Predigt im Gottesdienst vom Sonntag 19. Juli 2015 in der ref. Kirche

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Predigt im Gottesdienst vom Sonntag 19. Juli 2015
in der ref. Kirche Birmensdorf
Predigtreihe „Gott ohne Grenzen“
„Niemand kommt zum Vater ausser durch mich“ Joh 14,6
- Gedanken zu einem grossen Missverständnis
Evangelium – Joh 14,1-7
Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!
Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen; wäre es nicht
so, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um euch eine Stätte
zu bereiten? Und wenn ich gegangen bin und euch eine Stätte
bereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen,
damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Und wohin ich gehe - ihr
wisst den Weg.
Thomas sagt zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst.
Wie können wir da den Weg kennen?
Jesus sagt zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das
Leben; niemand kommt zum Vater, es sei denn durch mich.
Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater
erkennen. Von jetzt an kennt ihr ihn, ihr habt ihn gesehen.
Predigt
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt
zum Vater ausser durch mich! – Herr Stillhard, was denken sie
zu diesem vielzitierten Satz von Jesus?“
Liebe Gemeinde,
mit dieser Frage begann vor etwa zehn Jahren ein
Prüfungsgespräch während meines Theologiestudiums. Der
Prüfungsexperte wollte mich herausfordern und sehen, wie ich
mit dem christlichen Absolutheitsanspruch umging.
Nach kurzem Überlegen begann ich meine Erläuterung mit den
Worten: „In gewisser Hinsicht ist dieser Satz totaler Unsinn. In
einer anderen Hinsicht ist er jedoch wahr.“
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Der Prüfungsexperte machte sogleich einen erleichterten
Eindruck. Offensichtlich hatte ich gut geantwortet, was mich
beruhigte. Jedoch schien seine Erleichterung auch zu sagen,
dass er womöglich nicht immer eine überlegte Antwort auf
seine Frage erhielt. Das stimmte mich nachdenklich.
In der Tat: Unreflektierte und fundamentalistische Positionen
sind in der christlichen Theologie und in der Kirche nach wie vor
ein riesiges Problem.
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater ausser durch mich!
Immer wieder ist diese Stelle aus der Bibel herangezogen
worden, um die Beziehung des Christentums zu anderen
Religionen zu bestimmen. Das Christentum wurde dabei als die
eine und einzig wahre Religion den anderen Religionen
gegenübergestellt. Der Satz Jesu diente dazu, nichtchristliche
Religionen als falsche Religionen zu verurteilen. Aus der frohen
Botschaft für alle Menschen wurde so eine Drohbotschaft für
die, die sich dem Christusweg verweigerten – ein schlimmer
Missbrauch des Wortes Gottes!
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt
zum Vater ausser durch mich!
Liebe Gemeinde,
Ich kann das Bedürfnis verstehen, das hinter einer so klaren
und absoluten Aussage steht. Es ist der berechtigte Wunsch
von Menschen nach verbindlicher Wahrheit und Verlässlichkeit.
Ich muss mich auf etwas verlassen können, um leben zu
können. Ich muss mich darauf verlassen können, dass ich nicht
durchs Zimmer fliege, wenn ich morgens aus dem Bett steige.
Ich muss mich darauf verlassen können, dass die Bremsen an
meinem Auto funktionieren. Ich muss mich auf Menschen
verlassen können, dass sie zu mir stehen.
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Auch im Glauben möchten Menschen sich irgendwie darauf
verlassen können, worauf sie hoffen und was sie glauben. Und
ich denke, dass aus diesem Wunsch nach Verlässlichkeit und
Wahrheit auch solche Sätze gewachsen sind. In ihnen
vergewissern sich Menschen, dass sie mit ihrem Glauben und
ihrer Hoffnung auf dem richtigen Weg sind.
Dennoch finde ich es heikel, sich mit solchen Sätzen des
eigenen Glaubens zu vergewissern. Warum? Weil es meist sehr
missverständliche Sätze sind.
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt
zum Vater ausser durch mich!
