cmi WPV Modul 03_2014 9.3..qxp_cmi WPV Modul 11 – 02.11. 09.03.14 18:45 Seite 47 Zertifizierte Fortbildung Fortbildung d e r n i e d e r g e l a s s e n e a r z t 3 / 2 0 14 47 unterstützt Qualität in der ärztlichen Fortbildung. Atemnot bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen Autor: Prof. Dr. med. Jan Sobesky Einleitung Die Atmung ist eine fundamentale physiologische Funktion des Menschen und eng mit dem subjektiven Wohlbefinden verbunden. Sie dient der Oxygenierung des arteriellen Blutes, dem Abtransport des Kohlendioxyds (CO2) und nimmt an der Regulation des Säure-Basen-Haushalts teil. Die Atmung unterliegt der Regulation spezifischer, entwicklungsgeschichtlich sehr alter Steuerungsgebiete im Hirnstamm. Sie wird zusätzlich durch zentrale, periphere und psychische Faktoren moduliert. Dementsprechend führen viele neurologische und psychische Erkrankungen auch zu Störungen der Atmung. Auch wenn Atemstörungen nur in seltenen Fällen Erstsymptom einer neurologischen Erkrankung sind, ist ihre Kenntnis und Differentialdiagnose relevant für die allgemeinmedizinische Tätigkeit. 1. Grundlagen der Atmungsregulation Die Atemtätigkeit wird durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Funktionskreise realisiert. Hierzu gehören das zentrale Nervensystem (ZNS) zur Steuerung der Atmung, das periphere Nervensystem (PNS) als Afferenz und Efferenz der Steuerungsund Rückmeldungsimpulse, die motorische Endplatte und die Muskulatur zur mechanischen Umsetzung der Atemtätigkeit sowie psychische Faktoren (Abbildung 1). Die zentrale Atemsteuerung erfolgt durch im Hirnstamm gelegene Kerngruppen, die spezifische Netzwerke steuern. Das ponti- ne respiratorische Zentrum (Kölliker-FuseKerngebiet) liegt in der dorsalen Pons nahe dem 4. Ventrikel und verbindet Informationen der pulmonalen Mechanorezeptoren mit höher gelegenen Kerngebieten der Amygdala und des Hypothalamus. Das dorsale respiratorische Zentrum liegt in der dorsalen Medulla oblongata (N. tractus solitarius) und verarbeitet Informationen peripherer Chemorezeptoren sowie respiratorischer und kardiovaskulärer Reflexe. Das ventrale Atemzentrum (VRG, ventral respiratory group) dehnt sich als lang gestrecktes säulenförmiges Kerngebiet von der ventralen Pons über die Medulla oblongata ins Rückenmark aus und steuert Inspi- ration, Expiration, Atemrhythmus sowie Koordination von Hirnstamm und spinalen Efferenzen. [1] Diese zentrale Steuerung bildet einen lebensnotwendigen Automatismus, der die Atemfunktion in Wachheit wie auch im Schlaf sichert. Darüber hinaus unterliegt die Atmung aber zahlreichen Einflüssen um besondere situative Anforderungen auszugleichen. Hierzu zählen: willentliche Kontrolle durch das Großhirn, Impulse von Mechanorezeptoren der Lunge (HeringBreuer-Reflex), Rückmeldung von Chemorezeptoren (für pO 2, pCO 2 und pH) der Aorta und des Bulbus caroticus, hypothalamische cmi WPV Modul 03_2014 9.3..qxp_cmi WPV Modul 11 – 02.11. 