Forschungsskizze zum Projekt „Sich geben lassen – das Abendmahl als wirkmächtiges Ereignis“ 1. Näherbestimmung des Themas 1.1 Einleitung Martin Luther legte in seiner Abendmahlstheologie Wert darauf, dass sich im Abendmahl eine konkrete Aneignung des Heils vollziehe, dass es ein wirkmächtiges Geschehen darstelle.1 Die Synode der Bekennenden Kirche der Altpreußischen Union im Jahr 1937 in Halle betonte in ihrer Stellungnahmen zum Abendmahl, dass zwischen Reformierten und Lutheranern nicht das Faktum, sondern lediglich die Art dieser Heilszueignung strittig sei, und formulierte als Konsens „dass der Herr selbst die Gabe des Abendmahls“2 darstelle. Sie nutzte also den Begriff der Gabe, um die soteriologische Bedeutung des Abendmahls hervorzuheben, und diese Interpretationslinie nehmen die Arnoldshainer Thesen und die Leuenberger Konkordie auf. 3 Doch die Aussage, dass sich, analog zur rituellen Handlung des Gebens und Empfangens von Brot und Wein, Jesu Selbsthingabe als wirkmächtige Übereignung des Heils vollziehe, ist interpretationsbedürftig. Hinzu kommt, dass man die Gabe heute nicht mehr als ein Phänomen betrachtet, das einfach nur durch die Größen Geber und Empfänger gekennzeichnet ist. Das Phänomen der Gabe ist in der Philosophie und Soziologie bereits seit dem Essay von Marcel Mauss „Die Gabe. Form und Funktion des Austausches in archaischen Gesellschaften“4 aus dem Jahr 1925 Gegenstand eines Diskurses5, den vor einigen Jahren die systematische Forschung zu rezipieren begann6. Dieser Diskurs befasst sich mit dem gemeinschaftsstiftenden Charakter der Gabe, mit der der Gabe innewohnenden Verpflichtung zur Gegengabe, mit der Abgrenzung von Gabe und Tausch, 1 Vgl. zum Folgenden: Lessing, E., Abendmahl, Ökumenische Studienhefte 1, Göttingen 1993. Zitiert nach Lessing, E., Abendmahl, Ökumenische Studienhefte 1, Göttingen 1993, S. 23. 3 Die Arnoldhainer Thesen und die Leuenberger Konkordie benutzen zwar beide nicht den Begriff „Gabe“, aber Wörter aus dem gleichen Wortfeld wie die Formulierungen „Christus lässt sich nehmen“ oder „Christus schenkt sich“ 4 Mauss, Marcel, Die Gabe. Form und Funktion in archaischen Gesellschaften, übersetzt von Eva Moldenhauer, in: ders. , Soziologie und Anthropologie, Bd.2, Frankfurt a.M. 1989, S. 9-144. 5 In diesem Diskurs geäußert haben sich u.a. Levi-Strauß, Bataille, Ricoeur, Derrida, Marion, Hénaff, Godbout, Caillé. 6 Vgl. die Aufsatzbände: Holm, B., Widmann, P. (Hrsg.), Word, Gift, Being, Tübingen 2009 und Hoffmann, V. (Hrsg.), Die Gabe. Ein „Urwort“ der Theologie?, Frankfurt a. M. 2009. 2 sowie dem Aspekt, dass sich der Geber durch die Gabe immer auch ein stückweit selbst gibt. Nach einer ersten Sichtung dieses Diskurses soll im Rahmen des Forschungsprojektes „Sich geben lassen – das Abendmahl als wirkmächtiges Ereignis“ die Gabentheorie des französischen Philosophen Jacques Derrida für die Theologie des Abendmahls fruchtbar gemacht werden.7 Darüber hinaus soll – als Diskurs oder eigenständiges Kapitel – auf Denkfiguren aus der Philosophie Emmanuel Levinas eingegangen werden, der den späten Derrida nachweislich beeinflusst hat. 1.2 Die Gabentheorie Jacques Derridas und Gründe für eine nähere Beschäftigung mit ihr Jacques Derrida deutet die von Mauss aufgrund seiner empirischer Arbeit aufgestellte Theorie, dass eine Gabe stets eine Gegengabe nach sich ziehe, als Aporie und betont, dass dann eine „reine Gabe“, also eine Gabe ohne Gegengabe eine „unmögliche Möglichkeit“ darstelle, da jede Gabe durch die Gegengabe zu einem Tausch gemacht werde. Hintergrund dieser These ist ein Menschenbild, demzufolge der Mensch darauf angelegt ist, sich Dinge anzueignen („ökonomisches Subjekt“).8 Dabei betont Derrida, dass auch dann die Gabe zunichte gemacht werde, wenn keine reale Gegengabe erfolge, weil sie dann ein Gefühl der Verpflichtung oder der Dankbarkeit nach sich ziehe. In