Woran die Menschen glauben

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D O S S I E R W E LT R E L I G I O N E N
Woran die Menschen glauben
Christentum
um Christentum zählen heute
weltweit etwa zwei Milliarden
Menschen. Der Namensgeber Jesus Christus lebte als jüdischer Wanderprediger vor 2000 Jahren in der römischen
Provinz Palästina. Das öffentliche Wirken
Jesu – vor allem in Kapernaum am See
Genezareth – umfasste höchstens drei Jahre. Die Hinrichtung durch Kreuzigung
erfolgte um das Jahr 30.
Durch seine Apostel und deren Nachfolger verbreitete sich das Christentum
rasch innerhalb des Römischen Reiches,
wo es von Kaiser Konstantin um 380 zur
Staatsreligion erklärt wurde. Infolge der
weltweiten Kolonisation durch die christlichen Länder, zu der stets die Mission
gehörte, wurde das Christentum zur Weltreligion mit den meisten Anhängern. Im
Laufe seiner Geschichte hat sich das
Z
Christentum in zahlreiche Kirchen und
Gemeinschaften aufgespalten.
Die größte Kirche ist die römisch-katholische Kirche. Mit über einer Milliarde
Zugehörigen stellt sie weltweit die Hälfte
aller Christen. Knapp eine halbe Milliarde
bilden Protestanten und Anglikaner, mehr
als 150 Millionen gehören zu den christlichorthodoxen Kirchen. Die katholische Kirche ist ihrer Entstehung nach eine Kirche
des Abendlandes mit dem Zentrum in Mittel- und Südeuropa. Doch in Europa leben
nur noch etwa ein Viertel aller Katholiken.
Die Mehrzahl findet sich auf der südlichen
Welthalbkugel. In Südamerika und auf den
Philippinen stellen Katholiken sogar die
Mehrheit der Bevölkerung.
Die Kirchen in der Tradition Martin Luthers werden lutherische Kirchen genannt,
die Kirchen in Nachfolge der Schweizer
Reformatoren Zwingli und Calvin reformierte Kirchen. Schwerpunkte der Lutheraner sind Deutschland und die skan-
dinavischen Länder. Die reformierten Kirchen sind unter anderem in den Niederlanden, der Schweiz, Schottland, Ungarn,
Frankreich und Nordamerika vertreten.
Dem Christentum in der Welt stehen
allerdings dramatische Verschiebungen
bevor. Die katholische Kirche muss sich
darauf einstellen, an Kraft zu verlieren.
Sie wird zwar die stärkste Konfession bleiben, doch wächst sie etwas langsamer als
die Weltbevölkerung und verliert etwa in
Lateinamerika viele Mitglieder an protestantische und unabhängige Freikirchen.
Liegt der Anteil der Katholiken derzeit
noch bei 17 Prozent der Weltbevölkerung,
so dürfte er bis zum Jahr 2035 auf 12 Prozent geschrumpft sein. Insbesondere in
Afrika und Asien boomt der Glaube an
Jesus Christus. Doch seine neuen Anhänger sammeln sich zunehmend in unabhängigen Gemeinden. In 40 Jahren könnten fast 80 Prozent aller Katholiken in
nichtwestlichen Ländern leben.
CHRISTEN IN DER WELT
CHRISTEN
CHRISTEN
in Prozent der
Bevölkerung
90% und mehr
89% bis 70%
69% bis 30%
unter 30%
in Millionen; 2005
USA
Brasilien
China
Mexiko
Russland
Philippinen
Indien
Deutschland
Nigeria
Dem. Rep. Kongo
Katholiken (weltweit)
62
s p i e g e l
s p e c i a l
9 / 2 0 0 6
252
167
111
102
85
74
68
62
Quelle: GordonConwell Theological
61
Seminary; Zahlen
teilweise geschätzt
53
Glaubensgemeinschaften in Deutschland
eit 1990 haben die beiden großen
Volkskirchen, die katholische und
die evangelische, mehr als 5,5 Millionen Mitglieder verloren. Der Anteil von
Kirchenmitgliedern in der Bevölkerung
beträgt in den neuen Bundesländern rund
25 Prozent. In Städten wie Leipzig sind es
nur noch 5 Prozent Gläubige. Dennoch
gehören beide Kirchen mit insgesamt über
50 Millionen Mitgliedern zu den größten
Institutionen der Bundesrepublik. Trotz
dieser Zahl hält der Bedeutungsverlust
der Kirchen in Politik und Gesellschaft an,
und die Entfremdung zwischen Kirchenleitung und Gläubigen nimmt weiter zu.
