Diskussionsbeiträge - Ruhr

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IEW
Institut für
Europäische Wirtschaft
Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum
Diskussionsbeiträge
Jens M. Heine und Florian-Helge Rabe
Zur Kreditvergabepolitik des IWF:
Eine institutionenökonomische
Bestandsaufnahme
47
Anschrift der Autoren:
Dr. Jens M. Heine
ZEB
Hammer Straße 165
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Bochum
2002
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Zur Kreditvergabepolitik des IWF –
eine institutionenökonomische
Bestandsaufnahme
von
Jens Michael Heine* und Florian-Helge Rabe**
*Ruhr-Universität Bochum,
**Rheinische Friedrich-Wilhelms Universität Bonn
Bochum, September 2002
1
1.
Einleitung
Im Zuge der Krisen in Mexiko, Südostasien, Brasilien und Russland in den 1990er Jahren stieg das
vom Internationalen Währungsfonds bereitgestellte Kreditvolumen sprunghaft an und führte zu einer
immer weiter wachsenden Bedeutung seiner Kreditvergabepolitik. Doch mit dem Ausbruch dieser
und weiterer Krisen – und nicht zuletzt durch die Lage Argentiniens seit August des Jahres 2001 –
geriet der IWF mit der von ihm verfolgten Politik zunehmend in den Mittelpunkt der öffentlichen Kritik1.
Wieso greifen also gerade in der jüngsten Vergangenheit einzelne Staaten vermehrt beziehungsweise in immer kürzeren Abständen auf die Finanzmittel des IWF zurück? Es gilt daher der Frage
nachzugehen, welchen Anreizen die beteiligten Parteien bei einer Kreditvergabe durch den Internationalen Währungsfonds unterworfen sind. Erste theoretische Erklärungsansätze hierzu finden sich
bereits in den 1970er Jahren2, doch liegt deren Untersuchungsschwerpunkt lediglich auf der Analyse
der Anreizwirkungen einer IWF-Kreditgewährung bei den kreditnehmenden Staaten. Doch der in
den vergangenen Jahrzehnten zu beobachtende Abbau von Kapitalverkehrsbeschränkungen sowie
die Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte hat die Bedeutung privater Kapitalströme anwachsen lassen, so dass nunmehr auch die Auswirkungen der Kreditvergabepolitik auf die privaten
Kapitalgeber einer ausführlicheren Analyse zugeführt werden müssen. Ziel dieses Beitrages ist es,
auf der Basis institutionenökonomischer Überlegungen die mit der Kreditvergabepolitik einhergehenden Incentives zu identifizieren und Korrekturen möglicher Fehlanreize zu diskutieren.
Dazu gliedert sich dieser Beitrag wie folgt: Nach einigen grundlegenden Bemerkungen sowohl zur
Kreditvergabepolitik des IWF im nächsten Gliederungspunkt (2.) als auch zum Phänomen opportunistischen Verhaltens (3.) werden im vierten Kapitel die mit einer Kreditvergabe durch den
Internationalen Währungsfonds einhergehenden Anreizwirkungen sowohl in den Kreditnehmerstaaten
als auch bei verschiedenen Kreditanbietern unter institutionenökonomischen Aspekten beleuchtet.
Danach (in 5.) werden verschiedene Korrekturansätze für diese identifizierten Anreizwirkungen der
bisherigen IWF-Kreditvergabepolitik diskutiert, um dann abschließend unter 6. die erzielten Erkenntnisse einer kritischen Würdigung zu unterziehen.
2.
Die Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds
Leitmotive für eine Kreditgewährung durch den IWF an seine Mitglieder sind neben der Eindämmung von Finanzkrisen und damit einhergehend einer Stabilisierung des internationalen
Währungssystems auch die Förderung von Liberalisierungsmaßnahmen und struktureller Reformen
insbesondere in den Finanzsektoren weniger entwickelter Mitgliedsländer3. Den Schwerpunkt der
Kreditvergabe bildet bei Auftreten von Krisensituationen in erster Linie die temporäre Finanzierung
schwerwiegender Zahlungsbilanzstörungen von Mitgliedsstaaten, die selbst nicht über ausreichende
1
2
3
Vgl. O.V. (2002a) sowie O.V. (2002b).
Vgl. VAUBEL (1983), S. 291.
Vgl. W ILLMS (1995), S. 261ff., sowie DEUTSCHE BUNDESBANK (1997b), S. 21ff.
2
Devisenbestände verfügen. Seit Mitte der 1990er Jahre werden zudem auch vermehrt mittelfristige
Strukturanpassungskredite an Entwicklungs- und Transformationsländer vergeben4.
Es erhebt sich an dieser Stelle die Frage, warum einzelne Volkswirtschaften in Krisenfällen auf die
Kredite des IWF zurückgreifen, anstatt sich die benötigten Finanzmittel auf den internationalen Kapitalmärkten zu verschaffen. Ein gewichtiges Argument für die Inanspruchnahme der IWF-Darlehen
(anstelle einer Marktlösung über die internationalen Finanzmärkte) kann in der Existenz von Kapitalmarktunvollkommenheiten gesehen werden. Hierbei wird insbesondere auf die asymmetrische
Informationsverteilung zwischen den jeweiligen Kreditgebern und einem kreditnehmenden Staat
über das mögliche Ausfallrisiko abgestellt. In Abhängigkeit von diesem vermuteten Ausfallrisiko kann
einzelnen (Entwicklungs- oder Transformations-) Ländern der Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten erschwert oder vollständig verwehrt sein. Indem nun der Währungsfonds nach
eingehenden Prüfungen gerade diesen Staaten Finanzhilfen gewährt, können asymmetrische Informationsverteilungen abgebaut und an den Märkten das Vertrauen hinsichtlich der Bonität der
Volkswirtschaften gestärkt werden – der Währungsfonds internalisiert demnach auf internationaler
Ebene die sich aus der Informationsasymmetrie ergebenden grenzüberschreitenden externen Effekte.
Vor diesem Hintergrund könnten zugesagte IWF-Kredite nicht nur den Zugang zu den Finanzmärkten der Welt eröffnen, sondern sogar in zweifacher Hinsicht eine Katalysatorfunktion einnehmen:
Zum einen könnten andere öffentliche Institutionen oder Volkswirtschaften dem Beispiel des IWF
folgen und ihrerseits auch Kredite bereitstellen, zum anderen ist zu erwarten, dass vermehrt private
Finanzmittel in Form von Portfolio- oder Direktinvestitionen in das Land fließen dürften.
Wie sehen nun die Kreditvergabemodalitäten des Internationalen Währungsfonds im Einzelnen
aus? Hierzu ist es sinnvoll, zwischen „unbedingt ” und „bedingt verfügbaren” Kreditmitteln zu differenzieren5, wobei letztere überwiegen. Im Gegensatz zu den unbedingten sind die bedingt
verfügbaren Darlehen in ihrer Laufzeit und ihrem Umfang begrenzt und zusätzlich an die Erfüllung bestimmter Auflagen (Konditionalität) gebunden. Bei der Konditionalität kann zwischen
Vorbedingungen und Erfüllungskriterien unterschieden werden, von deren Einhaltung prinzipiell die
gestaffelte Auszahlung des Kredites abhängig ist6. Die Bestimmung dieser Auflagen erfolgt diskretionär, d.h. von Fall zu Fall unterschiedlich, mit dem primären Ziel der Erlangung einer tragfähigen
Zahlungsbilanzposition des kreditnehmenden Staates, welche ihrerseits die Rückzahlung des Kredites
sicherstellen soll. Außerdem sollen über diese Konditionen internationale Standards zur langfristigen
Stabilisierung des nationalen Wirtschafts- und Finanzsystems durchgesetzt werden. Ein schwerwiegender Nachteil dieses diskretionären Verfahrens ist der erforderliche Zeitaufwand bis zur
Kreditgewährung; die benötigten Mittel stehen im Fall von Krisensituationen nicht zeitgleich zur Verfügung, sondern erst nach erreichter Übereinkunft über die jeweiligen Konditionen und über den
konkreten Umfang7.
4
5
6
7
Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (1997a).
Eine alternative Unterscheidungsmöglichkeit besteht in der Systematisierung in Reguläre Ziehungsmöglichkeiten und Sonderfazilitäten. Zur ersteren zählen die Reservetranche, eigene Kredite an den Fonds und die
Kredittranchen, zur letzteren die Erweiterte Fondsfazilität sowie die verschiedenen Strukturprogramme. Einige
neugeschaffene Kreditlinien passen aufgrund ihrer Besonderheiten allerdings nur eingeschränkt in dieses
Schema; siehe hierzu IMF (1999a), S. 51 sowie S. 99ff., sowie FISCHER (1999).
Vgl. SANDER (1990), S. 4.
Zur Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens existieren deshalb die Bereitschaftskreditvereinbarungen im Rahmen der regulären Kredittranchen und die Erweiterten Kreditvereinbarungen innerhalb der
3
Die Sanktionsmöglichkeiten des IWF bei Nichterfüllung der Konditionen oder Versäumnissen bei
der Rückzahlung unterliegen ebenfalls keinem Automatismus, sondern die notwendigen Konsequenzen werden analog für jeden Einzelfall festgelegt. Diese reichen theoretisch vom Entzug der
Berechtigung zur Inanspruchnahme von Krediten bis zum Ausschluss aus dem IWF. In der Praxis
beschränken sie sich aber fast ausschließlich auf öffentliche Mahnungen, die den privaten Finanzmärkten als Signal über die mangelnde Bonität des Kreditnehmers dienen.
In Anbetracht des in dieser Studie verfolgten Untersuchungsinteresses kommt insbesondere dem
vereinbarten Kreditzinssatz eine herausragende Bedeutung zu, da sich dieser nicht an der Kreditwürdigkeit beziehungsweise dem Ausfallrisiko der kreditnehmenden Staaten orientiert: Der Zinssatz
ist vielmehr ein „einheitlicher Zins in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes vom Sonderziehungsrechte-Zinssatz (...), der wöchentlich angepasst wird und somit mit den kurzfristigen Marktzinsen
schwankt8”. Da sich jedoch der Sonderziehungsrechte-Zinssatz an Schuldnern mit erstklassiger Bonität orientiert, die IWF-Kredite aber vorwiegend an Volkswirtschaften vergeben werden, die in
den internationalen Ratings schlecht eingestuft werden, liegt der zu zahlende Kreditzins in der Regel unterhalb der üblichen Marktzinsen. Als Rechtfertigung für diese Form von Zinssubventionen
dient die Verbindung der Kredite mit den spezifischen Konditionen, welche als „Substitut für Zinsanpassungen” betrachtet werden9. Mit jedem Spielraum bei der Einhaltung der Konditionen besteht
damit aber für die schwächer entwickelten Mitgliedsstaaten ein institutioneller Anreiz, verstärkt auf
IWF-Mittel zurückzugreifen, anstatt die Kredite an den privaten Kapitalmärkten zu deutlich höheren
Kosten aufzunehmen.
Die derart mit der Kreditvergabe des Währungsfonds verbundenen und unter dem Begriff des
Moral Hazard diskutierten Anreizwirkungen werden vielfach zum Anlass genommen, die Kreditvergabepolitik des IWF grundsätzlich in Frage zu stellen. Im nächsten Kapitel wird deshalb zunächst das
institutionenökonomische Phänomen des opportunistischen Verhaltens erörtert, ehe im vierten Kapitel die mit der IWF-Kreditvergabepolitik einhergehenden Anreizwirkungen gesondert für die
Kreditnehmer und die Kreditgeber problematisiert werden.
3.
Opportunistisches
Phänomen
Verhalten
als
institutionenökonomisches
„Ein Wesensmerkmal der Neuen Institutionenökonomik ist ihre Betonung der Kostspieligkeit von
Transaktionen10“. Die einzelnen, an diesen Transaktionen beteiligten Akteure besitzen den Grundannahmen der Neuen Institutionenökonomik zufolge (und damit im Gegensatz zur neoklassischen
Theorie) nur eine beschränkte Rationalität, und zeichnen sich durch ein opportunistisches (eigennutzorientiertes) Verhalten aus. Diesen Grund- beziehungsweise Verhaltensannahmen auf der einen
Seite stehen nun wiederum verschiedene Umweltzustände auf der anderen Seite, wie beispielsweise
Unsicherheit oder die Spezifität einer Transaktion, gegenüber.
8
9
10
Erweiterten Fondsfazilität. Aus diesen beiden Vereinbarungen wird der Großteil des Kreditbedarfs der Mitglieder in Krisenfällen gedeckt
Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (1997b), S. 36.
Vgl. DIEKMANN (1994), S. 165ff.
Vgl. RICHTER und FURUBOTN (1999), S. 45.
4
Gewährt der Internationale Währungsfonds einem seiner Mitgliedsstaaten unter Auflagen einen
Kredit, so handelt es sich nicht nur um eine allgemeine ökonomische Transaktion, sondern es wird
vielmehr ein vertragliches Schuldverhältnis (im institutionenökonomischen Sinne ein relatives Verfügungsrecht) zwischen dem IWF und einem Mitgliedsstaat begründet, bei dem Leistung und
Gegenleistung zeitlich nicht aufeinander fallen. In Verbindung mit einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen den beteiligten Vertragspartnern sowie der Notwendigkeit
transaktionsspezifischer Investitionen ergibt sich hieraus nunmehr der Spielraum für ein opportunistisches Verhalten, wobei vielfach zwischen einem opportunistischem Verhalten vor und nach
Vertragsabschluss unterschieden wird.