09.03.14 18:45 Seite 48 48 Zertifizierte Fortbildung der niedergelassene arzt 3/2014 Abbildung 1: Atemzentren und Interaktionen Zentrale Chemorezeptoren Periphere Chemorezeptoren (pO2, pCO2, pH) Großhirn (Neocortex) = willentliche Beeinflussung Psychische Faktoren Atemzentrum Hypothalamus (Pons, Medulla oblongata) Schmerz, Emotionen, zirkadiane Rhythmik, Hormone Muskulatur, Gelenke Modulation (Schmerz, Fieber, hormoneller Einfluss, Emotionen) und Informationen peripherer Muskelrezeptoren (z.B. bei körperlicher Aktivität). ( Abb. 1) Das periphere Nervensystem und die Atemmuskulatur setzen die Steuerungsimpulse in eine effektive Atemmechanik um. Die kaudalen Hirnnerven beeinflussen die oberen Atemwege in Nase, Pharynx und Larynx. Die Interkostalnerven steuern via Interkostalmuskulatur die Brustatmung, der N. phrenicus via Zwerchfell die Bauchatmung. Durch Innervation der Hals- und Schultergürtelmuskulatur wird die Atemhilfsmuskulatur ergänzend eingesetzt. Die Schnittstelle zwischen Nervensystem und Muskulatur ist die motorische Endplatte. Psychische und sonstige Faktoren modulieren die Atmung in unterschiedlichem Ausmaß. Das autonome Nervensystem beeinflusst u. a. Atemfrequenz und -rhythmus, Bronchienweite sowie Lungenperfusion. So führt eine sympathische Aktivierung zu einer Bronchodilatation, einer Erhöhung der Lungenperfusion und der Atemfrequenz. Reaktive Faktoren wie Angst, Aufregung oder Schreck haben direkten Einfluss auf das Atemmuster. Hormonelle Einflüsse umfassen u. a. die Wirkung von „Stresshormonen“ wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortison auf das vegetative Nervensystem. Weiterhin finden sich auch komplexere Interaktionen, so z. B. hormon- und zyklusabhängige Änderungen von Atmungsparametern bei Frauen. Schließlich zeigt die Atmung altersabhängige Schwankungen. So nehmen die Atemfrequenz und der Anteil der Brustatmung mit dem Alter ab, was zu Änderungen der Reaktivität und Atemeffektivität führt. Das komplexe Zusammenspiel der Atmungsregulation erklärt, dass neurologische und psychische Erkrankungen zu einer Änderung des Atemmusters führen können. Tabelle 1 listet relevante Störungen und ihre Leitsymptome auf. Mechanorezeptoren Lunge, Kreislauf Relevante neurologische Diagnostik bei Atemstörungen Die zerebrale Bildgebung dient dem Nachweis struktureller Läsionen (z.B. Hirninfarkt, entzündliche Läsionen) als Ursache einer Atemstörung. Während die zerebrale Computertomographie (CCT) Standard der Notfalldiagnostik ist, sollte bei elektiven Fragestellungen aus Gründen des Strahlenschutzes und der diagnostischen Spezifität eine Kernspintomographie erfolgen (MRT). Die Liquordiagnostik ist bei autoimmunen oder entzündlichen Prozessen (z.B. Polyneuritis, Multiple Sklerose, Enzephalitis) sinnvoll. Eine Elektroenzephalographie (EEG) als Ruhemessung oder als Schlafentzugs- oder Langzeit-EEG ist lediglich speziellen Fragestellungen vorbehalten (z.B. episodische Atemstörungen bei komplex fokalen Anfällen). Die Polysomnographie weist schlafgebundene Atemstörungen nach und ist eine zentrale Diagnostik zur Objektivierung von Atemstörungen. 2. Atemstörungen bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) Läsionen des zentralen Nervensystems können zu einer direkten Schädigung des Atemzentrums oder zur Läsion „atemrelevanter“ Hirnareale führen. Hierbei ist die Ätiologie der Schädigung zweitrangig und kann vaskulärer (Schlaganfall), entzündlicher (Enzephalitis), autoimmuner (Multiple Sklerose) degenerativer (Demenz, Multisystematrophie) oder raumfordernder (Tumor, Liquorzirkulationsstörung) Ursache sein (s. Tabelle 1). Der Schlaganfall zählt zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen, ist eine der häufigsten Ursachen für Funktionseinschränkungen und dritthäufigste Todesursache in den Industrieländern. Trotz