Prof. Dr. Heiner Bielefeldt Direktor Deutsches Institut für

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Sendung vom 22.02.2008, 20.15 Uhr
Prof. Dr. Heiner Bielefeldt
Direktor Deutsches Institut für Menschenrechte
im Gespräch mit Hans Oechsner
Oechsner:
Bielefeldt:
Oechsner:
Bielefeldt:
Oechsner:
Bielefeldt:
Grüß Gott, liebe Zuschauer, ich begrüße Sie zu einer neuen Ausgabe von
alpha-forum. Ist Folter im Kampf gegen den Terrorismus erlaubt? Dürfen
türkische Lehrerinnen bei uns in Deutschland ein Kopftuch tragen? Gibt es
eine deutsche Leitkultur? Das sind nur einige der Fragen, mit denen sich
das "Deutsche Institut für Menschenrechte" in Berlin befasst. Und bei uns
zu Gast ist heute der Direktor dieses Instituts, Professor Heiner Bielefeldt.
Herr Professor Bielefeldt, Sie haben katholische Theologie, Philosophie und
Geschichtswissenschaften studiert, da ist das Interesse an
Menschenrechtsfragen quasi schon im Studium mit angelegt gewesen.
Dennoch: Was hat Sie dazu gebracht, sich so intensiv mit diesem Thema
zu beschäftigen? Denn das haben Sie ja als Wissenschaftler auch schon
gemacht, bevor Sie Direktor dieses Instituts wurden.
Ich kann da nicht von einem Damaskus- oder einem Erweckungserlebnis
berichten, aber es ist in der Tat so, dass mich diese Thematik eigentlich
schon seit Beginn der 80er Jahre nicht mehr losgelassen hat. Ich habe mich
damals bei amnesty international in einer Basisgruppe engagiert und war
dann dort mehr als 20 Jahre ehrenamtlich tätig. Ich habe einfach
festgestellt, dass dies eine ganz umfassende Thematik ist: Das ist ein
Thema, das die Grundlagen für unser Zusammenleben in pluralistischen
Gesellschaften und in einer immer komplizierter werdenden Welt beinhaltet.
Und es ist ein Thema, das sowohl praktisches Engagement verlangt wie
auch ein bisschen theoretische Klärung voraussetzt. Deshalb sollte sich
eben auch die akademische Forschung dieses Themas annehmen.
Sie sind unter anderem engagiert im Dialog zwischen den Religionen. Ist
das ein praktisches oder doch eher ein akademisches Engagement?
Nun, das kann ich gar nicht mehr so ganz genau unterscheiden. Es ist so,
dass ich in vielen Gesprächen mit dabei bin und ich merke natürlich schon,
dass mir dabei so manche Reflexion, die ich im Kontext der Wissenschaft,
der Universität gelernt habe, zugute kommt. Aber jedes Gespräch ist auch
immer wieder eine neue Herausforderung.
Wer für Menschenrechte eintritt, ist ein Mahner, ein Warner, einer, der
Defizite einklagt, der kritisiert. Das heißt, er macht sich meistens nicht so
wahnsinnig beliebt. Wie kommen Sie damit klar?
Ich glaube, es ist ein bisschen verkürzt zu sagen, Menschenrechte hätten
nur etwas mit Mahnung und Warnung zu tun. Da ist schon etwas dran, das
stimmt. Man kann sich einen Einsatz für Menschenrechte nicht vorstellen,
ohne auch diese Funktion auszuüben. Aber ich sehe die Menschenrechte
doch auch als eine positive Gestaltungschance. Das heißt, über die
Menschenrechte können wir Konsense bilden, können wir uns Grundlagen
schaffen für das Zusammenleben auch in sehr pluralistischen
Gesellschaften, in denen es ansonsten schwierig ist, sich auf
Oechsner:
Bielefeldt:
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Oechsner:
Bielefeldt:
Gemeinsamkeiten zu beziehen. Menschenrechte schaffen z. B. auch
Orientierung für Politik, setzen also auch Handlungsoptionen frei und sind
nicht einfach nur mit einer Grenzwächterfunktion oder einer
Anprangerungsfunktion verbunden. Das ist zwar auch immer mit dabei, vor
allem dann, wenn man sich mit gravierenden Menschenrechtsproblemen in
der Welt beschäftigt, aber ich glaube, es wäre doch zu eng, wenn man sie
nur darauf beschränken wollte.
Ihr Institut ist ja noch ein sehr junges Institut: Es existiert seit dem Jahr 2001.
Warum ist es gegründet worden?
Es gibt da eine lange Vorgeschichte. Es gab im Grunde eine zehn Jahre
lange Kampagne der NGOs, also der zivilgesellschaftlichen Organisationen
in Deutschland, die sich mit Menschenrechten beschäftigen, die sich
zusammengeschlossen haben im "Forum Menschenrechte". Sie haben
über viele Jahre hinweg gesagt: "Wir brauchen in Deutschland ein Institut,
das auch eine Art von Vernetzungsfunktion haben kann und das Expertisen
zur Verfügung stellt, das anwendungsbezogene Forschung betreibt, das
Bildungsarbeit zugunsten der Menschenrechte betreibt usw.!" Und dann ist
das schließlich in einer, na ja, etwas längerfristigen Konsensbildung so weit
gediehen, dass der Bundestag im Dezember 2000 den einstimmigen
Beschluss gefasst hat, dieses Institut zu gründen und es auch aus
Bundesmitteln zu bezahlen. Das heißt, wir sind zwar keine staatliche
Einrichtung, aber wir sind eine staatlich finanzierte Einrichtung.
Da dieses Institut in Deutschland beheimatet ist, ist es ein Institut, das vor
allem auch darauf achtet, wie die Menschenrechte in Deutschland
behandelt werden.
Ja, das ist richtig. Wir haben eine Politikberatungsfunktion bezogen auf
Deutschland. Das heißt aber, dass wir uns hierbei nicht nur auf die
deutsche Innenpolitik beziehen, sondern da geht es z. B. auch um deutsche
Entwicklungspolitik. Das heißt, wir haben auch mit dem Ministerium, das für
die Entwicklungspolitik zuständig ist, also mit dem BMZ, dem
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
viele Kontakte. Dieses Ministerium finanziert uns übrigens auch mit. Es geht
aber auch um Außenpolitik, z. B. um die Präsenz Deutschlands in den
Gremien der Vereinten Nationen, im Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen usw.
Beraten Sie auch konkret einzelne Politiker? Haben Sie z. B. Frau Merkel
geraten, den Dalai Lama zu treffen?
Das ist nun nicht von uns mitberaten worden. Es kommt aber durchaus vor,
dass wir direkt von der Politik gefragt werden, dass wir vor bestimmten
Ausschüssen des Bundestags vortragen, vor dem
Menschenrechtsausschuss, dem Ausschuss für Frauen und Familien oder
dem Innenausschuss, und bei Sachverständigenanhörungen mitwirken.
Das kommt mittlerweile ganz regelmäßig vor. Wir sind auch selbst initiativ
und versuchen uns einzubringen: nicht nur bezogen auf die staatliche
Politik, sondern auch bezogen auf die gesellschaftliche Politik. Wir geben
also auch gegenüber den zivilgesellschaftlichen Organisationen gerne
Expertisen weiter und wünschen uns, dass man uns hierbei noch stärker
als bisher als Serviceinstitution, als Hilfestellung in Anspruch nimmt.