So lehnt die Mehrheit der Katholiken das
S
Verbot vorehelicher Sexualität, jeglicher
Empfängnisverhütung, den Zölibat wie
den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt ab. Skandale um Missbrauch, Mobbing oder Disziplinierungen unliebsamer
Pfarrer erschüttern immer wieder die
Gemeinden. Insbesondere die katholischen Bischöfe verweigern seit Jahren Reformwünsche, wie sie etwa die Bewegung
„Wir sind Kirche“ artikuliert. Beide Kirchen leiden unter zunehmender Finanznot und müssen immer mehr sparen,
Personal abbauen, Immobilien und sogar
– wie in Berlin, Hamburg oder dem
Bistum Aachen – Kirchen verkaufen oder
abreißen.
KIRCHENAUSTRITTE
in Tausend, in Deutschland
Evangelische Kirche
350
300
Quelle: EKD;
Deutsche
Bischofskonferenz
250
200
CHRISTEN IN DEUTSCHLAND
Anteil der Katholiken und Protestanten an der Bevölkerung in Prozent 2005
56,3
52,0
17,8
6,1
Schleswig-Holstein
44,1
12,4
Bremen
Nordrhein-Westfalen
8,1
26,1
46,5
31,9
25,5
Rheinland-Pfalz
9,4
3,9
15,7
Sachsen-Anhalt
42,8
28,6
Thüringen
50
ab 1990 bzw. 1991 Gesamtdeutschland
3,1
1980
19,2
Brandenburg
58,1
37,8
34,0
Baden-Württemberg
21,7
Bayern
85
90
95
2000
05
RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN
in Deutschland; Mitglieder in Tausend 2005
Katholiken
65,1
100
Katholische Kirche
Berlin
21,6
Sachsen
Hessen
Saarland
60
3,6
41,3
20,0
90
22,0
Hamburg
Niedersachsen
120
18,4
Mecklenburg-Vorpommern
10,2
32,2
150
142
3,3
Protestanten
Konfessionslose
und Sonstige
Quelle: Deutsche
Bischofskonferenz, EKD
Katholiken
25 906
Protestanten (EKD)
Baptisten
Methodisten
25 630
87
64
Neuapostolen
Jehovas Zeugen
Muslime
(2004)
(2004)
375
163
ca. 3200
Orthodoxe und Ostkirchen
1400
108
Juden
ca. 245
Buddhisten
ca. 95
Hindus
Quelle: Deutsche Bischofskonferenz, EKD, Remid
1098 Mio.
Protestanten
Anglikaner
ca. 375 Mio. Orthodoxe ca. 150 Mio. ca. 70 Mio.
9 / 2 0 0 6
s p i e g e l
s p e c i a l
63
D O S S I E R W E LT R E L I G I O N E N
Judentum
as Judentum ist die kleinste der
Weltreligionen. Heute gibt es weltweit rund 13 Millionen Juden, davon rund 5,3 Millionen im Staat Israel.
Die Juden selbst bezeichnen sich als Israeliten oder „Bne Israel“ (Söhne Israels).
Der Überlieferung nach trat Gott durch
seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob in eine besondere Beziehung zu den
Israeliten. Sie betrachten Gott als ihren
alleinigen, obersten König und Gesetzgeber und sich als sein auserwähltes Volk.
Gott übergab auf dem Berg Sinai durch
Mose dem Volk seine Wegweisung, die
Tora. Das Gesetz besteht inklusive der
Zehn Gebote aus 613 Ver- und Geboten
für das tägliche Leben.
D
Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat
oder nach dem jüdischen Religionsgesetz
zum Judentum übergetreten ist. Mit seinem Übertritt wird der sogenannte Proselyt ein mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattetes Mitglied des Bundesvolkes. Die meisten Juden leben heute in
der Diaspora (Zerstreuung, Fremde). In
Folge der Eroberung des jüdischen Staates
und Zerstörung des Tempels in Jerusalem
durch die Babylonier im Jahr 586 v. Chr.
und durch die Römer im Jahr 70 n. Chr.
begaben sich die Juden ins Exil.
