Kerne und Teilchen Moderne Physik III Vorlesung # 21 8. Moderne Elementarteilchen-Physik 8.1 Phänomene der Schwachen Wechselwirkung a) Klassifikation schwacher Prozesse b) Elektroschwache Vereinigung c) Schwache Wechselwirkung von Quarks d) CP-Verletzung e) Neutrinophysik Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik 8.2 Fundamentale Entdeckungen: W/Z-Bosonen, Top-Quarks, Higgs-Bosonen www.kit.edu Wiederholung: Elektroschwache Vereinigung Austauschfelder (Eichfelder): (W+, W0, W-): Triplet des schwachen Isospins Koppelt nur an linkshändige Fermionen (rechtsh. Antifermionen) Kopplungsstärke g B0: Singulett des schwachen Isospins Koppelt an schwache Hyperladung (analog zum Photon bzgl. El. Ladung) Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik Kopplungsstärke g‘ Physikalische Austauschbosonen γ und Z sind Gemische von W0 und B0: ⎛ γ ⎞ ⎛ cos θW ⎜ 0 ⎟=⎜ ⎜ Z ⎟ ⎜⎝ − sin θW ⎝ ⎠ 0 sin θW ⎞ ⎛⎜ B ⎟⎟ ⋅ cos θW ⎠ ⎜ W 0 ⎝ ⎞ ⎟ ⎟ ⎠ Weinbergwinkel θW: g g‘‘ = g . tan θW e = g · sin θW www.kit.edu CKM-Matrix, GIM Mechanismus 3 Cabbibo-Kobayashi-Maskawa-Matrix | Vik |2 = 1 - unitäre 3 × 3 Matrix (Universalität des CC) k =1 i.a. 3 Winkel, 6 Quark-Phasen - 3 reelle Winkel θ12, θ13, θ23 ⎛ d´ ⎞ ⎛ Vud Vus Vub ⎞ ⎛ d ⎞ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ beschreiben Quarkmischung ⎜ s´ ⎟ = ⎜ Vcd Vcs Vcb ⎟ ⋅ ⎜ s ⎟ - 1 imaginäre (CP)-Phase ⎜ b´ ⎟ ⎟ ⎜ b ⎟ ⎜V V V beschreibt CP-Verletzung ts tb ⎠ ⎝ ⎠L ⎠ L ⎝ td ⎝ Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik (alle weiteren Phasen können in Quarkfeldern absorbiert werden) ∑ CKM-Matrix - alle nicht-diagonalen Elemente klein - Drehung θij der Massen/Flavourzustände MassenEigenzustände FlavourGIM-Mechanismus Eigen- Einführung schwacher Dubletts (u d´)L (c s´)L zustände keine FCNC (flavourändernde neutrale Ströme) www.kit.edu d) CP-Verletzung in der Schwachen W.W. Kaonen* bilden zwei (Starke) Isospin-Dubletts: ⎛ K+ ⎜ ⎜ K0 ⎝ ⎞ ⎛ us ⎞ ⎟=⎜ ⎟ ⎟ ⎜⎝ d s ⎟⎠ ⎠ ⎛ K− ⎜ ⎜ K0 ⎝ ⎞ ⎛ du s ⎞ ⎟=⎜ ⎟ ⎟ ⎜ ud s ⎟ ⎠ ⎠ ⎝ Kaon K0 Erzeugung von Kaonen durch die starke Wechselwirkung mit ΔS = 0 Guido -Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik 0 _ paarweise Erzeugung → ds + uds π +p→K +Λ Zerfall von Kaonen durch die schwache Wechselwirkung mit ΔS = ±1 K0 → π+ + π- → 2 π, → 3 π, → π- e+ νe Kaon-Zerfall *Kaonen sind pseudoskalare Mesonen mit Strangeness; M(K+, K-) = 493.7 MeV, M(K0, K0) = 497.6 MeV www.kit.edu Zustände K1 und K2 Interne Parität P von neutralen Kaonen P = -(-1)ℓ, mit ℓ = 0: P K0 = − K0 P K0 =− K0 Ladungskonjugation C von neutralen Kaonen : C K0 = − K 0 C K 0 = − K0 Vorzeichen Konvention Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik CP-Eigenschaften von neutralen Kaonen : CP K 0 = K 0 CP K 0 = K 0 _ K0, K0 keine CP-Eigenzustände Linearkombinationen K1, K2 von neutralen Kaonen: 1 K1 ≡ 2 (K 0 + K 0 ) K2 1 ≡ 2 (K 0 − K0 ) www.kit.edu K1, K2 als CP-Eigenzustände: CP K1 = + K1 CP K 2 = − K 2 _ K0 und K0 Mesonen sind damit orthogonale Superpositionen von K1, K2: 1 ( K1 + K 2 K ≡ 2 Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik 0 ) Kaon-Oszillationen: - Starke Wechselwirkung: K 0 1 ( K1 − K 2 ≡ 2 ) _ erzeugt K0 und K0 mit definierter Masse CPT-Theorem: m(K0) = m(K0) - Schwache Wechselwirkung: Übergänge K0 Ù K0 Mischung der beiden neutralen Kaonen Entstehung der Zustände K1 und K2 mit unterschiedlichen Massen, Lebensdauern www.kit.edu Kaon-Oszillationen Schwache Wechselwirkung: in 2. Ordnung führen die beiden ´Boxdiagramme´ zu Teilchen-Antiteilchen-Oszillationen bei Kaonen mit ΔS = 2 (L. Wolfenstein: alle CP-verletzenden Prozesse involvieren ΔS = 2) _ K0 _ Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik Teilchen K0 Anti-Teilchen K0 Teilchen tt-Kanal -Kanal ss-Kanal -Kanal www.kit.edu Kaon-Zerfälle Zerfälle von K1 und K2 in Pionen die Zustände K_1 und K2 haben unterschiedliche: - Massen (K0 - K0 Oszillationen heben die Massen-Entartung auf) - CP-Eigenwerte (+1, -1) & damit Zerfallsmoden in Pionen (2 π, 3 π) - Lebensdauern mit τ(K1) << τ(K2) CP Zustände von zwei Pionen Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik P π +π − = (− 1) π +π − l C π +π − = (− 1) l+ s Parität ist multiplikative Größe π +π − CP π +π − = +1 π +π − ebenso CP π 0π 0 = +1 π 0π 0 www.kit.edu CP Zustände von drei Pionen CP π 0π 0π 0 = −1 π 0π 0π 0 CP π 0π +π − = −1l +1 π 0π +π − Grundzustand, daher ℓ = 0 Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik www.kit.edu Kaon-Zerfälle: KL und KS bei CP-Erhaltung erwartet man die beiden Zerfallsmoden: K1 → 2 π K2 → 3 π CP Erhaltung verbietet den Zerfall des K2 in 2 Pionen K2 : durch den kleinen Phasenraum ergibt sich eine große Lebensdauer τL = (51.54 ± 0.44) ns (KL = KLong) K : durch den großen Phasenraum ergibt sich eine kurze Lebensdauer Guido1Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik τS = (89.53 ± 0.06) ps (KS = KShort) Zerfallsmodus Branching ratio bei CP-Erhaltung gelten die Relationen K2 = KL K1 = KS die CP Eigenzustände K1, K2 sind nur bei vollständiger CP-Erhaltung identisch mit den Eigenzuständen KS, KL der schwachen Wechselwirkung K1 → π + π K1 → π 0 π 0 K2 → π 0 π 0 π 0 K2 → π + π - π 0 K2 → π+ e- νe K 2 → π + µ- ν µ 69 % 31 % 21 % 13 % 39 % 27 % www.kit.edu Nachweis der CP-Verletzung 1964: am Brookhaven National Laboratory (BNL) weisen Cronin & Fitch CP-Verletzung im System der neutralen Kaonen nach - K0 Mesonen Erzeugung : Beschuss eines Be-Targets mit 30 GeVProtonen aus dem AGS, am Experiment (d = 20 m) nur noch KL - π+ und π- Impulse: magnetische Spektrometer mit Funkenkammern - Resultat: neben dem dominanten KL → 3 π Zerfallsmodus beobachtet eine kleine Rate an KL → 2 π Ereignissen R = (2.3 ± 0.4) × 10-3 Guido Drexlin, Institut fürman Experimentelle Kernphysik CP Symmetrie ist verletzt Szintillator Magnet Kollimator Nobelpreis 1980 Funkenkammern KL Helium-Behälter James W. Cronin Val L. Fitch Magnet Szintillator Wasser-Cerenkov www.kit.edu CP-Verletzung erfolgt über zwei unterschiedliche Prozesse: Indirekte CP-Verletzung CP-Verletzung Indirekte CP-Verletzung entsteht durch durch die Mischung von K1 und K2, d.h. der Zerfall K2 → 2 π resultiert durch