Zielkonflikte als zentrale Herausforderung

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18 Management
Nachhaltige Unternehmensentwicklung, Teil 1/3
Zielkonflikte als zentrale
Herausforderung
Unternehmen sollen effizient und innovativ sein, sozial, ökologisch und ökonomisch erfolgreich. Am besten
alles gleichzeitig. Dazu müssen Ziele in Einklang gebracht werden, die in Konkurrenz um die identischen Ressourcen stehen. Es können also nicht alle Ziele gleich gut erreicht werden. Der Beitrag gibt einen Überblick
über ungelöste Zielkonflikte als Ursache für die Notwendigkeit einer nachhaltigen Unternehmensführung und
zeigt, wie neue Denk- und Handlungsmuster den Umgang mit Zielkonflikten grundlegend verändern können.
Dr. Petra Kugler
Prof. Dr. Sibylle Olbert-Bock
Eine sich ständig, oft auch unerwartet verändernde Umwelt stellt Unternehmen heute vor
unbekannte Herausforderungen. Unwägbarkeiten gab es schon immer. Neu sind jedoch
die grosse Anzahl, die Geschwindigkeit, die
Reichweite oder die Heftigkeit ihres Auftretens. Bei näherer Betrachtung sind, wie die
Finanzkrise erkennen lässt, die Herausfor­
derungen zumindest teilweise sogar «hausgemacht» und die unerwartete oder unterbewertete Konsequenz eines als richtig erachteten unternehmerischen Handelns.
Neue Herausforderungen
Als eine Folge von Reaktionen, deren Auslöser oft weit in der Vergangenheit liegt, basieren sie auf unseren gängigen Annahmen, die
unser routiniertes Handeln geprägt haben und
es daher bestimmen. Die Unsicherheit im Umgang mit solchen Ereignissen ist besonders
hoch. Wir können oft nicht erkennen oder benennen, was genau die Unsicherheiten sind,
denen wir ausgesetzt sind, oder wie die einzelnen Faktoren interagieren. Selbst Experten
fühlen sich oft überfordert, in einer solchen
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Situation Entscheidungen zu treffen. Auch
spüren wir, dass wir uns eventuell von unseren lieb gewonnenen Gewohnheiten verabschieden müssten und ein neues Patentrezept
für die Zukunft fehlt.
Dies betrifft häufig unternehmerische Ziele,
die gleich bedeutsam scheinen und deshalb
gleichzeitig erreicht werden sollen wie z.B.
kurzfristiger Erfolg und langfristige, nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, basierend auf Innovation. Solche Ziele stehen oft im Wettbewerb um die gleichen knappen Ressourcen.
Es ist dann oft nicht mehr möglich, alle Ziele
optimal zu erreichen, und Entscheider stehen
unter Zeitdruck einer Dilemma-Situation ohne
eindeutige Lösung gegenüber. Zielkonflikte,
sogenannte «Trade-offs», die heute Alltag in
Unternehmen sind, laufen leicht Gefahr,
einem einseitigen – da schnell verfügbaren –
Lösungsmuster zu unterliegen. Was nach einer schnellen Lösung aussieht, ist oft sogar
eine Ursache künftiger Probleme.
Unser Denken und Handeln ist bisher meist
darauf ausgerichtet, Zusammenhänge im Sinne eines «je mehr (oder weniger), desto besser» vereinfacht und isoliert zu betrachten.
Daraus lassen sich klare Handlungsanweisungen ableiten. Das Ergebnis dieser Maxime ruft
im Umgang mit sich widersprechenden Zielen
jedoch Einseitigkeiten hervor. Die Nichtbeachtung wesentlicher weiterer Parameter in Entscheidungen führt zwangsläufig dazu, dass
sich dauerhaft unberücksichtigte Risiken aufschaukeln und krisenartig entladen. Oft gilt es
dann nur noch, entstandene «Flächenbrände»
zu löschen, wobei ein proaktives, gezieltes
Handeln weiter verunmöglicht wird. Längerfristig wird ein erfolgreicher Umgang mit
Mehrdeutigkeiten im Rahmen einer nachhaltigen Unternehmensführung jedoch wettbewerbsentscheidend sein. Schon heute spiegelt
sich ein nachhaltigkeitsorientiertes Management im kontinuierlichen Wachstum von Unternehmen wider, das langfristige ökonomische Erfolge in einer abhängigen Beziehung
zu ökologischer und sozialer Ausgewogenheit
betrachtet. Was verbirgt sich hinter einer
nachhaltigen Unternehmensführung?
