c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � Algebra I 2.4 75 Gruppenoperationen Viele wichtige Gruppen bestehen aus Abbildungen, z.B. Permutationen einer endlichen Menge, linearen Abbildungen eines Vektorraumes oder Isometrien eines euklidischen Raumes. Aus der gegebenen Realisierung der Gruppenelemente als Abbildungen konstruiert man leicht weitere Abbildungen und Gruppen. Wenn z.B. f : X → X bijektiv ist und A ⊆ X eine beliebige Teilmenge, so ist auch f (A) definiert, und auf diese Weise liefert f auch eine Abbildung auf den Teilmengen (d.h. der Potenzmenge) von X. Durch Einschränkung erhält man Abbildungen auf den Teilmengen einer festen Mächtigkeit (z.B. den zweielementigen Teilmengen), oder im Fall linearer Abbildungen eines Vektorraumes V z.B. auf der Menge aller Geraden oder Ebenen von V . Das folgende Konzept einer Gruppenoperation liefert einen allgemeinen Rahmen für die Interpretation von Gruppenelementen als Abbildungen und die Interpretation der Verknüpfung in der Gruppe als Komposition (Verkettung) von Abbildungen. Definition 2.4.1 Eine Operation 5 einer Gruppe G auf einer Menge X ist eine Abbildung G × X → X, (g, x) �→ g.x , die den Bedingungen (Op1) (Op2) genügt. e.x = x für alle x ∈ X g.(h.x) = (gh).x für alle g, h ∈ G, x ∈ X Mit anderen Worten, eine Operation von G auf X ist eine äußere Verknüpfung von G mit X, die die genannten zusätzlichen Bedingungen erfüllt. Jedes Gruppenelement liefert eine Abbildung x �→ g.x, X → X, und nach (Op2) gehört zu einem Produkt gh in G die Komposition der einzelnen Abbildungen (erst h, dann g anwenden). Beispiele 2.4.2 (Gruppenoperationen) (1) G = Sn die symmetrische Gruppe vom Grad n und X = {1, . . . , n} mit σ.m = σ(m) für σ ∈ Sn , m ∈ X. (2) Allgemeiner sei X irgendeine Menge, Per X := {f : X → X | f bijektiv} die Menge aller Permutationen von X und G ⊆ Per X irgendeine Untergruppe, weiter f.x = f (x) wie eben. Diese Operation heißt die natürliche Operation von G auf X. 5 Eine Gruppenoperation wird auch als Gruppenaktion bezeichnet, insbesondere in der englischsprachigen Literatur: group action“, G acts on X“. ” ” Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 76 (3) Wenn V ein K-Vektorraum ist, so operiert GL(V ) und jede Untergruppe davon auf V . Dieses ist ein Spezialfall von (2). (4) Für jeden K-Vektorraum V operiert die Gruppe GL(V ) auf der Menge der Endomorphismen End(V ) durch die Vorschrift (g, f ) �→ gf g −1 . Ebenso operiert für festes n ∈ N die Matrizengruppe GLn (K) durch (S, A) �→ SAS −1 auf der Menge K n×n aller quadratischen Matrizen der Größe n. (5) Jede Gruppe G operiert auf sich selbst (X = G) mittels g.x = gx (Produkt in G). Die Bedingung (Op 2) ist das Assoziativgesetz. (6) Seien G und X wie in (2) und H ⊆ G eine Untergruppe von G. Dann operiert auch H auf X, und zwar einfach durch Einschränkung. (7) Seien G und X wie in (2). Dann operiert G auf der Potenzmenge P(X) durch g.Y := g(Y ) = {g(y) | y ∈ Y }. (8) Wenn allgemeiner eine beliebige Gruppenoperation von G auf X gegeben ist, so operiert G auch auf P(X) durch g.Y = {g.y | y ∈ Y }. Wenn eine