die kleine Beimischung von K1 zu K2 : K2 Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik KS ≡ KL ≡ 1 1+ | ε |2 1 1+ | ε | 2 (K 1 + ε ⋅ K2 (ε ⋅ K 1 K1 + K2 ) ) K1 K2 K2 Kaon-Mischung ε K1 indirekte CP-Verletzung ε = 2.23 × 10-3 www.kit.edu Direkte CP-Verletzung CP-Verletzung - CP-Verletzung erfolgt in diesem Falle direkt am Zerfallsvertex K2 → 2 π Direkte CP-Verletzung Feynman-Diagramm: elektroschwacher ´Pinguin´ ε´ ~ 10-6 - Die direkte CP-Verletzung ist nochmals wesentlich schwächer als die indirekte Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik CP-Verletzung durch die Oszillationen _ W _ d ___ s u,c,t γ, g, Z0 K0 d u π+ _ u d π- www.kit.edu Konsequenz: Definition von Materie/Antimaterie Der Zerfall kommt 0,3% häufiger vor als Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik Konvention: Das im Zerfall der langlebigen Kaonen seltener vorkommende Lepton ist • Materie • Elektrisch negativ geladen • Das assoziierte Neutrino ist rechtshändig www.kit.edu Oszillation von B0 Mesonen - Die Verletzung der CP-Symmetrie wurde in den letzen Jahren auch im System der neutralen B0-Mesonen beobachtet (B-Fabriken am KEK, SLAC) - Die CP-verletzenden Effekte sind wesentlich größer Direkte CP BaBar d d_ K0 s B0 _ W Guido Drexlin, Institut für Experimentelle c_ Kernphysik b J/ψ c CP durch Mischung t c_ J/ψ b d c W B0 W W _ _ s_ 0 _ d b K d t B0-Oszillationen _ d _ W W b b d B0 B0 _ Zeit t www.kit.edu CP-Verletzung & Materie/Antimaterie Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik Annihilation _ pp→γ+γ 10--44 t < 10 s: Materie -Antimaterie Materie-Antimaterie Intensität [10-11 J cm-2 sr-1 s-1/ cm-1] Vernichtung von Materie – Antimaterie bei t ~ 0.1 ms ª Erzeugung der CMB BBN: Baryon-Photon-Verhältnis η ~ 10-9 hier: kein thermisches Gleichgewicht sonst wärer η ~ 10-18 ! 1.2 CMB heute Cosmic Microwave Background 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 0 5 10 15 Wellenzahl 20 [cm-1] t > 10--44 s: nur Materie www.kit.edu Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik www.kit.edu e) Neutrinophysik Untersuchung der ν-Eigenschaften (Mischung, CP) mit intensiven ν-Quellen: genau bekannte ν-Energien & Flavour-Zusammensetzungen erforderlich Terrestrische ν−Quellen Kernreaktoren (ß-Zerfall von Spaltprodukten) Spallationsquellen (π+ - µ+ Zerfallskette in Ruhe) Beschleuniger (π+-Zerfall im Fluge) Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik +Guido neue Konzepte für ν-Strahlen: „ß-beams“ CERN-Gran Sasso ν−Energien 1 – 5 MeV bis 50 MeV bis 200 GeV CHOOZ: Reaktorneutrinos www.kit.edu Beschleuniger-Neutrinoexperimente Erzeugung hochenergetischer Neutrinostrahlen am Beispiel des CNGS: 400 GeV Protonen aus dem SPS treffen auf leichtes Be-Target: _ 1. Target: Erzeugung von Pionen (π±, π0) & Kaonen (K± , K0, K0) 2. Magnetisches Horn: Fokussierung & Ladungsselektion der Mesonen 3. Zerfallstunnel: Pionzerfall π+ → µ+ + νµ in einem evakuiertem Tunnel 4. Abschirmung: Absorption von Myonen und Hadronen, Instrumentierung Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik www.kit.edu AGS-Experiment – das zweite Neutrino νµ 1962: L.M. Lederman, M. Schwartz, J. Steinberger: erster experim. Nachweis, dass νµ ≠ νe (Identität der Neutrinos aus dem Pionzerfall) π+ → µ+ + ν p ν = νµ oder νe amline e b S G A Stahl ν Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik Beton Versuchsanordnung am BNL experimentelle Resultate 34 Ereignisse: 29 Myonen (d.h. νµ - CC) 5 kosm. Strahlung ª π + → µ+ + ν µ Paraffin ν Nobelpreis 1988 µ 10 t Al-Funkenkammer Leon M. Jack Melvin Lederman Steinberger Schwartz www.kit.edu DONUT-Experiment – das dritte Neutrino ντ 2000 : erster experimenteller Nachweis des ντ durch das DONUT Experiment (Direct Observation of NU Tau) am Fermilab (Chicago) Experiment: 800 GeV Protonen_ treffen auf ein Wolfram-Target ª DS-Mesonen (cs) Zerfall ª ντ mit Eν = 50 GeV ª Suche nach CC-ντ-Wechselwirkungen an Stahlplatten 4 Ereignisse mit der Topologie eines ντ identifiziert: τ-kink τ-Lebensdauer: τ = 3 × 10-13 s, Reichweite cτ = einige mm Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik Resultate: DONUT Experiment am Fermilab o Hadr ne n τDONUT 100 µm Film-Emulsion + 1mm Stahl www.kit.edu Reaktor-Neutrinos Kernreaktoren = stärkste terrestrische ν−Quellen (isotroper Fluss Φν ~ 1 / r2) Neutrinos aus ß-Zerfällen neutronen-reicher Spaltprodukte 235U, 238U, 239Pu, 241Pu - Spaltisotope aus Kernspaltung von _ - ca. 6 νe pro Spaltung mit ‹ Eν › ~ 1 MeV Isotop Energie [MeV] n + 238U → 239U → 239Np → 239Pu (t½ = 24 100 J) 235U 201.7 ± 0.6 n + 239Pu → 240Pu + n → 241Pu (t½ = 14.1 J) 238 U 205.0 ± 0.9 Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik - pro Spaltung werden ~200 MeV Energie freigesetzt 239 Pu 210.0 ± 0.9 - ν-Rate Rν aus einem Ptherm = 8.4 GW Reaktor: 241Pu 212.4 ± 1.0 9 12 6 ⋅ Pth 6 × 8.4 ⋅10 × 6.24 ⋅10 = ν e / s = 1.5 ⋅1021 ν e / s 1 MeV = 1.602 · 10-13 Ws Rν = 204MeV 204 1 W = 6.24 · 1012 MeV/s www.kit.edu Reaktor-Neutrinos: Energiespektren theoretisch berechnete ν−Energiespektren für unterschiedliche Spaltprodukte - gewichtet mit der Häufigkeit im Reaktorkern ( ª zeitabhängige Anteile ! ) - Normierung auf gemessene thermische Reaktor-Leistung Pth nachgewiesene Antineutrinos: Faltung mit energieabhängigem Wq. _ - Anwachsen mit der Energie: σ(Eν) ~ (Eν – Q)2 ν + p → n + e+ ν-Fluss [rel. Einheiten] e Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik Summe 235U 239Pu 238U 241Pu Neutrino-Energie [MeV] www.kit.edu Neutrinoquellen – astrophysikalisch Erzeugung von astrophysikal. Neutrinos mit Energien von 10-6 eV bis 1020 eV Energien Erzeugungsastrophysikalische ν−Quellen _ Reaktionen + Urknall (thermisch, Tν = 1.9 K) einige µeV e + e → νe,µ,τ + νe,µ,τ Sonne (Kernfusion, pp, 7Be, 8B) < 15 MeV 4 p + 2 e- → 4He + 2 νe _ + Supernova (thermisch, Protoneutronstern) < 50 MeV e + e → νe,µ,τ + νe,µ,τ (_) (_) (_) Atmosphäre (kosmische Strahlung) < 104 GeV π± → νµ + µ± → e± + νµ + νe Guido Drexlin, Institut für Experimentelle Kernphysik _ kosmische Beschleuniger (µ-Quasare, < 1010 GeV π± → µ± +(ν)µ AGN) solare ν´s νe SN-ν´s νe νµ ν τ AGN-ν´s νµ www.kit.edu