deutlicher Fortschritte der Schlaganfallmedizin (u. a. Thrombolysetherapie, Stroke Unit Behandlung) stellt der Schlaganfall eine therapeuti- sche Herausforderung dar. In ca. 80 % der Fälle handelt es sich um einen ischämischen Hirninfarkt, in ca. 20 % um intrazerebrale Blutungen. Je nach Ort des Schlaganfalls variiert die klinische Symptomatik. [2] Infarkte im Bereich des Großhirns können prinzipiell durch Störung des Schlafwach-Rhythmus (z. B. Thalamus- oder Hypothalamusläsion) oder durch Störung der Atemmechanik (z. B. Läsion des motorischen Kortex oder des Marklagers mit Störung der Zungen- und Mundmotorik) Atemstörungen verursachen. Besondere Relevanz haben Hirnstamminfarkte, da sie viele für die Atemmechanik wichtige Kerngebiete schädigen können und darüber hinaus durch eine direkte Läsion der Atemzentren zu einer zentralen Atemstörung [3] führen können. Insgesamt zeigen 50% – 70% aller Schlaganfallpatienten im Verlauf Atemstörungen, wobei die Mehrzahl dem Schlafapnoesyndrom (SAS) zuzuordnen ist. Das SAS kann zentraler oder peripherer Ursache sein und stellt wiederum einen unabhängigen Risikofaktor für ischämische Schlaganfälle dar, sodass hier ein Circulus vitiosus vorliegt. Ein typisches zentrales Apnoesyndrom kann z.B. nach Hirnstamminfarkten auftreten, die neben einer Störung von Hirnnervenfunktionen (z.B. Schluckstörung, Sprachstörung, Hypästhesie des Gesichts) und Schädigung der langen Bahnen (halbseitige Gefühlsstörung und Koordi nationsstörung) auch das Atemzentrum direkt schädigen: hier zeigen Patienten im Schlaf relevante Atempausen, die nicht auf eine Erhöhung des CO2 Partialdrucks (Hyperkapnie) reagieren, die aber in Wachheit eine normale Atemsteuerung zeigen („Undine-Syndrom“). In der ambulanten Versorgung nach Schlaganfall sollte daher die Frage nach neu aufgetretenen Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit oder nächtlichen Atempausen routinemäßig erfolgen. Insbesondere bei Abwesenheit klassischer Ursachen eines peripheren SAS (Adipositas, Nasenseptumstörungen, Polypen etc.) sollte ein zen trales Apnoesyndrom erwogen werden. Anamnese und Neurostatus werden hier durch eine zerebrale Bildgebung ergänzt, um die strukturelle Läsion zu definieren. Eine Polysomnographie sollte anschließend die Atemstörung objektivieren. Die zentralen Atemstörungen können in vier Gruppen eingeteilt werden. Liegt nur eine inkomplette zentrale Apnoe (Typ 1) vor, sind Therapieversuche mit Acetazolamid, Clomipramin, Coffein oder ggf. CPAP zu erwägen. Bei kompletter Apnoe kann nur die automatische (Typ 2) oder nur die willkürliche (Typ 3) Kontrolle gestört sein, hier sind nächtliche Atemhilfen oder ggf. eine Phrenicusstimulation angezeigt. Bei kombinierter Störung (Typ 4) ist zusätzlich eine Langzeitbeatmung zu erwägen. [1] cmi WPV Modul 03_2014 9.3..qxp_cmi WPV Modul 11 – 02.11. 09.03.14 18:45 Seite 49 Zertifizierte Fortbildung d e r n i e d e r g e l a s s e n e a r z t 3 / 2 0 14 3. Atemstörungen bei Erkrankungen des peripheren Nervensystems (PNS): Erkrankungen des PNS und der motorischen Endplatte sind Störungen der „Atem ausführung“ bei zumeist intakter Steuerung. Zu den wesentlichen Ursachen zählen akute oder chronische Nervenschädigungen durch entzündliche oder toxischmetabolische Ursache (Polyneuropathie, Polyneuritis), angeborene oder erworbene Störungen der Muskulatur (Myopathie, Myositis) und