D O S S I E R W E LT R E L I G I O N E N Woran die Menschen glauben Christentum um Christentum zählen heute weltweit etwa zwei Milliarden Menschen. Der Namensgeber Jesus Christus lebte als jüdischer Wanderprediger vor 2000 Jahren in der römischen Provinz Palästina. Das öffentliche Wirken Jesu – vor allem in Kapernaum am See Genezareth – umfasste höchstens drei Jahre. Die Hinrichtung durch Kreuzigung erfolgte um das Jahr 30. Durch seine Apostel und deren Nachfolger verbreitete sich das Christentum rasch innerhalb des Römischen Reiches, wo es von Kaiser Konstantin um 380 zur Staatsreligion erklärt wurde. Infolge der weltweiten Kolonisation durch die christlichen Länder, zu der stets die Mission gehörte, wurde das Christentum zur Weltreligion mit den meisten Anhängern. Im Laufe seiner Geschichte hat sich das Z Christentum in zahlreiche Kirchen und Gemeinschaften aufgespalten. Die größte Kirche ist die römisch-katholische Kirche. Mit über einer Milliarde Zugehörigen stellt sie weltweit die Hälfte aller Christen. Knapp eine halbe Milliarde bilden Protestanten und Anglikaner, mehr als 150 Millionen gehören zu den christlichorthodoxen Kirchen. Die katholische Kirche ist ihrer Entstehung nach eine Kirche des Abendlandes mit dem Zentrum in Mittel- und Südeuropa. Doch in Europa leben nur noch etwa ein Viertel aller Katholiken. Die Mehrzahl findet sich auf der südlichen Welthalbkugel. In Südamerika und auf den Philippinen stellen Katholiken sogar die Mehrheit der Bevölkerung. Die Kirchen in der Tradition Martin Luthers werden lutherische Kirchen genannt, die Kirchen in Nachfolge der Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin reformierte Kirchen. Schwerpunkte der Lutheraner sind Deutschland und die skan- dinavischen Länder. Die reformierten Kirchen sind unter anderem in den Niederlanden, der Schweiz, Schottland, Ungarn, Frankreich und Nordamerika vertreten. Dem Christentum in der Welt stehen allerdings dramatische Verschiebungen bevor. Die katholische Kirche muss sich darauf einstellen, an Kraft zu verlieren. Sie wird zwar die stärkste Konfession bleiben, doch wächst sie etwas langsamer als die Weltbevölkerung und verliert etwa in Lateinamerika viele Mitglieder an protestantische und unabhängige Freikirchen. Liegt der Anteil der Katholiken derzeit noch bei 17 Prozent der Weltbevölkerung, so dürfte er bis zum Jahr 2035 auf 12 Prozent geschrumpft sein. Insbesondere in Afrika und Asien boomt der Glaube an Jesus Christus. Doch seine neuen Anhänger sammeln sich zunehmend in unabhängigen Gemeinden. In 40 Jahren könnten fast 80 Prozent aller Katholiken in nichtwestlichen Ländern leben. CHRISTEN IN DER WELT CHRISTEN CHRISTEN in Prozent der Bevölkerung 90% und mehr 89% bis 70% 69% bis 30% unter 30% in Millionen; 2005 USA Brasilien China Mexiko Russland Philippinen Indien Deutschland Nigeria Dem. Rep. Kongo Katholiken (weltweit) 62 s p i e g e l s p e c i a l 9 / 2 0 0 6 252 167 111 102 85 74 68 62 Quelle: GordonConwell Theological 61 Seminary; Zahlen teilweise geschätzt 53 Glaubensgemeinschaften in Deutschland eit 1990 haben die beiden großen Volkskirchen, die katholische und die evangelische, mehr als 5,5 Millionen Mitglieder verloren. Der Anteil von Kirchenmitgliedern in der Bevölkerung beträgt in den neuen Bundesländern rund 25 Prozent. In Städten wie Leipzig sind es nur noch 5 Prozent