Schöpfung erzählen. Möglichkeiten narrativer Buddhologie – auch für die Christologie John D’Arcy May Es folgen unsystematische Betrachtungen zu einem Thema, das relativ wenig erforscht ist, aber Möglichkeiten für die Entwicklung einer genuin ökumenischen Theologie der Religionen in der Form einer vergleichenden Theologie bereit hält. Es gibt zwar eine Theologie der Mystik, zu der Gotthard Fuchs bedeutende Beiträge geleistet hat, aber trotz den Anstrengungen eines halben Jahrhunderts gibt es immer noch keine wirklich befriedigende christliche Theologie der Religionen, in denen die Mystik beheimatet ist. Für mich ist dies das Symptom einer Krise der Christologie.1 Einige buddhistische Denker – zweifellos unter dem Einfluss christlicher Entwürfe2 – entwickeln neuerdings eine ‚buddhistische Theologie’ bzw. ‚Buddhologie’,3 wobei ungeahnte Reichtümer aber auch scheinbare Widersprüche in buddhistischen Traditionen freigelegt werden. Dies fordert Christen erneut zum Gespräch über die Christologie heraus, diesmal jedoch im Kontext einer vergleichenden Theologie. 1 Siehe John D. May, Living Buddha – Living Christ? Interreligious Dialogue and the Crisis of Christology, in: South Pacific Journal of Mission Studies 26 (2002), 25-31; ders., Transcendence and Violence: The Encounter of Buddhist, Christian and Primal Traditions, New York – London 2003, 137141. 2 Der ordinierte Lama und hervorragende Buddhismusforscher John Makransky gibt dies offen zu, siehe Vorwort und Einleitung zu seinem Buch Buddhahood Embodied, Albany 1997. Christliche komparative Theologen, auf die er sich bezieht, sind Francis X. Clooney, Hindu God, Christian God: How Reason Helps Break Down the Boundaries between Religions, Oxford – New York 2001, und Paul J. Griffiths, On Being Buddha: Maximal Greatness and the Doctrine of Buddhahood in Classical India, Albany 1994. 3 Zur Terminologie siehe José I. Cabezón, Buddhist Theology in the Academy, in: Roger Jackson – John Makransky (Hg.), Buddhist Theology: Critical Reflections by Contemporary Buddhist Scholars, London 2000, 25-52, 25-26. Möglichkeiten narrativer Buddhologie Ausserdem haben beide Religionen gravierende historische Verfehlungen zu verantworten, etwa die christliche Judenverfolgung in Europa und die christliche Untermauerung des europäischen Imperialismus oder die Hilflosigkeit des Buddhismus angesichts des Militarismus im Vorkriegs-Japan und des gewalttätigen Ethnozentrismus auf Sri Lanka. Es könnte dem Dialog einen wesentlichen Anstoss geben, gemeinsam nach den Voraussetzungen solcher Verschuldung in den Grundüberzeugungen und Lehren beider Traditionen zu suchen.4 Eine ernsthafte gegenseitige Beschäftigung mit Gemeinsamkeiten und Differenzen ihres Selbstverständnisses, angefangen mit ihrer jeweiligen spirituellen Praxis, ist zur unausweichlichen Herausforderung beider Traditionen geworden. Ich schlage deshalb eine zweiteilige These vor, die ich im folgenden als zu prüfende Hypothese betrachte: (1) Eine narrative Buddhologie, die den Bezug zur Geschichte findet, bietet die Möglichkeit einer Öffnung des Buddhismus zu den theistischen Religionen sowie zu einer zeitgemässen politischen Ethik. (2) Eine christliche Schöpfungstheologie, die durch die buddhistische Theismuskritik hindurch gegangen ist, bietet die Möglichkeit einer Christologie, die Transzendenz als historische Praxis auffasst. In den siebziger Jahren war viel von ‚narrativer Theologie’ die Rede im Zusammenhang mit politischen und Befreiungstheologien, die den irdischen Jesus der Synoptiker neben den erhöhten Christus der Paulusbriefe stellen wollten, um Christologien ‚von unten’ zu entwickeln, die der Pluralität neutestamentlicher Christologien Rechnung tragen könnten. Damit impliziert war auch eine Kritik an den dogmatischen Formeln, die die frühchristlichen christologischen Kontroversen schlichteten, aber heute eher wie Scheinlösungen aussehen, Sprachregelungen, die den Rahmen eines trinitarischen Gottesverständnisses absteckten, aber die Fülle der biblischen Botschaft verfehlten. 