Was ist Maßregelvollzug Nahlah Saimeh Definition und Auftrag Die Begriffe „Maßregelvollzug“ und „Forensische Psychiatrie“ werden zumeist als Synonyme verwendet. Zu den gesetzlichen Grundlagen der Maßregeln gehören die Unterbringung von psychisch kranken Straftätern gem. §§ 63, 64 StGB in psychiatrische Kliniken oder Suchtkliniken und die Unterbringung von (per Definition psychisch gesunden) Hangtätern in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB. Während Strafe stets eine Reaktion auf ein vorwerfbares, zu missbilligendes Verhalten darstellt und daran Ideen von Sühne und Korrektur des Straftäters gebunden sind, stellen Maßregeln der Besserung und Sicherung auf den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern ab, vor psychisch kranken und vor psychisch gesunden. Sie ermöglichen aber auch erst die Trennung zwischen Strafe für Tatschuld und Therapie für schuldunfähige Täter. Die Forensische Psychiatrie befasst sich mit denjenigen Tätern, die aufgrund einer gravierenden psychischen Erkrankung Straftaten begangen haben und deswegen bei der Tatbegehung erheblich vermindert schuldfähig oder gänzlich schuldunfähig waren. Mit der Anwendung der §§ 63, 64 StGB werden aus Straftätern Patienten. Während die Zulässigkeit der Unterbringung gem. § 63 StGB von der Interventionsnotwendigkeit abhängt, nicht jedoch von der tatsächlichen Aussicht auf Therapierbarkeit, ist die Unterbringung gem. § 64 StGB abhängig von der Interventionsmöglichkeit. Während die Unterbringung gem. §§ 63, 64 StGB direkt im Urteil angeordnet werden muss, kann die Sicherungsverwahrung (§ 66 3 I Grundsätzliches StGB) eines voll schuldfähigen Täters auch noch zu einem späteren Zeitpunkt angeordnet werden. Gesetzesgrundlage § § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. § 21 Verminderte Schuldfähigkeit Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden. § 63 Strafgesetzbuch – Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. § 64 Strafgesetzbuch – Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Hat jemand den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer rechtswidrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil eine Schuldfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, wenn die Gefahr besteht, dass er infolge seines Handelns erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung unterbleibt, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint. Eine gewisse Permeabilität des Systems erlaubt nach Erledigung der Maßregel gem. § 63 StGB unter bestimmten Umständen eine Überführung in die Sicherungsverwahrung, auch kann ein Insasse der Sicherungsverwahrung vom Gericht in ein psychiatrisches Krankenhaus oder in eine Suchtklinik überwiesen werden kann, wenn dies für seine Resozialisierung förderlich ist. Während sich die Psychiatrie als medizinische Disziplin mit der Erforschung der Ursachen, Diagnostik, Therapie und Prävention psychischer Erkrankungen und Störungen befasst, befasst sich die forensische Psychiatrie mit der Be- 4 I Was ist Maßregelvollzug deutung von Persönlichkeit, Begabung und psychischen Krankheiten für die Fähigkeit eines Menschen, sich in seiner Kultur und Gesellschaft sozial zu bewähren und gesetzeskonform zu verhalten. Diese Fähigkeit schließt zivil- und sozialrechtliche sowie strafrechtliche Fragestellungen ein. Die Forensische Psychiatrie liegt in einer Schnittmenge aus den Disziplinen Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, Soziologie und Neuro-Wissenschaften. Dementsprechend richten sich Kongresse und Fachtagungen an Psychiater, Psychologen, Neurobiologen, Entwicklungsforscher, Juristen, Kriminalbeamte und Vollzugsbedienstete und nicht zuletzt an Journalisten. Im Alltag überwiegt das