten Verhandlungslösungen bei Insolvenzen von Entwicklungs- oder Schwellenländern sind somit kaum auf die Eurozone übertragbar.
– Ein wichtiges politisches Argument, das gegen das SDRM des IWF sprach, war der
drohende Verlust nationaler Souveränität und Unterordnung unter ein supranationales, vom IWF kontrolliertes Verfahren. Diese Bedenken können so für die Eurozone
nicht gelten, wo die Unterordnung im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion
bereits erfolgt ist (Gianviti et al., 2010). Länder, die sich den Restriktionen von Bankenunion, Stabilitätspakt und Fiskalvertrag unterwerfen, sollten auch mit der Akzeptanz eines Prozedere für die Staateninsolvenz keine Probleme haben.
– Auch das im Fall Griechenlands im Jahr 2012 ad hoc durchgeführte Verfahren ist
mitnichten ein Beleg für den Erfolg flexibler und fallweiser Verhandlungslösungen.
Das Fehlen eines definierten Verfahrens hat im Fall Griechenlands mit zur „Konkursverschleppung“ beigetragen, welche die Kosten erhöht und eine Lastverschiebung zum Steuerzahler bewirkt hat. Gleichzeitig hat das griechische Private Sector
Involvement (PSI) die Voraussetzungen für künftige ad hoc verhandelte Umschuldungen in der Eurozone tendenziell verschlechtert. Bei der Abwicklung des griechischen PSI wurden „Holdouts“ (Investoren, die sich mit ihren mehrheitlich gehaltenen
Anleihen einer Umschuldung verweigerten) sehr generös behandelt. Damit wurde
ein ungünstiger Präzedenzfall für künftige PSI geschaffen, sodass sich CollectiveAction-Probleme in Zukunft noch weiter verschärfen dürften (Zettelmeyer, Trebesch
und Gulati, 2013).
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
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– Angemessene CACs können Verhandlungslösungen erleichtern, sie können aber
auch Teil eines definierten Verfahrens sein, sind also nicht als Substitut für ein solches zu verstehen. Durch CACs alleine lassen sich die kollektiven Handlungsprobleme jedoch nur teilweise ausräumen, da diese meist nur für das jeweilige Anleiheinstrument gelten und nicht über mehrere Instrumente hinweg aggregiert werden
können, was zu Unterschieden in der Behandlung vergleichbarer Schulden führen
könnte.
– Das Holdout-Problem, welches Verhandlungslösungen erschwert, ist außerdem
durch die jüngste Rechtsprechung von US-Gerichten, welche den Klagen von Holdout-Investoren im Fall Argentiniens Recht gegeben haben, für künftige Fälle verschärft worden (Buchheit et al., 2013, Chapter 3).
– Das Argument, Umschuldungsverfahren würden durch einen leichten Ausweg aus
der Verschuldung falsche Anreize für Gläubigerstaaten setzen, ist ernst zu nehmen,
kann aber letztlich nicht überzeugen: Jedes vorstellbare Umschuldungsverfahren in
der Eurozone wird mit erheblichen Härten für die verantwortlichen nationalen Politiker und ihre Wähler verbunden sein, sodass eine leichtfertige Aktivierung nicht zu
befürchten ist.
Insgesamt sprechen somit wichtige Gesichtspunkte und insbesondere die Erfahrungen
und Bedingungen der Eurozone für ein ex ante definiertes staatliches Insolvenzverfahren. Alleine darauf zu setzen, dass es im Ernstfall zu flexiblen Verhandlungslösungen
kommt, ist nicht ausreichend.
5.2.3
Das Insolvenzverfahren
Jedes Verfahren zur Abwicklung einer staatlichen Insolvenz muss bestimmte Grundentscheidungen treffen: Es ist festzulegen, unter welchen Umständen das Verfahren
aktiviert werden kann („Trigger“) und wie die dann beginnenden Verhandlungen organisiert werden. Zudem ist festzulegen, nach welchem Prozedere und möglicherweise
nach welchen quantitativen Kriterien die Festlegung des Ausmaßes des vorzunehmenden Schuldenschnitts erfolgt. Des Weiteren muss das Verfahren eine überzeugende
Lösung des Holdout-Problems liefern, das Gefahren für langwierige und kostspielige
Rechtsstreitigkeiten minimiert. Das im Folgenden spezifizierte Modell greift Elemente
existierender Modelle (Krueger-Plan und Gianviti et al., 2010) auf und modifiziert oder
konkretisiert diese.
5.2.4
Trigger
Das Umschuldungsverfahren wird mit der Bereitstellung von Krisenliquidität aus dem
ESM in folgender Weise kombiniert: Wie bisher kann jedes Land der Eurozone gemäß
den heute existierenden Regeln (Prinzip Liquiditätsüberbrückung gegen Reform- und
Konsolidierungsauflagen) Hilfen des ESM in Anspruch nehmen. Das Ausmaß bemisst
sich nach den in einer „Schutzperiode“ fällig werdenden Anleihen und des in diesem
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
44
v bw – April 2014
Zeitraum gemäß Abkommen mit dem ESM erlaubten Primärdefizits. Im Unterschied
zum heutigen offenen Verfahren wird diese Schutzperiode zeitlich strikt auf drei Jahre
begrenzt. Diese Dreijahresbegrenzung hatte Fuest (2011) in die Diskussion gebracht
und sie hat sich auch nach den seitdem gesammelten Erfahrungen als sinnvoll erwiesen. Beispielsweise konnte Irland nach etwa drei Jahren wieder zur eigenständigen
Kapitalmarktfinanzierung zurückkehren. Nach Ablauf dieser Schutzperiode werden
(zunächst) keine neuen ESM-Kredite mehr gewährt. Ist das Schuldnerland der Auffassung, dass eine eigenständige Kapitalmarktfinanzierung zu „akzeptablen“ Konditionen
auch nach dreijährigen Reform- und Konsolidierungsbemühungen noch nicht möglich
geworden ist, bleibt ihm nur, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen.