Ich finde diesen Satz zugleich wahr und falsch.
Falsch finde ich ihn in seiner wörtlichen, ausgrenzenden, ja
fundamentalistischen Lesart: Es ist widerspricht der Güte
Gottes und ist unmenschlich zu behaupten, der Glaube an Jesus
Christus sei der einzige Weg zu Gott und zum Heil. Es
widerspricht der Güte Gottes und ist unmenschlich, weil es all
jene Menschen vom Heil ausschliesst, die nicht an Jesus
Christus glauben, sondern Gott in einer anderen Sprache der
Hoffnung suchen.
Eine religiöse Gemeinschaft, eine Kirche, die an einem solchen
Satz fundamentalistisch festhält und behauptet, sie allein sei
seligmachend, sie allein sei der Königsweg zu Gott, - eine
solche Kirche läuft Gefahr, unmenschlich zu werden und sich
selbst zu dem zu machen, was nur Gott zusteht. Nicht wir sind
der Grund des Lebens, keine Konfession, keine Kirche, keine
Religion, sondern Gott allein ist der Grund des Lebens.
Das ist es auch, was Jesus verkündet hat: Gott als den Grund
des Lebens. Jesus hat nie sich selbst verkündet, sondern immer
nur Gott. In diesem Punkt widerspricht der Satz, Jesus sei der
einzige Weg zu Gott der ursprünglichen jesuanischen Tradition.
Er stammt übrigens nach einhelliger Meinung in der
neutestamentlichen Wissenschaft nicht einmal vom historischen
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Jesus selbst. Er wurde ihm erst viel später von der
johanneischen Christusgemeinde in den Mund gelegt.
Jesus hat sich nicht selbst zu Gott gemacht, sondern in seinen
Worten und Taten hat sich etwas von Gott gezeigt. Der
Theologe Paul Tillich hat das einmal in einem treffenden Bild
gesagt: Jesus ist transparent geworden für Gott.
Jesus verweist mit seinem Leben auf Gott und darauf, wie Gott
uns Menschen im Anfang geträumt hat. Jesus hat gezeigt, was
es heisst, im Bild und Gleichnis Gottes zu leben: das Leben, das
eigene und das fremde, zu lieben und es nicht im Stich zu
lassen, jenen Kräften entgegenzutreten, die das Leben
zerstören, solidarisch zu sein, geschwisterlich und gütig.
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt
zum Vater ausser durch mich!
Dieser Satz ist also wahr, weil Jesus mit seinem Leben etwas
gezeigt hat, das universal gültig ist – unabhängig von jedem
Bekenntnis und jeder Religion: Hoffnung, Liebe, Solidarität,
Geschwisterlichkeit und Güte sind die Kräfte, die das Leben an
seinem Grund tragen. Und es sind jene Kräfte, die uns zum
Grund des Lebens führen, den wir in unserer Glaubenssprache
Gott nennen.
Ich bin als Christ mit Jesus auf dem Weg zu Gott. Ich bin
dankbar dafür, weil es ein heilsamer, schöner und befreiender
Weg ist. Und gleichzeitig bin ich dankbar, dass mich gerade die
Botschaft von Jesus Christus als die Verkörperung von Gottes
Liebe davor warnt, meinen Glaubensweg, meine Religion,
meine Kirche absolut zu setzen, sondern offen zu bleiben für
andere Sprachen der Hoffnung, für andere Verkörperungen der
Liebe.
Gott allein, der alles Endliche und Vergängliche übersteigt, ist
absolut, ewig und nicht unser Glaube oder unsere Kirche.
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Wer das einsieht, wird zur Liebe befreit. Lieben bedeutet, dem
Nächsten die Andersheit lassen und ihn wertschätzen. Und
lieben bedeutet, sich darüber freuen, dass nicht nur einer
sondern viele Wege zu Gott führen. Wer zu dieser Liebe fähig
wird, hat die Botschaft Jesu verstanden.
Amen.
Aesch, 17. Juli 2015
Pfr. Marc Stillhard
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