Besteht bereits vor dem Abschluss eines (Kredit-) Vertrages eine Informationsasymmetrie zugunsten eines Vertragspartners (hier: des Kreditnehmers), dann kann der andere Vertragspartner
(hier: der Kreditanbieter), sofern nur allgemeine Informationen vorliegen, die „wahre“ Qualität der
Transaktion nicht mehr beurteilen. Ein solches Szenario mündet dann in das Phänomen der Negativauslese (adverse Selektion11) ein. Lässt sich beispielsweise die Bonität eines Kreditnehmers (und
damit die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kredites) nicht eindeutig bestimmen, dann wird der Kreditgeber einer Darlehensvergabe nur unter Zahlung einer bestimmten Risikoprämie zustimmen.
Schuldner mit guter Bonität werden die Zahlung einer solchen Risikoprämie jedoch ablehnen und
folglich den Kreditvertrag nicht abschließen. Schuldner mit einer schlechten Bonität nutzen jedoch
die vorhandene Informationsasymmetrie zu ihren Gunsten aus und zahlen bereitwillig die geforderte
und gemessen an ihrer wahren Bonität relativ geringe Risikoprämie. Es kommt somit zu einem „negativen“ Ausleseprozess, bei dem die potentiellen Kreditnehmer mit guter Bonität nicht weiter am
Marktgeschehen teilnehmen.
Tritt die Informationsasymmetrie jedoch erst nach den Vertragsabschluss ein, spricht man gemeinhin von moralischem Risiko beziehungsweise Moral Hazard, wobei sich dieses verdeckte
nachvertragliche opportunistische Verhalten entweder in einer Zurückhaltung von Informationen
(Hidden Information) oder in der Zurückhaltung einer vertraglich versprochenen Leistung
(Hidden Action) niederschlagen kann. Hidden Information bezieht sich dabei auf diejenigen Fälle, in
denen exogene Charakteristika oder Informationen nur einer Vertragspartei bekannt sind – es liegt
ein Beschreibungsproblem bezüglich des wahren Zustandes vor. Hidden Action dagegen beschreibt
ein Unterscheidungsproblem zwischen einer nicht erbrachten, jedoch vertraglich versprochenen Leistung einerseits und einem exogenen Umweltfaktor andererseits, die sich jedoch beide negativ auf das
gesamte Leistungsergebnis auswirken können. Vor dem Hintergrund der Kreditvergabe beschreibt
Moral Hazard somit die Gefahr, dass Wirtschaftssubjekte riskantere Strategien verfolgen, Sorgfalt
vermissen lassen oder sich sogar illegal verhalten12, um dadurch ihre Verluste oder Kosten auf andere Akteure abzuwälzen.
Ein offenes nachvertragliches opportunistisches Verhalten zeigt sich ferner im Zusammenhang mit
der Notwendigkeit transaktionsspezifischer Investitionen: Wenn zur Erfüllung eines Vertrages
spezifische Investitionen getätigt werden müssen, dann erhält derjenige Vertragspartner, der diese
Investitionen nicht oder nur in einem geringeren Umfang tätigen musste, einen Anreiz, dem Vertragspartner die aus dieser Investition resultierende Quasirente ganz oder teilweise zu „rauben13“ – man
11
12
13
Vgl. A KERLOF (1970).
Vgl. GUTTENTAG (1983), S. 2.
Vgl. RICHTER und FURUBOTN (1999), S. 145.
5
spricht in diesem Zusammenhang von einer hold-up-Problematik. Gekennzeichnet ist dieser Prozess
dann durch Nachverhandlungen.
Sowohl durch Informationsasymmetrien als auch durch die Notwendigkeit transaktionsspezifischer Investitionen lassen sich Anreize für ein opportunistisches Verhalten zumindest einer
Vertragspartei erkennen. Ob die Kreditvergabepolitik des Internationalen Währungsfonds auch solche Anreize für ein opportunistisches Verhalten birgt, und welche Anreizwirkungen sich sowohl
innerhalb der Kreditnehmerstaaten als auch bei verschiedenen Kapitalanbietern identifizieren lassen,
ist Gegenstand des nächsten Kapitels.
4.
Anreizwirkungen der Kreditpolitik des IWF
4.1 Opportunistisches Verhalten auf Seiten der kreditnehmenden Staaten
Seit dem Ende der 1970er Jahre sind es fast ausschließlich souveräne Schwellen- und Entwicklungsländer, die sich durch die Vereinbarung eines Kredit- oder Strukturanpassungsprogramms mit dem
Internationalen Währungsfonds ihm gegenüber in die Position eines Nettoschuldners begeben haben.
Eine Ursache für die Konzentration der IWF-Darlehen auf eben diese Staaten könnte dabei in deren
eingeschränkter Fähigkeit liegen, in Krisenfällen Kapital an den internationalen Finanzmärkten zu
attrahieren. Oftmals bleibt daher nur der IWF mit seiner Funktion zur Eindämmung und Bewältigung
von Krisen als letzte kreditgebende supranationale und öffentliche Institution.
Welche Anreizwirkungen einer Kreditgewährung lassen sich nun in einem kreditnehmenden Staat
identifizieren? Angenommen, der IWF folge im Krisenfalle seiner institutionellen Verpflichtung zur
Stabilisierung des internationalen Währungssystems. Dann würde sich dies im Regelfall in der Gewährung eines in Umfang und Laufzeit vorgegebenen Kredites niederschlagen, der an bestimmte
nationale Auflagen und Reformmaßnahmen gekoppelt ist. Unter diesen Umständen könnte für die
politisch Verantwortlichen dieser Volkswirtschaft zwar zunächst der Anreiz bestehen, bis zur
Auszahlung der bewilligten Mittel die geforderten (unpopulären) Strukturreformen anfangs einzuleiten, jedoch nach Kreditauszahlung die Reformen zu verwerfen (hold-up-Problematik).
Sieht sich eine Regierung darüber hinaus mit der Entscheidung konfrontiert, beispielsweise zwischen einer weiteren Erhöhung der kurzfristigen Auslandsverbindlichkeiten zur Deckung von
Leistungsbilanzdefiziten oder der Implementierung restriktiver und möglicherweise unpopulärer Reformmaßnahmen wählen zu müssen, so kann sich die Gewährung von IWF-Krediten zur Begleichung
der neu aufgenommenen Auslandsschulden zu Lasten der zweiten Alternative auswirken – mit der
Konsequenz einer systematischen Verschleppung notwendiger Strukturreformen (offenes nachvertragliches opportunistisches Verhalten): Im Falle einer neuen (strukturbedingten) Krise müsste der
IWF zu deren Eindämmung erneut Finanzmittel nachschießen. Die Politiker des kreditnehmenden
Mitgliedsstaates könnten in einem solchen Szenario folglich von der Annahme ausgehen, dass zwischen ihnen und dem Internationalen Währungsfonds ein impliziter Kreditvertrag besteht, der den
Staat gegen die Folgen derartiger Krisen absichert14; dies entspräche annähernd den Eigenschaften
einer Versicherungspolice gegen die volkswirtschaftlichen Kosten einer zum Teil selbstverschuldeten Krise. In diesem Kontext besagt opportunistisches Verhalten indes nicht, dass eine auf die IWFUnterstützung vertrauende Regierung die Entstehung und den Ausbruch einer Krise direkt und nachhaltig anstrebt – eher könnte dies als implizite Nebenbedingung des Entscheidungskalküls
14
Vgl. BORDO und SCHWARTZ (1998), S. 45.
6
eigennutzorientierter Politiker dieses Landes in Erscheinung treten. Wenn folglich die Existenz subventionierter Darlehen des Währungsfonds einen signifikanten Einfluss auf die Einschätzung
beziehungsweise Abwägung der jeweiligen Kosten zweier von einer Regierung zu wählender
Alternativen haben kann, dann ist dies eine hinreichende Bedingung, um von einem durch den IWF
ausgelösten realen Anreizproblem sprechen zu können15.
Eine weitere negative Anreizwirkung der zinsgünstigen Kreditvergabe durch den Internationalen
Währungsfonds kann auch in der bewussten Zurückhaltung oder Fälschung der dem IWF in den
Konsultationen mit Regierungen zur Verfügung gestellten Informationen und Daten identifiziert
werden (vorvertragliches opportunistisches Verhalten). Die politisch Verantwortlichen könnten mit
der bewussten Falsch- oder Desinformation die Herbeiführung von Abschlüssen über zinsgünstige
Kredite ohne strikte Auflagen bezwecken, da somit den Entscheidungsträgern des IWF die Differenzierung zwischen vom Kreditnehmerstaat selbst verschuldeten Krisen einerseits oder exogen
bedingten Krisen andererseits erschwert werden würde. Ausgehend von der bereits diskutierten
Vermutung, dass die Währungsfondsdarlehen als Katalysator für weitere finanzielle Mittel dienen
könnten, ließe sich ein verstärkter Anreiz zur Desinformation seitens der potenziellen Kreditnehmer
vermuten16. Begünstigt wird dieses Verhalten durch eine oft nur unzureichende Datenbasis und statistische Erfassung von ökonomischen Vorgängen in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Die
Vorenthaltung „wahrer“ Informationen birgt zudem auch abseits anreiztheoretischer Aspekte eine
schwerwiegende Gefahr: Sie könnte letztendlich die Festlegung angemessener und effektiver Auflagen beeinträchtigen und unter Umständen auch zur Verhängung kontraproduktiver Kreditkonditionen
führen. Diese würden dann zu einer weiteren Destabilisierung des Wirtschaftssystems sowie zu einer
Verschärfung von Krisen beitragen17.
Ferner könnte von den politischen Entscheidungsträgern in den Kreditnehmerstaaten die IWFDarlehensvergabe zum Anlass genommen werden, in Krisensituationen mit Hilfe dieser Kredite verstärkt kurzfristig wirksame Bürgschaften und Garantien für die Auslandsverbindlichkeiten
heimischer Unternehmen und Banken abzugeben, anstatt einen Abfluss privaten ausländischen Kapitals und persönliche Reputationsverluste in Kauf zu nehmen18. Und sollte letztendlich der
kreditnehmende Staat vollends nicht mehr in der Lage sein, die übernommenen Verpflichtungen der
nationalen Unternehmen und Banken zu erfüllen, wird auf ein erneutes Eingreifen des Währungsfonds
vertraut, der dann wiederum die notwendigen Mittel zur Begleichung der ausländischen Forderungen
bereitstellen soll. Vor diesem Hintergrund unterstützt der Währungsfonds mit seiner Kreditvergabepolitik tendenziell solche eigennutzmaximierenden Politiker, die ihre intertemporalen Entscheidungen
auf der Basis eines relativ hohen Diskontierungsfaktors fällen: In diesem Sinne könnten von den nationalen Entscheidungsträgern in den kreditnehmenden Staaten wahrscheinliche und umfangreichere
zukünftige Krisen zur Vermeidung von mit Sicherheit auftretenden, aber in ihre Amtszeit fallenden
Krisen wohlweislich in Kauf genommen werden – was wiederum zu einer generellen Verschärfung
beitragen und in der Zukunft einen verstärkten Einsatz von IWF-Ressourcen erforderlich machen
würde.
Die Verluste der nationalen Banken und Unternehmen würden durch die steuer- oder schuldenfinanzierte Rückzahlung der IWF-Kredite „sozialisiert“, was zu einer Überwälzung der finanziellen
15
16
17
18
Vgl. M ELTZER (1998b).
Vgl. SIEBERT (1999).
Vgl. FELDSTEIN (1998) oder CALOMIRIS und M ELTZER (1999).
Vgl. CALOMIRIS (1998b), S. 272, zu den nachfolgenden Ausführungen.
7
Lasten auf die Gesamtbevölkerung des Kreditnehmerstaates führen würde – im Geleit der IWFKredite könnt es demnach auch zu einem Vermögenstransfer von „unten nach oben” kommen.
Darüber hinaus ließe sich von den jeweiligen Regierungen in diesen Fällen die Verantwortung für solche unpopuläre Maßnahmen wie beispielsweise Steuererhöhungen oder Subventionskürzungen auf
den Internationalen Währungsfonds überwälzen, ohne dabei die Aussicht auf die eigene Wiederwahl
zu gefährden.
Des weiteren kann für die Regierungen der kreditnehmenden Staaten – bedingt durch den Subventionscharakter der Währungsfonds-Kredite – der Anreiz bestehen, die Konditionalität des IWF
wegen ihrer Planbarkeit der im Vorfeld nicht prognostizierbaren und im Vergleich zumeist kostenintensiveren wettbewerblichen Marktlösung vorzuziehen. Damit unterliefe der Internationale
Währungsfonds seine eigene Katalysatorfunktion hinsichtlich der Kapitalmobilisierung anderer öffentlicher Institutionen, anderer (Industrie-) Staaten oder privater internationaler Kapitalgeber. Dieses
Argument hat aber nur dann Bestand, wenn von extrem kurzfristigen Perspektiven der nationalen
Entscheidungsträger ausgegangen wird.
Wurden bislang nur die Anreizwirkungen einer Kreditvergabe des IWF auf die Regierungen des
jeweiligen kreditnehmenden Staates betrachtet, so soll nachfolgend das Hauptaugenmerk auf denjenigen Anreizwirkungen liegen, welche sich bei den in diesem Land ansässigen nationalen
Unternehmen und Banken identifizieren lassen. Dazu wird erneut die bereits diskutierte staatliche
Garantieübernahme betrachtet: Werden die in einer Krise zugesagten IWF-Kredite beispielsweise
dazu benutzt, eine staatliche Garantie von Bankeinlagen zu gewährleisten (um einen „Run” auf die
Geschäftsbanken zu verhindern) oder die Auslandsverbindlichkeiten von Unternehmen zu übernehmen, dann bestünde für die jeweiligen Entscheidungsträger des privaten Sektors der nachhaltige
Anreiz, vermehrte unternehmerische Risiken in Kauf zu nehmen. Da sie mit einer (fast) vollständigen
Übernahme der eingegangenen Risiken durch ihre Regierungen rechnen könnten, wäre nicht mehr
gewährleistet, dass die ihnen von der Regierung zugesagten Mittel ausschließlich in die rentabelsten
Projekte investiert werden: Aufgrund der Bürgschaften liefen sie keine reale Gefahr, die Konsequenzen für fehlgeschlagene Investitionen tragen zu müssen. Folglich würde der Anreiz zur detaillierten
Überprüfung der Rentabilität sinken, und es fehlte somit an der sonst erforderlichen unternehmerischen Sorgfalt. Anstatt die Mittel zur direkten Begleichung eigener Verbindlichkeiten zu verwenden,
wäre sogar ein Einsatz in sehr spekulativen Investitionen denkbar, mit deren Hilfe auch in
Krisensituationen kurzfristige hohe Profite zur Sanierung des Unternehmens erhofft werden. Es lässt
sich damit auch auf Seiten der Unternehmen und Banken eines kreditnehmenden Landes ein
indirekter Versicherungseffekt der IWF-Darlehen konstatieren, der gegebenenfalls in eine ineffiziente Allokation der Ressourcen in den Kreditnehmerländern einmünden könnte. Von diesen
Anreizwirkungen besonders betroffen sind vor allem Unternehmen und Banken in Entwicklungsländern, die eng mit der öffentlichen Hand verbunden sind; oft auch bezeichnet als „Quasi-PublicBank”. Generell steht zu erwarten, dass der Ausprägungsgrad dieser Anreize für Unternehmen und
Banken eines kreditnehmenden Staates von den institutionellen Strukturen, wie beispielsweise den
gesetzlichen Rahmenbedingungen beim Wettbewerbsrecht, beim Insolvenzrecht oder bei der Einlagensicherungen der Banken, nachhaltig beeinflusst wird19.
Es erhebt sich abschließend die Frage, inwiefern die hier diskutierten Anreizwirkungen der Kreditvergabepolitik des IWF einer empirischen Überprüfung standhalten. Hierbei ist zu beachten, dass
19
Vgl. CALOMIRIS (1998a) oder FISCHER (1999).
8
Moral Hazard nur einen von mehreren denkbaren Einflussfaktoren darstellt, die bei der Beantragung
von IWF-Darlehen von herausragender Bedeutung sind. Es kann lediglich aus der Beobachtung vergangener Verhaltensweisen einzelner Akteure mittels Rückwärtsinduktion indirekt auf die Bedeutung
von Moral Hazard geschlossen werden. Aus diesem Grunde sind aussagefähige diesbezügliche Untersuchungen auch in ihrer Anzahl begrenzt20. Als Resultat der wenigen empirischen Arbeiten lässt
sich jedoch festhalten, dass Hinweise auf die empirische Relevanz von Moral Hazard seitens der
Kreditnehmerstaaten vorzuliegen scheinen, auch wenn diese weiterhin umstritten bleibt21.
4.2 Opportunistisches Verhalten auf Seiten der verschiedenen Kreditgeber
In den bisherigen Betrachtungen wurde stets unterstellt, dass in den Kreditnehmerstaaten des IWF
entweder die Regierungen auf der einen Seite oder die Unternehmen und Banken auf der anderen
Seite einem opportunistischem Verhalten erliegen könnten. Doch wie verhält es sich mit Anreizwirkungen auf Seiten der Kreditgeber? Um dieser Fragestellung auf den Grund gehen zu können, ist
eine differenzierte Betrachtung der Kreditanbieter erforderlich: Einerseits müssen in einem ersten
Schritt die innerhalb des Internationalen Währungsfonds auftretenden und sich auf die Kreditvergabe auswirkenden Anreizstrukturen analysiert werden, andererseits sind in einem zweiten Schritt die
auf international operierende private Kapitalgeber (insbesondere Geschäftsbanken sowie Investment- und Pensionsfonds22) wirkenden Anreize zu beleuchten.
Ausgehend von dem methodologischen Individualismus, einer der Grundannahmen der Institutionenökonomik, handelt es sich bei den Entscheidungen des Internationalen Währungsfonds nicht
um solche eines einzelnen Wirtschaftssubjektes. Vielmehr setzen sich diese Entscheidungen aus der
Summe individueller Einzelentscheidungen eigennutzorientierter und bestimmten Anreizen unterworfener Bürokraten zusammen. Versteht man den IWF ergänzend dazu als internationale
bürokratische Institution, dann kann außerdem auf die Erkenntnisse der Ökonomischen Bürokratietheorie für die Analyse der innerhalb des IWF zu vermutenden Anreizprobleme zurückgegriffen
werden. Als typische Merkmale von Bürokratien werden vielfach neben dem Bestreben, die eigene
Existenz zu rechtfertigen und langfristig zu sichern, auch die Erhöhung des eigenen Budgets (insbesondere beim IWF eine Erhöhung der Volumina zugesagter Kredite), die Bewahrung einflussreicher
Positionen der eigenen Mandatsträger sowie die Ausweitung des eigenen Einflussbereiches mit Hilfe
einer strukturellen Expansion (beispielsweise durch eine Ausweitung der Aufgabenbereiche) angeführt23 – dabei können die einzeln aufgeführten Merkmale ineinander greifen.
Diese hier beschriebenen Merkmale einer Bürokratie könnten sich auf die Vergabe von Darlehen
an Schwellen- und Entwicklungsländer in Krisenzeiten auswirken und dann ihrerseits ein bestimmtes
Verhalten innerhalb der Kreditnehmerstaaten oder bei den privaten Kreditanbietern induzieren – der
Internationale Währungsfonds scheint also ebenfalls einem systematischen Anreiz zu opportunistischen Verhaltensweisen zu unterliegen: Um beispielsweise die eigene Existenz zu rechtfertigen und
20
21
22
23
Vgl. VAUBEL (1983), BORDO und SCHWARTZ (1998), DE BONIS ET AL. (1999), NUNNENKAMP (1999b) oder
SIEBERT (1999).
Beispiele für die sehr gegensätzlichen Auffassungen bezüglich der empirischen Relevanz finden sich in
NUNNENKAMP (1999b) und M ELTZER ET AL . (2000).
Vgl. BIZ (1998), S. 186.
Vgl. VAUBEL (1983, 1990, 1991) sowie A POLTE (2001).
9
auch nachhaltig zu sichern, kann es für die Entscheidungsträger des IWF rational sein, eine Kreditgewährung stets gegenüber einer Ablehnung zu bevorzugen. Dies dürfte selbst dann der Fall sein,
wenn mit einem nachvertraglichen opportunistischem Verhalten (hold-up-Problem) seitens des kreditnehmenden Staates zu rechnen ist. Selbst bei einem relativ hohen Ausfallrisiko eines Kredites wäre
es aus Sicht des IWF rational, dieses Darlehen zuzusagen: Einerseits würde sich das gesamte Kreditvolumen und damit die „relative Bedeutung“ des Währungsfonds erhöhen, andererseits könnten
die einzelnen Entscheidungsträger nicht persönlich für ausgefallene Kredite haftbar gemacht werden
(Eingehen erhöhter Risiken und Kostenüberwälzung). Als ein Indiz für das Bestreben des Internationalen Währungsfonds nach einer Ausweitung der nachgefragten und gewährten Kreditvolumina und
damit ebenfalls einer Ausweitung seines Aufgabengebietes kann der Subventionscharakter der meisten Kreditprogramme des IWF angesehen werden, sofern man diese Zinssubvention als ein
bewusstes Instrument zur „künstlichen Steigerung der Nachfrage24” nach IWF-Krediten interpretiert.
Außerdem ist der IWF durch die im Vorfeld einer Kreditvergabe durchgeführten Konsultationen
in der Lage, sich einen Informationsvorsprung gegenüber der internationalen Öffentlichkeit zu
verschaffen, den er zur Untermauerung seiner Existenzberechtigung und zur Verfolgung der eigenen
Ziele ausnutzen könnte – es ist bekannt, dass ein Großteil der IWF-Publikationen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist und ihr somit Informationen vorenthalten werden. Wenn der Währungsfond
durch Ausnutzung des Informationsvorsprungs seine Zuständigkeiten und Verpflichtungen erweitert,
kann er letzteres zudem als ein Argument für eine Aufstockung der ihm zur Verfügung stehenden
Kredit- und Verwaltungsmittel anführen. Die Zuweisung einer höheren Finanzausstattung könnte
dann aber wiederum in eine Übertragung weiterer Aufgaben einmünden: Es käme zu einem Kreislauf
mit der Konsequenz einer stetigen Zunahme von Aufgaben und Ressourcen. Zumindest im Hinblick
auf die Finanzausstattung und die Höhe der dem IWF zur Verfügung stehenden Finanzmittel lässt
sich die langfristige Tendenz zur Ausweitung der Aufgabenbereiche und strukturellen Expansion tatsächlich empirisch verifizieren25. Eine weitergehende Analyse der internen Anreizprobleme erfordert
jedoch eine differenziertere Betrachtung der einzelnen Entscheidungsprozesse und der Hierarchieebenen innerhalb des IWF, da die unterschiedlichen externen und internen eigennutzorientierten
Entscheidungsträger durchaus gegensätzliche Interessen verfolgen können26 – diese soll in Anbetracht
des Untersuchungsschwerpunktes der vorliegenden Arbeit jedoch nicht weiter erfolgen.
Welchen Anreizwirkungen sind nun die internationalen Kapitalanbieter angesichts der Kreditvergabepolitik des IWF unterworfen? In der Literatur wird vielfach die Auffassung vertreten, dass
die erhöhte Mobilität des privaten Kapitals (insbesondere in der Form kurzfristiger Kredite) ein
wesentlicher Faktor für das gestiegene Ausmaß der Krisensituationen in den 90er Jahren sei27. Insofern käme dem Einfluss, den eine IWF-Kreditvergabe auf ein mögliches opportunistisches Verhalten
der international operierenden privaten Kapitalanbieter ausübt, eine herausragende Bedeutung im
Rahmen der Moral-Hazard-Diskussion zu28. Im Wesentlichen lassen sich die auf den privaten Sektor
wirkenden Anreize in drei gewichtige Ausprägungsformen unterteilen: Dazu zählen neben der Bereitschaft, erhöhte Risiken bei Investitionsentscheidungen in Kauf zu nehmen, sowohl die Tendenz zu
Trittbrettfahrerverhalten als auch die Bereitschaft, gegen die Fähigkeit des Währungsfonds zur
Krisenbewältigung zu spekulieren.
24
25
26
27
28
Vgl. VAUBEL (1983), S. 292.
Vgl. A POLTE (2001).
Vgl. VAUBEL (1994).
Vgl. HUFFSCHMID (1999).
Vgl. FELDSTEIN (1998), KRUEGER (1998) oder SIEBERT (1998).
10
Die Risiken, welche private Kapitalgeber eingehen können, lassen sich ihrerseits in Kreditausfallrisiken, Währungsrisiken und unternehmerische Risiken differenzieren, wobei die beiden
erstgenannten bei Portfolioinvestitionen auftreten und alle drei genannten Risikogruppen auch bei
Direktinvestitionen anzutreffen sind. Bei einer Krise werden diese beiden Investitionsarten und damit ihre jeweiligen Kapitalanbieter zumeist unterschiedlich betroffen: Während diejenigen
Kapitalgeber, welche Direktinvestitionen getätigt haben, die mit einer Krise einhergehenden Verluste
aus reduzierten Unternehmenswerten oder Abwertungen überwiegend selbst zu tragen haben (lediglich über Wertberichtigungen in den Bilanzen lassen sich Verluste teilweise überwälzen), werden
Portfolioinvestitionen von einer Krise unter bestimmten Umständen nur begrenzt in Mitleidenschaft
gezogen:
Sollte der Internationale Währungsfonds im Krisenfall Schwellen- und Entwicklungsländern Kredite zur Abwendung oder Eindämmung der Krise gewähren, und würden diese Finanzmittel zur
Übernahme beziehungsweise Begleichung von Auslandsschulden des Staates oder Verbindlichkeiten
illiquider und teilweise auch insolventer einheimischer Unternehmen oder Banken gegenüber internationalen Kapitalgebern verwendet werden (dieser Vorgang wird als „Bail-out” bezeichnet), dann
würde das Kreditausfallrisiko der privaten Kapitalgeber gegen Null tendieren. Berücksichtigt man
ferner, dass Kredite zumeist in handelbaren Devisen ausgewiesen werden, so müssten die Kreditgeber das Währungsrisiko ebenfalls nicht tragen. Die Selbstregulierungskräfte der privaten
Finanzmärkte würden dahingehend unterlaufen, dass beispielsweise Kredite an Schwellen- und Entwicklungsländer, beziehungsweise dort ansässige Unternehmen oder Banken, zu Marktkonditionen
und damit unter Einbeziehung einer hohen Risikoprämie gewährt werden, ohne dass ein tatsächliches
Ausfallrisiko bestünde, weil eine Intervention durch den IWF im Krisenfall ehedem zu erwarten wäre. Auf der Basis rationaler Erwartungen wären in diesen Fällen die erwarteten Verluste im Vergleich
zu den möglichen Profiten minimal, so dass normalerweise als „riskant“ zu bezeichnende Investitionsstrategien in diesem Kontext ohne reale Verlustgefahr verfolgt werden dürften. Die Kapitalgeber von
Portfolioinvestitionen hätten also weder ein Kreditausfall-, noch ein Währungs(abwertungs)risiko zu
befürchten, so dass ihrerseits kostenintensive Maßnahmen zur Absicherung dieser Risiken, z.B.
durch Hedging, gar nicht erst ergriffen werden müssten. Somit bestünde für sie kein ausreichender
Anreiz, ihr Engagement in solchen Krisenregionen einzuschränken, da sie die Kosten ihrer risikobehafteten Strategie auf andere Institutionen oder Marktteilnehmer überwälzen könnten.
Die Einschätzung der Privaten hinsichtlich der Eingriffswahrscheinlichkeit des Internationalen
Währungsfonds kann zudem von der relativen weltwirtschaftlichen Bedeutung der von den Krisen
betroffenen Volkswirtschaften beeinflusst werden. Je bedeutender ein Staat, desto eher wird mit einem Einschreiten des IWF gerechnet, da Gefahren für die Stabilität des globalen Finanzsystems
bestehen könnten und der Währungsfonds eine potentielle Ausbreitung der Krise auf weitere Staaten
zu verhindern sucht. Diese Erwartungshaltung der privaten Kapitalgeber wird auch unter dem Ausdruck „too big to fail” prägnant zusammengefasst29.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Erwartung eines „Bail-outs” die Anreize zur Risikoabwägung, -absicherung und -kontrolle tendenziell reduziert, und sich die Annahme einer sehr
hohen Eingriffswahrscheinlichkeit in diesem Zusammenhang sogar noch anreizverstärkend auswirken
29
Vgl. M ELT ZER (1998b), CALOMIRIS (1998a) oder GARTEN (1999). Die Praxis der letzten Jahre zeigt, dass tatsächlich die umfangreichsten Kreditprogramme für insgesamt sechs Staaten aufgelegt wurden, die zu den acht
Schwellenländern mit den höchsten ausstehenden Bankverbindlichkeiten zählen; siehe hierzu auch
NUNNENKAMP (1999b), S. 4ff.
11
könnte. Dadurch würde der Reformdruck, der auf den Schwellen- und Entwicklungsländern lastet
und ansonsten von den Kapitalmärkten ausgeübt wird, abgeschwächt, und das Resultat wäre eine
aus der Perspektive des Währungsfonds paradoxe Situation: Die durch die Konditionalität vom IWF
angestrebten Liberalisierungsmaßnahmen und strukturellen Reformen in den kreditnehmenden Staaten würden durch das hier hergeleitete opportunistische und „risikofreudige“ Verhalten der privater
Kapitalanbieter konterkariert werden.
Als eine zweite Ausprägungsform opportunistischen Verhaltens der internationalen Kapitalgeber
wurde das Trittbrettfahrerverhalten genannt. Bekanntlich tritt ein solches Verhalten im Zusammenhang mit öffentlichen Gütern auf – diese sind gekennzeichnet durch die Nichtausschließbarkeit von
der Nutzung und die Nichtrivalität im Konsum. Als ein solches (öffentliches) Gut können nun die
vom Internationalen Währungsfonds veröffentlichten makroökonomischen Informationen über die
Mitgliedsstaaten identifiziert werden. Da die Publikationen des IWF (fast) kostenlos und unbeschränkt zugänglich sind, besteht für die privaten Kreditgeber der Anreiz, dem IWF die
kostenverursachende Beschaffung, Aufbereitung und Standardisierung sowie die Analyse dieser
volkswirtschaftlichen Daten zu überlassen; in Verbindung mit einem Mangel an alternativen Informationsquellen zu denen der betrachteten Schwellen- und Entwicklungsländer erhöht sich somit auch die
Gefahr der politischen Instrumentalisierung von Daten durch den Internationalen Währungsfonds beziehungsweise dessen Mitarbeiter. Als bedeutend problematischer ist in diesem Zusammenhang
jedoch die Tatsache zu sehen, dass sich hier ein weiterer Anreiz für die internationalen Kapitalanbieter ergibt, ihre über die jeweiligen Kapitalmärkte ausgeübte Kontrollfunktion zu vernachlässigen, da
die eigene Informationsbeschaffung mit weitaus höheren Kosten verbunden wäre.
Ein weiterer Anreiz zum free-riding kann im Zuge der vom Internationalen Währungsfonds initiierten Umschuldungen von Auslandsverbindlichkeiten der Schwellen- und Entwicklungsländer
entstehen. Solange der IWF direkt oder indirekt die Befriedigung der vor dem Eintritt einer Krise
bestehenden Forderungen privater Kapitalanbieter garantiert, besteht für diese kein Anlass, sich an
Umschuldungsinitiativen zu beteiligen oder die beispielsweise durch die zeitliche Verzögerung der
Rückzahlung verbundenen Kosten in Kauf zu nehmen. Vielmehr unterliegen sie einem Anreiz, die
Umschuldung anderen Kapitalgebern (insbesondere dem Währungsfonds, anderen internationalen
Institutionen oder einzelnen kreditgebenden Volkswirtschaften) zu überlassen, um dann unmittelbar
von der Bewältigung der Krise zu profitieren, indem sie ihre Forderungen ohne Wertberichtigungen
eintreiben30.
Als eine dritte Ausprägungsform opportunistischen Verhaltens lässt sich die Bereitschaft der internationalen Kapitalanbieter zu Spekulationen gegen den IWF anführen. Ein solcher Anreiz zur
Spekulation entstünde, falls der IWF auf der einen Seite von einer Ausweitung der ihm zufließenden
Finanzmittel Abstand nähme, ohne gleichzeitig auf der anderen Seite sein Aufgabenspektrum – insbesondere die Kriseneindämmung und Krisenbewältigung – einzuschränken. Würde beispielsweise der
Währungsfonds im Falle einer Währungskrise die Stabilisierung der Wechselkurse anstreben, dann
gäbe es angesichts der ihm nur begrenzt zur Verfügung stehenden Finanzmittel für private Finanzmarktteilnehmer den Anreiz, gegen die uneingeschränkte Fähigkeit des IWF zu spekulieren, genau
diese Wechselkursstabilisierung mit allen Mitteln auch tatsächlich durchsetzen zu können. Da die Höhe der dem IWF zur Verfügung stehenden Ressourcen allgemein bekannt ist, ließe sich somit von
den Kapitalgebern der Zeitpunkt antizipieren, zu dem diese Finanzmittel verbraucht sein dürften. Um
30
Vgl. DE BONIS (1999), S. 80.
12
einem solchen Szenario entgegenzuwirken, ist es von Seiten des Währungsfonds sowohl in dieser
Hinsicht als auch in Verbindung mit der eingangs thematisierten Ökonomischen Bürokratietheorie
rational, die ihm von den Mitgliedsstaaten zugewiesenen Finanzmittel stetig aufzustocken. Jedoch signalisiert eine stete Aufstockung der IWF-Ressourcen den privaten Märkten wiederum, dass auch in
Zukunft mit weiteren „Bail-outs” zu rechnen ist31. Die logische Konsequenz wäre eine Manifestation
der Fehlanreize, durch die zwangsläufig die nächsten Krisen begründet werden.
Der empirische Nachweis eines signifikanten Einflusses von IWF-Kreditvergaben auf das Verhalten der internationalen Kapitalanbieter ist indes mit den gleichen grundsätzlichen Problemen
behaftet wie die Untersuchung hinsichtlich der Anreizwirkungen in den Kreditnehmerstaaten. Erschwert wird eine Analyse zudem durch die Tatsache, dass der hier thematisierte Aspekt eines
opportunistischen Verhaltens erst verstärkt in der Mitte der 1990er Jahre in den Blickpunkt der Diskussion geraten ist – auch deshalb ist die Anzahl empirischer Studien zu diesem Problem ebenfalls
noch gering32.
Ausgehend von den obigen Überlegungen müssten diejenigen Schwellen- und Entwicklungsländer, die verstärkt IWF-Kredite in Anspruch genommen haben, auch einen langfristigen Anstieg des
privaten Nettokapitalzuflusses zu verzeichnen haben. Eine positive Korrelation zwischen diesen beiden volkswirtschaftlichen Größen scheint auch tatsächlich gegeben zu sein. Es ist allerdings nicht
möglich, hierbei eindeutig zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden: Einerseits können die erhöhten Kapitalströme Anlass für ebenfalls höhere Kreditbeträge des Währungsfonds sein,
andererseits lösen eventuell erst die hohen IWF-Zuwendungen das Anwachsen der privaten Mittel
aus. Sehr wahrscheinlich scheint in dieser Hinsicht eher eine Interdependenz beider Aktionen zu sein,
so dass eine Betrachtung der gesamten privaten Kapitalströme dementsprechend keinen Aufschluss
über die Relevanz von Moral Hazard geben kann. Ferner sollte in Anlehnung an die „too-big-tofail“-Problematik eine positive Korrelation zwischen IWF-Kreditvergaben und der Höhe der Forderungen der privaten Kapitalgeber gegenüber den Mitgliedsstaaten feststellbar sein. Fasst man
abschließend die Erkenntnisse der wenigen vorhandenen Studien zusammen, dann lässt sich derzeit
eine empirische Evidenz von Moral Hazard bei den international operierenden Kapitalanbietern insgesamt nur schwach bestätigen. Allerdings sind auch zu diesem Aspekt in der aktuellen Diskussion
sehr gegensätzliche Positionen vertreten.
5.
Korrekturansätze für die identifizierten Fehlanreize
5.1 Einbindung der kreditnehmenden Staaten
Einen möglichen Ansatzpunkt für die Korrektur der zuvor identifizierten Fehlanreize stellt wohl die
Begrenzung des nachvertraglichen opportunistischen Verhaltens der kreditnehmenden Staaten dar.
Um diesen Fehlanreizen begegnen zu können scheint es geboten, IWF-Kredite im Vergleich zu
Marktlösungen grundsätzlich unattraktiver zu gestalten. Da die bereits existierende Verbindung von
Krediten und Konditionalität ein solches Verhalten scheinbar nicht unterbindet, scheint die Herabsetzung der Attraktivität von IWF-Krediten die einzige Möglichkeit zu sein, den Kreislauf von
31
32
Vgl. SIEBERT (1999), S. 5ff.
Vgl. M ELTZER (1998b), DE BONIS ET AL. (1999), S. 80, EICHENGREEN (1999), S. 17, oder NUNNENKAMP
(1999b), S. 11.
13
opportunistischen Anreizen und Kreditvergaben zu unterbrechen. Zur theoretischen Untermauerung
dieser Forderung dienen zumeist Arbeiten, die sich mit der Rolle eines nationalen Lender of Last
Resort auseinander setzen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf den Internationalen Währungsfonds und dessen Kreditvergabepolitik übertragen – diese sollen im nächten Abschnitt
diskutiert werden.
5.1.1 Die Rolle des IWF als internationaler Quasi Lender of Last Resort
Der Rückgriff auf Erklärungsansätze, die das Verhältnis einer nationalen Zentralbank als Lender of
Last Resort zu den nationalen Geschäftsbanken beleuchten33, zur Lösung von Anreizproblemen bei
der Kreditvergabepolitik des IWF liegt in der möglichen Analogie zu den Aufgaben des Internationalen Währungsfonds im internationalen Kontext begründet. Hierbei bestehen insbesondere
Gemeinsamkeiten in den allgemeinen Zielen Stabilisierung des Finanzsystems und Verhinderung
einer Ausbreitung von [Finanz]Krisen34.
Im nationalen Kontext stellt der Lender of Last Resort denjenigen Banken liquide Mittel zur Verfügung, die beispielsweise aufgrund eines massiven Abzugs von Einlagen oder eines Ausfalls von
Krediten kurzfristig illiquide geworden sind. Die Unterstützung sollte sich dabei auf Fälle von Illiquidität (nicht Insolvenz) beschränken, um eine Ausbreitung von Krisen zu verhindern, ohne dabei die
Mechanismen zur Selbstkontrolle der Märkte zu unterlaufen. Da eine eindeutige Unterscheidung zwischen Illiquidität und Insolvenz bei Vorliegen einer asymmetrischen Informationsverteilung allerdings
nur schwer bis überhaupt nicht möglich ist, werden insbesondere insolvente Marktteilnehmer bestrebt sein, Krisen als Fälle von Illiquidität darzustellen, um ein Eingreifen des Lenders of Last Resort
auszulösen und um gegen Verluste partiell abgesichert zu werden35. Eben diesem Problem der Desinformation oder Manipulation von Daten sieht sich auch der IWF in seinen Verhandlungen mit
Mitgliedstaaten gegenüber.
Durch den Informationsvorsprung der Marktakteure gegenüber der Zentralbank und durch den
bereits angesprochenen Versicherungseffekt ergeben sich auch im nationalen Rahmen weitere Anreizprobleme: Die betroffenen Banken könnten die bestehende asymmetrische Informationsverteilung
bezüglich ihrer Risikopositionen ausnutzen, indem sie ex-ante riskantere Portfolios wählen, und die
Bankkunden kämen ihren kostenintensiven Informationsaktivitäten und Sorgfaltspflichten nicht mehr
ausreichend nach36. Diese Szenario lässt sich ebenfalls auf die Situation des Internationalen Währungsfonds im internationalen Kontext übertragen, wenn man die nationalen Banken durch die
kreditnehmenden Mitgliedsstaaten und die Bankkunden durch die internationalen privaten Kapitalgeber ersetzt.
Ein grundlegender Unterschied liegt hingegen in der Tatsache, dass der IWF nicht an Banken oder Unternehmen, sondern an souveräne Staaten Liquiditätshilfen beziehungsweise Kredite vergibt.
Und während insolvente private Institutionen entweder liquidiert werden oder fusionieren, bleiben
33
34
35
36
Vgl. THIEL (1995) zu den Grundzügen eines nationalen Lenders of Last Resort.
Vgl. W ALLICH (1982), S. 175. Zu der weitergehenden Frage, ob ein internationaler Lender of Last Resort überhaupt benötigt wird und ob der IWF grundsätzlich befähigt ist, genau diese Funktion auszuüben, siehe
CALOMIRIS und M ELTZER (1999), FISCHER (1999) oder GIANNINI (1999).
Vgl. CLAASSEN (1985), S. 235.
Vgl. THIEL (1995), S. 3.
14
Staaten auch bei permanenter Insolvenz bestehen. Die Insolvenz von Nationalstaaten lässt sich
theoretisch mittels des „übertragbaren Nettoaußenvermögens37“ bestimmen und liegt vor, wenn dieses negative Werte annimmt. Die Anwendbarkeit dieser Definition ist jedoch begrenzt: Es handelt
sich bei Staaten langfristig eher um Fälle der Nichtbereitschaft anstelle von Unfähigkeit zur Zahlung,
da Staaten in der Regel auf dauerhafte Ressourcen (Bodenschätze oder Steuereinnahmen) zurückgreifen können. Ferner ergeben sich Differenzen zwischen nationaler und internationaler Ebene in
Bezug auf die institutionelle Autonomie. Während die meisten Zentralbanken der Industrienationen
weitgehend politisch unabhängig sind, ist der IWF aufgrund seiner Organisationsform und Entscheidungsgremien zahlreichen politischen Einflüssen unterworfen38. Damit kommt gerade im
internationalen Rahmen den „too big to fail“-Überlegungen ein stärkeres Gewicht zu, welches von
den privaten Marktakteuren antizipiert wird und auf diesem Weg zu opportunistischem Verhalten
führen kann.
Schließlich bestehen Differenzen hinsichtlich der Fähigkeit, in Krisensituationen kurzfristig tätig zu
werden. Nationale Lender of Last Resort können jederzeit kurzfristig Mittel bereitstellen, während
der IWF erst Vereinbarungen mit den Kreditempfängern über die Kreditbeträge und Konditionen treffen muss39. Die Dauer solcher Verhandlungen kann es den privaten Märkten ermöglichen,
ihre Mittel aus den Krisenländern abzuziehen, somit Verluste weitgehend zu vermeiden und sich folglich nicht an den Anpassungskosten von Krisen zu beteiligen. Damit in Verbindung steht die derzeit
fehlende Möglichkeit des Internationalen Währungsfonds zur direkten Sanktionierung der privaten
Kapitalgeber; der IWF ist nämlich auf die Kooperation der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung nationaler Insolvenzstandards und der Bankenregulierungen angewiesen40. Im internationalen Kontext
sollte sich der IWF daher zunächst auf das von ihm direkt beeinflussbare Verhalten der Mitgliedsstaaten und die Lösung dieses Moral-Hazard-Problems konzentrieren und ihnen Anreize vermitteln,
ihrerseits Anstrengungen zur Einbindung der Privaten zu unternehmen.
Trotz einiger Unterschiede besteht indes aus anreiztheoretischer Sicht ein berechtigter Anlass, die
im nationalen Kontext bereits gewonnenen theoretischen und praktischen Erkenntnisse auch auf internationaler Ebene anzuwenden. Das grundsätzliche Dilemma einer effektiven Krisenbewältigung
einerseits und Anreizproblemen andererseits wird im nationalen Rahmen durch die Anwendung der
auf BAGEHOT zurückgehenden Prinzipien weitgehend gelöst: Ein Lender of Last Resort sollte kurzfristig, freizügig, zu Strafzinsen und gegen Hinterlegung von Sicherheiten den betroffenen
Banken Finanzmittel leihen41. Allein schon durch diese (altbekannten und) auf den Überlegungen eines Lender of Last Resort basierenden Maßnahmen könnte die Attraktivität der IWF-Kredite im
Vergleich zu Marktlösungen abgesenkt werden.
5.1.2 Kreditvergabe zu Strafzinsen
Von den klassischen Bedingungen für Interventionen könnten insbesondere die Forderung nach Vergabe von Krediten zu Strafzinsen und zur Stellung von Nebensicherheiten entscheidend zur
37
38
39
40
41
Vgl. CLAASSEN (1985), S. 228.
Vgl. GIANNINI (1999).
Vgl. W ALLICH (1982), S. 175f.
Vgl. GIANNINI (1999), S. 25.
Vgl. BORDO (1990), S. 19f., sowie CALOMIRIS und M ELTZER (1999), S. 6.
15
Begrenzung von Moral-Hazard beitragen42: Ein Strafzins dürfte mittels der somit höheren direkten
Kreditkosten die relative Attraktivität von IWF-Krediten nachhaltig reduzieren. Die Höhe des Zinssatzes sollte sich dabei nach den Marktzinsen vor Ausbruch der Krise beziehungsweise zu Beginn
der Verhandlungen zwischen IWF und Kreditempfängern richten und einige Prozentpunkte darüber
liegen43. Damit entfiele sowohl der Subventionscharakter als auch der Versicherungseffekt der
IWF-Kredite gegenüber den auf die kreditnehmenden Staaten entfallenden Anpassungskosten
selbstverschuldeter oder durch Fehlverhalten begünstigter Krisen. Aus der Perspektive nationaler
Entscheidungsträger würde dann eine Inanspruchnahme von IWF-Krediten lediglich noch als letzte
Option bei Scheitern aller Alternativen in Betracht gezogen.
Ein erhebliche Verteuerung von IWF-Krediten gäbe darüber hinaus Anlass, im Krisenfall auch
auf Initiative des kreditnehmenden Staates hin stets eine partielle Beteiligung privater Kapitalgeber
anzustreben und so das Volumen der vom Internationalen Währungsfonds benötigten Mittel a priori
zu reduzieren. Gleichzeitig könnten durch Beseitigung des Subventionscharakters schon die Anreize
zur Krisenprävention und Einführung effektiver nationaler Finanzstrukturen gestärkt werden – auch
ohne vom IWF direkt auferlegt worden zu sein.
5.1.3 Hinterlegung von Sicherheiten
Durch die Stellung von Nebensicherheiten (beispielsweise in Form von Optionen auf zukünftige Erlöse aus Rohstoffverkäufen, Goldreserven oder ausländischen Anleihen) könnte das offene
nachvertragliche opportunistische Verhalten weitestgehend beseitigt werden: Die Sicherheiten würden bis zur Rückzahlung des Kreditvolumens einbehalten und so gleichzeitig als Pfand für die
vollständige Umsetzung vereinbarter Konditionen dienen.
In zweiter Linie dient die Forderung nach Nebensicherheiten auch der Unterscheidung zwischen
insolventen und illiquiden potentiellen Kreditnehmern44 und zugleich als Anreiz zur Vermeidung
einseitiger Repudiation bezüglich der vom IWF ausgezahlten Mittel. Auf diesem Weg soll
gewährleistet werden, dass es sich in Krisenfällen tatsächlich nur um Liquiditätsprobleme handelt und
nicht „insolvente“ Staaten unterstützt werden. In Einzelfällen können allerdings auch insolvente
Marktakteure noch teilweise über hinterlegbare Sicherheiten verfügen. Eine eindeutige Abgrenzung
kann deshalb nur erreicht werden, wenn die Höhe der zu hinterlegenden Sicherheiten dem
Kreditvolumen entspricht oder dieses sogar noch übertrifft. Analog zu der Höhe der Kreditzinsen
sollte für diese Sicherheiten der entsprechende Wert vor Ausbruch der Krise zugrunde gelegt
werden. Damit entfiele auch der Versicherungseffekt von IWF-Krediten gegenüber den auf die
kreditnehmenden Staaten entfallenden Lasten. Dies würde ebenfalls dazu beitragen, den Anreiz zur
Umsetzung nationaler Finanzmarktreformen beträchtlich zu steigern.
Ein weiterer Vorteil dieser Maßnahme wäre, dass gefährdete Staaten einen zusätzlichen Anreiz
hätten, frühzeitig, d.h. bevor die eigenen als Sicherheiten verwendbaren Mittel erschöpft wären, den
Internationalen Währungsfonds hinzuziehen45. Gleichzeitig würde den Mitgliedsstaaten ein Anreiz zur
Vermeidung übermäßiger Portfoliorisiken vermittelt, wenn die von ihnen gehaltenen risikoreichen Ti42
43
44
45
Vgl. CALOMIRIS (1999) oder FISCHER (1999).
Vgl CALOMIRIS (1998a).
Vgl. CALOMIRIS und M ELTZER (1999), S. 6f.
Vgl. SIEBERT (1999), S. 10.
16
tel im Krisenfall nicht als Sicherheiten anerkannt werden46. Zu beachten ist, dass parallel hierzu Anstrengungen zur Einbeziehung des Privaten Sektors unternommen werden müssten, um mit einer
frühzeitigen Einbindung des IWF kein Signal zur Kapitalflucht zu geben. Ein Nachteil bei der Hinterlegung von Sicherheiten könnte sich jedoch ergeben, wenn diese nur dem Internationalen
Währungsfonds und nicht anteilig auch anderen privaten oder öffentlichen Gläubigern zuständen.
Damit würde die Rolle des IWF als bevorrechtigter Gläubiger verstärkt und das Kreditausfallrisiko
ausschließlich auf die anderen Marktakteure verlagert, wodurch wiederum Aspekte eines internen
Moral-Hazard im Internationalen Währungsfonds begünstigt würden47.
Die Kreditvergabe zu Strafzinsen sowie die Hinterlegung von Sicherheiten beziehen sich jedoch
lediglich auf die Ausgestaltung der Kreditvergabebedingungen – es soll jedoch auch die Möglichkeit einer strengeren Auswahl der kreditnehmenden Staaten überprüft werden.
5.1.4 Einführung strenger Mitgliedschaftskriterien im IWF
Der Reformvorschlag einer Verschärfung der Mitgliedschaftskriterien im IWF dürfte indes bei der
Umsetzung mit umfangreicheren (politischen) Schwierigkeiten konfrontiert sein. Der Ansatz bezieht
sich auf die Beschränkung von IWF-Kreditvergaben auf Staaten, die bestimmte strenge Mitgliedschaftskriterien erfüllen. Durch die ex-ante Qualifizierung über strengere Kriterien sollen die
Staaten zur Implementierung von Maßnahmen zur Krisenprävention und zur Begrenzung eines
opportunistischen Verhaltens im privaten Sektor angeregt werden48. Zu den konkreten Kriterien
zählen beispielsweise die Einführung von internationalen Standards im Hinblick auf die
Mindestreservehaltung der privaten Banken, die Öffnung der nationalen Finanzmärkte für
ausländische Institutionen zur Stärkung des Wettbewerbs und zur Diversifikation sowie die
Umsetzung der BAGEHOT-Prinzipien auch im nationalen Rahmen49. Durch die Einführung dieser
Maßnahmen könnten die Fehlanreize eingeschränkt werden, und die Gefahr von Krisensituationen
nähme ab. Ein positiver Effekt dieses Ansatzes besteht ferner darin, dass diese Kriterien als Substitut
für die bisherige Konditionalität dienen könnten. Damit wäre in Krisensituationen ein Verzicht auf
zeitaufwendige Verhandlungen möglich, und es könnte ohne Verzögerung Liquidität durch den Internationalen Währungsfonds bereitgestellt werden. Außerdem sänken durch die ex-ante Bestimmung
der Kriterien die Möglichkeiten externer politischer Einflussnahme auf die Entscheidungen des IWF.
Als Problem könnte sich jedoch eine mögliche Verzögerung der Umsetzung nationaler Strukturreformen in einigen Staaten erweisen, stießen unpopuläre Maßnahmen auf erheblichen politischen
Widerstand. Jene Staaten könnten auf diesem Weg von der IWF-Unterstützung gänzlich ausgeschlossen werden. Da aber insbesondere die „too big to fail“-Überlegungen in Bezug auf die
Gefährdung der Stabilität des internationalen Finanzsystems durchaus als rational angesehen werden
müssen, wäre die Beschränkung der Kreditvergabe auf die qualifizierten Mitgliedsstaaten im Hinblick
auf die Aufgabenstellung des IWF suboptimal. Zu lösen wäre dieses Dilemma, indem anstelle eines
Ausschlusses von IWF-Krediten nur die Höhe der zu zahlenden Kreditzinsen in Abhängigkeit vom
Grad der Umsetzung der Kriterien variierten50. Diejenigen Staaten, die Rückstände bei der Erfüllung
46
47
48
49
50
Vgl. FISCHER (1999).
Vgl. GUTTENTAG (1983).
Vgl. CALOMIRIS (1998a).
Vgl. CALOMIRIS (1999).
Vgl. SIEBERT (1999).
17
der Kriterien aufwiesen, hätten demnach für IWF-Kredite höhere Zinssätze zu zahlen. Dies gäbe den
nötigen direkten Anreiz zur konsequenten Einführung und Einhaltung der vom Internationalen Währungsfonds vorgegebenen Standards.
Je mehr sich der Internationale Währungsfonds der Rolle eines internationalen Quasi Lenders of
Last Resort annähert oder in diese gedrängt wird, desto gravierender werden die mit Kreditvergaben
verbundenen Anreizprobleme, und um so notwendiger sind demnach entsprechende Anreizkorrekturen. Insgesamt existieren mehrere Ansätze, die bei anreiztheoretischer Betrachtungsweise zu einer
wirksamen Begrenzung eines opportunistischen Verhaltens beitragen, und die sich zum Teil im nationalen Rahmen bereits in der Praxis bewährt haben. Die Abwägung zwischen effektiver
Krisenbewältigung einerseits und Vermeidung opportunistischen Verhaltens kreditnehmender Akteure andererseits muss daher nicht als „entweder-oder“-Entscheidung betrachtet werden – die
Erfahrungen mit entsprechend aufgestellten nationalen Lender of Last Resort zeigen, dass beides
gleichzeitig zu realisieren ist.
5.2 Einbindung der verschiedenen Kreditgeber
5.2.1 Reform der Kompetenzen und Entscheidungsprozesse des IWF
Aus institutionenökonomischer Sicht kann dem inhärenten Anreiz einer Bürokratie zur Expansion und
Steigerung der eigenen Bedeutung in erster Linie durch eine strikte und eindeutige Definition von
Aufgabenbereichen und Kompetenzen begegnet werden. Bezogen auf den IWF könnte sich dies in
einer klar definierten Abgrenzung der unterschiedlichen Aufgaben von IWF und Weltbank äußern,
also beispielsweise in einem Verzicht des IWF auf die Beteiligung an langfristigen Projekten zur Armutsbekämpfung und auf diesbezügliche Fazilitäten. Im Sinne einer eindeutigen Beschränkung des
Internationalen Währungsfonds auf die Prävention und Bewältigung von Krisensituationen dürften
somit längerfristige Kredite nur zur Beseitigung schwerwiegender struktureller Defizite (z.B. im Hinblick auf den Bankensektor, die Wettbewerbsbedingungen, etc.) eingesetzt werden. Ergänzend dazu
wäre der Aufbau neuer Fazilitäten in der Zukunft zu erschweren beziehungsweise mit sehr eng
gefassten Rahmenvorgaben zu verbinden, um so eine schrittweise Ausweitung des Aufgabenbereichs
zu verhindern. Durch die klare Vorgabe von Zielen und Kompetenzen könnte der Ermessensspielraum der individuellen Entscheidungsträger dann generell so weit eingeschränkt werden, dass
bestimmte Fehlanreize zwar noch bestehen, aber nicht mehr in reale Entscheidungen umsetzbar sind.
Dem Problem der asymmetrischen Informationsverteilung und einem eventuellen Informationsvorsprung der IWF-Entscheidungsträger gegenüber dem privaten und öffentlichen Sektor könnte
mittels einer Verpflichtung zur erhöhten Transparenz der Entscheidungsprozesse begegnet werden. So wäre eine vollständige Offenlegung der den Kreditvergaben vorausgehenden Konsultationen
und der entsprechenden Berichte in Erwägung zu ziehen51. Erhöhte Transparenz könnte also analog
zur Beschneidung von individuellen Kompetenzen den Ermessenspielraum der Entscheidungsträger
einschränken und somit die Realisation opportunistischer Verhaltensweisen verhindern.
Um schließlich dem Dilemma externer politischer Einflussnahme auf Entscheidungen des IWF gerecht zu werden, bedürfte es einer Reform der Entscheidungsprozesse und einer damit
51
Vgl. M ELTZER ET AL . (2000).
18
einhergehenden Reduzierung des Einflusses der Industriestaaten.52 Denkbar wären einerseits eine
vollständige institutionelle Unabhängigkeit, vergleichbar mit der Rolle der Europäischen Zentralbank,
andererseits die Einbeziehung einer erheblich breiteren Basis an Mitgliedsstaaten in anstehende Entscheidungen53. Zudem könnte eine Verknüpfung von IWF-Kreditvergaben mit der Gewährung
weiterer bilateraler Kredite den Anreiz zur politischen Instrumentalisierung des Internationalen Währungsfonds durch externe Entscheidungsträger drastisch reduzieren.
5.2.2 Beteiligung der privaten Kreditgeber an den Krisenbewältigungskosten
Wesentlich bedeutsamer als die Kontrolle eines internen Moral-Hazards beim Internationalen Währungsfonds selber sind jedoch die Ansätze zur Reduzierung der Fehlanreize privater Kapitalgeber –
dazu zählen das Eingehen erhöhter Risiken im Zuge von Investitionsentscheidungen, Trittbrettfahrerverhalten sowie die Bereitschaft, gegen die Fähigkeit des IWF zur Krisenbewältigung zu spekulieren.
Aus theoretischer Sicht kann diesem Verhalten durch eine Beteiligung der privaten Kapitalgeber an
den Anpassungskosten von Krisen entgegengewirkt werden – die damit für sie verbundenen finanziellen Einbußen stellen einen direkten Anreiz dar, der imstande sein kann, die theoretisch
identifizierten Anreize zur erhöhten Risikoübernahme und reduzierter Sorgfalt ausreichend zu kompensieren. Es ist ferner offensichtlich, dass in Anbetracht des Umfangs privater Kapitalströme die
Gesamtlasten einer Krise nicht mehr allein beziehungsweise in überwiegendem Maße von öffentlichen
Institutionen geschultert werden können. In diesem Sinn werden mit den konkreten Ansätzen zur
Einbindung der Privaten zwei grundlegende Ziele angestrebt: Eine angemessene Lastenteilung zwischen öffentlichem und privatem Sektor in Bezug auf die entstandenen finanziellen Kosten sowie die
kontinuierliche Bereitstellung von Liquidität durch Private54, sowohl während als auch im Anschluss an eine Krisensituation.
Umstritten bleibt dabei jedoch einerseits die Frage, ob die Ansätze zur Involvierung des privaten
Sektors diskretionär oder regelgebunden angewendet werden sollen, und andererseits ist zu prüfen, ob eine kooperative und vor allem freiwillige Beteiligung der privaten Kapitalgeber an den
Anpassungskosten realistisch ist, oder ob vielmehr eine zwangsweise Einbindung erfolgen sollte.
Bei einer regelgebundenen Einbindung entfiele weitgehend eine Unterscheidung zwischen Fällen
von Insolvenz und kurzfristiger Illiquidität der betroffenen IWF-Mitgliedsstaaten – insbesondere die
letztgenannten können in der Regel aber auch weitestgehend ohne die Beteiligung der Privaten durch
Finanzhilfen des Internationalen Währungsfonds kurzfristig bewältigt werden, ohne neue Anreizprobleme zu schaffen55. Ein anderer wesentlicher Nachteil einer solchen automatischen Einbeziehung
könnte darin bestehen, dass private Kapitalgeber ihre Erwartungen schneller anpassten und frühzeitig
ihr Kapital aus gefährdeten Volkswirtschaften abzögen. Insbesondere in Verbindung mit theoretischen Überlegungen zum Herdenverhalten (auf Finanzmärkten) könnte es leicht zu einer
Überreaktion der privaten Kapitalgeber kommen. Schon die Aufnahme von Gesprächen zwischen
IWF und den Regierungen könnte unter solchen Umständen als Signal für eine Kapitalflucht dienen,
was die Ausbreitung und Häufigkeit von Krisen tendenziell fördern würde. Bei diskretionären Einzel52
53
54
55
Vgl. Stiglitz (2002).
Vgl. COUNCIL ON FOREIGN RELATIONS (1999).
Vgl. GOLDER (1999), S. 18.
Allerdings ist die hier angeführte eindeutige Unterscheidung zwischen Insolvenz und Illiquidität von souveränen Staaten in der Praxis kaum durchführbar.
19
fallentscheidungen hingegen bliebe andererseits das schwerwiegende Problem opportunistischen
Verhaltens relevant, da weiterhin immer mit der Möglichkeit eines „Bail-outs“ zu rechnen wäre – unabhängig davon, ob der betroffene Staat nur illiquide oder sogar insolvent ist. Wenn auch beide
Ansätze im Hinblick auf die Problemlösung von Moral-Hazard Defizite aufweisen, wäre doch aus
anreiztheoretischen Überlegungen eine regelgebundene Einbindung der Privaten zu präferieren.56
Grundsätzlich ist bei der Einbindung der privaten Kreditgeber ferner zu betrachten, ob die von
diesen bevorzugte kooperative und vor allem freiwillige Beteiligung an den Anpassungskosten
während und nach einer Krise umsetzbar ist. Ausgehend von den Überlegungen zum opportunistischen Verhalten scheint dies ohne vorhergehende Verhaltensänderungen des IWF wenig realistisch.
Aus anreiztheoretischer Sicht wäre eine freiwillige Beteiligung der Privaten an einem Teil der Lasten
letztlich nur dann rational, um so den Status Quo weitgehend zu erhalten und um eine umfassendere
Reform der Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds zu verhindern. Somit scheint eine vom
IWF oder den beteiligten Staaten durchgesetzte Zwangsverpflichtung der privaten Kapitalgeber zur
Beteiligung nahezu unabdingbar. Erreicht werden könnte dies beispielsweise dadurch, dass Kreditauszahlungen des IWF in Abhängigkeit von einer vorhergehenden privaten Beteiligung getätigt
werden. Es würden so zwar positive Anreize gesetzt werden, allerdings könnte der Währungsfonds
in einen Interessenkonflikt mit seiner Aufgabe der Krisenprävention und -bewältigung geraten, wenn
er seine Kreditvergabe erst im Anschluss an langwierige Verhandlungen mit dem privaten Sektor
bewilligt.
Nachfolgend werden nun die wesentlichen, unterschiedlich stark ausgeprägten Ausgestaltungsmöglichkeiten zur Einbeziehung der privaten Kreditgeber, ihr Zielerreichungsgrad und ihr möglicher
Beitrag zur Lösung eines opportunistischen Verhaltens näher beleuchtet.
56
Vgl. IIF (1999) oder EICHENGREEN (1999).
20
(i)
Vereinbarung vorsorglicher privater Kreditkontingente
Eine erste weitgehend kooperative und marktorientierte Lösung ist die ex-ante Vereinbarung von
vorsorglichen privaten Kreditkontingenten. Solche Abkommen sind in ihren Auswirkungen mit einer Erhöhung der Devisenreserven vergleichbar57 und weisen einen Optionscharakter auf58. Mit dem
Abschluss erwirbt ein Staat das Recht, seine einseitige Option bei Bedarf auszuüben und in Krisensituationen auf diese Mittel zurückzugreifen. Die beteiligten internationalen Geschäftsbanken werden
dann durch die Zahlung höherer Zinsen auf die Kontingente für deren freiwillige Bereitstellung kompensiert. Abgeschlossen werden diese Übereinkünfte in der Regel mit einer Mehrzahl von
internationalen Geschäftsbanken, so dass auf der privaten Seite eine Risikodiversifikation erfolgt.
Damit werden dann auf der einen Seite Größenordnungen erreicht, die einen signifikanten Einfluss auf
die Fähigkeit zur Bewältigung einer Krise, zur Erfüllung der ausstehenden Auslandsverbindlichkeiten
und eine Verbesserung der Liquiditätspositionen von Staaten zur Folge haben, und auf der anderen
Seite sinkt mit der Höhe solch vereinbarter Kreditlinien der vom Internationalen Währungsfonds aufzubringende Kreditbetrag. Und mit der Verringerung des vom IWF zugestandenen Kreditvolumens
reduziert sich gleichzeitig auch die Gefahr eines opportunistischen Verhaltens.
Ein aus anreiztheoretischer Sicht zusätzlicher positiver Nebeneffekt liegt dabei in dem Umstand,
dass derart involvierte Kreditgeber einem besonderen Anreiz unterliegen, auch bei der Kreditvergabe an die betroffenen Staaten außerhalb dieser Kontingente besondere Sorgfalt walten zu lassen.
Zugleich geben die Kreditlinien also ein weiteres positives Signal an die internationalen Kapitalmärkte, indem sie zusätzlich zu der Einschätzung des Internationalen Währungsfonds das Vertrauen der
kreditgebenden Banken hinsichtlich der Wirtschaftspolitik des Staates widerspiegeln. An dieser Stelle zeigt sich jedoch auch die nur eingeschränkte Anwendbarkeit des Ansatzes: Die Vereinbarung
vorsorglicher Kreditlinien für Krisenfälle ist nur für jene Staaten erreichbar, deren fundamentale ökonomische Situation sich positiv darstellt.
(ii)
Reorganisation der Verbindlichkeiten
Sollte aufgrund des oben erwähnten Zusammenhangs eine vertragliche Vereinbarung von vorsorglichen Kreditkontingenten nicht zustande kommen, so ist eine grundlegende Reorganisation der
Verbindlichkeiten eines Staates unter Mitarbeit des privaten Sektors in Betracht zu ziehen, wobei
zwischen einer Prolongation der kurzfristigen Ausleihungen und einer umfassenden Umschuldung
zu unterscheiden ist.
Den einfachsten Fall stellt eine Prolongation dar59. Durch die Verlängerung der Laufzeiten kann
eine temporäre Zahlungsunfähigkeit des Staates vermieden werden, ohne direkt auf Mittel des Währungsfonds zurückgreifen zu müssen. Diese Methode hat den Vorteil, sehr kurzfristig zu einer
Verbesserung der Liquiditätslage beizutragen und auch umsetzbar zu sein. Zu beachten ist indes, dass
eine Übernahme von Lasten durch private Kreditgeber nur dann erfolgt, wenn diese nicht durch höhere Zinsen für die Verlängerung der Laufzeiten entschädigt werden. Im Falle einer vollständigen
Kompensation durch die Vereinbarung höherer Zinssätze hätte diese Maßnahme keine positive An-
57
58
59
Vgl. FISCHER (1999).
Vgl. GOLDER (1999).
Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (1999b), S. 40.
21
reizwirkung. Ein falsches Investitionsverhalten und etwaiges opportunistisches Verhalten der privaten
Kreditgeber würde folglich nicht sanktioniert werden.
Die Prolongation kann jedoch dazu beitragen, Zeit für eine umfassende und meist zeitaufwendige
Umschuldung der staatlichen Verbindlichkeiten eines Krisenlandes zu gewinnen. In Einzelfällen (z.B.
bei einem nur temporären Mangel an Devisen) können Prolongationen und Umschuldungen dazu führen, dass betroffene Staaten in die Lage versetzt werden, ihre Zahlungsverpflichtungen zukünftig auch
ohne externe Unterstützung durch den IWF zu erfüllen. Damit wäre der gesamte Kreislauf von IWFKreditvergabe, Bail-outs und Fehlanreizen vermieden.
Die Zinsspanne bietet sowohl im Fall von Prolongation als auch der Umschuldung einen wichtigen Ansatzpunkt zur Beteiligung der privaten Kapitalgeber: Um ein opportunistisches Verhalten der
Kapitalgeber effektiv einzuschränken, ist es erforderlich, die Zinsdifferenz zwischen ursprünglichen
und verlängerten oder umgeschuldeten Verbindlichkeiten möglichst gering zu halten; gegebenenfalls
sollte der neu vereinbarte Zins sogar unter den ursprünglichen Zinssätzen bleiben. Erstrebenswert
wäre auch in diesen Fällen eine weitgehend kooperative Lösung. Die in Erwägung gezogene Autorisation des IWF zur einseitigen (temporären) Aussetzung von Zahlungen der Mitgliedsstaaten auf
internationale private Forderungen könnte analog zu einer regelgebundenen Einbindung des privaten
Sektors eher dazu beitragen, die Volatilität des Kapitals zu erhöhen: Bereits erste Anzeichen von
Krisensituationen könnten eine Kapitalflucht auslösen, sofern die Kapitalgeber erwarten, dass ihre
Forderungen im Verlauf einer Verschuldungskrise vollständig stillgelegt werden60. Allerdings wäre
dies ein starker Anreiz und probates Druckmittel, um die privaten Kapitalgeber zu einer Beteiligung
an Umschuldungsvereinbarungen zu bewegen.
Als ein praktisches Problem bei Umschuldungsvereinbarungen erweist sich die zunehmend heterogene Struktur der privaten Kapitalgeber. Die unterschiedlichen Interessen erschweren dabei den
Abschluss gemeinsamer Abkommen. Die Praxis zeigt dementsprechend, dass kollektive Vereinbarungen um so leichter getroffen werden können, je homogener die Gruppe der Kapitalgeber ist. In
diesem Kontext macht die wachsende Bedeutung von (Staats-)Anleihen anstelle von Krediten die
frühzeitige Einführung von Maßnahmen zur Einbeziehung der Inhaber von Anleihen notwendig.
Bislang tragen vor allem die Inhaber von „American-Style-Bonds“ keinen Anteil an den Krisenüberwindungskosten. Aufgrund der ausgeprägten Individualrechte, mit denen solche Anleihen
ausgestattet sind, ist eine Involvierung der Inhaber in die Vereinbarung von Umschuldungen kaum
umzusetzen. Damit wäre auf diesem Weg eine Korrektur der Fehlanreize nicht zu erreichen. Abhilfe
könnte durch eine Erhöhung der Flexibilität von Anleihen geschaffen werden, d.h. die Ausgabebedingungen sollten zukünftig „kollektive Repräsentations- und Umschuldungsklauseln61“ enthalten. Eine
qualifizierte Mehrheit kann dann stellvertretend für alle Anleihengläubiger Umschuldungsvereinbarungen treffen, wodurch zum einen der Vorgang beschleunigt und zum anderen ein
Trittbrettfahrerverhalten einzelner Anleiheninhaber verhindert werden würde – ein aus anreiztheoretischer Sicht wichtiger Nebeneffekt. Letzteres trifft auch für Teilungsklauseln zu, die bewirken, dass
Zahlungen eines Schuldners proportional unter den betroffenen privaten Kapitalgebern aufgeteilt
werden62. Zu beachten ist dabei aber, dass eine unilaterale Einführung solcher Klauseln den betreffenden Staat aus der Sicht der privaten Kapitalgeber im Vergleich zu anderen unattraktiv macht und
60
61
62
Vgl. IIF (1999).
Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (1999b), S. 46.
Vgl. GOLDER (1999).
22
somit die Nachfrage nach dessen Anleihen reduziert wird. Mit einer generellen Modifikation von Anleihebedingungen auf internationaler Ebene könnten diese einseitigen und einschneidenden
Wettbewerbsnachteile vermieden werden.
In diesem Zusammenhang kommt dem IWF eine herausgehobene Funktion zu: Der Währungsfonds könnte zukünftig die Ausbreitung flexibler Anleiheklauseln fördern, indem er beispielsweise
denjenigen Staaten günstigere Kredite gewährt, die die angesprochenen Maßnahmen umgesetzt haben. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass eine generelle Einführung solcher Klauseln zu einem
allgemeinen Anstieg der Risikoprämien führt und somit internationales Kapital verteuert. Ein solcher
Aufschlag kann aber auch als „realistische Einschätzung der tatsächlichen Lage63“ interpretiert werden.
(iii) Unilaterale Moratorien
Einen Extremfall der Maßnahmen zur zwangsweisen Beteiligung der Privaten bildet die einseitige
Verhängung unilateraler Moratorien, d.h. ein einzelner Staat hält ohne Absprache mit privaten oder
öffentlichen Gläubigern seine Zahlungen auf deren Forderungen zurück. Zwar wird auf diesem Weg
eine direkte Einbindung und Lastenübernahme des privaten Sektors erreicht, doch ist aufgrund der
schwerwiegenden negativen Konsequenzen von einem derartigen Vorgehen abzuraten. Die einseitige
Erklärung von Moratorien bewirkt einen langfristigen irreparablen Vertrauensverlust der Kapitalgeber in Bezug auf die zukünftige Vertragstreue, wodurch der betreffende Staat mittel- bis langfristig
vom Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten ausgeschlossen werden könnte. In diesem Fall
müsste der Internationale Währungsfonds möglicherweise wiederum mit einer Kreditvergabe einschreiten, um seiner Katalysatorfunktion gerecht zu werden, so dass auch nach Bewältigung einer
Krise weiterhin eine mittelfristig andauernde IWF-Unterstützung erforderlich sein könnte. Dies könnte in die Entstehung eines permanenten Abhängigkeitsverhältnisses einmünden und so schließlich
wieder ein klassisches Moral-Hazard Problem begründen. Verglichen mit der Verhängung unilateraler Moratorien wäre die bereits thematisierte Autorisation des IWF zur Aussetzung der
Schuldentilgungen eines Staates mit noch weniger gravierenden Konsequenzen behaftet: Die Verantwortung für diese Maßnahme läge beim Internationalen Währungsfonds, so dass der betroffene Staat
unter Umständen nur einen partiellen und temporären Vertrauensverlust erfahren würde, und folglich
nicht auf eine dauerhafte Unterstützung angewiesen wäre.
(iv) Quantitative Begrenzung der IWF-Kredite
Als weitere Maßnahme zur Bewältigung eines opportunistischen Verhaltens böte sich eine ex-ante
vorgenommene quantitative Limitierung der vom IWF im Krisenfall eingesetzten Finanzmittel an64.
Zwar ließe sich durch eine solche Deckelung – und damit die einhergehende Begrenzung der vom
IWF getragenen Anpassungskosten – der Erwartungshaltung privater Kreditgeber hinsichtlich eines
Bail-Outs wirkungsvoll begegnen, jedoch würde durch dieses Vorgehen die eigentliche Fähigkeit des
Währungsfonds zur Bewältigung von Krisen und zur Stabilisierung des Finanzsystems in erheblichem
63
64
Vgl. DEUTSCHE BUNDESBANK (1999b), S. 48.
Vgl. DEUTSCHE BANK RESEARCH (2001).
23
Maße beeinträchtigt. Zudem würde gleichzeitig der Anreiz zur Spekulation gegen den IWF erheblich verstärkt: Der Internationale Währungsfonds wäre nicht mehr in der Lage, seine ihm zugewiesene
Rolle glaubwürdig auszufüllen. Sollte er beispielsweise unter diesen Voraussetzungen während einer
Währungskrise die Stabilisierung der Wechselkurse anstreben, bestünde für private Finanzakteure
ein erheblicher Anreiz, gegen solche Bemühungen zu spekulieren und beträchtliche Spekulationsgewinne zu erzielen. Die vom IWF eingesetzten Mittel könnten dann ohne reale Effekte bleiben. Eine
ex-ante Begrenzung der einsetzbaren Ressourcen würde somit aus anreiztheoretischer Sicht zwar
den Risiko- und Sorgfaltsaspekten eines opportunistischen Verhaltens effektiv entgegenwirken, jedoch gleichzeitig den Anreiz zur Spekulation gegen den IWF in den Vordergrund rücken.
(v)
Abwägung zwischen erhöhter Sorgfalt und den Vorteilen eines Trittbrettfahrerverhaltens
Im Hinblick auf das Anreizproblems des „free-riding“ stehen die Maßnahmen zur dessen Bewältigung in einem engen Zusammenhang mit den vorhergehenden Lösungsansätzen – und zwar nicht nur
in Bezug auf die bereits behandelte Ausgestaltung von Anleihen. Insbesondere auch in Bezug auf den
Anreiz zu opportunistischem Trittbrettfahrerverhalten bei der Informationsbeschaffung führt jede Beteiligung des privaten Sektors an den Anpassungskosten einer Krise zu einem direkten Anreiz einer
erhöhten Sorgfalt bei Investitionsentscheidungen. Diese Sorgfalt äußert sich aber gerade in einem
verstärkten Bedarf an detaillierten und möglicherweise exklusiven Informationen hinsichtlich der ökonomischen Situation des Kreditnehmers und des damit verbundenen Kreditausfallrisikos. Somit
würde für die privaten Kreditgeber ein rationaler Anreiz bestehen, eigene Kosten der Informationsbeschaffung in Kauf zu nehmen, um damit die erwarteten und möglicherweise weitaus höheren
Kosten fehlerhafter Investitionsentscheidungen zu minimieren. Gleichzeitig schränkten die so
vermehrten unabhängigen Informationsanstrengungen des privaten Sektors auch die Möglichkeiten
kreditnehmender Staaten zur Desinformation und Manipulation von Daten ein und tragen damit auch
zur Beseitigung diesbezüglichen opportunistischen Verhaltens bei.
Hinsichtlich eines möglichen Trittbrettfahrerverhaltens bei der Reorganisation von Verbindlichkeiten spielt zudem die Wahl zwischen freiwilligen oder nicht-kooperativen Maßnahmen der
Einbindung der privaten Kapitalgeber eine besondere Rolle. Freiwillige Maßnahmen bieten aufgrund
der angesprochenen Heterogenität des privaten Sektors zahlreiche Möglichkeiten für einzelne Kapitalgeber, sich einer individuellen Beteiligung zu entziehen und gleichzeitig von der Krisenbewältigung
durch andere Marktteilnehmer zu profitieren. Aus rein anreiztheoretischen Überlegungen müsste daher eine nicht-kooperative Einbindung zur Lösung des free-ridings abgeleitet werden.
(vi) Regulierung des kurzfristigen Kapitalverkehrs
Abschließend soll auf einen, eher als weitreichend zu bezeichnenden Ansatz zur Lösung der identifizierten Fehlanreize eingegangen werden: Ausgehend von der Tatsache, dass in der erhöhten
Mobilität und Volatilität des Kapitals eine wesentliche Ursache der jüngsten Krisensituationen gesehen wird, wird die Implementierung einer Regulierung des kurzfristigen Kapitalverkehrs vielfach
24
in Erwägung gezogen und kontrovers diskutiert65. Aufgrund der Komplexität der verschiedenen Ansätze, deren detaillierte Betrachtung für die anreiztheoretische Analyse nicht erforderlich ist, werden
im folgenden lediglich einige grundlegende Aspekte skizziert.
Grundsätzlich kann unterstellt werden, dass eine Regulierung des Kapitalverkehrs durch die Einbindung der privaten Kapitalmärkte zu einer Stabilisierung der Währung beiträgt. Ausgangspunkt der
Betrachtung ist eine Besteuerung oder eine Verpflichtung zur Reservehaltung für ausländische
Kapitalzuflüsse, wodurch diese ceteris paribus verteuert werden. Eine solche Verteuerung von Krediten stellt jedoch einen schwerwiegenden Nachteil hinsichtlich des grenzüberschreitenden
Kapitalverkehrs für das Land dar, welches eine solche Besteuerung einführt. Diesen ökonomischen
Kosten einer „Re“-Regulierung stehen nur dann positive Anreizwirkungen gegenüber, wenn diese
Reserven den Anteil der privaten Kapitalgeber an den Krisenüberwindungskosten darstellten. In der
Praxis zeigt sich aber, dass die internationalen Kapitalmärkte mit einer Umschichtung ihrer Kapitalbewegungen in Richtung der nicht von Regulierungen betroffenen Anlageformen oder Staaten
reagieren, so dass Maßnahmen zur Kontrolle des Kapitalverkehrs wohl nur begrenzt zur Einbindung
der privaten Märkte beitragen können66. Beschränkungen des Kapitalverkehrs führen also in der
Regel nicht zu einer eigentlichen und grundlegenden Anreizkorrektur, sondern eher zu einem Ausweichverhalten des privaten Sektors, insbesondere solange diese Maßnahmen unilateral eingeführt
werden. Folglich tragen sie zwar in Einzelfällen durchaus zur Bewältigung von Krisensituationen, nicht
aber zur Lösung eines opportunistischen Verhaltens bei.
Wenn auch die in diesem Abschnitt erörterten Maßnahmen lediglich im Kontext eines opportunistischen Verhaltens betrachtet wurden, ist ihre Wirksamkeit nicht ausschließlich auf die Beseitigung
der Fehlanreize von Kreditvergaben des Internationalen Währungsfonds beschränkt, sondern kann
auch in Situationen zur Krisenbewältigung beitragen, in denen von einer Beteiligung des IWF gänzlich
Abstand genommen wurde. Jedoch bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass effektive Maßnahmen
letzten Endes das ausländische private Kapital für die Schwellen- und Entwicklungsländer signifikant
verteuern, und dass somit die Korrektur der mit einer Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds verbundenen Fehlanreize der privaten Kapitalgeber dementsprechend auch stets partiell zu
Lasten eben jener Schwellen- und Entwicklungsländer geht.67
6.