Die Zerstörung des Tempels und Eroberung Judäas gilt als ein großes Unglück
des jüdischen Volkes. Zur Erinnerung
daran wurde ein Fast- und Trauertag am
JUDEN IN DEUTSCHLAND
in Tausend
Gemeinde107,7 mitglieder
insgesamt
102 102
100
87,8
80
Gemeinden
72
60
77
73
82
82
86
87
9. August eingerichtet. Der Schwerpunkt
jüdischen Lebens außerhalb Israels liegt in
den USA mit rund 5,3 Millionen Juden.
Weitere Zentren gibt es in Westeuropa,
Südamerika und Russland. Eine Missionierung anderer wird nicht betrieben. Die
Zahl der Juden in den europäischen Ländern ist in Folge des nationalsozialistischen Völkermordes (rund sechs Millionen Ermordete) klein. 1933 lebten im
Deutschen Reich rund 570 000 Juden,
mindestens 165 000 von ihnen wurden ermordet. 1955 wurden nur noch etwa 15900
Juden gezählt, heute leben wieder rund
108 000 jüdische Gemeindemitglieder in
der Bundesrepublik, vor allem durch Zuzug von Juden aus Osteuropa.
EINWANDERER NACH ISRAEL
von 2000 bis 2006; Anteil nach Regionen
aus
Osteuropa
63,3 %
gesamt:
229186
Einwanderer
53,7
40
20
10,2 %
24,2
Mitglieder
10,0 ohne
Zuwanderung
2005
17,9
Quelle: ZWST
2000
1995
9,1%
7,9%
7,6%
Quelle: Ministry of
Immigrant Absorption
JUDEN IN DER WELT
aus
Afrika
Westeuropa
Mittel- und Südamerika
Nordamerika und Ozeanien
1,5% Asien
0,4% Herkunft unbekannt
1160
2006 in Tausend
5648
JUDEN IN STÄDTISCHEN
BALLUNGSRÄUMEN
366
übriges
Europa
Nordamerika
mit Türkei
Länder der GUS
und Baltikum
20 übriges
Asien
394
78
übrige
Welt
Afrika
in
Israel*
5,3 Mio.
7,8 Mio.
Lateinamerika
und Karibik
64
s p i e g e l
s p e c i a l
9 / 2 0 0 6
Tel Aviv Israel
2,58 Mio.
2.
New York USA
2,05 Mio.
3.
Los Angeles USA
668000
4.
Haifa Israel
597000
5.
Jerusalem Israel
575000
6.
Miami USA
498000
7.
Beerscheba Israel
310000
Paris Frankreich
310000
8.
Philadelphia USA
285000
9.
Chicago USA
265000
10.
Boston USA
254000
110
Ozeanien
Quelle: Jewish People
Policy Planning Institute
*inkl.
Palästina
1.
D O S S I E R W E LT R E L I G I O N E N
Asiatische Religionen
n Asien sind die großen Religionen Hinduismus, Buddhismus,
Daoismus und die Moralphilosophie Konfuzianismus entstanden. Dazu
kam in Japan der Shintoismus, Zen-Buddhismus und in abgelegenen Gebieten Naturreligionen mit schamanistischer Ausprägung. Buddhismus und Jainismus kennen weder einen persönlichen Gott noch
einen Schöpfer. Da der Hinduismus nicht
missionarisch war, beschränkt er sich
größtenteils auf die Bewohner des indischen Subkontinents. Die Ausübung der
Religion verlangt nicht unbedingt einen
Priester oder einen Guru. Er schließt den
Glauben und die Auslieferung an einen
persönlichen Gott oder Göttin sowie bedingungsloses Vertrauen in den allumfassenden Geist ein.
Von allen asiatischen Religionen hat der
Buddhismus es vielleicht am besten verstanden, weltweites Interesse zu wecken.
Zu seinen nachhaltigsten Stärken gehört
die Fähigkeit, sich wandelnden Bedingungen sowie einer Vielfalt von Kulturen
anzupassen. Ein wachsendes Interesse an
der asiatischen Kultur und ihren geistigen
Werten führte überall im Westen zur Herausbildung einer Vielzahl von Gesellschaften, die sich mit der buddhistischen
Lehre und ihrer Anwendung beschäftigen.