4 Diese Überlegungen bilden den Ausgangspunkt von May, Transcendence and Violence. 2 Möglichkeiten narrativer Buddhologie Es ist der Gekreuzigte, der den Christen Zugang zum Vater verschafft. Wenn Christen ‚Gott’ sagen, meinen sie einen christusähnlichen Gott,5 den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Ex 3,6; 6,3), den Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi (Röm 15,6; 2. Kor 1,3, 11,31; Eph 1,3; 1. Pet 1,3), nicht Pascals Gott der Philosophen. Was in gängigen Christologien nicht hinreichend zur Geltung kommt, ist die Einbettung des Erlösungsgeschehens in den immerwährenden, ständig sich erneuernden Schöpfungsvorgang. Die Schöpfung, biblisch vielfältig ausgedrückt als Wirkung des göttlichen Wortes, als Walten der Weisheit oder als Allgegenwart des Geistes, ist eine der gewaltigsten Vorstellungen der Religionsgeschichte, nicht zuletzt in den drei Abrahamischen Religionen, wo sie als der primäre Bund Gottes mit aller Kreatur alles andere trägt und prägt.6 Das überwältigende Paradoxon der Christologie ist, dass gerade dieser Schöpfergott, der den Bund mit dem Volk Israel geschlossen und erneuert hat, in Jesu Leben und Tod sein Schöpfungswerk fortsetzt als Bund mit allem, was ist, und in Jesu Auferstehung eine ‚neue Schöpfung’ ankündigt. Im Buddhismus verhält es sich nicht unähnlich, nur müssen Christen vieles in Kauf nehmen, bis sie zu dieser Einsicht gelangen. Die Texte des buddhistischen Kanons wurden ungefähr im Zeitraum der Entstehung des Neuen Testamentes schriftlich niedergelegt, nachdem die ältesten unter ihnen vier, vielleicht fünf Jahrhunderte lang mündlich überliefert worden waren.7 Dies geschah mit erstaunlicher Zuverlässigkeit, wie der Vergleich der erhaltenen Versionen des Kanons zeigt, aber es geschah auch im Kontext einer Erzählkultur, die gar keinen Wert auf historische Objektivität oder faktische Genauigkeit legte. Vielmehr ist die Erzählung vom Leben des Buddha von 5 Siehe John V. Taylor, The Christlike God, London 1992. 6 Der eigenwillige irische Theologe James Mackey hat diesen Gedanken eindrucksvoll entwickelt in seinem Buch Christianity and Creation: The Essence of the Christian Faith and Its Future among Religions. A Systematic Theology, New York – London 2006; in einem völlig anderen Stil aber nicht weniger grundsätzlich macht auch Hans Kessler, Den verborgenen Gott suchen. Gottesglaube in einer von Naturwissenschaften und Religionskonflikten geprägten Welt, Paderborn u.a. 2006, die Schöpfung zur Grundlage einer trinitarisch konzipierten Theologie. 7 Siehe Kōgen Mizuno, Buddhist Sūtras: Origin, Development, Transmission, Tokyo 1982. Die Datierung des Buddha wird immer noch diskutiert; Perry Schmidt-Leukel, Understanding Buddhism, Edinburgh 2006, 19, gibt den Konsens der Gelehrten als ungefähr 563-483 v. Chr. wieder, während Hans-Joachim Klimkeit, Der Buddha. Leben und Lehre, Stuttgart 1990, 24, meint, etwa 450-370 v. Chr. sei wahrscheinlicher. 3 Möglichkeiten narrativer Buddhologie zahllosen Legenden umrankt, so sehr, dass es vollkommen unmöglich ist, eine zusammenhängende Biographie herauszuschälen.8 Dennoch wird eine Erzählstruktur sichtbar und werden Worte und Taten greifbar, die darauf schlieβen lassen, dass der junge Adelige Gautama Śākyamuni eine historische Persönlichkeit war, der nach seiner Erleuchtung zum Buddha wurde und eine beispiellose Wirkungskraft entfaltete. Die Orte seiner Geburt, seiner Erleuchtung, seiner ersten Lehrtätigkeit und seines Todes, die später zu Kultstätten wurden, sind zusammen mit vielen anderen genau festgehalten, wie auch die Namen vieler Menschen, mit denen der Buddha verkehrte.9 Doch diese umrisshafte Historizität spielt im Kern der buddhistischen Überzeugung überhaupt keine Rolle. Vielmehr