Verständnis des Fachgebiets als Kriminalpsychiatrie. Sie befasst sich in ihrem wissenschaftlichen Zweig mit Ursachenforschung, Verlaufsforschung, Therapieforschung und Therapieorganisationsforschung (vgl. Kröber 2007). In ihrer klinischen Anwendung befassen sich Forensische Psychiater mit der Diagnostik, Begutachtung, Behandlung und Sicherung von untergebrachten Patienten. Als Gutachter werden sie gefragt zur Klärung der Fragen zur Schuldfähigkeit (§ 63 StGB), zu Fragen der Behandlungsaussichten (§ 64 StGB) und zu Fragen des „Hangs zu erheblichen Straftaten“ (§ 66 StGB). Verlaufsuntersuchungen in der Forensischen Psychiatrie sind niemals nur bezogen auf den Verlauf einer Erkrankung und die klinische Wirkung therapeutischer Methoden, sondern immer auch bezogen auf die mit der Therapie verknüpfte, zu erwartende Legalbewährung. Das Therapieziel ist die Erreichung der Fähigkeit und die persönliche Entscheidung zugunsten legalkonformen Verhaltens. Daher ist die Entlassung des Patienten bei einer Unterbringung gem. § 63 StGB – abgesehen von den Kriterien der Verhältnismäßigkeit oder der Erledigung bei Fehleinweisung – strikt abhängig von der Besserung der Gefährlichkeitsprognose. Die Beendigung der Maßregel gem. § 64 StGB unterliegt hingegen der Aussicht auf Behandlungserfolg und einer zeitlich klar begrenzten maximalen Therapiedauer. Die Forensische Psychiatrie ist zwei Bezugsgruppen gegenüber verantwortlich: einerseits den ihr zu Behandlung anvertrauten Patienten, andererseits stets auch der Allgemeinheit, den Bürger, die ein Anrecht auf Schutz vor erkennbaren Gefahren haben. Zu diesen Bürgern gehören auch die Beschäftigten in den Kliniken. Die Sicherheit des Personals ist eine Grundvoraussetzung für die Erfüllung des therapeutischen Auftrages. In der Öffentlichkeit werden die realen Gefahren für Bürger und Mitarbeiter durch solche forensischen Fachkliniken bei weitem überschätzt. Untersuchungen zu nennenswerten Zwischenfällen am LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie, einer der bundesweit größten Fachkliniken ihrer Art zeigen auf, wie selten Entweichungen aus Lockerungen oder gar nennenswerte Zwischenfälle strafrechtlicher Relevanz sind. Bezogen auf 843.000 Patiententagen in rund 6 Jahren stellen zwei sexuell motivierte Übergriffe auf Mitarbeiterinnen Ereignisse von gerade mal 0,24 Promille Wahrscheinlichkeit dar. 5 I Grundsätzliches Das Fachblatt Aero International hat im März 2003 eine Flugunfallstatistik verschiedener großer Airlines veröffentlicht. Gezählt wurden die Flugunfalltoten bezogen auf die kumulierte Jahresflugleistung der Airline. Die Lufthansa erhielt einen Koeffizienten von 0,05. Die British Airways liegt bei 0,04 und American Airlines bei 0,3. Entwicklung der Behandlungsplätze Angesichts der engen Beziehung zwischen Kriminalistik, Sicherungs- und Besserungsauftrag mag verwundern, warum der psychiatrische Maßregelvollzug nicht Bestandteil justizeigener Institutionen ist. Im Rahmen der 2. Strafrechtsreform hat der Gesetzgeber jedoch klar entschieden, dass die Maßregeln gem. §§ 63, 64 StGB innerhalb des allgemeinen psychiatrischen Versorgungssystems zu erfolgen hat. Die Organisation und Ausgestaltung des Maßregelvollzuges ist dabei Ländersache. Die Bundesländer unterscheiden sich in ihrer Versorgungsstruktur im Hinblick auf zentralisierte Fachkliniken, dezentrale Standorte und die Einbeziehung der Allgemeinen Psychiatrie in die Behandlung von forensischen Patienten. Abgesehen von den Stadtstaaten, in denen jeweils zentralisierte Einrichtungen betrieben werden, haben viele Bundesländer unter dem Aufnahmedruck bzw. dem Anstieg der vorzuhaltenden Behandlungsplätze dezentrale Versorgungskonzepte eingerichtet. Zweckmäßig und