Mortalität Ein anderer Patient, der als Risikofaktoren einen vorbekannten arteriellen Hypertonus, einen Nikotingebrauch und selten Angina pectoris-Beschwerden aufwies, imponierte zum Ende der zuvor unauffälligen Narkose bei durchschnittlichen jugularvenösen Sättigungswerten mit arteriellen Oxigenierungsproblemen und einer Sinusarrhythmie. Dieser Patient verstarb in der 1. postoperativen Nacht trotz aller intensivmedizinischen Bemühungen an den malignen Herzrhythmusstörungen. Eine Obduktion zur Klärung der Todesursache wurde von der Familie des Patienten abgelehnt. Anmerkung: Dieses Ergebnis spiegelt nicht die mittlere Komplikationsrate wider und ist als extrem seltenes Ereignis zu werten. Die anderen durch diese Arbeit erhobenen Daten können durchaus als repräsentativ für die Gesamtheit unserer gefäßchirurgischen Patienten angesehen werden. 5.10 Abschließende Beurteilung der jugularvenösen Katheteroximetrie zur Erkennung der zerebralen Hypoperfusion während Karotisendarterieektomie 5.10.1 1. Vorteile der jugularvenösen Katheteroximetrie Einer der größten Vorteile der jugularvenösen Oximetrie liegt nach unseren Ergebnissen in der Möglichkeit, eine kontinuierliche intraoperative Messung durchzuführen, die vom Trend her glaubwürdig ist und eine Aussage über die zerebrale Perfusion während der Karotisendarteriektomie erlaubt. Die Veränderung der SvjO2 kann ein Maß für die Perfusionsveränderung sein und die arteriovenöse Sauerstoffgehaltsdifferenz kann als Maß des CBF benutzt werden, solange die zerebrale Funktion unverändert und die Beobachtungszeit kurz ist. Große arteriovenöse Sauerstoffgehaltsdifferenzen, entsprechend niedrige venöse pO2, sind ein wichtiger Hinweis auf einen niedrigen CBF. 2. Auch bei Schädel-Hirn-Traumatisierten in großer Serie wurde eine gute Korrelation zwischen dem mittleren regionalen Blutfluss und der avjDO2 gefunden, der klinische Wert 73 des Monitoring der SvjO2 in diesem Patientenkollektiv gilt im wesentlichen als unbestritten (19, 63). 3. Für praktische Belange ist der Bulbus Venae jugularis frei von Blut extrazerebralen Ursprungs. Nur 3% des Blutes stammt aus der Vena ophthalmica und den Venae emissariae. Falls venöses Blut aus dem Gesichtsbereich nach intrakraniell über die Vena angularis fließen sollte, müsste es einen Druckgradienten überwinden (91). Wichtig ist natürlich, den Katheter weit genug nach kranial in den Bulbus venae jugularis zu positionieren, um Beimischungen aus der Vena facialis zu vermeiden (25). 4. Die negativen Auswirkungen eines zu niedrigen systemischen Drucks und folglich eines zu niedrigen CPP und auch die schädlichen Auswirkungen zu starker Hyperventilation können durch die SvjO2 erkannt werden (25). 5. Auch bei intraoperativ routinemässig angelegtem Kunstoffshunt kann der Katheter gute Dienste zur Kontrolle der Funktion des Shunts leisten : die sinkende SvjO2 kann eine Verschlechterung des Flows z.B. bei akzidentellem Shuntverschluß anzeigen. 5.10.2 1. Limitierende Faktoren der jugularvenösen Katheteroximetrie Einer der größten limitierenden Faktoren zur Verwendung der jugularvenösen Oximetrie ist sicherlich die Tatsache, dass diese Methode nur die globale hemisphärische Hirnoxygenierung reflektiert, da wegen der Durchmischung des venösen Blutes keine regionalen Ischämien erkennbar sind. Auch Embolien durch intraoperative Manipulation an den ulcerierenden Plaques der arteriosklerotisch veränderten Arteria carotis interna sind durch die Oximetrie nicht zu erkennen, da schlecht perfundierte Bezirke wenig Blut zum totalen venösen Fluss beisteuern (34). Die in der Untersuchung benutzte Methodik ist in der Lage, Aufschluss über global-hemisphärische intrazerebrale Vorgänge zu geben. Eine Aussage über fokale Veränderungen ist mit den verwendeten Kriterien nicht möglich (80). Zudem ist das Gehirn morphologisch und funktionell inhomogen. Theoretisch kann eine normale SvjO2 auch als Summationseffekt regionaler ischämischer und hyperämischer Gehirnareale zustande kommen (65). 