Professionelle Zahnreinigung (PZR) 73 Die Behandlung hypersensibler Zahnhälse Eine häufig anzutreffende Komplikation professioneller Zahnreinigungsmaßnahmen ist die praktisch immer reversible Hypersensibilität der Zahnhälse. Zahnsteinablagerungen und eine entzündlich geschwollene Gingiva bilden für freiliegende Wurzeloberflächen zunächst einen wirksamen Schutz gegen äußere Reizeinwirkungen. Durch die Zahnreinigung und deren antiinflammatorische Wirkung auf das Zahnfleisch wird diese »Schutzwirkung« aufgehoben. Dies führt beim Patienten zu der paradoxen Erfahrung, dass nach vorheriger Beschwerdefreiheit nun das objektiv »erfolgreiche Behandlungsergebnis« mit subjektiv empfundenen Beschwerden einhergeht. Die Eröffnung zusätzlicher Dentintubuli durch Überinstrumentierung oder durch eine allzu forcierte Politur verstärkt die Sensibilität noch weiter. Komplikationsrisiko Über dieses Komplikationsrisiko, insbesondere aber über die Möglichkeit wirksamer Gegenmaßnahmen, sollte der Patient schon vor Beginn der professionellen Zahnreinigung aufgeklärt werden. Patient vor Behandlung informieren Indikationen und Kontraindikationen Eine Indikation zur Behandlung hypersensibler Zahnhälse liegt vor, wenn exponierte Wurzeloberflächen im Zahnhalsbereich festgestellt werden und wenn Schmerzen bei mechanischer, thermischer, chemischer oder osmotischer Reizeinwirkung auftreten. Indikationen Eine Behandlung hypersensibler Zahnhälse sollte nicht durchgeführt werden, wenn eine Allergie gegen die verwendeten Produkte besteht und bei Schmerzen infolge einer Pulpenhyperämie oder Pulpitis, die durch pulpennahe kariöse Defekte mit erweichtem Dentin hervorgerufen werden. Dann ist eine Restauration indiziert. Kontraindikationen 74 Professionelle Prävention aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht Behandlungserfolg ! Erfolgsgrundsätze Das Ziel der Behandlung ist eine lang anhaltende Eliminierung oder Verminderung des Schmerzreizes. Voraussetzung dafür sind die Versiegelung der Zahnoberfläche zum äußeren Verschluss der Dentintubuli, eine intratubuläre Mineralisation oder Präzipitation sowie die Bildung von Sekundärdentin. Hypersensible Zähne sind dann erfolgreich behandelt, wenn der Wirkungseintritt schnell erfolgt, die Wirkung lang anhält und die verwendeten Substanzen gut vertragen werden, sprich: keine Nebenwirkungen wie Pulpenschädigung, Zahnverfärbungen oder Zahnfleischirritationen auftreten. Behandlungsablauf Flow-Chart: Behandlung hypersensibler Zahnhälse Zahnauswahl: Bei der Auswahl der Zähne, die behandelt werden sollen, ist ein quadrantenweises Vorgehen empfehlenswert. Reinigen: Entfernung sämtlicher Plaque, Verfärbungen, mineralisierter Beläge usw. von den zu behandelnden Flächen. Keine Desensibilisierungsmaßnahmen bei kariös erweichtem Dentin! Professionelle Zahnreinigung (PZR) Trocknen: Herstellung relativer Trockenheit durch Watterollen oder Speichelabsorber (z. B. Dry Tips®). Speichelsauger mit gleichzeitiger Abhaltung der Zunge (z. B. Hygoformic®). Trocknen der empfindlichen Flächen mit Wattepellets oder Watterollen (Erwärmte Druckluft dehydriert das freiliegende Dentin und verstärkt die Schmerzempfindlichkeit zusätzlich.). Applizieren: Lösungen mit feinem Wattepellet, Mikropinsel o. ä. gezielt auftragen. Bei einigen Präparaten, z. B. Dentinadhäsiven (so genannte »Primer«), sollte der Kontakt mit der Gingiva möglichst vermieden werden (Herstellerangaben beachten). Einwirkzeit beachten gegebenfalls polymerisieren: Je nach Herstellerangaben Lack ausreichend lange einwirken lassen, gegebenfalls polymerisieren, trocknen usw. Instruktion, Motivation: Häusliche Plaquekontrolle und regelmäßige Reinigung der empfindlichen Flächen sind unerlässlich. Gegebenfalls ultraweiche Zahnbürste (z. B. Special Care®) und therapeutische Zahncreme (z. B. Sensodyne®, Elmex Sensitive®) verwenden. Gegebenfalls wiederholen: Die Desensibilisierung kann bei Bedarf im Abstand von ein bis drei Tagen insgesamt bis zu fünfmal durchgeführt werden. 