Nachhaltigkeit
Bisher wird mit Nachhaltigkeit vor allem ein
ökologieorientiertes, «grünes» Verhalten verbunden. Sie ist erheblich mehr. Sie setzt bei
einer Grundhaltung an, wonach aktuelle Lösungen nicht zulasten einer künftigen Handlungsfähigkeit gehen dürfen, und schlägt sich
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in grundsätzlichen Denk- und Verhaltensweisen von Individuen, Unternehmen und Gesellschaften nieder. Es geht im Kern um den bewussten, längerfristigen Umgang mit knappen (z.T. auch nicht erneuerbaren) Ressourcen
jeglicher Art. Nachhaltigkeit steht damit für
verantwortungsvolles Handeln, das auf den
langfristigen Erhalt von Ressourcen und Systemen setzt, anstelle sich an einer kurzfristigen Nutzung zu orientieren: «…[Nachhaltigkeit ist der] Zustand eines Systems, das sich
so verhält, dass es über unbeschränkte Zeiträume […] existenzfähig bleibt […]].» (Mea­
dows et. al., 1992).
Während Nachhaltigkeit bei vielen Grossunternehmen deutlich sichtbar in die bestehenden Geschäftsmodelle integriert wird, sind
Klein- und Mittelständische Unternehmen
noch zögerlicher in der Argumentation und
Dokumentation ihres Verständnisses. Auch
zeigen sich Fälle, in denen Nachhaltigkeit von
Unternehmen z.B. auf der Website oder in einem Nachhaltigkeitsbericht etc. bereits kommuniziert wird, aber die Unternehmen mit einer echten Umsetzung, diese auch zu leben,
noch deutliche Mühe haben.
Zahlreiche Faktoren deuten darauf hin, dass
Nachhaltigkeit daher kein kurzlebiges Modethema ist, sondern die Gesellschaft und
auch die unternehmerische Realität in Zukunft
selbstverständlich und von Grund auf prägen
wird. Durch die Neuigkeit des Themas bedarf
es aber auch noch der Schärfung des eigenen
Verständnisses von Nachhaltigkeit, der eigentlichen Positionierung gegenüber dem Thema
und der Anerkennung seiner tiefgreifenden
Bedeutung für Entscheidungsfindung, mögliche Handlungen und die Abschätzung von Folgen. Dies betrifft gerade solche Entscheidungen und Dilemmata, die durch gewohnheitsmässiges Denken und Handeln nicht mehr
angemessen lösbar sind. Um welche Konflikte geht es dabei im Einzelnen?
Allgegenwärtige Zielkonflikte
Ein vielverbreitetes Instrument zum Fällen von
Entscheidungen ist eine Nutzwertanalyse. Dabei wird davon ausgegangen, dass alle möglichen Handlungsoptionen bekannt sind, ver-
Nachhaltiges Management: Zielkonflikte ausbalancieren
Soziale / ökologische Interessen
Innovation
Langfristige Orientierung
Interessen Vieler
Ökonomische Logik
Effizienz
Kurzfristige Orientierung
Einzelinteressen
glichen und angemessen gewichtet oder bewertet werden können. Die Realität sieht
jedoch anders aus. Viele Entscheidungen sind
nicht mehr abschätzbar, weil wir die Alternativen nicht kennen, die relevanten Parameter
schlecht identifizierbar und in ihrem Wirkungsgefüge komplex sind, oder wir die Konsequenzen nicht umfassend absehen können.
