Prüfet alles ! - ausgenommen ... Wirksamer Schutz vor 30 destruktiven Behauptungen in evangelikalen und katholischen Gemeinden 21. Dezember 2014 Prüfet alles – ausgenommen... Wirksamer Schutz vor 30 destruktiven Behauptungen in evangelikalen und katholischen Gemeinden Ein stark gekürzter Abdruck der Internetseite www.stoppt-religioesen-missbrauch.de bzw. www.matth2323.de Bitte beachten: möglicherweise wurden später wichtige Verbesserungen oder Ergänzungen in der Internetseite eingefügt. Die Untersuchung erfolgt auf der Grundlage herkömmlicher bibeltreuer Theologie Über die Kontaktadresse der Internetseite ist es möglich, Kritik zu üben, Fragen zu stellen, Verbesserungen vorzuschlagen oder Material zu bestellen. Die in diesem Text verwendeten Bibelzitate stützen sich auf die Übersetzung Martin Luthers, rev. Ausgabe, 1912 sowie auf die Neue Evangelistische Übersetzung von Karl-Heinz Vanheiden, eAusgabe 2012. Inhaltsverzeichnis 1. Prüfet alles ... (1.Thes 5,32) – doch warum ? 1 2. Eine reale Gefahr ... 3 3. Liebe Schwester, lieber Bruder ... 4 4. Schlüssel weg ?... 6 5. Notwendiger und schädlicher Zweifel 7 6. Wichtige Resultate ! 11 (Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen bibeltreuem Schriftverständnis und religiös bedingter Depression, sowie zur unzureichenden Wirksamkeit üblicher Hilfsangebote. Erläuterung der Vorteile des vorgeschlagenen Verfahrens, Rangunterschiede biblischer Aussagen mit Hilfe der Qualitätsmaßstäbe Jesu zu begründen.) 7. Welche tragfähigen Alternativen gibt es dazu ? 18 1. Eine optimistische Einstellung ist Pflicht 18 2. Den Spieß umdrehen: Der Aufruf zur Heiligung wird als Werkgerechtigkeit betrachtet 21 3. Quantitative Lösung: die Bibel grundsätzlich nur in Auswahl lesen 22 4. Heilssicherung mittels Ritual 24 5. Glauben an den Glauben anderer 27 6. Allversöhnung 28 7. Entkernung des Christentums 32 8. GIFTIGE THEOLOGIE 35 I. Behauptungen, die das Vertrauen in Gott als fairen „Bundespartner“ untergraben 1. Behauptung: „Gott erwartet vom Gläubigen, dass er jede erkannte Sünde nachträglich in Ordnung bringt, wenn er Vergebung haben will“ 42 2. Behauptung: „Kleine Sünden werden von Gott so negativ gesehen und bestraft wie schwerste Verbrechen, denn Jesus musste auch für kleine Sünden sterben.“ 53 3. Behauptung: „Da der Gläubige die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hat, ist er frei vom Zwang zu sündigen. Wenn er nur will, kann er die Sünde lassen. Umso strenger wird der Gläubige bestraft, wenn er sich dann noch kleine Sünden leistet. Er kann und darf sich nicht mehr auf menschliche Schwachheit berufen.“ 58 4. Behauptung: „Sexuelle Sünden verunreinigen am stärksten.“ 63 5. Behauptung: „Je mehr du für Gott an Geld und Zeit opferst, desto mehr wirst du in diesem Leben an materiellem Wohlstand zurückbekommen.“ 88 6. Behauptung: „Wer seiner Gemeinde nicht den Zehnten seines Einkommens spendet, ist verflucht und wird mit finanziellen Einbußen rechnen müssen. 92 7. Behauptung: „Wer nicht fast alles opfert, um die Not der Menschen zu lindern, lebt in Sünde und unter dem Fluch Gottes.“ 93 8. Behauptung: “Wer ohne schwerwiegenden Grund vom sonntäg-lichen Gottesdienst fernbleibt, begeht eine schwere Sünde und wird dafür angemessen von Gott bestraft.” 96 9. Behauptung: „Wer seine Mitmenschen nicht missioniert – wo sich die Gelegenheit ergibt – trägt Mitschuld daran, wenn sie in die Hölle kommen und wird dafür angemessen von Gott bestraft.“ 98 10. Behauptung: „Man kann durch ein einziges unüberlegtes Wort in die Hölle kommen.“ 100 11. Behauptung: “Wer eine schwerwiegende Sünde (“Todsünde”) begangen hat und stirbt, ohne sie vorher in der Beichte bekannt zu haben, kommt direkt in die Hölle.” 109 12. Behauptung: „Ein Versprechen, das der Gläubige Gott gegeben hat, muss auf jeden Fall eingehalten werden, auch wenn es dumm und destruktiv war. Wenn der Gläubige es nicht einhält, dann muss er damit rechnen, dass Gott sein ganzes Leben ruiniert. 115 13. Behauptung „Wenn du noch nicht in Zungen redest oder noch kein wunderbares Erleuchtungserlebnis empfangen hast, steht noch irgendeine Sünde zwischen dir und Gott. Dann hast du evt. den Heiligen Geist noch nicht empfangen und bist noch gar kein Christ und noch nicht gerettet.“ 119 14. Behauptung: „Wenn dein Gebet nicht erhört wird, dann gibt es nur einen Grund dafür: eine Sünde steht zwischen dir und Gott.“ 120 15. Behauptung: „Krankheit ist ein starkes Indiz für mangelnden Glauben oder heimliche Sünde.“ 123 16. Behauptung: „Bei Krankheit den Arzt zu holen, ist ein Beweis mangelnden Gottvertrauens und daher Sünde.“ 124 17. Behauptung: „Durch das Anhören weltlicher Musik kann Besessenheit (Dämonen) übertragen werden, die man nur sehr schwer wieder los wird.“ 125 18. Behauptung: „Zwanghafte Lästergedanken sind ein Beweis, dass der Gläubige vom Satan besessen ist. Er kann nur durch Exorzismus befreit werden.“ 127 19. Behauptung: „Das Textverständnis, das sich am engsten an den Wortlaut der Bibel hält, ist das beste.“ 130 20. Behauptung: „Die ethischen Aussagen des Neuen Testamentes haben alle die gleiche Autorität. Der Gläubige muss sie alle einhalten, wenn er nicht ungehorsam sein will.“ 135 21. Behauptung: „Die strengere und härtere Interpretation eines Gebotes ist in jedem Fall die bessere.“ 138 22. Behauptung: „Das Gewissen ist die unfehlbare Stimme Gottes.“ 139 23. Behauptung: „Die Körperstrafe (Prügeln) ist ein unentbehrliches Erziehungsmittel des Christen.“ 143 II . Lehrsätze, die den Gläubigen des Rechtes berauben, sich vor Machtmissbrauch zu schützen 24. Behauptung: “Ein Gläubiger, der den Anweisungen des Gemeindeleiters nicht gehorcht, lebt immer in Rebellion gegen Gott.” 146 25. Behauptung: “Es ist Hochmut, die theologische Tradition der Gemeinde mit der Bibel zu prüfen.” 152 26. Behauptung: „Der Gläubige darf Unrecht in der Gemeinde nur dann beim Namen nennen, wenn bei ihm selbst keine Fehler zu sehen sind.“ 154 27. Behauptung: “Mit der Forderung, Schäden und Beschwerden in der Gemeinde zu dokumentieren, schadet man dem “Zeugnis” der Gemeinde.” 155 28. Behauptung “Ein Christ darf sich nicht wehren, darf auch nicht Ersatz des Schadens fordern. Er muss Unrecht, das ihm zugefügt wird, hinnehmen, muss vergeben und vergessen. Andernfalls ist er ein “Schalksknecht” (Mt 18,32 ff) und wird von Gott mit der Hölle bestraft!” 156 29. Behauptung: “Ein Christ darf nicht vor Gericht gehen, wenn ihm ein anderer Gläubiger geschadet hat. Andernfalls sündigt er und wird dafür von Gott bestraft.” 160 30. Behauptung: “Ein Christ darf in Notwehr niemand töten. Er ist verpflichtet, sich töten zu lassen, damit der Täter nicht in die Hölle kommt.” 164 9. Persönlichkeit ? 166 10.Die negative Verformung der Persönlichkeit durch giftige Theologie 167 11. Destruktive Motive 171 12. Der Semmelweis-Reflex 175 13.Prüfe Dein Urteilsvermögen 179 13.1. Unfair und parteilich entscheiden ? 179 13.2. Naheliegende Fragen … 182 13.3. Eine einfache Lösung, die immer möglich ist … 184 13.4. Skizze eines bibelgemäßen Schichtungsverfahrens 188 13.5. Das Dilemma der wortwörtlichen Interpretation 191 14.Zu Gott gehören 192 13.1. “Ein geheiligtes Leben führen” heißt die Freundschaft mit Gott im Lebensstil zu zeigen 192 13.2. Heiligung ist keine nur private Angelegenheit ! 198 13.3. Die Echtheit der Heiligung ist an der Qualität (!) der Früchte zu erkennen ! 199 13.4. Der Weg aus der Werkgerechtigkeit 201 13.5. Zerrbilder der Heiligung 203 15.Kleine Charakter-Skizze des im Glauben gereiften Christen 205 16.Prüfe Dich selbst …,bevor Du andere prüfst! 210 17.Chancen warten … 214 Anhang A 1. Häufige Fragen 219 Die Antworten auf die Fragen 1- 7 sind im Internet zu finden. Frage 1: Ist diese Internetseite nicht eher schädlich für die Gemeinde, vielleicht sogar selbst gefährlich, weil sie ein negatives Bild des christlichen Glaubens “vom Miss brauch her” zeichnet ? Frage 2: Ist es nicht völlig klar, dass mit dem “Weisen” (1.Ko 6,5), der einen Rechts streit entscheiden soll (σοϕος ος δυνησεται διακριναι), nur ein Pastor gemeint sein kann, da er die gründlichste bibelkundliche Ausbildung von allen Gläubigen hat ? Frage 3: Welche Aufgaben im Zusammenhang mit dem schiedsgerichtlichen Dienst werden am besten vom Pastor wahrgenommen ? Frage 4: Wer kommt für ein schiedsrichterliches Amt in Frage? Frage 5: Warum sollte ein Gemeindemitarbeiter im vollzeitlichen Dienst es grundsätzlich vermeiden, schiedsgerichtliche Urteile zu fällen ? Frage 6: Hat Paulus nicht den Gläubigen geboten, sich mit Kritik gegenüber dem Vor stand einer Gemeinde zurückzuhalten, da sie “Obrigkeit” sei und Christen “der Obrig keit untertan” (Rö 13,1) sein sollen? Auch wenn sie eine Obrigkeit ist, die Unrecht tut wie die Regierung Kaiser Neros zur Zeit des Paulus ? Frage 7: Ist es nicht besser, die Gemeinde stillschweigend zu verlassen, wenn sich der Vorstand immer wieder über die Qualitätsmaßstäbe Jesu hinwegsetzt? Frage 8: Wie kann man NICHT erkennen, ob die Forderung der Barmherzigkeit (ελεος), die Jesus als erste der wichtigsten Gebote in Mt 23,23 nennt, tatsächlich den höchsten Rang im Denken der Gemeindeleitung einnimmt ? 219 Frage 9: Warum wird “Gerechtigkeit” (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt? Ist “Liebe zum Recht” im Umgang mit dem Nächsten nicht eine typisch alttestamentliche Forderung, die für die Gemeinde heute nicht mehr relevant ist? Wird sie nicht im Neuen Testament durch die Aufforderung ersetzt, sich zu Jesus zu bekehren, der unsere “Gerechtigkeit” ist ? 221 Frage 10: Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? 223 A.2. Zum Vorwurf der Verfälschung von Mt. 23,23 227 A 3. Die Angst vor der unvergebbaren Sünde und seelsorgerliche Hilfsangebote 234 1. Oberflächliche seelsorgerliche Antworten 235 1.1. Aufforderung zur Auswahl und Verdrängung 236 1.2. Luthers Kunstgriff: formale Zustimmung zum Verdammtwerden 237 1.3. Visualisierungen des Leidens Christi 238 2. Antworten der “nouthetischen” Seelsorge (Jay Adams) 238 3. Definition der unvergebbaren Sünde als “nationale Sünde” (Arnold Fruchtenbaum) 240 4. Am Buchstaben klebende “Lösung” als verheerender “Kunstfehler” (Adolf Schlatter) 242 A 4. Kann ein Christ verlorengehen ? 252 A 5. Seelsorge-Kompetenztest 257 A 6. Wie gehe ich angemessen mit ideologisch denkenden Gläubigen um? 262 A 7. Anzeichen für die Widerstandskraft einer Gemeinde gegen Machtmissbrauch und Korruption 263 A 8. Schockierender Vergleich zwischen religiösem Missbrauch und sexuellem Missbrauch 267 A 9. Schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell 268 A 10. Miese Tricks (nur im Internet) (Killerphrasen, Pauschalisierungen, Heucheln einer kritischen Sicht, Ausgrenzung, Einschüchterung, üble Nachrede, Form über den Inhalt stellen, Verständnis heucheln, Bevormundung, Abschirmung, Sich-tot-Stellen.) A 11. Satire: Hiob und seine Freunde (nur im Internet) A 12. Warum ist eine Gemeinde-Haftpflicht notwendig ? (nur im Internet) A 13. Wichtige Artikel in Stichworten (Auswahl) (Buch und Internet) Die Stichworte betreffen folgende Themenbereiche: BA = Biblische Autorität H = Heiligung, Leben in der Kraft des Heiligen Geistes HG = Heilsgewissheit M M = Effiziente Maßnahmen gegen Machtmissbrauch KKM = Kritik des katholischen Machtmissbrauchs (HG) Absolut verlässlich: die Zusagen Gottes (nur im Internet) (H) Achtung vor dem Alter (nur im Internet) (MM) Ansehen der Person verboten (nur im Internet) (MM) Augensalbe verwenden! (nur im Internet) (nur im Internet) (H, MM) Authorisierung und Berufung des Gläubigen (nur im Internet) (MM) Autorität der Gemeindeversammlung (nur im Internet) (H) Barmherzigkeit, echte (nur im Internet) (H) Barmherzigkeit, scheinbare (nur im Internet) (MM) Beichtgeheimnis gilt nur für den Ratsuchenden (nur im Internet) (MM, (KKM) Beichtzwang (katholische Sicht) (nur im Internet) (H) Beschwerdebrief, Vorsichtsmaßnahmen für den (nur im Internet) (H) Besondere Gefährlichkeit des religiösen Missbrauchs 246 (HG) Beweis der Liebe nachvollziehbar? (nur im Internet) (BA) Bibeltreu die Bibel verstehen (nur im Internet) (HG) Blinder Fleck der Werbungsabteilung (nur im Internet) (M) Böses tun ist nicht so schlimm wie böse sein (nur im Internet) (H, BA) Buchstabentreue (nur im Internet) (M) Churchly Correctness (nur im Internet) (H, MM, KKM) Destruktive Motive 165 Du – Anrede (nur im Internet) Ehre Gottes (nur im Internet) (H, MM) Fairness-Regeln im Umgang mit ideologisch denkenden Gläubigen 241 (H, MM) Fixierung auf den eigenen Gemeindeverein (nur im Internet) (MM) Folgen der Gleichgültigkeit gegenüber dem Recht (nur im Internet) (H) Freiheit des Christen (nur im Internet) (H, BA) Geistliche Disziplin (nur im Internet) (MM) Gemeindeordnung im Sinne Jesu gestalten (nur im Internet) (H) Gemeindezucht (nur im Internet) (H) Gerechtigkeit, Fairness (nur im Internet) (MM) Gesetz der 50-jährigen (nur im Internet) (H, BA) Gesetzliche Illusionen (nur im Internet) (H) Gottesbeweis (nur im Internet) (HG) Heilsgewissheit, eingeschränkt durch Vertragspflichten? (dto.) (H, HG) Heilsgewissheit ohne Heiligung ? (nur im Internet) (H, HG) Heilstatsachen, unverzichtbare (nur im Internet) (HG) Hölle (nur im Internet) (BA) Inspirationsmodell, schöpfungsgemäßes 247 (MM) Keine Zeit für Qualitätsprüfung ? (nur im Internet) (MM) Laien-Bote (nur im Internet) (BA) Liberale Theologie (nur im Internet) (MKK) Hat Jesus eine Kirchenorganisation gegründet ? Vgl. 146 (BA) Polarität der Bibel (nur im Internet) (MM) Predigt-Nachbereitungsdienst (nur im Internet) (H, MM) Propaganda (nur im Internet) (KKM) Päpstliche Lehrentscheidungen – dürfen sie geprüft und ggf. angezweifelt werden ? (KKM) Petrus – war er der erste Papst ? (MM) Qualitätsförderung (H, M, BA) Qualitätsmaßstäbe Christi (BA) Rangunterschiede biblischer Aussagen (H, BA) Religiosität (MM) Satire “Hiob und seine Freunde ” (MM) Schiedsgerichtlicher Dienst (M, BA) Schutzmaßnahmen gegen giftige Theologie (H) Selbsterkenntnis (H, BA) Selbstverstärkung (H) Sorgfaltsparadox (MM) Strafbare Handlungen (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (nur im Internet) (BA) Unterscheidung der Verantwortungsbereiche (nur im Internet) (H, HG) Unterscheidung zwischen echter und vermeintlicher Jüngerschaft (nur im Internet) (H, HG) Unvollkommenheit, gefährdet sie das Heil ? (nur im Internet) (H, BA) Urteilsvermögen (nur im Internet) (H, HG) Vorbild im Glauben – die Ältesten (nur im Internet) (H, HG) Werkgerechtigkeit (nur im Internet) (H, HG) Wie finde ich aus der Werkgerechtigkeit wieder heraus? 192 (H) Wert des Glaubens (nur im Internet) (BA) Wörtl. Missverstehen in der Kirchengeschichte (nur im Internet) Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Deshalb bleibt standhaft und lasst euch nicht wieder ein Sklavenjoch aufzwingen ! (Gal 5,1) 1. Prüfet alles ... (1.Thes 5,32) – doch warum ? Kinder und Jugendliche, die in eine christliche Gemeinde eingeladen werden, bedürfen besonderen Schutzes. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Seele nicht durch Irrtümer, Fahrlässigkeit oder Machtmissbrauch verletzt und vergiftet wird. Die Heilige Schrift fordert alle Gläubigen auf (1.Thes 5,21): Prüfet ALLES ! Auch in einer gesunden Gemeinde wirken immer wieder destruktive Impulse vielfältig und unkontrollierbar ein. Sie können ausgehen von einem einzelnen Aufsatz in einem Buch auf dem Büchertisch oder sie werden möglicherweise im Hauskreis, auf christlichen Freizeiten, durch Freunde oder durch Kontakte mit anderen Gemeinden, mit Evangelisten, Bibelschülern oder Missionsgruppen, die zu Besuch in der Gemeinde sind, vermittelt. Destruktive Impulse sind – ungeachtet ihrer tiefreligiösen Erscheinungsform – Fremdkörper im christlichen Glauben. Der christliche Glaube selbst hat eine befreiende und aufbauende Wirkung. Jeder Gläubige kann sich und die Menschen, für die er sich verantwortlich fühlt, schützen. Denn “Der geistliche Mensch beurteilt alles” (1.Kor 2,15-16) Zur Prüfung dienen die drei Qualitätsmaßstäbe Jesu Christi (Mt 23,23): Barmherzigkeit 1, Liebe zum Recht 2, wahre Treue 3 Für Jesus Christus waren es die die wichtigsten Maßstäbe! 1 Siehe unter „Stichworte: „Barmherzigkeit, echte“ im Internet. 2 Siehe unter „Häufige Fragen“ die 9.Frage auf Seite 221. 3 Siehe unter „Häufige Fragen“ die 10.Frage auf Seite 223. 1 Es sind sehr leistungsfähige Prüfinstrumente. Du 4 kannst damit: - Dich selbst 5 und Deine Einstellung prüfen - Dein geistliches Urteilsvermögen 6 prüfen - das pädagogische Leitbild der Gemeinde und seinen Einfluss auf Deine Persönlichkeit 7 prüfen - Deine Widerstandskraft gegenüber schädlichen Einflüssen 8 prüfen. Wer diese Prüfinstrumente anwendet, kann seine Urteilskraft erheblich verbessern! Nur wenn die Gemeinde Jesu destruktiven Einflüssen widersteht, bleibt die gute Nachricht von der Befreiung durch Jesus Christus 9 unverfälscht und zuverlässig bestehen. (Es versteht sich dabei von selbst, dass auch wir korrigierbar bleiben. In der notwendigen Auseinandersetzung fühlen wir uns an Fairness-Regeln im Umgang mit Andersdenkenden 10 gebunden. Wir greifen niemanden namentlich an, auch wenn wir manche Missbrauchsfälle im Detail darstellen werden. Unsere Untersuchung erfolgt auf der Grundlage herkömmlich-bibeltreuer Theologie. Deshalb bitten wir insbesondere unsere bibeltreuen Leser, uns auf Fehler und Mängel in unseren Texten aufmerksam zu machen und uns ihre mit der Bibel begründete Kritik über unser Kontaktformular auf der Internetseite mitzuteilen.) Der bibelgemäße Stil dieser Internetseite wird bisweilen als “fundamentalistisch” kritisiert. Wir bitten zu bedenken, dass gerade diese Argumentationsweise eine pauschale, schnelle Abwehr der Reformvorschläge als “Ungläubigengeschwätz” verhindert. Sie stellt sicher, dass hilfreiche Argumente auch von Mitgliedern extremer, gut abgeschotteter und gut kontrollierter religiöser Gruppen angehört und diskutiert werden. 4 5 6 7 8 9 10 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Du-Anrede“, (Internet) Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. Siehe unter „Prüfe Dein Urteilsvermögen“, Seite 179. Siehe das Kapitel „Charakter“, Seite 205. Siehe unter „Giftige Theologie“, Seite 35. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. Siehe Seite 262. 2 Auch ermöglicht gerade diese Argumentationsweise Gläubigen, Machtmissbrauch auf der Grundlage ihres eigenen Normensystems wahrzunehmen. Es gibt wohl kaum einen effizienteren Weg, gegen Machtmissbrauch vorzugehen, als an eine Motivation anzuknüpfen, die aus dem eigenen Normensystem stammt. Auch wenn manche unsere Sicht nicht in allen Punkten teilen, so wird man dennoch den Wert einer offenen Diskussion der hier erwähnten Themen erkennen und unsere Bemühung um mehr Transparenz zu schätzen wissen. Diese Bemühung trägt bereits erheblich zu einer Entgiftung einer Theologie bei, die an kurzsichtige allzumenschliche Interessen gebunden ist. 2. Eine reale Gefahr … Destruktive Theologie ist eine reale Gefahr für Deine seelische Gesundheit. Keine christliche Gemeinde ist immun dagegen. Das Schädliche kann unter vielem, was dort an Hilfreichem und Richtigen gelehrt wird, versteckt sein. 3 Hier erfährst Du, 11 wie Du dich rechtzeitig davor schützen kannst … Viele Menschen machen überwiegend positive Erfahrungen mit dem christlichen Glauben. Entsprechend hört man in christlichen Gemeinden viele positive Berichte, denen man vertrauen darf. Der Grundsatz der Verlässlichkeit 12 gebietet jedoch, dass auch Gläubige zu Wort kommen dürfen, die dort negative Erfahrungen mit GIFTIGER THEOLOGIE 13 oder Machtmissbrauch gemacht haben. Hier hast Du Zugang zu wichtigen Informationen, die Du in etlichen Gemeinden vielleicht niemals bekommen wirst… Jesus Christus will, dass seine Jünger freie Leute sind und bleiben: “Lasst euch die Freiheit 14 nicht wegnehmen, zu der euch Christus berufen hat!” (Gal 5,1) 3. Liebe Schwester, lieber Bruder ... - wenn dein Gewissen deine Unvollkommenheit nicht akzeptiert und dich ständig mit perfektionistischen Forderungen quält, - wenn du meist unsicher bist, ob Gott dir freundlich gesonnen ist, - wenn dir Bibelstellen Angst machen und die Theologie deiner Gemeinde darauf in unglaubwürdiger Weise reagiert, - wenn Mitchristen dich ablehnen, weil du ehrliche Antworten suchst, - wenn dich ein Gemeindemitglied erheblich geschädigt hat, aber deine Beschwerde nicht angehört wird, - wenn Zweifel 15 am Charakter Gottes aufsteigen oder gar Verzweiflung, weil Scheinheiligkeit und Tolerieren von Unrecht in der Gemeinde niemanden mehr stört … 11 12 13 14 15 Siehe unter „Giftige Theologie“, Seite 35. Siehe unter „Häufige Fragen“ die 10.Frage auf Seite 223. Siehe unter „Giftige Theologie“, Seite 35. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. Siehe Seite 7. 4 3.1. Wirf deinen Glauben nicht weg ! (Hebr 10,35) Auch wenn nur noch wenig davon übrig ist – so wenig „wie ein Senfkorn“ (Lk 17,6) – , so ist doch dieser Rest in Gottes Sicht unendlich kostbar und kann wieder stark werden. Wenn Menschen sich Christen nennen und unbarmherzig, unfair und unehrlich mit anderen umgehen, dann sollte man nicht daraus daraus schließen, dass Gottes Charakter ähnlich ist. Ein fataler Fehlschluss! Gott liebt Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit ohne Einschränkung, wie man an Jesus Christus sehen kann. 3.2. Nimm den Schlüssel 16 Jesu, der zum Verstehen der Bibel notwendig ist, auch wenn andere Gläubige der Ansicht sind, dass sie das Recht hätten, ihn dir vorzuenthalten oder wegzunehmen. Wenn du diesen Schlüssel gebrauchst, wirst du den lebensfördernden Sinn (Mt 4,4) der Bibel verstehen: das ist “Christi Sinn” (1.Kor 2,16), in Liebe und Freiheit. 3.3. Investiere in den Glauben Zeit, Kraft und Verstand. Wenn er dir kostbar wird, wird er stärker und du erlebst wieder Glaubensfreude. Triff dich mit Gläubigen, die ehrliches Fragen und Suchen erlauben, um den lebensfördernden Sinn (Mt 4,4) der Bibel aufzuschließen. Löse dich vom Einfluss von Gläubigen, die das nicht wollen, sondern Anpassung an Ideologie und Propaganda erwarten. 3.4. Wenn du Hilfe erfahren hast, hilf anderen, die diesen Weg noch nicht kennen. Mache den Schlüssel Jesu bekannt, ohne den die Theologie giftig 17 wird. 16 Siehe Seite 6. 17 Siehe Seite 35. 5 4. Schlüssel weg ? Die drei Qualitätsstandards Jesu (Mt 23,23) Barmherzigkeit 18 , Liebe zum Recht 19 , wahre Treue 20 sind die wichtigsten Ordnungsprinzien des Neuen Testamentes. Sie sind der Schlüssel ohne den eine konstruktive, lebensfördernde Auslegung der Bibel nicht möglich ist. Wenn dieser Schlüssel nicht benutzt wird, können gefährliche Missverständnisse entstehen: (“Giftige Theologie“ 21 ) Mit Hilfe dieses Schlüssels kann jeder Gläubige den Rang eines Bibelwortes erkennen, sodass seine Interpretation widerspruchsfrei bleibt. Etliche bibeltreue Theologen sind der Ansicht, dass die betreffenden Worte Jesu keine Schlüsselfunktion haben. Es genüge, Bibelworte aufeinander zu beziehen. So hört man immer wieder Sätze wie: “die Bibel legt sich selbst aus …”, “die Bibel erklärt die Bibel …”, Manchmal ja. Doch wenn Bibelworte einander einschränken, wer legt dann den Rang 22 der einzelnen Bibelworte fest ? Wenn der Schlüssel nicht angewandt wird, dann übernehmen Theologen seine Funktion. Sie stufen Bibelworte nach ihrem Ermessen ein oder gemäß der Tradition. Das macht es den Gläubigen sehr schwer zu lernen, wie die Bibel mit Hilfe der drei Prinzipien Jesu 23 selbständig erschlossen und verstanden werden kann. Stattdessen bleiben sie abhängig von der (interessengeleiteten) Sicht von Theologen und übernehmen gutgläubig diese Sicht. 18 19 20 21 22 23 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#barmherzigkeit“. Siehe Seite 221. Siehe Seite 223. Siehe Seite 35. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#polaritaet“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 6 Jesus warnte vor den Schriftgelehrten, die “das Himmelreich zuschließen vor den Menschen! Ihr kommt nicht hinein, und die hinein wollen, lasst ihr nicht hineingehen !” (Mt 23,13) Es gibt also Theologen, die der Gemeinde den Schlüssel vorenthalten oder wieder wegnehmen. Sie haben kein Interesse daran, dass Gläubige mit seiner Hilfe selbständig urteilen 24 lernen. Auch dass Menschen deswegen ihren Glauben verloren und die Gemeinde verlassen haben, scheint sie wenig zu stören (“Churchly Correctness“ 25) , solange nur genug neue Mitglieder angeworben werden können. Dieser Schlüssel steht jedem Gläubigen zur Verfügung. Du hast das Recht, ihn zu verwenden. Wer ihn gebraucht, wird feststellen, dass der Heilige Geist sein Anwalt ist und ihn befähigen kann, andere vor Rechtsverletzungen zu schützen. 5. Notwendiger und schädlicher Zweifel Zweifel wird von manchen Gläubigen generell negativ gesehen, als sündiges Verhalten, das der Gläubige zu vermeiden hat. Sie können sich auf zahlreiche Ermahnungen ihn der Bibel, nicht zu zweifeln, sondern zu glauben, berufen. Haben sie also damit recht ? Sehen wir einmal genauer hin. Im alten Bund sollte der Hohepriester am Versöhnungstag ein Tieropfer darbringen (3.Mo 16, 17ff), um die Sünden des ganzen Volkes (!) zu “bedecken” und es von der Schuld zu “reinigen” (Septuaginta: καθαρισθησεσθε) . Im Hebräerbrief heißt es später, dass es unmöglich sei, durch das Opfer von Tieren Sünden “wegzunehmen” und Vergebung zu erlangen. (Hebr 10,4) Nur das Blut Jesu hat die Kraft, “den Gläubigen zu reinigen (καθαριζει) von aller Sünde.” (1.Joh 1,7) Was stimmt denn nun ? Hatten früher Tieropfer tatsächlich die Kraft, von Sünde zu reinigen oder kann das nur das Blut Jesu ? Dieser Kontrast der Aussagen wäre ein Widerspruch, wenn beide Aussagen gleicher Art wären. 24 Siehe Seite 179. 25 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#correctness“. 7 Indes, ein wirklicher Widerspruch ist nicht vorhanden, weil nur die Aussage des Neuen Testamentes letztgültige Wirklichkeit ist, die Aussage des Alten Bundes dagegen eine vorläufige, vorbereitende Aussage, die auf die letztgültige Wirklichkeit hinweist: sie ist nur der “Schatten” (Hebr 8,5) der Wirklichkeit. An letztgültigen Aussagen sollte der Gläubige nicht zweifeln. Letztgültige Aussagen fordern das Vertrauen in Gott und eine Verhaltensänderung unmittelbar heraus. Wer in dieser Weise vertraut, handelt anders als der NichtGlaubende, denn er rechnet mit den unsichtbaren Tatsachen, die sich aus der Aussage ergeben. Dieses Vertrauen ehrt Gott. “Obwohl Abraham damals schon fast hundert Jahre alt war und wusste, dass er keine Kinder mehr zeugen und seine Frau Sara keine Kinder mehr bekommen könnte, wurde er im Glauben nicht schwach und zweifelte nicht an der Zusage Gottes. Er ehrte Gott, indem er ihm vertraute , und wurde so im Glauben gestärkt. Er war sich völlig gewiss, dass Gott auch tun kann, was er verspricht. Eben darum wurde ihm der Glaube als Gerechtigkeit angerechnet. ” Doch wie ist es bei vorläufigen Aussagen ? David kamen nach seiner an Uria verübten Bluttat zum erstenmal Zweifel an der Wirksamkeit eines Tieropfers: “Tieropfer gefallen dir nicht, sonst würde ich sie dir geben. Aus Brandopfern machst du dir nichts.” (Ps 51,18) Das Gesetz sagte in seinem Fall ausdrücklich: “ihr sollt keine Sühneleistung annehmen bei Mord.” (4.Mo 35,31) “Wer vorsätzlich einen Menschen ermordet hat, der schändet das Land, und das Land kann von der Blutschuld nicht gereinigt werden außer durch das Blut dessen, der es vergossen hat.” (4.Mo 35,33) Für Mord war kein Opfer vorgesehen. Es gab keine Sühne dafür. Doch die Justiz konnte das Todesurteil nicht vollstrecken. Der König war die Justiz. Er garantierte den Rechtsfrieden. Ohne ihn gäbe es Anarchie, Kämpfe um die Macht, noch mehr Morde. So blieb die Sünde ungesühnt. Was konnte David noch zu seinen Gunsten anführen? Tiefe Zerknirschung und Reue ? 8 “Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängstetes Herz…“. (Ps 51,18) Eine reuige Einstellung ist eine Selbstverständlichkeit. Zu opfern und nichts zu bereuen wäre eine Verhöhnung Gottes. Schon weil das Opfer Geld kostet, wird es in der Regel von einem Gefühl des Bedauerns begleitet sein (so wie das Bezahlen eines Strafzettels). Dieses Bedauern erspart das Opfern nicht, es ist nur eine Begleiterscheinung. Wenn die Tat – wie ein Mord z.B. – nicht durch ein Tieropfer gesühnt werden kann, dann kann die Schuld nach alltestamentlichem Recht nur durch den Verlust des eigenen Lebens beseitigt werden – was Seele und Gewissen natürlich enorm belastet. Diese seelische Belastung hat jeder zum Tode Verurteilte vor der Hinrichtung zu tragen. Sie hat ebenfalls keine sühnende Wirkung, sodass deshalb das Opfer des eigenen Lebens erlassen werden könnte. In dieser ausweglosen Situation befindet sich David. Doch er erlebt staunend und dankbar, dass Gott die Opferfrage als bereits erledigt betrachtet. Wie das möglich ist – weiß David nicht. Oder ahnt er etwas ? Auf sein Sündenbekenntnis hin kann ihm Nathan mitteilen: “so hat der Herr deine Sünde weggenommen und du wirst nicht sterben.” (2.Sam 12,13). Auf seine große Sünde folgt: gar nichts! Die Sünde ist einfach weg, völlig beseitigt. Die im folgenden auferlegten Strafen sühnen die Sünde nicht, sondern haben nur einen Zweck, den Verächtern des Glaubens zu zeigen, dass Gott gerecht ist, nicht mit zweierlei Maß misst, und keine Günstlinge hat, denen er alles durchgehen lässt. Hätte niemand die Sünde bemerkt, wären diese Strafen sehr wahrscheinlich erlassen worden. Wenn aber nun bei dem schlimmsten Verbrechen die Schuld ohne Bestrafung des Sünders hinweggenommen wird, dann muss das fairerweise auch bei allen kleineren Vergehen so sein. Wie kann ein Gott gerecht erscheinen, der “die Kleinen hängt, die Großen aber laufen lässt” , der “Mücken aus dem Getränk filtert, aber zugleich Kamele hinunterschluckt” (Mt 23, 24) ? Auch hier wäre die Ehre Gottes, das Vertrauen in Sein gerechtes Urteilen in Frage gestellt. Das darf nicht sein. Kann David vergeben werden auf sein bloßes Schuldbekenntnis hin, so muss das auch für alle anderen Sünder gelten, die weniger Schlimmes getan und weniger Strafe verdient haben. 9 Deswegen ist Davids Erkenntnis: “Tieropfer gefallen dir nicht..” (Ps 51,18) eine allgemeingültige Aussage, die seltsam verloren dasteht inmitten des weiter praktizierten Opferkults. Sie bringt zwangsläufig die Frage mit sich: was erwartet Gott statt eines Opfers von mir ? Was ist ihm lieber als dieses Opfer ? Denn auch der gebotene Opferdienst ist kein Irrtum Gottes, ist nicht sinnlos: er muss eine Art Vorbereitung für die neue Erkenntnis sein. Von Nathan erhält David diese Erkenntnis nicht. Gott überlässt es dem Menschen, sich hier allein Gedanken zu machen und sich selbst um eine tragfähige Antwort zu bemühen. David vermutet ehrliche Reue, Demut und tiefe Selbsterkenntnis, und ist damit auf dem richtigen Weg. Seine Erkenntnis vereinigt sich später mit den Erkenntnissen der Propheten, die sogar den Abscheu Gottes vor dem Opferdienst bekunden, sofern er nicht mit einer innerlichen Erneuerung verbunden ist. “ihr mögt mir noch so viele Brand- und Speisopfer darbringen – ich kann sie nicht leiden. Ich mag eure fetten Dankopfer nicht ansehen… sorgt lieber, dass gerechte Rechtsprechung im Land zu sehen ist…” (Amos 5,22-24) Das Bemühen um tiefe Selbsterkenntnis 26 wird den Zweifel am vorhandenen Opferkult weiter vertiefen. Wer die ganze Verdorbenheit seines Herzens erkennt, wird immer ins Zweifeln kommen, ob das Opfern eines Tieres, das man ja auch schon für die Zubereitung einer Mahlzeit getötet hätte, nun zusätzlich auch noch Sünde ungeschehen machen kann. Das ist ja das Ziel der Vergebung: Die “Reinigung” von der Sünde (Ps 51,12 / 1.Joh 1,9), die den Gläubigen so stellt, als hätte er sie nie begangen. Wie soll das möglich sein ? Getötet würde das Tier ohnehin, um es zu essen. Das was hinzukommt, ist das religiöse Ritual, das das Opfer begleitet. Ein Ritual, das Menschen vollziehen, soll letztlich die Erlösung bringen: eine magische Vorstellung, die gründlich denkende Gläubige nicht überzeugt. Wer ein Tieropfer als ausreichende Sühnung ansieht, der denkt wenig über das Gewicht der eigenen Sünde nach. Sicherlich kann er sich auf den Wortlaut alttestamentlicher Opfervorschriften berufen. 26 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#selbsterkenntnis“. 10 So werden es viele konservative Gläubige getan haben, die dann später auch vom Messias nichts wissen wollten, der “ein für allemal” (Hebr 7,27) das einzig gültige und ausreichende Opfer – sich selbst – darbrachte (Hebr.5,3 / 9,27) So blieb ihnen nicht weiter übrig als sich weiter – unter Berufung auf die mosaische Tradition – an der Illusion 27 des Tieropfers festzuhalten. Gehorsam gegenüber dem Wortlaut ist keinesfalls immer das Richtige. Er kann das Grundfalsche sein, wenn die Aussage “Schattencharakter” hat, wenn sie von sich selbst weg auf eine noch nicht erschlossene Wirklichkeit verweist. Wie destruktiv und irreführend eine blinde und gedankenlose wörtliche Anwendung biblischer Aussagen sein können, zeigen viele unter der Überschrift “Giftige Theologie” 28 genannten Beispiele. Die Frage: “Habe ich das Wirkliche gesehen oder nur einen Eindruck seines Schattens gewonnen ?”, begleitet den Leser der Bibel ständig. Eine sorgfältige Argumentation ist für die Stabilität eines freundlichen Gottesbildes und für den Schutz der Heilsgewissheit unerlässlich 6. Resultate Was wurde bisher durch unsere Untersuchung konkret an Erkenntnissen gewonnen? 1. Die Mehrzahl der Gläubigen, die ein bibeltreues Glaubensbekenntnis haben, das die “Heilige Schrift als völlig zuverlässig” 29 bezeichnet, macht auf dieser Grundlage augenscheinlich überwiegend befreiende und stärkende Erfahrungen mit dem christlichen Glauben. Einzelne Gläubigen aber sind von immer mehr frustrierenden und entmutigenden Wahrnehmungen und zuletzt von religiöser Depression betroffen, obwohl sie sich beharrlich um positive Erfahrungen bemühen. 27 28 29 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#illusionen“. Siehe Seite 35. Siehe „www.ead.de/die-allianz/basis-des-glaubens.html“ 11 2. Religiöse Depression muss nicht zwingend eine wahnhafte Erkrankung sein. Der Gläubige schließt einen Bund (Vertrag) mit Gott. Grundlage dieses Vertrages (Vertragstext) ist die Bibel, die über Rechte und Pflichten 30 des Gläubigen verbindlich Auskunft gibt. Wenn der Wortlaut des biblischen Vertragstextes die Möglichkeit einer erheblichen Bedrohung oder Schädigung nicht sicher ausschließen kann, dann ist eine ängstliche oder depressive Reaktion der betroffenen Person, die sich auf diesen Text verlässt, absolut normal. Das medizinische Problem ist also im Grunde genommen ein rechtliches oder logisches Problem. 3. Menschen, die gründlich nachdenken, können ihre seelische Stabilität schwerlich dadurch zurückgewinnen, indem sie nachteilige Teile des Vertragstextes willkürlich ignorieren oder verdrängen 31, wie es von etlichen Seelsorgern empfohlen wird. 4. Menschen mit deprimierender Biographie können ihre seelische Stabilität schwerlich dadurch zurückgewinnen, indem sie sich der optimistischen Sicht anschließen 32, dass nur die ermutigenden Stellen der Bibel für sie Gültigkeit haben. 5. Wenn man der Bibel göttliche Herkunft und Autorität zuerkennt, dann lassen sich Befürchtungen am effektivsten entkräften, wenn ein Interpretationsverfahren zur Verfügung steht, das sich wiederum überzeugend an biblische Autorität anbinden lässt und nicht von subjektiven, optimistischen, rein spekulativen Sichtweisen abhängig ist. 6. Die Qualität des “Schriftbeweises” setzt das Wissen um bestimmte Eigenschaften der Bibel voraus (z.B. keine Interpretation ohne geistliche Disziplin 33, Pauschalstil 34, Polarität 35, Prioritäten 36, Selbstverstärkung 37, 30 31 32 33 34 35 36 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#heilsgewissheit“. Siehe unter „Alternativen“ den 3.Abschnitt, Seite 22. Siehe unter „Alternativen“ den 1.Abschnitt Seite 18. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#disziplin“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#pauschal“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#polaritaet“. Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Rangunterschiede biblischer Aussagen“, („www.matth2323.de/stichworte/#rang“). 37 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#selbstverstaerkung“. 12 Unterscheidung der Verantwortungsbereiche 38). Eine seriöse Theologie wird diese Eigenschaften erschließen und selbstkritisch reflektieren, inwieweit ihre Arbeit zu selbständigem, stabilem Vertrauen hinführt. Das weithin übliche Verfahren, einfach nur Heilszusagen zu zitieren, ohne die Vertrauensblockade mit Hilfe einer beweiskräftigen Argumentation aufzulösen, und im übrigen zu beteuern, “dass es in religiösen Angelegenheiten eben keine absolute Sicherheit geben könne” dürfte insoweit effizient sein, dass der Ratsuchende sich von weiteren Seelsorgeterminen nichts mehr verspricht. 7. Eine hilfreiche und ermutigende Interpretation des biblischen Vertragstextes ist unmöglich, wenn alle Sätze des biblischen Vertragstextes gleiches Gewicht haben und insoweit Sätze mit gegensätzlichen Aussagen (Heilszusagen, Tröstungen, Warnungen und Drohungen) sich gegenseitig entkräften oder aufheben. 39 Eine hilfreiche und ermutigende Interpretation ist gleichermaßen unmöglich, wenn alle Sätze des neutestamentlichen Vertragstextes gleiches Gewicht haben. 8. Die Bibel lehrt unmissverständlich, dass die verbindlichsten Sätze, die Gebote, nicht gleichwertig sind, sondern in einer Rangfolge 40 stehen. Ebenfalls lehrt sie, dass die Autoren biblischer Texte nicht gleichwertig sind, sondern in einer Rangfolge stehen. 9. Die Person mit der größten Autorität in der Bibel ist der sündlose Gottessohn Jesus Christus. Er vermittelt das klarste und alleingültige Gottesbild: “Wer mich sieht, sieht den Vater.” (Jo 14,9) Seine Worte haben den höchsten Rang: “Ihr habt gehört… Ich aber sage euch“. (Mt 5) Unter dem, was er gebietet, gibt es drei Gebote, denen er die größte Autorität verliehen hat: das Gebot, barmherzig zu sein, das Gebot, Gerechtigkeit zu lieben, und das Gebot, verlässlich und treu zu sein (Mt 23,23). Diese Gebote sind hohe Qualitätsstandards 41, die zur Interpretation aller übrigen Bibelworte dienen können und müssen. 38 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unterscheidung der Verantwortungsbereiche“, („www.matth2323.de/stichworte/#unterscheidung“). 39 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unvollkommenheit – gefährdet sie das Heil?, („www.matth2323.de/stichworte/#unvollkommenheit“). 40 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Rangunterschiede biblischer Aussagen“, („www.matth2323.de/stichworte/#rang“) 41 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 13 10. Werden diese Gebote als Maßstab der übrigen Aussagen der Bibel verwendet, so treten die Rangunterschiede dieser Aussagen viel deutlicher hervor. Ebenfalls wird deutlich, dass im biblischen Text verstreut einzelne Aussagen gibt, die den Rang “Null” haben und deshalb auch von Gläubigen unterschiedlicher theologischer Richtungen gemeinsam instinktiv ignoriert 42 werden: z.B. das Gebot, einer Frau, die unbedeckt betet, das Haar abzuschneiden (1.Ko 11,6) oder das Gebot, dass Sklaven ihren Herren untertan sein, ihre Pflichten ohne Murren erfüllen und Misshandlungen demütig ertragen müssen (1.Pe 3,18-19). 11. Man kann eine unterschiedliche Rangfolge biblischer Aussagen, ja sogar den Rang “Null” feststellen, ohne damit eine negative Rückwirkung auf die Würde und Autorität der Heiligen Schrift in Kauf nehmen zu müssen. Die Rangfolge biblischer Aussagen wird mit Hilfe eines höheren Ordnungsprinzips – den drei Qualitätsmaßstäben 43 – festgelegt. Auch das vom Schöpfer konzipierte biologische “Lebensbuch”, die Erbsubstanz, wird mit Hilfe übergeordneter Mechanismen ausgelesen. Um das Leben zu entwickeln und zu erhalten, werden Abschnitte des genetischen Codes nach einem sinnvollen Plan aktiviert, zeitweilig deaktiviert oder ganz stillgelegt. Eine gleichzeitige und dauerhafte Aktivierung aller Abschnitte findet niemals statt (schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell). 44 12. Der Gläubige, der einen Bibeltext oder eine bestimmte Auslegung dieses Textes deaktiviert (Beispiele 45), weil er mit den wichtigsten Geboten der Barmherzigkeit, der Liebe zum Recht und der Verlässlichkeit in deutlichem Widerspruch steht, handelt im Namen Jesu, der es bei Bedarf uns zum Vorbild ähnlich gemacht hat (Mt 18,8 ff / Joh 8,1 ff), und darf sich auf seine Autorität berufen. 