75 76 Professionelle Prävention aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht Troubleshooting Punktuelle Unwirksamkeit von Präparaten und Methoden Zu Misserfolgen kann es kommen, wenn bei in der Regel wirksamen Präparaten und Methoden in Einzelfällen der Behandlungserfolg ausbleibt, ohne dass ein Grund zu erkennen wäre. Aus noch ungeklärter Ursache wirken Desensibilisierungspräparate nicht bei allen Patienten gleich gut. Sinnvoll ist es daher, mindestens zwei Präparate bereitzuhalten, deren therapeutisches Prinzip auf unterschiedlichen Wirkungsweisen beruht, z. B. ein Fluoridpräparat (z. B. Duraphat® [Colgate], Bifluorid® [Voco]), einen Dentinprimer (z. B. Gluma® [Heraeus Kulzer], System desensitizer® [Vivadent]) und ein Präparat auf Basis der Ausfällung anorganischer Salze (z. B. D/Sense2® [Centrix]). Tritt nach drei Applikationen keine deutliche Besserung der Beschwerden ein, sollte auf ein anderes Präparat gewechselt werden. Häusliches Fehlverhalten Mitarbeit des Patienten Ebenso kann ein häusliches Fehlverhalten oder das Ausbleiben einer konsequenten häuslichen Mitarbeit die Wirkung zahnärztlicher Desensibilisierungsmaßnahmen wieder aufheben. Dazu gehören: ■ zu »aggressives« Zähneputzen, gegebenfalls mit zu harten Borsten und/oder stark abrasiver Zahncreme ■ unzureichende Plaqueentfernung auf den empfindlichen Flächen (führt zur Entstehung bakterieller Reizstoffe) ■ erosive, salzige und zuckerhaltige Speisen und Getränke Es ist anzumerken, dass bei der wirksamen Behandlung überempfindlicher Zahnhälse professionelle und häusliche Maßnahmen stets Hand in Hand gehen. Da es sich um die Behandlung eines Schmerzzustandes handelt, ist die Motivation zur Mitarbeit in der Regel hoch, vorausgesetzt, der Patient wurde über die adäquaten Maßnahmen hinreichend informiert. Sie umfassen ■ die schonende aber konsequent durchgeführte Zahnpflege Professionelle Zahnreinigung (PZR) ■ Vermeidung aller Reizeinwirkungen, die den Schmerz provozieren. ■ Verwendung einer therapeutisch wirksamen Spezialzahncreme für empfindliche Zahnhälse ■ gegebenfalls zusätzliche Fluoridanwendungen in Form von Gels oder Spüllösungen Instrumente und Materialien ■ Für die Herstellung relativer Trockenheit, zum Absaugen – Watterollen – Speichelabsorber (erheblich höhere Saugkapazität als Watterollen, z. B. Dry Tips® [Mölnlycke]) – Speichelzieher (z. B. Hygoformic® [Orsing]) ■ Präparate für die professionelle Desensibilisierung siehe »Dentinversiegler« S. 80 ■ Applikationshilfen (z. B. Vivabrush® [Vivadent], Appli-Tips® [Microbrush], Duraphat® Carpulen mit Applikationskanüle [Colgate]) ■ Hilfsmittel und Präparate für häusliche Desensibilisierungsmaßnahmen – Handzahnbürsten (z. B. Special Care® [TePe]) – Elektrische Zahnbürsten (z. B. Oral B® mit Aufsatz Extrasoft EB 17® [Gilette]) – therapeutische Zahncremes (z.B. Sensodyne®, Block Drug, Oral B Sensitive® [Gilette], Elmex Sensitive® [Gaba]) – Fluoridpräparate (z. B. Elmex Gelee® [Gaba], Meridol® Mundspüllösung [Gaba]) 77