Prävention von sexueller Gewalt an der Schule für - Beck-Shop

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Prävention von sexueller Gewalt an der Schule für geistig Behinderte: Eignung
verschiedener Materialien für den Unterricht
von
Kathrin Nägele
1. Auflage
Diplomica Verlag 2015
Verlag C.H. Beck im Internet:
www.beck.de
ISBN 978 3 95934 605 4
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Leseprobe
Textprobe
Kapitel 2.3.2, TÄTERSTRATEGIEN
Finkelhor (1984) stellte in einem Stufenmodell vier Vorbedingungen auf, welche der Täter
‚durchläuft‘, bis er die sexuelle Gewalttat umsetzt
‘1. Ein potentieller Täter muß eine Motivation dazu haben, ein Kind sexuell zu mißbrauchen
2. Der potentielle Täter muß innere Hemmungen gegen das Befolgen dieser Motivation
überwinden
3. Der potentielle Täter muß äußere Hindernisse überwinden, um sexuellen Mißbrauch zu verüben
4. Der potentielle Täter oder ein anderer Faktor muß die mögliche Gegenwehr des Kindes gegen
den sexuellen Mißbrauch schwächen oder überwinden’ (Finkelhor 1984, 54 zitiert in Becker 2001,
12)
Man kann hier erkennen, dass entgegen der gesellschaftlich verbreiteten Meinung – auch durch
die Selbstdarstellung der Täter – sich die Täter nicht spontan und völlig ungewollt zur Tat
‚hinreißen lassen‘. In der Täterforschung wird die planvolle Absicht des Täters als GroomingProzess beschrieben und gilt in der Fachliteratur als ein wesentliches Merkmal von sexueller
Gewalt. Während des Grooming-Prozesses sucht sich der Täter gezielt ein Opfer mit möglichst
wenig Widerstandskraft aus, spricht dessen Grundbedürfnisse an, wodurch er dessen Vertrauen
gewinnt. Anschließend vernebelt er die Wahrnehmung der Umgebung des Kindes, indem er/sie
dieser das Bild eines netten, kinderlieben Nachbarn vorspielt. Eventuell diffamiert er das Kind
sogar vor anderen und nutzt immer öfter Situationen aus, um es für die sexualisierten
Berührungen zu desensibilisieren. Er impliziert dem Kind, dass es ihn verführt habe, gibt ihm
dadurch das Gefühl der Schuld und Scham und macht es dem Kind dadurch nahezu unmöglich,
die Geheimhaltung aufzubrechen (Vgl. Roth 1997, 48f; Enders 2011, 63ff)
Wie eben angedeutet nimmt der Täter seinem Opfer das Versprechen der Geheimhaltung ab.
Dadurch entsteht zum einen ein ‘Gefühl von Komplizenschaft und Mitverantwortung’ (Braecker,
Wirtz-Weinrich 1994, 29) und zum anderen – eventuell durch Drohungen sogar bestärkt – die
Angst vor Strafe, die Familie zu verraten (bei innerfamiliärer sexueller Gewalt) und vor den Folgen
der Aufdeckung, z.B. dass sie in ein Heim müssen. Häufig reden Täter ihrem Opfer ein, dass
ihnen sowieso keiner glauben würde, was sich auch oft bewahrheitet (Vgl. ebd.)