Die Kreditvergabepolitik des IWF – eine kritische Würdigung
Das Ziel dieses Beitrages war es zunächst, vor dem Hintergrund institutionenökonomischer Überlegungen die mit einer Kreditvergabe durch den Internationalen Währungsfonds einher gehenden
Fehlanreize bei den beteiligten Akteuren zu identifizieren, um anschließend mögliche Korrekturansätze für dieses Fehlverhalten aufzuzeigen und einer ausführlichen Diskussion zu unterziehen.
Sowohl auf Seiten der Kreditnehmer als auch auf Seiten der Kreditgeber ließen sich dabei zahlreiche Anreize sowohl zu einem vorvertraglichen als auch zu einem verdeckten beziehungsweise
65
66
67
Vgl. BUCH ET AL. (1998) oder KRUGMAN (1999).
Zu einer weiterführenden Analyse siehe BUCH (1999).
Vgl. SIEBERT (1999), S. 8.
25
offenen nachvertraglichen opportunistischen Verhalten feststellen. So unterliegen beispielsweise die
Regierungen kreditnehmender Staaten vor beziehungsweise nach der Kreditgewährung dem Anreiz,
entscheidungsrelevante Informationen zurückzuhalten oder gar zu fälschen, angemahnte und im Rahmen der Konditionalität vereinbarte Strukturreformen zu verschleppen, sowie aus Gründen der
Erhaltung des eigenen politischen Einflusses und der persönlichen Reputation Kapitalabflüsse durch
die Übernahme von Garantien und Bürgschaften zu verhindern. Im Falle einer Kreditgewährung
durch den IWF unterliegen die nationalen Unternehmen und Kreditinstitute der kreditnehmenden
Staaten dann aufgrund der in Aussicht gestellten staatlichen Garantien und Bürgschaften dem systematische Anreiz, verstärkt risikoreiche Unternehmens- und Investitionsstrategien zu verfolgen, da sie
die möglichen negativen Folgen ihrer Geschäftspolitik nicht zu verantworten haben, sondern es stattdessen auf den Staat überwälzen können. Um diesen Fehlanreizen entgegenwirken zu können scheint
es unerlässlich, die Attraktivität der vom Internationalen Währungsfonds bereitgestellten zinsgünstigen
Kredite herab zu setzen – dies könnte sowohl durch die Vereinbarung von Strafzinsen, die Hinterlegung von marktfähigen Sicherheiten oder aber die Einführung strengerer Mitgliedschaftskriterien im
Vorfeld einer Kreditgewährung realisiert werden. Während die beiden erstgenannten Aspekte wohl
ohne weiteres vom IWF selber veranlasst werden könnten, dürfte indes die Verschärfung der Mitgliedschaftskriterien insbesondere von politischer Seite auf erheblichen Widerstand stoßen.
Innerhalb der Gruppe der Kreditgeber (hier wurde zwischen dem IWF und den privaten Kapitalgebern differenziert) konnten ebenfalls mehrere, mit einer Kreditvergabe einher gehende Fehlanreize
identifiziert werden. So ist der Internationale Währungsfonds als international agierende (bürokratische) Institution tendenziell bestrebt, durch eine Ausweitung der den Mitgliedsstaaten zur Verfügung
gestellten Kreditvolumina nicht nur die eigene Existenz zu sichern, sondern auch den eigenen Aufgabenbereich sowie die eigene Machtstellung oder die seiner Mandatsträger stetig auszubauen. Aus
diesem Kontext kann außerdem die Bereitschaft einzelner Mandatsträger, bei Entscheidungen über
eine Kreditgewährung überhöhte Risiken in Kauf zu nehmen und die daraus resultierenden Kosten
auf andere abzuwälzen, abgeleitet werden. Ferner lassen sich Bestrebungen des IWF identifizieren,
gegenüber anderen öffentlichen oder privaten Institutionen einen Informationsvorsprung zu erlangen,
der letztendlich zur Verfolgung der eigenen Interessen verwendet werden kann. Bei den privaten
Kreditgeber ließen sich abschließend drei Arten von Fehlanreizen feststellen: die Übernahme überhöhter Kreditausfall- oder Wechselkursrisiken in Erwartung eines Bail-Out (in ihrem Ausmaß
beeinflusst durch „too big to fail“-Überlegungen), ein Trittbrettfahrerverhalten sowohl bei der Informationsbeschaffung als auch bei der Umschuldung von kreditnehmenden Staaten, und letztlich die
Bereitschaft zur Spekulation gegen die Krisenbewältigungsmöglichkeiten des IWF.
Inwiefern die internen Fehlanreize des Internationalen Währungsfonds durch die jüngst vorgeschlagenen und kontrovers diskutierten Reformvorschläge tatsächlich reduziert werden können oder
beispielsweise eine Begrenzung der dem IWF zur Verfügung stehenden Finanzmittel diesem Ziel gar
abträglich ist, vermag man noch nicht abzuschätzen – hier muss man die aktuell andauernden Verhandlungen und deren Ergebnisse abwarten. Von weitaus größerer Bedeutung erscheint es jedoch,
den Fehlanreizen der privaten Kapitalgeber entgegen zu wirken. Der IWF kann das Verhalten der
Privaten zwar nicht direkt beeinflussen, doch eröffnen sich mehrere indirekte Möglichkeiten, ihren
Fehlanreizen gegenzusteuern und die privaten Kapitalgeber an anfallenden Krisenbewältigungskosten
zu beteiligen. So könnte der IWF beispielsweise darauf hinwirken, dass seine Mitglieder mit privaten
Kapitalgebern ausreichende Kreditkontingente oder Abkommen hinsichtlich der Umorganisation der
eigenen Verbindlichkeiten vereinbaren. Sollten diese Bedingungen im Vorfeld einer Krisensituation
nicht gegeben sein, dann könnte der IWF aus Disziplinierungsgründen von einer Kreditvergabe absehen.
26
Zusammenfassend bleibt also festzustellen, dass es umfangreiche Maßnahmen gibt, mit denen einem Fehlverhalten sowohl der Kreditnehmer als auch der Kreditgeber entgegen gewirkt werden
könnte – jedoch muss für jede einzelne Maßnahme abgewogen werden, ob den positiven, anreizkorrigierenden
Effekten nicht schwerwiegende negative Konsequenzen für die allgemeine
Krisenbewältigungsfähigkeit des Internationalen Währungsfonds gegenüber stehen. Letzten Endes
laufen aber alle diskutierten Reformschritte für die Schwellen- und Entwicklungsländer auf eine Verteuerung der Finanzmittel und möglicherweise auf eine Reduktion der internationalen Kapitalzuflüsse
hinaus. Scheinbar muss dieses in Kauf genommen werden, um den anreiztheoretischen Kreislauf von
Kreditvergaben und Fehlverhalten nachhaltig zu unterbrechen.
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Nr. 9 Ansgar Belke: Wechselkursfixierung in einer EWU: Chance oder Risiko für die Beschäftigung in Westeuropa? Bochum 1996.
Nr. 10 Peter Hammann, Thorsten Stritzki, Cordula Tebbe: Das Key-Account-Management als
Reaktion auf die Handelsentwicklung in Europa - eine empirische Untersuchung am Beispiel
der Kosmetikindustrie. Bochum 1996.
Nr. 11 Ansgar Belke: Zur Politischen Ökonomie der Westeuropäischen Arbeitslosigkeit: Mancur
Olson versus Insider-Outsider-Theorie. Bochum 1996.
Nr. 12 Berthold Busch, Karl Lichtblau, Claus Schnabel: Kohäsionspolitik, Konvergenz und Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union: Eine empirische Analyse mit Regionaldaten. Bochum 1997.
Nr. 13 Ansgar Belke, Daniel Gros: Evidence on the Costs of Intra-European Exchange Rate Variability. Bochum 1997.
Nr. 14 Ingo Pies: Globalisierung und Demokratie: Chancen und Risiken aus ökonomischer Sicht.
Bochum 1997.
Nr. 15 Ansgar Belke: Setting Euro Conversion Rates: A Comment on the de Grauwe-Proposals.
Bochum 1997.
Nr. 16 Ansgar Belke, Daniel Gros: Estimating the Costs and Benefits of EMU: The Impact of External Shocks on Labour Markets. Bochum 1997.
Nr. 17 Dieter Bender, Norbert Lamar: European Financial Integration and EMU Expectations.
Bochum 1997.
Nr. 18 Ansgar Belke: EWU, Geldpolitik und Reform der Europäischen Arbeitsmärkte. Bochum
1997.
Nr. 19 Ansgar Belke, Daniel Gros: Modelling the „Option Value of Waiting“: More Evidence on
the Costs of Intra-European Exchange Rate Volatility. Bochum 1998.
Nr. 20 Wim Kösters: Europäische Integration: Wirtschaftspolitischer Autonomieverlust durch Supranationalisierung politischer Entscheidungen. Bochum 1998.
Nr. 21 Ingo Pies: Liberalismus und Normativität: Zur Konzeptualisierung ökonomischer Orientierungsleistungen für demokratische Politikdiskurse. Bochum 1998.
Nr. 22 Ansgar Belke, Matthias Göcke: A Simple Model of Hysteresis in Employment under Exchange Rate Uncertainty. Bochum 1998.
Nr.23 Ansgar Belke, Matthias Göcke: Micro- and Macro-Hysteresis in Employment under Exchange Rate Uncertainty. Bochum 1998.
Nr. 24 Ansgar Belke, Daniel Gros: Asymmetric Shocks and EMU: On a Stability Fund. Bochum
1998.
Nr. 25 Cay Folkers: Neue Maßstäbe in der Europäischen Union: Grenzen für Staatsverschuldung
und Staatsquote durch den Maastrichter Vertrag und seine Ergänzungen. Bochum 1999.
Nr. 26 Un-Chan Chung: East Asian Economic Crisis – What is and What Ought to be Done: The
Case of Korea. Bochum 1999.
Nr. 27 Ansgar Belke: Beschäftigungswirkungen institutioneller Arbeitsmarktunterschiede und währungspolitische Arrangements bei stufenweiser EU-Osterweiterung. Bochum 1999.
Nr. 28 Ansgar Belke: Towards a Balanced Policy Mix under EMU: Co-ordination of Macroeconomic Policies and ‚Economic Government’? Bochum 1999.
Nr. 29 Gerhard Wegner: Zur Funktionsfähigkeit des institutionellen Wettbewerbs - Ein Beitrag zur
Theorie des Systemwettbewerbs. Bochum 2000.
Nr. 30 Ansgar Belke, Daniel Gros: Designing the EU-US Atlantic Monetary Relations: The Impact
of Exchange Rate Variability on Labor Markets on Both Sides of the Atlantic. Bochum
2000.
Nr. 31 Rainer Beckmann, Martin Hebler, Wim Kösters, Markus Neimke: Theoretische Konzepte zum Europäischen Integrationsprozeß: Ein aktueller Überblick. Bochum 2000.
Nr. 32 Ansgar Belke: Lohnpolitik in der EWU – Stabilisierender oder destabilisierender Faktor?
Bochum 2000.
Nr. 33 Elena Diaz Porta, Martin Hebler, Wim Kösters: Mercosur: Auf dem Weg zu einer Zollunion. Bochum 2000.
Nr. 34 Sonja Eckey, Markus Neimke: Regionale Integrationsdynamik aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie. Bochum 2000.
Nr. 35 Rainer Beckmann, Carsten Eppendorfer, Markus Neimke: Europäische Finanzmarktintegration und Wirtschaftswachstum. Bochum 2001.
Nr. 36 Jens M. Heine, Wim Kösters: Zur politischen Ökonomik der EWU: Vom Währungswettbewerb zum Monopol. Bochum 2001.
Nr. 37 Ansgar Belke: Too Big to Fail – Bankenkonkurs, ‚Bailout’ und Wählerstimmenkalkül. Bochum 2001.
Nr. 38 Rainer Beckmann, Jürgen Born, Wim Kösters: The US dollar, the euro, and the yen: An
evaluation of their present and future status as international currencies. Bochum 2001.
Nr. 39 Ansgar Belke, Carsten Eppendorfer, Jens M. Heine: Zur Bedeutung unterschiedlicher Finanzmarktstrukturen für den geldpolitischen Transmissionsprozess in der EWU. Bochum
2001.
Nr. 40 Rainer Beckmann, Carsten Eppendorfer, Markus Neimke: Financial integration within the
European Union: Towards a single market for insurance. Bochum 2002.
Nr. 41 Carsten Eppendorfer, Rainer Beckmann, Markus Neimke: Market Access Strategies in
the EU Banking Sector: Obstacles and Benefits towards an integrated European Retail Market. Bochum 2002.
Nr. 42 Markus Neimke, Carsten Eppendorfer, Rainer Beckmann: Deepening European Finacial
Integration: Theoretical Considerations and Empirical Evaluation of Growth and Employment
Benefits. Bochum 2002.
Nr. 43 Jens M. Heine: Zur asymmetrischen Transmission einer einheitlichen Geldpolitik. Bochum
2002.
Nr. 44 Volker Backhaus, Jürgen Born: Makroökonomische Wirkungen von Asset Backed Securities unter Basel II. Bochum 2002
Nr. 45 Ansgar Belke, Martin Hebler, Wim Kösters: Chancen und Risiken einer Euroisierung der
MOEL. Bochum 2002
Nr. 46 Ansgar Belke, Jens. M. Heine: Specialisation Patterns and the Synchronicity of Regional
Employment Cycles in Europe. Bochum 2002
Nr. 47 Jens M. Heine, Florian-Helge Rabe: Zur Kreditvergabepolitik des IWF – eine institutionenökonomische Bestandsaufnahme. Bochum 2002.
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