2. Die SvjO2 zeigt nicht die absoluten Werte von CBF oder CMRO2. Nur die Relation zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffverbrauch kann erkannt werden. Im Falle eines 74 normalen arteriellen Sauerstoffgehaltes kann auch die Beziehung zwischen CBF und CMRO2 erkannt werden. (25) 3. Die Probleme der O2-Dissoziationskurve bei pH-Veränderungen durch Hyper- ventilation und Hypokapnie: Falsch hohe SvjO2-Werte könnten bei korrekt niedrigen pvjO2Werten abgelesen werden (23). Auch vorbestehende funktionell wirksame zerebrale arteriovenöse Shunts können durch die hohe arterielle Oxigenierung Ursache einer falsch hohen SvjO2 sein. 4. Im Falle einer globalen zerebralen Ischämie ist die Beziehung zwischen avjDO2 und CBF unvorhersehbar. Z.B. im Falle eines Hirntodes erhält die Arteria carotis externa beim Sistieren des Blutflusses in der Arteria carotis interna einen höheren Flow. Dadurch werden die extrazerebrale Gewebe überperfundiert und dies führt zu einer hohen jugularvenösen Sauerstoffsättigung. Die avjDO2 sinkt, während der zerebrale Blutfluss gegen Null geht. 5. Es könnte zu „falschen“ Daten durch die Kontamination mit extrazerebralem venösem Blut kommen, welches eine höhere Sauerstoffsättigung als zerebrales aufweist (25). Meist stammt diese Kontamination aus der Vena facialis, wenn es nicht gelungen ist, den jugularvenösen Oximetriekatheter hoch genug, d.h. in den Bulbus Venae jugularis vorzuschieben. Nach Murr fließt das venöse Blut des Gehirns praktisch ausschließlich über die Venae jugulares ab, und es kommt im Bereich des Bulbus jugularis nicht zu nennenswerten Zuflüssen aus anderen Geweben wie Knochen oder Muskulatur (69). Möglicherweise erhält der Bulbus Venae jugularis aber wenig Blut aus der hinteren Schädelgrube und repräsentiert daher kaum Hirnstamm- oder Kleinhirnhypoxien. Dies spielt aber für die Überwachung bei der KarotisTEA keine Rolle, bei der es weitgehend um die Erhaltung der Perfusion im Bereich der Arteriae cerebri mediae und anteriores geht. 6. Wegen der Häufigkeit von Artefakten wird vor Therapieänderungen eine BGA- Kontrolle empfohlen (62, 105), so dass die Reaktionszeiten auf abklemmungsbedingte zerebrale Minderperfusionen zwangsläufig verlängert werden. „Die fiberoptische SvjO2 wird in ihrer Aussagekraft in der klinischen Praxis durch das häufige Auftreten von technischen Problemen und Bewegungsartefakten limitiert“(62, 70). Zu geringe Lichtintensitäten der emittierenden Dioden innerhalb des optischen Moduls der Katheter oder Lageänderungen der intravaskulären Sonde sind häufige Ursachen für eine fehlerhafte Messung. Messartefakte werden in einer Untersuchung bei Patienten nach SHT für mehr als 50% der Gesamtmessdauer beschrieben (70). Nach Menzel ist die „time of good data quality“(62, 105) häufig zu kurz, so daß verlässliche Daten nicht für längere Zeitabschnitte zur Verfügung stehen. Diese Erfahrung zur Stabilität der Messungen konnten wir in unserer 75 Untersuchung nicht bestätigen. Etwa zu 75% der Zeit waren glaubwürdige Messwerte der jugularvenösen Sauerstoffsättigung vorhanden, welche durch die Kontrollen bestätigt wurden. 