Gläubige. Dennoch gehören beide Kirchen mit insgesamt über 50 Millionen Mitgliedern zu den größten Institutionen der Bundesrepublik. Trotz dieser Zahl hält der Bedeutungsverlust der Kirchen in Politik und Gesellschaft an, und die Entfremdung zwischen Kirchenleitung und Gläubigen nimmt weiter zu. So lehnt die Mehrheit der Katholiken das S Verbot vorehelicher Sexualität, jeglicher Empfängnisverhütung, den Zölibat wie den Ausschluss der Frauen vom Priesteramt ab. Skandale um Missbrauch, Mobbing oder Disziplinierungen unliebsamer Pfarrer erschüttern immer wieder die Gemeinden. Insbesondere die katholischen Bischöfe verweigern seit Jahren Reformwünsche, wie sie etwa die Bewegung „Wir sind Kirche“ artikuliert. Beide Kirchen leiden unter zunehmender Finanznot und müssen immer mehr sparen, Personal abbauen, Immobilien und sogar – wie in Berlin, Hamburg oder dem Bistum Aachen – Kirchen verkaufen oder abreißen. KIRCHENAUSTRITTE in Tausend, in Deutschland Evangelische Kirche 350 300 Quelle: EKD; Deutsche Bischofskonferenz 250 200 CHRISTEN IN DEUTSCHLAND Anteil der Katholiken und Protestanten an der Bevölkerung in Prozent 2005 56,3 52,0 17,8 6,1 Schleswig-Holstein 44,1 12,4 Bremen Nordrhein-Westfalen 8,1 26,1 46,5 31,9 25,5 Rheinland-Pfalz 9,4 3,9 15,7 Sachsen-Anhalt 42,8 28,6 Thüringen 50 ab 1990 bzw. 1991 Gesamtdeutschland 3,1 1980 19,2 Brandenburg 58,1 37,8 34,0 Baden-Württemberg 21,7 Bayern 85 90 95 2000 05 RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN in Deutschland; Mitglieder in Tausend 2005 Katholiken 65,1 100 Katholische Kirche Berlin 21,6 Sachsen Hessen Saarland 60 3,6 41,3 20,0 90 22,0 Hamburg Niedersachsen 120 18,4 Mecklenburg-Vorpommern 10,2 32,2 150 142 3,3 Protestanten Konfessionslose und Sonstige Quelle: Deutsche Bischofskonferenz, EKD Katholiken 25 906 Protestanten (EKD) Baptisten Methodisten 25 630 87 64 Neuapostolen Jehovas Zeugen Muslime (2004) (2004) 375 163 ca. 3200 Orthodoxe und Ostkirchen 1400 108 Juden ca. 245 Buddhisten ca. 95 Hindus Quelle: Deutsche Bischofskonferenz, EKD, Remid 1098 Mio. Protestanten Anglikaner ca. 375 Mio. Orthodoxe ca. 150 Mio. ca. 70 Mio. 9 / 2 0 0 6 s p i e g e l s p e c i a l 63 D O S S I E R W E LT R E L I G I O N E N Judentum as Judentum ist die kleinste der Weltreligionen. Heute gibt es weltweit rund 13 Millionen Juden, davon rund 5,3 Millionen im Staat Israel. Die Juden selbst bezeichnen sich als Israeliten oder „Bne Israel“ (Söhne Israels). Der Überlieferung nach trat Gott durch seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob in eine besondere Beziehung zu den Israeliten. Sie betrachten Gott als ihren alleinigen, obersten König und Gesetzgeber und sich als sein auserwähltes Volk. Gott übergab auf dem Berg Sinai durch Mose dem Volk seine Wegweisung, die Tora. Das Gesetz besteht inklusive der Zehn Gebote aus 613 Ver- und Geboten für das tägliche Leben. D Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat oder nach dem jüdischen Religionsgesetz zum Judentum übergetreten ist. Mit seinem Übertritt wird der sogenannte Proselyt ein mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattetes Mitglied des Bundesvolkes. Die meisten Juden leben heute in der Diaspora (Zerstreuung, Fremde). In Folge der Eroberung des jüdischen Staates und Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Babylonier im Jahr 586 v. Chr. und durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. begaben sich die Juden ins Exil. Die Zerstörung des Tempels und Eroberung Judäas gilt als ein großes Unglück des jüdischen Volkes. Zur Erinnerung daran wurde ein Fast- und Trauertag am JUDEN IN DEUTSCHLAND in Tausend Gemeinde107,7 mitglieder insgesamt 102 102 100 87,8 80 Gemeinden 72 60 77 73 82 82 86 87 9. August eingerichtet. Der Schwerpunkt jüdischen Lebens außerhalb Israels liegt in den USA mit rund 5,3 Millionen Juden. Weitere Zentren gibt es in Westeuropa, Südamerika und Russland. Eine Missionierung anderer wird nicht betrieben. Die Zahl der Juden in den europäischen Ländern ist in Folge des nationalsozialistischen Völkermordes (rund sechs Millionen Ermordete) klein. 1933 lebten im Deutschen Reich rund 570 000 Juden, mindestens 165 000 von ihnen wurden ermordet. 1955 wurden nur noch etwa 15900 Juden gezählt, heute leben wieder rund 108 000 jüdische Gemeindemitglieder in der Bundesrepublik, vor allem durch Zuzug von Juden aus Osteuropa. EINWANDERER NACH ISRAEL von 2000 bis 2006; Anteil nach Regionen aus Osteuropa 63,3 % gesamt: 229186 Einwanderer 53,7 40 20 10,2 % 24,2 Mitglieder 10,0 ohne Zuwanderung 2005 17,9 Quelle: ZWST 2000 1995 9,1% 7,9% 7,6% Quelle: Ministry of Immigrant Absorption JUDEN IN DER WELT aus Afrika Westeuropa Mittel- und Südamerika Nordamerika und Ozeanien 1,5% Asien 0,4% Herkunft unbekannt 1160 2006 in Tausend 5648 JUDEN IN STÄDTISCHEN BALLUNGSRÄUMEN 366 übriges Europa Nordamerika mit Türkei Länder der GUS und Baltikum 20 übriges Asien 394 78 übrige Welt Afrika in Israel* 5,3 Mio. 7,8 Mio. Lateinamerika und Karibik 64 s p i e g e l s p e c i a l 9 / 2 0 0 6 Tel Aviv Israel 2,58 Mio. 2. New York USA 2,05 Mio. 3. Los Angeles USA 668000 4. Haifa Israel 597000 5. Jerusalem Israel 575000 6. Miami USA 498000 7. Beerscheba Israel 310000 Paris Frankreich 310000 8. Philadelphia USA 285000 9. Chicago USA 265000 10. Boston USA 254000 110 Ozeanien Quelle: Jewish People Policy Planning Institute *inkl. Palästina 1. D O S S I E R W E LT R E L I G I O N E N Asiatische Religionen n Asien sind die großen Religionen Hinduismus, Buddhismus, Daoismus und die Moralphilosophie Konfuzianismus entstanden. Dazu kam in Japan der Shintoismus, Zen-Buddhismus und in abgelegenen Gebieten Naturreligionen mit schamanistischer Ausprägung. Buddhismus und Jainismus kennen weder einen persönlichen Gott noch einen Schöpfer. Da der Hinduismus nicht missionarisch war, beschränkt er sich größtenteils auf die Bewohner des indischen Subkontinents. Die Ausübung der Religion verlangt nicht unbedingt einen Priester oder einen Guru. Er schließt den Glauben und die Auslieferung an einen persönlichen Gott oder Göttin sowie bedingungsloses Vertrauen in den allumfassenden Geist ein. Von allen asiatischen Religionen hat der Buddhismus es vielleicht am besten verstanden, weltweites Interesse zu wecken. Zu seinen nachhaltigsten Stärken gehört die Fähigkeit, sich wandelnden Bedingungen sowie einer Vielfalt von Kulturen anzupassen. Ein wachsendes Interesse an der asiatischen Kultur und ihren geistigen Werten führte überall im Westen zur Herausbildung einer Vielzahl von Gesellschaften, die sich mit der buddhistischen Lehre und ihrer Anwendung beschäftigen. Stärkerer Widerstand wurde dem Bud- I BUDDHISMUS UND HINDUISMUS dhismus in den kommunistischen Staaten Asiens