Stärkerer Widerstand wurde dem Bud-
I
BUDDHISMUS UND
HINDUISMUS
dhismus in den kommunistischen Staaten
Asiens entgegengesetzt. Seit dem Einmarsch der Chinesen in Tibet 1950/51 und
der darauffolgenden Flucht des Dalai
Lama (1959), versucht China den buddhistischen Einfluss dort zu unterbinden oder
zumindest zurückzudrängen. In China
blieb der Buddhismus zwar bestehen, unterliegt aber einer strengen Regelung und
Kontrolle durch den Staat. Viele Klöster in
Tibet wurden geschlossen, und die Einwanderung chinesischer Siedler wird offiziell unterstützt, das Brauchtum der Tibeter wird unterdrückt.
Verbreitung des Buddhismus in
Deutschland
Die Anwesenheit buddhistischer Mönche
in Deutschland wie in Europa überrascht
heute nur noch wenige. Musste man Mitte der siebziger Jahre noch nach buddhistischen Einrichtungen suchen, so kann
man heute in Großstädten wie Berlin,
Hamburg oder München zwischen etwa
600 buddhistischen Gruppen auswählen.
Die Buddhisten in Deutschland haben sich
unter dem Dachverband der Deutschen
Buddhistischen Union (DBU) mit Sitz in
München zusammengeschlossen. Wie in
Deutschland, wo sich die Zahl buddhistischer Kreise, Gruppen und Institutionen
innerhalb von zwei Jahrzehnten verviel-
Anteil der Buddhisten
an der Bevölkerung
90 %
Mongolei
China
Autonome
Region Tibet
Nepal
Japan
89%
Myanmar
80,5 %
13,4 %
2,3 %
1,9%
60%
Laos
43 %
Taiwan
95%
Thailand
0,8%
0,4%
s p i e g e l
95%
s p e c i a l
Die Anfänge lassen sich bis ins 3. Jtsd. v.
Chr. zurückverfolgen. Um 1500 v. Chr.
drangen aus Persien nomadische ArierVölker in Nordwest-Indien ein, die durch
den Kontakt mit den Vorstellungen der
dortigen Bewohner eine spirituelle Entwicklung in Gang setzten, aus der Glaubensrichtungen entstanden, die heute unter dem Namen Hinduismus zusammengefasst werden. Als mythologisch gewachsene Religion hat sie
weder einen Gründer noch
einen unveränderlichen Kanon. Trotz der Vielfalt anerkennen die meisten Hindus
die Autorität der heiligen alten Schriften, der vier Veden, und die Einteilung der Gesellschaft in vier großen Kategorien, in die man hineingeboren wird:
Priester (Brahmanen), Krieger, Bauern
und Handwerker. Außerhalb dieser stehen die „Unberührbaren“ (Dalits), die oft
gezwungen sind, die „unreinen Tätigkeiten“ auszuüben. Höchstes Ziel der
Hindus ist die Befreiung (Moksha) vom
Kreislauf der Wiedergeburten durch Vereinigung mit Gott oder
Erkenntnis der Letzten
Wirklichkeit – der Iden47%
tifizierung der eigenen
Südkorea
Seele (Atman) mit der
Weltseele (Brahman).
75%
Bhutan
70%
Sri Lanka
66
Hinduismus
Gläubige weltweit:
circa eine Milliarde.
Indien
Hindus
Muslime
Christen
Sikhs
Buddhisten
Jainas
fachte, ist auch in anderen europäischen
Ländern ein reger Zuwachs an buddhistischen Gläubigen festzustellen. Aktuelle
Schätzungen gehen von etwa 130000 deutschen Buddhisten aus.
9 / 2 0 0 6
55 %
Vietnam
Kambodscha
19% Malaysia
Buddhisten
Anteil an der
Bevölkerung
50 % und mehr
5 % bis 50 %
unter 5 %
Hindus
Anteil an der
Bevölkerung
über 80 %
AUSBREITUNG DES BUDDHISMUS
KOREA
Buddhismus
Eine Erlösungsreligion, entstanden um 528 v. Chr. in
Nord-Indien. Gegründet
von Siddharta Gautama
(563 bis 483 v. Chr.), der
später von seinen Anhängern Buddha (der
Erleuchtete) genannt wurde.