notwendig ist, je nach Störung und Deliktart spezifische Behandlungsbereiche in Kliniken vorzuhalten, also forensische Fachabteilungen zur Behandlung von Psychosen, von Persönlichkeitsstörungen und von Intelligenzminderung. Die Abteilungen, insbesondere diejenigen zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen sollten wiederum spezialisierte Behandlungsbereiche für bestimmte Therapiekonzepte vorhalten. Die Unterbringung von schizophrenen Patienten in Kliniken der Allgemeinen Psychiatrie ist allerdings dann besonders rehabilitationsförderlich, wenn es sich um Patienten ohne Doppeldiagnosen handelt und um Patienten ohne zusätzliche dissoziale Persönlichkeitsstörung. Dezentrale, regionalisierte Versorgungskonzepte erleichtern trotz der multiplizierten Standortdebatten zwischen Politik und Bürgern letztlich auf lange Sicht die Akzeptanz des psychiatrischen Versorgungssystems und die soziale Reintegration des Patienten. Der Anstieg der Belegungszahlen und der Anstieg der Verweildauern kontrastiert mit der insgesamt tendenziell rückläufigen Entwicklung schwerer Kriminalität. 1983 befand diese sich auf einem Minimum von 2362 Plätzen. Bis 1994 konnte auch die Verweildauer von Patienten auf 5,7 Jahre halbiert werden. 6 I Was ist Maßregelvollzug Mittlerweile liegen die Verweildauern wieder bei rund 7 Jahren, in einigen Fällen auch deutlich darüber. Sehr zu meiner eigenen Überraschung liegen die Niederlande gegenwärtig bei rund 10 Jahren (s. Tab. 1). Tab. 1 Behandlungsplätze auf 100.000 Einwohner Österreich 2002 3,4 Deutschland 2003 7,5 GB 2001 5,7 Niederlande 8,2 Schweden 10,2 Die Gründe für den Anstieg der Behandlungsplätze sind vielfältig. Die Verlängerung der Verweildauer und die sehr weitreichende Forderung nach jeglichem Ausschluss von Rückfallrisiken spielen dabei genauso eine Rolle wie die zunehmende Einweisung von schizophrenen Patienten, die infolge ihrer stark verkürzten Behandlungsdauer in der Allgemeinen Psychiatrie durch psychotisch bedingte Straftaten forensisch untergebracht und hier mitunter Jahre lang behandelt werden. Die Zunahme schizophrener Patienten in forensischen und allgemein-psychiatrischen Kliniken auf forensischer Grundlage zeigt sich für NRW wie in Tabelle 2 dargestellt. Tab. 2 Schizophrene Patienten im MRV in NRW (Zahlen nach Kutscher u. Seifert 2007). Insges. 1565 Patienten gem. § 63 StGB 2006 48,4 % 1994 33,7 % Bei Sexualstraftätern spielt die schwierige Beurteilung des Behandlungserfolges ebenso eine Rolle wie die relativ hohe Rückfallrate über einen langen Zeitraum hinweg. Für schwer geistig behinderte Menschen gibt es nur selten geschlossene Langzeitwohnplätze mit intensiver Betreuung, die zumeist deutlich wichtiger wäre, als eine hoch gesicherte Unterbringung. Patienten Im Wesentlichen befinden sich Patienten mit folgenden Störungen in der Forensischen Psychiatrie: Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis wahnhafte Störungen (schizo-)affektive Psychosen hirnorganische Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen Intelligenzminderung 7 I Grundsätzliches Persönlichkeitsstörungen des Cluster A (paranoide, schizoide, schizotypische) Persönlichkeitsstörungen des Cluster B (v. a. dissozial, borderline, narzisstisch; nur selten histrionisch) Persönlichkeitsstörungen des Cluster C (hier v. a. vermeidend-selbstunsicher) abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle Suchterkrankungen (führende Diagnose oder Co-Morbidität) Insgesamt sind heute rund 40 % der Patienten an einer Schizophrenie erkrankt, ungefähr gleich viel haben eine Persönlichkeitsstörung mit oder ohne zusätzliche Intelligenzminderung, bei 6 % besteht eine geistige Behinderung und bei 4 % eine Suchterkrankung (Leygraf 