Wie ist es denn um die Menschenrechte in Deutschland bestellt? Sie
werden ja wahrscheinlich dazu immer einen Bericht herausgeben.
Es ist nicht so, dass wir einen Gesamtbericht über die Menschenrechtslage
in Deutschland herausgeben. Deutschland ist jedenfalls ein Land, das sich
in der Verfassung ganz eindeutig zu den Menschenrechten bekennt: Das ist
dort ganz prominent an der Würde des Menschen aufgehängt. Deutschland
hat auch internationale Menschenrechtskonventionen ratifiziert. Das ist
Oechsner:
Bielefeldt:
sicher auch leitend für deutsche Politik, für die deutsche Außenpolitik wie
auch für die deutsche Innenpolitik. Dennoch wird man sagen müssen, dass
es durchaus auch Defizitbereiche gibt und es gibt auch so manche
Einbrüche. Denken Sie nur einmal an die Diskussion, die wir hier in
Deutschland vor kurzem über die Folter erlebt haben. Sie hat manchen –
und ich zähle mich da sehr wohl mit dazu – ziemlich erschreckt: Es ist
erschreckend, was da auf einmal wieder hochkommt an Überlegung, ob
nicht vielleicht doch in bestimmten Fällen Folter eingesetzt werden sollte.
Oder wenn man sich den Umgang mit den Flüchtlingen ansieht bzw. das,
was an den EU-Außengrenzen derzeit geschieht: Auch hier gibt es Defizite,
denn zurzeit ertrinken Menschen – in vierstelliger Zahl pro Jahr – im
Mittelmeer. Man weiß noch nicht einmal genau, wie viele Opfer es dort
jedes Jahr gibt. Auch das Asylrecht läuft da aufgrund von bestimmten
Abschreckungsmaßnahmen z. T. wirklich leer, Maßnahmen also, an denen
eben auch deutsche Politik beteiligt ist. Es gibt auch bei uns selbst im Land
durchaus sehr ernste Punkte von Menschenrechtsverletzungen. Das gilt
ungeachtet der Tatsache, dass sich Deutschland zu den Menschenrechten
sehr eindeutig und prinzipiell bekennt. Aber zwischen Anspruch und
Wirklichkeit klafft da zuweilen eben doch eine Lücke, die es zu schließen
gilt.
Sie haben soeben aufgezeigt, dass die Menschenrechte nicht nur eine
akademische Frage sind, sondern dass sie ganz schnell in sehr konkrete
Fragen münden. Wenn man mal ein Buch oder einen Aufsatz von Ihnen
gelesen hat, dann merkt man, wie spannend das sein kann. Deshalb
möchte ich auch gleich Ihr jüngstes Buch vorstellen, es trägt den Titel
"Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Plädoyer für einen
aufgeklärten Multikulturalismus." Das ist ein sehr spannendes Buch und
eine wichtige Lektüre. Sie sagen nicht nur in diesem Buch, dass die
Menschenrechte universal seien. Das heißt, sie sind für alle gleich und jeder
hat einen Anspruch auf diese Menschenrechte. Da rührt sich natürlich
gleich die Skepsis beim Leser und Zuschauer, denn er fragt sich: Ist das
jetzt nicht doch eine westliche Sicht? Sind die allgemeinen Menschenrechte
nicht nur westliche Menschenrechte? Wie ist das zu verstehen?
Nun ja, wenn man den Begriff, den Anspruch der Menschenrechte ernst
nimmt, dann ist in der Tat genau das darin enthalten: Das sind die
grundlegenden Rechte, die jedem Menschen zukommen, und zwar einfach
deswegen, weil er ein Mensch ist. Das ist nicht gebunden an Vorleistungen,
an Statusfragen und auch nicht an Staatsbürgerschaft. Das ist eine Idee,
die historisch zunächst einmal im Westen formuliert worden ist. Das muss
man zugestehen. Insofern ist also schon etwas dran an Ihrer Aussage: Das
ist ein Konzept, das erarbeitet worden ist in der europäischen Aufklärung. In
diese Idee, in dieses Konzept sind auch Elemente des europäischen
Naturrechtsdenkens mit eingeflossen, außerdem Elemente der christlichen
Theologie, obwohl die Kirchen ja anfangs mit den Menschenrechten so ihre
Schwierigkeiten hatten. Das ist der eine Punkt. Aber wichtiger ist mir ein
anderer Gedanken hierbei, nämlich folgender: Was sind denn eigentlich die
Lernerfahrungen, die dazu geführt haben, dass Menschenrechte
entstanden sind? Welcher Problemdruck stand da dahinter? Ist das, was an
Problemen auftaucht und worauf die Menschenrechte dann eine Antwort
geben – als Rechte gleicher Freiheit, als einklagbare elementare Ansprüche
–, nicht auch etwas, das Menschen in anderen kulturellen Kontexten
plausibel finden. Ich finde, diese Frage findet eine eindeutige Antwort. Es
gibt Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten in allen Ländern der Welt,
in den verschiedensten Kulturregionen der Welt. Und manche verstehen
sich dabei eben so, dass es ihnen ganz egal ist, ob man ihnen sagt, sie
seien im Grunde genommen "Westler" geworden. Für andere wiederum ist
es wichtig, dass sie sich bei diesem Kampf für Menschenrechte auf ihre
eigenen kulturellen Traditionen beziehen können. Auf jeden Fall sagen
Oechsner:
Bielefeldt:
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Bielefeldt:
Oechsner:
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Oechsner:
diese Menschen überall auf der Welt: "Egal woher diese
Menschenrechtsidee kommt, sie hat einfach eine inhaltliche, eine sachliche
Plausibilität!" Das ist sozusagen der Universalismus der Menschenrechte.
Das sollte man daher nicht zu eng mit "Copyright-Fragen" verquicken, also
mit der Frage, woher sie kommen. Man kann also nicht behaupten, dass
sie, weil sie aus dem Westen kommen, per se westlich seien usw. Da muss
man aufpassen.
Das ist schon klar: Je abstrakter man sich das anschaut, umso leichter wird
man sich einig. Ob es z. B. ein Recht auf Leben gibt, darüber kann man
sich sehr schnell einigen. Aber die Streitereien fangen an, je konkreter das
dann wird.
Das ist wahr.
Wir sehen das bei uns z. B. in der Auseinandersetzung mit dem Islam. Oder
lassen wir das Wort "Islam" vorerst noch weg und sprechen lieber von
"patriarchalischen Gesellschaften", die es gibt und in denen die Frauen eine
andere Rolle spielt als bei uns, nämlich eine klar untergeordnete. Sie klagen
also möglicherweise für die Frauen in diesen patriarchalischen
Gesellschaften Menschenrechte ein, die dort einfach nicht vorgesehen oder
vorhanden sind, die "man" dort einfach nicht will, wer auch immer dieses
"man" sein mag. Da wird es dann doch schon viel schwieriger mit den
Menschenrechten. Oder täusche ich mich da?