Kern der Lehre sind die „Vier Edlen
Wahrheiten“:
• Alles ist Leiden (z. B. Geburt, Tod)
• Wahrheit von der Ursache des Leidens
(Gier, Hass, Verblendung)
• Wahrheit von der Aufhebung des Leidens (erlöschen die Ursachen, erlischt
das Leiden)
• Wahrheit vom Weg zur Aufhebung des
Leidens
4. Jh. n. Chr.
Tibet
8. Jh. n. Chr.
JAPAN
CHINA
6. Jh. n. Chr.
1. Jh. n. Chr.
Hauptrichtungen
des Buddhismus
INDIEN
Mahayana
Theravada
Ausgangsgebiet des
Buddhismus
Seidenstraße
Quelle: P. B. Clarke/
Atlas der Weltreligionen
SRI LANKA
3. Jh. v. Chr.
Zur Erlösung vom Leiden (Nirwana)
führt der „Achtfache Pfad“:
• Erkenntnis der vier Wahrheiten
• Nichtschädigung von Lebewesen
• Vermeiden der Lüge
• sittliches Handeln
• friedlicher Lebenserwerb
• positive Anstrengung
• Achtsamkeit auf Körper und
Denken
• innere Konzentration
Ein Wesen befindet sich im Kreislauf
der Wiedergeburten, solange es nicht Nirwana erreicht. Buddha hat keine Schriften
hinterlassen. Im 1. Jh. v. Chr. wurde die
erste Textsammlung in Sri Lanka niedergelegt (Pali-Kanon).
Shintoismus/Japan
Jainismus
Der Ursprung ist animistisch. Da Götter
(Kami) z. B. bestimmten Bergen, Bäumen,
Steinen oder der Sonne innewohnen,
werden diese verehrt. Es gibt keinen
Gründer oder offizielle heilige Schriften.
Der Kami-Kult entwickelte sich vom 6. bis
8. Jh. zur Stärkung der japanischen Identität mit
dem Mythos der Sonnengöttin
Amaterasu
(Hauptschrein in Ise) als
Vorfahrin der Kaiser Japans. Der Shinto-Glaube ist eine von
sozialen Riten betonte Religion mit persönlichen Fürbitten in alltäglichen Dingen. Weil Shinto kein Dogma hat, gibt es
ein Nebeneinander mit anderen Religionen.
Mitte des 1. Jtsd.s v. Chr. wurde die Autorität der Hindu-Priester unter anderem
von Mahavira (etwa 599 bis 527 v. Chr.),
dem Gründer des Jainismus, in Frage gestellt. Seine Anhänger lehnen die Veden,
die Idee eines Schöpfergottes und das
Kastenwesen ab. Sie verehren 24 Lehrer.
Durch Glauben, Erkenntnis, richtiges Verhalten und vor allem absolute Gewaltlosigkeit (Ahimsa) kann jeder von der
Wiedergeburt befreit werden. Die Jainas
sind Vegetarier. Mönche tragen u. a. ein
Tuch vor dem Mund, um keinem Lebewesen in der Luft zu schaden.
prägt ist. Nur diejenigen, die wissen,
dass sie unwissend sind, können durch
die Vereinigung mit der Natur intuitiv
die Wahrheit erfassen, die allem Seienden zugrunde liegt. In der Volksreligion
spielen Geister- und Dämonenbeschwörung sowie Meditationstechniken, durch
die ein langes Leben und sogar Unsterblichkeit erlangt werden sollen, eine
Rolle.
Gläubige in Japan: circa 107 Millionen.
Daoismus ist eine Volksreligion und Philosophie und
kann als Chinas authentische Religion bezeichnet
werden. Sie wurde im 6. Jh.
v. Chr. von Laozi gegründet. Ihm wird der
klassische Text Daode jing zugeschrieben.
Der Daoismus kennt keinen Gott. „Dao“
bedeutet der Weg oder auch die kosmische Ordnung der polaren Kräfte
Yin (weiblich) und Yang (männlich). Der
Weg wird als ein dem Menschen rein
rational nicht zugängliches universelles
Prinzip verstanden. Als Philosophie stellt
er eine Antithese zum Konfuzianismus dar. Als Ideal gilt eine Welt ohne
Zwang, die durch „Wuwei“ (Nicht-Handeln), d. h. das Unterlassen aller unnötigen Eingriffe in das Geschehen, ge-
Sikhismus
Sikhismus wurde von Guru Nanak (1469
bis 1539) in Nordwest-Indien gegründet.