Operation einer Gruppe auf einer Menge gegeben ist, so kann man in naheliegender Weise einige abgeleitete Objekte betrachten. Diese werden in der folgenden Definition zusammengestellt. Definition 2.4.3 Die Gruppe G operiere auf der Menge X. a) Für x ∈ X heißt G.x := {g.x | g ∈ G} die Bahn oder der Orbit von x. Die Mächtigkeit |G.x| nennt man auch die Länge der Bahn. b) Die Menge Gx := {g ∈ G | g.x = x} heißt die Isotropiegruppe oder der Stabilisator von x. c) Wenn g ∈ G und x ∈ X sind mit g.x = x, so heißt x auch ein Fixpunkt von g. Wenn g.x = x ist für alle g ∈ G, so nennt man x einen Fixpunkt der Operation oder auch Fixpunkt von G. d) Eine Teilmenge Y ⊆ X heißt invariant unter G oder G-invariant, falls g.y ∈ Y ist für alle g ∈ G, y ∈ Y . Durch Einschränkung erhält man dann eine Operation G × Y → Y . Man prüft schnell nach, dass Gx in der Tat eine Untergruppe von G ist. Lediglich das Inverse erfordert ein kleines Argument: Für x ∈ Gx läßt man das Element g −1 auf beide Seiten der Gleichung g.x = x operieren und erhält mittels (Op2) und dann (Op1) die gewünschte Gleichung g −1 .x = x Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 77 Beispiele 2.4.4 (Bahnen, Stabilisatoren, invariante Teilmengen) (1) Wir betrachten die Operation von Sn auf der Potenzmenge P({1, . . . , n}). Betrachte speziell das Element x = {1, 2, . . . , k} ∈ P({1, . . . , n}), für eine feste Zahl k ≤ n. Dann besteht die Bahn von x unter Sn aus allen kelementigen Teilmengen von {1, . . . , n}. (2) Betrachte, für eine beliebige Gruppe G und eine beliebige Untergruppe H, die Operation von H auf G durch Linksmultiplikation (siehe die Beispiele nach 2.4.1, (4) und (5)). Dann sind die Bahnen von H in G genau die Rechtsnebenklassen Hg, g ∈ G. (Für Linksnebenklassen müssen wir, wie oben schon angemerkt, Operationen von rechts“ zulassen; dann läuft alles ” völlig analog.) (3) Wir betrachten einen (endlich-dimensionalen) Vektorraum V und die natürliche Operation der Gruppe GL(V ) auf V (siehe Beispiel 2.4.2 (3)). Sei v0 ∈ V ein beliebiger von Null verschiedener Vektor. Dann besteht die Bahn von v0 aus allen Vektoren außer dem Nullvektor: GL(V )v0 = V � {0}. (4) Der Stabilisator von n ∈ X = {1, . . . , n} in der symmetrischen Gruppe Sn ist kanonisch zu identifizieren mit der Gruppe Sn−1 . (5) Die Stabilisatoren der Operation von G auf sich selbst durch Linksmultiplikation (Beispiel 2.4.2 (5)) sind alle trivial. (6) Die Fixpunkte eines Zyklus σ = (i1 , i2 , . . . , ie ) ∈ Sn sind genau die Ziffern, die nicht unter den ij vorkommen. (7) Die Operation von GL(V ) auf dem Vektorraum V hat 0 als Fixpunkt. (8) Für die natürliche Operation von GL(V ) auf den Teilmengen des Vektorraumes V ist die Menge U (V ) der Untervektorräume von V eine GL(V )invariante Teilmenge von P(V ). Somit operiert GL(V ) in natürlicher Weise auf U (V ). (9) Die Isometriegruppe Iso(E) eines euklidischen Vektorraumes operiert auf den Teilmengen von E. Der Stabilisator Iso(E)M von M ⊆ E ist die sogenannte Symmetriegruppe von M . Insbesondere der letzte Punkt liefert eine Fülle von interessanten Gruppen, die