Degenerationen des alphaMotoneurons (amyotrophe Lateralsklerose, Polyomyelitis). Schließlich kann die motorische Endplatte als Schnittstelle zwischen Nerv und Muskel gestört sein (Myasthenie). (Tab. 1) Eine akute und progrediente Affektion des peripheren Nervensystems und damit eine Störung der Impulsübertragung zu den muskulären „Effektoren“ findet sich bei der akuten Nervenentzündung (Polyneuroradikulitis), die auch als „GuillainBarré-Syndrom“ (GBS) bezeichnet wird [4]. Zugrunde liegt ein autoimmuner Prozess, der zur Zerstörung der peripheren Myelinscheiden und/oder der Axone führt. Unter formen definieren eine primäre Affek tion der Myelinscheiden (AIDP), der Axone (AMSAM) oder eine Bevorzugung der Hirn nerven (Miller-Fisher-Syndrom). Die akute Form kann im Verlauf in eine chronische Form übergehen. Die Atemstörung beim GBS ist selten Erstsymptom, beeinflusst aber im Verlauf die Prognose und Therapiestrategie. Akut bis subakut kommt es zunächst zu unspezifischen Symptomen wie Tabelle 1: Atemstörung (AS), begleitende Leitsymptome und mögliche Differentialdiagnosen Art der Atemstörung (AS) Mögliche Ursachen Akute Atemstörung . . . mit Vigilanzminderung, Koma = Notfallsituation – – – – . . . mit fokalen Ausfällen (z.B. Halbseitensyndrom) – Schlaganfall – Multiple Sklerose – Hirntumor 49 Hirndruck Hirnstamminfarkt Epileptischer Anfall Intoxikation (z. B. Opiate, Psychopharmaka, Antikonvulsiva) Episodische Atemstörung . . . belastungsabhängig mit Doppelbildern, generalisierter Schwäche oder Dysarthrie – Myasthenia Gravis . . . mit Angst, Herzrasen, vegetativer Symptomatik mit situativer Bindung – Panikattacke – Phobischer Schwindel . . . mit Angst, Herzrasen, vegetativer Symptomatik ohne situative Bindung, mit /ohne Bewusstseinseinengung – Epileptischer Anfall (komplex fokal) – Herzrhythmusstörungen Chronische Atemstörung . . . mit plötzlichem Beginn, Sprach- und Schluckstörungen, ggf. Halbseitensyndrom und vaskulären Risikofaktoren – Vaskuläre Erkrankung, z. B. Hirnstamminfarkt, vaskuläre Leukenzephalopathie . . . mit schleichendem Beginn, Sprach- und Schluckstörungen – Degenerative Erkrankung, z. B. Multisystematrophie, amyotrophe Lateralsklerose Sonstige Atemstörungen . . . mit Atrophien und /oder Ausfall einzelner Muskeln oder Muskelgruppen – – – – Thorakale Raumforderungen Postoperative Hämatome Engpassyndrome (throacic outlet) Traumatische Nervenläsion . . . mit generalisierten Lähmungen oder Gefühlsstörungen („Polyneuropathie“) – Polyneuropathie – Guillan-Barré-Syndrom (GBS) – Chronisch inflammatorische demyelinisierende PNP (CIDP) . . . mit lokalen Schmerzen („Schmerzhemmung“) – Interkostalneuralgie – Fibromyalgie – Myositis . . . ohne relevanten somatischen Befund – – – – Primäre Hyperventilation Panikstörung/Angststörung mit/ohne sekundärer HV Fehlinterpretation Schwindel Somatoforme Störung cmi WPV Modul 03_2014 9.3..qxp_cmi WPV Modul 11 – 02.11. 