Untitled - Die Onleihe

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Vorbemerkung
12
Ein Trauma – was ist das?
14
Trauma als Ereignisqualität
17
Trauma als Interaktion zwischen Situation und Subjekt
18
Kontextabhängigkeit des Traumabegriffs
18
Körperliche oder seelische Ursache?
19
Reales Leiden oder vorgetäuschte Störung?
20
Erklärt das Erlebte allein die Folgen?
22
Realität oder Fantasie?
24
Umgang mit unterschiedlichen Traumabegriffen
27
Was geschieht in einer traumatischen Situation?
28
Die »traumatische Zange«
30
Die neurophysiologische Ebene
34
Dissoziation und Gedächtnis
39
Psychische Beeinträchtigungen als Folgen
traumatischer Erlebnisse
39
Die Akutphase
42
Die Posttraumatische Belastungsstörung
47
Zur Epidemiologie der PTBS
53
Beeinflussende Faktoren der PTBS
55
Andauernde Traumafolgestörungen
57
PTBS und komorbide Störungen
60
Zusammenhänge zwischen Trauma und psychischer Störung
66
Traumafolgen unterhalb der diagnostischen Schwelle
67
Veränderung der Sicht auf Welt und Identität
68
Veränderungen in Körperwahrnehmung und Körperselbst
69
Veränderungen im sozialen Umfeld
71
Verändertes Sicherheitsbedürfnis
72
Trauer
75
Traumabewältigung
75
Risikofaktoren der Traumabewältigung
78
Ebenen der Traumabewältigung
80
Protektive Faktoren der Traumabewältigung
80
Phasen der akuten Traumareaktion
82
Soziale Unterstützung bei der Traumabewältigung
85
Traumabewältigung und Reifung
87
Professionelle Hilfen
87
Interventionen nach akuter Traumatisierung
92
Traumatherapie
97
Indikation von Konfrontation und Stabilisierung
100
Wirksamkeit von Traumatherapie
101
Ambulante oder stationäre Traumatherapie?
103
Professionelle Interaktion mit traumatisierten Patienten
104
Die Bedeutung der professionellen Beziehung
104
Wie über ein Trauma sprechen?
107
Mögliche traumatische Übertragungen
108
Mögliche traumatische Gegenübertragungen
110
Grundprinzipien der Beziehungsgestaltung
111
Expertentum des Patienten und Expertentum des Experten
112
Stigmatisierung traumatisierter Patienten
113
Traumawiederholung
115
Probleme im stationären Setting
117
Umgang mit Chronifizierung
119
Suizidalität und Selbstschädigung
123
Umgang mit Dissoziationen
125
Stabilisierung durch Imagination
128
Traumatisierung von Helfern
129
Selbstfürsorge und institutionelle Fürsorge für professionelle Helfer
132
Mit Verwundbarkeit umgehen lernen – Schlussbemerkung
134
Adressen
137
Ausgewählte Literatur
MERKE
d Bei Patienten, die wegen anderer Störungen in Behandlung sind,
kann das Übersehen einer PTBS oder von subsyndromalen PTBS-Symptomen
zu einer Chronifizierung der behandelten Störung beitragen. Diese Gefahr besteht beispielsweise dann, wenn der Konsum von psychotropen Substanzen
den Patienten kurzfristig von Symptomen wie Wiedererinnerungen oder Übererregung entlastet. Ohne alternative Strategien besteht die Gefahr, dass der
Patient immer wieder zum Suchtmittel als Form der Selbstmedikation zurückgreift, auch wenn hinsichtlich der Suchterkrankung ausreichend Änderungsmotivation besteht.
Beeinflussende Faktoren der PTBS
Andreas Maercker (2009) entwickelte ein multifaktorielles, prozesshaftes Rahmenmodell der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse, das wesentliche Aspekte für das Verständnis der Entstehung einer Posttraumatischen Belastungsstörung enthält. Das Modell beinhaltet sowohl Aspekte
der traumatischen Situation als auch der individuellen Vulnerabilität
(Risiko- und Schutzfaktoren) und der individuellen Traumaverarbeitung. Außerdem werden Aufrechterhaltungsfaktoren und gesundheitsfördernde Faktoren nach dem Ereignis beschrieben:
Risiko: Zu den Risiko- und Schutzfaktoren zählt Maercker frühere Traumata, das Alter zum Traumazeitpunkt, das Bildungsniveau, das Geschlecht sowie Persönlichkeitsfaktoren. Frühere Traumatisierungen in
der Kindheit, ein jüngeres Alter zum Zeitpunkt der aktuellen Traumatisierung und weibliches Geschlecht erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass
eine Traumatisierung zu einer PTBS führt. Die Variable Alter wirkt dabei
nicht linear: Sowohl sehr junge als auch ältere Betroffene zeigen ein erhöhtes PTBS-Risiko.