entgegengesetzt. Seit dem Einmarsch der Chinesen in Tibet 1950/51 und der darauffolgenden Flucht des Dalai Lama (1959), versucht China den buddhistischen Einfluss dort zu unterbinden oder zumindest zurückzudrängen. In China blieb der Buddhismus zwar bestehen, unterliegt aber einer strengen Regelung und Kontrolle durch den Staat. Viele Klöster in Tibet wurden geschlossen, und die Einwanderung chinesischer Siedler wird offiziell unterstützt, das Brauchtum der Tibeter wird unterdrückt. Verbreitung des Buddhismus in Deutschland Die Anwesenheit buddhistischer Mönche in Deutschland wie in Europa überrascht heute nur noch wenige. Musste man Mitte der siebziger Jahre noch nach buddhistischen Einrichtungen suchen, so kann man heute in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München zwischen etwa 600 buddhistischen Gruppen auswählen. Die Buddhisten in Deutschland haben sich unter dem Dachverband der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) mit Sitz in München zusammengeschlossen. Wie in Deutschland, wo sich die Zahl buddhistischer Kreise, Gruppen und Institutionen innerhalb von zwei Jahrzehnten verviel- Anteil der Buddhisten an der Bevölkerung 90 % Mongolei China Autonome Region Tibet Nepal Japan 89% Myanmar 80,5 % 13,4 % 2,3 % 1,9% 60% Laos 43 % Taiwan 95% Thailand 0,8% 0,4% s p i e g e l 95% s p e c i a l Die Anfänge lassen sich bis ins 3. Jtsd. v. Chr. zurückverfolgen. Um 1500 v. Chr. drangen aus Persien nomadische ArierVölker in Nordwest-Indien ein, die durch den Kontakt mit den Vorstellungen der dortigen Bewohner eine spirituelle Entwicklung in Gang setzten, aus der Glaubensrichtungen entstanden, die heute unter dem Namen Hinduismus zusammengefasst werden. Als mythologisch gewachsene Religion hat sie weder einen Gründer noch einen unveränderlichen Kanon. Trotz der Vielfalt anerkennen die meisten Hindus die Autorität der heiligen alten Schriften, der vier Veden, und die Einteilung der Gesellschaft in vier großen Kategorien, in die man hineingeboren wird: Priester (Brahmanen), Krieger, Bauern und Handwerker. Außerhalb dieser stehen die „Unberührbaren“ (Dalits), die oft gezwungen sind, die „unreinen Tätigkeiten“ auszuüben. Höchstes Ziel der Hindus ist die Befreiung (Moksha) vom Kreislauf der Wiedergeburten durch Vereinigung mit Gott oder Erkenntnis der Letzten Wirklichkeit – der Iden47% tifizierung der eigenen Südkorea Seele (Atman) mit der Weltseele (Brahman). 75% Bhutan 70% Sri Lanka 66 Hinduismus Gläubige weltweit: circa eine Milliarde. Indien Hindus Muslime Christen Sikhs Buddhisten Jainas fachte, ist auch in anderen europäischen Ländern ein reger Zuwachs an buddhistischen Gläubigen festzustellen. Aktuelle Schätzungen gehen von etwa 130000 deutschen Buddhisten aus. 9 / 2 0 0 6 55 % Vietnam Kambodscha 19% Malaysia Buddhisten Anteil an der Bevölkerung 50 % und mehr 5 % bis 50 % unter 5 % Hindus Anteil an der Bevölkerung über 80 % AUSBREITUNG DES BUDDHISMUS KOREA Buddhismus Eine Erlösungsreligion, entstanden um 528 v. Chr. in Nord-Indien. Gegründet von Siddharta Gautama (563 bis 483 v. Chr.), der später von seinen Anhängern Buddha (der Erleuchtete) genannt wurde. Kern der Lehre sind die „Vier Edlen Wahrheiten“: • Alles ist Leiden (z. B. Geburt, Tod) • Wahrheit von der Ursache des Leidens (Gier, Hass, Verblendung) • Wahrheit von der Aufhebung des Leidens (erlöschen die Ursachen, erlischt