Dass das schwierig ist, ist zweifellos eine richtige Aussage. Insofern
täuschen Sie sich da also gar nicht. Da gibt es in der Tat enorme
Schwierigkeiten zu bewältigen. Man muss sich das aber selbstverständlich
näher anschauen. Wenn Sie sagen, ich würde das einklagen, dann
behaupte ich: Die Menschenrechte haben nur dann eine Chance, wenn sie
in den entsprechenden kulturellen Kontexten auch selbst artikuliert werden.
So lange das nur von außen passiert, haben Menschenrechte keine
Chance. Aber man könnte sich ja z. B. auch eine Gesellschaft wie den Iran
anschauen. Dort haben Frauen bekanntlich enorme Schwierigkeiten, sich
für Gleichberechtigung einzusetzen. Vor drei, vier Jahren ist eine iranische
Aktivistin, eine Rechtsanwältin, die sich übrigens sehr mutig für Opfer von
Menschenrechtsverletzungen eingesetzt und dabei Leib und Leben riskiert
hat, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Das war Schirin
Ebadin. Eine Friedensnobelpreisträgerin aus dem Iran! Sie wurde
ausgezeichnet für ihr Engagement zugunsten von Frauenrechten, von
Kinderrechten und von Menschenrechten allgemein. Sie ist in ihrem
eigenen Land natürlich einerseits umstritten, das ist klar, aber für andere
Iranerinnen und Iraner ist sie eine Heldin! So lange man solche Menschen
anführen kann – und man kann Menschenrechtsaktivistinnen und aktivisten wirklich in den verschiedensten kulturellen Kontexten überall auf
der Welt finden –, ist diese Frage eben doch nicht nur eine abstrakte. Nein,
es gibt überall ein Engagement und es gibt auch überall
zivilgesellschaftliche Organisationen, die z. T. unter enormen
Schwierigkeiten arbeiten. Der Iran ist ja ein Beispiel dafür, dass es für die
Aktivisten ganz dramatisch werden kann, wenn sie sich für die
Menschenrechte einsetzen.
Wobei es aber so ist, dass diese Frau dann im Westen für ihr Engagement
ausgezeichnet worden ist.
Ja, aber nicht nur das, denn auch im Iran ist sie für viele, viele Menschen
eine Heldin.
Es ist einfach die Frage, wie universell man sich das vorstellen muss, wie
universell die Menschenrechte sind. Wir leben ja in einer Zeit, in der es
große Diskussionen um den Islam gibt: Ist der Islam eine kriegerische
Religion? Ist die Scharia halbwegs oder überhaupt nicht vereinbar mit
unserem Rechtssystem? Sind Islam und Demokratie überhaupt zusammen
Bielefeldt:
Oechsner:
Bielefeldt:
vorstellbar? Das sind ja Fragen, die einen ganzen Kulturkreis betreffen.
Nun ja, ich finde es gerade hier sehr, sehr wichtig, dass man die Fragen
nicht zu abstrakt stellt. Ich habe ja ein konkretes Beispiel bereits gebracht,
nämlich diese Friedensnobelpreisträgerin aus dem Iran. Das ist erst einmal
eine ganz konkrete Realität, und sie steht ja auch nicht allein da. Hinter ihr
verbergen sich Hoffnungen großer Teile der iranischen Bevölkerung.
Machen wir einen ganz großen Schwenk nach Deutschland: Hier in
Deutschland leben gut drei Millionen Menschen mit muslimischer
Familiengeschichte. Ob das nun alles Gläubige sind oder nur GelegenheitsGläubige oder auch religiös Distanzierte, ist eine andere Frage. Von diesen
drei Millionen bzw. von diesen 15 Millionen, wenn man ganz Westeuropa
nimmt, leben ja viele ganz selbstverständlich hier, beteiligen sich an
Kommunalwahlen usw. Manche von ihnen bekleiden sogar politische
Ämter: Das geht rauf bis zum Bundestag. Sie verstehen sich also als
Musliminnen und Muslime und leben genau diesen Zusammenhang, der
von einigen immer wieder bestritten wird: Sie haben eine islamische
Identität und gleichzeitig ein demokratisches Engagement. Man kann also
zuerst einmal Menschen nennen, die das jedenfalls für sich geleistet haben.
Wenn man damit anfängt, dann verliert auch die Frage ein wenig an
abstrakter Schärfe, ob der Islam denn überhaupt demokratiefähig sei, ob
der Islam mit den Menschenrechten vereinbar sei, ob es im Islam
überhaupt denkbar wäre, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind.
Es gibt jedenfalls konkrete Muslime, und gar nicht ganz wenige, die diesen
Zusammenhang für sich persönlich glaubhaft verkörpern. Wenn man das
zur Kenntnis nimmt, dann bleiben immer noch genug Probleme, über die
man reden kann, aber man muss nicht mehr über den Islam allgemein
diskutieren. Was bleibt, sind konkrete islamistische Organisationen mit
antiwestlicher und z. T. sogar oft antisemitischer Propaganda. Man kann
dann immer noch über das Kopftuch für Lehrerinnen sprechen, über die
mögliche oder nicht mögliche Verbindung von Scharia und Grundgesetz
usw. Es gibt also weiß Gott noch genug offene Fragen. Aber bei der Frage
nach der Vereinbarkeit von Islam und Menschenrechten sollten wir
zunächst einmal anfangen, die Realität zur Kenntnis zu nehmen.
Woher kommen denn eigentlich die Menschenrechte in der
Menschheitsgeschichte? Waren sie schon immer da? Haben sie sich erst
entwickelt? Ist das eine kulturelle, eine zivilisatorische Errungenschaft? Wie
kann man sich vorstellen? Oder ist das eigentlich ganz gleichgültig?
Menschenrechte gab es nicht immer in der Geschichte, weder den Begriff
"Menschenrechte" noch die Sache: einklagbare grundlegende Rechte eines
jeden Menschen, also das Recht auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität.
Das ist ein neuer Anspruch, er ist erstmals im 18. Jahrhundert artikuliert
worden. Wenn man also danach fragt, woher die Menschenrechte
kommen, dann muss man sagen, dass sie vor allem aus bestimmten
Traditionen der westlichen Aufklärungsphilosophie stammen. Diese Frage,
woher die Menschenrechte kommen, kann man aber auch anders wenden.
Meine an der Sache und nicht so sehr an der Historie orientierte Antwort
lautet nämlich: Menschenrechte kommen aus Unrechtserfahrungen! Sie
sind Antworten auf Unrechtserfahrungen, Antworten, die besonders
plausibel sind in solchen pluralistischen Gesellschaften, in denen der
unmittelbare Rückgriff auf das, was schon immer war, brüchig geworden ist,
in denen bestimmte lebensweltliche Konsense nicht mehr
selbstverständlich sind. Menschenrechte sind also vor allem erarbeitet
worden in modernen pluralistischen Gesellschaften, und zwar als Antwort
auf Unrechtserfahrungen. Und das macht ihre innere Plausibilität aus.
Dahinter wird dann die Frage zweitrangig, woher sie denn ursprünglich mal
gekommen sind, woher also ihre Wurzeln und Quellen stammen usw. –
gelegentlich sogar verbunden mit regelrechten Copyright-Ansprüchen.