7. Ein gravierender Nachteil des Meßsystems ist zum einen in der Invasivität und zum anderen in den entstehenden Kosten zu sehen. Dinkel wirft der Meßmethode fehlende Spezifität bei unklarer Sensitivität vor (26). Seine Patienten zeigten eine erhebliche interindividuelle Streubreite der jugularvenösen Sauerstoffsättigung (47b). Diese Streubreite haben wir in unserer Untersuchung auch gesehen und durch die Kontrollmessungen bestätigt. In der von uns vorgelegten Untersuchung ist es wichtig, nicht so sehr auf die Absolutwerte, sondern auf den Trend der SvjO2 zu achten, um eine Aussage über mögliche zerebrale Hypoxien machen zu können. 8. Wenn über die Glaubwürdigkeit des SvjO2-Katheters gesprochen wird, sind auch die Ergebnisse von Stocchetti zu beachten, der bei Schädel-Hirn-Traumatisierten nicht zu unterschätzende Unterschiede in den Sättigungen der linken und rechten Vena jugularis fand. Für diese Patientengruppe muß die Rolle der Seitenlokalisation der Läsion und die Rolle der Größe des Foramen jugulare im Hinblick auf die „dominant drainierende Jugularvene“ geklärt werden (93). Bei unserer Untersuchung spielt diese dominante Jugularvene keine Rolle, da ipsilateral auf derjenigen Seite gemessen werden muß, auf der die Arteria carotis interna abgeklemmt wird. 5.6.3 Résumée und Ausblick Die oximetrische Bestimmung der jugularvenösen Sauerstoffsättigung gestattet eine unmittelbare und kontinuierliche Überwachung der Balance zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf. Dennoch erlauben die Daten der vorliegenden Untersuchung kein eindeutiges „Pro“ für die routinemässige Anwendung der kontinuierlichen jugularvenösen Sauerstoffsättigung bei der Karotisendarteriektomie. Trotz aussagekräftiger Einzelbeispiele glaubhafter und kontrollierter starker Sättigungseinbrüche während des Abklemmens der Arteria carotis interna ist die durchschnittliche Artefaktüberladung hoch und die „time of good data quality“ zu gering, um die Methode generell für die Erkennung von Episoden mit inadäquatem zerebralen Blutfluss zu empfehlen. Ebenso können wir zum derzeitigen 76 Zeitpunkt diese Methode nicht empfehlen, wenn es darum geht, sich chirurgischerseits bei einem konkreten Patienten intraoperativ für oder gegen eine Shunteinlage zu entscheiden. Sinnvoll erscheint für die Zukunft die präoperative Beurteilung der Kollateralisationskapazität der arteriellen Hirngefäße mittels transkranieller Dopplersonographie und die gleichzeitige Hirndurchblutungssteigerung durch die Gabe von Acetazolamid, so dass Patienten mit schlechter Kollateralisation erkannt und primär intraoperativ mit einem Shunt versorgt werden können. Ein Nachteil der Bulbusoximetrie besteht zudem in der möglichen fehlenden Detektion gefährlicher kleiner und größerer Embolien, während hingegen z.B. die intraoperative transkranielle Dopplersonographie eine geeignetes Verfahren zu sein scheint, um diese Embolien aufzudecken. Die Anwendung somatosensorisch evozierter Potentiale am Nervus medianus oder Nervus tibialis stellt ein validiertes Verfahren dar (55, 97a). Die Potentiale sind ein gutes Monitoring für den sensorischen Kortex, der durch die Arteria cerebri media gespeist wird, welche ein hohes Ischämierisiko beim Clamping der Arteria carotis interna trägt. Die Medianus-SSEP gelten als relativ einfach anwendbar, haben eine geringe Störanfälligkeit und eine hohe Sensitivität und Spezifität im Hinblick auf eine abklemmbedingte Ischämie (47b). Ein zukünftiges intraoperatives Monitoringverfahren könnte auch das offene MRT sein, welches innerhalb von Sekunden eine zerebrale regionale Aktivitätsminderung anzeigen kann. Schon heute finden neurochirurgische Operationen routinemäßig im offenen Magnetresonanzgerät statt (58). 77