Er lehrte, dass es nur einen einzigen Gott
gibt, der unsterblich und allgegenwärtig
ist. Seine Lehre wurde von neun nachfolgenden Gurus fortgeführt. Die Sikhs
(Schüler) glauben wie die Hindus an Wiedergeburt bis zur Vereinigung mit Gott.
Der Unterschied besteht in der Betonung
menschlichen Handelns als Ausweg aus
dem Kreislauf. Durch Gottes Gnade können Menschen Befreiung erlangen. Die
heilige Schrift der Sikhs ist der Guru
Granth Sahib.
Gläubige weltweit: circa 24 Millionen.
Gläubige in Indien: circa 4,4 Millionen.
Daoismus
Gläubige weltweit: circa 450 Millionen.
Konfuzianismus
Konfuzianismus von Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.) begründete Moral- und Staatsphilosophie. Er vertrat in einer Zeit der Vielstaaterei und
Kriege ein idealisiertes Altertum als Leitbild, in dem Herrscher das Reich an den Würdigsten anstatt an ihre Nachkommen gaben. Der edle Mensch „junzi“ – wörtlich
Herrschersohn – bezeichnet nicht eine
soziale Kategorie, sondern einen Idealtyp, den sittlich Edlen, der zum Regieren
berufen ist. Durch sein moralisches Handeln ist der Edle in Staat und Gesellschaft
ein Vorbild für sein Volk. Haupttugenden
sind Rechtschaffenheit, Mitgefühl, Sittlichkeit, Weisheit und Aufrichtigkeit. Diese Eigenschaften sind nicht angeboren,
sondern durch ständige Übung zu gewinnen. Von der Befolgung der sittlichen Regeln hängt das Wohl des Einzelnen, aber
auch das der Familie und der Gesellschaft
ab. Die Primärquelle für Konfuzius Lehre
ist die Zitatensammlung „Lunyu“.
9 / 2 0 0 6
s p i e g e l
s p e c i a l
67
D O S S I E R W E LT R E L I G I O N E N
Islam
twa 1,3 Milliarden Menschen bekennen sich derzeit zum Islam. Er
ist nach dem Christentum die
zweitgrößte und zudem am stärksten expandierende Weltreligion. Seit einigen
Jahren gewinnt der Islam vor allem in
Afrika und in den mittelasiatischen Staaten der früheren Sowjetunion an Einfluss.
Islam bedeutet die völlige Hingabe an den
Willen Gottes; derjenige, der diese Hingabe zeigt, ist Muslim. Die zum Teil benutzte Bezeichnung „Mohammedaner“
nach dem Namen des Religionsgründers
lehnen die Muslime ab, da sie nach ihrer
E
Auffassung eine unrichtige Parallele zur
Selbstbezeichnung der Christen oder
Buddhisten ist. Seinen Ursprung hat der
Islam in den Offenbarungen, die der um
das Jahr 570 nach Christus in Mekka geborene und 632 in Medina gestorbene
Prophet Mohammed vom Engel Gabriel
empfangen haben soll. Wer öffentlich bekennt: „Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass Mohammed
der Gesandte Gottes ist“, hat den Islam
angenommen. Das Glaubensfundament
ist der Koran mit seinen 114 Kapiteln (Suren). Wie die Christen glauben Muslime
an ein Weiterleben nach dem Tod, an ein
Paradies und an eine Hölle. Zu den „Fünf
Säulen des Islam“ gehören das Bekenntnis
zu Allah als dem einzigen Gott und zu
Mohammed, seinem Propheten. Ferner
das tägliche mehrmalige Gebet, das Almosengeben, das Fasten im Monat Ramadan und das Pilgern nach Mekka wenigstens einmal im Leben. Für den Alltag am
wichtigsten ist das Pflichtgebet (die „Salat“). Es wird fünfmal am Tag verrichtet
und ist für alle erwachsenen Muslime verbindlich. Für die Verrichtung der Salat
genügt ein „reiner“ Platz. Eine kleine Gebetsmatte sorgt für die Sauberkeit des Ortes. Das gemeinschaftliche Gebet findet
in der Moschee (arabisch: Masdschid,
„Ort, wo man sich niederwirft“) statt.