09.03.14 18:45 Seite 50 50 Zertifizierte Fortbildung Kribbelparästhesien der Extremitäten oder Rückenschmerz. Dann folgen meist von distal nach proximal aufsteigende Lähmungen und ein Erlöschen der Muskeleigen reflexe (als Zeichen einer peripheren Lähmung). Im weiteren Verlauf kann die Atemmuskulatur betroffen werden und führt zu einer Dyspnoe bei allgemeiner Muskelschwäche und begründet eine intensivmedizinische Betreuung. Hier ist die Kontrolle der Vitalkapazität wichtig und kann den Therapie erfolg dokumentieren. Richtungsweisende Zusatzbefunde sind eine „zytoalbuminäre Dissoziation“ in der Liquordiagnostik (Eiweißerhöhung bei geringer Zellzahlerhöhung) und der elek trophysiologische Nachweis der Nervenschädigung. Therapeutisch ist eine frühe Immuntherapie mit z. B. Immunglobulinen oder Plasmapherese indiziert. [4] Episodische Atemstörungen können auch bei der Myasthenia Gravis (MG) auftreten [5]. Es handelt sich hier um eine Auto immunerkrankung, bei der Antikörper u.a. gegen den Acetylcholinrezeptor der moto rischen Endplatte gebildet werden. Folge sind belastungsabhängige und diffus verteilte Lähmungen. Häufige frühe Funk tionsstörungen sind Doppelbilder, Ptose, Sprachstörungen (Dysarthrie), Schluckstörungen mit Aspiration, generalisierte Muskelschwäche und Atemstörungen. Typisch ist hier die Angabe einer Verschlechterung in den Abendstunden und nach Belastung, sowie eine Besserung nach Ruhepausen. Ebenso typisch ist eine Verschlechterung bei Infekten und Einnahme bestimmter Medikamente. Sensibilitätsstörungen finden sich gemäß der Pathophysiologie nicht. Die MG kann von der reinen okulären Form bis hin zur generalisierten Muskelschwäche reichen. Anamnese und Befund werden ergänzt durch einfache klinische Tests (u.a. Simpsontest, Eisbeuteltest, Tensilontest). Schließlich belegen spezifische Antikörper (AChR-AK, Anti MuSk-AK, AntiTitin-AK) und spezifische Befunde der Elektromyographie („Dekrement“) die Dia gnose. Therapeutisch kommen Cholinesterasehemmer, Kortikoide und weitere Immunsuppressiva (z. B. Azathioprin) zum Einsatz. Bei thymusassoziierter Ätiologie (Hyperplasie, Thymom) ist eine Thymek tomie zu erwägen. Läsionen peripherer Nerven können je nach anatomischer Beteiligung der Atemmuskeln (Diaphragma, Interkostalmuskulatur) zu Atemstörungen führen. Eine Läsion des N. phrenicus und/oder des Plexus cervicalis führt zu einer Zwerchfellparese die unilateral kompensiert werden kann, bilateral zu schweren Atemlähmungen führt. Ursachen sind neben Tumoren auch entzünd liche Prozesse, operative Läsionen oder Bestrahlungsfolgen. Neben direkten Läsionen können auch Schmerzsyndrome Atemstörungen verursachen. Infolge einer Zosterin- fektion kann es zu einer thorakalen Interkostalneuralgie kommen, die eine schmerzbedingte Atemhemmung mit Hypoventi lation verursacht. Typisch sind hier die Anamnese mit Effloreszenzen in der Ausbreitung eines Dermatoms („Gürtelrose“) und folgendem Schmerzsyndrom nach Abheilung der Hautveränderungen, welches lokal provozierbar ist. Bei primär klinischer Diagnosestellung ist eine Therapie mit „neuropathischem“ Fokus mit z.B. Amitryptylin, Gabapentin oder Carbamazepin zu erwägen. 4.Atemstörung ohne somatische Grunderkrankung Die antike Medizin bezeichnete mit „Pneuma“ nicht nur den „Atem“, sondern die „Seele“ des Menschen, eine Deutung die erst Jahrhunderte später revidiert wurde. Die elementare physiologische Funktion der Atmung spiegelt sich auch bei psychischen und funktionellen Störungen wider, bei denen „Luftnot“ ein zentrales und subjektiv bedrohliches Symptom darstellt (Tab. 1). Im Bereich der Angststörungen (z.B. Phobien, Panikstörung) finden sich neben kardialen Symptomen (Herzschmerz, Herz rasen, Herztodangst) häufig auch Atem störungen, die von Brustenge, Erstickungs gefühl und Hyperventilation begleitet werden. Typischerweise