Was ist Maßregelvollzug - MWV Medizinisch Wissenschaftliche

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Was ist Maßregelvollzug
Nahlah Saimeh
Definition und Auftrag
Die Begriffe „Maßregelvollzug“ und „Forensische Psychiatrie“ werden zumeist
als Synonyme verwendet. Zu den gesetzlichen Grundlagen der Maßregeln gehören die Unterbringung von psychisch kranken Straftätern gem. §§ 63, 64
StGB in psychiatrische Kliniken oder Suchtkliniken und die Unterbringung
von (per Definition psychisch gesunden) Hangtätern in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB.
Während Strafe stets eine Reaktion auf ein vorwerfbares, zu missbilligendes
Verhalten darstellt und daran Ideen von Sühne und Korrektur des Straftäters
gebunden sind, stellen Maßregeln der Besserung und Sicherung auf den
Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern ab, vor psychisch kranken und vor psychisch gesunden. Sie ermöglichen aber auch erst die Trennung
zwischen Strafe für Tatschuld und Therapie für schuldunfähige Täter.
Die Forensische Psychiatrie befasst sich mit denjenigen Tätern, die aufgrund
einer gravierenden psychischen Erkrankung Straftaten begangen haben und
deswegen bei der Tatbegehung erheblich vermindert schuldfähig oder gänzlich schuldunfähig waren. Mit der Anwendung der §§ 63, 64 StGB werden aus
Straftätern Patienten.
Während die Zulässigkeit der Unterbringung gem. § 63 StGB von der Interventionsnotwendigkeit abhängt, nicht jedoch von der tatsächlichen Aussicht auf
Therapierbarkeit, ist die Unterbringung gem. § 64 StGB abhängig von der
Interventionsmöglichkeit. Während die Unterbringung gem. §§ 63, 64 StGB direkt im Urteil angeordnet werden muss, kann die Sicherungsverwahrung (§ 66
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I Grundsätzliches
StGB) eines voll schuldfähigen Täters auch noch zu einem späteren Zeitpunkt
angeordnet werden.
Gesetzesgrundlage
§
§ 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen
Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist,
das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
§ 21 Verminderte Schuldfähigkeit
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser
Einsicht zu handeln, aus einem in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der
Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
§ 63 Strafgesetzbuch – Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20)
oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines
Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für
die Allgemeinheit gefährlich ist.
§ 64 Strafgesetzbuch – Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
Hat jemand den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer rechtswidrigen
Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil eine Schuldfähigkeit erwiesen
oder nicht auszuschließen ist, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt an, wenn die Gefahr besteht, dass er infolge seines Handelns erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung unterbleibt, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint.
Eine gewisse Permeabilität des Systems erlaubt nach Erledigung der Maßregel
gem. § 63 StGB unter bestimmten Umständen eine Überführung in die Sicherungsverwahrung, auch kann ein Insasse der Sicherungsverwahrung vom
Gericht in ein psychiatrisches Krankenhaus oder in eine Suchtklinik überwiesen werden kann, wenn dies für seine Resozialisierung förderlich ist.
Während sich die Psychiatrie als medizinische Disziplin mit der Erforschung
der Ursachen, Diagnostik, Therapie und Prävention psychischer Erkrankungen und Störungen befasst, befasst sich die forensische Psychiatrie mit der Be-
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I
Was ist Maßregelvollzug
deutung von Persönlichkeit, Begabung und psychischen Krankheiten für die
Fähigkeit eines Menschen, sich in seiner Kultur und Gesellschaft sozial zu bewähren und gesetzeskonform zu verhalten. Diese Fähigkeit schließt zivil- und
sozialrechtliche sowie strafrechtliche Fragestellungen ein. Die Forensische
Psychiatrie liegt in einer Schnittmenge aus den Disziplinen Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, Soziologie und Neuro-Wissenschaften. Dementsprechend richten sich Kongresse und Fachtagungen an Psychiater, Psychologen,
Neurobiologen, Entwicklungsforscher, Juristen, Kriminalbeamte und Vollzugsbedienstete und nicht zuletzt an Journalisten.
Im Alltag überwiegt das Verständnis des Fachgebiets als Kriminalpsychiatrie.