als Stabilisatoren aufgefasst werden können; wir erinnern nur an die Diedergruppe der Ordnung 2n, die als Symmetriegruppe des regulären n-Ecks realisiert werden kann. In den Übungen behandeln wir die Symmetriegruppe des Würfels, allgemeiner des Hyperwürfels“ in beliebiger Dimension n. Weitere Beispiele für Sta” bilisatoren ergeben sich bei Anwendungen von Gruppenoperationen auf die Sätze von Sylow im folgenden Abschnitt 2.5 oder in Kapitel 5 in der Galoistheorie. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 78 Wir wollen uns nun der Gesamtheit der Bahnen einer Gruppenoperation zuwenden, genauer der Frage, wie diese in der Grundmenge X drinliegen“. Ein ” genauerer Blick auf die bisherigen Beispiele zeigt eine gewisse Gesetzmäßigkeit: bei der natürlichen Operation von Sn auf P({1, . . . , n}) ergibt sich offenbar die Bahn entsprechend der Mächtigkeit der Teilmenge, und deshalb bilden die Bahnen eine Partition der in Frage stehenden (Potenz-)Menge; ähnlich ist es bei GL(V ) und den Untervektorräumen, mit der Dimension statt der Kardinalität; bei der Operation von GL(V ) auf V gibt es nur zwei Bahnen, den Nullvektor (als einelementige Teilmenge) und den gesamten Rest, also wieder eine Zerlegung von V . Bei der Operation der Untergruppe H auf ganz G schließlich ist es von früher bekannt, dass die Bahnen, in diesem Fall Nebenklassen, eine Partition der Gruppe G bilden. In diesem Fall kennen wir auch den Grund“: die Nebenklassen ” sind die Äquivalenzklassen einer geeigneten Äquivalenzrelation. Wir haben das Wort Grund in Anführungszeichen gesetzt, weil jede Klasseneinteilung auf einer Menge aus den Äquivalenzklassen einer geeigneten Äquivalenzrelation besteht; dieses ist allerdings eine rein formale Einsicht, solange man keine unabhängige, inhaltliche Beschreibung dieser Relation hat. Das beschriebene Verhalten von Bahnen ist keine spezielle Eigenschaft der bisher betrachteten Beispiele. Vielmehr überlegt man sich leicht direkt aus den Axiomen einer Gruppenoperation, dass die Bahnen immer als Äquivalenzklassen aufgefasst werden können und deshalb immer eine Zerlegung der Gesamtmenge bilden. Wir halten dieses im folgenden Satz fest und geben auch einen vollständigen Beweis. Satz 2.4.5 Die Gruppe G operiere auf der Menge X. Definiere eine Relation ∼G auf X durch x ∼G y ⇐⇒ ∃ g ∈ G : g.x = y . Dieses ist eine Äquivalenzrelation. Die Äquivalenzklassen sind genau die Bahnen von G in X. Insbesondere sind zwei Bahnen entweder disjunkt oder sie stimmen überein. Beweis: Die Relation ∼G ist reflexiv: Für beliebiges x ∈ X gilt e.x = x, also x ∼G x. Die Relation ∼G ist symmetrisch: wenn x ∼G y gilt, also g.x = y für ein g ∈ G, dann ist auch y = g −1 .x, also y ∼G x. Die Relation ∼G ist transitiv: aus x ∼G y und y ∼G z folgt die Existenz von g, h ∈ G mit g.x = y und h.y = z. Hieraus folgt (hg).x = h.(g.x) = z, also x ∼G z. Die Äquivalenzklasse von x ∈ X besteht definitionsgemäß aus den y ∈ X mit x ∼G y, also aus denjenigen y, für die ein g ∈ G exisitert mit g.x = y. Diese y bilden aber genau die Bahn G.x. � Wenn eine Operation einer Gruppe G auf einer Menge X gegeben ist, so sagt man auch, x, y ∈ X seien G-äquivalent, wenn sie in der Relation ∼G stehen. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 79 Korollar 2.4.6 Jede G-invariante Teilmenge ist disjunkte Vereinigung von Bahnen. Korollar und Definition 2.4.7 Für eine Operation einer Gruppe G auf einer Menge X sind die folgenden beiden Bedingungen äquivalent: (i) Es gibt ein x ∈ X mit X = G.x. (ii) Für je zwei Elemente x, y ∈ X gibt es ein g ∈ G mit g.x = y. Eine Operation heißt transitiv, wenn diese beiden Eigenschaften erfüllt sind, d.h. wenn X aus nur einer Bahn unter G besteht. Beispiele 2.4.8 (Die Äquivalenzrelation zu einer Gruppenoperation) (1) Wir betrachten die Operation von Sn auf der Potenzmenge P({1, . . . , n}). Zwei Teilmengen X, Y ⊆ {1, . . . , n} sind genau dann Sn -äquivalent, wenn sie die gleiche Mächtigkeit |X| = |Y | haben. (2) Wir betrachten die Operation der allgemeinen linearen Gruppe GL(V ) eines endlich-dimensionalen Vektorraumes V auf der Menge U (V ) der Unterräume von V . Zwei Unterräume U, W sind genau dann GL(V )-äquivalent, wenn sie die gleiche Dimension dim U = dim W haben. (3) Aus der Linearen Algebra kennt man den Begriff der Ähnlichkeit von quadratsichen Matrizen und weiß, dass dieses eine Äquivalenzrelation ist. Diese Relation gehört zu dem hier behandelten Typ von Äquivalenzrelationen. Sie kommt nämlich her von der durch den Ausdruck SAS −1 gegebenen Operation der Matrizengruppe GLn (K) auf der Menge aller quadratischen Matrizen. (4) Es sei (V, � , �) ein euklidischer Vektorraum (also � , � ein Skalarprodukt auf dem reellen Vektorraum V ) und O(V ) = O(V, � , �) seine orthogonale Gruppe. Zwei Vektoren � v und w sind � genau dann O(V )-äquivalent, wenn beide die gleiche Länge �v, v� = �w, w� haben. (5) Die Operation von G auf sich selbst durch Linksmultiplikation ist transitiv, ebenso die Operation von Sn oder bereits ihrer Untergruppe Din auf {1, 2, . . . , n}. (6) Zwei Teilmengen M und N eines euklidischen (Vektor-)Raumes E heißen bekanntlich kongruent, wenn es eine Isometrie (abstandserhaltende Abbildung) ϕ : E → E mit ϕ(M ) = N gibt. Die Isometrien von E bilden eine Gruppe Iso(E) (siehe auch 2.4.4 (9)). Zwei Mengen M und N sind also kongruent genau dann, wenn sie Iso(E)-äquivalent für die natürliche Operation von Iso(E) auf der Potenzmennge von E sind. Kongruenz ist eine Äquivalenzrelation. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 80 Die angegebenen Beschreibungen der Relation ∼G setzen bei (1), (2) und (4) noch einmal in Evidenz, dass es sich in der Tat um eine Äquivalenzrelation handelt (nämlich gekennzeichnet durch Gleichheit einer Funktion). Bei (2) und (4) gehen nicht-triviale, aber an dieser Stelle als bekannt angenommene Sätze der linearen Algebra ein. Beispiel (5) ist vom Standpunkt der Äquivalenzrelationen aus gesehen trivial, da es nur eine Bahn gibt. Der folgende Satz befasst sich genauer mit der Struktur einer einzelnen Bahn. Die Bahn von x ∈ X ist das Bild von G unter einer Abbildung G → X, nämlich der Abbildung g �→ g.x. Diese Abbildung ist in der Regel nicht