das Leiden) • Wahrheit vom Weg zur Aufhebung des Leidens 4. Jh. n. Chr. Tibet 8. Jh. n. Chr. JAPAN CHINA 6. Jh. n. Chr. 1. Jh. n. Chr. Hauptrichtungen des Buddhismus INDIEN Mahayana Theravada Ausgangsgebiet des Buddhismus Seidenstraße Quelle: P. B. Clarke/ Atlas der Weltreligionen SRI LANKA 3. Jh. v. Chr. Zur Erlösung vom Leiden (Nirwana) führt der „Achtfache Pfad“: • Erkenntnis der vier Wahrheiten • Nichtschädigung von Lebewesen • Vermeiden der Lüge • sittliches Handeln • friedlicher Lebenserwerb • positive Anstrengung • Achtsamkeit auf Körper und Denken • innere Konzentration Ein Wesen befindet sich im Kreislauf der Wiedergeburten, solange es nicht Nirwana erreicht. Buddha hat keine Schriften hinterlassen. Im 1. Jh. v. Chr. wurde die erste Textsammlung in Sri Lanka niedergelegt (Pali-Kanon). Shintoismus/Japan Jainismus Der Ursprung ist animistisch. Da Götter (Kami) z. B. bestimmten Bergen, Bäumen, Steinen oder der Sonne innewohnen, werden diese verehrt. Es gibt keinen Gründer oder offizielle heilige Schriften. Der Kami-Kult entwickelte sich vom 6. bis 8. Jh. zur Stärkung der japanischen Identität mit dem Mythos der Sonnengöttin Amaterasu (Hauptschrein in Ise) als Vorfahrin der Kaiser Japans. Der Shinto-Glaube ist eine von sozialen Riten betonte Religion mit persönlichen Fürbitten in alltäglichen Dingen. Weil Shinto kein Dogma hat, gibt es ein Nebeneinander mit anderen Religionen. Mitte des 1. Jtsd.s v. Chr. wurde die Autorität der Hindu-Priester unter anderem von Mahavira (etwa 599 bis 527 v. Chr.), dem Gründer des Jainismus, in Frage gestellt. Seine Anhänger lehnen die Veden, die Idee eines Schöpfergottes und das Kastenwesen ab. Sie verehren 24 Lehrer. Durch Glauben, Erkenntnis, richtiges Verhalten und vor allem absolute Gewaltlosigkeit (Ahimsa) kann jeder von der Wiedergeburt befreit werden. Die Jainas sind Vegetarier. Mönche tragen u. a. ein Tuch vor dem Mund, um keinem Lebewesen in der Luft zu schaden. prägt ist. Nur diejenigen, die wissen, dass sie unwissend sind, können durch die Vereinigung mit der Natur intuitiv die Wahrheit erfassen, die allem Seienden zugrunde liegt. In der Volksreligion spielen Geister- und Dämonenbeschwörung sowie Meditationstechniken, durch die ein langes Leben und sogar Unsterblichkeit erlangt werden sollen, eine Rolle. Gläubige in Japan: circa 107 Millionen. Daoismus ist eine Volksreligion und Philosophie und kann als Chinas authentische Religion bezeichnet werden. Sie wurde im 6. Jh. v. Chr. von Laozi gegründet. Ihm wird der klassische Text Daode jing zugeschrieben. Der Daoismus kennt keinen Gott. „Dao“ bedeutet der Weg oder auch die kosmische Ordnung der polaren Kräfte Yin (weiblich) und Yang (männlich). Der Weg wird als ein dem Menschen rein rational nicht zugängliches universelles Prinzip verstanden. Als Philosophie stellt er eine Antithese zum Konfuzianismus dar. Als Ideal gilt eine Welt ohne Zwang, die durch „Wuwei“ (Nicht-Handeln), d. h. das Unterlassen aller unnötigen Eingriffe in das Geschehen, ge- Sikhismus Sikhismus wurde von Guru Nanak (1469 bis 1539) in Nordwest-Indien gegründet. Er lehrte, dass es nur einen einzigen Gott gibt, der unsterblich und allgegenwärtig ist. Seine Lehre wurde von neun nachfolgenden Gurus fortgeführt. Die Sikhs (Schüler) glauben wie die Hindus an Wiedergeburt bis zur Vereinigung mit Gott. Der Unterschied