finden sich bis auf hyperventilationsbedingte Änderungen der Blutgase keine relevanten Befunde. Diese Atemstörung ist selten belastungsabhängig und häufig ablenkbar. Zugrundeliegende affektive Störungen, insbesondere Depressionen, sind zu erfragen. Therapeutisch sind in der Akutphase Benzodiaze pine, in der Dauertherapie Antidepressiva (z. B. SSRI: Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren) oder Trizyklika (z.B. Imipramin) zu erwägen. Immer sollte eine supportive Psychotherapie ggf. Verhaltenstherapie erfolgen. Das Hyperventilationssyndrom [6] stellt einen interessanten Grenzfall zwischen psychischen und somatischen Veränderungen dar und ist häufige Ursache (bis zu 5%) einer hausärztlichen Konsultation. Es kommt hier zu psychisch getriggerten Episoden von verstärkter Thoraxatmung und Tachypnoe mit folgender Hypokapnie und Erhöhung der Atemruhelage. Es folgen eine repiratorische Alkalose mit Erniedrigung des pCO2 und Elektrolytverschiebung (u.a. Kalziumhomöostase) mit der Folge „echter“ Organdysfunktionen. Diese Dysfuktionen wiederum führen zu Angstgefühl und können die Störung perpetuieren. Häufig berichten die Patienten über ein Engegefühl des Brustkorbs welches ein „Durch atmen“ verhindere. Zusätzlich finden sich häufig unspezifische Reizsymptome wie trockener Husten, Räuspern, Gefühl der d e r n i e d e r g e l a s s e n e a r z t 3 / 2 0 14 „Leere“ im Kopf, Schwindel und Benommenheit. Weiterhin werden Leistungsminderung, Müdigkeit und Reizbarkeit beklagt. Peripher-muskulär werden häufig Kribbelparästhesien der Extremitäten oder perioral berichtet, ebenso ein Zittern und eine Verkrampfung der Extremitäten („Pfötchenstellung“). Kardial finden sich Palpitationen und Thoraxschmerz. Gastrointes tinal finden sich unspezifische Schmerzsyndrome bis hin zu Durchfällen und Krämpfen i. S. eines „Colon irritabile“. Die anamestischen Verdachtsmomente können durch Änderungen der Atemmechanik (Thoraxatmung, Tachypnoe) durch lebhaftes Reflexniveau und ggf. durch spezifische Zeichen (Chvostek-Zeichen: Zuckungen der mimischen Muskulatur bei Beklopfen des N. facialis, Trousseau-Zeichen: Pfötchenstellung der Hand bei Inflation einer Blutdruckmanschette) bestätigt werden. Die Blutgasanalyse kann eine respiratorische Alkalose mit Hypokapnie aufzeigen. Als diagnostischer Test kann bei herz- und lungengesunden Patienten eine kontrollierte Hyperventilation durchgeführt werden, um nachzuweisen, ob die individuell geschilderten Störungen durch eben diese Atemstörung provoziert werden können. Die Therapie der akuten Hyperven ti lation sollte durch Beruhigung und ggf. „Tütenatmung“ erfolgen. Unterstützend können Benzodiazepine (z. B. Lorazepam) eingesetzt werden. Von einer intravenösen Elektrolyttherapie sollte abgesehen werden. Bei chronischen Verläufen sollten eine atemtherapeutische Schulung und Behandlung gemeinsam mit Entspannungstechniken angestrebt werden. Eine pharmakologische Therapie mit z. B. SSRI oder Trizyklika kann bei begleitenden depressiven Störungen oder Angsterkrankungen erfolgen. Zusätzlich sollte bei starker kardialer Komponente (Tachykardie) nach Ausschluss einer obstruktiven Erkrankung eine Therapie mit ß-Blockern erwogen werden. Zusammenfassend zeigen viele neurologische und psychische Erkrankungen begleitende Atemstörungen, die nicht durch kardiale oder pulmonale Ursachen erklärt werden können. In der ersten Konsultation sollte im Rahmen einer Triage eine Zuordnung zu einer zentralen, peripher-musku lären oder psychischen Ursache getroffen werden können. Erst nach Stratifizierung durch eine genaue Anamnese und körper liche Untersuchung kann die neurologische Zusatzdiagnostik sinnvoll eingesetzt werden, was die Notwendigkeit einer engen interdisziplinären Kooperation unterstreicht. Literatur beim Verfasser cmi WPV Modul 03_2014 9.3..qxp_cmi WPV Modul 11 – 02.11. 