42 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Rangunterschiede biblischer Aussagen“, („www.matth2323.de/stichworte/#rang“). 43 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 44 Siehe dazu ausführlich Seite 268. 45 Siehe unter „Giftige Theologie“ die Behauptung: „Die strengere und härtere Interpretation ist auf jeden Fall die bessere“, Seite 138. 14 Bei diesem Urteilen ist nicht nur die Wirkung auf die seelische Stabilität des einzelnen Gläubigen zu berücksichtigen, sondern auch die Wirkung auf seine charakterliche 46 Bildung und darüber hinaus die Wirkung auf die gesamte Gemeinde, auf ihre Glaubwürdigkeit und auf ihr Zeugnis in der Welt. 13. Die Untersuchung der Rangfolge biblischer Aussagen stellt die Eindeutigkeit des Gottesbildes wieder her, sowie die Eindeutigkeit der Ethik und der Heilszusagen – eine unerlässliche Voraussetzung für die Überwindung der deprimierenden Verunsicherung im Glauben. 14. Die Untersuchung der Rangfolge biblischer Aussagen schärft das Urteilsvermögen 47 und erleichtert es, Interpretationen der Bibel hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Beweiskraft zu bewerten. Psychisch schwer geschädigten Geschwistern wird am ehesten mit einer Interpretation geholfen, die die vergleichsweise stärkste Überzeugungskraft hat. 15. Auf diesem Wege wird die Giftigkeit gewisser mangelhafter Bibelinterpretationen aufgedeckt und ihnen wird die Autorität und damit die Wirkungsmacht in der Seele entzogen. Wie das konkret aussehen kann, haben wir hier an 28 Beispielen 48 gezeigt. Wir hoffen dadurch langes unnötiges Leid zu vermeiden. Besonders gefährlich für die seelische Gesundheit sind Missverständnisse in Bezug auf die unvergebbare Sünde. 49 16. Die Gemeinde kann zur Vorbeugung und Heilung beitragen, indem sie Gott als zuverlässigen und fairen “Vertragspartner” (Bundespartner) bezeugt. Das tut sie, indem sie selbst sich dem Ziel der Heiligen Schrift, zur Gerechtigkeitsliebe zu erziehen 50, unterordnet und sich eifrig um eine Kultur der Fairness 51 bemüht. 46 47 48 49 50 51 Siehe das Kapitel „Charakter“, Seite 205. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#urteilsvermoegen“. Siehe die Auflistung unter „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. Siehe Seite 234 ff. Siehe das Kapitel „Charakter“, Seite 205. Siehe das Kapitel „Widerstandskraft“, Seite 263. 15 17. Man muss aber auch mit der Tatsache rechnen, dass manche Gemeindelehrer und Mitglieder weiter Barmherzigkeit, Liebe zum Recht und Verlässlichkeit für zweitrangig halten und eisern am perfektionistischem Dogmatismus festhalten werden. Es bleibt dann nicht aus, dass sie versuchen, ihn auch anderen aufzuzwingen, um ihre eigene moralische Position nicht in Frage stellen zu müssen. Diese wird allerdings automatisch durch die Art der unfairen Methoden in Frage gestellt, die sie mangels Überzeugungskraft verwenden. Wenn der Gläubige diese Methoden kennt 52 und mit dem Wort Gottes abwehren kann, ist er sehr gut gegen Einschüchterungsversuche geschützt. Er hat dann den Freiraum, selbständig und verantwortlich auf biblischer Grundlage zu urteilen und zwischen vermeintlicher und tatsächlicher Autorität zu unterscheiden. 18. Es ist hilfreich, den Blick für typische Defizite und Sünden in der Leitung 53 zu schärfen – nicht um Christen in dieser Position anzufeinden, sondern um zu erkennen, dass Perfektionismus selbst bei den Vorbildern im Glauben, den Ältesten, eine Fiktion ist. Die Erkenntnis, dass Gott eine Gemeinde weiter segnet trotz Unvollkommenheiten, Schwächen und langfristigem Versagen in der Leitung, trägt viel zur Entkrampfung und Loslösung von perfektionistischer Prägung bei. 52 Siehe die Auflistung unter „www.matth2323.de/miese-tricks/“. 53 Siehe das Kapitel „Widerstandskraft“, Seite 263. 16 Um aus einer durch das Bibelverständnis verursachten Depression wieder herauszufinden, wird also auf unserer Internetseite folgendes Vorgehen empfohlen: 1. perfektionistische, “giftige” Theologie dig widerlegen 54 demaskieren und glaubwür- (Ziel: Durch Anwenden des höchstrangigen Ordnungskriteriums der Bibel, den Qualitätsmaßstäben Jesu 55, kann der depressiv gefährdete Gläubige den Freiraum zurückgewinnen, den er benötigt, um sich aus destruktiven Prägungen durch Tradition, Erziehung und Gewissen 56 zu lösen.) 2. den positiven und mutmachenden Charakter einer Freundschaft mit Gott (“Heiligung“ 57) verdeutlichen (Ziel: auf die Überwindung negativer Missverständnisse muss das fruchtbare, konstruktive Verstehen folgen, das die liebevolle Beziehung des Gläubigen zu Gott ermöglicht und vertieft. Dabei nimmt der Gläubige das durch die Bibel verbriefte Recht in Anspruch, die Frage nach der Qualität der Früchte zu stellen (Mt 7,16 / Joh 8,46). Ohne konstruktives Verstehen entsteht ein Vakuum, das bald wieder von Destruktivität – Gottlosigkeit oder Werkgerechtigkeit – ausgefüllt werden wird.) 3. zur kritischen Wahrnehmung von Autorität und Macht Gemeinde anleiten 58 in der (Ziel: der depressiv gefährdete Gläubige braucht zusätzlich den Schutz vor unfairen Methoden der Manipulation und seelischen Erpressung, die weiter von außen auf ihn einwirken werden. Zugleich soll er aber auch erkennen, wieviel Segen Gott schenken kann trotz vielfältiger Unvollkommenheit, die sich manche Gemeindeleitung leistet.) 54 Siehe die Auflistung unter „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. 55 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 56 Siehe unter „Giftige Theologie“ die „Behauptung: Das Gewissen ist die unfehlbare Stimme Gottes“, Seite 139. 57 Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. 58 Siehe das Kapitel „Widerstandskraft“, Seite 263. 17 7. Welche tragfähigen Alternativen gibt es dazu ? Gegen eine durch perfektionistisches Bibelverständnis verursachte Depression gibt es eine evangeliumsgemäße Therapie 59,die das höchstrangige Ordnungskriterium der Bibel, die Qualitätsmaßstäbe Jesu 60, zur Interpretation aller biblischen Aussagen verwendet. Wenn dieser Schlüssel 61 nicht angewendet werden kann oder darf, dann stehen üblicherweise die folgenden (u.U. wenig tauglichen) Alternativen zur Verfügung: 1. Eine optimistische Einstellung ist Pflicht 2. Den Spieß umdrehen: Der Aufruf zur Heiligung wird als Werkgerechtigkeit betrachtet 3. Quantitative Lösung: die Bibel grundsätzlich nur in Auswahl lesen 4. Heilssicherung mittels Ritual 5. Glauben an den Glauben anderer 6. Allversöhnung 7. Entkernung des Christentums 7.1. Eine optimistische Einstellung ist Pflicht. Argumentation: Die Güte Gottes gegenüber jedem Menschen hat grundsätzlich ein viel höheres Gewicht als alle Warnungen und Strafen. “Sein Zorn währt nur einen Augenblick, aber lebenslang seine Gnade.” (Ps 30,6) Auch bei strengsten Warnungen gilt: es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Warnungen sind gutgemeinte Übertreibungen, um gleichgültige Menschen zum Zuhören zu bewegen. Deswegen darf der Gläubige grundsätzlich optimistisch sein. Damit ehrt er Gott am besten. Vorsichtige Beurteilung: Zweifellos sind die Ansichten Gottes grundsätzlich gut. “Gott will ja, dass alle Menschen gerettet werden und die Wahrheit erkennen können.” (1.Tim 2,4). 59 Siehe Seite 11. 60 Siehe unter „Stichworte“ (Internet). 61 Siehe Seite 7. 18 Auch seine Strenge ist Güte: „Mein Sohn, denke nicht schlecht über die strenge Hand des Herrn, verliere nicht den Mut, wenn er dich straft! Denn wen der Herr liebt, den erzieht er streng und wen er als Sohn annimmt, dem gibt er auch Schläge. Was ihr ertragen müsst, dient also eurer Erziehung. Gott behandelt euch so wie ein Vater seine Söhne. Oder habt ihr je von einem Sohn gehört, der nie bestraft wurde? Wenn Gott euch nicht mit strenger Hand erziehen würde, wie er das bei allen macht, dann hätte er euch nicht als Kinder anerkannt.” (Hebr 12,5-8) Wenn der Mensch sein Unrecht ehrlich bereut und lässt, vergibt ihm Gott gerne und verzichtet auf die Bestrafung. (Jona 3,10 + 4,11) Gott straft nicht gleich, sondern versucht zunächst den Menschen mit Güte zu überzeugen: “Begreifst du denn nicht, dass er dich mit seiner Güte zur Umkehr bringen will?” (Rö 2,4) Strafe und Gnade stehen in einem zeitlichen Verhältnis: “Einen Augenblick nur dauert Sein Zorn, aber lebenslang seine Gnade.” (Ps 30,6) Wieviele Sekunden hat das Leben! Dem Zorn wird gerade eine einzige Sekunde zugestanden. Das sind die Relationen Gottes. Dies alles erlaubt eine ermutigende und zuversichtliche Betrachtung der Bibel. Optimistisch sein gelingt Gläubigen mit einer positiv verlaufenden Biografie in der Regel sehr gut. Da sich bei ihnen fast alles “zum Besten” gefügt hat, fällt es ihnen nicht schwer an die Liebe und Großzügigkeit Gottes zu glauben. Ihre seelische Stärke lässt sie glauben, dass sie vorsichtigen Gläubigen überlegen sind. Wie oben gezeigt, kann das aber eine Selbsttäuschung sein. (siehe auch “Sorgfaltsparadox“ 62) Selbst wenn ihre positive Sicht berechtigt ist, so ist es dennoch naiv, zu glauben, dass dieser Optimismus von Gläubigen, die durch schwere Schicksalsschläge geprägt sind, einfach übernommen werden könnte. Eine negativ verlaufende Biographie liegt die Befürchtung nahe, dass das Unglück die Antwort Gottes auf eigenes Versagen sein könnte. 62 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#sorgfaltsparadox“. 19 Zudem gibt es auch einen Optimismus, der leichtsinnig ist. Die Bibel warnt an manchen Stellen davor. “Es werden nicht alle, die zu mir “mein Herr”, sagen, in den Himmel kommen, sondern nur die, die den Willen meines Vaters im Himmel tun.” (Mt 7,27) “Wehe denen von euch, die sagen: “Möge doch bald der Tag des Herrn kommen”. Für euch wird dieser Tag die Finsternis bringen und nicht Licht.” (Amos 5,17) Die fünf törichten Jungfrauen gingen dem Bräutigam entgegen, mussten aber draußen bleiben, weil sie “kein Öl mehr” hatten. (Mt 25,1ff) Mit dem “Tun des Willens” kann keine zufriedenstellende Erfüllung des Gesetzes gemeint sein. (Werkgerechtigkeit 63) Aber die Freundschaft des Gläubigen mit Gott, seinem Herrn (Jak 2,19) soll an seinem Lebensstil zu erkennen sein. Die Bibel nennt diese Einstellung “Heiligung”. Sie ist unbedingt notwendig ! “Ohne Heiligung wird niemand den Herrn sehen.” 64 (Hebr 12,14) Eine Gemeinde, deren Theologie das Thema der “Heiligung” vernachlässigt, wird sorgfältigen Bibellesern keine Heimat sein können. Sie machen sich dann auf die Suche nach einer “besonders entschiedenen” Gemeinde, wobei sie in Kontakt mit der perfektionistischen bzw. werkgerechten Variante giftiger Theologie 65 kommen können. In der früheren Gemeinde haben sie nicht lernen können, den Missbrauch der Bibel mit der Bibel abzuwehren, da dort die biblische Autorität in wichtigen Punkten nicht anerkannt wurde. Sowohl optimistische als auch pessimistische Gläubige benötigen für eine realistische Selbsteinschätzung die klare Unterscheidung zwischen Heiligung 66 und Werkgerechtigkeit 67. Ohne diese Unterscheidung bleibt unklar, ob der verunsicherte Gläubige die Heilsversprechen Gottes 68 auf sich beziehen kann oder nicht. Mit Hilfe dieser Unterscheidung kann sich der Gläubige vor leichtfertigem Optimismus schützen. 63 64 65 66 67 68 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. Siehe den Artikel „Heilsgewissheit ohne Heiligung ?“, („…/stichworte/#ohne“). Siehe die Auflistung unter „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Absolut verlässlich: die Zusagen Gottes“, („http://www.matth2323.de/stichworte/#zusage“). 20 7.2. Den Spieß umdrehen: Der Aufruf zur Heiligung wird als Werkgerechtigkeit betrachtet Argumentation: Der Aufruf zur Heiligung ist nichts anderes schädliche Werkgerechtigkeit 69! Es ist nur Unglaube in die allumfassende Gültigkeit des Sühneopfers Jesu. Kritische Beurteilung: Tatsächlich ? In der lutherischen Volkskirche ist leider diese irrige Ansicht weitverbreitet. Zweifellos macht man sich beliebt, wenn man einen Glauben verkündet, der nichts mehr verlangt und nichts mehr kostet (Wert des Glaubens 70): vergeudete Gnade! (Das Wort von der “billigen Gnade” (Bonhoeffer) ist sehr missverständlich, denn billig oder teuer ist etwas, was man bezahlen muss. Der Gläubige muss aber nicht für seine Errettung bezahlen – auch nicht nachträglich.) Luther hat in einer Tischrede später durchblicken lassen, dass er mit der Unterscheidung von”Gesetz und Evangelium”, d.h. von Heiligung 71 und Werkgerechtigkeit immer noch Probleme hatte und hat dieses Unvermögen kurzerhand jedem Menschen unterstellt. “Kein Mensch auf Erden ist, der da kann und weiß das Evangelium und Gesetz recht zu unterscheiden. Wir lassen es uns wohl dünken, wenn wir hören predigen, wir verstehen es; aber es fehlet weit, allein der heilige Geist kann diese Kunst. … Ich hätte wohl auch gemeint, ich könnte es, weil ich so lange und so viel davon geschrieben habe; aber wahrlich, wenn es ans Treffen geht, so sehe ich wohl, dass es mir es weit, weit fehlet! Also soll und muss allein Gott der heiligste Meister und Lehrer sein!” (Martin Luther, Tischreden, ausgewählt von Karl Gerhard Steck, München 1959, S.42.) Das wäre wahrlich ein bitteres Resultat, wenn lebensgefährliche (!) Werkgerechtigkeit und lebensnotwendige (!) Heiligung 72 so schwer auseinander zu halten wären ! Wie kann dann ein vernünftiger Mensch verlangen, dass der Gläubige sich mit diesem Thema überhaupt befasst ? 69 70 71 72 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#wert“. Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. Siehe ebd. 21 Es kann dann doch nur ein skurriles Hobby theologischer Spezialisten sein und der Gläubige tut gut daran, wenn er sich mit seinem Eifer und Fleiß ganz auf irdische Dinge konzentriert. Ist das wirklich so ? Auch der einfache Gläubige ist in der Lage, zwischen “Gesetz und Evangelium”, zwischen Heiligung und Werkgerechtigkeit klar zu unterscheiden, indem er sich nämlich hütet, eine einzige Bibelstelle so auszulegen, dass die Deutung gegen die Qualitätsmaßstäbe Jesu 73 “Barmherzigkeit, Liebe zum Recht, Verlässlichkeit” verstößt. Nur wenn man ihre absolute Priorität respektiert, entsteht eine klare Rangfolge biblischer Aussagen. 74 Doch wie kann man den absoluten Vorrang dieser Qualitätsmaßstäbe erkennen, wenn man sich wie Luther der fürstlichen Macht bedient, um seinen theologischen Einfluss gewaltig zu vermehren und dabei unschuldige Menschen in großen Mengen – Juden, christliche Bauern und täuferische Glaubensgeschwister – zu Schaden kommen lässt 75? Dies muss man realistisch sehen, auch wenn Luthers Lebensleistung 76Christen bis heute in vielerlei Hinsicht zu Recht großen Respekt abnötigt. 7.3. Quantitative Lösung: die Bibel grundsätzlich nur in Auswahl lesen. Argumentation: Der Gläubige soll es so machen, wie es ihm viele Pastoren in der Predigt vormachen: er soll sich auf die Verheißungen konzentrieren und nur über sie nachdenken anstatt über die angstmachenden Stellen der Bibel. Dann wird das Gute und Heilsame seine Seele allmählich ausfüllen und das Negative überdecken. Verstehen könne die angstmachenden Stellen ohnehin niemand. Sie gehen den Gläubigen daher auch nichts an. Kritische Beurteilung: Das Ausmaß der Zerstörungskraft hängt nicht von der Menge der Worte ab. “Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig.” (Gal 5,9) 73 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 74 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#polaritaet“. 75 Siehe im Aufsatz „Was ist Irrlehre“ den 5.Abschnitt „Ist jemand ein Sektierer, weil er den Vätern des Glaubens widerspricht?“ (Internet) 76 Siehe ebd. 22 Man kann zweifellos Gläubige daran gewöhnen, die Bibel nur in Auswahl zu lesen. So wird es in der Regel gemacht. Doch es dürfte wenig Erfolg haben, jemanden, der die Bibel kennt, aufzufordern, sich nur in Auswahl zu erinnern. Haben warnende Stellen der Bibel wirklich keine Bedeutung für den Gläubigen ? Wenn man eine inhaltliche Analyse für überflüssig hält, wie kann man dann behaupten, dass jedes Aussage der Schrift “völlig zuverlässig” sein soll (Credo der Evangelischen Allianz 77) ? Dieses zu behaupten und gleichzeitig besonders eindringliche Texte (Warnungen) willkürlich außer Kraft zu setzen, kann man nur als schizophrene Betrachtungsweise bezeichnen ! Braucht der Mensch tatsächlich schizophrenes Denken, um die Bibel verkraften zu können ? Wirklich Schizophrenie oder Unehrlichkeit? Wird die Autorität der Heiligen Schrift auf diese Weise tatsächlich gestärkt oder wird sie nicht vielmehr aufgeweicht ? Wer bestimmt, was ausgewählt wird und was ignoriert werden muss? Ohne ein allgemein überzeugendes Ordnungskriterium ist die Quintessenz, dass sich der sorgfältige Gläubige vor dem seelischen Absturz nur mit Hilfe des blinden Vertrauens auf Gläubige 78 retten kann, die ihm dank ihres Vorbildes oder ihres Erfolges im “Menschenfischen” überlegen erscheinen ? Etwas mehr seelische Stabilität wird auf diese Weise mit dem Verlust der persönlichen Würde erkauft. Der Ratsuchende bleibt ein abhängiges, allein nicht lebensfähiges, kleines religiöses “Würstchen”, während die Bedeutung des Seelsorgers als Garant der Heilsgewissheit enorm zunimmt. Auch für die weniger Ängstlichen bleibt es schwierig, ohne glaubwürdige Begründung selbst zu bestimmen, was ignoriert werden darf. Am besten ist es, wenn die Tradition die betreffende Aussage schon immer ignoriert hat. Was die Mehrheit der Gläubigen schon immer machte und dachte, kann ja nicht falsch sein – und bedarf deshalb keiner Erklärung. 77 Auf ihrer Internetseite (http://www.ead.de/die-allianz/basis-des-glaubens.html) heißt es: Wir bekennen uns... zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung“ 78 Siehe den 5.Abschnitt dieses Aufsatzes, Seite 27. 23 Wenn die Verdrängung nicht durch die Tradition abgesegnet wird, so kann sie durch einen überlegenen Gläubigen legitimiert werden. Indem die Gläubigen ihn in das Amt wählen, anerkennen sie seine geistliche Überlegenheit und gestehen ihm nicht nur das Interpretations- sondern auch das Auswahlmonopol zu. Er organisiert mit anderen zusammen ein reichhaltiges Informationsprogramm, das die geistige Aktivität der Mitglieder weitgehend absorbiert und sich von allen Tabuthemen fernhält. Wer dennoch ein unerwünschtes Thema anspricht, der erfährt sehr schnell von der Mehrheit der Zuhörer, dass dafür überhaupt keine Zeit zur Verfügung steht und dass eine Programmänderung von allen als Friedensstörung gesehen und nicht geduldet wird. 7.4. Heilssicherung mittels Ritual Argumentation: “Wer einmal das Bekehrungsritual vollzogen und ein Übergabegebet gesprochen hat, kann nicht mehr verlorengehen.” Eine schwächere Variante dieser Auffassung ist das Vertrauen auf die Rettungdurch die Taufe oder durch die Gabe des Heiligen Abendmahls. Bekehrungsritual, Taufe oder Abendmahl werden als “Heilsmittel” gesehen, die von Gott nicht mehr in Frage gestellt werden (können). Vorsichtige Beurteilung: Eine Geschichte im Alten Testament zeigt uns, dass man es sich mit dieser Anschauung vielleicht doch zu einfach macht. Es gab zwei Priester, Hophni und Pinehas, deren Leben von Respektlosigkeit gegenüber Gott geprägt war. Sie stahlen von den Opfergaben (1.Sam 2,13-14) und schliefen mit den Frauen, die im Tempel dienten. (V.22) Diese Sünden waren dem ganzen Volk bekannt. (V.14) Nachdem die Israeliten von den Philistern in einer Schlacht besiegt worden waren, ließen die Ältesten des Volks die Bundeslade holen, um sie – als Zeichen der Gegenwart Gottes – in die Schlacht mitzunehmen. Als Hophni und Pinehas die Lade brachten, jubelte das Volk, das nun den Sieg sicher glaubte. (1.Sam 4,5) Doch diese Hoffnung wurde grausam enttäuscht. Israel erlitt eine vernichtende Niederlage und die Bundeslade war weg. Nun hatten sie die Philister. (V.10-11) 24 Es scheint eine törichte Hoffnung zu sein, Gottes Segen mit einem Ritual erzwingen zu können, obwohl man sich einen bösen und unbarmherzigen Lebensstil erlaubt. Es scheint töricht zu sein, auf den Himmel zu hoffen, wenn man anderen das Leben zur Hölle macht 79 !Deshalb auch die eindringlichen Warnungen in der Bibel: “Wisset ihr nicht, dass ungerechte Menschen das Reich Gottes nicht ererben werden? Lasset euch nicht verführen! Weder die Hurer, noch die Verehrer der Götzen noch die Ehebrecher, noch die Pädophilen, noch die Diebe noch die Habgierigen noch die uneinsichtigen Trunkenbolde noch die Lästerer noch die Räuber werden das Reich Gottes ererben.” (1.Kor 7,9) (Auch diese strenge Mahnung ist allerdings bereits wieder mit Verheißungen Gottes “durchlöchert” und abgeschwächt, denn all diese Fehlverhaltensweisen werden ja gerne von ihm vergeben, wenn man sie bereut.) Leider halten sich immer wieder hartherzige Menschen zur Gemeinde, an denen diese Warnungen, die eigentlich auch abgebrühte Naturen beeindrucken sollten, wirkungslos abprallen. Umgekehrt beziehen sorgfältige und eifrige Christen, die Ehrfurcht vor dem Wort Gottes empfinden, ausgerechnet diese Warnungen, die sie gar nicht betreffen, auf sich. Sie haben Mühe zu verstehen, dass sich die Warnungen an “die Starken”, an rücksichtslose Gläubige, richten und nicht an “die Schwachen”, die gewissenhaften Gläubigen. (Sorgfaltsparadox 80) Infolgedessen wird für manche der Glaube zu einer ständigen “Zitterpartie”, einem ständigen Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung. Sie finden nie zum Frieden und zur Glaubensfreude – da Tröstung und Bedrohung immer in schizophrener Gleichzeitigkeit vorhanden sind. Diese Situation macht die Erlösungsbotschaft unglaubwürdig. Kann man dann noch Menschen zum Glauben einladen? Muss man ihnen nicht rechtgeben, wenn sie sich auf diese Schizophrenie, auf dieses Pseudo-Heil nicht einlassen wollen ? 