Die Schutzperiode hat die Funktion, zu einer Klärung der Ursachen der Liquiditätsprobleme beizutragen. Die theoretische Unterscheidung zwischen einer Situation vorübergehender Illiquidität und einer zu Grunde liegenden Insolvenz ist in der Praxis schwierig zu treffen. Die dreijährige Schutzperiode bietet eine gewisse Gewähr dafür, dass
nicht eine kurzzeitige Phase der Marktpanik bereits ein Umschuldungsverfahren auslöst. Umgekehrt stellt die strikte zeitliche Begrenzung sicher, dass es nicht zur Dauerfinanzierung eines in Wahrheit insolventen Landes und damit zur Etablierung einer
Transfergemeinschaft kommt. Bleibt einer Volkswirtschaft nach dreijähriger ESMFinanzierung der Anleihemarkt verschlossen, dann ist dies ein starkes Indiz für eine
faktische Insolvenz. Darüber hinaus kann die Schutzperiode das Risiko von Ansteckungseffekten aus der Durchführung einer Umschuldung eindämmen (Fuest, 2011):
Gehen von der Umschuldung Ansteckungseffekte aus, dann hätten gefährdete andere
Euro-Staaten gleichfalls das Recht auf den Schutz des ESM für eine Dreijahresphase.
Damit würde das potenzielle Auftreten von Umschuldungen zeitlich entzerrt.
5.2.5
Organisation der Verhandlungen
Der ESM übernimmt die Moderation der Verhandlungen zwischen Schuldnerland und
Vertretern der Gläubiger. Dazu wird ein Gremium gebildet, in dem die Gläubiger, der
Schuldenstaat und der ESM vertreten sind. Der ESM hat ein Vetorecht für alle Entscheidungen zum Umfang des Schuldenschnitts, weil er mit seiner Dreijahresfinanzierung in Vorleistung getreten ist. Über die Vertreter des ESM werden die Interessen
aller Garanten des ESM gewahrt. Eine Unterstützung aller Verhandlungen und Analysen durch die Troika (EZB, Europäische Kommission, IWF) bleibt unbenommen. Eine
weitere Einbindung des IWF ist aufgrund dessen Know-how wünschenswert, aber nicht
zwingend für die Funktionsfähigkeit dieses Verfahrens.
Der Verhandlungsbeginn hat unmittelbar folgende Konsequenzen:
– Während der Verhandlungen werden alle Zahlungen auf die Verbindlichkeiten des
betreffenden Gläubigerstaates eingestellt. Ausnahmen durch Privilegierung bestimmter Schuldnergruppen (etwa internationale Institutionen) sind auf ein Minimum
zu begrenzen, um die Interessen des Gläubigerkollektivs nicht zu gefährden.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
45
v bw – April 2014
– Während des laufenden Verfahrens sind jegliche etwaige Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den betreffenden Schuldnerstaat ausgeschlossen.
– ESM und Troika beaufsichtigen den Schuldnerstaat in dieser Phase auch mit der
Aufgabe, die Schädigung von Vermögenswerten zu verhindern.
– Der ESM stellt für die Verhandlungsphase die sozial notwendige Finanzierung des
betreffenden Schuldnerstaats sicher. Das Ausmaß dieser Zwischenfinanzierung ist
in einem bilateralen Abkommen zwischen ESM und Schuldnerstaat festzulegen. Die
Dauer dieser Zwischenfinanzierung wird auf zwölf Monate begrenzt. Diese Befristung definiert damit die maximal mögliche Dauer der Umschuldungsverhandlungen.
5.2.6
Ausmaß des Schuldenschnitts
Eine ex ante-Festlegung des Ausmaßes eines Schuldenschnitts im Weg einer vorab
definierten generalisierten Formel ist kaum praktikabel oder ökonomisch sinnvoll. Ziel
der Durchführung des Insolvenzverfahrens muss es sein, dass der Schuldenschnitt
dem betreffenden Staat einerseits einen tragbaren Schuldenstand verschafft. Andererseits müssen die Gläubigerinteressen gewahrt bleiben und es darf nicht zu einem unter
Tragbarkeitsgesichtspunkten unnötig weitgehenden Schuldenschnitt kommen. Die genaue Festlegung muss die ökonomischen Bedingungen eines jeden Einzelfalls berücksichtigen und ist unter der Moderation des ESM und unter Einbezug der analytischen
Kompetenz der Troika-Institutionen auszuhandeln.
Dennoch muss das Verfahren mit einem „Erwartungs-Anker“ für den maximal denkbaren Verlust der Gläubiger versehen werden. Hier bietet sich in Anlehnung an Gros und
Mayer (2010) folgende Regel an: In keinem Fall sollte der Schuldenschnitt die Schulden-BIP-Quote unter die Maastricht-Marke von 60 Prozent drücken. Aber auch Restrukturierungen mit einer anschließenden Schulden-BIP-Quote oberhalb von 60 Prozent
sind möglich, wenn auch mit höheren Niveaus die Schuldentragfähigkeit erreichbar ist.
Das ist eine Modifikation zum Gros-Mayer-Vorschlag, der stets eine Verringerung des
Schuldenstands durch die Umschuldung auf 60 Prozent des BIP vorgesehen hat. Auch
diese Modifikation folgt aber der Logik, wonach diese Grenze die maximal mit dem
Umschuldungsverfahren zu erwartenden Verluste berechenbar macht und somit ex
ante einen Anker für die Erwartungsbildung bietet (Gros und Mayer, 2010). Zudem
würde das maximale Verlustrisiko für Investoren mit der über 60 Prozent hinausgehenden Schuldenquote wachsen und zu einer entsprechenden Sensibilität der Risikoprämien für einen Anstieg der Schuldenquote über den Maastricht-Grenzwert sorgen.
Marktdisziplin und der reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt wären damit auf die
gleiche Zielgröße abgestimmt.
Die während der dreijährigen Schutzperiode aufgelaufenen Kredite des ESM gegen
das Schuldnerland sind in den Schuldenschnitt mit einzubeziehen. Diese Kosten für die
europäischen Steuerzahler sind unvermeidbar. Würden die ESM-Forderungen einen
bevorrechtigten Status erhalten, dann hätte die dreijährige ESM-Zwischenfinanzierungsphase kaum eine Stabilisierungschance. Mit einem Vorzugsstatus der
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
46
v bw – April 2014
ESM-Forderungen würde die verbleibende privat gehaltene Schuld mit der Ausweitung
der ESM-Liquiditätshilfen während der Schutzperiode zunehmend an Qualität verlieren.
Dieses Problem, das die Stabilisierungschancen der Griechenland-Hilfen zunichte gemacht hat (Mody, 2014), ist nur durch den Verzicht auf jeden Senioritäts-Status der
ESM-Kredite zu vermeiden. 14 Die maximal möglichen Verluste für die öffentlichen Kassen sind durch Vorschriften über die Laufzeitstruktur der Staatsverschuldung zu begrenzen (siehe unten).
