4 Diskussion Die Neuropsychologie der rein wahnhaften Störungen nach ICD-10 F 22.0 ist bisher noch wenig verstanden. Daher war es Ziel der vorliegenden Arbeit, neuropsychologische Aspekte wie soziale Kognition bei diesem Patientenkollektiv zu untersuchen und die Frage zu klären, ob der Entstehung des Wahns trotz klinisch ungestörter formaler Denkabläufe und fehlender Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen ein kognitives Defizit zu Grunde liegt, oder ob sich ein in früheren Untersuchungen von Patienten mit paranoiden Psychosen festgestellter paranoider Attribuierungsstil (Fear et al., 1996) bestätigen lässt, der der Stabilisierung eines fragilen Selbstbildes dienen könnte (Bentall et al, 2001; Rössler und Lackus, 1986). Nach den Ergebnissen der Untersuchung sind die basalen sozialen kognitiven Fähigkeiten bei wahnhaften Patienten erhalten. Es ließ sich allerdings in der Emotionserkennung eine Tendenz nachweisen, Ärger und Ekel zu verkennen, ein Ergebnis, das ebenfalls bei schizophrenen Patienten gefunden wurde (Bell et al., 1997; Hall et al., 2004). Unter der Vorstellung, dass Patienten mit WS sehr sensibel auf bedrohliche Reize reagieren, erscheint dies zunächst widersprüchlich. Laut Green und Philips (2004) scheint es aber eben dieser Sensor für Bedrohung von außen zu sein, der die Patienten mit WS Informationen negativen Inhaltes bewusst negieren läßt, so dass – wenn auch spekulativ – dieser kognitive Prozess den (nicht signifikanten) Defiziten in der Emotionserkennung zu Grunde liegen könnte (Bömmer und Brüne, im Druck). Die Untersuchung der TOM, also der Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und ihre Absichten zu erkennen, hat im Gegensatz zu früheren Studien (Walston et al., 2000) ergeben, dass Patienten mit WS signifikant schlechter abschnitten als die gesunde Vergleichsgruppe, allerdings am ehesten als Folge gestörter Exekutivfunktionen. Interessanterweise verschwand dieser Unterschied bzw. die Signifikanz, wenn man die Anzahl perseverierender Fehler im WCST berücksichtigte. Barkley (2001) argumentierte aus evolutionspsychologischer Sicht, dass Exekutivfunktionen sich entwickelt haben, um soziale Konkurrenzsituationen adäquat bewältigen zu können; mit anderen 21 Worten: Exekutivfunktionen könnten einen Teilaspekt des sozialen kognitiven Systems abbilden. Der vorliegenden Untersuchung zufolge deuten auch Schwierigkeiten wahnhafter Patienten, den metaphorischen Gehalt von Sprichwörtern zu verstehen, auf subtile Defizite in der TOM hin. Hier ergaben sich hohe korrelative Zusammenhänge. In einer Regressionsanalyse war TOM der beste Prädiktor für das Sprichwörterverständnis, wobei exekutiven Funktionen, gemessen an der Anzahl perseverierender Fehler im WCST, ebenfalls eine, wenn auch geringere, Bedeutung zukam (Bömmer und Brüne, im Druck). Unter der Annahme, dass bei Patienten mit WS eine Assoziation zwischen Sprichwörtertest und TOM Bildergeschichten existiert, könnte man den Schluß ziehen, dass das verminderte Verständnis für Sprichwörterbedeutungen ein Hinweis auf die verminderte Fähigkeit ist, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und ihre Absichten zu erkennen. Insgesamt machten die Patienten mit WS signifikant mehr Fehler im WCST sowie im Sprichwörtertest, unabhängig sowohl von psychopathologischen Symptomen als auch von der medikamentösen Behandlung. Dies läßt eher auf ein kognitives Defizit schließen, welches sich in einer kognitiven Unflexibilität äussert, die es den Betroffenen erschwert, neue Informationen bei ihren Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen und sie an bereits bestehenden Lösungsmustern festhalten lässt. Dies unterstützt das in bereits dargestellte Defizit-Modell von Coltheart und Langdon (2002), die für die Entstehung des Wahns ein echtes kognitives Defizit postulieren. Dagegen konnten die Befunde früherer Studien (Bentall et al., 1991; Kinderman et al., 1992; Kinderman und Bentall, 2000), die für Patienten mit WS einen das fragile Selbstbild stabilisierenden paranoiden Attribuierungsstil beobachteten, nicht bestätigt werden. In der vorliegenden Untersuchung wiesen Patienten mit WS die Verursachung negativer Ereignisse ebenso häufig wie die gesunde Vergleichsgruppe anderen Personen zu, das heißt, die PB -Werte zeigten im Vergleich dieser beiden Gruppen keinen signifikanten Unterschied. Man könnte dies auf die Monothematik und inhaltliche Umschriebenheit des Wahns (Davies et al., 2002) 22 der vorliegenden Patientengruppe zurückführen, deren Wahninhalte sich auf ein ganz bestimmtes Thema fokussieren und sich meist auf einen definierten Lebensbereich und Personenkreis konzentrieren. Im IPSAQ hingegen werden verschiedene alltägliche und eben keine