besteht in der Betonung menschlichen Handelns als Ausweg aus dem Kreislauf. Durch Gottes Gnade können Menschen Befreiung erlangen. Die heilige Schrift der Sikhs ist der Guru Granth Sahib. Gläubige weltweit: circa 24 Millionen. Gläubige in Indien: circa 4,4 Millionen. Daoismus Gläubige weltweit: circa 450 Millionen. Konfuzianismus Konfuzianismus von Konfuzius (551 bis 479 v. Chr.) begründete Moral- und Staatsphilosophie. Er vertrat in einer Zeit der Vielstaaterei und Kriege ein idealisiertes Altertum als Leitbild, in dem Herrscher das Reich an den Würdigsten anstatt an ihre Nachkommen gaben. Der edle Mensch „junzi“ – wörtlich Herrschersohn – bezeichnet nicht eine soziale Kategorie, sondern einen Idealtyp, den sittlich Edlen, der zum Regieren berufen ist. Durch sein moralisches Handeln ist der Edle in Staat und Gesellschaft ein Vorbild für sein Volk. Haupttugenden sind Rechtschaffenheit, Mitgefühl, Sittlichkeit, Weisheit und Aufrichtigkeit. Diese Eigenschaften sind nicht angeboren, sondern durch ständige Übung zu gewinnen. Von der Befolgung der sittlichen Regeln hängt das Wohl des Einzelnen, aber auch das der Familie und der Gesellschaft ab. Die Primärquelle für Konfuzius Lehre ist die Zitatensammlung „Lunyu“. 9 / 2 0 0 6 s p i e g e l s p e c i a l 67 D O S S I E R W E LT R E L I G I O N E N Islam twa 1,3 Milliarden Menschen bekennen sich derzeit zum Islam. Er ist nach dem Christentum die zweitgrößte und zudem am stärksten expandierende Weltreligion. Seit einigen Jahren gewinnt der Islam vor allem in Afrika und in den mittelasiatischen Staaten der früheren Sowjetunion an Einfluss. Islam bedeutet die völlige Hingabe an den Willen Gottes; derjenige, der diese Hingabe zeigt, ist Muslim. Die zum Teil benutzte Bezeichnung „Mohammedaner“ nach dem Namen des Religionsgründers lehnen die Muslime ab, da sie nach ihrer E Auffassung eine unrichtige Parallele zur Selbstbezeichnung der Christen oder Buddhisten ist. Seinen Ursprung hat der Islam in den Offenbarungen, die der um das Jahr 570 nach Christus in Mekka geborene und 632 in Medina gestorbene Prophet Mohammed vom Engel Gabriel empfangen haben soll. Wer öffentlich bekennt: „Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist“, hat den Islam angenommen. Das Glaubensfundament ist der Koran mit seinen 114 Kapiteln (Suren). Wie die Christen glauben Muslime an ein Weiterleben nach dem Tod, an ein Paradies und an eine Hölle. Zu den „Fünf Säulen des Islam“ gehören das Bekenntnis zu Allah als dem einzigen Gott und zu Mohammed, seinem Propheten. Ferner das tägliche mehrmalige Gebet, das Almosengeben, das Fasten im Monat Ramadan und das Pilgern nach Mekka wenigstens einmal im Leben. Für den Alltag am wichtigsten ist das Pflichtgebet (die „Salat“). Es wird fünfmal am Tag verrichtet und ist für alle erwachsenen Muslime verbindlich. Für die Verrichtung der Salat genügt ein „reiner“ Platz. Eine kleine Gebetsmatte sorgt für die Sauberkeit des Ortes. Das gemeinschaftliche Gebet findet in der Moschee (arabisch: Masdschid, „Ort, wo man sich niederwirft“) statt. Zum Gebet aufgerufen wird vom Minarett aus. Typisch für den Islam ist die enge DIE ISLAMISCHE WELT 7 Kasachstan 72 Türkei 31 Syrien Marokko 147 19 24 66 117 Irak 62 32 Iran Algerien Ägypten 23 Afghanistan Pakistan Indien 20 145 Bangladesch China SaudiArabien 24 70 31 Sudan 192 Nigeria Muslime in Prozent