Allerdings gilt der Verzicht auf einen bevorrechtigten Status der ESM-Kredite nur für
die in der Dreijahresphase aufgelaufenen Forderungen, nicht für die nach Beginn der
Umschuldungsverhandlungen neu gewährten Kredite zur Zwischenfinanzierung bis zur
Einigung und Durchführung des Schuldenschnitts. Diese neuen Kredite sind mit Senioritäts-Privileg auszustatten. Sie werden erst vergeben, wenn die Umschuldungsentscheidung prinzipiell bereits getroffen ist. Insofern gilt hier das zuvor skizzierte Problem
nicht.
Weil der ESM und damit die kreditgebenden Euro-Staaten im Insolvenzverfahren
gleichzeitig die Rolle des Moderators, des Vetospielers und des Kreditgebers einnehmen, stellt sich die Frage nach möglichen Interessenskonflikten. Als Gläubiger hat der
ESM naturgemäß ein Interesse der Begrenzung seiner Verluste und könnte von daher
auf einen zu geringen Haircut hinwirken. Dieser Einwand wird durch die aktuellen Erfahrungen in der Schuldenkrise genährt, wo sich die Kreditgeber Griechenlands schwer
damit tun, einem erneuten (transparenten) Schuldenschnitt für das Land zuzustimmen,
obwohl die Daten des Landes nach wie vor auf eine Überschuldung hindeuten.
Unter den durch Euro-VIPS geschaffenen Umfeldbedingungen ist dieses Problem allerdings weitgehend ausgeschlossen. Ein zu geringer Schuldenschnitt, der das Ziel der
Wiederherstellung einer tragbaren Verschuldungssituation offenkundig verfehlt, würde
keine Rückkehr des betreffenden Landes an den Kapitalmarkt erlauben. Gleichzeitig ist
eine weitere ESM-Finanzierung über die zwölf Monate der flankierenden humanitären
Finanzierung hinaus nicht möglich. Wäre der Schuldenschnitt nicht ausreichend, käme
es somit trotz durchgeführten Insolvenzverfahrens zum anschließenden unkontrollierten Zahlungsausfall, weil der Kapitalmarktzugang versperrt bliebe. Diese Perspektive
wird den ESM und die Eurostaaten dazu veranlassen, von vorneherein in den Verhandlungen auf ein realistisches Ausmaß des Forderungsverzichts hinzuwirken.
14
Aus dem gleichen Grund hat die EZB explizit im September 2012 klargestellt, dass sie für im Rahmen des Outright
Monetary Transaction-Programm angekaufte Schuldtitel dieselbe gleichrangige Behandlung w ie private Gläubiger
akzeptiert (ECB, 2012). Sie korrigierte damit die Vorgehensweise des Securities Markets Programme (SMP). Die im
Rahmen des SMP-Programms zw ischen 2010 und 2012 angekauften griechischen Anleihen w urden bevorzugt und
nicht in das griechische PSI einbezogen.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
47
v bw – April 2014
5.2.7
Absicherung gegen Holdouts und Litigation
Im durch den ESM abgesicherten und moderierten Insolvenzverfahren können zwei
zusätzliche institutionelle Reformen das Risiko von langwierigen Rechtsstreitigkeiten
signifikant verringern: erstens die Etablierung von Aggregationsklauseln in den Eurozonen-CACs und zweitens die Verankerung der Immunität der Aktiva von ESMProgrammländern im ESM-Vertrag.
Seit dem Jahr 2013 müssen neu begebene Staatsanleihen der Euro-Staaten gemäß
ESM-Vertrag mit CACs ausgestattet sein (Benzler et al., 2012; Buchheit, Gulati und
Tirado, 2013). Damit werden bereits erleichterte Verfahren zur Restrukturierung von
weit gestreuten Anleiheschulden definiert. Insbesondere wird in diesen Klauseln festgelegt, welche Gläubigerquoren ausreichend sind, um für alle Gläubiger bindende Entscheidungen in Umschuldungsverhandlungen zu treffen und somit Holdout-Strategien
zu erschweren.
Allerdings sind auf einzelne Anleihen bezogene Quoren wenig effektiv zur Verhinderung resoluter Holdout-Strategien, weil spezialisierte Investoren gezielt einzelne Anleihen erwerben können, um mit begrenztem Kapitaleinsatz eine Sperrminorität am
Emissionsvolumen zu erwerben. Diese Strategie kann durch Aggregationsklauseln
verhindert werden, bei denen ein bestimmtes Gläubigerquorum bezogen auf die Gesamtheit aller umlaufenden Anleihen eines Landes Entscheidungen treffen kann, welche dann für jede einzelne Anleihe bindend sind. In den Euro-CACs sind derartige Aggregationsklauseln zwar ansatzweise enthalten, allerdings ist die Ausgestaltung noch
wenig überzeugend. So ist die im Aggregat notwendige Zustimmungsquote mit 75 Prozent hoch bemessen, und für jede einzelne Emission muss darüber hinaus ein Quorum
von zwei Dritteln erreicht werden (Zettelmeyer, Trebesch und Gulati, 2013). Aus diesem Grund sind die im ESM verankerten CACs durch ein konsequentes Aggregationsprinzip zu verbessern. Hier sollten die Zustimmung der Gläubigermehrheit im Aggregat
für eine bindende Entscheidung über alle Emissionen ausreichen, auf einzelne Anleihen bezogene Quoren ersatzlos gestrichen und die im Aggregat nötige Zustimmung
auf zwei Drittel abgesenkt werden.
Der Gefahr, dass Klagen vor Gerichten in Drittstaaten (vor allem USA) erfolgreich sein
könnten oder zumindest langwierige Unsicherheit über die Durchführbarkeit einer Restrukturierung bringen, kann außerdem durch eine weitere ESM-Vertragsanpassung begegnet werden (Buchheit, Gulati und Tirado, 2013). Eine Ergänzung, wonach alle Aktiva und Einnahmen von Eurostaaten, die ESM-Unterstützung erhalten, Immunität gegen jegliche rechtliche Forderungen in Bezug auf die in eine Umschuldung einbezogenen Schuldtitel genießen, wäre ausreichend, um rechtliche Risiken weitgehend auszuschalten.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
48
v bw – April 2014
5.3
Die Brücke
Das beschriebene Insolvenzverfahren würde den privaten Gläubigern von Staatsanleihen im Ernstfall signifikante Verluste zumuten. Dieses ist in einem Umfeld vorstellbar,
welches durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:
– Die Bankenunion ist etabliert und voll funktionsfähig. Beispielsweise sind nationale
und europäische Fonds zur Restrukturierung von Banken in ausreichendem Maße
befüllt. Höhere Eigenkapitalquoten sind Realität, und es existiert ein wohldefiniertes
Verfahren für die weitere über das Eigenkapital hinausgehende Haftungskaskade.