Vielfach stehen sich Ziele gegenseitig im Weg,
die gleich bedeutsam sind und um die gleichen knappen Ressourcen in Wettbewerb stehen (z.B. Zeit, Aufmerksamkeit, Finanzen,
etc.). Es wird entgegen vieler Versprechungen
i.d.R. nicht gelingen, gleichzeitig alle Ziele in
identischem oder optimalem Masse zu erreichen. Eine einzig richtige Lösung wird es daher kaum geben. Hinzu kommen machtpolitische Spiele im internen oder grenzüberschreitenden Gefüge von Organisationen, die den
tatsächlichen Konfliktgehalt verschleiern. Wir
müssen (wieder) lernen, die bestehenden Zielkonflikte zu erkennen, anzuerkennen, ihre
Thematisierung zu legitimieren und einen angemessenen Umgang damit zu schulen.
Gerade ein rational-bewertender Ansatz hilft
bei komplexen Entscheidungen nicht mehr
weiter, obwohl uns eine Sicherheit der Rationalität oder von Zahlen vermittelt wird. Vielversprechender sind hingegen intuitive Vorgehensweisen, die auf implizitem, oft nicht in
Worte fassbarem, aber in der Vergangenheit
gelernten Wissen fundieren. Das Eingeständnis, dass nicht alles gleichzeitig und sofort erreicht werden kann, ist Grundlage von auf
Ausgleich bedachten Lösungen. Die Neigung,
Problemstellungen zu sehr zu vereinfachen,
vorhandene Zielkonflikte zu verdrängen, sich
auf einzelne Ziele zu fokussieren und damit
verbunden das Risiko, auf Dauer einseitig zu
operieren, ist offensichtlich. Hinsichtlich nachhaltiger Unternehmensentwicklung bestehen
u.a. folgende konfliktgeladene Beziehungen,
mit deren Spannungen eine konstruktive Auseinandersetzung notwendig scheint (siehe
Abbildung).
Zielkonflikt 1
Ökonomische Logik vs. soziale vs. ökologische Interessen
In der klassischen Ökonomie fokussieren sich
unternehmerische Denk- und Handlungsweisen auf erfolgs- oder finanzorientierte Aspekte. Soziale Belange der Mitarbeiter und der
Gesellschaft oder ökologische Interessen finden hingegen geringere Beachtung. In den
vergangenen Monaten wurde jedoch immer
deutlicher, wie eng diese drei Bereiche miteinander verwoben sind und eine einseitige Orientierung schliesslich zulasten des Unterneh-
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mens als Ganzes geht. Sie sind daher als sogenannte «Triple Bottom Line» der Kern einer
Nachhaltigkeits-Debatte.
So müssen Mitarbeiter in Unternehmen etwa
kurzfristig enorme Belastungen aushalten und
ständig erreichbar sein. Solche Höchstleistungen sollten und können eine ganze Zeit lang
möglich sein, aber längerfristig braucht es
auch Zeit zur körperlichen und geistigen Erholung sowie zur Aktualisierung der in der
Organisation verfügbaren Kompetenzen. Folgen einer Dauerbelastung sind eine abnehmende Leistungsfähigkeit, insbesondere was
die Qualität von Entscheidungen und kreative Arbeiten anbetrifft, sowie gesundheitliche
Beeinträchtigungen wie z.B. Burnout oder andere psychische und physische Erkrankungen.
Auch die fehlende Erneuerung oder Weiterentwicklung von Kompetenzen stellen ein
strategisches Risiko dar. Letztlich leidet der
unternehmerische Erfolg längerfristig. Die
Dringlichkeit, sich dem Thema zu widmen,
zeigt sich etwa in der grossen Zunahme von
Absenzen aufgrund psychischer Probleme der
Mitarbeiter. Allein zwischen 2009 und 2010
stieg zum Beispiel dieser Wert in Deutschland
um 12 Prozent an und heute ist etwa jeder
neunte Krankheitstag auf psychische Ursachen zurückzuführen. Seit 1990 hat sich der
Wert verdreifacht (BKK, 2010).
Ähnliches wurde im Jahr 2010 in Bezug auf
die Bedeutung ökologischer Ressourcen für
Unternehmen deutlich: Nach der Katastrophe
auf der Ölplattform «Deepwater Horizon» im
Golf von Mexiko hatte BP nicht nur seine
Glaubwürdigkeit verspielt, sondern auch der
Unternehmenswert halbierte sich innert kurzer
Zeit um mehr als 100 Mrd. USD. Auf gesellschaftlicher Ebene werden die entstandenen
Kosten allein im betroffenen US-Staat Louisiana ebenso auf bis zu 100 Mrd. USD geschätzt.