ist es das Dharma, das ewig währt und unwandelbar ist, das im Mittelpunkt steht. „Wer den Buddha sieht, der sieht das Dharma“, heisst es in den Theravāda sūtras (vergleiche „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat“, Joh 12,45). Jahrhunderte später heiβt es in den Schriften des Mahāyāna umgekehrt: Wer das Dharma sich aneignet, sieht den Buddha; ohne die richtige Praxis nehmen wir ihn in seinem Buddhawesen eben nicht wahr, etwa wie Paulus behauptet, Jesus wirklich zu kennen, obwohl er ihn in seiner irdischen Gestalt nie gesehen hat.10 Jedes Weltzeitalter (kalpa) von unermesslicher Länge hat seinen Erleuchteten, der nach zahllosen früheren Leben als ein Erleuchtungswesen (bodhisattva) zur erlösenden Einsicht vorstöβt und diese als Wahrheit verkündet, immer an denselben Orten und in derselben Weise.11 So wie die Buddhas früherer Zeitalter namentlich bekannt sind, so steht auch der kommende fest: er heisst Maitreya (von maitrī, Pāli mettā‚ ‚liebendes Wohlwollen’). Noch in seiner Abschiedsrede vor seinem endgültigen Hinscheiden ins nirvāṇa schärft der Buddha seinen Mönchen ein, dass sie sich nicht an ihm, sondern am Dharma festhalten und durch eigene Kraft den von ihm vorgezeichneten Weg mit Entschlossenheit beschreiten sollten (Dīgha-Nikāya XVI, 2,26; 7). Wir sehen uns zwei Problematiken gegenüber, die bei aller Verschiedenheit verblüffend ähnlich sind: 8 Dies ist eine Hauptthese von Klimkeit, Buddha. 9 Siehe Michael Pye, The Buddha, London 1979. 10 Siehe Makransky, Buddhahood Embodied, 35, 45. 11 Siehe John S. Strong, The Buddha: A Short Biography, Oxford 2001. 4 Möglichkeiten narrativer Buddhologie (3) Gautama Śākyamuni wird als Mensch geboren, und durch eigenes Bestreben gelangt er zur Einsicht, die die endgültige Erleuchtung bringt. Er stirbt wie ein Mensch, allerdings an einem Ort und zu einer Zeit seiner Wahl, doch seit seiner Erleuchtung ‚ist’ er bereits im Nirvāṇa, ein von allen Bedingungen und Begierden vollkommen Befreiter. (4) Jesus von Nazareth wird als Mensch geboren, und durch Anleitung des Geistes gelangt er zum Bewusstsein seiner Berufung. Er lebt und stirbt wie ein Mensch, allerdings ohne Sünde, doch er ‚ist’ der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, was durch seine Auferstehung bezeugt wird.12 Das ‚christologische Problem’ bestand ursprünglich darin, nicht so sehr die Göttlichkeit als vielmehr die wahre Menschlichkeit Jesu sicherzustellen, während im Falle des Buddha, der zumindest in der früheren Tradition immer als Mensch dargestellt wurde, die indische Phantasie beim Ausmalen seiner wunderbaren Merkmale und Fähigkeiten keine Grenzen kannte. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich eine Buddhologie, die drei Buddhakörper vorsah: den Erscheinungsoder Verwandlungskörper (nirmāṇa-kāya), in dem der werdende Buddha geruhte, auf Erden zu erscheinen; einen ‚Körper des gemeinsamen Genusses’ (saṃbhoga-kāya), in dem der Buddha der späteren Mahāyāna-Sūtras wie ein transzendentes Wesen erscheint, das die endgültige Befreiung wie eine kosmische Wahrheit offenbart; und den ‚Körper der Lehre’ (dharma-kāya), der der absolut transzendenten Buddha-Natur selbst gleichkommt bzw. sie verkörpert. Christen müsste diese Buddhologie wie Doketismus vorkommen, der das Materiell-Irdische vollkommen abwertet, doch – wieder mit Akzentverschiebungen – eine gewisse Parallele zum Schema ‚irdischer Jesus – erhöhter Christus – präexistenter Logos’ ist frappierend. 12 In beiden Fällen wird an eine ‚unbefleckte Empfängnis’ und eine ‚jungfräuliche Geburt’ gedacht, allerdings mit etwas anderer Akzentsetzung: Im Falle des Buddha träumt seine Mutter Māyā von einer Empfängnis, in der ein weiβer (d. h. königlich-sakraler) Elephant in ihre rechte Seite eingeht, so wie die Geburt erfolgt, indem der Buddha aus ihrer rechten Seite wieder hervortritt, doch die ‚unbefleckte Empfängnis’ meint die des Buddha, nicht seiner Mutter, und von einer ‚Jungfrauengeburt’ ist nirgends ausdrücklich die Rede; siehe Klimkeit, Buddha, 53. 