– Bankenforderungen gegen staatliche Schuldner der Eurozone sind konsequent von
jeglicher Privilegierung ausgeschlossen. Sie sind genauso wie Forderungen gegen
private Schuldner (vergleichbarer Bonität) mit Eigenkapital zu unterlegen und unterliegen den Regeln zur Vermeidung von Klumpenrisiken (.z. B. Großkreditregeln). Infolgedessen sind die Bilanzen europäischer Banken nicht mehr durch eine nicht beherrschbare Risikokonzentration in Forderungen gegen das eigene Sitzland oder
andere Eurostaaten gekennzeichnet.
– Die fiskalische Gesundung der Eurozone ist weit vorangeschritten. Die SchuldenBIP-Quoten sind gegenüber heute stark gefallen und erreichen im Maximum nur
noch Werte zwischen 60 und 100 Prozent.
– Die verbleibende Staatsverschuldung ist langfristig finanziert. Der daraus resultierende geringe jährliche Refinanzierungsbedarf verringert das Risiko von „Runs“ auf
die Anleihemärkte und damit verbundener Liquiditätskrisen. Außerdem wird dadurch
das im Rahmen der dreijährigen Schutzperiode entstehende maximale ESMKreditvolumen begrenzt.
Die Situation im Jahr 2014 ist offenkundig noch weit von diesem Szenario entfernt,
sodass heute eine Insolvenz eines größeren Staates auch mit den zuvor beschriebenen Verfahrensregeln mit erheblichen Systemrisiken konfrontiert wäre. Gleichwohl ist
es möglich, heute bereits die Weichenstellung in Richtung der Langfristlösung vorzunehmen. Ein solches Modell der verzögerten Implementation würde heute Fakten für
die Zukunft schaffen, sich die derzeit in der Krise noch stärker vorhandene Reformbereitschaft zu Nutze machen (Buchanan, 1994), ohne aber die aktuelle Situation zu destabilisieren. 15 Entscheidend für den Erfolg der verzögerten Implementation ist, dass
die in der Gegenwart vorgenommene Weichenstellung unumkehrbar ist, weil mit dem
Näherrücken des Implementationsdatums ansonsten die erneut wachsenden Wider15
Reformstrategien der verzögerten Implementation haben sich w iederholt als hilfreich erweisen, Reformwiderstände in
der Gegenw art zu überwinden. Beispiele betreffen in Deutschland die Einführung der grundgesetzlichen Schuldenbremse im Jahr 2009 mit voller Wirksamkeit erst ab dem Jahr 2020 oder die Entscheidung über Einführung der „Rente
mit 67“ im Jahr 2007, die gleitend erfolgt und erst im Jahr 2031 in vollem Umfang gelten w ird (Heinemann et al., 2008;
Heinemann, 2010).
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
49
v bw – April 2014
stände eine endgültige Umsetzung verhindern könnten (Problem der „Zeitinkonsistenz“
des Reformversprechens). Vor diesem Hintergrund bietet sich folgende „Brücke“ in das
Langfristszenario an:
Das zuvor entwickelte Verfahren für staatliche Insolvenzen in der Eurozone wird heute
bereits durch eine Vertragsänderung im ESM-Vertrag in allen Details kodifiziert und mit
einer Klausel versehen, wonach diese Verfahrensregeln erst ab einem bestimmten
Stichtag Geltung erlangen. Der Stichtag wird durch folgende Bedingungen definiert:
Die Verfahrensregeln treten spätestens zu einem festen Datum (z. B. 1.1.2030) in Kraft
oder aber vorher, wenn die durchschnittliche Schulden-BIP-Quote in der Eurozone
nach Maastricht-Definition unter einen bestimmten Schwellenwert, z. B. 80 Prozent
(von heute 96 Prozent), zurückgegangen ist und der Bankenrestrukturierungsfonds
seine Zielausstattung erreicht hat. Weitere präzise bewertbare quantitative Kriterien
beispielsweise im Hinblick auf die Eigen- und Hybridkapitalausstattung der Banken
sind denkbar. Wichtig ist, dass es sich um Kriterien handelt, die präzise auf Erfüllung
bewertet werden können. Ein weiter politischer Beurteilungsspielraum im Hinblick auf
nur qualitativ gefasste Kriterien (z. B. „funktionsfähige Bankenunion“) ist zu vermeiden.
Das kriteriengeleitete Inkrafttreten ist gegenüber dem ex ante definierten festen Zeitpunkt das zu präferierende Szenario. Die Kriterien würden sicherstellen, dass das Inkrafttreten in einem freundlichen ökonomischen und fiskalischen Umfeld und einer
stabilen Bankenentwicklung erfolgt. In einem solchen Umfeld sind die Staatsanleihemärkte üblicherweise robust. Damit ist im Vergleich zu einem fixen Datum die Gefahr
stark verringert, dass der Starttermin destabilisierend auf die Bondmärkte wirken könnte. Die Verknüpfung von quantitativen Bedingungen mit einem spätesten Datum ist
jedoch notwendig, um die Irreversibilität der Weichenstellung abzusichern. Das feste
Datum als Rückfall-Stichtag ist eine Gewähr dafür, dass das Insolvenzverfahren nicht
durch politische Manipulationen an den quantitativen Kriterien unbegrenzt verschoben
werden kann.
Die Übergangsphase von der heutigen Verankerung des Insolvenzverfahrens bis zu
seinem Inkrafttreten darf dabei keineswegs als eine Phase verstanden werden, in der
Umschuldungen von Eurostaaten grundsätzlich ausgeschlossen wären. Weiterhin sind
ad hoc verhandelte Restrukturierungen nach griechischem Vorbild möglich. Insofern
darf die ESM-Vertragsrevision keinerlei Garantien beinhalten, in der Übergangsphase
auf solche Operationen zu verzichten. Allerdings ist in dieser Phase das präzise definierte Insolvenzverfahren eben noch nicht verfügbar.
Die heute zu erfolgende ESM-Vertragsänderung wäre die zentrale Absicherung gegen
das Zeitinkonsistenzproblem und den möglichen Anreiz, mit näher rückendem Stichtag
vom neuen Insolvenzverfahren wieder Abstand zu nehmen. Die notwendige Einstimmigkeit für ESM-Vertragsänderungen stellt sicher, dass spätere Versuche zur Ver-
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
50
v bw – April 2014
schiebung vor hohen Hürden stehen werden. 16 Gleichwohl würden weitere bereits heute vorzunehmende flankierende Entscheidungen den Übergang in das neue Verfahren
unterstreichen:
– Schon heute wäre die oben beschriebene Verbesserung der Eurozonen-CACs mit
einer überzeugenden Aggregationsklausel als ab sofort geltende neue ESMVertragsbestimmung für neu begebene Staatsanleihen aufzunehmen. Die Tatsache,
dass sogar in der akuten Phase der Eurokrise die Einführung von CACs in neuen
Euroanleihen keine wahrnehmbaren negativen Konsequenzen für die betreffenden
Anleihen hatte, deutet darauf hin, dass diese sofortige Anpassung kaum mit Risiken
für die Anleihemärkte verbunden wäre. Gleichwohl würde damit bereits heute eine
wichtige infrastrukturelle Voraussetzung für das künftige Umschuldungsverfahren
angelegt.