injektiv; z.B. ist das Urbild von x genau der Stabilisator von x. Insofern hat der Satz eine nicht nur formale Verwandtschaft mit dem Homomorphiesatz, genauer mit seiner Folgerung, dem Isomorphiesatz. Satz 2.4.9 Die Gruppe G operiere auf der Menge X, es sei x ∈ X. Dann ist die Abbildung G/Gx → G.x, gGx �→ g.x wohldefiniert und bijektiv. Insbesondere ist die Länge der Bahn von x gleich dem Index des Stabilisators (G : Gx ). Beweis: Für diesen Beweis bezeichnen wir die in Frage stehende Abbildung mit α : G/Gx → G.x. α ist wohldefiniert: Auf der rechten Seite der Abbildungsvorschrift kommt ein g ∈ G vor; die Abbildung soll aber auf Nebenklassen gGx definiert werden. Zu zeigen ist also, dass zwei Elemente g, g � ∈ G, die dieselbe Nebenklasse liefern, also gGx = g � Gx , das gleiche Bild haben. Es ist g �−1 g ∈ Gx , also g �−1 .(g.x) = (g �−1 g).x = x, also g � .x = g � .((g �−1 g).x) = (g � (g �−1 g)).x = ((g � g �−1 )g).x = g.x, wie gewünscht. α ist injektiv: es seien gGx , hGx ∈ G/Gx , dabei also g, h ∈ G mit α(gGx ) = α(hGx ). Dann ist g.x = h.x, also (h−1 g).x = x, also h−1 g ∈ Gx , also gGx = hGx , wie gewünscht. α ist surjektiv: ein beliebiges Element y aus der Zielmenge G.x ist nach Definition von der Form y = g.x für ein g ∈ G. Dann ist α(gGx ) = g.x, also gGx ein Urbild von y. � Beispiele 2.4.10 (Bahnen und Nebenklassen) (1) Fasse wie oben die symmetrische Gruppe Sn−1 als Untergruppe der symmetrischen Gruppe Sn auf. Dann ist der Index (Sn : Sn−1 ) = n. Ein Vertretersystem für Sn /Sn−1 ist zum Beispiel durch die Transpositionen (1, n), (2, n), . . . , (n − 1, n) zusammen mit der Identität gegeben. (2) Der Index 3 = 24/8 = (S4 : Di4 ) zählt die drei wesentlich verschiedenen Möglichkeiten, die Ecken eines Quadrates durch die Ziffern 1 bis 4 zu numerieren. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 81 (3) Der Stabilisator WF in der Würfelgruppe W (siehe Übungen) einer Randfläche des Würfels kann mit der Symmetriegruppe von F , also eines Quadrates, identifiziert werden und hat folglich 8 Elemente. Die Bahn W.F besteht also aus 48/8 = 6 Elementen. In der Tat sind alle 6 Randflächen des Würfels äquivalent unter W . (4) Die Symmetriegruppe des Tetraeders T ist die volle symmetrische Gruppe S4 mit 24 Elementen. Der Stabilisator einer Kante besteht aus 4 Elementen (welchen?). Der Würfel besitzt 6 = 24/4 Kanten, die alle äquivalent unter der Gruppe sind. Der folgende Satz ist eine unmittelbare Zusammenfassung der beiden vorangegangenen grundlegenden Sätze, nämlich der Zerlegung in Bahnen nach 2.4.5 und der Beschreibung von Bahnen als Mengen von Nebenklassen nach 2.4.9. Insofern kann man ihn sich jederzeit neu überlegen (und beweisen), wenn man ihm braucht. Trotzdem ist es üblich, und hat auch gewisse Gründe, ihn als eigenen Satz zu führen, sogar mit eigenem Namen. Satz 2.4.11 (Bahnengleichung) Es sei x1 , x2 , . . . , xr ∈ X ein Repräsentantensystem für die Operation der Gruppe G auf der endlichen Menge X. Dann gilt r � |X| = (G : Gxi ) i=1 Die früher bereits kurz eingeführten inneren Automorphismen ig gehören ebenfalls zu einer Gruppenoperation. Im folgenden Satz führen wir das etwas aus. Satz und Definition 2.4.12 (Konjugation) Sei G eine Gruppe. a) Durch (g, x) �→ gx := gxg −1 wird eine Operation von G auf sich definiert, die sogenannte Konjugation. Die Abbildungen ig : G → G, x �→ gx = gxg −1 sind Gruppenautomorphismen von G. Sie heißen auch innere Automorphismen von G. b) Zwei Elemente x, x� bzw. Untergruppen H, H � heißen konjugiert in G, wenn sie in der gleichen Bahn liegen, d.h. wenn ein g ∈ G existiert mit gxg −1 = x� bzw. gHg −1 = H � . Die Bahn von x ∈ G, also {gxg −1 | g ∈ G}, heißt auch die Konjugiertenklasse von x; entsprechend für eine Untergruppe H. Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 82 c) Der Stabilisator eines Elementes x ∈ G besteht genau aus den mit x vertauschbaren Elementen CG (x) := {g ∈ G | gx = xg} und heißt Zentralisator von x in G. d) Der Stabilisator einer Untergruppe H von G NG (H) := {g ∈ G | gHg −1 = H} heißt auch Normalisator von H in G. e) Setze Z(G) = {z ∈ G | gz = zg für alle g ∈ G} . Dieses ist eine normale Untergruppe von G. Sie heißt das Zentrum von G. f) Die Abbildung G → Aut G, g �→ ig ist ein Gruppenhomorphismus. Das Bild Inn G := {ig | g ∈ G} ⊆ Aut G ist eine normale Untergruppe von Aut G und heißt die Gruppe der inneren Automorphismen von G. Der Kern von iG ist genau das Zentrum Z(G). Beispiele 2.4.13 (1) Zwei Elemente der Gruppe GLn (K) der invertierbaren n×n-Matrizen über einem Körper K sind genau dann konjugiert in GLn (K), wenn sie ähnliche Matrizen im Sinne der Linearen Algebra sind. Wir hatten bereits oben unter 2.4.8 (3) die Ähnlichkeit beliebiger Matrizen als GLn -Äquivalenz erkannt. Die Konjugation in GLn (K) ist einfach die Einschränkung der dort betrachteten Operation auf allen quadratischen Matrizen auf eine GLn (K)-invariante Teilmenge. (2) Zwei konjugierte Gruppenelemente haben sicher die gleiche Ordnung. Die Menge aller Gruppenelemente einer festen Ordnung m zerfällt also in Konjugiertenklassen. Betrachten wir den Fall m = 2, also der sogenannten Involutionen, für die Diedergruppe Din (Symmetriegruppe des regulären n-Ecks, siehe 1.3.12 (6) auf Seite 23). Für ungerades n gibt es nur eine Konjugiertenklasse von Involutionen in Dn , bestehend aus allen Spiegelungen, die das n-Eck zulässt. Für gerades n gibt es drei Konjugiertenklassen: die Spiegelungen an Geraden durch gegenüberliegende Ecken, die Spiegelungen an Geraden durch gegenüberliegende Kantenmittelpunkte, sowie die Menge, die nur aus der Drehung − id um 180◦ (auch Inversion oder Punktspiegelung genannt) um den Nullpunkt (Mittelpunkt des n-Ecks) besteht. (3) Das Zentrum der Diedergruppe Dn ist für ungerades n trivial, für gerades n = 2k gilt Z(D2k ) = {id, − id} ∼ = Z2 . Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 83 (4) Das Zentrum der Matrizengruppe GLn (K) besteht aus den skalaren Vielfachen der Einheitsmatrix. (5) Jeder Automorphismus der Gruppe S3 ist ein innerer Automorphismus. Genauer ist die Abbildung S3 → Aut S3 , g �→ ig ein Isomorphismus. Der folgende einfache Satz liefert eine Fülle von Beispielen für zueinander konjugierte Untergruppen. Bemerkung 2.4.14 Gegeben sei eine Operation der Gruppe G auf der Menge X. Es seien x, y ∈ X zwei Elemente in der gleichen Bahn: y = g.x für ein g ∈ G. Dann sind die Stabilisatoren Gx und Gy zueinander konjugiert: Gy = gGx g −1 . Der Beweis ergibt sich mit kurzer Rechnung unmittelbar aus den Definitionen. � Da der Sachverhalt der Bemerkung 2.4.14 recht offensichtlich ist, sollten an dieser Stelle zwei Beispiele ausreichen. Beispiele 2.4.15 (1) Für die natürliche Operation der symmetrischen Gruppe Sn auf {1, 2, . . . , n} ist der Stabilisator von k mit der Gruppe der Permutationen der n − 1-elementigen Menge {1, 2, . . . , n} � {k} zu identifizieren. Alle diese Gruppen sind zur Standard“-Sn−1 ⊂ Sn konjugiert, und zwar ” durch eine (ansonsten beliebige) Permutation σ mit σ(k) = n. (2) Wenn M und N zwei kongruente Teilmengen eines euklidischen Vektorraumes sind, so sind ihre Symmetriegruppen konjugiert in Iso(E); siehe oben Beispiel 2.4.8 (6) und Beispiel 2.4.4 (9). Statt zu einem gegebenen Punkt x alle Gruppenelemente zu betrachten, die x festlassen, also den Stabilisator, kann man auch zu einem gegebenen Gruppenelement alle x betrachten, die dieses Gruppenelement festlässt, also die Fixpunktmenge. Hier gilt eine ähnliche Aussage: Bemerkung 2.4.16 Gegeben sei eine Operation der Gruppe G auf der Menge X. Es seien a, b ∈ G zwei konjugierte Gruppenelemente: b = gag −1 für ein g ∈ G. Dann werden die Fixpunktmengen Fix a = {x ∈ X | g.x = x} und Fix b durch g aufeinander abgebildet: g(Fix a) = Fix b. Wieder ergibt sich der Beweis mit kurzer Rechnung unmittelbar aus den Definitionen. Im endlichen Fall haben also zwei konjugierte Elemente gleich viele Fixpunkte. Wenn G etwa durch Isometrien auf einem euklidischen (Vektor-)Raum E operiert, so sind die Fixpunktmengen kongruent. Da allerdings in diesem Fall Fixpunktmengen affine Teilräume von E sind (Übungsaufgabe), bedeutet dieses zunächst lediglich (aber immerhin), dass die Fixpunktmengen gleiche Dimension Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 84 haben. Die Tatsache, dass die Fixpunktmengen sogar durch ein Element aus g ineinander überführt werden, liefert allerdings eine Verschärfung. Z.B. ist eine Spiegelung an einer Diagonalen eines Quadrates in seiner Symmetriegruppe Di4 nicht konjugiert zu einer Spiegelung an einer Seitenhalbierenden, obwohl in der Isometriegruppe Iso(E) der gesamten Ebene je zwei Geradenspiegelungen zueinander konjugiert sind. Gruppenoperationen sind ein wichtiges Hilfsmittel, um gewisse kombinatorische Abzählprobleme (die mit Symmetrie zu tun haben) zu lösen. Ein wenig hat sich das schon in der Bahnengleichung 2.4.11 angedeutet. Wir geben hier noch einen weiteren Satz in dieser Richtung an, dessen Bedeutung wir in dieser Vorlesung allerdings nicht mehr ausloten können. Satz 2.4.17 (Lemma von Burnside) Die endliche Gruppe G operiere auf der endlichen Menge X. Für g ∈ G sei Fix g ⊆ X die Fixpunktmenge von g. Mit G\X bezeichnen wir die Menge der Bahnen von G auf X. Dann ist |G\X| = 1 � | Fix g|. |G| g∈G Die Anzahl der Bahnen ist also der