5 Möglichkeiten narrativer Buddhologie Wie Makransky ausführlich darlegt, handelte es sich im späteren Mahāyāna Indiens und Tibets um vier Buddha-Körper, damit sichergestellt werden konnte, dass die transzendente Buddha-Natur ohne Bedingungen (asaṃskṛta) dennoch in der von Bedingungen abhängigen (saṃskṛta) und deshalb illusorischen Welt zur Befreiung aller wirken kann. Diese Unterscheidung betrifft auch das Bewusstsein des Buddha.13 So wie den Buddhisten das Problem blieb, wie einer, bei dem sämtliche Daseinsfaktoren (skandhas), Bildekräfte (saṃskāras, ‚Gestaltungen’) und Befleckungen (kleśas) aufgelöst sind, dennoch ein ganz und gar menschliches Leben als ‚lebender Befreiter’ (jīvanmukti) führen konnte, so standen die Christen vor dem scheinbar unlösbaren Problem der restlosen Vereinigung der menschlichen und göttlichen Naturen ‚ungemischt und ungetrennt’, bis hin zum Problem, ob der GottMensch denn zwei Willen bzw. zwei Intellekte habe. Die Buddhisten mussten sich allerdings auch der Frage stellen, wie der vollkommen Erleuchtete nicht-duale Kenntnis von der unbedingten, absoluten Wahrheit und gleichzeitig von der von Bedingungen abhängigen Welt haben könnte. In beiden Fällen handelt es sich allerdings im Kern gerade nicht um paradoxe Begriffsgebilde, sondern um Erzählungen, denen Glauben geschenkt werden soll. Die erlösende Wahrheit, um die es letztlich geht, wird narrativ erkannt. Bei Christen heiβt dies zunächst einmal Hoffnung (elpis, spes), das Vertrauen darauf, dass Gottes Verheiβung durch Jesus in Erfüllung geht, zusammen mit dem ‚Für-Wahr-Halten’ (pistis, fides) dessen, was Jesus selbst verkörpert und verkündet. Die Buddhisten kennen ein Vertrauen auf die Worte des Buddha, wenn er sein Erleuchtungserlebnis und den Weg dazu beschreibt, das auch ‚Glaube’ heiβt (śrad-dhā, etymologisch mit cre-do verwandt, ‚das Herz schenken’), obwohl dies erst später, in mahāyānistischen Traditionen des ‚Reinen Landes’, eine Rolle spielt, die der des Glaubens im Rechtfertigungsdenken bei Paulus oder bei Luther (sola fide) nahe kommt. Ansonsten heiβt es im Mahāyāna gemeinhin, erst die Erkenntnis der Wahrheit des Dharma begründe das Vertrauen in das Wort des Buddha. Dennoch: In beiden Fällen geht es darum, einer erzählten Geschichte, die durch Augenzeugen berichtet wird, Glauben zu 13 Eine Hauptthese von Makransky ist, dass die Denker der Madhyamaka-Schule eine Korrektur an der früheren Yogācāra-Schule anbringen wollten, damit Buddhaschaft nicht einfach als schlechthin unbegreiflich – es sei denn durch yogische Realisierung – verstanden, sondern denkbar würde. 6 Möglichkeiten narrativer Buddhologie schenken. Die Struktur dieses Glaubens ist selbst narrativ, lange bevor Philosophen seinen Inhalt in abstrakte Begriffe fassten. Mussten die Christen diese philosophische Terminologie von den Griechen übernehmen und dadurch die ganz und gar in jüdischer Kultur verwurzelte Botschaft transformieren, lebte der Buddha in einer Gesellschaft, die dem antiken Griechenland mit seinen Weisheitssuchern und Philosophenschulen nicht unähnlich war; der Buddhismus wurde also von Anfang an in philosophischen Kategorien artikuliert. Gerade deswegen hat der Buddha immer wieder darauf hingewiesen, dass nicht metaphysische Theorien (dṛṣṭī, Pāli diṭṭhī, ‚Sehweisen’) sondern die unablässige Anstrengung, die Begierde (ṭṛṣnā, Pāli taṇhā, ‚Durst’) auszurotten (nirodha), zur Erlösung führt. Das Jahrtausend, in dem der Buddhismus in Indien blühte, war eine Ära nicht nur der sich vertiefenden und entwickelnden spirituellen Praxis, sondern auch der atemberaubenden religiösphilosophischen Analyse und Systembildung, allerdings immer mit dem Zweck, die Praxis zu erhellen und zu fördern. Die Lehre des Buddha wurde von Anfang an von einem Denkmuster