79 Siehe den Artikel „Heilsgewissheit ohne Heiligung?“, („.../stichworte/#ohne“). 80 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#sorgfaltsparadox“. 25 Man kann daraus nur einen Schluss ziehen: die Heilsverheißungen 81 haben ein unvergleichlich größeres Gewicht als alle Warnungen. “Selbst wenn wir untreu sind, so bleibt er doch treu – er wird nicht widerrufen, was er zugesagt hat.” (2.Tim 2,13) Es ist undenkbar, dass der Gläubige aus Schwäche eine Sünde zuviel begeht und deshalb verlorengeht. “Denn der Herr verstößt nicht auf ewig. Selbst wenn er dunkelste Zeiten für einen Menschen bestimmt hat, so erbarmt er sich doch eines Tages wieder über ihn – denn seine Güte ist groß und es macht ihm keine Freude, Menschen in Not und Traurigkeit zu lassen.” (Klgl 3,32-33) Schwache Menschen hat Jesus nie bedroht, nur selbstgerechte und gewalttätige. Wäre es anders, gäbe es überhaupt keine Heilsgewissheit. Dann würde sich der Gläubige wieder abrackern und mit frommen Werken mühen müssen, um sich etwas weniger bedroht zu fühlen. Die “Freiheit” des Geistes (2.Kor 3,17) wäre übelste Propaganda 82, denn das Neue Testament wünscht sich vom Gläubigen unendlich viel mehr 83 mehr als das Alte, nämlich Vollkommenheit. (Mt 5,48) Ist das wirklich noch Grund zum Jubeln, wenn man “vom Regen in die Traufe gekommen” ist ? Wohl kaum! Es ist ein fataler Fehler, wenn man die Gebote des Neuen Testamentes in alttestamentlicher Weise missversteht! C.H. Spurgeon lernte in seinem Dienst viele treue Gläubige kennen, die sich mit der Angst herumplagten, das Heil wieder zu verlieren. In seinen “Kleinoden” legte er immer wieder dar, wie unsinnig und unwürdig diese Befürchtung ist. Er selbst war der Ansicht, dass das einmal geschenkte Heil unverlierbar sei. Der Gläubige hat ja eine unzerstörbare, geistliche Natur geschenkt bekommen, die niemals sterben kann. Jesus sagte: “ich gebe ihnen das ewige Leben; und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen.” (Joh 10,27+28) Die Auffassung, dass das einmal geschenkte Heil unverlierbar ist, mag im Ergebnis richtig sein. In der unsichtbaren Welt angekommen, werden die Gläubigen sicherlich staunen, wem Gott noch die Treue gehalten hat. 81 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Absolut zuverlässig: die Heilszusagen Gottes“,(„www.matth2323.de/stichworte/#zusage“). 82 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#propaganda“. 83 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#hbi“ den Abschnitt „Hundertprozentige Buchstabentreue ist eine Illusion“. 26 Da werden viele sein, denen Menschen keine Chance mehr gegeben hätten. Es ist sicherlich auch angemessen, wenn gutwillige Gläubige, die nicht brutal mit Mitmenschen umgehen, von diesem Standpunkt aus alle anderen Bibelstellen, insbesondere Warnungen interpretieren. Bei Warnungen ist immer der lebensfördernde Sinn herauszuarbeiten: “der Mensch lebt von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.” (Mt 4,4) Bei der Betrachtung der Heilsversprechen ist zu berücksichtigen, dass viele Verheißungen nur im Rahmen einer “Freundschaft mit Gott” gültig 84 sind, d.h. nur dem Gläubigen gelten, der sich eines freundschaftlichen Verhaltens gegenüber Gott befleißigt. (Jak 2,23) Auch die zitierte Heilszusage Jesu stellt das ganz klar heraus: “Denn meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie; und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben (Joh 10,27) Die “Schafe” sind charakterisiert als solche, die auf Jesus “hören” wollen. Das bloße Negieren und Ignorieren von Warnungen ist mit dem Odium willkürlicher Verdrängung 85 behaftet und wird bei sorgfältig lesenden Gläubigen schwerlich zu stabiler Heilsgewissheit führen. Deshalb ist für Heilsgewissheit ein konsistentes Konzept der “Freundschaft mit Gott” nötig (“Heiligung“ 86), das durch bleibende Unvollkommenheit 87 des Gläubigen nicht in Frage gestellt wird. 5. Glauben an den Glauben anderer Argumentation: Der geängstete Gläubige darf sich auf die optimistische Prognose von Gläubigen verlassen, die im Glauben gereift und anderen ein Vorbild sind. Diese Gläubigen haben viel mit Gott erlebt und können seinen Charakter und seine Reaktionen besser einschätzen. 84 Siehe unter „Stichworte“ den 2.Abschnitt des Artikels „Absolut zuverlässig: die Heilszusagen Gottes“, („www.matth2323.de/stichworte/#2-zusage“). 85 Siehe den 3. Abschnitt dieses Kapitels: „Quantitative Lösung: die Bibel grundsätzlich nur in Auswahl lesen ?“, Seite 22 86 Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. 87 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unvollkommenheit – gefährdet sie das Heil?“, („www.matth2323.de/stichworte/#unvollkommenheit“). 27 Kritische Beurteilung: Sicherlich kann ein solcher Zuspruch sehr wertvoll und auch unbedingt notwendig sein, um den Absturz in dauernde Panik und schwere Schädigung der Seele abzuwenden. Doch ist diese Lösung unbefriedigend. Es kann keine Dauerlösung sein, dass der Glaube des Betroffenen verkümmert und krüppelhaft bleibt und ohne Stützung von außen kraftlos in sich zusammensinkt. Einem solchen Gläubigen ist ja das frohe Zeugnis des Glaubens weitgehend unmöglich. Sein ganzes Leben lang wird er sich als fragwürdiger Gläubiger vorkommen, den Gott vielleicht gerade noch duldet, und neidisch auf die privilegierten Gläubigen blicken, die mit Glaubensfreude und Geborgenheit überschüttet werden. Eine seelische Abhängigkeit vom Seelsorger ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass es der Theologie erheblich an Selbstkritik mangelt und dass inkonsequente und fragwürdige Bestandteile nicht ausgeräumt wurden. (Verdrängung 88) Es gibt Gemeindeleiter, die seelische Abhängigkeit und blindes Vertrauen in ihre Person geradezu kultivieren, um ihr übersteigertes Geltungsbedürfnis zu befriedigen. Diese Vermutung liegt besonders nahe, wenn die Gemeindeleitung die Autorität der Gemeindeversammlung 89 nicht respektiert. 7.6. Allversöhnung Argumentation: Es gibt wohl kaum einen Christen, der nicht froh wäre, wenn es keine Hölle 90 gäbe. Vielen Menschen erscheint es unangemessen, selbst einem notorischen Verbrecher unaufhörliche Qual zuzufügen. Wenn man ihm das Doppelte, Dreifache, ja das Fünffache allen Leides aufbürden würde, das er anderen zugefügt hat – all das könnte man noch als fairen, wohlverdienten Ausgleich ansehen. Aber ewige Qual ? 88 Siehe den 3. Abschnitt dieses Kapitels: „Quantitative Lösung: die Bibel grundsätzlich nur in Auswahl lesen ?“, Seite 22. 89 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Autorität der Gemeindeversammlung“, („www.matth2323.de/stichworte/#konvent“). 90 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#hoelle“. 28 Eine uferlos grausame Bestrafung steht im Widerspruch zu menschlichen Gerechtigkeitsvorstellungen, sodass deshalb vielen Menschen die Botschaft eines liebenden Gottes nicht mehr als glaubwürdig erscheint. Aus diesem Grund wird angenommen, dass es eine Hölle nicht geben kann. Jesus verwendete einfach nur ein besonders starkes Bild, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu gewinnen. Menschen, die allen Worten Jesu glauben wollen, behelfen sich damit, dass sie über diesen Punkt möglichst nicht tiefer nachdenken. Die Existenz der Hölle ist aber gewöhnlich auch für sie ein unangenehmes, weil unaufgelöstes Problem. Kritische Beurteilung: Es gibt keinen Beweis, dass es sich bei der Hölle nur um ein starkes Bild handelt. Diese Sichtweise bleibt eine menschliche Spekulation. Jesus ist der Gottessohn, der aus der unsichtbaren Welt zu uns gekommen ist. Wenn wir an seine Göttlichkeit glauben, dann ist er der einzige, der uns unverfälscht und unfehlbar über die Wirklichkeit dieser Welt berichten kann. Menschen mag die Warnung vor der Hölle schockieren, sie mögen sie entrüstet ablehnen, doch sind sie schon in der unsichtbaren Welt gewesen ? In der Tat gibt es wohl keinen Menschen, der Hölle und Barmherzigkeit Gottes überzeugend zusammenbringen kann – doch wir sehen an Jesus, dass für ihn diese beiden Tatsachen offensichtlich kein Widerspruch waren. Warum das so ist, verstehen wir nicht. Das Konzept der Hölle gehört zum göttlichen Verantwortungsbereich. 91 Das heißt, es ist sinnvoll, über einige wenige Aspekte nachzudenken, soweit sie durch die Heilige Schrift uns erschlossen werden. Darüber hinaus aber ist dieses Thema dem Menschen verschlossen und er tut gut daran, diese deutliche Grenze zu respektieren. 91 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unterscheidung der Verantwortungsbereiche“, („www.matth2323.de/stichworte/#unterscheidung“). 29 Die Warnung vor der Hölle 92 ist der lauteste, brutalste Weckruf, der vorstellbar ist. Er spiegelt wieder, wie unvorstellbar taub der Mensch normalerweise gegenüber dem Reden Gottes ist. Die Lebensgeschichte Jesu zeigt uns dasselbe: manche Menschen bleiben stocktaub, obwohl sie nur die Hand auszustrecken und den Sohn Gottes zu berühren brauchten, der tatsächlich zu ihnen gekommen ist. Es gibt Menschen, die darauf verzichten, ihn anzurühren, um gesund zu werden und stattdessen lieber seine Feinde werden. Die Barmherzigkeit zum Greifen nah – aber dennoch entscheiden sich Menschen gegen sie. Wir beobachten manchmal eine paradoxe Wirkung des Weckrufs: Etliche Menschen fern von Gott, die eigentlich aufgerüttelt werden müssten, beachten ihn nicht. Etliche Gläubige, die auf das leise Reden Jesu achten, werden durch diesen lauten Ruf zutiefst erschreckt und in sinnlose Furcht versetzt. (Sorgfaltsparadox 93) Letzteres kann eigentlich nur geschehen, wenn die eigene Unvollkommenheit zum Zweifel am Heil führt, 94 d.h. wenn die Theologie durch Werkgerechtigkeit 95 verunreinigt und vergiftet worden 96 ist. Atheistische Theologie kann den Warnruf nicht ernstnehmen. Wenn Jesus ein Mensch war wie alle anderen auch, und nicht der Sohn Gottes, wie soll er dann etwas Maßgebliches über die unsichtbare Wirklichkeit wissen können? Die Warnung vor der Hölle kann man dann nur als ein zweifelhaftes Werbemittel ansehen. Sie ist ein starkes Bild, um die Zuhörer zu beeindrucken – wobei nur die ganz Naiven und Leichtgläubigen sich beeindrucken lassen. Die Allversöhnungstheologie behauptet, dass die Warnung vor der Hölle ein Schreckschuss war. Jesus hat mächtig mit dem Säbel gerasselt, aber es kommt nie zum Krieg. 92 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#hoelle“. 93 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#sorgfaltsparadox“. 94 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unvollkommenheit – gefährdet sie das Heil ?“, („www.matth2323.de/stichworte/#unvollkommenheit“). 95 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. 96 Siehe die Beispiele im Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. 30 Es gebe keine Hölle noch irgendwelche Menschen, die verloren gehen könnten. Man könne sich deshalb auch Mission und den Aufruf zur Umkehr sparen. Gott führt jeden Menschen heim in sein himmlisches Reich – auch die, die Ihn zeitlebens abgelehnt und bekämpft haben. Die Frage bleibt: Wenn Jesus in der Tat der Gottessohn und in der unsichtbaren Welt zu Hause war, woher kann dann ein Theologe, der zweifelsohne nicht dort war, Vollmacht haben, Jesus zu verbessern ? Wie kann das Wort eines Menschen mehr Gewicht und mehr Bedeutung haben als die Worte Jesu, des Gottessohnes? Nicht Jesus spricht dann das mächtigste Wort, sondern der Theologe ist es, der der Menschheit das volle Heil aufschließt. Nicht auf das Wort Jesu, der warnt, sollen sich die Menschen verlassen, sondern auf ihn, den Theologen, der die Warnung für bedeutungslos erklärt. Es bleibt das mulmige Gefühl, dass ein Mensch, der sich auf die beruhigende Spekulation eines Theologen verlässt, am Ende doch der Dumme sein könnte. Der Theologe jedenfalls wird für eine Fehleinschätzung keinen Schadenersatz leisten. Und es dürfte auch keinen Zweck haben, sich am Tag des Gerichts auf ihn zu berufen. Gott bietet seine Barmherzigkeit hier und heute an: “Heute ist der Tag des Heils.” (Heb 3,13) Die Warnung vor der Hölle soll das taub gewordene Gewissen aufwecken – mehr nicht. Die Furcht vor ihr darf nicht das Leben des Gläubigen vergiften. 97 Nicht die Angst, sondern Gottes Barmherzigkeit soll das Leben des Gläubigen prägen und verändern (“Heiligung“ 98). Zugleich ist klar: Die Barmherzigkeit Gottes wird missbraucht, wenn sie dazu dienen soll, einen Lebensstil fernab der Maßstäbe Christi 99 zu entschuldigen. 97 Siehe unter „Stichworte“ den 4.Abschnitt des Artikels „Hölle“ mit der Überschrift „Höllische Fehlschlüsse“, („www.matth2323.de/stichworte/#hf“). 98 Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. 99 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 31 7.7. „Entkernung“ des Christentums: Weltliche Lösungsversuche beinhalten alle den Verlust des christlichen Glaubens, der nach dem Neuen Testament unauflöslich an gewisse Grundwahrheiten (“Heilstatsachen“ 100) gebunden ist. Es bleibt allenfalls eine christlich scheinende Fassade übrig. Letztlich ist damit aber nicht nur die Hoffnung auf eine leibliche Auferstehung und Neuschöpfung der Erde aufgegeben, sondern auch die Hoffnung, die biblische Botschaft in einer lebensfördernden Weise verstehen zu können. Gott erscheint nicht die Lösung zu sein, sondern vielmehr das Problem. Es geht nur noch darum, für die restliche Lebenszeit Distanz zu diesem Problem zu halten, um die Lebensfreude, die materielle Dinge bieten, ungetrübt ausschöpfen zu können. Zur Lebensfreude gehören auch religiöse Gefühle (Religiosität 101), die aber nicht im Rahmen einer Vertrauensbeziehung zu Jesus Christus entstehen, sondern durch Übungen, Rituale usw. hervorgerufen werden. Das Ursache der Depression wird in der Sünden- und Opfertheologie der Bibel gesehen. Der grausame Tod Jesu wird nicht als Beweis der Liebe Gottes 102 erkannt, sondern als wirksame Methode eingeschätzt, um den Menschen einzuschüchtern und für kirchliche Machtausübung empfänglich zu machen. Wenn der Mensch so schlecht sei, dass er ohne das sadistische Blutopfer des Gottessohnes am Kreuz nicht von Gott angenommen werden könne, so sei die Fixierung auf das eigene Versagen, Entmutigung durch perfektionistische Normen, Selbsthass und Selbstverachtung vorprogrammiert. Deswegen wird angeboten, die Sünden- und Opfertheologie als menschliche Verirrung, als theologischen “Sündenfall” zu betrachten. 100 Siehe im Kapitel „Was ist Irrlehre“ den 8.Abschnitt „Biblisch unanfechtbare Argumente“ („http://www.matth2323.de/irrlehre/#sekte_biblisch“) 101 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#religiositaet“. 102 Siehe im Kapitel „Stichworte“ den Artikel „Beweis der Liebe nachvollziehbar?“, („www.matth2323.de/stichworte/#liebesbeweis“). 32 Mängel: Es ist Tatsache, dass die Botschaft vom stellvertretenden Kreuzestod von vielen Gläubigen überhaupt nicht als Belastung, sondern als große Befreiung wahrgenommen wird und deshalb auch die Basis ihrer Glaubensfreude und -hoffnung ist. Eben weil der höchste Preis von Gott bezahlt worden ist, besteht kein Zweifel mehr daran, dass Gott dieses Opfer als völlig ausreichend anerkennen und die Schuld jedes Gläubigen als völlig bedeckt ansehen wird. Würde bei der Frage der Errettung die Güte des eigenen Lebens die entscheidende Rolle spielen, so wäre bei denen, die ehrlich und ungeschönt über sich nachdenken, ein quälender Zweifel kaum zu vermeiden. Besonders in der Todesstunde soll sich der Gläubige auf das stellvertretende Opfer voll und ganz verlassen können. Destruktiv wird dieser Gedanke erst, wenn der Gläubige sich die Errettung durch zufriedenstellende Beachtung perfektionistischer Normen aneignen muss. (Werkgerechtigkeit 103). Ständig schlechtes Gewissen kann nur vermieden werden, wenn Unvollkommenheit unter der Geduld Jesu 104 steht (Mt 19,29) und keine Bedrohung zur Folge hat. Der Gläubige soll das Gute tun, weil es Freude macht, Gutes zu tun (Jo 4,34). Es ist schön, wenn Menschen lieb und brüderlich miteinander umgehen (Ps 133,1). Dies ist nur ehrlich, wenn es in völliger Freiheit und ohne den berechnenden Blick auf das eigene Verdienstkonto geschieht. Auch hier hilft die Erkenntnis, dass sich niemand über den anderen stellen muss, sondern genauso wie der andere ganz von der Gnade Jesu lebt. Nicht nur Gott soll der Gläubige lieben, sondern auch “seinen Nächsten und sich selbst“. (Mt 22,26-40). Auch die “Liebe zu sich selbst” wird das “wichtigste Gebot” genannt (V.36). Ist sie das tatsächlich, so müssen alle anderen Gebote so interpretiert werden, dass “die Liebe zu sich selbst”, die Selbstannahme nicht Schaden nimmt. 103 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. 104 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unvollkommenheit – gefährdet sie das Heil?“, („www.matth2323.de/stichworte/#unvollkommenheit“). 33 Wenn in der “Beziehung zu Gott” gar Selbsthass 105 oder Selbstverachtung entsteht, so wurde das wichtigste Gebot missverstanden oder nicht angemessen ernstgenommen. “Ich bin fleischlich, unter die Sünde verkauft” klagt Paulus (Rö 7,14). Er stellte fest, dass seine Gerechtigkeit nicht ausreicht, um sich dem gerechten Urteil Gottes zu entziehen. Als Pharisäer hatte er lange Zeit in dem Wahn gelebt, dass sie ausreiche. (Phil 3,9) Wenn der Gläubige wirklich ganz und gar auf das Opfer Jesu vertrauen kann, dann hat er auch die Freiheit zu tiefster Selbsterkenntnis, ohne davon erdrückt zu werden. Weil er sich und sein Versagen ungeschönt betrachten kann, wird er barmherzig mit anderen dort, wo sie versagt haben. Der Pharisäer dagegen, der über den unglücklichen, in Schuld verstrickten Mitmenschen erhaben die Nase rümpft, hat überhaupt keine angemessene Selbsterkenntnis und daher auch keine Gotteserkenntnis. Sich selbst realistisch einschätzen können heißt aber nicht, dass der Mensch zum Guten unfähig sei und sich daher selber als Ausgeburt der Hölle hassen und verabscheuen müsse. Es gibt zweifellos dumme und destruktive Theologie, die solches lehrt. Doch der Wunsch, fair, barmherzig und aufrichtig zu sein, gehört zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen und ist ihm von Anfang an eingeschaffen. (1.Mo 1,27) Deshalb kann auch ein Mensch, der sich noch nicht zum Glauben an Jesus Christus entschlossen hast, Gutes tun und einen guten Charakter haben, was Jesus ausdrücklich lobend anerkennt (Mt 11,42 / 25,40 / Lk 10,33 / vgl auch Rö 2,27-29!) Dann sollten es seine Gläubigen auch lobend anerkennen können. Alles andere wäre sehr unfair. In der Nazi-Zeit gab es viele an Jesus Christus Gläubige, die sich bei den Nazis anbiederten, dem Führer zujubelten und für das Leid der Juden kein Mitgefühl hatten. 105 s.a. Tilman Moser, Gottesvergiftung, Frankf.am Main, 1980, S.10. 34 Beispiel: In Artikel 7 der Satzung des evangelikalen Mülheimer Verbandes wurde Adolf Hitler gar als Glaubensvorbild gepriesen und mit Moses verglichen: so wie Mose einst die Israeliten aus Ägypten herausgeführt hätte, so würde Hitler die Juden aus Deutschland “herausführen”. 106 Umgekehrt gab es neben gläubigen Menschen auch Nicht-Christen, die Unrecht und Unbarmherzigkeit nicht ertragen konnten und sich für die Verfolgten unter Lebensgefahr einsetzten. Man kann sich der Auffassung Dietrich Bonhoeffers nur anschließen, dass diese Nicht-Christen – ohne es zu wissen – Jesus viel näher standen als die erste Gruppe mit ihrem christlichen Lippenbekenntnis. “Glücklich sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.” (Mt 5,7) 8. GIFTIGE THEOLOGIE Ein bisschen Moral kann ja nichts schaden ? Die richtige Interpretation biblischer Texte führt immer zur Freiheit: “Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht fest in dieser Freiheit und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen.” (Gal 5,1+2). Die Freiheit 107, die Christus seinen Jüngern schenkt, ist bedroht! Sie muss wachsam verteidigt werden! (Schutzmaßnahmen 108) Werden Schutzmaßnahmen vernachlässigt, so kann der Bibelunterricht äußerst destruktiv (!) auf die Seele insbesondere von Kindern und Jugendlichen wirken können. Im Einzelfall können Menschen psychisch dauerhaft geschädigt werden, was haftungsrechtliche 109 Fragen aufwirft. 106 Quelle: Junghardt, Adelheid, et.al., Ruhrfeuer. Erweckung in Mülheim an der Ruhr 1905. 1905 – 2005 Christus-Gemeinde Mülheim, Eine Chronik über die 100-jährige Geschichte der ersten Gemeinde des Mülheimer Verbandes, 2004, hrsg. von der Christus-Gemeinde Mülheim, Uhlandstr.25, 45468 Mülheim an der Ruhr, Seite 146. 107 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. 108 Siehe im Kapitel „Stichworte“ den Artikel „Schutzmaßnahmen gegen giftige Theologie“, („www.matth2323.de/stichworte/#schutz“). 109 Siehe das Kapitel „Gemeinde-Haftpflicht“, („..../gemeinde-haftpflicht/“). 35 Über die Gefahren, die immer wieder einmal in katholischen Gemeinden und in evangelikalen Gemeinden in Verbindung mit dem herkömmlich bibeltreuen Bibelverständnis 110 anzutreffen sind, informiert unser 30-Punkte-Check Wie ist es in Deiner Gemeinde ? Ist dort bekannt, dass die im folgenden aufgelisteten Behauptungen destruktiv sind ? Dabei ist es unerheblich, ob viele oder nur ganz wenige dieser theologischen Aussagen in der Gemeinde vertreten werden. Auch eine einzelne Aussage kann unter ungünstigen Umständen sehr destruktive Folgen haben. Dabei wird es nur in Einzelfällen zu einer sichtbaren Schädigung der Seele und zu klinischen Symptomen kommen. Die Dunkelziffer derer, die dank der Fahrlässigkeit ihrer Gemeindelehrer ein Leben lang bedrückt und deprimiert durchs Leben gehen und sich dieses Ergebnis selbst oft gar nicht eingestehen wollen, ist sehr viel höher. Zu Unrecht verlassen sich viele Ärzte darauf, dass Theologen und Pastoren als “Fachleute” das Problem im Griff haben (Blinder Fleck 111). Wie etliche Menschen aus leidvoller Erfahrung wissen, kann davon keine Rede sein. Erfahrungsgemäß sind Gemeindeleiter auf die emotionalen Bedürfnisse der Mitgliedermehrheit fixiert. Ein offener Austausch über diese Gefahren wird als nachteilig für die Mitgliederwerbung und für religiöses Erleben angesehen und ist deshalb in der Regel unerwünscht. Dabei ist die destruktive Wirkung der zitierten Behauptungen absolut plausibel – auch ohne ärztliches Spezialwissen. Wer sie – dank einer kurzsichtigen und bevormundenden Theologie – für bewiesen ansieht und ihnen damit göttliche Autorität zuerkennt, sieht sich bald massiver seelischer Erpressung ausgesetzt. 110 Siehe im Kapitel „Stichworte“ den Artikel „Bibeltreu die Bibel verstehen“, („www.matth2323.de/stichworte/#bibeltreu“). 111 Siehe den Artikel „Blinder Fleck“, („www.matth2323.de/stichworte/#fleck“). 36 Die Widerlegung dieser Behauptungen verwendet den Schlüssel 112der Heiligen Schrift, das höchstrangige biblische Ordnungskriterium, nämlich die Qualitätsmaßstäbe Christi. Es wird der Beweis geführt, dass die Behauptungen diesen Qualitätsmaßstäben widersprechen und deshalb eben nicht göttliche Autorität beanspruchen und das Gewissen belasten dürfen. Es wird bewiesen, dass diese Behauptungen nur unweise Fehlschlüsse sind, die gedankenlos weitergegeben werden, aber den Gläubigen nicht verpflichten oder gar erpressen dürfen. 112 Siehe Seite 6. 37 Destruktive Behauptungen Wir unterscheiden 2 Arten: I. Lehrsätze, die das Vertrauen in Gott als fairen “Bundespartner” untergraben … II. Lehrsätze 113, die den Gläubigen des Rechtes berauben, sich vor Machtmissbrauch zu schützen… I. 1. Behauptung: 114 Gott erwartet vom Gläubigen, dass er jede erkannte Sünde nachträglich in Ordnung bringt, wenn er Vergebung haben will, d.h. jede Lüge richtigstellt, sich für jede Verleumdung entschuldigt, alles Gestohlene zurückbringt, und für jeden Schaden Ausgleich leistet. Andernfalls kann ihm Gott nicht vergeben. 2. Behauptung: 115 Kleine Sünden werden von Gott so negativ gesehen und bestraft wie schwerste Verbrechen, denn Jesus musste auch für kleine Sünden sterben. 3. Behauptung: 116 Da der Gläubige die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hat, ist er frei vom Zwang zu sündigen. Wenn er nur will, kann er die Sünde lassen. Umso strenger wird der Gläubige bestraft, wenn er sich dann noch kleine Sünden leistet. Er kann und darf sich nicht mehr auf menschliche Schwachheit berufen. 4. Behauptung: 117 Sexuelle Sünden verunreinigen am stärksten. 5. Behauptung: 118 Je mehr du für Gott an Geld und Zeit opferst, desto mehr wirst du in diesem Leben an materiellem Wohlstand zurückbekommen. 113 Siehe den zweiten Teil der Auflistung auf Seite 41. 114 Siehe die Widerlegung auf Seite 42 115 Siehe die Widerlegung auf Seite 53. 116 Siehe die Widerlegung auf Seite 58. 117 Siehe die Widerlegung auf Seite 63. 118 Siehe die Widerlegung auf Seite 88. 38 6. Behauptung: 119 Wer seiner Gemeinde nicht den Zehnten seines Einkommens spendet, ist verflucht und wird mit finanziellen Einbußen rechnen müssen. 7. Behauptung: 120 Wer nicht fast alles opfert, um die Not der Menschen zu lindern, lebt in Sünde und unter dem Fluch Gottes. 8. Behauptung: 121 Wer ohne schwerwiegenden Grund vom sonntäglichen Gottesdienst fernbleibt, begeht eine schwere Sünde und wird dafür angemessen von Gott bestraft. 9. Behauptung: 122 Wer seine Mitmenschen nicht missioniert – wo sich die Gelegenheit ergibt – trägt Mitschuld daran, wenn sie in die Hölle kommen und wird dafür angemessen von Gott bestraft. 10.Behauptung: Hölle kommen. 123 Man kann durch ein einziges unüberlegtes Wort in die 11.Behauptung: 124 Wer eine schwerwiegende Sünde (“Todsünde”) begangen hat und stirbt, ohne sie vorher in der Beichte bekannt zu haben, kommt direkt in die Hölle. 12. Behauptung: 125 Ein Versprechen, das der Gläubige Gott gegeben hat, muss auf jeden Fall eingehalten werden, auch wenn es dumm und destruktiv war. Wenn der Gläubige es nicht einhält, dann muss er damit rechnen, dass Gott sein ganzes Leben ruiniert. 13.Behauptung: 126 Wenn du noch nicht in Zungen redest oder noch kein wunderbares Erleuchtungserlebnis empfangen hast, steht noch irgendeine Sünde zwischen dir und Gott. Dann hast du evt. den Heiligen Geist noch nicht empfangen und bist noch gar kein Christ und noch nicht gerettet. 119 Siehe die Widerlegung auf Seite 92. 120 Siehe die Widerlegung auf Seite 93. 121 Siehe die Widerlegung auf Seite 96. 122 Siehe die Widerlegung auf Seite 98. 123 Siehe die Widerlegung auf Seite 100. 124 Siehe die Widerlegung auf Seite 109. 125 Siehe die Widerlegung auf Seite 115. 126 Siehe die Widerlegung auf Seite 119. 39 14.Behauptung: 127 Wenn dein Gebet nicht erhört wird, dann gibt es nur einen Grund dafür: eine Sünde steht zwischen dir und Gott. 15.Behauptung: 128 Krankheit ist ein starkes Indiz für mangelnden Glauben oder heimliche Sünde. 16.Behauptung: 129 Bei Krankheit den Arzt zu holen, ist ein Beweis mangelnden Gottvertrauens und daher Sünde. 17.Behauptung: 130 Durch das Anhören weltlicher Musik kann Besessenheit (Dämonen) übertragen werden, die man nur sehr schwer wieder los wird. 18. Behauptung: 131 Zwanghafte Lästergedanken sind ein Beweis, dass der Gläubige vom Satan besessen ist. Er kann nur durch Exorzismus befreit werden. 19.Behauptung: 132 Das Textverständnis, das sich am engsten an den Wortlaut hält, ist das beste. 20.Behauptung: 133 Die ethischen Aussagen des Neuen Testamentes haben alle die gleiche Autorität. Der Gläubige muss sie alle einhalten, wenn er nicht ungehorsam sein will. 21.Behauptung: 134 Die strengere und härtere Interpretation eines Gebotes ist in jedem Fall die bessere. 22.Behauptung: 135 Das Gewissen ist die unfehlbare Stimme Gottes. 127 128 129 130 131 132 133 134 135 Siehe die Widerlegung auf Seite 120. Siehe die Widerlegung auf Seite 123. Siehe die Widerlegung auf Seite 124. Siehe die Widerlegung auf Seite 125. Siehe die Widerlegung auf Seite 127. Siehe die Widerlegung auf Seite 130. Siehe die Widerlegung auf Seite 135. Siehe die Widerlegung auf Seite 138. Siehe die Widerlegung auf Seite 139. 40 23.Behauptung: 136 Die Körperstrafe (Prügeln) ist ein unentbehrliches Erziehungsmittel des Christen. II. (Lehrsätze, die den Gläubigen des Rechtes berauben, sich vor Machtmissbrauch zu schützen…) 24. Behauptung: 137 Ein Gläubiger, der den Anweisungen des Gemeindeleiters nicht gehorcht, macht sich der Rebellion gegen Gott schuldig. 25. Behauptung: 138 Es ist Hochmut, die theologische Tradition der Gemeinde mit der Bibel zu prüfen. 26. Behauptung: 139 Der Gläubige darf Unrecht in der Gemeinde nur dann beim Namen nennen, wenn bei ihm selbst keine Fehler oder Schwächen zu sehen sind. 27. Behauptung: 140 Mit der Forderung, Schäden und Beschwerden in der Gemeinde zu dokumentieren, schadet man dem “Zeugnis” der Gemeinde. 28. Behauptung: 141 Ein Christ darf sich nicht wehren, darf auch nicht Ersatz des Schadens fordern. Er muss Unrecht, das ihm zugefügt wird, hinnehmen, muss vergeben und vergessen. Andernfalls ist er ein “Schalksknecht” und wird von Gott mit der Hölle bestraft! 29. Behauptung: 142 Ein Christ darf nicht vor Gericht gehen, wenn ihm ein anderer Gläubiger geschadet hat. Andernfalls begeht er eine schändliche Sünde und wird dafür von Gott bestraft. 136 137 138 139 140 141 142 Siehe die Widerlegung auf Seite 143. Siehe die Widerlegung auf Seite 146. Siehe die Widerlegung auf Seite 152. Siehe die Widerlegung auf Seite 154. Siehe die Widerlegung auf Seite 155. Siehe die Widerlegung auf Seite 156. Siehe die Widerlegung auf Seite 160. 41 30. Behauptung: 143 Ein Christ darf in Notwehr niemand töten. Er ist verpflichtet, sich töten zu lassen, damit der Täter nicht in die Hölle kommt. Bibelgemäße Kritik der Behauptungen 1. Behauptung: “Gott erwartet vom Gläubigen nicht nur, dass er jede erkannte Sünde gegenüber einem Mitmenschen bekennt und lässt, sondern dass er sie nachträglich ‘in Ordnung bringt’, wenn er Vergebung haben will (!). Er muss jede Lüge richtigstellen, sich für jede Verleumdung entschuldigen, alles Gestohlene zurückbringen und für jeden Schaden Ausgleich leisten.Andernfalls kann ihm Gott nicht vergeben.” Das alles klingt sehr fromm ! Was kann man gegen das Maximum an möglicher Hingabe und Reue sagen, wenn jemand nicht nur nach den Geboten Gottes lebt, sondern sich außerdem darum bemüht, seine Vergangenheit zu reparieren, um Gott ein nahezu vollkommenes Leben präsentieren zu können ? Kann man dem heiligen Gott mehr Respekt erweisen ? Sagt Jesus nicht selbst, dass seine Jünger „vollkommen sein sollen“ ? (Mt 5,48) “… wenn er Vergebung haben will?” Wer kann denn diese Bedingung erfüllen? Wer kann alles, was er jemals im Leben falsch gemacht hat, nachträglich “in Ordnung bringen”? Bei Zungensünden ist es besonders schwierig! Auch Übertreibung ist strenggenommen die Unwahrheit. Und wie leicht hat man jemanden durch Taktlosigkeit verletzt! Hier werden dem Gläubigen sicherlich immer wieder neue Verfehlungen einfallen. Muss er all diese Dinge “in Ordnung bringen”, sich dafür entschuldigen, auch wenn es dem Empfänger der Entschuldigung eher peinlich ist, der die dahinter stehende Unfreiheit bemerkt und sich dann als Objekt einer neurotischen Zwangshandlung sieht? 143 Siehe die Widerlegung auf Seite 164. 42 Die Drohung ist massiv: wenn der Gläubige es nicht tut, muss er in dem Bewusstsein weiterleben, dass er von Gott durch seine Sünde getrennt ist und dass der Zorn Gottes über ihn, der die Sünde “nicht lässt” (Spr 28,13), ständig weiter wächst. Eine ausweglose Situation. Nicht nur das Vertrauen zu Gott, sondern auch die Heilsgewissheit kann auf diesem Weg gefährdet sein. Nebeneffekt: Zu guter Letzt hat der Gläubige Angst, an die Vergangenheit zu denken, weil einem immer neue Bagatellen einfallen könnten, die “in Ordnung zu bringen” sind. An die Vergangenheit denken ist aber notwendig, um sich über sich selbst klar zu werden. Die obige Behauptung hat also eine sehr heilig scheinende Schale und einen bösartigen Kern. An den „Früchten“, den Folgen kann man es erkennen. (Mt 7,16) Sie macht vor allem die Vorstellung von Gott zum Zerrbild: er sitzt da mit der Lupe und ist ständig mit der Vergangenheit beschäftigt. Er muss ständig kontrollieren, wo ein dunkler Punkt ist und ob ihn der Gläubige auch sofort in Ordnung bringt. Der Gläubige hat den Eindruck, dass Gott eher in negativer Weise über ihn denkt. Ist dies das Gottesbild, das Jesus vermittelt ? Wird Gott tatsächlich geehrt, wenn der Gläubige so über ihn denkt ? Eine weitere wichtige Frage: wird das Vertrauen und die Liebe des Gläubigen zu Gott unter diesem Eindruck wachsen oder schrumpfen ? Es ist nicht schwer zu sehen: der Sinn der zitierten Bibelstellen ist verfälscht. Bei richtiger Anwendung ist immer ein lebensfördernder Sinn (Mt 4,4) zu erkennen. Gut, wenn sich der Gläubige nicht vom Satan hereinlegen lässt! Denn auch der Satan kennt die Bibel genau und weiß sehr geschickt mit ihr umzugehen. (Mt 4) 43 Die oben genannte Behauptung erscheint fromm, ist aber destruktiv. Denn durch sie kommt durch die Hintertür der eigene Beitrag zur Erlösung, die Selbstgerechtigkeit, die Werkgerechtigkeit wieder herein! Und Werkgerechtigkeit 144 ist eine absolut tödliche Gefahr für den Glauben. “Ihr habt Christus verloren, weil ihr euch selbst durch die Erfüllung der göttlichen Normen retten wollt. Ihr lebt wieder ohne Gnade! ” (Gal 5,4) Ihr Ergebnis ist absolut wertlos. Denn nur das, was aus Dankbarkeit und Liebe freiwillig getan wird, hat vor Gott tatsächlich einen Wert. In der katholischen Lehre kommt der Freiwilligkeit sehr wenig Bedeutung zu. Sie präsentiert dem Gläubigen ein riesiges Regelsystem, das bei strenger Strafe einzuhalten ist. Auch nach Schuldbekenntnis und Reue lastet weiter die Furcht vor Bestrafung auf dem Gläubigen, die er durch Almosen, Gebete, Wallfahrten und andere Bußübungen mildern könne. Trickreiche Begründung: Das Sühnopfer Jesu befreie nur von der Furcht vor ewiger Strafe, nicht aber vor zeitlicher Strafe, die im Fegefeuer abzubüßen sei. 145 Als „Beweis“ für diese Sicht wird auf König David hingewiesen, dem nach einem Ehebruch der Prophet Nathan Vergebung zugesprach, ihm aber dennoch eine Strafe ankündigte, nämlich das sein und Bathsebas Sohn sterben müsse. (1.Sam 12,7 ff). Auch 1.Kor 3, 15 muss als “Beweis” herhalten: “wird jemandes Werk (im “Preisgericht der Gläubigen”) verbrennen, so wird er Schaden leiden. Er wird selbst zwar gerettet werden, doch wie durchs Feuer.” Damit der Gläubige auch ja nicht an diesen Lehren zweifelt und die Bibel weiter dazu befragt, hat das Konzil von Trient im November 1551 gleich jeden Gläubigen verflucht, der es wagt, selbst zu denken und zu prüfen: 144 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. 145 Siehe Katechismus der kath.Bistümer Deutschlands, Freiburg im Breisgau, 1956, S.177 44 ”Wer sagt, zugleich mit der Schuld werde von Gott immer die ganze Strafe erlassen, und es gebe keine andere Genugtuung der Büßenden als den Glauben, mit dem sie annehmen, dass Christus für sie Genugtuung geleistet hat: der sei mit dem Anathema (=Bannfluch) belegt.” 146 ”Wer sagt, für die Sünden werde – was die zeitliche Strafe betrifft – Gott keineswegs… Genüge geleistet durch Strafen, die … vom Priester auferlegt werden, aber auch nicht <durch Strafen>, die man freiwillig auf sich nimmt, wie Fasten, Gebete, Almosen oder auch andere Werke der Frömmigkeit, und die beste Buße sei deshalb nur ein neues Leben: der sei mit dem Anathema belegt.” 147 Sollen wir uns nun von diesem rabiaten Fluch aus dem Jahre 1551 so in Schrecken setzen lassen, dass wir darauf verzichten, diese Behauptung mit der Bibel zu prüfen ? Für die Tatsache, dass David trotz Vergebung noch mit einer öffentlichen Strafe belegt wurde, ist im Text die Ursache genannt: “weil du die Feinde Gottes zum Lästern gebracht hast…” (2.Sam 12,14) David war der von Gott erwählte König, der an der Spitze der Justiz stand. Dieser Mann, der über seine Untertanen Gericht halten musste, verübte selbst die schwersten Verbrechen: Mord und Ehebruch. Ohne eine harte, öffentliche Strafe hätte er diese Funktion nicht weiter ausüben können. 148 Dies ist eine ganz besondere Situation, in der sich der Gläubige heute nicht (!) befindet. Als Jesus dem Gelähmten vergab, hat er ihm etwa zusätzliche Bußen auferlegt ? (Mt 9,2) Hat Jesus der Samariterin am Brunnen Bußen auferlegt ? (Joh 4) Oder dem Blinden, den er heilte (Joh9) ? Nirgends findet sich etwas von solchen Bußübungen im Neuen Testament: dort, wo es um einfache Gläubige geht. Entsprechend ist auch 1.Kor.3,15 auszulegen. Nachdem im Kapitel auf die Gläubigen wie Petrus, Apollos und Paulus als Beispiele für segensreichen 146 DS 1712:Kan. 12. 147 DS 1713:Kan. 13. 148 siehe dazu auch den Artikel: “Notwendiger und schädlicher Zweifel“, S.7. 45 Dienst hingewiesen wurde, wird allen Gläubigen die Aussicht auf reichen Lohn angekündigt, sofern mit “edlen Werkstoffen gebaut“, d.h. mit der Einstellung Christi 149 gearbeitet wurde. Wer beim Bau des Reiches “minderwertiges Material” verwendet, d.h. mit üblen Motiven 150 , “leidet Schaden“, d.h. er bekommt wenig Lohn, möglicherweise gar nichts. Die Augen Jesu gleichen “Feuerflammen“. (Offb 1,14) Seine Augen prüfen das Werk. Ist es mit wertlosen Werkstoffe wie “Stroh, Heu, Stoppeln” gefertigt, wird es keinen Bestand haben und verbrennen. Das Werk wird im Feuer geprüft. Nicht der Gläubige kommt auf den Scheiterhaufen. Er gelangt ins Himmelreich – allerdings nur nackt und bloß – so wie jemand, der gerade noch aus einem brennenden Haus fliehen konnte, und nicht einmal Zeit hatte, vorher Kleidung anzuziehen. Das ist sicher peinlich. Aber es ist keine Folter. Es ist zweifellos auch ein großer “Schaden“: mit der Gnade der Errettung beschenkt worden zu sein und gleichzeitig für seinen Herrn nichts Wertvolles geleistet zu haben. Dieses Defizit wird dem Gläubigen auf unabsehbare Zeit anhaften. Unbarmherzig dagegen ist das, was die katholische Kirche mit ihrer Lehre vom Fegefeuer den Gläubigen weismacht: das auch auf den geretteten Gläubigen infolge seiner Versäumnisse höllenähnliche Zustände warten. Die katholischen “Zeugen der Wahrheit” 151 wissen angeblich Genaueres, sodass wir sie hier zitieren: “Die Leiden und Strafen der Armen Seelen sind nach dem heiligen Augustinus schlimmer als die Qualen der Märtyrer. Thomas von Aquin, der große Theologe, Kirchenlehrer und Heilige, lehrt: “Die geringste Strafe im Fegefeuer ist schlimmer als das größte Leid auf Erden.” … “Schlimmer als die Qualen der Märtyrer ?” Lebendig verbrannt, mit Sägen zerstückelt, von Pfeilen durchlöchert, mit Pferden gevierteilt, enthauptet, ertränkt, gerädert, zerquetscht usw. usf. und das auf unbekannte Zeit ? 149 Seite 210. 150 Seite 171. 151 Siehe „Kath-zdw.ch/maria/fegefeuer.html“. 46 “Schlimmer als das größte Leid auf Erden…?” Schlimmer als der Holocaust und alle ähnlichen Verbrechen der Geschichte ? Die katholischen “Zeugen der Wahrheit” scheinen das ja sehr positiv zu sehen. “Denn gerade die christliche Tradition übergibt uns die tröstliche Lehre vom Fegefeuer, von der Läuterung in der barmherzigen Liebe Gottes, der will, dass niemand verloren gehe.” Eine tröstliche Lehre ? Oder schauerliche Perversion des Wortes “Liebe” ? Bei diesen Aussichten muss die Furcht vor dem Fegefeuer überaus groß sein. Je größer die mögliche Bedrohung, desto größer die Furcht ! Eine ganz simple Frage, die offensichtlich katholische Fanatiker überfordert: Wie soll der Gläubige bei diesen höllischen Aussichten auf den Zuspruch der Vergebung Jesu mit Freude reagieren können ? Die bereute Sünde wird nicht „im Meer versenkt, wo es am tiefsten ist“, wie der Prophet sagt (Mi 7,19), sondern die Erinnerung an sie bleibt zum Zweck einer späteren grauenhaften Bestrafung gespeichert. Wird auf diese Weise die Freude über die Vergebung zu Hauptthema des Lebens, oder vielmehr die Frage, wie man die zu erwartende Bestrafung mildern kann ? Zweifellos wird damit auch die Ehre Jesu seines Sühnopfers geschmälert. 152 und die allumfassende Kraft Jesus erlitt eine der grausamsten Formen der Hinrichtung und darüber hinaus in dieser leiblichen Not noch die Erkenntnis, dass sich sein geliebter Vater in dieser schrecklichen Stunde um der Sünde willen von ihm lossagte. Diesen Preis bezahlte Jesus, damit Menschen von Schuld befreit und froh mit Gott leben können. Dieses große Opfer aber sieht betrachten katholische Theologen als ungenügend ! 152 Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#ehre“. 47 Um sich von der Bedrohung durch göttliche Strafe zu befreien, auferlegen sie den Gläubigen Rituale wie das Vaterunser mehrere Male aufzusagen, oder an einem bestimmten Tag zu einem bestimmten frommen Ort zu gehen, oder das Hinaufrutschen auf der heiligen Treppe (“Scala Sancta”) in Rom oder das Anbeten des Altarsakramentes und oder das Anhören des “Urbi et orbi”-Segens am Ostersonntag im Radio und dergleichen mehr. Ein christlicher oder ein heidnischer Rat ? Betrachten wir doch einmal das Aufsagen von Gebeten. Was sagt die Bibel dazu ? Sie warnt davor ! Das Herunterplappern von Gebeten, das Machen vieler Worte (Mt 6,7) nützt gar nichts! Jesus hat dieses Verhalten als typisch charakterisiert für “Heiden, die meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.” “Unsinn” sagt die katholische Kirche, je öfter, desto wirksamer sei das Gebet. Ein wichtiger Nebenertrag des Fegefeuersystems ist das ständig schlechte Gewissen: mit dem Aufsagen von Gebeten und anderen Ablassritualen lässt sich nach katholischer Lehre auch die Qual der Seelen im Fegefeuer verkürzen. Umkehrschluss: wer nicht häufig Gebete plappert wie befohlen, ist schuld an der grauenhaften Quälerei der armen Seelen dort. Somit hat die Kirche zwei bewährte Werkzeuge, um bei naiven Gläubigen ständig schlechtes Gewissen zu erzeugen: die Ablassidee und eine rigide, lebensfeindliche Sexualmoral. 153 Sollen solche Lehren wirklich ungefährlich für die sensible kindliche Seele sein ? Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das Lebenszeugnis von Mutter Theresa. Obwohl sie nun wirklich ein Höchstmaß an Entsagung zugunsten anderer Menschen auf sich nahm, verlor sie bald schon nach der Gründung ihrer Ordensgemeinschaft ihre Glaubensfreude und Glaubensgewissheit und fand nie mehr dazu zurück. Wenn das das Ergebnis eines hingegeben Lebens sein soll, wozu ist dann dieser Aufwand nötig ? 153 Siehe Seite 63 ff. 48 Dazu kommt, dass sie anderen Menschen in ihrer Obhut mit ihrer Theologie unnötiges Leid zufügte – ihnen z.B. schmerzlindernde Mittel versagte, weil Leid als Erziehungsmittel geschätzt wurde. Der Profit dieser frommen Leidensverliebtheit war nicht finanzieller Art. Der Nutzen mag das hohe Ansehen, der Ruhm der Heiligkeit, ja Gottähnlichkeit gewesen sein, den sie für sich und ihre Helfer erstrebte. So drang die Destruktivität ihres religiösen Lebens immer wieder nach außen. Von anderen “Heiligen” wird eine ähnliche Seelenverfassung berichtet. 154 Warum lernt man aus diesen Beispielen nichts ? Warum ist man blind für den himmelweiten Unterschied zu dem Leben, dass die Jünger der Urgemeinde führten ? Werkgerechtigkeit ist gefährlich – gleich in welcher Form und Variante sie betrieben wird. Es ist ein Weg des Fluches und hat mit dem Leben, das sich Jesus für seine Jünger wünscht, nichts zu tun: es ist die Absicht Jesu, dass “meine Freude in euch bleibe und dass eure Freude vollkommen werde.” (Joh 15,11) Die Apostel herrschen nicht über die anderen Gläubigen, sondern sind “Gehilfen ihrer Freude” (2.Kor 1,24) Die Absicht der katholischen Kirche ist deutlich: dank der Geringschätzung der Freude und der Vergötzung selbstgeschaffenen frommen Leides kann sie der Gemeinde zahllose falsche Vorbilder mit scheinbarer Heiligkeit präsentieren. Sie macht dem Gläubigen weiß, dass diese “Heiligen” einen Schatz an guten Werken erwirtschaftet hätten, die dem Gläubigen angerechnet werden kann, wenn er seine Ergebenheit gegenüber der frommen Diktatur durch Beachtung der auferlegten Rituale beweist. Im Fegefeuer-Ablass-System soll der Gläubige unmündiger Knecht des frommen Machtsystems bleiben, deren Vertreter sich die Würde des Priesterund Königtums exklusiv reserviert haben. Das geistliche Selbstbewusstsein des Gläubigen bleibt auf diese Weise von vornherein kümmerlich. Die Vertreter des Machtsystems Kirche vermehren hingegen Einfluss und Macht. Auf dieser Weise wird der Gläubige nie ein freier und freiheitsliebender Mensch. Eben das soll er in der katholischen Kirche auch gar nicht werden. 154 Siehe unter „de.wikipedia.org/wiki/Mutter_Teresa“. 49 Gewähren von Freiheit ist aber die unerlässliche Bedingung für die Liebe zwischen Menschen, insbesondere von Eheleuten. Liebe versklavt niemand, sondern respektiert immer die Freiheit des anderen. Liebe macht es dem anderen leicht und nicht schwer. Das Neue Testament vergleicht die Beziehung zwischen Jesus und seinen Gläubigen mit der Liebe zwischen Braut und Bräutigam. Können wir uns zwei Liebende vorstellen, die auf diese buchhalterische, kleinliche Weise mit einander umgehen ? Kann man sich eine funktionierende Beziehung vorstellen, in der die Frau etwas falsch macht und baldmöglichst bestimmte Gedichte aufsagen oder Rituale vollziehen muss, wenn sie brutale Bestrafung vermeiden will. Wäre die Liebe nicht sehr bald an ihrem Ende ? Das ist eine ganz einfache Erkenntnis. Doch offensichtlich ist sie Klerikern, die nicht heiraten dürfen, kaum zugänglich. Vieles in der katholischen Lehre würde sich zum Guten bessern, würde der Papst und seine Entourage den Klerikern endlich gestatten, zu heiraten. Dann würden sie immer mehr von der Liebe zwischen Eheleuten verstehen. Etlichen von ihnen wäre sehr bald klar, wo im katholischen System der Wurm steckt. Die katholische Lehre spricht den Egoismus des Menschen an – wenn auch in frommer Form. Wieder kreist der Mensch in seinem Denken um sich und um die Vor- oder Nachteile, die mit seiner frommen Leistung zusammenhängen. Was hat das mit Liebe zu tun ? “Die Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil.” (1.Kor 13,5) Wenn aber die Liebe mit dem Tun nichts zu tun hat, so ist das Tun “wertlos“. (VV.1-3) Wie soll durch solche läppischen Übungen wie das Herunterplappern von Gebeten, das Mitlaufen in einer frommen Herde zu irgendeinem frommen Ort oder das Herumrutschen auf einer berühmten Treppe oder das Hinhören der “Urbi et Orbi” Worte der Charakter gebessert werden ? Das ist doch der angebliche Zweck des Fegefeuers ! Die Propheten des Alten Testamentes zeigen uns, dass Opferdienst und Reinigungsvorschriften beachtet werden können, ohne dass sich der Mensch im geringsten bessert. “Dies Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir.” (Jes 29,13) 50 Wenn der Charakter nicht durch Rituale gebessert wird, wie soll dann dadurch das Fegefeuer verkürzt werden können, das eben diesen Zweck hat ? Das Anhören des Urbi et Orbi Segens soll angeblich sogar einen “vollkommenen Ablass” für alle bisher Sünden bewirken! (So belehren uns die “Zeugen der Wahrheit“) Dann sollte doch in allen katholischen Schulen dieser Segen unablässig aus Lautsprechern auf die Schüler heruntertönen – wenn das so wirksam zur Charakterbildung beiträgt … Vollends absurd ist die Verheißung der katholischen Kirche, dass ein Vollablass aller Sünden anlässlich der Spendung der Sterbesakramente gewährt wird. Kommt der Priester rechtzeitig zum Strebenden, so gelangt dieser ohne weitere Beschwerden in den Himmel, hat sein Mofa eine Panne, so stirbt der Gläubige mit der Aussicht auf eine Pein, die “schlimmer als alle Martern der Erde ist“. Da fragt man sich, was hat die Panne des Mofas mit Läuterung, mit Verbesserung des Charakters zu tun ? Ob die Reue auf dem Sterbebett als charakterliche Besserung angesehen werden kann, mag bezweifelt werden. Sie bringt ja nur Vorteile! Der Apostel Paulus verdammt die fromme Werkerei in allen ihren Formen als gefährlich. Er und Jesus vergleichen sie mit “Sauerteig“. (Luk 12,1 / Gal 5,9) So wie ein Krümel Sauerteig genügt, um das ganze Brot zu durchsäuern, so reicht das kleinste bisschen Werkgerechtigkeit aus, um den ganzen Glauben zu vergiften. Werkgerechtigkeit bleibt Werkgerechtigkeit, egal ob sie sich auf zeitliche Strafen oder auf ewige Strafen bezieht. Nicht die Dauer der Strafe, sondern das egoistische Motiv bestimmt, ob das, was getan wird, verbotene Werkgerechtigkeit ist. Mit Werkerei arbeitet man ganz überflüssigerweise etwas ab, was Gott als unverdientes Geschenk gedacht hat. “Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Jesum Christum geschehen ist.” (Rö 3,23-24). “Wo bleibt nun der Ruhm ? Es gibt keinen.” (V.27) Deshalb wird die Vergebung allein aufgrund ehrlicher Reue gegeben: “wenn wir unsere Sünde bekennen, so ist hält er seine Zusage zuverlässig: er wird uns die Sünde vergeben und uns von aller Ungerechtigkeit reinigen.” (1.Joh 1,9) 51 Ist der Gläubige von aller Ungerechtigkeit gereinigt, dann sind weitere reinigende Bußleistungen überflüssig. Wer ehrlich bereut, d.h. wer die Sünde verabscheut und sie nicht weiter tun will, muss nichts weiter fürchten ! Uneinsichtigen Gläubige allerdings, die dickfellig fortfahren Unrecht zu tun, wird Gott Leid und Unglück schicken, um sie zur Einsicht zu bringen. “Wen der HERR liebhat, den erzieht er mit Strafen.” (Hebr 12,6) Da der reuige Gläubige nichts weiter fürchten und abarbeiten muss, kann (und sollte) er als befreiter und begnadeter Mensch sich liebevoll und freiwillig (!) Gedanken machen über Menschen, denen er mit seinem Tun geschadet hat und mit denen er – unter der Leitung des Heiligen Geistes – Mitgefühl hat. Liebevolle Gedanken befinden sich immer im Einklang mit den Qualitätsmaßstäben Jesu – sie sind barmherzig, helfen uns recht zu tun und verlässlich zu sein. Wenn man jemanden beleidigt, beschimpft oder mit Unterstellungen gekränkt hat, dann ist es sinnvoll, möglichst sofort hinzugehen, um sich angemessen zu entschuldigen. Böse Worte, die man stehen lässt, können wie ein Feuer 155 (Jak 3,1 ff) immer weiter um sich greifen und die Seele quälen und schädigen. Sie können Beziehungen so gründlich und unwiderruflich ruinieren, dass am Ende überhaupt keine Brücke mehr zum anderen möglich ist. Muss man dem Partner einen Seitensprung beichten? Auch wenn die seelische Gesundheit des Partners dabei Schaden nimmt? Wenn die Ehe auseinanderbrechen würde ? Das zukünftige Wohl des Partners steht im Mittelpunkt der Überlegungen, nicht ein steriles Entlastungsritual. Noch anders liegt der Fall wohl bei übler Nachrede und Verleumdung. Es macht wenig Sinn, diese dem Betroffenen zu bekennen. Sofern man nicht davon ausgehen kann, dass die üble Nachrede nicht inzwischen längst vergessen und bedeutungslos geworden ist, sollte allerdings der Gläubige, dem die Liebe zum Nächsten wichtig ist, die Menschen, die durch seine Worte irregeführt wurden, aufsuchen und die Ehre des Geschädigten wiederherstellen. Möglicherweise ist aber das, was leichtfertig ausgestreut wurde, gar nicht mehr einzufangen. 155 Siehe „Feuer rechtzeitig bekämpfen“ unter „www.matth2323.de/feuer/“. 52 Bei Diebstahl kann eine Selbstanzeige und Rückgabe vor dem Ablauf der Verjährungsfrist riskant sein und eine gerichtliche Verurteilung nach sich ziehen – mit eventuell verheerenden Folgen für die Familie. In schwer-wiegenden Fällen ist anzuraten, einen gläubigen Anwalt zu konsultieren, der ebenso wie der Seelsorger an die Schweigepflicht gebunden ist. Wenn ein Mensch konkret leidet unter den Folgen eines Diebstahls, dann sollte der Gläubige diesem gegenüber nicht gleichgültig bleiben, sondern ihm das Vergeben erleichtern. Die Rückerstattung kann auch anonym, etwa durch die Vermittlung eines Pastors, der an das Beichtgeheimnis gebunden ist, erfolgen. Unter lang zurückliegenden Diebstählen, etwa in der Jugendzeit, leidet heute sehr wahrscheinlich niemand mehr. In diesem Fall würde bei einer Rückerstattung das Motiv einer sterilen Gewissensentlastung wieder in den Vordergrund treten, das sich nachteilig auf die seelische Stabilität auswirkt. Das Gesagte betrifft nur die Selbstanzeige. Wird der Gläubige in der Gemeinde konkret beschuldigt, jemandem geschadet zu haben, so muss die Sache im Mediationsgespräch untersucht und – falls dieses scheitert – vor die Gemeinde gebracht 156 werden, da Böses in der “Gemeinschaft der Heiligen” nicht geduldet werden darf. 2. Behauptung: Kleine Sünden werden von Gott so negativ gesehen und bestraft wie schwerste Verbrechen, denn Jesus musste auch für kleine Sünden sterben.” O wie fromm wirkt doch auch dieser Satz ! Kann die Reue perfekter sein, wenn schon kleinste Fehler zu größter Zerknirschung führen ? Wird es Jesus nicht erfreuen, wenn der Gläubige sich deswegen die schwersten Selbstvorwürfe macht ? Wird dadurch nicht die Bedeutung seines Opfers noch viel mehr betont ? Oh wie entschieden und wie fromm ! Diese Lehre kann doch nur von Gott kommen. Tatsächlich ? Sehen wir einmal genau hin! 156 Siehe das Verfahren im Kapitel „Urteilsvermögen“, Seite 188. 53 Wenn kleine Sünden und Unvollkommenheiten so schwer wiegen würden wie große, dann müssten sie genauso streng bestraft werden. Wer “sich an Sünde gewöhnt hat, gehört zum Satan” (1.Jo 3,8) Wer “mutwillig (εκουσίως) sündigt“, kann die Vergebung endgültig verlieren. (Hebr 10,26-27) Somit müsste jeder Gläubige, der seine Unvollkommenheit nicht überwindet, Angst haben, dass er eines Tages die Vergebung endgültig verliert. Logischerweise müsste das Gewissen bei der kleinsten Unvollkommenheit so heftig reagieren, als hätte man einen Mord begangen. In der Tat gibt es Gläubige, deren Gewissen von unfähigen oder gewissenlosen Gemeindelehrern derart verschärft wurde, dass sie jahrelang von einem aus Rand und Band geratenen Gewissen terrorisiert werden. Das ist unzulässig, denn es widerspricht dem ersten Qualitätsmaßstab Jesu, der “Barmherzigkeit”. Nicht nur die eigene Persönlichkeit, Würde und Gesundheit wird zerstört. Auch die Vorstellung von der Persönlichkeit Gottes wird auf diesem Weg zum Zerrbild. Seltsamerweise gibt es Gemeindelehrer, die sich an diesem Zerrbild gar nicht stören. Im Gegenteil: Terror und Schrecken vertragen sich nach ihrer Sicht recht gut mit der “Ehre” 157eines allmächtigen Gottes, dem der Gläubige größte Ehrfurcht schuldet. Der “Respekt” wird allerdings sehr stark darunter leiden, dass Gott versprochen hat, dass seine Gläubigen ohne Furcht und Schrecken leben sollen (Lk 1,74), und dann – wie es scheint – sein Versprechen nicht einhält. Das ist unzulässig, denn es widerspricht dem dritten Qualitätsmaßstab Jesu, der “Treue” und “Zuverlässigkeit”. Die ständige Furcht bewahrt mitnichten vor der Sünde – wie manche glauben. Das ist eine Illusion. Sehr wahrscheinlich kommt es irgendwann zu einer Abstumpfung des Gewissens. 158 Da das Gewissen ständig quält, lohnen sich auch keine Bemühungen mehr, auf einzelne Warnungen zu hören. 157 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#ehre“. 158 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 22.Behauptung, Seite 139. 54 Auf einen Wachhund, der ständig kläfft, gleichgültig ob nun eine tatsächliche Gefahr vorhanden ist oder nicht, hört man zu guter Letzt gar nicht mehr. Das ständige Kläffen ist nur noch ein störendes Hintergrundgeräusch. Wie leicht macht man es damit einem Einbrecher! Die perfektionistische Sicht ist nicht nur unehrlich und unbarmherzig. Sie ist auch unfair. Wer sich über Sünde wenig Gedanken macht, hat die Chance, ein positives, freundliches und ermutigendes Gottesbild zu entwickln. Die sorgfältigen und gewissenhaften Gläubigen müssen sich mit einer sehr düsteren Gottesvorstellung herumschlagen. Diese Quälerei kann sich über Jahre hinziehen, wenn Gläubige die Freiheit eines Christen 159 nie kennengelernt haben und folglich auch keinen Vergleichsmaßstab haben, um die fehlende Qualität des werkgerechten 160 Lebensstils zu erkennen. Natürlich macht auch die kleinste Sünde den Menschen unwürdig, mit Gott Gemeinschaft zu haben. Das muss man allen sagen, die selbstsicher meinen, keine Erlösung zu brauchen, weil sie doch gute Menschen seien. Hier gilt: auch der anständigste und beste Mensch braucht die Bedeckung seiner Schuld durch das Sühnopfer Jesu. Jeder Mensch hat sich an Menschen und an Gott versündigt. Verdrängen der Schuld und Heuchelei belastet Charakter und Seele – die Löschung der Schuld befreit. Bei Menschen, die sich ohnehin sehr viel Gedanken über ihr Versagen machen, muss man das nicht extra betonen (Sorgfaltsparadox) 161). Das haben sie längst verstanden und akzeptiert. Damit ist die Notwendigkeit der Charakterbildung 162 nicht abgewertet. Manche meinen ja, es komme nicht mehr darauf an, da ja ohnehin alle Sünder seien. Ein Fehlschluss! Gläubige, die so denken, können bösartiger handeln als Menschen, die Gott gar nicht kennen. 159 160 161 162 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#sorgfaltsparadox“. Siehe Seite 205. 55 Charakter- und Persönlichkeitsbildung ist Jesus wichtig. Menschen mit Charakter entscheiden sich freiwillig für das Gute, weil sie von der langfristig positiven Wirkung überzeugt sind. Um Charakter zu bilden, braucht der Mensch Vorbilder und Freiraum. Zwang und Erpressung überzeugen schlecht oder gar nicht. Deshalb ist die Aufforderung Jesu an seine Jünger, „vollkommen zu sein“ (Mt 5,48) kein Befehl, sondern ein Wunsch. Er weiß, dass sie es nur wünschen können – im Eifer, dem Vorbild ihres geliebten Meisters zu folgen. Das wesentliche Element der Vollkommenheit ist die Freiwilligkeit. Nach Vollkommenheit soll der Jünger streben, und an sich arbeiten, wo es in Freiheit möglich ist. Die unabdingbare Grundlage aber ist immer das Vertrauen in die unwandelbare Liebe und Treue Jesu, die nicht durch unsere Schwächen und Gebundenheiten in Frage gestellt wird. “Er bleibt immer treu, selbst dann, wenn wir nicht treu sind.” (2.Ti 2,13) Jesus war vollkommen. Er fragte seine Jünger: “wer von euch kann mir eine Sünde nachweisen?” (Jo 8,46) Achten wir einmal darauf, dass er sogar den Kontakt mit Geld sorgfältig vermied. Er hatte keins. Als er Steuern zahlen sollte, schickte er Petrus, der ein Geldstück in einem gefangenen Fisch fand. (Mt 17,27) An Geld klebt viel Unrecht und Gewalt ! Banken spekulieren mit dem Spargroschen der Armen, machen jede Menge unfaire Geschäfte und ruinieren dabei Existenzen, treiben Menschen in Verzweiflung und Selbstmord, korrupte Politiker schauen weg. Geld ist unrein! Es ist dreckig! Wenn man vollkommen sein müsste, dürfte man es gar nicht anfassen. Wir dagegen haben Geld. Wir schaffen es nicht, ohne es zu leben. Wir spielen das große Spiel mit. Wir konsumieren und verleiten andere dazu, zu konsumieren, weil sie dasselbe haben wollen. Und Jesus verdammt uns deshalb nicht. Die Apostel haben auch später niemanden deshalb verurteilt und aus der Gemeinde ausgeschlossen. 56 Auch wenn Gewissenhaftigkeit im Denken und Handeln nicht zum ständig schlechten Gewissen führen darf, so ist doch Sorgfalt sehr wertvoll und dient in etlichen Bereichen der Vorbeugung vor Schlimmerem. Der Gedanke der Vorbeugung spielt in der Bergpredigt (Mt 5,31-37) eine wichtige Rolle. Es ist besser, sich vor Zorn auf den Bruder und vor dem Schimpfwort zu hüten, als eine Entwicklung in Gang zu setzen, an deren Ende vielleicht tätliche Gewalt und Mord stehen. Es ist besser, sich begehrlicher Gedanken und Blicke zu enthalten, anstatt sie zu dulden und dann im Ehebruch zu landen. Es ist besser, gar nicht zu schwören, als durch ständigen Gebrauch von Eidesformeln bald als unglaubwürdig dazustehen. Diese Liste kann man fortsetzen: es ist besser sich vor dem Neid zu hüten, als zu guter Letzt den anderen zu bestehlen, es ist besser, Großzügigkeit zu üben, als zu raffen und dabei immer habgieriger zu werden. Eben das Bemühen um wirksame Vorbeugung beweist: kleine Sünden und große Sünden wiegen nie und nimmer gleich schwer. Völliger Unsinn! Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob der Gläubige einen ehebrecherischen Wunsch hat oder ob er tatsächlich mit einer verheirateten Frau Ehebruch begeht. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob der Gläubige Gedanken des Hasses hat gegen einen Menschen, der ihn verletzt hat, oder ob er ihn deswegen halb tot schlägt. Soll man nun denken: “nun ist das Kind ja in den Brunnen gefallen, ich habe die kleine Sünde begangen und mir dadurch schlimmsten Zorn Gottes zugezogen. Nun kommt es nicht mehr darauf an, ob ich auch noch die große Sünde tue? Wenn ich sexuell begehrlich war, dann kann ich auch gleich den Ehebruch wirklich begehen? Wenn ich gehasst habe, dann kann ich den Feind auch gleich windelweich prügeln…!?” Das Gegenteil ist wahr: Jesus hat viel Geduld und Mitgefühl mit dem Gläubigen, der sich mit begehrlichen oder wütenden Gedanken herum-schlägt und wird ihn bewahren, dass er nicht in den Abgrund des Ehebruchs oder der Feindschaft hinabstürzt. Dazu braucht der Gläubige Ermutigung und Stärkung durch Liebe und nicht ein Gewissen, das ihn sofort terrorisiert und bedroht. 57 Ein wichtiges Kennzeichen der Liebe ist die Geduld. (1.Kor 13,4-5) Wenn Jesus wünscht, dass seine Jünger Geduld mit den Schwächen anderer haben sollen, dann wird er selbst nicht ungeduldig sein. Im Gegenteil: die Bibel redet sogar von einer jahrhundertelangen Geduld Gottes mit menschlicher Schwachheit. (Rö 3,25) Ein Gläubiger, der kein Vertrauen in Gottes Geduld hat, der denkt sehr klein von der Liebe Gottes. Entsprechend gering ist sein Vertrauen, das doch die Grundlage des Lebens mit Gott sein soll: alles geschieht “aus Glauben” (Rö 1,17). Was “nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde” (Rö 14,23), selbst dann, wenn es mit der größten Willensanstrengung verbunden ist. Die Gläubige “wächst im Glauben” (Eph 4,15), was ja nichts anderes heißt, als dass es ihm immer besser gelingt, gewisse Unvollkommenheiten abzulegen. Was wachsen muss, kann nicht sofort vollständig vorhanden sein. Erpressung durch das Gewissen 163 ändert an dieser Situation nichts. Deshalb muss man ihr widerstehen. Die Tatsache, dass Jesu Opfer am Kreuz auch unsere Unvollkommenheiten sühnt, sollte den Gläubigen erfreuen, beruhigen und ermutigen und nicht ihn mit einer Last beladen, die ihn gänzlich erdrückt. 3. Behauptung: “Da der Gläubige die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hat, ist er frei vom Zwang zu sündigen. Wenn er nur will, kann er die Sünde lassen. Umso strenger wird der Gläubige bestraft, wenn er sich dann noch kleine Sünden leistet. Er kann und darf sich nicht mehr auf menschliche Schwachheit berufen.” Da steht es zweifellos geschrieben: “seine Gebote sind nicht schwer, denn alles, was von Gott geboren worden ist, überwindet die Welt” (1.Joh 5,3-4) Ist es nicht der Ausdruck tiefsten Gottvertrauens, wenn Gemeindelehrer aus dieser Verheißung ein strenges Verbot ableiten und dem Gläubigen auch über der kleinsten Unvollkommenheit ein schlechtes Gewissen machen ? 163 Siehe die 22 Behauptung zum „Gewissen“, Seite 139. 58 Es ist doch “ganz logisch”: wenn der Heilige Geist dem Gläubigen ermöglicht, alle Gebote zu halten, weil “die Gebote nicht schwer sind“, dann kann der Gläubige nicht nur alle Gebote einhalten, sondern muss es auch. Und schon wieder taucht der eben kommentierte, so oft in fataler Weise als verbindliches Gebot missverstandene Satz auf:“Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.” (Mt 5,48), das den Gläubigen angeblich verpflichtet, alles zu tun, was irgend gut ist: “Wer etwas Gutes zu tun weiß, und tut es nicht, für den ist es Sünde…” (Jak 4,17), auch wenn es ihn die materielle Existenz oder gar das Leben kosten sollte. Natürlich weiß der Gläubige, dass ihm “gelegentlich” eine Sünde passieren kann. “Wenn wir behaupten, wir wären ohne Sünde, dann lügen wir.” (1.Jo 1,8) Doch Sünde ist nach dieser Anschauung eine sehr seltene Ausnahme, die kaum vorkommt. Sie muss sofort bereut und repariert werden, damit sie eine seltene Ausnahme bleibt. Und wenn man etwas Gutes weiß, das zu tun wäre, dann darf das Gute nicht ungetan bleiben, denn auch damit wäre die Sünde keine seltene Ausnahme mehr. Der Umkehrschluss ist fatal: wer nicht “alle Sünde lässt”, wer nicht alles “was er Gutes tun könnte”, tut, wer nicht (fast) vollkommen lebt, wer nicht all sein Hab und Gut für Notleidende opfert 164 , wer nicht allzeit bereit zu lebensgefährlicher Mission ist 165 , der nimmt Gottes Erlösungsgeschenk nicht an und ist deshalb Gottes Feind. Was mit den Feinden Gottes geschieht, ist klar: auf sie wartet die ewige Qual der Hölle.166 Und schon kippt die herrliche Verheißung, dass für den Heiligen Geist keine Aufgabe zu schwer ist, dass er den Gläubigen zu allem, was gut ist, ausrüsten und bevollmächtigen möchte, in das grauenhafte Gegenteil um: in ständige Bedrohung, in seelische Erpressung und Verzweiflung. 164 Siehe 7.Behauptung, Seite 93. 165 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#hbi“. 166 Ebd. 59 Warum erkennen manche Gläubigen nicht, dass diese Interpretation der Bibel nicht lebensfördernd (Mt 4,4), nicht konstruktiv, sondern scheinheilig und destruktiv ist ? Warum erkennen sie nicht, dass diese Interpretation im Widerspruch zur den Qualitätsmaßstäben Jesu steht ? In diesen Zusammenhang gehört auch die wahnwitzige Behauptung, mit jeder neuen Sünde “schlüge der Gläubige Christus erneut ans Kreuz“. Welch gefährlicher Unsinn! “Christus wiederum kreuzigen” (Hebr 6,6), das ist etwas, was nach dem Neuen Testament gar nicht möglich ist, und betrifft den seltenen Fall, dass ein Mensch noch einmal zum Glauben kommen will, der den Glauben bereits als befreiend erkannt und erlebt und ihn dennoch endgültig weggeworfen hat. Welcher Wahnsinn, diese Formulierung für kleine Fehler und Schwächen zu gebrauchen, doch bei gewissen perfektionistischen Bibellehrern ist auch solcher Blödsinn möglich. Wenn eine dilettantische Theologie diese Worte auf den Gläubigen bezieht, so wird der Sinn des Opfers Jesu ins Gegenteil verdreht. Es wird eine ständige Quelle des Schreckens und der Bedrohung – von Freude und Befreiung keine Spur. So balanciert der Gläubige mit ständig schlechtem Gewissen auf einem schmalen Grat: wieviel darf an der Vollkommenheit fehlen 167,damit er noch seines Heils gewiss sein darf ? Schon die Frage zeigt, dass hier etwas Wesentliches ganz falsch verstanden wurde. Fragen wir besser: Was soll denn Gott davon haben, wenn ihm seine Gläubigen vor Angst schlotternd wie einem Diktator dienen ? Eine ähnliche Frage stellt Gott übrigens auch den Gläubigen im Alten Bund: “was habe ich denn davon, wenn ihr mir ständig Tiere opfert ? Doch ich nehme deine Opfer nicht an. Ich brauche keinen Stier aus deinem Stall und keinen Bock aus deinem Pferch! Denn mein ist alles Wild im Wald, die Tiere auf den tausend Bergen. .. Hätte ich Hunger, müsste ich es dir nicht sagen, denn mein ist die Welt und was sie erfüllt.” (Ps 50, 9-12) Das mosaische Gesetz gebot zweifellos viele Opfer. 167 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unvollkommenheit – gefährdet sie das Heil ?“, („www.matth2323.de/stichworte/#unvollkommenheit“). 60 Wenn Gott ein Gebot verfasst, so hat der Gläubige die Aufgabe, den Zweck zu verstehen. Das Gebot soll eine Hilfe sein, die Beziehung zwischen Gott und den Gläubigen herzustellen oder zu vertiefen. Wenn es mit Hilfe der Qualitätsmaßstäbe Jesu “Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit” interpretiert wird, so versteht der Gläubige diese Charaktereigenschaften Gottes besser und erwirbt auch selbst mehr von diesen Eigenschaften. Er wird innerlich verändert. Das ist die “Beschneidung des Herzens” (Rö 2,2829), auf die Gott großen Wert legt. Menschen dagegen neigen dazu, die äußerliche Beschneidung für das entscheidende Merkmal zu halten. Man kann Gottes Gebote äußerlich einhalten, aber ohne innerliche Überzeugung. Dieser “Gehorsam” hat bei Gott überhaupt keinen Wert. “Sie ehren mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist fern von mir.” (Jes 29,13) “Gutes tun”, weil das schlechte Gewissen erpresst, ist selbst Sünde. Es ist scheinbare Heiligung, Werkgerechtigkeit und Selbsterlösung. Es ist sozusagen Falschgeld, das aus dem Verkehr gezogen werden muss. Die stärkste Willensanstrengung ändert an dieser Tatsache nichts. Der werkgerechte Gläubige ist leider davon überzeugt, dass die verbissene Willensanstrengung, die “Entschiedenheit” etwas sei, dass die fromme Leistung “heilig” mache. Man durchschaut diesen Wahn erst, wenn man die Qualität der Früchte prüft. Was kommt dabei heraus? Die Liebe wird dadurch nicht größer. Der Glaube wird eine Quelle ständiger Frustration. Er kann so unerträglich werden, dass man ihn am Ende aufgibt. Eben das steht in der Bibel: Werkgerechtigkeit hat keine Verheißung, sondern steht unter einem Fluch: “Ihr habt Christus verloren, weil ihr euch selbst durch die Erfüllung der göttlichen Normen retten wollt. Ihr lebt wieder ohne Gnade! ” (Gal 5,4) Zweifellos ist Werkgerechtigkeit ein sehr naheliegender, allzu-menschlicher Gedanke: “hilf dir selbst, dann hilft dir Gott…” Echter Glaube ist immer wieder in Gefahr, durch werkgerechte Gedanken wie mit Sauerteig durchdrungen und vergiftet zu werden (Mt 16,6 / Gal 5,9). 61 Paulus, der erst ähnlich dachte, erkannte durch die Begegnung mit Jesus, welch schlimme Selbsttäuschung die Werkgerechtigkeit ist. Er erkannte, dass selbst seine frömmsten Taten vom Eigennutz vergiftet waren. Auch der frömmste Mensch hat nichts anderes verdient als den Tod und die Hölle. Eine Zeitlang verzweifelte an dieser Erkenntnis, bis er dann erkannte, wie das neue Leben aussieht, dass Gott all seinen Kindern schenkt. Es beginnt mit dem Vertrauen, dass Gerechtigkeit nicht durch eigene Bemühungen erworben wird, sondern dass sie “zugerechnet” wird. Jesus allein war ohne Sünde, und die Sündlosigkeit rechnet Gott jedem Menschen, der auf Jesus Christus vertraut, zu (Rö 4,3 ff /Phil 3,9). Wer Jesus vertraut, nimmt aber nicht nur diese Zurechnung in Anspruch, sondern er hat auch den Wunsch, Jesus immer ähnlicher und vom Eigenutz immer freier zu werden. Mehr als diesen Wunsch zu stärken durch engen Kontakt mit seinem Herrn, mit seinem heiligen Wort und mit der christlichen Gemeinde und immer im Gebet zu sein, dass ihm doch Gott die Weisheit geben und ihm zeigen möge, wie auf glaubwürdige Weise mehr von diesem Wunsch verwirklicht werden könne, kann und darf er nicht bringen. Aber weniger auch nicht! Andernfalls wäre es gar kein echtes Vertrauen, sondern wieder dreistes Anspruchsdenken, wieder Aberglaube. Es ist und bleibt wahr und für viele Gläubige schwer zu fassen: der Christ, der in der rechten Weise Jesus Christus vertraut, ist vom Gesetz und seinem Zwang befreit. Allerdings kann er sein Recht innerhalb der Gemeinde nur innerhalb der Grenzen in Anspruch nehmen, die ihm das gültige Recht der Gemeinschaft 168 setzt. Dieses Recht der Gemeinde sollte sich strikt an den Qualitätsstandards Jesu Christi orientieren und andernfalls baldmöglichst korrigiert werden. Es ist wichtig für sein geistliches Wachstum, immer sensibler zu werden für die Qualität, die das Wirken des Heiligen Geistes kennzeichnet und sich immer mehr Urteilsvermögen anzueignen. 168 Siehe unter „Stichworte“ die Abschnitte 3 und 4 des Artikel „Buchstabentreue“, („www.matth2323.de/stichworte/#dgc“ und „.../stichworte/#gsd“). 62 Was der Gläubige “aus Glauben” tut, entspringt seiner Überzeugung. Er tut es freiwillig, weil ihn die Liebe dazu motiviert. Je öfter er es tut, desto stärker wird die Liebe. “Wer hat, dem wird gegeben” (Mt 13,12) Nur mit echter Heiligung 169 kann der Gläubige Gott würdig repräsentieren. Viele Gläubige versuchen Werkgerechtigkeit zu vermeiden, indem sie den Glauben zur unverbindlichen “Religiosität“ 170 verkürzen und verwässern und damit die Botschaft Jesu missbrauchen. Dies mag dazu führen, dass sie eines Tages entgegen ihren Illusionen vor verschlossenen Türen stehen. (Mt 7,21-23 / 25,1 ff) Es gibt einen bibelgemäßen Weg aus der Werkgerechtigkeit 171, der den Glauben stärkt, anstatt ihm zu schaden. 4. Behauptung: “Sexuelle Sünden verunreinigen am stärksten” Es gibt etliche Gläubige, die meinen, dass sexueller Verzicht der Schwerpunkt der christlichen Ethik sei. Daraus zieht mancher den Schluss, dass Gläubige, die sich besonders sexualfeindlich gebärden, besonders heilige Leute seien. Umgekehrt würde Fehlverhalten, das im Zusammenhang mit der Sexualität steht, von Gott viel negativer beurteilt und bestraft als andere Sünden. In der Bibel gibt es zu dieser Behauptung ein Gegenbeispiel: Der Priester Amazja verbot dem landesfremden Hirten Amos, im Tempel die an ihn ergangene Warnung Gottes auszusprechen. Zur Strafe wurde Amazjas Frau später eine stadtbekannte Hure. (Amos 7,1217) Woraus wir ersehen: Der Versuch einer Gemeindeleitung, die Gläubigen gegen notwendige biblische Zurechtweisung abzuschirmen, wird von Gott als eine Sünde angesehen, die so schwer wiegt wie gewerbliche Prostitution. Es gibt noch viele andere Sünden, die schädlicher sind als viele sexuelle Verfehlungen: den guten Ruf eines Menschen zerstören, auf seiner Würde herumtrampeln, ihn mobben, ihn wegen seiner Andersartigkeit hassen und verfolgen oder ihn wirtschaftlich oder gesundheitlich ruinieren. 169 Siehe Seite 192. 170 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#religiositaet“. 171 Siehe den 4. Abschnitt des Kapitels „Zu Gott gehören“, Seite 201. 63 Im Verlauf der Kirchengeschichte wurde diese Sünden oft gar nicht als solche angesehen, insbesondere wenn man Menschen so behandelte, deren Gedanken und Fragen man als Bedrohung der eigenen Glaubensauffassung empfand. So bekam das Thema der sexuellen Sünde gegenüber diesen Sünden ein großes Gewicht. Es besteht kein Zweifel, dass sexuelle Rigorosität stark zur Stabilisierung bestehender Glaubensgemeinschaften beiträgt. Das Thema sexueller Unzulänglichkeiten ist gut dazu geeignet, Gläubige einzuschüchtern 172, sodass sie das, was in der Gemeinde geschieht, nicht mehr in Frage zu stellen wagen. Gläubige in der Gemeinde, die ihr Macht missbrauchen, bedienen sich deshalb gerne dieses Themas. Die Einschüchterung ist so wirksam, weil sie an das Schamgefühl anknüpfen kann, dessen Reaktion von vielen Gläubigen ebenso wie die Reaktion des Gewissens 173 irrtümlicherweise für absolut unfehlbar gehalten wird. Die katholische Kirche hat sich deshalb nach Kräften bemüht, Schuld- und Schamgefühle weiter zu steigern. So wurde im Mittelalter z.B. gelehrt, dass der ansonsten legale Geschlechtsverkehr eines verheirateten Paares am Sonntag, dem Tag des Herrn, oder an einem der vielen anderen kirchlichen Feiertage hochgefährlich sei, da er diesen Feiertag entweihe. Diese Sünde sei so schwer, dass sie von Gott üblicherweise mit der Geburt eines behinderten Kindes bestraft werden würde. So warnten z.B. Gregor von Tours, gest.594, und Erzbischof Thietmar von Magdeburg. 174 Bis heute wird in der katholischen Kirche die Freude an Sexualität auf vielerlei Weise mit überflüssigen Drohungen belastet. Eheleuten, die eine Empfängnis mit Kondom verhüten wollen, wird weisgemacht, sie würden damit einen “Verstoß gegen die sittliche Ordnung” begehen.175 172 Siehe die 26.Behauptung „Der Gläubige darf Unrecht ... nur dann beim Namen nennen, wenn bei ihm selbst keine Fehler zu sehen sind.”, Seite 154. 173 Siehe die 22. Behauptung, Seite 139. 174 Peter Browe, Beiträge zur Sexualität des Mittelalters, Breslau, 1932, S. 47-48. 175 Kompendium des Katholischen Katechismus, 497-498. 64 Es „ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzuges des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel“ 176 Auch die Sterilisation wird ausnahmslos verboten, selbst wenn ein weiteres Kind die Eheleute überfordern würde. Auch wenn viele Katholiken diese Normen nicht ernstnehmen, es bleibt der deprimierende Eindruck zurück, dass Sexualität eher negativ zu sehen ist, ein notwendiges Übel, ein Anreiz, ohne den das Gebot, “sich zu vermehren und die Erde zu füllen” nur unzureichend erfüllt werden würde. Der Gedanke liegt wirklich nicht fern, dass hinter der lebensfremden Sexualtheologie vielleicht letztlich etwas ganz Menschliches steckt, nämlich Sexualneid, der bittere Frust von Klerikern, die auch alle gerne mal Sex hätten, aber nicht dürfen. Wenn man schon selber nicht darf, dann werden viele neidisch und möchten dann wenigstens dafür sorgen, dass die anderen, die dürfen, nicht all zu viel Freude daran haben. Wenn wir uns also mit dem Thema “Sexualität” befassen, so müssen wir ein waches Auge haben auf Beiträge von Gläubigen, deren Motive ähnlich unsauber sind. Die sexualitätsfeindliche Tendenz setzte sich fort in der Onanie-Literatur des 19. und 20 Jahrhunderts, in der Quacksalber und Ärzte eindringlich vor angeblichen medizinische Folgeschäden der Masturbation warnten: sie sollte angeblich Pocken und Tuberkulose hervorrufen 177 oder zu Rückenmarksschwund, Auszehrung des Körpers, Hysterie, Geisteskrankheit, Unfruchtbarkeit und Geschwüren im Gesicht führen 178 Den Ärzten wird man schwerlich klerikale Motive unterstellen. können, doch förderte die kirchliche Sexualitätsfeindlichkeit offensichtlich eine allgemeine Bereitschaft, erfundene Schreckensmeldungen ungeprüft und blindgläubig weiter zu verbreiten. 176 Katechismus der Katholischen Kirche [KKK], Nr. 2370. 177 Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Masturbation: dort wird zitiert John Marten, Onania: or the Heinous Sin of Self-Pollution, 1712; von Denis Diderot unter dem Artikeltitel Mansturpration ou Manustupration übernommen in seine Encyclopédie, 1751-1780. 178 Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Masturbation, dort wird u.a. Denis Diderot angeführt: Dissertation sur les maladies produits par la masturbation, 1760. 65 Nun gibt es zweifellos sehr strenge Sätze zur Sexualität in der Bibel. “Ich habe einen Bund mit meinen Augen geschlossen, dass ich nicht begehrlich blicke auf eine Jungfrau. Was gäbe mir Gott sonst als Teil von oben und was für ein Erbe der Allmächtige in der Höhe? Wird nicht der Ungerechte Unglück haben und ein Übeltäter verstoßen werden? Sieht er nicht meine Wege und zählt alle meine Gänge?” (Hiob 31,2-4). Eine schöne Frau anzublicken und das Zusammensein mit ihr zu wünschen, das ist ein Wunsch, den der von Gott dem Menschen eingepflanzte Sexualtrieb ganz selbstverständlich mit großer Kraft hervorruft. Dieses Verlangen bleibt bei etlichen Männern bis ins hohe Alter hinein erhalten. Während der Mensch, der Hunger hat und Nahrung vor sich sieht, auch essen darf, um diesen Hunger zu stillen, ist der Gläubige verpflichtet – so sieht es Hiob – den bloßen Wunsch nach sexueller Erfüllung schon bei seiner Entstehung niederzukämpfen. Im mosaischen Gesetz, das NACH (!) der Zeit Hiobs gegeben wurde, spielt diese moralische Strenge seltsamerweise überhaupt keine Rolle. Es wird immer wieder behauptet, dass ein solches Gebot bei einem großen Volk undurchführbar gewesen sei. Zweifellos stimmt das, doch das ist irrelevant. Es wäre Mose ganz leicht möglich gewesen, eine Gruppe von besonderen Gläubigen zu berufen, die sich diesen harten Normen unterwarfen. Es wäre leicht gewesen, diese Leute mit besonderen Privilegien auszustatten, um allem Volk ein gutes Beispiel zu geben. Und die Segensverheißungen am Ende der Mosebücher hätte Mose in gestaffelter Form anbieten können. 100% Segen für die, die sich an das schwere Gebot sexueller Reinheit halten wollen, 50% für die, die doch hingucken und sich etwas wünschen, wenn eine schöne Frau vorbeigeht und 5% für die Leute, die ihre Frau entlassen haben, weil sie ihnen zu abgenutzt und hässlich erschien. Ein nachhaltiger pädagogischer Effekt würde sicher nicht ausbleiben. Doch diese Möglichkeiten werden nicht genutzt, sodass bei einem Thema, das ganz entscheidend sein soll für die Beziehung mit Gott, ein leicht zu erzielender pädagogischer Erfolg verschenkt wird – für immerhin zwei Jahrtausende. 