2006). Hinsichtlich ihrer sonstigen soziodemographischen Daten gleichen Patienten in der Forensischen Psychiatrie mehr den Insassen des Strafvollzuges als den Patienten in allgemeinpsychiatrischen Krankenhäusern. So sind in der Allgemeinen Psychiatrie 45 % der Patienten Frauen, in der Forensik nur rund 6 bis max. 8 %. Dies stimmt überein mit der deutlichen Unterrepräsentanz von Frauen im Strafvollzug (rund 5 %). Maßregelvollzugspatienten haben zu 58 % keinen qualifizierten Schulabschluss und zu 75 % keine abgeschlossene Berufsausbildung (Leygraf 2006). Ein Drittel hat eine vorherige Heimkarriere als Kind oder Jugendlicher, sodass der Anteil der Patienten mit dezidiert sozial schwacher Herkunft überwiegt. Delikte Insgesamt gilt bundesweit, dass jeweils rund 30 % der Patienten ein Tötungsdelikt oder Sexualdelikt begangen haben, 15 % Körperverletzungsdelikte, 15 % Eigentumsdelikte und rund 10 % Brandstiftungen. Bei den entlassenen Patienten sind Sexualstraftäter mit rund 13 % bundesweit deutlich unterrepräsentiert (Seifert 2005, zit. n. Leygraf 2006). Therapeutische Grundprinzipien Eine Behandlung in der Forensischen Psychiatrie unterscheidet sich sowohl von der Behandlung in einer allgemeinen Psychiatrie erheblich als auch von einem Aufenthalt im Strafvollzug. Dem Strafvollzug und der Forensischen Psychiatrie gemeinsam ist, dass ihre Insassen erhebliche Straftaten begangen haben und dass sie sich eher nicht freiwillig dort befinden. Ihr Streben richtet sich maßgeblich auf die Wiedererlangung der Freiheit. Das Unrechtsbewusstsein in Bezug auf ihr Handeln und die getroffenen Sanktionen ist ebenso sehr unterschiedlich ausgeprägt. 8 I Was ist Maßregelvollzug Anders als im regulären Strafvollzug ist jedoch der Aufenthalt von Patienten gem. § 63 StGB grundsätzlich zeitlich unbefristet und richtet sich nur nach dem Behandlungserfolg und der daraus resultierenden Besserung der Legalprognose. Die Forensische Psychiatrie kann mit ihrer regionalen oder zentralen Zuständigkeit die Behandlung eines ihr zugewiesenen Patienten nicht ablehnen. Auch wenn grundsätzlich Wechsel von Patienten in andere Forensische Kliniken möglich sind, zunächst einmal sind Patient und Klinik gehalten, miteinander einen vernünftigen Behandlungsweg zu finden und gemeinsam realistische Perspektiven festzulegen. Daher kommt der Motivationsarbeit in der Forensischen Psychiatrie eine ebenso große Bedeutung zu wie eine weitgehende Transparenz hinsichtlich Einschätzung und für notwendig gehaltener Therapieschritte. Der geschlossene und hoch gesicherte Rahmen ist jedoch nicht selten die Grundvoraussetzung dafür, dass Patienten mittelfristig überhaupt eine Motivation entwickeln, an sich zu arbeiten. Das therapeutische Klima muss entwicklungsförderlich sein, aber ebenso externe Kontrollmechanismen aufweisen, um dissozial-kriminellem Handeln rasch Einhalt zu gebieten und die Verankerung subkultureller Hierarchien und Gebräuche unterbinden. Zur Behandlung gehören einerseits eine differentielle Psychopharmakotherapie, psychoedukative Programme, deliktspezifische kognitiv-behaviorale Therapieprogramme mit modularem, stufenweisem Aufbau, suchttherapeutische Rückfallprogramme, spezifische Psychotherapieverfahren, Ergotherapie, Schule, Sport. Lockerungen sind Therapiebestandteil, müssen aber auch aus dem Therapiefortschritt heraus und mit entsprechenden Therapiezielen begründet sein. Stationsarbeit Für die Stationsarbeit kann man folgende Regeln aufstellen: Alle an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen müssen miteinander kommunizieren und kooperieren. Alle Bereiche, in die der Patient eingebunden ist, müssen zur Bewertung der Störung und des Behandlungsfortschritts einbezogen werden (Arbeit, Sport, Schule, Psychotherapie, Freizeitverhalten). Es muss ein regelmäßig fortlaufend zu erstellender Therapieplan mit Therapiezielen und Therapiemethoden ausgearbeitet werden Der Patient muss regelmäßig in Aktivitäten mit einbezogen werden, in denen er seiner bisherigen Erfahrung und Sozialisation entgegen stehende positive Erfahrungen machen kann Stationsregeln müssen verbindlich, transparent und möglichst von der Patientengruppe selbst mit erarbeitet sein Die Mitarbeiter müssen sich ihrer Modellfunktion bewusst sein 9 I Grundsätzliches Störungsspezifische Erlebnis- und Verhaltensweisen der Patienten müssen auf der Station zeitnah vom Behandlerteam gespiegelt und thematisiert werden Die Kommunikation hat klar, verbindlich, empathisch und wertschätzend zu sein Rückfallzahlen Zur Legalprognose entlassener Maßregelvollzugspatienten kann allgemein festgehalten werden, dass eine Behandlung im Maßregelvollzug die Rückfallquoten von psychisch kranken Straftätern deutlich senkt. Die Rückfallquote schizophrener Patienten haben S. U. Kutscher, S. Möller-Mussavi und D. Seifert vom Institut für Forensische Psychiatrie unter N. Leygraf (Essen) im Rahmen der Essener Prognosestudie 255 Patienten nachuntersucht, die im Zeitraum von 1997 bis 2003 aus dem MRV entlassen wurden (Kutscher et al. 2006). Bei den 110 schizophrenen Patienten betrug die allgemeine Rückfälligkeit binnen einer mittleren time-at-risk von 4 Jahren 12,7 %. Eine Gewaltdelinquenz wurde von 2,7 % der Schizophrenen begangen. Die Nicht-Schizophrenen zeigten mit 28,3 % eine deutlich höhere allgemeine Rückfälligkeit und mit 11 % eine höhere Rückfälligkeit für Gewaltdelinquenz. Dabei ist allerdings bemerkenswert, dass 64 % aller in der Studie eingeschlossenen Patienten bereits vor ihrer MRV-Unterbringung strafrechtlich in Erscheinung getreten waren. Bedeutsam für eine gute Legalbewährung nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug ist eine engmaschige Nachsorge. Eine kritische Gruppe bleibt die Rückfälligkeit von Sexualstraftätern, wenngleich diese auch deutlich unter den Zahlen für den Strafvollzug liegt. Nach Ansicht der Verfasserin ist der Diskrepanz zwischen positiver innerklinischer Entwicklung und negativer Legalbewährung nach Entlassung nur mit deutlich strikteren sozialen Kontrollmöglichkeiten zu begegnen. Literatur Kröber H. L.: Was ist und wonach strebt die Forensische Psychiatrie? In: Kröber H. L., Dölling D., Leygraf N., Sass H. (Hrsg.): Handbuch der forensischen Psychiatrie. Bd. 1, Steinkopff Darmstadt 2007 Kutscher S. U., Möller-Mussavi S., Seifert D.: Schizophrene Psychosen im Maßregelvollzug gem. § 63 StGB: Legalprognose entlassener Patienten und aktuelle Entwicklungen. In: Saimeh N. (Hrsg.): Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Maßregelvollzug als soziale Verpflichtung. Tagungsband zur 21. Eickelborner Fachtagung 2006. Psychiatrie Verlag Bonn 2006 Kutscher S. U., Seifert D.: Zur aktuellen Situation schizophrener Patienten im Maßregelvollzug gem. § 63 StGB in Nordrhein-Westfalen. In: Saimeh N. (Hrsg.): Maßregelvollzug in Zeiten ökonomischer Begrenzung. Tagungsband zur 22. Eickelborner Fachtagung 2007. Psychiatrie Verlag Bonn 2007 Leygraf N.: Maßregelvollzug und Strafvollzug. In: Kröber H. L., Dölling D., Leygraf N., Sass H. (Hrsg.): Handbuch der forensischen Psychiatrie. Bd. 3, Steinkopff Darmstadt 2006 10 Die gegenwärtige Gesetzeslage zum Maßregelvollzug Ursula Schneider Im Jahr 2007 hat sich die gesetzliche Landschaft in der Umgebung des psychiatrischen Maßregelvollzugs durch Inkrafttreten des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (BGBl. I 1327) und des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht (BGBl. I 531) erheblich verändert. Beide