Sie befasst sich in ihrem wissenschaftlichen Zweig mit Ursachenforschung,
Verlaufsforschung, Therapieforschung und Therapieorganisationsforschung
(vgl. Kröber 2007). In ihrer klinischen Anwendung befassen sich Forensische
Psychiater mit der Diagnostik, Begutachtung, Behandlung und Sicherung von
untergebrachten Patienten.
Als Gutachter werden sie gefragt zur Klärung der Fragen zur Schuldfähigkeit
(§ 63 StGB), zu Fragen der Behandlungsaussichten (§ 64 StGB) und zu Fragen
des „Hangs zu erheblichen Straftaten“ (§ 66 StGB).
Verlaufsuntersuchungen in der Forensischen Psychiatrie sind niemals nur bezogen auf den Verlauf einer Erkrankung und die klinische Wirkung therapeutischer Methoden, sondern immer auch bezogen auf die mit der Therapie verknüpfte, zu erwartende Legalbewährung. Das Therapieziel ist die Erreichung
der Fähigkeit und die persönliche Entscheidung zugunsten legalkonformen
Verhaltens. Daher ist die Entlassung des Patienten bei einer Unterbringung
gem. § 63 StGB – abgesehen von den Kriterien der Verhältnismäßigkeit oder
der Erledigung bei Fehleinweisung – strikt abhängig von der Besserung der
Gefährlichkeitsprognose. Die Beendigung der Maßregel gem. § 64 StGB unterliegt hingegen der Aussicht auf Behandlungserfolg und einer zeitlich klar begrenzten maximalen Therapiedauer.
Die Forensische Psychiatrie ist zwei Bezugsgruppen gegenüber verantwortlich:
einerseits den ihr zu Behandlung anvertrauten Patienten, andererseits stets
auch der Allgemeinheit, den Bürger, die ein Anrecht auf Schutz vor erkennbaren Gefahren haben. Zu diesen Bürgern gehören auch die Beschäftigten in
den Kliniken. Die Sicherheit des Personals ist eine Grundvoraussetzung für
die Erfüllung des therapeutischen Auftrages.
In der Öffentlichkeit werden die realen Gefahren für Bürger und Mitarbeiter
durch solche forensischen Fachkliniken bei weitem überschätzt.
Untersuchungen zu nennenswerten Zwischenfällen am LWL-Zentrum für
Forensische Psychiatrie, einer der bundesweit größten Fachkliniken ihrer Art
zeigen auf, wie selten Entweichungen aus Lockerungen oder gar nennenswerte Zwischenfälle strafrechtlicher Relevanz sind. Bezogen auf 843.000 Patiententagen in rund 6 Jahren stellen zwei sexuell motivierte Übergriffe auf
Mitarbeiterinnen Ereignisse von gerade mal 0,24 Promille Wahrscheinlichkeit dar.
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I Grundsätzliches
Das Fachblatt Aero International hat im März 2003 eine Flugunfallstatistik verschiedener großer Airlines veröffentlicht. Gezählt wurden die Flugunfalltoten
bezogen auf die kumulierte Jahresflugleistung der Airline. Die Lufthansa erhielt einen Koeffizienten von 0,05. Die British Airways liegt bei 0,04 und American Airlines bei 0,3.
Entwicklung der Behandlungsplätze
Angesichts der engen Beziehung zwischen Kriminalistik, Sicherungs- und
Besserungsauftrag mag verwundern, warum der psychiatrische Maßregelvollzug nicht Bestandteil justizeigener Institutionen ist. Im Rahmen der 2. Strafrechtsreform hat der Gesetzgeber jedoch klar entschieden, dass die Maßregeln
gem. §§ 63, 64 StGB innerhalb des allgemeinen psychiatrischen Versorgungssystems zu erfolgen hat. Die Organisation und Ausgestaltung des Maßregelvollzuges ist dabei Ländersache. Die Bundesländer unterscheiden sich in ihrer
Versorgungsstruktur im Hinblick auf zentralisierte Fachkliniken, dezentrale
Standorte und die Einbeziehung der Allgemeinen Psychiatrie in die Behandlung von forensischen Patienten.
Abgesehen von den Stadtstaaten, in denen jeweils zentralisierte Einrichtungen betrieben werden, haben viele Bundesländer unter dem Aufnahmedruck
bzw. dem Anstieg der vorzuhaltenden Behandlungsplätze dezentrale Versorgungskonzepte eingerichtet.