seinem frühen Werk ist Gabe für Derrida daher nur dann denkbar, wenn der Empfänger und / oder der Geber die Gabe als solche nicht realisieren. In einer späteren Schaffensperiode reflektiert er über den plötzlicher Beziehungsabbruch durch den Tod als mögliche Unterbrechung des Kreislauf von Gabe und Gegengabe. Da der Tod den Menschen entzogen ist, kommt durch ihn jene Zufälligkeit in das Geben, das nach Derrida ein „reines Geben“ überhaupt erst ermögliche. Die Tatsache, dass Derrida eine „reine Gabe“ als eine „unmögliche Möglichkeit“ betrachtet, scheint sich der Rezeption seiner Thesen für eine Theologie des Abendmahls zunächst einmal zu widersetzen. Doch es wird sich zeigen, daß eine kritische Modifikation von Derridas Ansätzen es ermöglicht, sie für die Theologie fruchtbar zu machen.9 7 Zur näheren Begründung dieser Auswahl: siehe unten. Vgl. Ebd., S. 8. 9 Philipp Stoellger nimmt in seinem Aufsatz „Von realer Gegenwart im Abendmahl. Paradoxien der Gabe der Gegenwart und der Gegenwart der Gabe, oder: Materialität, Präsenz, Ereignis“ z.B. Derridas Ansatz auf, dass Gabe dann möglich ist, wenn man gibt, was man nicht hat. Jürgen Werbick versucht Derridas Aporie in seinem Aufsatz „Gottes – Gabe . Fundamentaltheologische Reflexionen zum Gabe-Diskurs“ mit dem Hinweis darauf zu begegnen, dass das Wesen des trinitarischen Gottes nicht der ökonomischen Struktur des Menschen entspricht. 8 Der Anschluss an Derridas Gabentheorie lohnt sich aus zwei Gründen: 1.) Derrida interpretiert das Phänomen der Gabe durch das Phänomen des Ereignisses und dadurch ergeben sich interessante Aspekte für das Verständnis der Gabe und im weiteren des Abendmahles als Selbsthingabe Gottes. Ein Ereignis setzt für Derrida immer etwas Konstantes, sich Wiederholendes voraus und stellt eine Veränderung dar, die dem Erwartungshorizont zuwiderläuft und damit auch nicht eine beliebige Handlungsoption eines Subjektes sein kann.10 Bei einem Ereignis sind insofern die Zeiten verschränkt, als es einen Aspekt erhält, mit dem die Menschen, denen es widerfährt, nicht einfach abschließen können. Es enthält eine Verpflichtung oder ein Versprechen. Das Ereignis lokalisiert die Menschen, denen es widerfährt, neu, bringt sie in eine neue Rolle. Insofern kommt ihnen dem Ereignis gegenüber eine gewisse Passivität zu. Deutlich macht dies unser Sprachgebrauch. Wenn wir Sätze mit „seit“ beginnen, sind meist Ereignisse bezeichnet. (seit der Geburt unserer Tochter, seit Einstein…). Der Moment des Ereignisses ist für Derrida immer schon im Entzug, es hinterlässt jedoch Spuren. So können wir uns dem Ereignis sprachlich und gedanklich jedoch immer nur annähern, ohne es vollständig erfassen zu können. 2.) In seinen Überlegungen zum Thema „Gastfreundschaft“ stellt Derrida einen Bezug zwischen Gabe und Gastfreundschaft her. Dies ist interessant, weil es einen solchen Bezug auch im Abendmahl gibt. Gastfreundlichkeit – die in Reinform für Derrida ebenso eine unmögliche Möglichkeit ist wie Gabe – bedeutet für ihn: zunächst alles gastlich zu empfangen – auch das, was dem Gastgeben eigentlich feindlich gesonnen ist – und dem Gast alles, was man selbst als gut und freudvoll empfindet, anzubieten. Es ist „die Pflicht des Gastgebers, den Gast sein zu lassen, was er ist. Darin ist ein Verhältnis gedacht, das nicht dialektisch und nach Derrida auch nicht ,dialektisierbar’ ist, sondern jenseits von aller Ökonomie des Tausches, den anderen sein lässt, was er ist.“11 Beide Aufsätze finden sich in dem Sammelband: Hoffmann, V. (Hrsg.), Die Gabe. Ein „Urwort“ der Theologie?, Frankfurt a. M. 2009. 10 Zur folgenden Darstellung vergleiche: Khurana, Th., „…besser, dass etwas geschieht.“ Zum Ereignis bei Derrida, in: Rölli, M., Ereignis auf Französisch. Von Bergson bis Deleuze, München 2004, S. 235-256. 11 Kimmerle, H., Jacques Derrida zur Einführung, Hamburg 20087, S.174. 