Zum Gebet aufgerufen wird vom Minarett
aus. Typisch für den Islam ist die enge
DIE ISLAMISCHE WELT
7
Kasachstan
72
Türkei
31
Syrien
Marokko
147
19
24
66
117
Irak
62
32
Iran
Algerien
Ägypten
23
Afghanistan
Pakistan
Indien
20
145
Bangladesch
China
SaudiArabien
24
70
31
Sudan
192
Nigeria
Muslime in Prozent
der Bevölkerung
90% und mehr
50% bis 90%
Muslime
in ausgewählten
Ländern,
in Millionen
10% bis 50%
DIE URSPRÜNGE DES ISLAM
Mohammed Ibn Abdullah wird in Mekka
in einer verarmten Familie geboren. Er
gehört dem Kureisch-Stamm an, der verantwortlich für die Pflege der Kaaba, ein
Heiligtum in Mekka, ist. Die Kaaba ist
bereits in vormuslimischer Zeit ein Wallfahrtsort. Zum Nachdenken und Beten
begibt sich Mohammed zum Berg Hira.
um 570 nach Christus 580
68
s p i e g e l
Indonesien
unter 10%
s p e c i a l
Mohammed hat
seine erste Vision,
die später als
Erscheinen des
Engels Gabriel
gedeutet wird.
590
9 / 2 0 0 6
Mohammeds Auswanderung (Hidschra) aus
Mekka nach Medina
bezeichnet den Beginn
des muslimischen
Kalenders, das 1. Jahr
der Hidschra.
600
632 Mohammed pilgert zum letzten Mal
nach Mekka. Er stirbt im Juni in Medina, ohne einen Nachfolger (Kalif/Imam) ernannt zu
haben. Es folgen Führungskämpfe um das
Erbe Mohammeds, die letztlich zur Spaltung
der Glaubensgemeinschaft in Sunniten und
Schiiten führen.
632 bis 634 Kalif Abu Bakr sendet Eroberungsheere nach Syrien und Mesopotamien.
um 610
622
634 bis 644
Kalif Omar;
Muslime erobern
u. a. Ägypten
und Iran.
632 634
DER KORAN
Verknüpfung von Politik, Religion und
Alltag. Der Koran ist weltliche und religiöse Richtschnur zugleich, die „Umma“
die religiöse und politische Gemeinschaft.
Seit etwa 30 Jahren machen verschiedene
Bewegungen des politischen Islam, auch
Fundamentalismus genannt, weltweit von
sich reden. Ihr gemeinsames Ziel ist die
Durchsetzung der Einheit von Politik und
Religion auf der Grundlage des islamischen Rechts („Scharia“). Sie richten sich
vor allem gegen den westlichen Einfluss in
der islamischen Welt, gegen westliche
Leitideen wie die Trennung von Staat und
Kirche, den Individualismus sowie gegen
den angeblich „hedonistischen“ Lebensstil
in den Industrieländern.
SUNNITEN UND SCHIITEN
Die Schiiten sind die Anhänger der Schia, arabisch für „Partei (Alis)“. Sie verehren in besonderer Weise den 4. Kalifen Ali Ibn Abi Talib, nur
seine Nachkommen erkennen sie als rechtmäßige religiöse Nachfolger Mohammeds an.
Die Sunniten akzeptieren auch jene Nachfolger
des Propheten Mohammed als religiöse Führer,
die nicht zu seinen leiblichen Nachkommen
zählen.
SCHIITEN
in Millionen
644
Der Koran ist in 114 Kapitel (Suren) unterschiedlichen Umfangs unterteilt, die wiederum
aus einzelnen Versen bestehen. Dabei folgt die Anordnung der Suren nicht der Chronologie
der Offenbarungen, sondern einem ganz anderen Maß: ihrer Länge. Den Anfang macht –
nach einer kurzen Eröffnungssure (Fatiha) in Gebetform – die mit 286 Versen längste zweite
Sure. Die letzten Kapitel umfassen nur noch wenige Zeilen. Zurückzuführen ist diese Anordnung, die thematisch über weite Strecken nur bedingt zusammenhängt, auf die Sammlung
und Redaktion der einzelnen Überlieferungen: Sie fanden erst ein Vierteljahrhundert nach
dem Tod des Propheten statt.
Bis heute werden verschiedene Lesarten anerkannt, die sich jedoch nur in Nebensächlichkeiten voneinander unterscheiden.
Die Bedeutung des heiligen Buches für die Muslime ist umfassend. Große Wichtigkeit wird
bis heute dem mündlichen Vortrag des in Reimprosa abgefassten Koran als liturgischem
Rezitationstext beigemessen.