2.4, PRÄVENTION
2.4.1, SIGNALE FÜR SEXUELLE GEWALT
Die möglichen Folgen von sexuellen Gewalterfahrungen sind sehr unterschiedlich und schwer
erkennbar. Alle Folgeerscheinungen von sexuellen Gewalterfahrungen könnten ebenso auch
andere Ursachen haben. Daher muss man mit Verdachtsäußerungen sehr vorsichtig sein. Dies
wird allerdings im nächsten Kapitel genauer erläutert
Hier sollen einige mögliche Folgeerscheinungen aufgelistet werden, die unter anderem ein Signal
für sexuellen Missbrauch sein könnten
Körperliche Auffälligkeiten
Unklare innere und äußere Verletzungen, Entzündungen oder Fremdkörper im Genital- und/oder
Analbereich; Bisswunden oder andere Verletzungen in erogenen Zonen; Blutergüsse;
Geschlechtskrankheiten; Schwangerschaft bei älteren Kindern und Jugendlichen
Psychosomatische Auffälligkeiten
Ess- und Verdauungsstörungen; Schlafstörungen; Bauch- und Unterleibsschmerzen;
Sprachstörungen; Hauterkrankungen; Infektionen im Mundbereich; Kopfschmerzen
beziehungsweise Migräne; Bettnässen; Atemprobleme; vermehrte Epilepsie-, Lähmungs- oder
Ohnmachtsanfälle; plötzliches (Wieder-)Einnässen und/oder Einkoten; psychogene Schmerzen;
motorische Unruhe
Psychische und psychosoziale Auffälligkeiten
Zwanghaftes Verhalten; Isolation; Dissoziation; Depression; Distanzlosigkeit; Überangepasstheit;
Kontakt- und Beziehungsschwierigkeiten; Misstrauen; negatives Körpergefühl;
Entwicklungsrückstände; Konzentrationsstörungen; Leistungsabfall oder extreme
Leistungsmotivation; Aggressivität gegen Gegenstände, andere Menschen oder sich selbst;
multiple Persönlichkeiten; Drogen- und/oder Alkoholabhängigkeit oder andere Suchtstörungen;
Suizidversuche; Angststörungen; neu auftretendes, massives sexualisierendes Verhalten;
Albträume; ‚Weglaufen‘ von Zuhause (Vgl. Gerdtz 2003, 20; Noack, Schmid 1994, 100-110;
Lempp 2011, 36f, Becker 2001,25-33)
Es ist besonders zu beachten, dass eine geistige Behinderung eine Folgeerscheinung von
sexueller Gewalt sein kann. Es gibt sogar Theorien (Knapp 1993 in Gerdtz 2003, 41), welche die
These aufstellen, dass autistische Verhaltensweisen durch sexuelle Missbrauchserfahrungen
begründet sein könnten. Man muss also im Bereich der Behindertenarbeit sehr sensibel für dieses
Thema und diverse mögliche Signale für sexuelle Gewalterfahrungen sein und dementsprechend
informiert beziehungsweise fortgebildet sein, um auch die richtigen Interventionsschritte einleiten
zu können (Vgl. Gerdtz 2003, 40f)
Das eindeutigste Signal wären Tatzeugen oder der persönliche Bericht von den/m Betroffenen.
Wie in Punkt 2.2.2 bereits genannt wurde, haben manche Kinder aufgrund fehlender oder
eingeschränkter Verbalsprache nicht die Möglichkeit von ihren sexuellen Gewalterfahrungen zu
berichten. Außerdem werden die Kinder vom Täter meist zur Geheimhaltung gezwungen, wodurch
diese meist niemandem davon erzählen (Vgl. Gerdtz 2003, 21)
Hier muss man sich also auf indirekte Signale stützen. Hierunter fallen beispielsweise
Zeichnungen und Rollenspiele
Genauso können aber auch die körperlichen Folgen (siehe oben) als Hinweise erkannt werden.
Wenn einem Lehrer im Schwimm- oder Sportunterricht beim Umziehen auffällt, dass ein Kind viele
Blutergüsse oder Kratzspuren an Innenschenkeln oder erogenen Zonen aufweist, sollte er
aufmerksam werden und die Verletzungen als mögliche Hinweise verstehen. Sie dürfen allerdings
nicht als eindeutige Signale verstanden werden, da es hierfür auch andere Ursachen geben kann.
Im Schambereich sind Verletzungen allerdings relativ eindeutige Hinweise auf sexuelle Gewalt
(Vgl. Gerdtz 2003, 21)
Verhaltensauffälligkeiten wie Fremd- oder Autoaggression, Überangepasstheit, zwanghaftes
Verhalten, sexualisiertes Verhalten, Phobien, Distanzlosigkeit oder grundsätzliches Misstrauen
(siehe Punkt 2.6) können Signale für sexuelle Gewalt sein. Die Ursache der Auffälligkeiten wird
aber gerade bei Kindern mit einer geistigen Behinderung und Jugendlichen oft der Behinderung
zugeschrieben. Hier wäre es also wichtig der Möglichkeit des sexuellen Missbrauchs Beachtung
zu schenken. Diese Verhaltensauffälligkeiten sind nämlich immer Überlebensstrategien und
sollten daher nicht einfach als ‚behinderungsspezifisch‘ akzeptiert oder nur undifferenziert
bekämpft werden (Vgl. Gerdtz 2003, 21f und 39f).
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