Ereignisfaktoren: Zu den Ereignisfaktoren zählen die Dauer des traumatischen Ereignisses, das Ausmaß, in dem Schaden genommen wurde, die
erste Interpretation des Ereignisses und das Ausmaß der Dissoziation in
der traumatischen Situation. Bezüglich der Traumadauer und des erlitte53
nen Schadens kann von einer Dosis-Wirksamkeits-Beziehung ausgegangen werden. Die individuelle Bewertung in der Situation und das Ausmaß der Dissoziation sind ebenfalls ein Prädiktor für die PTBS-Wahrscheinlichkeit.
Schweregrad: Traumaschwere und initiale Reaktionen beeinflussen spezifische posttraumatische Prozesse wie etwa Veränderungen im Gedächtnis und entsprechende neurobiologische Veränderungen.
Neurobiologie, Seite 30 f.
j
Aufrechterhaltende Faktoren: Zu den die Störung aufrechterhaltenden
Faktoren zählt Maercker einen vermeidenden Bewältigungsstil und kognitiv-emotionale Veränderungen im Zuge der Traumabewältigung wie
Scham- und Schuldgefühle, zum Beispiel die sogenannte »Überlebensschuld« von Holocaust-Überlebenden, worunter verstanden wird, mit
dem eigenen Überleben innerlich zu hadern, weil andere Menschen gestorben sind.
Gesundheitsfaktoren: Zu den gesundheitsfördernden Faktoren zählt das
Modell die soziale Anerkennung als Opfer und Überlebender sowie die
Möglichkeit, sich überhaupt anderen Menschen anvertrauen zu können.
Sowohl die aufrechterhaltenden als auch die gesundheitsfördernden Faktoren beeinflussen spezifische posttraumatische Prozesse. Zu diesen gehören die Gedächtnisveränderungen auf Grundlage neurobiologischer
Veränderungen. Resultat dieser Verarbeitungsprozesse können Störungsbilder wie die PTBS, Angststörungen, dissoziative Störungen etc. sowie
spezifische psychosoziale Schwierigkeiten etwa in Ehe, Partnerschaft und
Familie oder in der Berufsausübung sein. Darüber hinaus ist aber selbstverständlich auch eine Weiterentwicklung und persönliche Reifung möglich.
Posttraumatische Belastungsstörungen kommen
0 Verlauf der PTBS
in jedem Lebensalter vor. In der Regel treten die Symptome in den ersten
sechs Monaten nach dem Ereignis auf. Es ist aber auch möglich, dass die
Symptome verzögert, also mehr als ein halbes Jahr, teilweise Jahre oder
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Jahrzehnte nach dem Ereignis beginnen. Eine akute PTBS dauert weniger
als drei Monate, eine chronische länger als drei Monate an. Ohne Behandlung remittieren ca. 50 Prozent der Betroffenen im ersten Jahr nach
dem traumatischen Erlebnis. Etwa ein Drittel entwickelt eine chronische
Verlaufsform. Je schwerer die Symptome zu Beginn, desto höher ist das
Chronifizierungsrisiko (Ehlers 1999). Ein größerer Teil der Patienten
mit PTBS gesundet innerhalb weniger Monate, wobei für die weitere
Prognose der Rückgang der Symptome innerhalb der ersten drei Monate
entscheidend ist (Resick 2003).
Andauernde Traumafolgestörungen
Einige Menschen, die vor allem Man-made-Typ-II-Traumata im Laufe
ihres Lebens erlebten, zeigen dauerhaft Symptome, die über die einer
chronischen PTBS hinausgehen. Die ICD-10 stellt dafür die Kategorie
Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F 62.0) zur
Verfügung und diese Diagnose beinhaltet, zusammengefasst, folgende
Symptome:
-
Die andauernde Persönlichkeitsveränderung ist ein Resultat von extremen Belastungserfahrungen und kann nicht ausschließlich durch
individuelle Vulnerabilität erklärt werden.
-
Beispiele für Extrembelastungen: Erlebnisse in einem Konzentrationslager, Folter, Katastrophen, andauernde lebensbedrohliche Situationen (als Geisel, lang andauernde Gefangenschaft mit Todesgefahr).
Ausschluss: lang anhaltende Veränderungen der Persönlichkeit bei
kurzzeitiger Lebensbedrohung, beispielsweise bei einem Autounfall.
-
Der Persönlichkeitsveränderung kann eine PTBS vorangehen. Sie
kann sich aber auch ohne vorherige PTBS entwickeln.