1.3 Ziel der Untersuchung Das Forschungsprojekt möchte die in den Konsenstexten vorausgesetzte Selbsthingabe Jesu im Abendmahl dadurch zu erklären versuchen, dass sie diese als Selbsterschließungsprozess deutet. Dabei wird vorausgesetzt, dass „Selbsthingabe“ ein doppeldeutiger Begriff ist und zum einem die Hingabe des eigenen Lebens für einen anderen Menschen bezeichnet, zum anderen aber auch ein Bedeutung-Gewinnen für den Anderen meinen kann. Im Abendmahl gewinnt Gott so für die Menschen Bedeutung, dass sie begreifen, dass Gott sie im Abendmahl vorbehaltlos empfängt – so wie Jesus beim letzten Abendmahl einst seine Jünger, darunter auch Judas – und dass sie erkennen, dass ihnen Jesu Selbsthingabe in den Tod zu Gute kommt. In einem zweiten Schritt sollen die Überlegungen Derridas zum Thema „Gabe und Ereignis“ fruchtbar gemacht werden. Besonders interessant sind dabei der Aspekt des Rollenwechsels, der sich an dem vollzieht, dem ein Ereignis widerfährt, sowie Derridas Überlegungen zum Thema Ereignis und Spur und zur Verschränkung der Zeiten. 2. Einordnung in die bisherige Forschung zum Thema: Obgleich der Begriff der „Gabe“ in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der theologischen Forschung getreten ist, ist die Anzahl der Arbeiten zum Thema „Gabe und Abendmahl“ überschaubar. Es ist auffällig, dass sich vor allem katholische Theologen mit dem Zusammenhang befassen und sich von der Arbeit am Begriff der Gabe eine Überwindung der strittigen Fragen zum Abendmahl zwischen Protestantismus und Katholizismus erhoffen. (Vgl. den online veröffentlichten Aufsatz „Die Welt im Modus des Dativs. Zur Phänomenologie der eucharistischen Gabe bei Jean-Luc Marion und Kenneth L. Schmitz“ von PD Joachim Negel, der den Lobpreis der Gläubigen als zentrales Moment des Abendmahls hervorhebt und vor diesem Hintergrund für die Möglichkeit einer wechselseitigen Teilnahme am Abendmahl der jeweils anderen Konfession plädiert. Eine Arbeit von Veronika Hoffmann, die primär die soziologischen Arbeiten von Marcel Hénaff heranzieht und versucht die Diskrepanz zwischen dem anabatischen Eucharistieverständnis des Katholizismus und dem katabatischen Abendmahlsverständnis des Protestantismus zu überwinden, wird demnächst erscheinen). Ein anderes katholisches Forschungsprojekt, das sich zur Zeit in Arbeit befindet, ist das Projekt von PD Florian Bruckmann zum Thema „Gabe und Leiblichkeit“. Auf evangelischer Seite ist vor allem der Artikel von Philipp Stoellger „Von realer Gegenwart im Abendmahl. Paradoxien der Gabe der Gegenwart und der Gegenwart der Gabe, oder: Materialität, Präsenz, Ereignis“12 hervorzuheben. Stoellger rezipiert die Ansätze Derridas zur Gabe und zum Ereignis, bezieht den Begriff „Ereignis“ aber auf das erste Abendmahl und nicht auf ein Geschehen „in, mit und unter“ der Gabe von Brot und Wein in der Abendmahlsfeier. Stoellger folgt Derridas Prämisse, dass Gabe nur dann geschehen könne, wenn jemand etwas gebe, was er nicht habe und bezieht dies auf Jesus, der mit dem Abendmahl ein neues Sakrament einführe ohne zu wissen, ob die Jünger dieses auch als solches künftig für sich in Anspruch nehmen würden. Erst den Empfängern sei es möglich zu sagen, dass sie im Abendmahl etwas Heilvolles empfangen hätten. Dieses Heilvolle würden sie deuten – etwa als Vergebung von Sünde – und so würden die Empfänger zu den Gebern der Deutung. Das anvisierte Forschungsprojekt möchte demgegenüber den Derridaschen Begriff des „Ereignisses“ nutzen, um die in den Konsenstexten des 20. Jahrhunderts vorausgesetzte wirkmächtige Heilszueignung, die im Abendmahl geschieht, neu zu beschreiben. 12 Stoellger, P. , Von realer Gegenwart im Abendmahl. Paradoxien der Gabe der Gegenwart und der Gegenwart der Gabe, oder: Materialität, Präsenz, Ereignis“, in: Hoffmann, V. (Hrsg.), Die Gabe. Ein „Urwort“ der Theologie?, Frankfurt a. M. 2009, S. 73 -97.