Zweckmäßig und notwendig ist, je nach Störung und Deliktart spezifische
Behandlungsbereiche in Kliniken vorzuhalten, also forensische Fachabteilungen zur Behandlung von Psychosen, von Persönlichkeitsstörungen und von
Intelligenzminderung. Die Abteilungen, insbesondere diejenigen zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen sollten wiederum spezialisierte Behandlungsbereiche für bestimmte Therapiekonzepte vorhalten.
Die Unterbringung von schizophrenen Patienten in Kliniken der Allgemeinen
Psychiatrie ist allerdings dann besonders rehabilitationsförderlich, wenn es
sich um Patienten ohne Doppeldiagnosen handelt und um Patienten ohne zusätzliche dissoziale Persönlichkeitsstörung.
Dezentrale, regionalisierte Versorgungskonzepte erleichtern trotz der multiplizierten Standortdebatten zwischen Politik und Bürgern letztlich auf lange
Sicht die Akzeptanz des psychiatrischen Versorgungssystems und die soziale
Reintegration des Patienten.
Der Anstieg der Belegungszahlen und der Anstieg der Verweildauern kontrastiert mit der insgesamt tendenziell rückläufigen Entwicklung schwerer Kriminalität.
1983 befand diese sich auf einem Minimum von 2362 Plätzen.
Bis 1994 konnte auch die Verweildauer von Patienten auf 5,7 Jahre halbiert
werden.
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Was ist Maßregelvollzug
Mittlerweile liegen die Verweildauern wieder bei rund 7 Jahren, in einigen
Fällen auch deutlich darüber. Sehr zu meiner eigenen Überraschung liegen
die Niederlande gegenwärtig bei rund 10 Jahren (s. Tab. 1).
Tab. 1
Behandlungsplätze auf 100.000 Einwohner
Österreich 2002
3,4
Deutschland 2003
7,5
GB 2001
5,7
Niederlande
8,2
Schweden
10,2
Die Gründe für den Anstieg der Behandlungsplätze sind vielfältig. Die Verlängerung der Verweildauer und die sehr weitreichende Forderung nach jeglichem Ausschluss von Rückfallrisiken spielen dabei genauso eine Rolle wie die
zunehmende Einweisung von schizophrenen Patienten, die infolge ihrer stark
verkürzten Behandlungsdauer in der Allgemeinen Psychiatrie durch psychotisch bedingte Straftaten forensisch untergebracht und hier mitunter Jahre
lang behandelt werden.
Die Zunahme schizophrener Patienten in forensischen und allgemein-psychiatrischen Kliniken auf forensischer Grundlage zeigt sich für NRW wie in
Tabelle 2 dargestellt.
Tab. 2
Schizophrene Patienten im MRV in NRW (Zahlen nach Kutscher u. Seifert 2007).
Insges. 1565 Patienten gem. § 63 StGB
2006
48,4 %
1994
33,7 %
Bei Sexualstraftätern spielt die schwierige Beurteilung des Behandlungserfolges ebenso eine Rolle wie die relativ hohe Rückfallrate über einen langen Zeitraum hinweg. Für schwer geistig behinderte Menschen gibt es nur selten geschlossene Langzeitwohnplätze mit intensiver Betreuung, die zumeist deutlich wichtiger wäre, als eine hoch gesicherte Unterbringung.
Patienten
Im Wesentlichen befinden sich Patienten mit folgenden Störungen in der Forensischen Psychiatrie:
„
„
„
„
„
Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis
wahnhafte Störungen
(schizo-)affektive Psychosen
hirnorganische Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
Intelligenzminderung
7
I Grundsätzliches
„ Persönlichkeitsstörungen des Cluster A (paranoide, schizoide, schizotypische)
„ Persönlichkeitsstörungen des Cluster B (v. a. dissozial, borderline, narzisstisch; nur selten histrionisch)
„ Persönlichkeitsstörungen des Cluster C (hier v. a. vermeidend-selbstunsicher)
„ abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle
„ Suchterkrankungen (führende Diagnose oder Co-Morbidität)
Insgesamt sind heute rund 40 % der Patienten an einer Schizophrenie erkrankt,
ungefähr gleich viel haben eine Persönlichkeitsstörung mit oder ohne zusätzliche Intelligenzminderung, bei 6 % besteht eine geistige Behinderung und bei
4 % eine Suchterkrankung (Leygraf 2006).