-
Die Persönlichkeitsveränderung ist andauernd und äußert sich in unflexiblem, unangepasstem Verhalten, das zu Beeinträchtigungen in
den zwischenmenschlichen, sozialen und beruflichen Beziehungen
führt.
55
-
Die folgenden Symptome lagen zuvor nicht vor: eine feindliche, misstrauische Haltung der Welt gegenüber, sozialer Rückzug, Gefühle der
Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl von Nervosität
wie bei ständigem Bedrohtsein und Entfremdung.
-
Dauer von mindestens zwei Jahren.
Ausschluss: Die Störung ist zurückzuführen auf eine vorher bestehende Persönlichkeitsstörung oder eine andere psychische Störung (außer Posttraumatische Belastungsstörung) oder eine schwere Erkrankung oder Schädigung des Gehirns.
Andere, aktuell diskutierte Begriffe für dieses Störungsbild sind: Entwicklungstrauma, DESNOS (disorder of extreme stress, not otherwise
specified) oder komplexe PTBS. Diese Begriffe werden in der Fachliteratur weitgehend synonym benutzt, allerdings sind die unter ihnen subsummierten Störungsbilder bislang (noch) nicht in die Diagnosesysteme
übernommen. Maercker (2009) spricht sich gegen den Begriff der »komplexen PTBS« aus, um damit nicht die »einfache PTBS« implizit als weniger belastend abzuwerten und nennt (in Anlehnung an van der Kolk
2005) folgendes Symptombild der Entwicklungstraumastörung:
-
erlebtes Man-made-Trauma, Typ II, sowohl sexualisierte Gewalt als
auch Folter;
-
anhaltende Fehlregulationsmuster;
-
gestörte Affekt- und Impulsregulation (leichte emotionale Erregbarkeit in sozialen Situationen, Dominanz von Ärger, selbstschädigendes
Verhalten, Suizidalität, Störungen der Sexualität, Risikoverhalten);
-
Somatisierungsphänomene: häufige psychogene Beeinträchtigungen
bzw. Krankheiten;
-
kognitive Veränderungen von Aufmerksamkeit und Bewusstsein: Dissoziationen, Aufmerksamkeitsstörungen, Amnesien, Depersonalisationserleben;
-
interpersonelle Veränderungen: Unfähigkeit zur gleichberechtigten
partnerschaftlichen Interaktion, Anfälligkeit für überspannte Ansich56
ten, die Unfähigkeit, zu vertrauen, Idealisierung des Täters, Viktimisierung anderer;
-
Selbstbildveränderungen: beeinträchtigtes Identitätsgefühl (die Überzeugung, irreparabel beschädigt zu sein, im Leben etwas falsch gemacht zu haben), andauernde Schuld- und Schamgefühle;
-
soziokognitive Veränderungsmuster: Verlust von Orientierungen,
Hoffnungen, Motivstrukturen und Überzeugungen;
-
funktionelle Beeinträchtigungen.
Menschen, die früh und anhaltend in ihrem Leben durch sexuelle Übergriffe, Gewalt oder Vernachlässigung traumatisiert wurden und die die
oben genannten Folgesymptome zeigen, tauchen häufig und oft immer
wieder als Patienten in psychiatrischen Einrichtungen auf. Anders als bei
Patienten mit einer akuten PTBS sind ihre Traumafolgen bisher meines
Erachtens noch nicht ausreichend in die Diagnosesysteme integriert. Der
Begriff des Entwicklungstraumas, so benannt von Bessel van der Kolk
(2005), verweist zum einen auf die Traumatisierung in einer besonders
vulnerablen Lebensphase, zum anderen auf eine Folge, nämlich die Störung grundlegender, notwendiger Entwicklungsprozesse durch die Traumatisierungen.
MERKE
d Bei der PTBS handelt es sich um eine psychische Störung mit Krank-
heitswert. Die Wahrscheinlichkeit, nach einer traumatischen Situation eine der
dargestellten Folgestörungen zu entwickeln, nimmt in folgender Reihenfolge
ab: akute Belastungsreaktion, akute Belastungsstörung, akute PTBS, chronische PTBS, Entwicklungstraumastörung.
PTBS und komorbide Störungen
Der überwiegende Teil der Patientinnen und Patienten mit PTBS hat
komorbide psychische Störungen wie Angststörungen, Depressionen,
einen schädlichen Gebrauch von Substanzen und Abhängigkeitsstörungen, Borderline-Persönlichkeitsstörung, Somatisierungsstörungen, HerzKreislauf-Erkrankungen etc. Dabei sind Angststörungen, Depressionen
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