09.03.14 18:45 Seite 51 Lernerfolg Barcode-Etikett (oder EFN-Nummer bei Fax) Arztadresse / Stempel Frau Herr Titel /akademischer Grad Vor- und Nachname Straße cmi · Institut für certifizierte medizinische Information und Fortbildung e. V. Alte Ziegelei 2 – 4 PLZ/Ort Praxis-Telefon -Fax 51491 Overath E-Mail-Adresse Ich versichere, alle Fragen ohne fremde Hilfe beantwortet zu haben. Bitte ausgefüllt faxen an: 0 22 04 /97 31-111 oder per Post zurücksenden. Datum/Unterschrift Stempel bei Postversand bitte an der grauen Linie falzen Fragen zur strukturierten Fortbildung „Atemnot bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen“ Es ist immer nur eine Antwort richtig. Schicken oder faxen Sie bitte nur den ausgefüllten Fragebogen an die oben genannte Adresse. Bei 7, 8 oder 9 richtigen Antworten schicken wir Ihnen das Fortbildungszertifikat „Atemnot bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen“ mit 1 cme-Punkt, bei 10 richtigen Antworten mit 2 cme-Punkten. 1. Welche Aussage zur Atemregulation ist falsch? □ □ □ □ □ a) b) c) d) e) Die Koordination der Atmung erfolgt im frontalen Cortex. Der pCO2 ist eine wichtige Steuergröße für die Atmung. Die Atmung u. a. reguliert den Säure-Basen-Haushalt. Der pH ist eine wichtige Steuergröße für die Atmung. Die Atmung unterliegt emotionalen Faktoren. 2. Welche Aussage zur Atmung ist falsch? □ □ □ □ □ a) b) c) d) e) Das Atemzentrum liegt im Bereich der Pons und Medulla oblongata. Das Diaphragma gehört zur Atemhilfsmuskulatur. Die kaudalen Hirnnerven sind an der Regulation der Atemwege beteiligt. Sympathische Aktivierung führt zu einer Bronchodilatation. Hyperventilation führt zu einer Hypokapnie. 3. Welche Erkrankung kann am ehesten zu einer zentralen Atemstörung führen? □ □ □ □ □ a) b) c) d) e) Polyneuritis Myasthenie Hirnstamminfarkt Nasenseptumdeviation Parese des N. recurrens 4. Welche Aussage zu Atemstörungen bei Schlaganfall ist falsch? □ a) Das Schlafapnoesyndrom ist ein Risikofaktor für ischämische Schlaganfälle. □ b) Das Schlafapnoesyndrom kann Folge eines Schlaganfalls sein. □ c) Das Undine-Syndrom bezeichnet eine Atemstörung i. S. eines zentralen Apnoesyndroms im Schlaf mit erhaltener Atemregulation bei Wachheit. □ d) Nur Schlaganfälle im Bereich des Mittelhirns führen zu Atemstörungen. □ e) Sie können erst nach Monaten auftreten. 5. Was kennzeichnet das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) nicht? a) b) c) d) e) ✃ □ □ □ □ □ Von distal nach proximal aufsteigende Paresen Die Gefahr einer Ateminsuffizienz im Verlauf Die akute Degeneration des Motorkortex (Präzentralregion) Schlaffe Paresen Erloschene Muskeleigenreflexe Lernerfolgskontrolle gültig bis März 2015. Zur Zertifizierung eingereicht bei der Ärztekammer Westfalen-Lippe cmi WPV Modul 03_2014 9.3..qxp_cmi WPV Modul 11 – 02.11. 