Gesetze beruhen auf umfangreichen Vorarbeiten. Die Reform des Maßregelrechts wurde bereits seit Beginn der 90er Jahre unter Beteiligung verschiedener Arbeitsgruppen betrieben (U. Schneider 2008). Zur Vorbereitung der Reform der Führungsaufsicht wurde eine Praxisbefragung durchgeführt, deren Ergebnisse als Bericht des Strafrechtsausschusses der Justizministerkonferenz (2004) vorgelegt wurden und eine der Grundlagen der Reform bildeten. Sie ging indes deutlich über die Vorschläge des Berichts hinaus (U. Schneider 2007). Die Reform des Maßregelrechts Das letztlich verabschiedete Reformgesetz stellt einen Kompromiss zwischen dem vor allem von Bayern initiierten Gesetzentwurf des Bundesrates zur Reform des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (BT-Drs. 16/1344) und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 16/1110) dar. Es wollte neben der Umsetzung von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die Rahmenbedingungen für eine effizientere Nutzung der Kapazitäten des Maßregelvollzugs zum Schutz der Bevölkerung schaffen. Das Maßregelrecht wurde flexibler gestaltet; soweit möglich wurde die Unterbringung enger an die Erfolgsaussichten einer Behandlung gebunden. 11 I Grundsätzliches Änderungen der Voraussetzungen für die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Die Gesetzesänderung setzt die durch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 16. März 1994 (BVerfGE 91, 1 ff.) entwickelten Maßstäbe um. Sowohl die Anordnung als auch die Fortdauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurden von der begründeten Erwartung eines Behandlungserfolges abhängig gemacht. Nach § 64 Satz 2 StGB ist die Prognose erforderlich, dass bei erfolgreichem Verlauf der Unterbringung die Gefährlichkeit der betroffenen Person aufgehoben oder deutlich herabgesetzt wird. Es müssen konkrete Anhaltspunkte in ihrer Persönlichkeit und ihren Lebensumständen bestehen, die einen solchen Verlauf erwarten lassen (Fischer § 64 Rdn. 19). Eine Gewähr des Behandlungserfolges wird nicht verlangt, nur eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hängt nicht vom Therapiewillen des Betroffenen ab. Vielmehr kann die Herbeiführung der Behandlungsbereitschaft Bestandteil der Therapie sein. Die hinreichend konkrete Aussicht der Rückfallfreiheit muss sich auf einen „erheblichen“ Zeitraum erstrecken. Der Gesetzgeber hat sich für diese Formulierung in bewusster Abkehr von der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgeschlagenen Formulierung („nicht unerhebliche Zeit“) entschieden (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 16/5137, S. 25). Sie wollte lediglich Fälle ausschließen, in denen ein Suchtrückfall „fast unmittelbar nach der Entlassung im Abstand von wenigen Tagen oder Wochen“ zu erwarten ist (BT-Drs. 16/1110, S. 14). Welche Zeitspanne als „erheblich“ anzusehen ist, lässt sich indes nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf den Einzelfall bestimmen. „Unabsehbarkeit“ ist nicht erforderlich; positiv prognostizierte Zeitspannen von wenigen Jahren reichen i. d. R. aus (Fischer § 64 Rdn. 19). Sobald im Verlauf der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erkannt wird, dass die Behandlung keine Aussicht auf Erfolg hat, gibt es für ihre Fortdauer keine Gründe mehr. Deshalb ist sie nach § 67 d Abs. 5 StGB zu beenden. Soweit die Maßregel vor der Strafe vollzogen wird, ist die Zeit des Maßregelvollzugs ausnahmslos auf die Strafe anzurechnen, bis zwei Drittel erledigt sind (§ 67 Abs. 4 Satz 1 StGB). Da eine juristisch und medizinisch gesicherte Abgrenzung zwischen Therapieunwilligkeit und Therapieunfähigkeit nicht möglich ist, wurde kein Ersatz für den verfassungswidrigen § 67 Abs. 4 Satz 2 StGB a. F. geschaffen. Gestaltung des § 64 StGB als Soll-Vorschrift und Lockerung der Pflicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens Ziel der auf einem Vorschlag des Bundesrates beruhenden Umwandlung des § 64 StGB in eine Soll-Vorschrift war die Entlastung des Maßregelvollzugs von Tätern mit sehr ungünstigen Ausgangsbedingungen. 