Daneben stellen seine juristischen Verse die wichtigste Quelle des islamischen Rechts
(Scharia) dar. Dennoch sind keineswegs alle heutzutage von Islamisten geforderten Vorschriften eindeutig aus den zur Begründung gelieferten Textstellen herzuleiten, etwa das generelle Verschleierungsgebot für Frauen.
Die Deutungsbedürftigkeit des Korantextes ließ schon früh
eine umfangreiche exegetische Literatur entstehen, deren
vielbändige Werke jedoch oft mehr über die tendenziösen
Absichten ihrer Verfasser verraten als über den Koran
selbst.
Auch die modernistischen Bestrebungen des 19. und 20.
Jahrhunderts stützten sich häufig auf eine entsprechende
Koraninterpretation.
„Es gibt keinen Gott außer Gott, und
Mohammed ist der Gesandte Gottes.“
FESTE IM ISLAM
geschätzt
in Prozent
der Bevölkerung
1. Iran
58,7
89
2. Pakistan
19,1
13
3. Irak
14,4
60
4. Aserbaidschan 5,4
65
5. Afghanistan
4,7
15
6. Syrien
1,9
8
7. Saudi-Arabien
1,8
10
644 bis 656 Kalif
Osman erobert u. a.
Libyen und Zypern.
Lässt den Koran in
seiner heutigen Form
zusammenstellen. Er
wird ermordet.
Die Heilige Schrift des Islam enthält die göttlichen Offenbarungen, die Mohammed in der
Zeit zwischen seinem 40. Lebensjahr und seinem Tod im Jahre 632 empfing. Nach muslimischer Überzeugung ist der Koran das unmittelbare Wort Gottes, der Prophet lediglich sein
Sprachrohr. Zugleich ist für die Muslime der Koran die letzte und damit endgültige Offenbarungsschrift.
Von allen Muslimen gemeinsam werden nur zwei Feste gefeiert – die aber jeweils drei Tage
lang. Das Opferfest (Id al-adha) erinnert daran, dass Gott Abraham (arab. Ibrahim) befahl,
einen seiner Söhne zu töten. Nach islamischer Auffassung war dies Ismail (nicht Isaak).
Nachdem Gott erkannt hatte, dass ihm Abraham bereitwillig gehorchte, beendete er die
Prüfung und ließ ihn anstelle des Sohnes ein Lamm opfern. Während des Id al-adha, das
jeweils am zehnten Tag des Pilgermonats beginnt, schlachtet jede Familie, die es sich leisten kann, ein Schaf, Rind oder Kamel. Zwei Drittel des Fleisches sind für die Armen bestimmt.
Das Opferfest rangiert zwar über dem Fest des Fastenbrechens (Id al-fitr), doch weil dieses das Ende des Ramadan markiert, feiern es die Gläubigen nach der Zeit der Entbehrung
besonders ausgiebig.
Neben Opferfest und Fastenbrechen gedenken alle Muslime ferner des Geburtstags des
Propheten (Maulid al-nabi).
656 bis 661 Kalif Ali, Schwiegersohn und
Cousin Mohammeds, verlegt wegen innerer Kämpfe das Kalifat von Medina nach
Kufa in den Irak, wo er 661 ermordet wird.
661 bis 680 Kalif Muawija, Statthalter von Syrien, begründet die
Umajjaden-Dynastie. Der Anspruch von Alis Nachkommen auf
das Kalifat wird vor allem von Alis
Sohn Hussein aufrechterhalten.
656
661
670
680 In Kerbela im Irak zetteln Alis Anhänger, an der
Spitze Hussein, einen Aufstand gegen den Kalifen Jasid
an und verlieren. Hussein stirbt in der Schlacht von Kerbela. Daraufhin erklären seine Anhänger alle früheren
Kalifen zu Abtrünnigen und bestätigen die Nachkommen Alis als wahre Imame (Nachfolger) der muslimischen Gemeinschaft. Nur diese könnten das „göttliche
Licht der Leitung“ von Ali empfangen. Die schiitische
Bewegung erhielt ihr endgültiges Gepräge.
661 bis 750
Umajjaden-Dynastie; die
Grenzen des Reichs werden
im Westen bis Spanien und im
Osten bis nach Indien ausgedehnt.
680 bis 683 Kalif Jasid
Bau der Omar-Moschee
(Felsendom) in Jerusalem
680 683
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