09.03.14 18:45 Seite 52 6. Welche Aussage zur Myasthenie ist richtig? □ □ □ □ □ a) b) c) d) e) Es finden sich tageszeit- und belastungsabhängige Beschwerden wie Doppelbilder, Dysarthrie, Dysphagie und Dyspnoe. Die Beschwerden beginnen meist akut und dauern ca. zwei Wochen an. Es handelt sich um eine Nervenwurzelentzündung. Trizyklika sind Mittel der Wahl bei Dyspnoeattacken. Es gibt keine spezifischen Laborparameter, die auf eine Myasthenia Gravis hinweisen. 7. Welche Aussage zur Interkostalneuralgie ist falsch? □ □ □ □ □ a) b) c) d) e) Sie kann nach kutaner Zosterinfektion auftreten. Sie führt regelhaft zu einer zentralen Atemstörung. Sie kann durch lokalen Druck getriggert werden. Carbamazepin und Gabapentin sind Mittel der ersten Wahl. Die Schmerzverteilung entspricht zumeist den Dermatomen. 8. Was kennzeichnet Atemstörungen bei Angststörungen am wenigsten? □ □ □ □ □ a) b) c) d) e) Situative Bindung Ablenkbarkeit zentrale Resistenz auf Erhöhung des CO2 Partialdrucks begleitendes Herzrasen und Vernichtungsgefühl Erhaltene zentrale Reaktion auf Hypoxie 9. Welche Aussage zum Hyperventilationssyndrom (HVS) ist falsch? □ □ □ □ □ a) b) c) d) e) Das akute HVS kann durch Tütenatmung behandelt werden. Das HVS führt zu einer Hyperkapnie. Das HVS führt einer Hyperventilation. Das HVS führt meist zu einer respiratorischen Alkalose. Eine „Pfötchenstellung“ kann bei akuten Attacken auftreten. 10. Welche Zuordnung von Symptom und Erkrankung ist nicht zutreffend? □ □ □ □ Situative Atemstörung, unauffälliger somatischer Befund: Angststörung. Belastungsabhängige Atemnot mit Doppelbildern und Muskelschwäche: Myasthenie. Linksseitiges motorisches Hemisyndrom mit gesteigerten Reflexen und Atemstörung: Guillain Barré Syndrom (GBS). Inspiratorischer lokalisierter Schmerz im Bereich des Dermatoms Th10 links mit schmerzbedingter Atemhemmung: Interkostalneuralgie. □ e) Forcierte Hyperventilation mit Schwindel, Kopfdruck und „Zuckungen“ beider Hände: Hyperventilationstetanie. a) b) c) d) Strukturierte interaktive Fortbildung (Neutralitätserklärung des Autors liegt vor.) Bitte kreuzen Sie folgende Zahlen zur Bewertung an: 1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = befriedigend, 4 = ausreichend, 5 = mangelhaft, 6 = ungenügend 1. Meine Erwartungen hinsichtlich der Lernziele und Inhalte des Fortbildungsbeitrags haben sich erfüllt. c 1 c 2 c 3 c 4 c 5 c 6 2. Die Bearbeitung des Fortbildungsbeitrags hat sich für mich gelohnt, weil ich etwas dazugelernt habe. c 1 c 2 c 3 c 4 c 5 c 6 3. Der Fortbidlungsbeitrag hat Relevanz für meine praktische ärztliche Tätigkeit. c 1 c 2 c 3 c 4 c 5 c 6 4. Bitte beurteilen Sie die didaktische Aufbereitung und die Güte der präsentierten Inhalte des Fortbildungsbeitrags. c 1 c 2 c 3 c 4 c 5 c 6 5. Durch die Lernerfolgskontrolle wurden das erworbene Wissen in angemessener Weise abgefragt. c 1 c 2 c 3 c 4 c 5 c 6 6. Bitte beurteilen Sie, ob produkt- oder firmenbezogene Werbung den Inhalt des Fortbildungsbeitrags beeinflusst hat. Beeinflussung feststellbar c Keine Beeinflussung feststellbar c 7. Wie sind Sie auf diesen Fortbildungsbeitrag aufmerksam geworden? 8. Wieviel Zeit in Minuten haben Sie für die Bearbeitung des Fortbildungsbeitrags benötigt? c bis 10 c 11 – 20 c 21 – 30 c 31 – 40 c 41 – 50 c 51 – 60 c über 61 9. Weitere Bemerkungen: cmi e.V. verpflichtet sich, die Bestimmungen des Bundesdatenschutz-Gesetzes einzuhalten. ✃ Lernerfolg Atemnot bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen