Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone und die wirtschaftspolitischen Konsequenzen Referat zur Tagung der Akademie für Politische Bildung Tutzing Europa - Weg(e) aus der Krise? 23. – 25. September Prof. Dr. Rainer Maurer www.rainer-maurer.eu Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Unterscheidung: ● Ursachen der Krise und ihre Bekämpfung: 10 Jahre Aufbau ungleichgewichtiger Vermögenspositionen der EWU-Mitgliedsländer! ● Auswirkungen der Krise und ihre Bekämpfung: Überschuldung von Ländern & Staaten Kostengünstigste Alternative? 2 Drei Optionen: 1 . Rettung der Schuldner 2 . Bankrott der Schuldner & Rettung der (systemrelevanten) Gläubige 3 . Bankrott von Schuldnern & Gläubigern Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Ursache der Krise: ● ist nicht eine durch fiskalische Disziplinlosigkeit („piigs…“) entstandene „Staatsverschuldungskrise“ ● sondern eine durch ökonomische Fehlanreize entstandene „Länderverschuldungskrise“ 3 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Spanien 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 0% 1999 2000 2001 2002 2003 Nettoverschuldungsquote gegenüber Ausland 4 2004 2005 2006 2007 Schuldenstandsquote des Staates Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Irland 60% 40% 20% 0% 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 -20% -40% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen -60% Nettoverschuldungsquote gegenüber Ausland 5 Schuldenstandsquote des Staates Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Griechenland 120% 100% 80% 60% 40% 20% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 0% 1999 2000 2001 2002 2003 Nettoverschuldungsquote gegenüber Ausland 6 2004 2005 2006 2007 Schuldenstandsquote des Staates Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Portugal 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 0% 1999 2000 2001 2002 2003 Nettoverschuldungsquote gegenüber Ausland 7 2004 2005 2006 2007 Schuldenstandsquote des Staates Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Ergebnis: ● Vom Beginn der Währungsunion bis zum Ausbruch der Subprimekrise ist die Nettogesamtverschuldung der Euro-Krisenländer gegenüber dem Ausland gestiegen. ● Ein starker Anstieg der Staatsverschuldung fand erst statt als mit der Subprimekrise der private Sektor (insbesondere die Banken) in Schwierigkeiten kam und vom Staat mit Konjunkturprogrammen und Bürgschaften gestützt werden musste. ● Wieso führte die Währungsunion in den Euro-Krisenländern zu einem so starken Anstieg der Nettogesamtverschuldung gegenüber dem Ausland? 8 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Spanien 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 0% 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Nettoverschuldungsquote gegenüber Ausland 9 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Schuldenstandsquote des Staates Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Irland 120% 100% 80% 60% 40% 20% 0% 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 -20% -40% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen -60% Nettoverschuldungsquote gegenüber Ausland 10 Schuldenstandsquote des Staates Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Griechenland 160% 140% 120% 100% 80% 60% 40% 20% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 0% 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Nettoverschuldungsquote gegenüber Ausland 11 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Schuldenstandsquote des Staates Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Portugal 120% 100% 80% 60% 40% 20% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 0% 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Nettoverschuldungsquote gegenüber Ausland 12 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Schuldenstandsquote des Staates Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Wieso führte die Währungsunion in den Euro-Krisenländern zu einem so starken Anstieg der Nettogesamtverschuldung gegenüber dem Ausland?: ● Mit dem Beginn der Währungsunion glichen sich durch die vereinheitlichte Geldpolitik die Nominalzinsen in den Mitgliedsländern an: 13 