Hinsichtlich ihrer sonstigen soziodemographischen Daten gleichen Patienten
in der Forensischen Psychiatrie mehr den Insassen des Strafvollzuges als den
Patienten in allgemeinpsychiatrischen Krankenhäusern. So sind in der Allgemeinen Psychiatrie 45 % der Patienten Frauen, in der Forensik nur rund 6
bis max. 8 %. Dies stimmt überein mit der deutlichen Unterrepräsentanz von
Frauen im Strafvollzug (rund 5 %). Maßregelvollzugspatienten haben zu 58 %
keinen qualifizierten Schulabschluss und zu 75 % keine abgeschlossene Berufsausbildung (Leygraf 2006). Ein Drittel hat eine vorherige Heimkarriere als Kind
oder Jugendlicher, sodass der Anteil der Patienten mit dezidiert sozial schwacher Herkunft überwiegt.
Delikte
Insgesamt gilt bundesweit, dass jeweils rund 30 % der Patienten ein Tötungsdelikt oder Sexualdelikt begangen haben, 15 % Körperverletzungsdelikte, 15 %
Eigentumsdelikte und rund 10 % Brandstiftungen.
Bei den entlassenen Patienten sind Sexualstraftäter mit rund 13 % bundesweit
deutlich unterrepräsentiert (Seifert 2005, zit. n. Leygraf 2006).
Therapeutische Grundprinzipien
Eine Behandlung in der Forensischen Psychiatrie unterscheidet sich sowohl
von der Behandlung in einer allgemeinen Psychiatrie erheblich als auch von
einem Aufenthalt im Strafvollzug. Dem Strafvollzug und der Forensischen
Psychiatrie gemeinsam ist, dass ihre Insassen erhebliche Straftaten begangen
haben und dass sie sich eher nicht freiwillig dort befinden. Ihr Streben richtet
sich maßgeblich auf die Wiedererlangung der Freiheit. Das Unrechtsbewusstsein in Bezug auf ihr Handeln und die getroffenen Sanktionen ist ebenso sehr
unterschiedlich ausgeprägt.
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Was ist Maßregelvollzug
Anders als im regulären Strafvollzug ist jedoch der Aufenthalt von Patienten
gem. § 63 StGB grundsätzlich zeitlich unbefristet und richtet sich nur nach
dem Behandlungserfolg und der daraus resultierenden Besserung der Legalprognose.
Die Forensische Psychiatrie kann mit ihrer regionalen oder zentralen Zuständigkeit die Behandlung eines ihr zugewiesenen Patienten nicht ablehnen. Auch
wenn grundsätzlich Wechsel von Patienten in andere Forensische Kliniken möglich sind, zunächst einmal sind Patient und Klinik gehalten, miteinander einen
vernünftigen Behandlungsweg zu finden und gemeinsam realistische Perspektiven festzulegen. Daher kommt der Motivationsarbeit in der Forensischen Psychiatrie eine ebenso große Bedeutung zu wie eine weitgehende Transparenz
hinsichtlich Einschätzung und für notwendig gehaltener Therapieschritte.
Der geschlossene und hoch gesicherte Rahmen ist jedoch nicht selten die
Grundvoraussetzung dafür, dass Patienten mittelfristig überhaupt eine Motivation entwickeln, an sich zu arbeiten.
Das therapeutische Klima muss entwicklungsförderlich sein, aber ebenso externe Kontrollmechanismen aufweisen, um dissozial-kriminellem Handeln
rasch Einhalt zu gebieten und die Verankerung subkultureller Hierarchien
und Gebräuche unterbinden. Zur Behandlung gehören einerseits eine differentielle Psychopharmakotherapie, psychoedukative Programme, deliktspezifische kognitiv-behaviorale Therapieprogramme mit modularem, stufenweisem Aufbau, suchttherapeutische Rückfallprogramme, spezifische Psychotherapieverfahren, Ergotherapie, Schule, Sport.
Lockerungen sind Therapiebestandteil, müssen aber auch aus dem Therapiefortschritt heraus und mit entsprechenden Therapiezielen begründet sein.
Stationsarbeit
Für die Stationsarbeit kann man folgende Regeln aufstellen:
„ Alle an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen müssen miteinander
kommunizieren und kooperieren.
„ Alle Bereiche, in die der Patient eingebunden ist, müssen zur Bewertung
der Störung und des Behandlungsfortschritts einbezogen werden (Arbeit,
Sport, Schule, Psychotherapie, Freizeitverhalten).