Oechsner:
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Sind die Menschenrechte eine Art Religionsersatz? Sie haben ja gerade
von pluralistischen und aufgeklärten Gesellschaften gesprochen: In diesen
Gesellschaften spielt ja die Religion nicht mehr dieselbe Rolle wie früher.
Ich glaube, man sollte sie nicht als Religionsersatz sehen. Der Anspruch der
Menschenrechte ist zwar riesig groß, er ist aber dennoch von vornherein
begrenzt. Menschenrechte sind insofern ganz anders als Religion, als sie
nicht die großen Sinnfragen der Menschheit beantworten. Es geht bei den
Menschenrechten nicht um die Frage: "Wer bin ich als Mensch im
Kosmos? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Was ist der Sinn des Lebens?"
Stattdessen haben Menschenrechte etwas mit praktischen Fragen zu tun:
Wie können wir in unserer komplizierten modernen Welt menschenwürdig
zusammenleben? Das können wir u. a. eben nur dann, wenn wir diese
großen weltanschaulichen Fragen zumindest z. T. in Klammern setzen: In
pluralistischen Gesellschaften ist der Konsens sozusagen nicht unmittelbar
ein religiöser bzw. ein weltanschaulicher. Menschenrechte sollen diesen
Konsens nur ermöglichen. Aber dieser hohe Anspruch der Menschenrechte
geht zugleich auch einher mit einer gewissen Bescheidenheit: Sie wollen
die Sinnfragen der Menschheit nicht beantworten, sondern sie wollen
praktische Grundlagen für eine menschenwürdige Koexistenz legen.
Deshalb sind sie keine Ersatzreligion oder Quasi-Religion.
Gibt es denn ein "Ur-Recht", sozusagen eine Überschrift, die über allen
Menschenrechten steht? Könnte man das formulieren?
Ich glaube, dass letzten Endes alle Menschenrechten gleich wichtig sind.
Ich würde mich also wehren gegen eine Hierarchisierung, die sagt, das
Recht auf Leben komme auf alle Fälle zuerst. Denn wer das sagt, kommt
manchmal auch zu ganz merkwürdigen Konsequenzen. Darauf kann man
auch einen sehr starken, freiheitsfeindlichen Sicherheitsstaat aufbauen.
Manche sprechen sogar von einem Menschenrecht auf Sicherheit, das es
aber so gar nicht gibt. Ich glaube also, dass alle Menschenrechte
zusammen zu sehen sind und eine Einheit bilden. Sie haben jedoch einen
Anker in der Idee der Menschenwürde. Das ist sozusagen der innere
Leitfaden jedes einzelnen Menschenrechts, ob das nun das Recht auf
Bildung ist, das Recht auf Leben ist, ob das die Freiheitsrechte wie
Religions- und Meinungsfreiheit sind usw. All das sind Manifestationen des
Respekts vor der Menschenwürde. Das ist sozusagen die einheitsstiftende
Idee, die ja auch wunderbar in Artikel 1 unseres Grundgesetzes formuliert
ist.
Es handelt sich bei den Menschenrechten ja nicht nur um politische
Menschenrechte, wie Sie bereits angedeutet haben. Denn es gibt auch
soziale und kulturelle Menschenrechte. Sind das sozusagen
Weiterentwicklungen oder sind sie auch schon immer da gewesen? Oder
gibt es doch Rechte, die bei allen Menschen gleich sind, und andere, die
vielleicht in der einen Gesellschaft vorhanden sind, während sie in einer
anderen noch gar nicht vorhanden sein können?
Letzteres würde ich so nicht übernehmen wollen, und zwar deshalb nicht,
weil ich die Menschenrechte wirklich als "Gesamtpaket" sehe. Ich rede
deshalb auch nicht gerne von Menschenrechtskatalogen. Das ist eine
Metaphorik, die so ein wenig nahe legt, man könnte sich da ein bisschen
was raussuchen und anderes dafür im Schrank lassen.
Wenn man von Menschenrechten erster und zweiter Klasse sprechen
würde, dann klänge das allerdings noch furchtbarer.
Das klingt in der Tat noch furchtbarer. Die sozialen Menschenrechte sind
einfach nicht weniger wichtig als die sogenannten bürgerlichen und
politischen Menschenrechte. Nehmen wir mal ein soziales Menschenrecht,
nämlich das Recht auf Bildung. Was ist denn die Meinungsfreiheit praktisch
wert, wenn es kein Bildungsrecht gibt, das dafür sorgt, dass die Menschen
Oechsner:
Bielefeldt:
Oechsner:
Bielefeldt:
überhaupt in den Stand gesetzt werden, Zeitungen lesen oder auch das
Fernsehen kritisch rezipieren zu können? Es gibt also einen inneren
Zusammenhang zwischen den Menschenrechten, den man nicht auflösen
sollte. Historisch ist es so, dass sich das alles sukzessive entwickelt hat.
Das heißt, die Menschenrechte sind nicht mit einem Schlag in die Welt
gekommen und sie sind ja auch noch in Zukunft weiteren Änderungen
unterworfen. Ich sagte ja schon, dass Menschenrechte Antworten auf
Unrechtserfahrungen sind: Das muss immer wieder neu ausbuchstabiert
werden. Die gesellschaftlichen Herausforderungen wandeln sich also und
da entstehen dann z. T. neue Sensibilitäten, während andere ein bisschen
wegrutschen. Über Folterverbot haben wir z. B. mindestens 20 Jahre lang
überhaupt nicht gesprochen: Heute wird das nun ein Thema. Oder nehmen
Sie als anderes Beispiel die Rechte von Homosexuellen. Das ist ein Thema,
das man erst jüngst entdeckt hat, und zwar als ein Thema, an dem sich
auch sehr ernste Ausgrenzungen und Diskriminierungen manifestieren.
Oder denken Sie an Behinderungen oder an das Alter:
Altersdiskriminierung ist erst vor einigen Jahren zum Thema gemacht
worden. In unseren Gesellschaften ist das ja ein wirklich brennendes und
drängendes Thema.
Heißt das, dass sich die Menschenrechte immer weiter entwickeln? Das
würde ja auch bedeuten, dass die Gesellschaften, die diese
Menschenrechte hoffentlich wenigstens z. T. beachten, möglicherweise
immer besser werden. Das würde eine Art von teleologischer Idee im
Zusammenhang mit den Menschenrechten bedeuten.
Nun ja, sie entwickeln sich auf jeden Fall. Und ich glaube, man kann bei
aller Bescheidenheit dann doch auch ein bisschen von Fortschritt sprechen.