12 I Die gegenwärtige Gesetzeslage zum Maßregelvollzug Nach der Neuregelung muss das Gericht die Unterbringung in der Regel anordnen, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Die Prüfung des § 64 StGB wird nicht deshalb entbehrlich, weil die Unterbringung nicht mehr zwingend ausgesprochen werden muss (BGH NStZ-RR 2008, 73 f.). Vielmehr muss das Tatgericht das ihm eingeräumte Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung in der Begründung seines Urteils für das Revisionsgericht nachprüfbar machen (BGH StV 2008, 300). Lediglich in besonderen Ausnahmefällen darf das Gericht von der Unterbringung absehen. Die im Gesetzentwurf des Bundesrates genannten Beispielsfälle (sprachunkundige Angeklagte; ausländische Angeklagte, deren Ausweisung zu erwarten ist; Täter, bei denen eine Disposition für die Begehung von Straftaten nicht wesentlich durch den Hang zu übermäßigem Drogenkonsum, sondern durch weitere Persönlichkeitsmängel begründet wird) gingen dem Rechtsausschuss des Bundestages allerdings teilweise zu weit. So betonte er in seiner Beschlussempfehlung in Anlehnung an die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BGHSt 36, 199, 201), dass die Sprachunkundigkeit eines Ausländers alleine nicht Grund sein kann, auf seine Unterbringung zu verzichten. Denn es ist grundsätzlich Aufgabe der für den Vollzug der Maßregel zuständigen Behörden, für behandlungs- und besserungsfähige ausländische Täter hinreichend geeignete Vollstreckungsmöglichkeiten bereitzustellen. Nur wenn dem unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstehen, weil z. B. der Verurteilte eine in Deutschland sehr selten vertretene Fremdsprache spricht und auch nicht erwartet werden kann, dass er im Vollzug ausreichend Deutsch lernen wird, um an einer Therapie mitwirken zu können, soll das Gericht von der Unterbringung absehen können. Angesichts der Gesetzesänderung hat der BGH bereits angekündigt, dass seine bisherige Rechtsprechung, wonach fehlende Sprachkenntnisse außer Betracht zu bleiben hätten, in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht zu erhalten sein wird (StV 2008, 170). Zur Lösung der Problematik der Unterbringung ausreisepflichtiger Ausländer wählt die Reform grundsätzlich die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 2 Satz 4 StGB). Der Rechtsausschuss wies deshalb darauf hin, dass auf ihre Unterbringung nur dann verzichtet werden dürfe, wenn die Ausreise in naher Zukunft sicher sei. Das Gericht muss sich bewusst sein, dass der Verzicht auf die Unterbringung anders als die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge im Nachhinein nicht mehr korrigierbar ist. Flankiert wird die Umgestaltung des § 64 StGB durch eine Änderung des § 246 a StPO, die ebenfalls einen Vorschlag des Bundesrates aufgreift. Für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist die Hinzuziehung eines Gutachters demnach auf Fälle beschränkt, in denen das Gericht die Unterbringung „erwägt“. Der Rechtsausschuss des Bundestages hat freilich betont, dass das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung regelmäßig sachverständig beraten sein muss (BT-Drs. 16/5137, S. 28). Auf eine Begutachtung kann deshalb nur dann verzichtet werden, wenn die Unterbringung unter Ausschöpfung des dem Gerichts nunmehr eingeräumten, eng begrenzten Ermessensspielraums offensichtlich nicht in Frage kommt. 13