„ Es muss ein regelmäßig fortlaufend zu erstellender Therapieplan mit
Therapiezielen und Therapiemethoden ausgearbeitet werden
„ Der Patient muss regelmäßig in Aktivitäten mit einbezogen werden, in
denen er seiner bisherigen Erfahrung und Sozialisation entgegen stehende positive Erfahrungen machen kann
„ Stationsregeln müssen verbindlich, transparent und möglichst von der
Patientengruppe selbst mit erarbeitet sein
„ Die Mitarbeiter müssen sich ihrer Modellfunktion bewusst sein
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I Grundsätzliches
„ Störungsspezifische Erlebnis- und Verhaltensweisen der Patienten müssen auf der Station zeitnah vom Behandlerteam gespiegelt und thematisiert werden
„ Die Kommunikation hat klar, verbindlich, empathisch und wertschätzend zu sein
Rückfallzahlen
Zur Legalprognose entlassener Maßregelvollzugspatienten kann allgemein
festgehalten werden, dass eine Behandlung im Maßregelvollzug die Rückfallquoten von psychisch kranken Straftätern deutlich senkt. Die Rückfallquote
schizophrener Patienten haben S. U. Kutscher, S. Möller-Mussavi und D. Seifert vom Institut für Forensische Psychiatrie unter N. Leygraf (Essen) im Rahmen der Essener Prognosestudie 255 Patienten nachuntersucht, die im Zeitraum von 1997 bis 2003 aus dem MRV entlassen wurden (Kutscher et al. 2006).
Bei den 110 schizophrenen Patienten betrug die allgemeine Rückfälligkeit binnen einer mittleren time-at-risk von 4 Jahren 12,7 %. Eine Gewaltdelinquenz
wurde von 2,7 % der Schizophrenen begangen.
Die Nicht-Schizophrenen zeigten mit 28,3 % eine deutlich höhere allgemeine
Rückfälligkeit und mit 11 % eine höhere Rückfälligkeit für Gewaltdelinquenz.
Dabei ist allerdings bemerkenswert, dass 64 % aller in der Studie eingeschlossenen Patienten bereits vor ihrer MRV-Unterbringung strafrechtlich in Erscheinung getreten waren. Bedeutsam für eine gute Legalbewährung nach
Entlassung aus dem Maßregelvollzug ist eine engmaschige Nachsorge.
Eine kritische Gruppe bleibt die Rückfälligkeit von Sexualstraftätern, wenngleich diese auch deutlich unter den Zahlen für den Strafvollzug liegt.
Nach Ansicht der Verfasserin ist der Diskrepanz zwischen positiver innerklinischer Entwicklung und negativer Legalbewährung nach Entlassung nur mit
deutlich strikteren sozialen Kontrollmöglichkeiten zu begegnen.
Literatur
Kröber H. L.: Was ist und wonach strebt die Forensische Psychiatrie? In: Kröber H. L., Dölling D., Leygraf N., Sass
H. (Hrsg.): Handbuch der forensischen Psychiatrie. Bd. 1, Steinkopff Darmstadt 2007
Kutscher S. U., Möller-Mussavi S., Seifert D.: Schizophrene Psychosen im Maßregelvollzug gem. § 63 StGB:
Legalprognose entlassener Patienten und aktuelle Entwicklungen. In: Saimeh N. (Hrsg.): Gesellschaft mit
beschränkter Haftung. Maßregelvollzug als soziale Verpflichtung. Tagungsband zur 21. Eickelborner Fachtagung 2006. Psychiatrie Verlag Bonn 2006
Kutscher S. U., Seifert D.: Zur aktuellen Situation schizophrener Patienten im Maßregelvollzug gem. § 63 StGB
in Nordrhein-Westfalen. In: Saimeh N. (Hrsg.): Maßregelvollzug in Zeiten ökonomischer Begrenzung. Tagungsband zur 22. Eickelborner Fachtagung 2007. Psychiatrie Verlag Bonn 2007
Leygraf N.: Maßregelvollzug und Strafvollzug. In: Kröber H. L., Dölling D., Leygraf N., Sass H. (Hrsg.): Handbuch
der forensischen Psychiatrie. Bd. 3, Steinkopff Darmstadt 2006
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Die gegenwärtige Gesetzeslage
zum Maßregelvollzug
Ursula Schneider
Im Jahr 2007 hat sich die gesetzliche Landschaft in der Umgebung des psychiatrischen Maßregelvollzugs durch Inkrafttreten des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (BGBl. I 1327) und des Gesetzes zur Reform
der Führungsaufsicht (BGBl. I 531) erheblich verändert. Beide Gesetze beruhen auf umfangreichen Vorarbeiten. Die Reform des Maßregelrechts wurde bereits seit Beginn der 90er Jahre unter
Beteiligung verschiedener Arbeitsgruppen betrieben (U. Schneider 2008). Zur Vorbereitung der
Reform der Führungsaufsicht wurde eine Praxisbefragung durchgeführt, deren Ergebnisse als
Bericht des Strafrechtsausschusses der Justizministerkonferenz (2004) vorgelegt wurden und
eine der Grundlagen der Reform bildeten. Sie ging indes deutlich über die Vorschläge des Berichts hinaus (U. Schneider 2007).