der Bevölkerung 90% und mehr 50% bis 90% Muslime in ausgewählten Ländern, in Millionen 10% bis 50% DIE URSPRÜNGE DES ISLAM Mohammed Ibn Abdullah wird in Mekka in einer verarmten Familie geboren. Er gehört dem Kureisch-Stamm an, der verantwortlich für die Pflege der Kaaba, ein Heiligtum in Mekka, ist. Die Kaaba ist bereits in vormuslimischer Zeit ein Wallfahrtsort. Zum Nachdenken und Beten begibt sich Mohammed zum Berg Hira. um 570 nach Christus 580 68 s p i e g e l Indonesien unter 10% s p e c i a l Mohammed hat seine erste Vision, die später als Erscheinen des Engels Gabriel gedeutet wird. 590 9 / 2 0 0 6 Mohammeds Auswanderung (Hidschra) aus Mekka nach Medina bezeichnet den Beginn des muslimischen Kalenders, das 1. Jahr der Hidschra. 600 632 Mohammed pilgert zum letzten Mal nach Mekka. Er stirbt im Juni in Medina, ohne einen Nachfolger (Kalif/Imam) ernannt zu haben. Es folgen Führungskämpfe um das Erbe Mohammeds, die letztlich zur Spaltung der Glaubensgemeinschaft in Sunniten und Schiiten führen. 632 bis 634 Kalif Abu Bakr sendet Eroberungsheere nach Syrien und Mesopotamien. um 610 622 634 bis 644 Kalif Omar; Muslime erobern u. a. Ägypten und Iran. 632 634 DER KORAN Verknüpfung von Politik, Religion und Alltag. Der Koran ist weltliche und religiöse Richtschnur zugleich, die „Umma“ die religiöse und politische Gemeinschaft. Seit etwa 30 Jahren machen verschiedene Bewegungen des politischen Islam, auch Fundamentalismus genannt, weltweit von sich reden. Ihr gemeinsames Ziel ist die Durchsetzung der Einheit von Politik und Religion auf der Grundlage des islamischen Rechts („Scharia“). Sie richten sich vor allem gegen den westlichen Einfluss in der islamischen Welt, gegen westliche Leitideen wie die Trennung von Staat und Kirche, den Individualismus sowie gegen den angeblich „hedonistischen“ Lebensstil in den Industrieländern. SUNNITEN UND SCHIITEN Die Schiiten sind die Anhänger der Schia, arabisch für „Partei (Alis)“. Sie verehren in besonderer Weise den 4. Kalifen Ali Ibn Abi Talib, nur seine Nachkommen erkennen sie als rechtmäßige religiöse Nachfolger Mohammeds an. Die Sunniten akzeptieren auch jene Nachfolger des Propheten Mohammed als religiöse Führer, die nicht zu seinen leiblichen Nachkommen zählen. SCHIITEN in Millionen 644 Der Koran ist in 114 Kapitel (Suren) unterschiedlichen Umfangs unterteilt, die wiederum aus einzelnen Versen bestehen. Dabei folgt die Anordnung der Suren nicht der Chronologie der Offenbarungen, sondern einem ganz anderen Maß: ihrer Länge. Den Anfang macht – nach einer kurzen Eröffnungssure (Fatiha) in Gebetform – die mit 286 Versen längste zweite Sure. Die letzten Kapitel umfassen nur noch wenige Zeilen. Zurückzuführen ist diese Anordnung, die thematisch über weite Strecken nur bedingt zusammenhängt, auf die Sammlung und Redaktion der einzelnen Überlieferungen: Sie fanden erst ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des Propheten statt. Bis heute werden verschiedene Lesarten anerkannt, die sich jedoch nur in Nebensächlichkeiten voneinander unterscheiden. Die Bedeutung des heiligen Buches für die Muslime ist umfassend. Große Wichtigkeit wird bis heute dem mündlichen Vortrag des in Reimprosa abgefassten Koran als liturgischem Rezitationstext beigemessen. Daneben stellen seine juristischen Verse die wichtigste Quelle des islamischen Rechts (Scharia) dar. Dennoch sind keineswegs alle heutzutage von Islamisten geforderten Vorschriften eindeutig aus den zur Begründung gelieferten Textstellen herzuleiten, etwa das generelle Verschleierungsgebot für Frauen. Die Deutungsbedürftigkeit des Korantextes ließ schon früh eine umfangreiche exegetische Literatur entstehen, deren vielbändige Werke jedoch oft mehr über die tendenziösen Absichten ihrer Verfasser verraten als über den Koran selbst. Auch die modernistischen Bestrebungen des 19. und 20. Jahrhunderts stützten sich häufig auf eine entsprechende Koraninterpretation. „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist der Gesandte Gottes.“ FESTE IM ISLAM geschätzt in Prozent der Bevölkerung 1. Iran 58,7 89 2. Pakistan 19,1 13 3. Irak 14,4 60 4. Aserbaidschan 5,4 65 5. Afghanistan 4,7 15 6. Syrien 1,9 8 7. Saudi-Arabien 1,8 10 644 bis 656 Kalif Osman erobert u. a. Libyen und Zypern. Lässt den Koran in seiner heutigen Form zusammenstellen. Er wird ermordet. Die Heilige Schrift des Islam enthält die göttlichen Offenbarungen, die Mohammed in der Zeit zwischen seinem 40. Lebensjahr und seinem Tod im Jahre 632 empfing. Nach muslimischer Überzeugung ist der Koran das unmittelbare Wort Gottes, der Prophet lediglich sein Sprachrohr. Zugleich ist für die Muslime der Koran die letzte und damit endgültige Offenbarungsschrift. Von allen Muslimen gemeinsam werden nur zwei Feste gefeiert – die aber jeweils drei Tage lang. Das Opferfest (Id al-adha) erinnert daran, dass Gott Abraham (arab. Ibrahim) befahl, einen seiner Söhne zu töten. Nach islamischer Auffassung war dies Ismail (nicht Isaak). Nachdem Gott erkannt hatte, dass ihm Abraham bereitwillig gehorchte, beendete er die Prüfung und ließ ihn anstelle des Sohnes ein Lamm opfern. Während des Id al-adha, das jeweils am zehnten Tag des Pilgermonats beginnt, schlachtet jede Familie, die es sich leisten kann, ein Schaf, Rind oder Kamel. Zwei Drittel des Fleisches sind für die Armen bestimmt. Das Opferfest rangiert zwar über dem Fest des Fastenbrechens (Id al-fitr), doch weil dieses das Ende des Ramadan markiert, feiern es die Gläubigen nach der Zeit der Entbehrung besonders ausgiebig. Neben Opferfest und Fastenbrechen gedenken alle Muslime ferner des Geburtstags des Propheten (Maulid al-nabi). 656 bis 661 Kalif Ali, Schwiegersohn und Cousin Mohammeds, verlegt wegen innerer Kämpfe das Kalifat von Medina nach Kufa in den Irak, wo er 661 ermordet wird. 661 bis 680 Kalif Muawija, Statthalter von Syrien, begründet die Umajjaden-Dynastie. Der Anspruch von Alis Nachkommen auf das Kalifat wird vor allem von Alis Sohn Hussein aufrechterhalten. 656 661 670 680 In Kerbela im Irak zetteln Alis Anhänger, an der Spitze Hussein, einen Aufstand gegen den Kalifen Jasid an und verlieren. Hussein stirbt in der Schlacht von Kerbela. Daraufhin erklären seine Anhänger alle früheren Kalifen zu Abtrünnigen und bestätigen die Nachkommen Alis als wahre Imame (Nachfolger) der muslimischen Gemeinschaft. Nur diese könnten das „göttliche Licht der Leitung“ von Ali empfangen. Die schiitische Bewegung erhielt ihr endgültiges Gepräge. 661 bis 750 Umajjaden-Dynastie; die Grenzen des Reichs werden im Westen bis Spanien und im Osten bis nach Indien ausgedehnt. 680 bis 683 Kalif Jasid Bau der Omar-Moschee (Felsendom) in Jerusalem 680 683 691 9 / 2 0 0 6 700 s p i e g e l s p e c i a l 69