In die traditionelle betriebliche Rechnung
gehen solche Werte jedoch gar nicht ein.
Zielkonflikt 2
Innovativität und Wandel vs. Stabilität
und Effizienz
In einer Welt, die sich kontinuierlich wandelt,
braucht es stetig neue Ideen und innovative
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Produkte. Gleichzeitig verlangt die wachsende Konkurrenz aus günstig produzierenden
und aufstrebenden Nationen wie China, Indien, Brasilien auch ein effizientes, kostenorientiertes Handeln. Beides zeitgleich zu realisieren, ist für Unternehmen jedoch schwierig.
Denn diese Arten des Arbeitens brauchen
unterschiedliche Rahmenbedingungen, Strukturen, Kulturen, Denkweisen und «Typen». Effizientes Arbeiten fokussiert sich einerseits auf
die Verbesserung und Beschleunigung von Bestehendem, möglichst ohne Variation. Dabei
helfen klare Strukturen und Hierarchien. Kreatives Arbeiten braucht andererseits Vielfalt,
Freiraum, Zeit und ein grundsätzliches Hinterfragen von Bekanntem. Gute Ideen halten sich
selten an eine vordefinierte Arbeitszeit oder
an vorgegebene Hierarchien, und ihre Urheber sind eher unangepasste, oft gut ausgebildete Querdenker denn pflegeleichte Mitarbeiter (March, 1991; Sutton, 2002).
Bibliografie
Bisher konzentrierten sich Unternehmen oft
auf eine dieser beiden Welten durch ideenreiche Unternehmen wie Architekturbüros oder
Werbeagenturen oder durch effiziente Industrieunternehmen. In Zukunft wird es nicht
mehr ausreichen, sich auf nur eine Welt zu beschränken, denn die Kombination dieser Fähigkeiten ist im Wettbewerb stets überlegen
(Porter, 1996). In der Theorie und Praxis wird
zwar versucht, Organisationsformen zu entwerfen oder umzusetzen, die beide Ziele vereinen können, wie z.B. durch eine sogenannte «Ambidextrous Organization» (z.B. O’Reilly
& Tushman, 2004), bei der eine Trennung von
effizienten und innovativen unternehmerischen Bereichen angestrebt wird. Solche Gebilde sind jedoch sehr komplex und ihre wirkungsvolle Umsetzung im Alltag extrem anspruchsvoll und langwierig.
Meadows, D.H.; D.L. Meadows; J. Randers
(1992): Beyond the limits. Global collapse
or a sustainable future. London: Earthscan
Publications. Deutsche Version: Die neuen
Grenzen des Wachstums. Die Lage der
Menschheit: Bedrohung und Zukunftschancen. Stuttgart: DVA.
Auch bergen sie sozialen Sprengstoff, da für
Mitarbeiter, die unter Kostendruck stehend arbeiten müssen, nur schwer zu vermitteln ist,
dass anderen Mitarbeitern grössere zeitliche
Spielräume zugestanden werden. Einseitigkeiten in der praktischen Rezeption dieser Organisationsmodelle und in der nur für einzelne
Zielgruppen gelungenen Gestaltung der Organisation sind daher nicht selten. Selbst wenn
diese Probleme kurzfristig ignoriert werden
können (bezogen auf das gewählte Beispiel
Barney, J. (1991): Firm Resources and Sustained Competitive Advantage, Journal of
Management, Vol. 17, 99–120.
BKK / Betriebskrankenkassen (2010): BKK
Gesundheitsreport 2010: Gesundheit in einer älter werdenden Gesellschaft.
www.dnbgf.de/fileadmin/texte/Downloads/uploads/dokumente/2010/BKK_Gesundheitsreport_2010.pdf.
Hamel, G. (2008): Das Ende des Managements – Unternehmensführung im 21.
Jahrhundert. Berlin: Econ.
March, J.G. (1991): Exploration and Exploitation in Organizational Learning. Organization Science, Vol. 2, 71–87.
O’Reilly, C.A.III.; M. L. Tushman (2004). The
Ambidextrous Organization. Harvard Business Review, April, 74–81.