Die Reform des Maßregelrechts
Das letztlich verabschiedete Reformgesetz stellt einen Kompromiss zwischen
dem vor allem von Bayern initiierten Gesetzentwurf des Bundesrates zur Reform des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
und in einer Entziehungsanstalt (BT-Drs. 16/1344) und dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung (BT-Drs. 16/1110) dar. Es wollte neben der Umsetzung von
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Rahmenbedingungen für eine
effizientere Nutzung der Kapazitäten des Maßregelvollzugs zum Schutz der
Bevölkerung schaffen. Das Maßregelrecht wurde flexibler gestaltet; soweit
möglich wurde die Unterbringung enger an die Erfolgsaussichten einer Behandlung gebunden.
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I Grundsätzliches
Änderungen der Voraussetzungen für die Anordnung und Fortdauer
der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
Die Gesetzesänderung setzt die durch das Bundesverfassungsgericht in seiner
Entscheidung vom 16. März 1994 (BVerfGE 91, 1 ff.) entwickelten Maßstäbe um.
Sowohl die Anordnung als auch die Fortdauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurden von der begründeten Erwartung eines Behandlungserfolges abhängig gemacht.
Nach § 64 Satz 2 StGB ist die Prognose erforderlich, dass bei erfolgreichem Verlauf der Unterbringung die Gefährlichkeit der betroffenen Person aufgehoben
oder deutlich herabgesetzt wird. Es müssen konkrete Anhaltspunkte in ihrer
Persönlichkeit und ihren Lebensumständen bestehen, die einen solchen Verlauf erwarten lassen (Fischer § 64 Rdn. 19). Eine Gewähr des Behandlungserfolges wird nicht verlangt, nur eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hängt nicht
vom Therapiewillen des Betroffenen ab. Vielmehr kann die Herbeiführung der
Behandlungsbereitschaft Bestandteil der Therapie sein.
Die hinreichend konkrete Aussicht der Rückfallfreiheit muss sich auf einen
„erheblichen“ Zeitraum erstrecken. Der Gesetzgeber hat sich für diese Formulierung in bewusster Abkehr von der im Gesetzentwurf der Bundesregierung
vorgeschlagenen Formulierung („nicht unerhebliche Zeit“) entschieden (vgl.
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 16/5137, S. 25). Sie wollte lediglich Fälle ausschließen, in denen ein Suchtrückfall „fast unmittelbar
nach der Entlassung im Abstand von wenigen Tagen oder Wochen“ zu erwarten ist (BT-Drs. 16/1110, S. 14). Welche Zeitspanne als „erheblich“ anzusehen
ist, lässt sich indes nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf den Einzelfall
bestimmen. „Unabsehbarkeit“ ist nicht erforderlich; positiv prognostizierte
Zeitspannen von wenigen Jahren reichen i. d. R. aus (Fischer § 64 Rdn. 19).
Sobald im Verlauf der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erkannt
wird, dass die Behandlung keine Aussicht auf Erfolg hat, gibt es für ihre Fortdauer keine Gründe mehr. Deshalb ist sie nach § 67 d Abs. 5 StGB zu beenden.