Man muss hier natürlich vorsichtig sein, denn es gibt einfach keinen
Fortschrittsautomatismus, der bedeuten würde, dass es der nachfolgenden
Generation immer besser ginge als der vorhergehenden. Nein, es wäre
ganz fatal, wollte man so einen Automatismus annehmen. Man muss also
immer wieder aufs Neue um das Ganze der Menschenrechte ringen. Es
können also auch Dinge verloren gehen. Aber wir können mit Blick auf die
letzten 60 Jahre trotzdem feststellen, dass das, was sich international aus
der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO im Jahr 1948
entwickelt hat, doch eine ganze Menge ist. Es haben sich Institutionen
gebildet, es haben sich nicht-staatliche Organisationen wie z. B. Amnesty
International oder Human Rights Watch, FIAN, Terre des Femmes, AntiFolter-Organisationen usw. entwickelt. Zwar ist nichts selbstverständlich bei
den Menschenrechten, aber man kann doch in aller Bescheidenheit sagen:
Im institutionellen Bereich hat es Fortschritte gegeben. Es ist wichtig, dass
wir das wahrnehmen, damit man nicht etwas müde in Verzweiflung – die
gelegentlich auch ästhetisch verbrämt daherkommt –, in Weltschmerz und
Kulturpessimismus verfällt.
Gehören eigentlich Demokratie und Menschenrechte zusammen? Geht
das nur zusammen?
Da gibt es einen ganze engen Zusammenhang, und zwar schon deshalb,
weil zu den Menschenrechten selbst auch das allgemeine Wahlrecht
gehört, das gleiche Recht auf freie und faire Wahlen. Und genau so steht es
auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten
Nationen. Das schließt nicht aus, dass es auch so etwas gibt wie
symbolische Elemente von Monarchie, wie das z. B. in England oder auch
in Schweden der Fall ist. Aber wenn man den freiheitlichen Anspruch der
Menschenrechte ernst nimmt und auch den Gleichheitsanspruch, dann ist
man einfach nahe am Slogan der Französischen Revolution: "Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit" oder, da "Brüderlichkeit" heute ein bisschen
antiquiert klingt, "Freiheit, Gleichheit, Solidarität". Und das ist ja nicht zufällig
ein Slogan, der sowohl für die erste große demokratische Revolution in
Oechsner:
Bielefeldt:
Oechsner:
Bielefeldt:
Oechsner:
Europa steht als auch in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte der Vereinten Nationen, wo er zwar ein wenig
verklausuliert, aber letztlich doch genauso vorkommt.
Die Menschenrechte sind ja zum großen Teil sozusagen Rechte der
Öffentlichkeit, die vom Staat geschützt werden. Gibt es auch
Menschenrechte sozusagen im Privaten?
Die Menschenrechtsdiskussion hat dazu geführt, dass insbesondere der
private Bereich sehr wohl auch als ein Ort erkannt worden ist, an dem
Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Es ist insbesondere auch der
Frauenrechtsbewegung der letzten 20, 30 Jahre geschuldet, dass man
Themen aufgegriffen hat wie z. B. "Vergewaltigung in der Ehe" oder
"Diskriminierung der Geschlechter". In Deutschland reden wir
notwendigerweise seit einigen Jahren – eigentlich sehr spät, dafür aber
etwas intensiver – auch über ein Thema wie "Zwangsverheiratung", die ja
ebenfalls im Privatbereich stattfindet, aber eine massive Form von
Menschenrechtsverletzung darstellt. Der Staat ist also gefordert,
Menschenrechtsverletzungen auch im privaten Bereich abzustellen. Es
geht daher nicht nur darum, dass die Menschenrechte den Staat selbst
begrenzen. Dies ist selbstverständlich auch eine Funktion, die sie haben:
dem Staat Grenzen zu setzen, den Willkürstaat zurückzuweisen usw. Nein,
die Menschenrechte fordern positives staatliches Handeln, um in der
Gesellschaft auch im privaten Bereich und in der Familie diese elementaren
Rechte durchzusetzen.
Kommen wir nun zu den Stichworten, die Sie bereits mehrfach
angesprochen haben. Fangen wir mit dem Thema "Folter" an. Nach dem
11. September 2001, also nach dem Terrorangriff in New York gab es viele
Diskussionen um die Folter und um die Frage, ob sie nicht doch erlaubt ist,
wenn viele Menschenleben auf dem Spiel stehen. Diese Diskussion ist ja
bekannt. Warum meinen Sie, dass die Folter nicht erlaubt ist? Was ist das
menschenrechtliche Argument, das Sie anführen?
Ich kann hier auf zwei Ebenen antworten. Die eine Ebene handele ich sehr
kurz ab, denn das ist der Verweis auf verbindliche völkerrechtliche
Abkommen. Es ist schon auch wichtig, dass man klar macht:
Menschenrechte sind nicht einfach nur eine Wertidee, sondern sie haben
eine eigene Rechtsstruktur. Sowohl die Anti-Folter-Konvention der
Vereinten Nationen wie auch der Pakt über bürgerliche politische Rechte
wie auch das humanitäre Kriegsvölkerrecht, die Genfer Konventionen, wie
auch die Europäische Menschenrechtskonvention usw. sagen klipp und
klar: Folter darf es unter keinen Umständen geben! Folter ist also auch im
Notstandsfall streng verboten, absolut verboten. Das ist in solchen
menschenrechtlichen Vorgaben sehr klar formuliert. Das ist die eine
Antwort. Diese Antwort befriedigt nicht ganz, weil man selbstverständlich
auch noch etwas zur Sache selbst hören möchte. Hier lautet nun meine
Antwort so, dass in der Folter die Menschenwürde – die ja der tragende
Grund der Menschenrechte und der tragende Grund des Rechtsstaats ist,
also eines Gemeinwesens, das sich rechtsstaatlich verfasst hat –, nicht nur
verletzt oder tangiert wird, sondern fundamental negiert wird. Folter heißt
also, dass der Mensch auf Schmerz, Scham und Angst reduziert wird. Das
Perfide der Folter ist, dass das Opfer das ja alles erleben soll. Die kürzeste
Definition für Folter, die ich je gefunden habe, lautet: Folter ist die
gewaltsame Ausschaltung des Willens unter Aufrechterhaltung des
Bewusstseins. Das heißt, der Mensch soll erleben, dass er sozusagen nur
mehr ein Stück Dreck ist, nur noch ein Bündel von Schmerz – und soll an
diesem Erleben auch zerbrechen. Das ist mit Rechtsstaatlichkeit, mit
Menschenrechten auch in Notstandssituationen niemals irgendwie
vereinbar.
Nun führen aber die Befürworter der Folter sozusagen einen anderen Wert
Bielefeldt:
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als Gegengewicht ein, indem sie sagen, es ginge darum, sehr viele
Menschenleben zu retten. Man könnte sich das also folgendermaßen
vorstellen: Wenn man einen der Terroristen vom 11. September 2001
vorher gefasst und wenn man gewusst hätte, dass ein Anschlag passieren
wird, nicht aber, wo er passieren soll, dann hätte man, wenn man das aus
ihm mittels Folter herausgepresst hätte, doch mehrere Tausend
Menschenleben retten können. Was sagen Sie zu so einer Argumentation?
Da wird man sagen müssen, dass die Menschenrechte auch einem
solchen Kalkül einen Riegel vorschieben. Das ist übrigens auch ein Schutz
für die Polizei, damit sie nicht in Extremsituationen unter Druck gerät, Folter
anwenden zu müssen. Aber diese Extremsituationen bzw. diese
Situationen, in denen manche die Folter als erlaubt ansehen, fangen ja
bereits sehr viel früher an und nicht erst dann, wenn 6000 oder 10000
Menschenleben auf dem Spiel stehen.