– Schon heute wären verbindliche präzise Vorgaben für die Fristenstruktur neu zu
begebender Staatsanleihen in der Eurozone einzuführen. Auch wenn eine langfristige Finanzierung durchaus im Eigeninteresse eines jeden Eurostaats liegen mag,
sind verbindliche Vorgaben nötig. Eine kurze Fristigkeit geht mit Risiken für die Stabilität der Anleihemärkte und einem höheren Kreditbedarf im Fall einer ESMSchutzperioden-Finanzierung einher. Weil somit fiskalische Externalitäten für die
Gemeinschaft der Eurostaaten entstehen, sind verbindliche Regeln auch in dieser
Hinsicht angebracht und legitim.
– Schon heute muss ein Prozess beginnen, der die Privilegierung staatlicher Schuldner in der Eurozone in Sachen Eigenkapitalunterlegung oder Großkreditregulierung
beseitigt. Hier bestehen zwar analoge Probleme zur sofortigen Einführung eines Insolvenzverfahrens, denn auch hier könnte eine abrupte Regimeänderung zur Destabilisierung der Anleihemärkte führen. Gleichwohl lassen sich langsam verlaufende, aber heute beginnende Übergangspfade konzipieren, bei denen etwa die Eigenkapitalunterlegung gleitend von der heutigen Nullgewichtung bis zu risikoadäquaten
Niveaus erfolgt.
Die Brücke in das Langfristsystem wäre somit auf zwei Pfeiler gegründet: erstens die
heute erfolgende verbindliche Entscheidung auf eine erst in der Zukunft stattfindende
Reform und zweitens bereits in der Gegenwart beginnende Reformen, die den vorsichtigen institutionellen Wandel einleiten.
16
Auch der rechtlich mögliche Austritt einzelner Staaten aus dem ESM-Abkommen gefährdet das Euro-VIPS-Modell
nicht. Mit einem Austritt aus dem ESM-Vertrag verliert ein Eurostaat jeglichen Anspruch auf ESM-Kredite (und auch auf
Hilfeleistungen der EZB im Rahmen des OMT-Programms), sodass das Land in seiner Finanzierung dann ohnehin auf
sich allein gestellt ist.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Euro-VIPS: Insolvenzverfahren für die Eurozone
51
v bw – April 2014
5.4
Abschließende Überlegungen
Das Euro-VIPS-Modell wäre geeignet, einen glaubwürdigen Übergang in ein langfristig
sinnvolles und bei dezentraler Fiskalpolitik unverzichtbares neues Verfahren zu gestalten. Im Hinblick auf den Umgang mit überschuldeten Eurostaaten bietet es einen Ausweg aus dem zentralen Dilemma, dass langfristig notwendige institutionelle Reformen
die heute noch fragile Situation in der Eurozone erneut destabilisieren könnten. Es verzichtet in der Gegenwart auf abrupte Schocks, verschiebt aber die Reformen dennoch
nicht auf unbestimmte Zeit. Das in der Krise noch bestehende Reformmomentum wird
somit genutzt, um langsame, aber kaum mehr reversible Reformprozesse in Gang zu
setzen.
Natürlich stellen sich Fragen nach den politischen Realisierungschancen des EuroVIPS-Modells. Es ist offensichtlich, dass sich Finanzpolitiker schwer damit tun, Reformen einzuleiten, die in der Zukunft zu einer weiter steigenden Disziplinierung durch die
Finanzmärkte führen würden. Aber auch hier bietet die Strategie der verzögerten Implementation eine realistische Chance: Die heute im Amt befindliche Politikergeneration wäre innerhalb ihres Zeithorizontes von diesem Regimewechsel noch nicht betroffen. Dieser Gesichtspunkt sollte eine Zustimmung erleichtern.
Bleibt eine solche Präzisierung des Insolvenzverfahrens aus, dann entwickelt sich die
Eurozone hingegen in Richtung eines kaum funktionstüchtigen Hybrids: Eine weiterhin
dezentrale Finanzpolitik bliebe auf absehbare Zeit kombiniert mit faktischer fiskalischer
(und monetär abgesicherter) Gemeinschaftshaftung. Dies würde die Erfolgsaussichten
des Projekts europäische Integration deutlich verringern.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
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Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Abbildungsverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1
Zeitliche Entwicklung des konjunkturbereinigten Primärsaldos in Relation
zum Produktionspotential
Abbildung 2
Konsolidierungsprofil GIPS (GIIPS ohne Irland) und Deutschland 20112013
Abbildung 3
Privater Schuldenstand (konsolidiert)
Abbildung 4
Privater Kreditfluss (konsolidiert), Zerlegung
Abbildung 5
Wettbewerbsfähigkeit: Anpassungen REER und Komponenten
Abbildung 6
Wettbewerbsfähigkeit: Anpassungen Leistungsbilanz und Komponenten
Abbildung 7
Doing Business (Abstand zu bestem Wert)
Abbildung 8
Anteil Exporte in BRIC Länder
Abbildung 09
Stressindikator für Griechenland
Abbildung 10
Stressindikator für Spanien
Abbildung 11
Feedbackeffekte
Abbildung 12
Buchwert-Kurs-Verhältnis der Banken
Abbildung 13
Notleidende Kredite (Anteile an den Gesamtkrediten)
Abbildung 14
Vertrauen in die Europäische Union
Abbildung 15
Vertrauen in die jeweilige Nationalregierung
Abbildung 16
Ökonomische Einschätzung
Abbildung 17
Entwicklung der generellen Reformbereitschaft
Abbildung 18
Entwicklung spezifischer Reformbereitschaft: Reduktion des Staatsdefizit
Abbildung 19
Konsolidierungsprofil GIIPS und Deutschland im Jahr 2013
Abbildung 19
Konsolidierungsprofil GIIPS und Deutschland im Jahr 2012
Abbildung 20
Konsolidierungsprofil GIIPS und Deutschland im Jahr 2011
Abbildung 21
Stressindikator für Irland
Abbildung 22
Stressindikator für Portugal
Abbildung 23
Stressindikator für Italien
55
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Tabellenverzeichnis
56
v bw – April 2014
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1
Indikatoren zur Finanzsektorstabilität
Tabelle 2
Zerlegung des konjunkturbereinigten Primärsaldos anhand von Identitäten
des OECD Economic Outlook
Tabelle 3
Konstruktion der Indikatoren zur Finanzsektorstabilität
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
57
Anhang
v bw – April 2014
Anhang
Anhang zu Kapitel 2.1
Tab elle 2
Zerlegung des konjunkturbereinigten Primärsaldos anhand von Identitäten des
OECD Economic Outlook
Variablen-Code
+ TYBA
+ TYHA
+ TINDA
+ SSRGA