Soweit die Maßregel vor der Strafe vollzogen wird, ist die Zeit des Maßregelvollzugs ausnahmslos auf die Strafe anzurechnen, bis zwei Drittel erledigt
sind (§ 67 Abs. 4 Satz 1 StGB). Da eine juristisch und medizinisch gesicherte
Abgrenzung zwischen Therapieunwilligkeit und Therapieunfähigkeit nicht
möglich ist, wurde kein Ersatz für den verfassungswidrigen § 67 Abs. 4 Satz 2
StGB a. F. geschaffen.
Gestaltung des § 64 StGB als Soll-Vorschrift und Lockerung der Pflicht zur
Einholung eines Sachverständigengutachtens
Ziel der auf einem Vorschlag des Bundesrates beruhenden Umwandlung des
§ 64 StGB in eine Soll-Vorschrift war die Entlastung des Maßregelvollzugs von
Tätern mit sehr ungünstigen Ausgangsbedingungen.
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Die gegenwärtige Gesetzeslage zum Maßregelvollzug
Nach der Neuregelung muss das Gericht die Unterbringung in der Regel anordnen, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Die Prüfung des § 64
StGB wird nicht deshalb entbehrlich, weil die Unterbringung nicht mehr
zwingend ausgesprochen werden muss (BGH NStZ-RR 2008, 73 f.). Vielmehr
muss das Tatgericht das ihm eingeräumte Ermessen tatsächlich ausüben und
die Ermessensentscheidung in der Begründung seines Urteils für das Revisionsgericht nachprüfbar machen (BGH StV 2008, 300).
Lediglich in besonderen Ausnahmefällen darf das Gericht von der Unterbringung absehen. Die im Gesetzentwurf des Bundesrates genannten Beispielsfälle (sprachunkundige Angeklagte; ausländische Angeklagte, deren Ausweisung zu erwarten ist; Täter, bei denen eine Disposition für die Begehung von Straftaten nicht wesentlich
durch den Hang zu übermäßigem Drogenkonsum, sondern durch weitere Persönlichkeitsmängel begründet wird) gingen dem Rechtsausschuss des Bundestages allerdings
teilweise zu weit. So betonte er in seiner Beschlussempfehlung in Anlehnung
an die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BGHSt 36, 199, 201),
dass die Sprachunkundigkeit eines Ausländers alleine nicht Grund sein kann,
auf seine Unterbringung zu verzichten. Denn es ist grundsätzlich Aufgabe der
für den Vollzug der Maßregel zuständigen Behörden, für behandlungs- und
besserungsfähige ausländische Täter hinreichend geeignete Vollstreckungsmöglichkeiten bereitzustellen. Nur wenn dem unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstehen, weil z. B. der Verurteilte eine in Deutschland sehr
selten vertretene Fremdsprache spricht und auch nicht erwartet werden kann,
dass er im Vollzug ausreichend Deutsch lernen wird, um an einer Therapie
mitwirken zu können, soll das Gericht von der Unterbringung absehen können. Angesichts der Gesetzesänderung hat der BGH bereits angekündigt, dass
seine bisherige Rechtsprechung, wonach fehlende Sprachkenntnisse außer
Betracht zu bleiben hätten, in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht zu erhalten
sein wird (StV 2008, 170).
Zur Lösung der Problematik der Unterbringung ausreisepflichtiger Ausländer
wählt die Reform grundsätzlich die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge
(§ 67 Abs. 2 Satz 4 StGB). Der Rechtsausschuss wies deshalb darauf hin, dass
auf ihre Unterbringung nur dann verzichtet werden dürfe, wenn die Ausreise
in naher Zukunft sicher sei. Das Gericht muss sich bewusst sein, dass der Verzicht auf die Unterbringung anders als die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge im Nachhinein nicht mehr korrigierbar ist.
Flankiert wird die Umgestaltung des § 64 StGB durch eine Änderung des § 246 a
StPO, die ebenfalls einen Vorschlag des Bundesrates aufgreift. Für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist die Hinzuziehung eines Gutachters
demnach auf Fälle beschränkt, in denen das Gericht die Unterbringung „erwägt“. Der Rechtsausschuss des Bundestages hat freilich betont, dass das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung regelmäßig sachverständig beraten
sein muss (BT-Drs. 16/5137, S. 28). Auf eine Begutachtung kann deshalb nur
dann verzichtet werden, wenn die Unterbringung unter Ausschöpfung des
dem Gerichts nunmehr eingeräumten, eng begrenzten Ermessensspielraums
offensichtlich nicht in Frage kommt.
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