spezifischen Situationen erfragt, die das eigentliche Wahnthema des Betroffenen möglicherweise nicht tangieren. Zudem sei an dieser Stelle auf die Studie von Kinderman et al. (1992) über Attribuierungsstile bei schizophrenen Patienten hingewiesen, in der die jeweiligen Antworten der Probanden auf die Fragen im IPSAQ nicht nur von den Probanden selbst sondern zusätzlich von den Untersuchern den drei Alternativen: a=eigene Person, b = andere Personen und c = Situation zugeteilt wurden. Interessanterweise ergab die Zuordnung der Untersucher, dass die Patienten mit schizophrenem Wahn sich hinsichtlich ihrer Antwortinhalte nicht signifikant von der gesunden Kontrollgruppe unterschieden sondern lediglich in der Beurteilung dieser Inhalte. Das heißt, dass ein schizophrener Proband eine Antwort, die beispielsweise eine Situation für ein negatives Ereignis verantwortlich macht, in seiner Attribuierung einer anderen Person zuwies, das heißt paranoid attribuierte. Diese Diskrepanz konnten wir allerdings für die Patienten unserer Studie nicht replizieren, die Zuordnung ihrer Antworten auf die Fragen im IPSAQ durch die Untersucher ergab ebenso wie die Zuordnung durch die Patienten selbst keinen signifikanten Unterschied im Vergleich zu den gesunden Kontrollpersonen. Für die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen unserer Studie und der bereits erwähnten Untersuchung von Fear et al. (1996) kommen hingegen mehrere Ursachen in Betracht: Während wir zur Untersuchung der Attribuierungsstile den IPSAQ von Kinderman und Bentall anwandten, untersuchten Fear und Kollegen die Attribuierungsstile der Probanden mittels des etwas älteren ASQ von Peterson et al. (1982), der im Gegensatz zum IPSAQ nicht zwischen personenbezogenen und situativen Zuordnungen unterscheidet sondern diese als „externale“ Zuordnungen zusammenfaßt. Bentall und Kinderman (2001) wiesen in ihrer Arbeit daraufhin, dass eine solche Differenzierung durchaus Relevanz besitzt, da man im Falle einer situativen Zuordnung eher von einem „fatalistischen“ und weniger von einem „paranoiden“ Attribuierungsstil sprechen würde. 23 Hinzu kommt die Tatsache, dass die wahnhaften Patienten in der Studie von Fear et al. (1996) sich selbst die Verursachung positiver Ereignisse häufiger zuwiesen als die gesunden Kontrollpersonen, was laut Autoren möglicherweise an einem gewissen Anteil an Probanden mit Größenwahn liegen könnte. Auch eine Differenzierung zwischen hinsichtlich des Wahns remittierten und nicht remittierten wahnhaften Probanden wurde in der Studie von Fear et al. (1996) nicht vorgenommen, obwohl diese durchaus Relevanz besitzen könnte. In der vorliegenden Studie wiesen die hinsichtlich des Wahns nicht remittierten Probanden positive Ereignisse signifikant seltener der eigenen Person zu als die remittierten und gesunden Probanden. Ihrem EB Wert nach zu urteilen, zeigten sie die Tendenz, sich ebenso häufig für negative wie für positive Ereignisse verantwortlich zu machen. Diese Form der Attribuierung erinnert an den Attribuierungsstil depressiver Patienten, die sich häufiger für negative Ereignisse als für positive Ereignisse verantwortlich machten (Lyon et al., 1994). Hinweise auf einen den Selbstwert stabilisierenden Attribuierungsstil lagen also im Falle unserer wahnhaften Patienten nicht vor. Interessant war die Beobachtung, dass diejenigen Patienten, die eine komorbide depressive Störung aufwiesen, einen im Vergleich zu nicht depressiv Wahnhaften und Gesunden signifikant niedrigeren EB-Wert aufwiesen, wobei das Vorliegen einer depressiven Erkrankung unabhängig von der Akuität der wahnhaften Symptomatik war. Kritik ist an unserer Studie insofern zu üben, als dass die deutsche Übersetzung des IPSAQ (Kinderman und Bentall, 1996) nicht validiert wurde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die untersuchten Probanden möglicherweise nach sozialer Erwünschtheit geantwortet haben könnten. Schlußfolgerungen Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit weisen auf subtile sozial kognitive Defizite sowie auf eine allgemeine kognitive Rigidität bei Patienten mit isolierten WS hin. Korrelationsanalysen haben ergeben, dass ein Zusammenhang zwischen sozialen und nicht sozialen Kognitionsleistungen besteht, indem sozial 24 kognitive Defizite teilweise auf nicht sozial kognitive Leistungseinschränkungen zurückzuführen sind. Dabei scheint die Unabhängigkeit der sozial-und nicht-sozial kognitiven Leistungen der Patienten von IQ, Medikation oder Schwere der Psychopathologie eher auf einen "trait marker" als auf ein zustandsabhängiges ("state") Defizit hinzudeuten. In künftigen Untersuchungen sollten Patienten mit WS mit Patienten mit Schizophrenie direkt verglichen werden. 25