+ TOCR
+ YPERGX
- YPGXA
- CAPOG
NLGXA
GDPTR
NLGXQA
Variablenbeschreibung des
OECD Economic Outlook
Cyclically adjusted direct taxes
on business, value
Cyclically adjusted direct taxes
on households, value
Cyclically adjusted taxes on
production and imports, value
Cyclically adjusted social security contributions received by
general government, value
Other current receipts, general government, value
Property income received by
government, excluding interest receipts, value
Cyclically adjusted current
disbursements excluding interest, general government,
value
Net capital outlays of the government, value
Cyclically adjusted government primary balance, value
Potential output of total
economy, value
Cyclically adjusted government primary balance, as a
percentage of potential GDP
Kommentar
Primäreinnahmen
Primäreinnahmen
Primäreinnahmen
Primäreinnahmen
Primäreinnahmen
Primäreinnahmen
Konsumausgaben
Investitionsausgaben
Primärsaldo
POT
Primärsaldo/POT
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Anhang
v bw – April 2014
Ab b ildung 19
Konsolidierungsprofil GIIPS und Deutschland im Jahr 2013
Quelle: OECD Economic Outlook
Ab b ildung 20
Konsolidierungsprofil GIIPS und Deutschland im Jahr 2012
Quelle: OECD Economic Outlook
58
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Anhang
v bw – April 2014
Ab b ildung 11
Konsolidierungsprofil GIIPS und Deutschland im Jahr 2011
Quelle: OECD Economic Outlook
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Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
60
Anhang
v bw – April 2014
Anhang zu Kapitel 3.4
Tab elle 3:
Konstruktion der Indikatoren zur Finanzsektorstabilität
Variable
Bedeutung
TED Spread
-
TED = Treasury Bill Eurodollar Difference, Differenz zwischen der Rendite
des 3-Monats-Euribor (Interbankenzins)
und der Rendite für kurzfristige Staatsanleihen
-
Betafaktor des Bankensektors
-
Messung des Bankenrisikos relativ zum
Marktrisiko durch Quotient aus Kovarianz und Varianz von jährlichen Renditen des Bankensektorindexes und des
Marktindexes, Berechnung von Beta
mithilfe eines rollierenden 1Jahreszeitraums
-
Zinsstrukturkurve
-
Steigung der Zinsstrukturkurve: kurzfristige abzüglich langfristige Staatsanleihen 17.
-
Wertpapierrenditen
-
Monatsdifferenz der logarithmierten Aktienkurse, multipliziert mit -1
-
Volatilität der Wertpapierrenditen
-
Standardabweichung basierend auf einem 6-monatigen rückwärts-
-
Unternehmensanleihen-Spread
-
rollierenden Fenster
Länderspezifische Unternehmensanleihe (AAA-Ranking) abzüglich (durchschnittliche) Unternehmensanleihe des
Euroraums mit AAA-Ranking 18
-
Kreditvergabe an den Privatsektor
-
ährliche Wachstumsrate der Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte (Nichtfinanzielle Institutionen), multipliziert mit -1
-
Geldmarkt-Spread
-
Differenz zwischen 3-Monats-Libor und
EUREPO (Durchschnittszinssatz für
besicherte Euro-Kredite)
17
Die Zinsstrukturkurve wird für Griechenland nicht berücksichtigt, da kurzfristige Zinsen im Vergleich zu den Langfristzinsen seit Ausbruch der Finanzkrise extrem angestiegen sind. Da das aber keine Beruhigung bzw . höhere Profitabilität
bedeutet hat, ist die Aussagekraft des Indikators nicht gegeben.
18
Da keine länderspezifische Unternehmensanleihe für Irland verfügbar ist, konnte dieser Indikator für Irland nicht
gebildet w erden.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Anhang
v bw – April 2014
Ab b ildung 22
Stressindikator für Irland
Quelle: Thomson Reuters Datastream, EZB, eigene Berechnungen
Ab b ildung 23
Stressindikator für Portugal
Quel le: Thomson Reuters Datastream, EZB, eigene Berechnungen
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Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Anhang
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v bw – April 2014
Ab b ildung 24
Stressindikator für Italien
Quelle: Thomson Reuters Datastream, EZB, eigene Berechnungen
Anhang zu Kapitel 5: Überblick über in der Literatur entwickelte Umschuldungsverfahren
Hier werden einige prominente Vorschläge für die Etablierung von Insolvenzverfahren
für Staaten vorgestellt (siehe für ausführliche Überblicke: Das et al., 2012, und Gianviti
et al., 2010).
Schlichtungsverfahren:
Vorschläge für geregelte Schlichtungsverfahren beinhalten keine genauen Vorgaben
zur Art der Schuldenrestrukturierung bzw. zur Beschlussfassung, sondern lediglich zu
den Rahmenbedingungen der Verhandlungen (Das et al. 2012). So schlägt Paulus
(2010) ein internationales Tribunal für die Neuverhandlung souveräner Schulden vor,
das z. B. von den Vereinten Nationen finanziert werden könnte. Eine Schlichtung im
Umschuldungsfall müsste lediglich in den zukünftigen Anleiheverträgen festgeschrieben werden, damit das Tribunal den notwendigen rechtlichen Status erlangt. Die vorgeschlagenen 20 bis 30 vom Generalsekretär der Vereinten Nationen eingesetzten
Schlichter hätten jedoch keinerlei Entscheidungsbefugnis und wären ausschließlich
vermittelnd tätig. Die Abstimmungsregeln würden von allen Parteien im Tribunal gemeinsam bestimmt. Paulus (2010) Tribunal wäre also lediglich ein Forum, das die Ver-
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Anhang
63
v bw – April 2014
handlungen formalisiert und die Entscheidungen für alle involvierten Gläubiger bindend
macht. Zur Notwendigkeit einer Stundung von Tilgungs- und Zinszahlungen bzw. zur
Ausgestaltung einer eventuellen Zwischenfinanzierung des Schuldners werden in dem
Vorschlag keine Angaben gemacht. Das Tribunal soll allerdings sowohl für Umschuldungen vis-à-vis kommerziellen Gläubigern als auch für Umschuldungen gegenüber
öffentlichen Gläubigern zuständig sein, was das Forum des Pariser Clubs, in dem öffentliche Schulden bisher verhandelt werden, überflüssig machen würde. Die Behandlung von Schulden gegenüber öffentlichen Gläubigern wird in vielen anderen Vorschlägen nicht angesprochen.