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Konvergenz der Nominalzinsen bei den 11 Gründungsmitgliedern der EWU plus Griechenland gemessen auf Basis der Standardabweichung 6 Standardabweichung 5 4 3 2 1 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Unternehmenskredite (Laufzeit über 1 Jahr) Hypothekenkredite an Haushalte Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 14 Unternehmenskredite (Laufzeit bis 1 Jahr) 10jährige Staatsanleihen (Maastricht Kriterium) Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Wieso führte die Währungsunion in den Euro-Krisenländern zu einem so starken Anstieg der Nettogesamtverschuldung gegenüber dem Ausland? ● Die Inflationsraten in den Mitgliedsländern blieben jedoch unterschiedlich, da die Konjunkturzyklen der Mitgliedländer unterschiedlich waren und es entwicklungsbedingte Strukturunterschiede (Balassa-Samuelson-Effekt) gab! Ergebnis: Gleiche Nominalzinsen ./. unterschiedliche Inflationsraten = unterschiedliche Realzinsen Länder mit niedriger Inflationsrate hatten hohe Realzinsen. Länder mit hoher Inflationsrate hatten niedrige Realzinsen. 15 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Realzinsen für Hypothekenkredite und Inflationsraten (Laufzeit bis 1 Jahr, Harmonisierte Zinssätze, jährlicher Durchschnitt 2003 - 2007) 4,5% Realzins Korrelationskoeffizient: -96,7% 4,0% Germany 3,5% 3,0% Finland Austria 2,5% Netherlands Euro Area France Italy Belgium Ireland 2,0% 1,5% Portugal Greece 1,0% 0,5% 0,0% 0,0% -0,5% Spain 0,5% 1,0% 1,5% 2,0% 2,5% 3,0% 3,5% 4,0% 4,5% 5,0% Luxembourg -1,0% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 16 Jährliche Inflationsrate BIP-Deflator Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Realzinsen für Unternehmenskredite und Inflationsraten (Durchschnitt aller Laufzeiten über 1 Jahr, jährlicher Durchschnitt 2003 - 2007) 4,5% Realzins Korrelationskoeffizient: -93,0% Germany 4,0% 3,5% Netherlands Finland 3,0% BelgiumEuro Area 2,5% Austria Ireland France 2,0% Italy Greece Portugal 1,5% 1,0% 0,5% 0,0% 0,0% -0,5% Spain 0,5% 1,0% 1,5% 2,0% 2,5% -1,0% Quelle: EZB (Zinssätze); Eurostat (BIP-Deflator); Eigene Berechnungen 17 3,0% 3,5% 4,0% 4,5% 5,0% Luxembourg Jährliche Inflationsrate BIP-Deflator Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Realzinsen für Termineinlagen und Inflationsraten (Laufzeit unter 1 Jahr, Harmonisierte Zinssätze, jährlicher Durchschnitt 2003 - 2007) 2,5% Realzins Korrelationskoeffizient: -95,6% 2,0% Finland Germany 1,5% Netherlands 1,0% Austria France Euro Area 0,5% Belgium 0,0% 0,0% 0,5% 1,0% -0,5% -1,0% 1,5% 2,0% 2,5% 3,0% 3,5% Portugal Greece 4,0% 4,5% 5,0% Italy Spain -1,5% Jährliche Inflationsrate BIP-Deflator Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 18 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Realzinsen für Staatsanleihen und Inflationsraten (Laufzeit 10 Jahre, Maastricht Kriterium, jährlicher Durchschnitt 1999 - 2007) 4,0% Realzins Korrelationskoeffizent: -96,9% Germany 3,5% Finland Euro Area Austria Belgium Italy France Ireland Portugal 3,0% 2,5% 2,0% Netherlands 1,5% Greece LuxembourgSpain 1,0% 0,5% 0,0% 0,0% 0,5% 1,0% 1,5% 2,0% 2,5% 3,0% 3,5% 4,0% 4,5% 5,0% Jährliche Inflationsrate BIP-Deflator Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 19 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Was passiert in Ländern mit hohen Realzinsen? ● Der Anreiz zum Sparen steigt & der Anreiz zum Investieren sinkt! Was passiert in Ländern mit niedrigen Realzinsen? ● Der Anreiz zum Sparen sinkt & der Anreiz zum Investieren steigt! Und genau das lässt sich auch beobachten: 22 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Anstieg der Sparquoten and Inflationsraten EWU 1999 - 2007 5% Absoluter Anstieg der Sparquote Korrelationskoeffizient: -64,2% Germany 4% 3% Austria 2% Netherlands Belgium 1% Ireland Euro Area 0% -1% Luxembourg France -2% Italy Finland -3% Greece (2001-2007) -4% -5% -6% 0,5% Portugal Spain 1,0% 1,5% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 23 2,0% 2,5% 3,0% 3,5% 4,0% 4,5% Jährliche Inflationsrate BIP-Deflator Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Anstieg der Investitionsquoten and