Porter, M.E. (1996): What is Strategy? Harvard Business Review, Nov. – Dec., 62–78.
Smith, W.K.; M.W./Lewis, M.W. (2011): Toward a Theory of Paradox: A Dynamic Equilibrum Model of Organizing. Academy of
Management Review, Vol. 36, No. 2, 381–
403.
Sutton, R.I. (2002): Weird Ideas that Work:
11 ½ Practices for Promoting, Managing,
and Sustaining Innovation. New York:
Simon & Schuster.
lassen sich auch kreative Mitarbeiter eine Zeit
lang mit effizienzorientierten Instrumenten führen), so steht eine dauerhafte, überzeugende
Lösung des Zielkonfliktes bis heute noch aus.
22 Management
Im Umgang mit Zielkonflikten ist es ratsam,
bisherige Denk- und Handlungsmuster zu überprüfen, da diese oft ungeeignet sind, «Pfade» für
künftiges Handeln zu etablieren.
von Unsicherheit geprägt sind. Oft wechseln
Personen schneller eine bestimmte Position
als die Erfolge ihrer Handlungen sichtbar werden. Warum also kurzfristige Gewinne zugunsten längerfristiger Erfolge aufgeben?
Zielkonflikt 4
Zielkonflikt 3
Kurzfristige vs. längerfristige Sichtweise
Sowohl kurzfristige als auch langfristige Ziele haben in Unternehmen ihre Berechtigung:
So ist kurzfristiger Cashflow notwendig, um
längerfristigen Erfolg überhaupt anstreben zu
können. Um nachhaltige Wettbewerbsvorteile aufzubauen und dauerhaft erfolgreich zu
bleiben, ist jedoch oft ein kurzfristiger Verzicht
oder eine strategische Investition an Zeit,
Geld, oder Aufmerksamkeit notwendig, die
den unternehmerischen Erfolg zunächst
schmälert und stets mit Risiken verbunden ist.
Nachhaltig erfolgreich sind Unternehmen nur
dann, wenn ihre Wettbewerbsvorteile einzigartig und nicht imitierbar sind (Barney, 1991).
Dies ist über Marktleistungen oder Produkte
kaum möglich, sie können zu schnell imitiert
werden. Vielmehr braucht es mindestens einen von mehreren Sachverhalten im Inneren
des Unternehmens: Historisch gewachsene
Strukturen, besondere «weiche» bzw. «soziale» Faktoren oder ein eng verwobenes System zusammenhängender Aktivitäten. Manchmal ist es sogar schwer, solche Sachverhalte
konkret auszumachen und zu benennen (Bar-
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ney, 1991; Porter, 1996). Solche Charakteristika können nur längerfristig in Unternehmen
aufgebaut und gestärkt werden. Alle Faktoren sind z.B. bei der Erfolgsgeschichte von Ingvar Kamprad und der von ihm gegründeten
IKEA vorhanden. Die auf südschwedischen
Werten und Normen basierende und in der
Nachkriegszeit gewachsene Kultur der Sparsamkeit und Bodenständigkeit des Unternehmens ist dadurch ein entscheidender, einzigartiger Wettbewerbsfaktor und nachhaltig, da
eine Imitation kaum möglich ist.
Im Alltag jedoch diktiert uns oft die Dringlichkeit des Tagesgeschäftes, mit welchen Themen
wir uns auseinandersetzen. Das Tagespensum
an aktuellen Aufgaben ist für viele Führungskräfte so gross, dass nur wenig Energie für die
Beschäftigung mit langfristigen Themen
bleibt. Vielfach steht letztlich eine durch die
Finanzmärkte und Shareholder diktierte Orientierung an kurzfristigen Gewinnen an
oberster Stelle, denen andere Stakeholder in
den letzten Jahren untergeordnet werden.