Des Weiteren gibt es weniger institutionalisierte Vorschläge wie z. B. den „Fair and
Transparent Arbitration Process (FTAP)“ von Raffer (2005) und Kaiser (2010) der
ebenfalls für alle Typen von Schulden (kommerziell, öffentlich, inländisch, extern) zuständig sein soll. Vier der vorgeschlagenen fünf Schlichter würden ad hoc von Gläubigern (2) und Schuldnern (2) bestimmt. Diese vier Schlichter bestimmen dann einen
fünften Schlichter, der zugleich den Vorsitz des Schlichtungsgremiums übernehmen
soll. Die Schlichter evaluieren zum Schluss der Verhandlungen den ausgearbeiteten
Vorschlag und müssten diesen genehmigen. Rechtlich bindend wäre die Entscheidung
der Schlichter jedoch nicht, weshalb das Problem des kollektiven Handelns nicht gelöst
und eventuelle Klagen nicht ausgeschlossen wären.
Kruegers strukturierter Umschuldungsmechanismus für souveräne Staaten:
Der Vorschlag für ein gesetzliches „Sovereign Debt Restructuring Mechanism (SDRM)“
(Krueger 2002) orientiert sich zunächst am Insolvenzverfahren für Kommunen in den
USA (Kapitel 9 der US Konkursordnung), da hier ähnliche Unterschiede zu Firmenoder Privatinsolvenzen zum Tragen kommen wie bei souveränen Staaten. So ist beispielsweise eine Zwangsvollstreckung nicht möglich, da bereits die korrekte Bestimmung der Insolvenzmasse ausgeschlossen ist. Der wichtigste Vermögenswert eines
souveränen Schuldners (neben Rohstoffvorkommen oder sonstigen Vermögenswerten
und Reserven) ist das Besteuerungsrecht, dessen Wert nicht eindeutig bestimmt werden kann und dessen Liquidierung daher unmöglich ist. Zudem sollten sowohl Kommunen wie souveräne Staaten auch im Interesse der Gläubiger immer in der Lage
sein, die kommunalen bzw. staatserhaltenden Funktionen zu gewährleisten. Das USInsolvenzverfahren für Kommunen stellt daher sicher, dass nur der Schuldner selbst
einen Umschuldungsprozess anstoßen und kein Gläubiger oder Gericht sich direkt in
die Regierungsarbeit einmischen kann. Diese Eckpunkte sind auch in dem von Anne
O. Krueger (2002) vorgeschlagenen SDRM berücksichtigt.
Darüber hinaus formuliert Krueger (2002) vier wichtige Elemente, die ein SDRM beinhalten sollte: Der erste und wichtigste Baustein ist die Mehrheitsentscheidung zur Vermeidung des Problems des kollektiven Handelns. Dadurch sollen Beschlüsse während
des Restrukturierungsprozesses von einer qualifizierten Mehrheit der Gläubiger getroffen und die abweichende Minderheit an den gefassten Beschluss gebunden werden
können, sodass diese Minderheit nicht mehr auf Erfüllung des ursprünglichen Kreditvertrags bestehen kann, während eine Mehrheit einen Schuldenschnitt akzeptiert. Außerdem ist es in Kruegers Augen erforderlich, alle Schuldeninstrumente, die restrukturiert werden sollen, zu aggregieren. Das bedeutet, dass die qualifizierte Mehrheit über
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Anhang
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v bw – April 2014
alle zur Debatte stehenden Schuldeninstrumente hinweg erzielt werden und sich nicht
für jedes Schuldeninstrument einzeln eine qualifizierte Mehrheit finden muss, wie es
beispielsweise bei Anleihespezifischen „Collective Action Clauses“ der Fall ist. So soll
vermieden werden, dass einige Gläubiger schlechter gestellt werden als andere, nur
weil es sich um einen anderen Kreditvertrag handelt. Zweitens sind während der Verhandlungs- und Umtauschphase Zwangsvollstreckungsmaßnahmen unzulässig, um
die Verhandlungen nicht durch rechtliche Schritte einzelner (Minderheits-)Gläubiger zu
untergraben. Bis die Schulden neu verhandelt sind, sollen daher Moratorien für eigentlich fällige Tilgungs- und Zinszahlungen gelten. Drittens sollen Gläubigerinteressen
geschützt werden, indem dem souveränen Schuldner untersagt wird, nachrangige
Schulden bevorzugt zu bedienen. Außerdem müsste dieser versichern, dass er die
vorhandenen Vermögenswerte nicht mutwillig mindert oder zerstört, sondern stattdessen aktiv versucht, Werte zu erhalten. Krueger nennt hier beispielsweise die Implementierung von Kapitalverkehrskontrollen während der laufenden Verhandlungen. Viertens
sollte der SDRM eine Versicherung beinhalten, die neue Kredite von privaten Gläubigern ermöglicht, indem neue Schulden im Vergleich zu allen alten Schulden vorrangig
behandelt würden.
Diese vier Elemente tragen dazu bei, dass das Problem des kollektiven Handelns stark
vermindert und die Bewahrung aller vorhandenen Vermögenswerte gewährleistet ist.
Trotzdem bleiben einige Punkte unklar. So müsste geklärt werden, wie mit den Schulden gegenüber öffentlichen Gläubigern bzw. mit inländischen Schulden verfahren wird.
Das nationale Bankensystem dürfte nicht gefährdet werden und der Umfang der Umschuldung sollte sich nicht negativ auf die Funktionsfähigkeit der nationalen Kapitalmärkte auswirken.
Für Krueger (2002) ist eine gesetzliche Implementierung (über internationale Verträge)
notwendig, da viele der Punkte, wie zum Beispiel die Aggregation über Schuldeninstrumente hinweg oder die Durchsetzung von Moratorien während der Verhandlungen,
sonst nicht durchsetzbar bzw. einklagbar wären. Rein vertrags- oder marktbasierte
Vereinbarungen, die nur innerhalb der Rechtsprechung einzelner Länder sowie für einzelne Anleiheverträge gelten, wie sie von den Gegnern eines SDRM oft gefordert werden, sind hierfür nicht weitgehend genug.