Inflationsraten EWU 1999 - 2007 8,0% Absoluter Anstieg der Investitionsquote Korrelationskoeffizient: +25,6% Spain 6,0% 4,0% Ireland France 2,0% Finland Euro Area Belgium Italy Greece (2001-2007) 0,0% -2,0% Austria Germany Netherlands Luxembourg -4,0% Portugal -6,0% 0,5% 1,0% 1,5% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 24 2,0% 2,5% 3,0% 3,5% 4,0% 4,5% Jährliche Inflationsrate BIP-Deflator Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Anstieg der Leistungsbilanzüberschussquoten und Inflationsraten EWU, 1999 - 2007 10% Absoluter Anstieg der Leistungsbilanzquote Germany Korrelationskoeffizient: -60,9% Austria 5% Netherlands Luxembourg Euro Area 0% Portugal Belgium Finland Italy France -5% Ireland Spain -10% -15% 0,5% Greece (2001-2007) 1,0% 1,5% Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 25 2,0% 2,5% 3,0% 3,5% 4,0% 4,5% Jährliche Inflationsrate BIP-Deflator Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Nettovermögensposition gegenüber dem Ausland 1999 - 2007 1000 Mrd. Euro 500 Germany 0 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 -500 -1000 Greece, Ireland, Portugal, Spain -1500 Quelle: Eurostat; Eigene Berechnungen 26 2007 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Arbeitslosigkeit, private Nettoinvestitionsquote und Konjunkturzyklus Westdeutschland 1960 - 1989; Deutschland 1990 - 2011 Arbeitslosenquote 11% Private Nettoinvestitionsquote 10% 16% 14% 9% 12% 8% 7% 10% 6% 8% 5% 6% 4% 3% 4% 2% 2% 1% 0% Rote Flächen = Abschwungsphase (negative BIP-Wachstumstrendabweichung (HP-Filter-Trend)) Arbeitslosenquote (linke Skala) Quelle: EU-Kommission, AMECO, Eigene Berechnungen 27 Private Nettoinvestitionsquote (rechte Skala) 2012 2010 2008 2006 2004 2002 2000 1998 1996 1994 1992 1990 1988 1986 1984 1982 1980 1978 1976 1974 1972 1970 1968 1966 1964 1962 1960 0% Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Reales Kapitalstockwachstum und reales BIP Wachstum Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 1999 bis 2007 7,0% 6,0% 5,0% 4,0% 3,0% 2,0% Reales BIP Wachstum Irland Luxemburg Griechenland Portugal Finland Spain Niederlande Österreich ECU (11 ex Dtl.) Belgien Frankreich Deutschland 1,0% Italien Reales Kapitalstockwachstum 0,0% 0,0% 1,0% 2,0% Quelle: EU-Kommission AMECO-Datenbank 28 3,0% 4,0% 5,0% 6,0% Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Zusammenfassung : ● Es zeigt sich also, dass die Ungleichgewichte in der Eurozone nicht primär durch fiskalpolitische Disziplinlosigkeit in den Krisenländern entstanden sind, sondern durch eine Fehlkonstruktion in der Währungsunion: ● Da die Mitgliedländer ökonomisch sehr unterschiedlich sind, divergierten die Inflationsraten. ● Da sich durch die einheitliche Geldpolitik der Europäischen Zentralbank die Nominalzinsen anglichen, kam es zu einer Divergenz der Realzinsen. ● In der Folge hatten Niedriginflationsländer wie Deutschland einen Anreiz zu Sparen und Hochinflationsländer wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien einen Anreiz sich zu verschulden. 29 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone Die wirtschaftspolitischen Konsequenzen : ● Wenn die Krise – wie auch immer – überstanden ist, muss die Europäische Zentralbank eine andere Geldpolitik betreiben: ● In Ländern mit hohen Inflationsraten, muss sie die Refinanzierungskosten der Banken erhöhen und so für höhere Nominalzinsen sorgen, die die Güternachfrage senken. ● In Ländern mit niedrigen Inflationsraten, muss sie die Refinanzierungskosten der Banken senken und so für niedrigere Nominalzinsen sorgen, die die Güternachfrage erhöhen. ● Das ist für die EZB ohne weiteres möglich, in dem sie die Mindestreservesätze der Banken in Hochinflationsländern erhöht und in Niedriginflationsländern senkt. ● Differenzierte, länderspezifische Mindestreservesätze würden der Tatsache Rechnung tragen, dass es sich bei der Europäischen Währungsunion nicht um einen optimalen sondern um einen „nicht-optimalen“ Währungsraum handelt“. 30 Die Ursachen der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone „Rettungsinterventionismus“ Ordnungspolitisch falsch! „Anreizkompatible Bestrafung der Sünder“ 31 Ordnungspolitisch korrekt!