untermauert, das von Buddhisten immer wieder als begriffliche Grundlage des Dharma hervorgehoben wird: die Lehre von der Entstehung in gegenseitiger Abhängigkeit (pratītyasaṃutpāda, Pāli paṭiccasamuppāda). Gerade diese Vorstellung universaler gegenseitiger Kausalität (nidāna) eliminiert vom Buddhismus die Notwendigkeit, irgend eine causa prima oder einen Schöpfergott auβerhalb des Weltgeschehens dualistisch zu postulieren. Auch die Lehre vom ‚Nicht-Ich’ (anātman, Pāli anattā, ‚nicht das Selbst’), die Leugnung eines substantiellen Personenkerns, der unabhängig von seinen Bedingungen wäre, wird davon begrifflich abgeleitet, obwohl sie natürlich unmittelbar auf die Erleuchtungserfahrung selbst zurückgeht und mit dem christlichen Ideal der ‚Selbstlosigkeit’ bzw. des ‚Nicht ich, sondern Christus in mir’ (vgl. Lk 9,2325 par.; Gal 2,20) durchaus vergleichbar ist. Die spätere buddhistische Polemik, die allerdings schon in den älteren Pāli-Sūtras greifbar ist, entspricht ziemlich genau den klassischen Argumenten gegen den Theismus in westlichen Traditionen: Wenn das Absolute unveränderlich sein soll, dann kann es oder er nicht Ursache des auβer ihm entstehenden Seienden sein, da dies eben eine Veränderung im Verursacher implizieren würde; wenn das Absolute in sich gut und wohlwollend sein soll, dann kann es oder er nicht Urheber des leidvollen Daseins der Geschöpfe sein. Die 7 Möglichkeiten narrativer Buddhologie Schöpfungslehre ist deshalb logisch unstimmig, oder aber sie kommt dem ewigen Gesetz des karma gleich. Trotzdem ist es möglich, wie Perry Schmidt-Leukel akribisch nachgewiesen hat, zur zugegebenermaβen gänzlich anders konzipierten Schöpfungslehre Brücken zu bauen.14 Die philosophisch geschulten christlichen Theologen, gerade da, wo mystische Erfahrung zur philosophischen Reflexion hinzu kam, sahen sich genötigt, eine negative oder apophatische Theologie zu entwerfen, von deren Radikalität die meisten Gläubigen sich keine Vorstellung machen.15 Wenn Gott als Seiendes ausserhalb des Seins vorgestellt wird, dann wird er eben auf etwas Kontingentes reduziert und deshalb verfehlt; wenn er als personhaftes, uns wohlwollendes Wesen angerufen wird, dann nur unter dem Vorbehalt, dass dies unserem menschlichen Fassungsvermögen angepasste Vorstellungsweisen sind (was die Buddhisten ‚geeignete Mittel’, kauśalya-upāya, nennen würden). Dasselbe gilt für die göttlichen ‚Personen’ und für deren Dreizahl.16 Dagegen ist die geniale Formulierung eines Thomas von Aquin, Gott sei der actus purus des Seins selbst, ipsum esse, nur ein Notbehelf. Wiederum sehen wir, wie sich Differentes in Vergleichbares verwandelt: (5) Die Buddhisten sehen im Zeichen des Nicht-Dualismus von der Notwendigkeit eines unabhängig von der Welt existierenden Schöpfers sowie von der Annahme eines unabhängig von beobachtbaren Phänomenen bestehenden Personenkerns ab. 14 Siehe Perry Schmidt-Leukel (Hg.), Buddhism, Christianity and the Question of Creation: Karmic or Divine?, Aldershot 2006, 9. Kap., Buddhist Criticism and its Motives, 10. Kap., Bridging the Gulf. 15 Siehe John D. May, Nothingness-qua-Love? The Implications of Absolute Nothingness for Ethics, Jerald D. Gort – Henry Jansen – Hendrik M. Vroom (Hg.), Probing the Depths of Evil and Good: Multireligious Views and Case Studies, Amsterdam – New York 2007, 135-150; ders., Loving Nothingness? Possibilities of Prayer in Buddhism and Christianity. Festschrift für Aasulv Lande, Swedish Missiological Themes 92 (2004), 371-381. 16 Mackey, Christianity and Creation, 171-179, ist einer der wenigen Theologen, die die Verobjektivierung der Personifizierungen der göttlichen Attribute in der überkommenen Trinitätslehre ohne Umschweife kritisiert: Die Trinität ist eine Metapher, die dazu dient, die schöpferische Tätigkeit dieses unaussagbaren Einen dennoch auszusagen. 8 Möglichkeiten narrativer Buddhologie (6) Die Christen erkennen einen jenseits der Weltwirklichkeit existierenden Schöpfer, ohne wissen zu können, was oder wie er in sich ist, so wie sie auch daran festhalten, dass die Würde des Menschen ein einmaliges – wenn auch physikalisch und sozial bedingtes – personhaftes Zentrum von Bewusstsein und Verantwortung voraussetzt. Hier wird deutlich, wie tief die Kluft zwischen beiden religiösen Weltsichten ist: Wird die buddhistische auf dem ‚Un-Grund’ der absoluten Leere (śūnyatā) aufgebaut, basiert die christliche auf einer Metaphysik des absoluten Seins (ipsum esse). Doch wie Hegel bemerkt hat, sind absolutes Nichts und absolutes Sein am Ende äquivalent,17 und Ähnliches gilt für die Person bzw. das Selbst: Während die Buddhisten doch die diesseitige Wahrheit (saṃvṛtisatya) real existierender Individuen akzeptieren, indem sie die Alltagssprache unter der Bedingung verwenden, sie basiere letztlich auf einer Illusion (avidyā, ‚Nicht-Wissen’), so wissen Christen, dass die menschliche Person ein unauslotbares Geheimnis ist, was das gesellschaftlich konstruierte Individuum als irreal und hohl erscheinen lässt. Erst auf der Ebene der jenseitigen Wahrheit (paraṃārthasatya) kommt zum Vorschein – allerdings nur für die vollkommen Erleuchteten –, dass das Erreichen des nirvāṇa nicht das Resultat der Anwendung bestimmter Techniken des Geistestrainings ist, sondern in der Einsicht besteht, dass das irdische Dasein (saṃsāra) sich nicht-dual zur transzendenten Wirklichkeit verhält. Christen ihrerseits, die sich die apophatische Glaubensweise zu eigen machen, sehen die Existenz Gottes nicht als Schlussfolgerung eines Argumentes, so wenig wie die endgültige Erlösung als Ergebnis eigener Anstrengung – als ‚Werk’ – gelten kann. Der Amida-Buddhismus des ‚Reinen Landes’ (JōdoShinshū) entwickelte die Vorstellung, dass in der Gestalt der mitleidenden Bodhisattvas, z. B. Avalokiteśvara, und der transzendenten Buddhas, z. B. Amitābha, uns wirksame Hilfe auf dem Wege zur Erlösung zuteil wird. Ein Teil der Schwierigkeit, Buddhologie und Christologie in ein befriedigendes Verhältnis zueinander zu bringen, besteht darin, dass manche christliche Theologien 17 Siehe Roger-Pol Droit, The Cult of Nothingness: The Philosophers and the Buddha, Chapel Hill – London 2003, 67. Das Buch ist als Einblick in die Verwirrung und Verunsicherung europäischer Denker angesichts des Buddhismus im 19. Jahrhundert aufschlussreich. 9 Möglichkeiten narrativer Buddhologie übermäβig vom Bewusstsein beherrscht werden, die ‚Ursünde’ habe die gute Schöpfung derart entstellt, dass Christus im Auftrag des in seiner unermeßlichen Ehre verletzten Vaters die Menschen ‚freikaufen’ musste, um sie von der Sünde zu befreien und dadurch zu erlösen.18 Diese Version der Erlösung übersieht vollkommen, dass das gesamte Werk Gottes ein Schöpfungswerk ist, das in Jesus offenbart und erneuert wird. Dies gilt allerdings auch für den Buddha, indem er Menschen zum Frieden befreit, die Leiden aller Wesen annimmt und sich als allwissenden Mit-Leidenden offenbart. Hinzu kommt, dass die Bestrebungen der großen ökumenischen Konzilien, die Beziehung des Erlösers zum Schöpfer in der Begrifflichkeit von ‚Natur’ und ‚Person’ auszudrücken, heute problematisch geworden sind. Der Begriff ‚drei Personen’ wird als ‚drei Wesenheiten’ oder gar ‚drei Individuen’ verstanden, ‚zwei Naturen’ als ‚zwei Personen’. Doch dass Jesus uns Zugang zum Vater erschliesst, dass er die göttliche Güte realsymbolisch verkörpert, dass er das Reich Gottes prophetisch verkündet – dies alles ergibt einen Sinn, der in den biblischen Erzählungen angelegt ist, so wie die Abstraktionen der mahāyānistischen Dialektik Kontinuität mit der ursprünglichen Tradition bewahren. Vorausgesetzt, dass die buddhistische Lehre von der Entstehung in Abhängkeit mit einer trinitarisch konzipierten Schöpfungslehre so in Beziehung gebracht werden kann, dass weder die Existenz Gottes noch seine Wesensmerkmale und Handlungsweisen vergegenständlicht werden, ergeben sich versuchsweise folgende Formulierungen der zwei grundlegenden Begrifflichkeiten: (7) Pratītyasaṃutpāda: Ort der Befreiung ist der erleuchtete menschliche Geist (bodhicitta), indem er die gegenseitige Abhängigkeit und Substanzlosigkeit aller Daseinskonstituenten (dhammā) realisiert. Daher wird die Allgegenwart des Leids (duḥkha, Pāli dukkha) erklärbar, aber auch die 18 Mackey, Christianity and Creation, 91-95, sieht in der Erbsündenlehre, wie sie von Augustinus formuliert und vom Konzil von Trient bestätigt wurde, die Ursache dafür, daß Erlösungstheologien allzu oft von der Sünde angetrieben werden; auch Kessler, Den verborgenen Gott suchen, 179-181, kritisiert eingehend eine Theologie, die “das Unheil … primär in Schuld und Sünde lokalisierte”, 179, gab es doch andere Konzeptionen, die eine Menschwerdung des Logos auch ohne Sünde vorsahen; siehe Mackey, 139-143. 10 Möglichkeiten narrativer Buddhologie Leere (śūnyatā) all dessen, was das begierdevolle aber insubstantielle und unwissende Selbst (ātman, Pāli attā) begehrt. (8) Perichorēsis: Obwohl wir nichts von Gott in Gott selbst wissen, entäuβert und offenbart sich die göttliche Liebe in Schöpfung und Erlösung (die oikonomia) als Regung der Liebe in Gott selbst (die theologia); als ‚Tanz’ oder Ineinandergreifen (perichorēsis) der göttlichen ‚Personen’ vorgestellt, wohnt diese Selbstentäuβerung Gottes als Liebe der ganzen Schöpfung inne und treibt sie, als Gottes Geist, ihrer endgültigen Befreiung entgegen.19 So, vielleicht, lässt sich Schöpfung ‚erzählen’ auf eine Weise, die sich mit der radikal anderen buddhistischen Lehre der ‚dynamischen Leere’, des ‚absoluten Nichts-alsLiebe’ verträgt.20 Doch die gegenseitige Kausalität des Entstehens in Abhängigkeit und die Lehre von der kontinuierlichen Schöpfung sowie ihrer Fortsetzung durch Wesen, vom Gen bis zum Menschen, die selber schöpferisch sind, geben immer noch Probleme auf. Die christliche Weltsicht, trotz aristotelischen, platonischen und stoischen Einflüssen, bleibt im jüdischen Erbe verankert und ist deshalb grundsätzlich geschichtlich: Der Gott der Bibel ist der Gott der Geschichte („Ich werde dasein, als der ich dasein werde“, Ex 3,1421); der sonst unbedeutende römische Statthalter Pontius Pilatus kommt im Glaubensbekenntnis vor; es kommt alles darauf an, dass Jesu Leben und Tod als historische Ereignisse erzählbar sind, eine Erzählung, die mit 19 Ich reproduziere hier, stark umformuliert, ein Gedankenexperiment, das ich im Kontext von Natur und Ökologie in beiden Traditionen versucht habe, siehe John D. May, Buddhists, Christians and Ecology, in: Schmidt-Leukel (Hg.), Question of Creation, 93-107, 105; die christliche These basiert auf Sigurd Bergmann, Geist, der Natur befreit. Die trinitarische Kosmologie des Gregors von Nazianz im Horizont einer ökologischen Theologie der Befreiung, Mainz 1995, 382-387. 20 Ich beziehe mich hier auf den Vorstoβ des japanischen buddhistischen Philosophen Masao Abe, siehe seinen Aufsatz und die Diskussion in Christopher Ives (Hg.), Divine Emptiness and Historical Fullness: A Buddhist-Jewish-Christian Conversation with Masao Abe, Valley Forge 1995; John B. Cobb und Christopher Ives (Hg.), The Emptying God: A Buddhist-Jewish-Christian Conversation, Maryknoll 1990; siehe auch May, Nothingness-qua-Love? und Loving Nothingness?. 21 Gotthard Fuchs schlug diesen Vers in der Übersetzung von Martin Buber als Wahlspruch für unsere Trauung vor. Schien der Vers meiner Frau und mir 1974 in dieser Funktion zunächst etwas rätselhaft, so hat er sich im Lauf der Jahre als willkommener Wegbegleiter erwiesen. 