Als international schlichtende Instanz wird von Krueger (2002) der IWF bzw. ein streitschlichtendes Gremium, dessen Besetzung durch den IWF vorgenommen wird, vorgeschlagen. Der IWF trägt dann auch die Kosten der Schlichtung. Kritiker des Ansatzes
geben allerdings zu bedenken, dass der IWF oft in einer Doppelrolle auftreten würde,
da er, gerade in Krisenzeiten, selbst Gläubiger vieler Staaten ist, die ihre Schulden
umstrukturieren müssen. Dies könnte zu Interessenskonflikten während der Schlichtung führen und wäre schädlich für die Funktionsfähigkeit des SDRM.
Obwohl der SDRM von einer großen Mehrheit des IWF-Verwaltungsrats unterstützt
wurde, konnte er nicht eingerichtet werden, da die USA als Veto-Macht sowie einige
Schwellenländer, die unter anderem höhere Kreditkosten befürchteten, eine Änderung
der IWF Satzung verhindert hätten. Stattdessen unterstützten die USA die Einführung
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Anhang
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v bw – April 2014
von Collective Action Clauses in Anleiheverträge, da sie überzeugt waren, dass diese
ausreichten, um dem Hauptproblem des kollektiven Handelns Herr zu werden.
Bruegels Europäischer Mechanismus zu Lösung von Schuldenkrisen souveräner Staaten:
Das Brüsseler Wirtschaftsforschungsinstitut Bruegel hat einen Vorschlag für einen „European Crisis Resolution Mechanism (ECRM)“ erarbeitet (Gianviti et al. 2010). Dieser
Entwurf hat einige Gemeinsamkeiten mit Krueger’s (2002) SDRM – Anne O. Krueger
ist auch Koautorin des Bruegel-Dokuments –, geht aber an vielen Stellen über diesen
hinaus. Der ECRM ist, wie der Name bereits erkennen lässt, speziell auf europäische
Gegebenheiten zugeschnitten, indem er sich insbesondere zum Ziel setzt, die Unsicherheit über die Gewährung und das Ausmaß finanzieller Hilfen von anderen Mitgliedstaaten, der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Zentralbank (EZB)
einzuschränken bzw. auszuräumen. Die Autoren argumentieren zudem, dass es im
Interesse aller Euroländer sei, eine frühzeitige und geregelte Lösung der finanziellen
Probleme von Euromitgliedstaaten herbeizuführen, weil jede Schuldenkrise in einem
der Mitgliedsländer die Finanzstabilität der gesamten Eurozone gefährde.
Generell umfasst der ECRM vier Hauptelemente: Erstens sollen sich die Eurostaaten
auf ein Procedere einigen, wie Verhandlungen zwischen Gläubigern und Schuldner
initiiert werden. Wie auch beim SDRM soll nur das Schuldnerland selbst Umschuldungsverhandlungen anstoßen können, die für die Zeit der Verhandlungen zu einem
Moratorium führen. Zweitens sollen auf Gläubigerseite bindende und qualifizierte
Mehrheitsentscheidungen getroffen werden, die dem Problem des kollektiven Handels
Abhilfe schaffen können. Drittens sollen die Verhandlungen von einem unabhängigen
juristischen Organ (z. B. dem Europäischen Gerichtshof) überwacht bzw. moderiert
werden. Viertens sollen einheitliche und verlässliche Regeln für finanzielle Hilfen an
Euroländer gelten. Eventuelle Hilfszahlungen sollen an die Bedingung geknüpft werden, dass Schuldner und kommerzielle Gläubiger sich auf eine Umschuldung einigen,
die im Stande ist, die Schuldentragfähigkeit des Schuldnerlandes wieder herzustellen.
Für die Gewährung der Hilfen schlugen die Autoren 2010 noch eine permanente Version der European Financial Stability Facility (EFSF) vor – dies wäre nun der European
Stability Mechanism (ESM). Die impliziten und nahezu bedingungslosen Bail-OutErwartungen vieler Finanzmarktakteure sollen so eingedämmt werden.
Modys geordneter Umschuldungsrahmen für die Eurozone:
Ashoka Mody (2013) sieht die Notwendigkeit eines geordneten Umschuldungsmechanismus als integralen Bestandteil einer stabilen Eurozone in der ökonomischen Theorie
und der jüngeren Geschichte des Euroraums begründet. Da den Euro-Mitgliedsstaaten
Inflation und Währungsabwertung als Instrumente der schleichenden Umschuldung für
in Euro begebene Schulden fehlen, sei die Neuregelung von Anleiheverträgen im Falle
einer Überschuldung das einzige Ventil, über das der fiskalische Druck auf den
Schuldner entweichen könne. Aber auch die Erfahrungen mit den zu späten und oft
unzureichenden Umschuldungen im Rahmen der lateinamerikanischen Schuldenkrise
lassen Mody radikale Lösungen in Betracht ziehen.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Anhang
66
v bw – April 2014
Mody betont, dass ein Umschuldungsmechanismus vorab glaubwürdig sein und bereits
präventiv (bevor es zum Zahlungsausfall kommt) greifen müsse und nicht erst ex post
über die Art und Höhe der Umschuldung verhandelt werden dürfe. Sein radikaler Ansatz beinhaltet daher die Einführung sogenannter CoCo-Anleihen (Contingent Convertible Bonds) für Staatsschulden. Allgemein sind diese Hybrid-Anleihen nachrangige
Schuldverschreibungen mit einem festgelegten Zins-Coupon die nach vorher festgelegten Kriterien automatisch von Fremd- in Eigenkapital umgewandelt werden. Wird die
Umwandlung nicht ausgelöst, bleiben die Anleihen bis zum Ende der festgelegten
Laufzeit als Fremdkapital bestehen und werden dann getilgt. Im Kontext von Staatsschulden könnten CoCos beispielsweise eine automatische Laufzeitverlängerung bei
Erreichen einer im Anleihevertrag vorher festgelegten Schuldenquote relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) auslösen. Auf diese Weise wäre die ex ante Glaubwürdigkeit
einer No-Bailout-Politik gewährleistet, und die Erwartungsbildung der Finanzmarktakteure wäre fest verankert. Das Risiko eines Ausfalls würde, wie politisch gewollt, von
den kommerziellen Gläubigern getragen und könnte nicht einfach auf den öffentlichen
Sektor überwälzt werden.
Studie – Die Krise im Euroraum nachhaltig überwinden
Ansprechpartner / Impressum
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Wirtschaftspolitik
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