Diese untergräbt oft den Aufbau nachhaltiger,
also einzigartiger und nur schwer imitierbarer
Vorteile im Wettbewerb. Erschwerend kommt
hinzu, dass Investitionen in die Zukunft stets
Einzelinteressen vs. Interessen Vieler
Im Zuge der Finanzkrise wurde deutlich, wie
die Interessen weniger oft in Konflikt zu den
Interessen vieler stehen und sich entlang der
Finanzströme unterschiedliche Durchsetzungsfähigkeiten der eigenen Interessen verschärfen. Aus individueller Sicht ist der schnelle Gewinn durch exorbitante Gehälter / Gewinne und damit verbundene hohe Risiken, z.B.
im Falle von Hedgefonds, nachvollziehbar. Aus
einer breiteren Perspektive heraus ist er jedoch fragwürdig. So zeigen sich auch von
Hedgefonds zunächst gerettete Unternehmen
auf Dauer als nicht immer zufrieden mit ihrer
Situation. Dass es sich um einen möglicherweise auf kurzfristige Gewinne orientierten
Sanierung handelt, der ein langfristig nicht
durchhaltbares Downsizing des Unternehmens eingefordert hat und infolge Mitarbeiter auf Dauer an ihre Belastungsgrenze bringt,
zeigt sich unter Umständen erst mit der Zeit.
Die Vielzahl möglicher künftiger Handlungsoptionen wird so vernichtet und strategisches
Agieren wird auf wenige Optionen eingeschränkt.
Oft findet dann eine offizielle Begründung
solcher Entscheidungen über «wirtschaftliche
Notwendigkeit» oder «Mangel an Alternativen» statt. Tatsächlich gab und gibt es meist
Alternativen, deren Anzahl im Zeitverlauf jedoch abnimmt und aufgrund der Zusammensetzung des Entscheidergremiums und der
bestehenden Machtverhältnisse im Unternehmen gar nicht erst in den Blick gelangen.
Denn zahlreiche Entscheidungen in Unternehmen sind dadurch geprägt, dass bestehende Machtverhältnisse, Netzwerke oder
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Seilschaften Einzelner gebildet oder genutzt
werden, ohne andere relevante «Player» einzubeziehen. Der Zement von Netzwerken in
Form von «Sympathie» basiert auf einer Ähnlichkeit im Denken und Handeln, was eine
schnelle, aber einseitige Entscheidungsfindung ermöglicht.
So werden vielversprechende Alternativen
nicht in die Entscheidung einbezogen und
sogenannte neue Pfade nicht erschlossen.
Nicht zuletzt ist unser Managerverständnis
vom durchsetzungsstarken Macher geprägt.
Da Wissen heute oft extrem spezialisiert und
im Unternehmen verteilt ist, gerät dieses traditionelle Bild, das die Auswahl von Entscheidern prägt und zu stark arbeitsteiligen
Entscheidungen führt, an seine Grenzen:
Einzelne Personen sind oft damit überfordert, einen Sachverhalt ausreichend breit
und tief zu erfassen. Neue Führungskonzepte liegen zwar vor. Sie sind aber sowohl in
Hinblick auf ihre praktische Umsetzung als
auch auf ihre theoretische Fundierung noch
unvollständig und bringen so die Erfordernis mit sich, Neuland zu beschreiten und eigene Erfahrungen in ihrer Umsetzung zu
sammeln.
Handlungsmaximen schaffen
Die dargelegten Beispiele sind nur Ausschnitte aus dem komplexen Wirkungsgefüge. Tatsächlich finden sich zahlreiche weitere Dilemmata auf und zwischen allen unter­
nehme­rischen Ebenen und Funktionen einer
Organisation. Wir wissen heute noch viel zu
wenig über die oft komplexen Zusammenhänge sich widersprechender unternehmerischer
Ziele. Viele Widersprüche bzw. Nebenwirkungen von Lösungen zeigen sich erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung und sind dann
oft kaum noch zu «reparieren». Auch fehlt es
an Wissen, wie sich Nachhaltigkeit in Unternehmen selbstverständlich umsetzen lässt und
wie eine «gesunde» Kombination respektive
«Balance» zwischen den einzelnen Zielen und
Orientierungen aussehen kann. Zu vermuten
ist, dass es angesichts der Vielfalt an Problemen und Organisationen keine globale, absolut richtige Lösung geben kann. Vielmehr
braucht es angemessene Handlungsmaximen,
welche einen Rahmen für unternehmerische
Aktivitäten vorgeben.
KMU-Magazin Nr. 10, Dezember 2011/Januar 2012
Insgesamt besteht aktuell ein grosser Bedarf
an zuverlässigem Wissen um Zusammenhänge und sinnvolle Handlungsempfehlungen,
der mit bestehenden Erkenntnissen noch
nicht abgedeckt werden kann. Wir stehen hier
erst am Anfang einer Debatte, die uns noch
viele Jahre und Jahrzehnte beschäftigen wird.
Ein erster Schritt ist, wie dargestellt, Zielkonflikte zu erkennen und zu verstehen, ob und
wie diese von verschiedenen Mitgliedern der
Organi­sation wahrgenommen werden. So bestehen vielfach «eingefahrene» Denk- und
Handlungsmuster, deren Ausführung die Existenz von Spannungen lange Zeit ignorierbar
macht.
Ein weiterer Schritt besteht daher darin, die
Art und Weise zu verbessern, wie mit Zielkonflikten umgegangen wird. Dazu gehört, diese etablierten Denk- und Handlungsmuster
auf ihre Eignung zur Lösung der heutigen
Herausforderungen und Zielkonflikte zu überprüfen. Diese sind in vielen Fällen ungeeignet, «Pfade» für künftiges Handeln zu eta­
blieren oder um die Vielzahl möglicher Handlungsoptionen für die Zukunft offenzuhalten.
Ein dritter Schritt muss daher darin bestehen,
aus den Erkenntnissen entsprechende Konsequenzen für das Management abzuleiten
(Smith & Lewis 2011).
Ausblick
Im zweiten Teil des Beitrags («KMU-Magazin», Ausgabe 1/2012) wird näher darauf eingegangen, warum es so schwierig ist, bestehende Denk- und Verhaltensmuster von Organisationen zu verändern und wie dies
dennoch gelingen kann. Aufgegriffen werden
■■ weit verbreitete, traditionelle Handlungsmuster unter extremer Unsicherheit und inwiefern diese eine nachhaltige Unternehmensentwicklung unterbinden: «Weitermachen wie bisher / Mehr desselben», Aktionismus, Ignorieren oder Schönreden,
■■ Pfadabhängigkeiten, die auf die Fortführung vergangener Erfolge bauen, aber zahlreiche künftige Optionen verhindern, Verantwortung verlagern, sowie
■■ disruptive Prozesse als Möglichkeit, etablierte Pfade zu verlassen, damit sich KMU
immer wieder neu erfinden können.
Serie
Die drei Teile der Serie «Nachhaltige Unternehmensführung» erscheinen wie folgt:
10/11 Zielkonflikte als zentrale
Herausforderung
01/12 Innovative Lösungen durch das
Verlassen bekannter Pfade
02/12 Ansatz für den Aufbau einer nachhaltigen Unternehmensführung
Porträt
Dr. Petra Kugler und Prof.Dr. Sibylle OlbertBock leiten gemeinsam das strategische
Themenfeld («Leuchtturm») «Nachhaltige
Unternehmensentwicklung» an der FHS
St. Gallen. Sie blicken auf langjährige Erfahrungen in Wissenschaft und Praxis zurück.
Dr. Petra Kugler ist Dozentin für Strategisches Management am Institut für Unternehmensführung (IFU) der FHS St. Gallen.
Prof. Dr. Sibylle Olbert-Bock leitet das Kompetenzzentrum «Leadership & Personal­
management» am Institut für Qualitäts­
management und Angewandte Betriebs­
wirtschaft (IQB) der FHS St. Gallen.
Kontakt
Dr. Petra Kugler
FHS St. Gallen
Institut für Unternehmensführung (IFU)
Davidstrasse 38, 9001 St. Gallen
Tel. 071 226 13 92
[email protected]
www.fhsg.ch/ifu oder www.fhsg.ch/nue
Prof. Dr. Sibylle Olbert-Bock
FHS St. Gallen
Institut für Qualitätsmanagement und
angewandte Betriebswirtschaft (IQB)
Teufener Strasse 4, 9000 St. Gallen
Tel. 071 228 70 66
[email protected]
www.fhsg.ch/iqb oder www.fhsg.ch/nue
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