Es gab ja auch einen solchen Fall, nämlich in Hessen bei einer
Kindsentführung.
Ja, das war ein ganz dramatischer Fall. Das war die Entführung von Jakob
von Metzler.
Bei der es zur Androhung der Folter gegenüber einem der Täter kam.
Richtig, es kam zur Androhung einer Folter und in der Folge davon auch zu
einem Gerichtsurteil, das sich damit befasst hat. Es ist also so, dass
Polizeibeamte sehr schnell unter Druck geraten würden, zum Mittel der
Folter zu greifen, wenn man diese Tür öffnet. Es spricht alles dafür, hier gar
nicht erst anzufangen, also für ein paar besondere Umstände eventuell die
Folter vorzusehen. Damit würde eine Grauzone eröffnet werden, von der
man zynisch prognostizieren kann, dass das dann sehr schnell eine
Wachstumszone sein wird. Wenn man also für eine bestimmte
Fallkonstellation sagt: "Hier darf man vielleicht doch foltern!", dann strahlt
das unweigerlich auf andere Fälle aus. Man öffnet damit also eine Tür bzw.
es wird damit, wie man gerne sagt, ein Damm gebrochen. Und ich kann nur
hinzufügen: Man kann dann auch keinen neuen Damm mehr bauen. Wenn
man diese Grenze überschritten hat, dann gibt es einfach kein Halten mehr:
Man betritt dann ein rechtsstaatliches Niemandsland, in dem man staatliche
Willkür nicht mehr eindämmen kann. Es gilt hier also in der Tat das ganz
strikte Verbot von Folter. Ein Rechtsstaat darf und kann sie niemals
erlauben. Dies hat übrigens auch der israelische Gerichtshof 1999 noch
einmal bestätigt. Und Israel ist ja nun wirklich ein Land, das sich im Kampf
mit dem Terrorismus ganz besonders herausgefordert sieht. Aber es geht
eben auch um Glaubwürdigkeit von Rechtsstaatlichkeit – gerade im Kampf
gegen den Terrorismus.
Ein anderes Stichwort, das nun bereits einige Male gefallen ist, ist die
Zwangsverheiratung. Das ist ein Thema, das bei uns ebenfalls zu heftigen
Diskussionen geführt hat. Es handelte sich in vielen Fällen um türkische
Mädchen, die zwangsverheiratet worden sind. Infolge dieser
Zwangsverheiratung bzw. der Nichteinhaltung dieser
Zwangsverheiratungen kam es auch zu sogenannten Ehrenmorden. Man
könnte natürlich die Meinung vertreten, dass die Türkei nun einmal eine
andere Gesellschaft sei mit anderen Sitten und Gebräuchen und dass
deshalb dort eine Zwangsverheiratung üblich sei. Vielleicht wird dieser
Vorgang in der Türkei auch gar nicht als "Zwangsverheiratung" empfunden,
sondern lediglich als arrangierte Heirat. Was sagen Sie zu diesem
Argument?
Nun, da muss man erst einmal die Türkei ein bisschen in Schutz nehmen.
Es mag zwar nach wie vor diese Praxis vielfach geben – auf dem Land
stärker als in der Stadt, im Osten mehr als im Westen, in dem einen Milieu
mehr als in dem anderen –, aber man kann nicht sagen, dass das eine
Oechsner:
Bielefeldt:
Oechsner:
Bielefeldt:
erlaubte Praxis ist. Auch in der Türkei ist also die Zwangsverheiratung
verboten. Im Übrigen gilt natürlich bei den Menschenrechten ein Satz nicht:
andere Länder andere Sitten. Die Menschenrechte haben wirklich einen
universellen Status. Natürlich gibt es auch Raum für Unterschiede, aber die
Menschenrechte setzen doch klare Grenzen. Im Namen von Kultur, von
Tradition, von Sitten, von Herkunft usw. Menschenrechte zu relativieren,
geht nicht.
Wobei man aber oft gar nicht so leicht unterscheiden kann zwischen
Zwangsheirat und arrangierter Heirat. Denn es gibt wohl auch Kulturen, in
denen Hochzeiten zwischen Familien arrangiert werden. Verstößt das auch
gegen das Menschenrecht? Oder ist das in dem Fall etwas anderes?
Der entscheidende Punkt ist, ob die Betroffenen von solchen Arrangements
wirklich die Chance haben, ja oder nein sagen zu können. Insofern ist die
Frage der Unterscheidung zwischen arrangierten Ehen und
Zwangsverheiratungen auf abstrakter Ebene relativ leicht zu machen, in der
konkreten Situation ist das jedoch viel schwieriger. Das heißt, wenn es sich
um Minderjährige handelt, wird immer ein Zweifel bleiben – auch wenn sie
selbst ja gesagt haben –, ein Zweifel, ob sie auch wirklich reif genug
gewesen sind, eine solche Entscheidung der Eltern im Wissen um die
langfristigen Folgen mitzutragen. Bei Minderjährigen halte ich das also für
prinzipiell illegitim. Ansonsten kommt es wirklich auf die Details an.
Arrangierte Ehen sind ja auch nicht unproblematisch und die Grenze ist für
die Betroffenen selbst oft nicht so ganz klar und eindeutig. Es kann sein,
dass ein sehr junger Mensch, eine junge Frau oder auch ein junger Mann,
in dem Moment der Heirat das Gefühl hatte, dass es die Eltern doch
eigentlich gut mit ihm meinen. Aber drei, vier Jahre später, wenn er oder sie
vor dem Scherbenhaufen einer völlig verkorksten Ehe steht, dann merken
sie: "Eigentlich haben mich meine Eltern nie wirklich gefragt. Sie haben nur
Druck auf mich ausgeübt. Der Erwartungsdruck war so groß, dass ich
niemals hätte nein sagen können, ohne als Störenfried in der Familie
dazustehen." Die Grenze zwischen freundlichen Arrangements und einem
Erwartungsdruck, der dem Betroffenen die Luft nimmt, ist nicht immer so
ganz klar – selbst für die Betroffenen nicht.
Sie diskutieren ja auch das prinzipielle Problem, das sich daraus ergibt,
dass wir versuchen, in unserem Land bzw. in Europa mit Menschen aus
verschiedenen Nationen und Kulturkreisen zusammenzuleben. Auf diesem
Gebiet ist ein Menschenrechtsexperte natürlich ganz besonders gefragt. Es
stellt sich also die Frage, wie wir damit umgehen können, wenn bei uns
Menschen aus Kulturen leben, die einfach andere Vorstellungen haben.
Bleiben wir noch ein wenig beim Thema "Frauen". Inwieweit können wir
also tolerant sein gegenüber dem Faktum, dass eine andere Kultur ein
anderes Verständnis hat vom Verhältnis zwischen Frauen und Männern?
Wo müssen wir sagen, dass da nun eine Grenze erreicht ist und dass diese
anderen Menschen auf unsere Kultur Rücksicht nehmen müssen? Oder
gibt es diese Grenze nicht?