11 Möglichkeiten narrativer Buddhologie Gottes Handlung an ihm in seiner Auferstehung symbolisch gedeutet wird.22 Doch weder Jesu Auferstehung noch des Gautama Erleuchtung sind im eigentlichen Sinne historisch greifbar. Nichtsdestoweniger stehen sie im absoluten Mittelpunkt des erzählerisch konstruierten Glaubens beider Traditionen. Das Endergebnis in beiden Überlieferungen ist, dass sowohl der Buddha als auch der Christus viel mehr als bloβe Religionsstifter sind: Beide symbolisieren, ja verkörpern transzendente, universale Wirklichkeit und stellen sie als erlösende Wahrheit dar. Dennoch müssen folgende Präzisierungen festgehalten werden: (9) Die buddhistische Erzählung ist nicht oder nur schemenhaft in Geschichte verankert, was dazu führt, dass sie eine Ethik eher voraussetzt als hervorbringt. Selbst das Bodhisattva-Ideal der liebevollen Zuwendung zu den Leidenden regt nur schwach zu historischer Verantwortung an (z. B. in Form einer wirtschaftlichen, politischen oder ökologischen Ethik).23 (10) Der christliche Glaube wird in Form einer Erzählung, also als Geschichte bekannt, doch soweit die Theologie die Wirklichkeit Gottes und des menschlichen Selbst vergegenständlicht, steht sie in Gefahr, zum ahistorischen Dualismus einer falschen Transzendenz Anlass zu geben. Für die in Thesen (1) und (2) formulierte Hypothese bedeutet dies, dass die Entstehung bzw. Schöpfung der Weltwirklichkeit eine Geschichte hat, an der das Transzendente (Dharma, Nirvāṇa, Buddha-Natur; die trinitarisch sich entäuβernde, ‚ökonomisch’ sich offenbarende Gottheit) beteiligt ist. Die Verkörperung des Absoluten im Partikulären (dharmakāya, homoousion), die sowohl den Buddha als 22 Es ist bekanntlich wiederum Hans Kessler, der die Auferstehung in diesem Sinne überzeugend erklärt hat, siehe Den verborgenen Gott suchen, 7. und 8. Kapitel, sowie ders., Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auferstehung Jesu Christi in biblischer, fundamentaltheologischer und systematischer Sicht, erw. Neuausgabe Würzburg 1995). 23 Nichtsdestoweniger ist vor allem in Südost-Asien – Heimat des Theravāda-Buddhismus – ein ‘sozial engagierter Buddhismus’ entstanden, der eine beeindruckende buddhistische Zeitdiagnostik als Anleitung zu politischem Handeln bietet, siehe Christopher Queen – Sallie King (Hg.), Engaged Buddhism: Buddhist Liberation Movements in Asia, Albany 1996; David Loy, The Great Awakening: A Buddhist Social Theory, Boston 2003. 12 Möglichkeiten narrativer Buddhologie auch den Christus auszeichnet, ist im Selbstbewusstsein beider als nicht-dual (Thesen (5) und (6)), zugleich transzendent und immanent zu verstehen (Thesen (3) und (4)). So wird vorstellbar, dass die Entstehung in Abhängigkeit sowie die Regung der göttlichen Liebe geschichtliche Grössen sind (Thesen (7) und (8)), die mit einem erweiterten Schöpfungsbegriff zu fassen wären. Zweifellos ist an diesen Ausführungen vieles noch vorläufig und verbesserungswürdig. Sie sollen auf keinen Fall Gleichmacherei vorexerzieren, sondern im Sinne der komparativen Theologie den Partner zunächst einmal ernst nehmen und in die Auseinandersetzung mit seinen Grundüberzeugungen treten. So könnte vielleicht eine ökumenische Alternative freigesetzt werden, die sich auf die jeweils grundsätzlich anderen Vorstellungswelten anderer Religionen ganz und gar einlässt, ohne sie im Zeichen des Meliorismus krampfhaft den eigenen Lehren anzupassen. Dies – die Frage der eignen Überlegenheit – ist gerade nicht das alles bestimmende Problem. Alle historischen Religionen, auch der Buddhismus, auch das Christentum, unterliegen diesem dialogischen Imperativ. Dies müsste natürlich auf Gegenseitigkeit geschehen, was gerade im Falle der buddhistisch-christlichen Beziehung Schwierigkeiten bereitet, denn beide sind im Tiefsten doch von der eignen Überlegenheit überzeugt. Das Handwerk des verantwortungsvollen Vergleichens auf theologischer – im Unterschied zur phänomenologischen – Ebene muss erst noch gelernt werden. Ich halte es jedoch für angebracht, gerade zu Ehren von Gotthard Fuchs einen solchen Versuch vorzulegen. 13