Mittelwert, gebildet über G, der Anzahlen der Fixpunkte der Gruppenelemente. Wie in 2.4.16 festgestellt wurde, ändert sich die Anzahl der Fixpunkte nicht, wenn man g in seiner Konjugiertenklasse abändert. D.h. bei der konkreten Auswertung der Formel muss man nur über die Menge der Konjugiertenklassen, bzw. ein Vertretersystem hierfür summieren, wie in der Bahnengleichung 2.4.11. Nachdem wir die Grundkonzepte der Theorie der Gruppenoperationen entwickelt haben und eine ganze Reihe Beispiele gesehen haben, wollen wir zum Abschluß dieses Abschnittes noch einmal auf die oben zu Beginn beschriebenen Grundidee der Gruppenoperation zurückkommen und diese noch etwas formalisieren und abrunden. Wir hatten gesagt, dass eine Gruppenoperation darauf hinausläuft, Elemente einer abstrakten Gruppe G als Abbildungen aufzufassen, und zwar so, dass einem Produkt zweier Elemente in G die Verkettung der entsprechenden Abbildungen entspricht. Etwas präziser gesagt, wir haben neben G eine feste Menge X gegeben, und jedem Element g ∈ G wird eine Abbildung von X in sich selbst zugeordnet, nämlich die Abbildung X → X, x �→ g.x in der Definition 2.4.1. Wenn wir diese Abbildung einmal mit µg : X → X bezeichnen, so läuft die besagte Eigenschaft bezüglich Produkt und Abbildungsverkettung auf die Formel µgh = µg ◦ µh hinaus. Diese ist in der Tat genau duch das Axiom (Op2) gegeben. Etwas förmlicher gesagt, die Abbildung g �→ µg ist verknüpfungstreu, also ein Homomorphismus. Die Zielmenge dieses Homomorphismus sollte wieder eine Gruppe sein, nämlich die Gruppe Per X aller bijektiven Selbstabbildungen von X. In der Tat ist es nicht nur in allen obigen Beispielen so, sondern folgt aus Algebra I c Rudolf Scharlau, 2002 – 2012 � 85 den Axiomen einer Gruppenoperation, dass die Abbildungen µg : X → X alle bijektiv sind: nach (Op1) ist µe = idX , es folgt weiter µg ◦ µg−1 = µgg−1 = µe = idX und analog µg−1 ◦ µg = µg−1 g = µe = idX . Also ist µg in der Tat bijektiv mit inverser Abbildung µg−1 . Wir haben somit den Teil a) des folgenden Satzes bewiesen: Satz 2.4.18 a) Es sei eine Operation der Gruppe G auf der Menge X gegeben. i) Für jedes g ∈ G ist die Abbildung µg : X → X, x �→ g.x bijektiv. ii) Die Abbildung G → Per X, g �→ µg ist ein Homomorphismus. b) Wenn umgekehrt ϕ : G → Per X ein Gruppenhomomorphismus ist, dabei X eine beliebige Menge, so wird durch g.x := ϕ(g)(x) eine Operation von G auf X definiert. Der Teil b) des Satzes ergibt sich in natürlicher Fortsetzung der Überlegungen, die zum Teil a) geführt haben. Zunächst einmal stellt man fest, dass die Abbildung g �→ µg wirklich die volle Information über die Gruppenoperation enthält: es gilt g.x = µg (x) für alle g ∈ G, x ∈ X. Wenn umgekehrt ein beliebiger Homomorphismus ϕ : G → Per X gegben ist, so kann man definieren (zunächst einfach als abgekürzte Schreibweise) g.x := ϕ(g)(x) für alle g ∈ G, x ∈ X. Diese Verknüpfung G × X → X erfüllt nun in der Tat die Axiome (Op1) und (Op2): es ist e.x = ϕ(e)(x) = idX (x) = x (hier wurde Satz 1.4.3 verwendet) und (gh).x = ϕ(gh)(x) = (ϕ(g) ◦ ϕ(h))(x) = ϕ(g)(ϕ(h)(x)) = ϕ(g)(h.x) = g.(h.x).