Ich würde nicht meinen, dass sie auf unsere Kultur Rücksicht nehmen
sollen, sondern auf die Menschenrechte: Sie sollen nicht nur Rücksicht
nehmen auf die Menschenrechte, sondern müssen die
menschenrechtlichen Standards auch wirklich einhalten. Der entscheidende
Punkt hierbei ist immer die Freiheit der betreffenden Menschen. Das heißt,
Eheformen können ja durchaus unterschiedlich sein. Selbst in unserer
Mehrheitsgesellschaft gibt es ja ganz unterschiedliche Lebensformen. Da
gibt es nicht nur die klassische Ehe, sondern es gibt auch
Wohngemeinschaften ganz anderer Art, es gibt mittlerweile PatchworkFamilien, es gibt klösterliche Gemeinschaften, was wiederum etwas ganz
anderes ist, in denen Menschen sich doch sehr weitgehend einer
Gemeinschaft unterordnen. Aber für die Menschenrechte ist das
Oechsner:
Bielefeldt:
Oechsner:
Entscheidende dabei immer, dass das alles in Freiheit geschehen muss: Da
müssen erwachsene Menschen in freier Entscheidung ja oder auch nein
sagen. Und wenn sie später nach einem ursprünglichen Ja nun doch nein
sagen wollen, müssen sie die Möglichkeit haben, dieses auch umzusetzen.
Das ist also das Kriterium im Hinblick auf die Menschenrechte. Dort, wo
dieses Kriterium verletzt wird, hört Toleranz auf. Da kann es für kulturelle
Differenz auch keinen "Kredit" geben. Aber es kann und muss ein bisschen
ein selbstkritisches Bewusstsein unsererseits geben, dass wir in unserer
eigenen Gesellschaft eben auch Zeit gebraucht haben, um so etwas wie die
Gleichberechtigung der Geschlechter überhaupt erst einmal als Anspruch
ernst zu nehmen. Und so ganz konsequent und vollständig haben wir
diesen Anspruch ja bis heute nicht umgesetzt. In diesem Sinne könnte man
also den Begriff "Toleranz" bemühen: Indem man erkennt, dass nicht immer
alles von heute auf morgen ganz schnell geht. Dass da genauso wie bei
uns auch anderswo zuerst einmal Lernprozesse stattfinden müssen, kann
man also durchaus konzedieren. Aber im Prinzip kann keine Toleranz geübt
werden gegenüber Praktiken von Unterdrückung, von Diskriminierung usw.
Es mögen noch so viele traditionelle und meinetwegen auch religiöse
Rechtfertigungen dafür vorgebracht werden, aber da gibt es dann wirklich
einen Konflikt, den man auch ausfechten muss.
Ich möchte nun noch zu dem Begriff "deutsche Leitkultur" kommen. Dieser
Begriff ist ja parteipolitisch sehr besetzt, aber er drückt vielleicht doch etwas
aus, das viele Menschen im ersten Moment ganz automatisch empfinden,
wenn sie in einem bestimmten Land leben, mit einem bestimmten Umfeld,
mit einer bestimmten Kultur, mit Traditionen, mit der Religion, insofern sie
noch eine Rolle spielt usw. Die Frage lautet also: Wie tolerant müssen sie
gegenüber anderen sein und wie tolerant müssen diese ihnen gegenüber
sein? Abstrakt betrachtet ist das ja sehr einfach, aber in der Realität scheint
mir das sehr kompliziert zu sein.
Der Begriff der Leitkultur ist ein Begriff, den ich nicht für besonders hilfreich
halte, weil nämlich dabei mit dem Begriff "Kultur" alles verkleistert wird. Ich
würde mich wirklich lieber an den Menschenrechten orientieren und sagen:
Die Menschenrechte sind ein Anspruch, auf den sich alle positiv beziehen
können, der aber als Anspruch auch an alle gerichtet ist. Und da kann man
vielleicht sagen, dass wir diesen Anspruch in unserer eigenen Gesellschaft
bereits ein Stück weit eingelöst haben, dass wir ihn ein Stück weit auch
institutionell verkörpert haben. Es gibt eine Gerichtsbarkeit bei uns, die
Menschenrechte ernst nimmt; man kann vors Bundesverfassungsgericht
gehen, wenn man sich in seinen Rechten verletzt fühlt usw. Aber voll
eingelöst ist der Anspruch der Menschenrechte noch nirgendwo. Daher gibt
es zwischen Minderheiten und Mehrheiten in der Gesellschaft auch keine
absolute Dichotomie, sodass man sagen könnte: Die einen haben es
bereits erreicht und die anderen stehen noch ganz am Anfang. Das ist
vielmehr ein Anspruch, der für alle gilt, der auch für alle eine
Herausforderung darstellt und der, wenn man ihn ernst nimmt, eben nicht
kulturrelativistisch unterminiert werden darf. Das ist jetzt möglicherweise
eine etwas abstrakte Antwort, aber wenn man sich dann konkrete Beispiele
ansieht, dann merkt man, dass man damit sehr wohl arbeiten kann. Der
Begriff der Leitkultur klingt mir da manchmal einfach zu selbstgerecht, als
hätten wir das alles – wenn dann auch noch die Menschenrechte unter die
Leitkultur subsumiert werden – immer schon so gewusst, als sei das
Bestandteil unseres kulturellen Erbes. Und deswegen ist dieser Begriff
einfach nicht sonderlich hilfreich.
Vor allem dann, wenn von "deutscher Leitkultur" die Rede ist: Das wird
dann doch ein wenig schwierig mit dem "immer schon gewusst". Aber Sie
haben selbst schon gesagt, dass das alles abstrakt betrachtet relativ einfach
ist, während es in der Realität doch etwas anders aussieht. Es gibt ja auch
heftige Kritik an manchen von Ihnen geäußerten Stellungnahmen. Eine
Bielefeldt:
Oechsner:
Bielefeldt:
türkische Autorin hat Sie einmal angegriffen, weil Sie die Unterschiede in
den Vorstellungen von Menschenrechten auf patriarchalische Strukturen
zurückgeführt haben und nicht auf den Islam. Sie sagte, das sei sozusagen
eine Gutmensch-Definition von Ihnen, die der Problematik nicht gerecht
würde.
Hier fühle ich mich von Necla Kelek allerdings auch nicht ganz korrekt
wiedergegeben. Wir hatten darüber in der Tat eine Kontroverse. Ich hatte
damals – und dazu stehe ich nach wie vor – lediglich darauf hingewiesen,
dass man patriarchalische Werte, die ja z. B. auch den Hintergrund für
Zwangsverheiratungen und ähnliche menschenrechtswidrige Praktiken
darstellen, nicht einfach mit dem Islam gleichsetzen kann. Damit habe ich
jedoch nicht gesagt, wie Necla Kelek mit unterstellte, das hätte alles mit
dem Islam gar nichts zu tun. So eine schlichte Formel würde ich
zurückweisen. Natürlich sind hier auch die Moschee-Gemeinden gefordert,
die Dinge klarzustellen. In lebensweltlicher Hinsicht kann man durchaus
sagen, dass patriarchalische Familienverhältnisse von den Menschen
vielfach auch als religiöse Werte wahrgenommen werden. Daran zu
arbeiten heißt auch, dass man vielleicht die religiösen Quellen neu
interpretieren muss. Beides jedoch nicht gleichzusetzen, ist mir aus zwei
Gründen wichtig. Erstens will ich hier nicht stigmatisierend und
pauschalisierend auf den Islam zielen. Zweitens will ich auch die
Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des islamischen Milieus zur Kenntnis
nehmen. Es gibt ja nicht nur Gleichberechtigungsverweigerung im
islamischen Milieu, sondern es gibt dort auch Frauenrechtsdiskurse, bei
denen Frauen den Koran selbst in die Hand nehmen und dann doch etwas
andere Auslegungen favorisieren als die Machos, die das vorher gemacht
haben. Ob man das nun plausibel findet oder nicht, was sie da exegetisch
herausfinden – entscheidend ist, dass solche Prozesse stattfinden. Und
man soll sie bitte auch zur Kenntnis nehmen. Es gibt sozusagen viele Wege
zur Befreiung, und genau das ist nun ein Punkt, der mir sehr wichtig ist,
gerade wenn es um den Islam geht: Es gibt nämlich erstens die Befreiung
aus der Religion, also aus dem Islam, aber es gibt zweitens auch die
Befreiung mit der Religion bzw. in der Religion. Und es gibt drittens eine
Befreiung, die mit Religion gar nichts zu tun hat, denn auch die
Gleichgültigkeit gegenüber Religion kann ein Weg zur Befreiung sein. Es
gibt also viele Wege zur Emanzipation, zur Befreiung. Mir scheint, dass
Necla Kelek das an dieser Stelle ein bisschen eng führt, wenn sie in ihrer
Islamkritik den Eindruck erweckt, man müsse sozusagen aus dem Islam
herausgehen, um die Freiheit zu finden. Das mag ja für manche der Weg
sein und das muss man dann eben auch zur Kenntnis nehmen, aber es gibt
auch ganz andere Wege.
Ich möchte zum Schluss noch die Diskussion um das Kopftuch einbringen.
Denn auch hier geht es ja um diese typische Toleranzproblematik. Dürfen
türkische Lehrerinnen ein Kopftuch tragen, weil das ein religiöses Symbol
ist? Ist das überhaupt ein religiöses Symbol? Wenn türkische Lehrerinnen
kein Kopftuch tragen dürfen, dürfen dann deutsche Ordensschwestern ihre
Tracht tragen? Darum drehte sich doch die Diskussion in den letzten
Jahren. Was sagen Sie als Menschenrechtler dazu?
Ich muss erst einmal vorausschicken, dass diese Frage kompliziert ist. Ich
werde mich trotzdem nicht um eine Antwort drücken, aber ich will in diesem
Fall doch gleich vorweg sagen, dass das nicht so ist wie z. B. beim
Folterverbot. Denn alle, die menschenrechtlich argumentieren, sagen:
"Folter niemals!" Diese Einmütigkeit gibt es bei der Kopftuchfrage nicht,
denn hier haben auch Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler
unterschiedliche Positionen. Das möchte ich also vorher zu Protokoll geben.
Man kann hier mit guten Gründen unterschiedliche Positionen vertreten.
Meine Position wäre, dass ein pauschales Kopftuchverbot nicht der
sinnvolle Weg ist. Warum? Weil das eine Verkürzung eines wichtigen
Oechsner:
Bielefeldt:
Oechsner:
Menschenrechts darstellt, nämlich des Menschenrechts auf
Religionsfreiheit. Religionsfreiheit beinhaltet auch das Recht, die eigene
religiöse Überzeugung nach außen zu bekunden – so lange man damit
nicht anderen massiv auf die Füße tritt. Insofern ist der Fall hier also
kompliziert: Wenn etwa die Religionsausübung einer Lehrerin oder auch
eines Lehrers – mit Bart oder ohne Bart – dazu führen würde, dass sie oder
er missionarisch andere, die ihr bzw. ihm als Schüler ausgeliefert sind,
geradezu religiös "überrumpelt", dann gäbe es hier einen Konflikt
Religionsfreiheit versus Religionsfreiheit. Denn die Religionsfreiheit der
Schülerinnen und Schüler könnte dann gefährdet sein. Aus dem Grund
muss man sich das eben jeweils genau anschauen. Aber das Kopftuch
pauschal zu verbieten, halte ich für einen falschen Weg. Da käme es dann
schon auf ein entsprechendes Gesamtverhalten der Lehrerin an. Und wenn
man von ihr sagen kann, sie sei pädagogisch engagiert, sei in ihrem
Verhalten so, dass sie niemanden missionierend in Bedrängnis bringt, dann
gibt es meiner Meinung nach keinen zureichenden Grund für ein
Kopftuchverbot. Besonders wenig plausibel finde ich es, wenn man dann
wie in manchen Bundesländern sagt: "Religiöse Symbole dürfen
Lehrerinnen und Lehrer generell nicht tragen! Aber bei den christlichen bzw.
jüdisch-christlichen Lehrerinnen und Lehrern machen wir eine Ausnahme,
weil das ja gar keine religiösen Symbole sind, sondern Kultursymbole." Das
ist ein zu trickreicher Ausweg, indem man plötzlich die Kategorien
verschiebt. Denn einmal spricht man von Religion und ein anderes Mal von
überkonfessioneller Kultur, gar von Leitkultur. Ich empfinde das als
diskriminierend. Die Gerichte zeigen ja auch – wir haben ja Gerichtsurteile
aus allerjüngster Zeit –, dass sie sich schwer tun, genau diese Differenz
plausibel zu finden, wenn man sagt, christliche Ordensleute dürfen ihre
Ordenstracht tragen, während muslimische Lehrerinnen kein Kopftuch
tragen dürfen. Die Konsequenzen, die die Gerichte ziehen, sind von
Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, d. h. das ist alles im Moment
sehr unübersichtlich. Aber man merkt, dass diese Linie eigentlich nicht
durchzuhalten ist.
Dass das unterschiedlich ist, ist vielleicht gar nicht so schlimm, denn das
sind eben individuelle Antworten auf eine schwierige Frage.
Man kann sich aber doch wünschen, dass das Ganze eines Tages auch
wieder ein bisschen übersichtlicher wird. Ich würde mir jedenfalls wünschen,
dass es in der Richtung übersichtlicher wird, dass wir das Kopftuch im Laufe
der nächsten Jahre auch als ein Stück undramatische Normalität unserer
pluralistischen Gesellschaft begreifen – und dass wir das auch in der Schule
so begreifen. Für Schülerinnen gilt das sowieso und für Lehrerinnen
hoffentlich bald auch. Das heißt ja nicht, dass man ein Fan des Kopftuchs
werden muss. Ich weiß sehr wohl, welche Geschichten sich mit dem
Kopftuch verbinden können und dass das manchmal auch
Unterdrückungsgeschichten sind. Aber es kommt bei einer Lehrerin wirklich
auf ihr tatsächliches Verhalten an. Mir scheinen daher pauschale Verbote
nicht der richtige Weg zu sein.
Ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses sehr interessante Gespräch. Das
war eine neue Ausgabe von alpha-forum. Zu Gast war heute Professor
Heiner Bielefeldt, der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
© Bayerischer Rundfunk
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