66 Diesen Eindruck wird der sorgfältige Leser nicht los, auch wenn das mosaische Gesetz noch viele weitere Vorschriften enthält über Reinheit und Unreinheit bei Samenerguss Menstruation, Geburt usw. (Wichtige Anmerkung: durch das Verschenken des pädagogischen Erfolgs im sexuellen Bereich wird ein pädagogischer Erfolg auf einem wichtigeren Gebiet erzielt: nämlich die Erkenntnis, dass das Gesetz ganz bestimmte Illusionen 179 hervorruft.) Im Neuen Testament erhebt Jesus eine ähnlich strenge Forderung: “Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: “Du sollst nicht ehebrechen.” Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. Führt dich aber dein rechtes Auge in Versuchung, so steche es aus und wirf’s von dir. Es ist dir besser, dass eins deiner Körperteile verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Führt dich deine rechte Hand in Versuchung, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, dass eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.” (Mt 5, 27-28) Hier wird – wie es scheint – die Sicht des Hiob bestätigt. Warnte Hiob vor dem “Verstoßenwerden des Übeltaters“, so warnt Jesus vor der Hölle, die auf den begehrlichen Blick folgen kann. Verständlich, wenn Gläubige zu dem Schluss kommen, dass schon kleine Abweichung von sexuellen Normen ein besonders schweres Vergehen ist. Entsprechend stark ist das schlechte Gewissen 180 und das Schamgefühl, das sich anlässlich des Versagens bildet. Zusätzlich tauchen in bibeltreuen Gemeinden immer wieder Lehren auf, die dem Denken eine vollends verhängnisvolle Richtung geben können, z.B. die Behauptung, dass kleine Sünden bei Gott so schwer wiegen wie große. 181 Ist das wahr, dann wiegen die Wünsche und Phantasien so schwer wie fortgesetzter Ehebruch, wie ein Leben in Hurerei. 179 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#illusionen“). 180 Siehe Seite 139. 181 Siehe in diesem Kapitel die 2. Behauptung: „Kleine Sünden sind genauso schlimm wie schwerste Verbrechen“, Seite 53. 67 Es ist verständlich, dass manche Gläubige daraus den Schluss ziehen, “mutwillig gesündigt” (Hebr 10,27) und die Geduld Gottes überstrapaziert zu haben. Chronische und schwere Depressionen und Ängste vor der Hölle sind die Folge. Wie unmenschlich diese Zwangslage ist, ist an dem Schicksal des Kirchenlehrers Origines zu sehen. Um nicht in die Hölle zu kommen, sah er für sich keinen anderen Ausweg mehr, als sich selbst zu kastrieren. Wir wollen hoffen, dass er anschließend wieder zur ersehnten Glaubensfreude durchgedrungen ist. Doch können wir seine Methode, das Problem zu lösen, nicht empfehlen. Stattdessen stellen wir die Frage: wo ist hier noch eine überzeugende Abgrenzung zur Bemühung, sich selbst zu erlösen und zu retten, sich selbst das Heil zu sichern ? Werkgerechtigkeit ist für den Glauben hochgefährlich: “Ihr habt Christus verloren, die ihr durch die Erfüllung der göttlichen Norm gerecht werden wollt.” (Gal 5,4). Deshalb muss die Abgrenzung von der Sünde der Werkgerechtigkeit sehr sorgfältig sein: “Auch ein winziges Stückchen Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig.” (Gal 5,9) Manchen Christen bereitet das Gebot rigider sexueller Disziplin kein nennenswertes Problem. Am einfachsten haben es die Glücklichen, die eine Frau haben, mit der sie zusammen Sexualität genießen können. Andere Gläubige haben das Glück, dass der Sexualtrieb nicht allzustark ausgebildet ist und dass sie Glücksgefühle, ja sogar den Gefühlsrausch aus anderen Quellen schöpfen können: aus dem Erfolg im Beruf sowie aus hoher Kreativität. Es wurde auch schon darauf hingewiesen, dass der Genuss von Macht und Einfluss das sexuelle Defizit ausgleichen kann – was z.B. in klerikalen Hierarchien vorkommt. Welche Lösungen bieten sich an für Gläubige, die einen starken sexuellen Drang, aber wenig Möglichkeiten haben, sich starke positive Glücksgefühle zu beschaffen ? Muss man den Gläubigen recht geben, die sehr schnell antworten, dass der Glaube ausreichend Glücksgefühle liefert (“Die Freude am Herrn ist eure Stärke“) und der Gläubige die Schuld für das Fehlen ausreichender Kompensationsgefühle bei sich selbst zu suchen hat ? 68 Hier ist einmal festzustellen, dass Paulus selbst darauf hingewiesen hat, das Eheleute sich einander nicht entziehen sollen, da andernfalls die Versuchlichkeit zur Hurerei zu stark werden würde. (1.Kor 7,5) Wäre der Glaube eine jederzeit bereitstehende Kompensationsquelle, die ausreichend Freude vermittelt, wäre diese Aufforderung überflüssig. Paulus weist auch darauf hin, dass er sehr gut verzichten kann und andere nicht (1.Kor 7,7). Verzicht auf sexuelle Phantasien ist für Gläubige, die schlecht mit Kompensationsmöglichkeiten ausgestattet sind, eine anstrengende Verzichtsleistung – ähnlich schwer, wie der Entschluss, nur soviel zu essen, dass man ständig unter Hungergefühlen leidet und gerade am Leben bleibt. Übermäßiges Fasten hat bekanntlich wenig Erfolg: der Frust wird so groß, dass man unversehens hemmungslos frisst, um alles nachzuholen. (Jojo-Effekt) Eine ähnliche Gefahr ist bei Überforderung durch sexuellen Totalverzicht nicht auszuschließen. Wenn das Gewissen ohnehin ständig anklagt, dann lohnt es sich nicht mehr, die große Sünde, den unverbindlichen Sex, zu vermeiden. Was geschieht mit den Menschen, die sich Tag für Tag die größte Mühe geben, immer wieder unter Tränen den Vorsatz fassen, ihre Phantasie zu zügeln und dennoch so oft scheitern, dass sie eines Tages selbst nicht mehr an die Ernsthaftigkeit ihrer Vorsätze glauben können ? Stattdessen fühlen sie sich durch eigenes Verschulden ständig verschmutzt und Glaubensfreude kommt gar nicht mehr auf. Damit sind noch weniger Kompensationsmöglichkeiten vorhanden. Ein Teufelskreis entsteht. Die seelsorgerlichen Tatsachen lassen ebenso wie das Faktum, dass keine überzeugende Abgrenzung zur Werkgerechtigkeit vorhanden ist, erhebliche Zweifel an der üblichen Auslegung der Worte Jesu in Mt 5,27-28 entstehen. Betrachten wir doch das Wort “begehren” (grie: επιθυμησαι) in Mt 5,28 einmal genauer ! In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta wird dasselbe Wort im Zehngebot verwendet. Dort bezeichnet das “Begehren” den Willen, etwas in seinen Besitz zu bringen, der sich sowohl auf die Frau des Nachbarn (Septuaginta: επιθυµησεισ την γυναικα), als auch auf sein Haus oder seinen Esel richten kann (2.Mo 20,7). 69 Nicht das “Begehren” an sich ist böse, denn es ist sehr wohl erlaubt, eine Frau für sich, ein Haus für sich und einen Esel für sich zu begehren und zu erwerben. Das Böse besteht darin, dass sich das Begehren auf etwas richtet, was einer anderen Person gehört, die ihr Eigentumsrecht geltend macht. Jesus spricht hier also über die fahrlässige Anbahnung eines konkreten Rechtsbruchs, nicht über sexuelle Phantasien, die um ihrer selbst willen genossen werden. Somit wäre Mt 5,27 besser übersetzt: “wer eine verheiratete Frau habgierig anblickt und sie besitzen will…” Doch leidet die bibeltreue Theologie schon seit jeher an einer starken Geringschätzung des Rechts, was darin zum Ausdruck kommt, dass es in den meisten bibeltreuen Gemeinden gar keinen schiedsgerichtlichen Dienst 182 bzw. kein seriöses Schlichtungsverfahren 183 gibt. Dann ist es wenig verwunderlich, dass man die tatsächliche Bedeutung des Wortes “begehren” (grie: επιθυμησαι) übersehen hat. Das Verbot zu “begehren” ist mit anderen Geboten in einem Block zusammengefasst, mit dem Verbot, den Nächsten zu beleidigen, sowie mit dem Verbot zu schwören. Das gemeinsame Konzept ist die Vorbeugung, die Verhinderung der Eskalation. Wenn man von vornherein darauf verzichtet, den Nächsten zu beleidigen, dann wird es zu Tätlichkeiten oder gar zum Mord erst gar nicht kommen. Wenn man von vornherein darauf verzichtet, alles und jedes mit einem Schwur zu bekräftigen, dann muss man nicht befürchten, dass am Ende gar nichts mehr geglaubt wird. Und wenn man den Wunsch nach der Frau des Nächsten sofort niederkämpft, dann kann es gar nicht zum Ehebruch kommen. Dieses Gebot wird von Jesus mit äußerster Strenge formuliert. Wenn eine Frau, gläubig und Mitglied einer Gemeinde wird und ihr Ehemann weiter ungläubig bleibt, dann wird sehr bald ihr ungläubiger Partner in Konkurrenz zu Männern in der Gemeinde treten, mit denen sie die wichtigsten und tiefsten Glaubenserfahrungen teilt. 182 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#schiedsgericht“. 183 Siehe die Skizze eines Schlichtungsverfahrens, Seite 188. 70 Dann ist die Versuchung groß, sich vom ungläubigen Partner zu trennen, von dem man sich nicht mehr verstanden fühlt. Jesus hat aber solche ungleichen Ehen unter seinen besonderen Schutz gestellt: Scheidung ist nicht erlaubt, und wer die Geschiedene heiratet, begeht Ehebruch. (Mt 5,32) Hätte Jesus hier nicht so streng formuliert, so würden Männer, die ihre Frauen in die Gemeinde gehen lassen, diese sehr bald verlieren und dann in Zukunft ihre neuen Frauen am Kontakt mit der Gemeinde hindern. Der Schutz vor diesem Unglück muss also zuverlässig funktionieren. Die Androhung der Hölle bezieht sich also gar nicht auf sexuelle Phantasie-reisen, die frei vom Wunsch nach tatsächlicher Besitzergreifung sind. Über Hiob, der den begehrlichen Blick auf eine unverheiratete (!) Jungfrau als schwere Sünde betrachtete, werden die Ausleger geteilter Meinung sein. Immer wieder haben einzelne Gläubige eine private Einschätzung gehabt, die über das biblisch Gebotene weit hinausgeht. Die genauen Umstände, die Hiob zu seinem Entschluss bewogen haben, sind uns unbekannt. Vielleicht hat er einmal miterlebt, wie kriegsgefangene Mädchen auf dem Sklavenmarkt angeboten wurden. Die Gier der Käufer und das Elend der entwürdigten Frauen mag sich tief in seine Seele eingeprägt haben – sodass er sich fortan um eine Einstellung besonders strenger sexueller Disziplin bemühte, was so gar nicht in die Zeit der Erzväter passte. In den Erzväterzeiten war Polygamie verbreitet. Warum sollte der verheiratete Hiob nicht den Blick auf ein weiteres Mädchen werfen, um sie zu heiraten ? Geld genug dafür hatte er. Die anderen Glaubensväter des Alten Testaments, die das getan haben, hatten keine Furcht, deshalb Gottes Gunst zu verlieren. Der Erzvater Jakob hatte 4 Frauen (1.Mo 30,3-10), König David hatte während seiner Fluchtzeit 2 Frauen (1.Sam 25, 43), in Hebron hatte er 4 andere Frauen, wobei unklar ist, ob sie alle gleichzeitig lebten (2.Sam 3,25). König Salomo schrieb das Hohelied zu einer Zeit, als er bereits 140 (in Worten: hundertundvierzig !) Frauen besaß (Hohel.6,8) ! Dennoch sehen etliche aktuelle evangelikale Veröffentlichungen in sexuellen Phantasien eine Entwürdigung der Frau und eine Degradierung zum Sexual-Objekt, gar „eine Zerstörung ihrer „Gottesebenbildlichkeit“. 71 Wie immer man das sieht: es entwürdigt die Frau unendlich viel mehr, wenn sie zum Zweck der Triebentsorgung geheiratet wird. Wie oft werden Ehen übereilt - allein aufgrund des sexuellen Motivs - geschlossen zwischen Menschen, die schlecht zueinander passen und sich deshalb ständig auf die Nerven gehen ? Nun sucht man verständlicherweise den wirklich geeigneten Partner, den man aber nach biblischem Recht gar nicht mehr heiraten dürfte. Wird auf diese Weise nicht ein großer Schaden in der Gemeinde und in der Familie angerichtet? Für die Ehre der Frau ist mit einem rigorosen Verbot sexueller Phantasien gar nichts gewonnen. Wenn man alleinstehende Frauen vor die Wahl stellt, ob sie mit ihrer Schönheit auf Männer attraktiv wirken wollen oder lieber keinen optischen Eindruck hinterlassen wollen, so wird es wohl – abgesehen von Frauen, die üble Erfahrungen mit Sexualität gemacht haben – wohl kaum Frauen geben, die sich auf die Zeit freuen, wenn ihre Schönheit verblüht ist und man nur noch an ihrem inneren Wert interessiert ist. Das Gegenteil ist wahr. Sehr viele Frauen investieren horrende Summen in Kosmetik und Schönheitschirurgie, um den Alterungsprozess zu verlangsamen. Das zeigt doch in aller Deutlichkeit, dass eine Frau in der Regel “begehrenswert” erscheinen will – wenn sie sich auch tätliche Belästigung verbittet. Je begehrenswerter sie erscheint, desto mehr Respekt, Aufmerksamkeit und Beachtung erhält sie von Seiten der Männerwelt. Wie wird der Wunsch einer Frau, „begehrenswert“ zu erscheinen, in der Bibel bewertet ? Ein ganzes Buch, das Hohelied, lobt die in erster Linie die körperlichen Merkmale der begehrten Frau in allen Details und diese Frau ist - wie gesagt – nicht die einzige, sondern eine neue Favoritin nach den 140 anderen, die schon dem König gehören. (Hohelied 8,6) Wenn jemand behauptet, dass im alten Testament andere Regeln galten, so ist es inkonsequent, wenn zugleich die Warnung des Hiob, „begehrlich eine Jungfrau anzusehen“ (Hiob 31,2-4) als verbindliches Gebot betrachtet wird. Hätte ein Hiob das Hohelied schreiben können ? 72 Auch die Braut freut sich über ihre Schönheit. Offensichtlich darf sie es. „Meine Haut ist zwar dunkel, braun wie die Zelte der Wüstenbewohner. Dennoch bin ich schön, so wie die wertvollen Zeltdecken Salomos.“ (Hohel. 1,5). Wohl jede Frau, die in den Spiegel schaut, wird froh über ein attraktives Äußeres sein und weniger froh, wenn erhebliche Mängel sichtbar sind. Sollen wir annehmen, dass der Apostel Johannes diese natürliche Sicht, von der auch das Hohelied geprägt ist, kritisieren und als sündig brandmarken wollte, wenn er sagte: „Denn alles, was in der Welt ist: Augen Lust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben, das stammt nicht vom Vater, sondern von der Welt“ ? (1.Joh 2,16) Hier werden drei Dinge nacheinander genannt, eine bedenklicher als die andere. Die Betonung liegt in diesem Satz auf dem dritten Begriff, dem “hoffärtigen Leben”, dem Hochmut. Leider können die guten Gaben Gottes missbraucht werden. Statt dankbar zu sein und sich über Schönheit als über ein unverdientes Geschenk zu freuen, ist sie für manche Frauen der Anlass zum Hochmut und zur Schadenfreude. Sie genießen es, Männer begehrlich zu machen, um sich dann an ihrer Frustration zu erfreuen bzw. sie gar als zudringlich zu beschimpfen. Es gibt Frauen, die mit Schönheit Macht ausüben und verletzen oder erpressen wollen. Sie entwürdigen damit den Mann und machen ihn zum „Objekt“, zur Zielscheibe eines destruktiven Interesses. Männer können dasselbe tun. Doch ihr maßgebliches Attraktivitätsmerkmal ist die Finanzkraft, mit der sie Macht ausüben und Mitmenschen demütigen können. Beides ist Missbrauch der guten Gaben Gottes, die nicht dem Hochmut dienen, sondern in Dankbarkeit und zum Segen der Mitmenschen gebraucht werden sollen. Die Macht, die Schönheit oder Finanzkraft ausüben, setzt voraus, dass sie im Denken des beherrschten Menschen einen hohen Stellenwert haben. Wer mit wenig Einkommen zufrieden ist, wer den charakterlichen Vorzügen einer Frau sowie der Führung Gottes mehr Bedeutung zuerkennt als den Merkmalen idealer Schönheit, der kann sich dem, was in der Welt wichtig ist, entziehen. Er kann nicht beherrscht, erpresst oder verletzt werden. 73 Die folgende Übersetzung bezieht diese Überlegungen mit ein: „Hängt euer Herz nicht an das, was in der Welt ist. Die Gier nach allem, was ins Auge fällt, das Prahlen mit Schönheit und Besitz, all das kommt nicht vom Vater, sondern gehört zur Welt. Die Welt mit ihren verlockenden Angeboten wird vergehen. Wer aber tun will, was Gott gefällt, der wird mit ihm in Ewigkeit leben.“ (1.Joh 2,16-17) Nun ist die Frage, wie erotische Phantasien zu bewerten sind, die nicht mit der Benachteiligung einer konkreten Person verbunden sind. Solche Phantasien treten gewöhnlich im Zusammenhang mit Masturbation auf, über die die Bibel selbst nichts sagt. Die katholische Kirche bewertet Masturbation als ebenso schwere Sünde wie Mord und Hurerei (!), als “Todsünde”. “Zu den Sünden, die schwer gegen die Keuschheit verstoßen, gehören Masturbation, Unzucht, Pornographie und homosexuelle Praktiken.” 184 Nach katholischer Sicht bringt eine “Todsünde” den Täter mit Sicherheit in die Hölle, wenn er unversehens sterben sollte und noch keine die Vergebung (Absolution) durch einen geweihten Priester empfangen hat. 185 Evangelikale Autoren wie Tim Stafford sind der Meinung, dass sie als schwere Sünde einzuordnen sind. Er schreibt in seinem Aufsatz “Liebe, Sex und Du”, 186: “Wenn du wohlüberlegt und vorsätzlich eine Frau (oder einen Mann) ansiehst und sie als sexuelles Objekt betrachtest (und evt. gedanklich gebrauchst), ihn oder sie damit menschlich entwürdigst, dann bist du genauso sexueller Untreue schuldig wie jemand, der solche Vorstellungen in die Tat umsetzt.” Genauso schuldig? Wie wer? Mit tatsächlich praktizierter Untreue scheint wohl der vollzogene Ehebruch oder ein Bordellbesuch gemeint zu sein. Hier taucht eine fundamentale Behauptung perfektionistischer Theologie wieder auf: “kleine Sünden wiegen so schwer wie große” 187, die wir bereits mit Hilfe der Heiligen Schrift beurteilt haben. 184 185 186 187 3.Auflage Wetzlar Schulte und Gerth, 1982, S.118. Siehe Details unter der 11.Behauptung: „...Todsünde...“, S. 109. 3.Auflage Wetzlar Schulte und Gerth, 1982, S.118. Siehe Seite 53. 74 Es ist ein alarmierendes Zeichen, wenn Gemeindelehrer immer noch nicht in der Lage sind, die Destruktivität dieser Behauptung zu erkennen. Ist einem Jugendlichen, der wiederholt masturbiert, wirklich geholfen, wenn ihm beibringt, sich als Verbrecher zu fühlen, der schon mit einem Bein in der Hölle steht ? Bedarf es nur ständiger Drohung und des ständig schlechten Gewissens, um aus ihm eine geheiligte und gereifte Persönlichkeit zu machen ? Ist es wirklich das, was Jesus sagen wollte? Oder beweist diese Interpretation nur einen sicheren Instinkt für die Sexualität als ständig sprudelnde Quelle von Schuldgefühlen, die sich traditionsgemäß vortrefflich nutzen lassen ? Wer spricht eigentlich von seiner Würde und seinen Rechten, wenn er zeitlebens von seinem Gewissen niedergedrückt wird ? Wenn er vielleicht deshalb sogar seine Heilgewissheit und Glaubensfreude verliert ? Hier kann man wirklich von Perversität sprechen, indes nicht von sexueller Perversität, wohl aber von unmenschlicher, perverser, skrupelos seelenzerstörender Theologie. Die Verteufelung sexueller Phantasien scheint ein bestens bewährtes Mittel zu sein, um Jugendliche einzuschüchtern und von der unerreichbaren Heiligkeit der Gemeindeleiter zu überzeugen, die “diese Sünde” natürlich souverän im Griff haben. Dann braucht man über die Unreinheit, die mit miesen Tricks 188, mit Duldung von Unrecht 189 und mit Machtmissbrauch in der Gemeinde verbunden ist, nicht mehr zu sprechen. Das ist übrigens die Unreinheit, vor der die Bibel ganz besonders warnt. Als der Prophet Jesaja den heiligen Gott in einer Vision sah, rief er erschrocken: „Weh mir, ich bin verloren! denn ich habe unreine Lippen und wohne unter einem Volk mit unreinen Lippen; und als unreiner Mensch habe ich habe den König, den allgewaltigen Gott mit meinen Augen gesehen.“ (Jes 6,5). Seine Zunge war das Organ, das ihm seine Unreinheit und Unwürdigkeit besonders bewusst machte. Auch Jesus bezog den Begriff „Unreinheit“ in erster Linie auf die Zunge. „Er rief das Volk zu sich und sagte: Hört zu und begreift es! Was zum Munde eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht; sondern was zum Munde ausgeht, das verunreinigt den Menschen... 188 siehe „www.matth2323.de/miese-tricks/“. 189 Siehe Seite 179 ff. 75 Was aber zum Munde herausgeht, das kommt aus dem Herzen, und das verunreinigt den Menschen. Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken: Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsch Zeugnis, Lästerung. Das alles verunreinigt den Menschen.“ (Mt 15,10+18-20) Wer Macht missbraucht, braucht dazu miese Tricks 190 – und das sind in erster Linie Zungensünden. Wie selbstverständlich werden sie in vielen Gemeinden verwendet, um Einfluss und Macht zu sichern ! Wo ist denn da das sensible Gewissen geblieben ? Miese Tricks stehen im Widerspruch zu echter Freundschaft und aufrichtiger Liebe. Niemand will selbst so behandelt werden. Sie schaden daher der Gemeinde unmittelbar. Stehen manipulative Tricks mit der Würde und Berufung des Gläubigen zum König- und Priestertum in Widerspruch oder nicht ? 191 Kann man jemandem, der manipulative Tricks 192 gegenüber Mitchristen anwendet, wirklich glauben, wenn er beteuert, dass ihm „Reinheit“ oder “Ehrfurcht vor Gott” 193 ein besonderes Anliegen sei ? Vielerorts verbindet die Bibel den Begriff Unreinheit mit unfairem, ungerechtem Handeln. "Weil wir nun solche Verheißungen haben, meine Lieben, so wollen wir uns von der Verunreinigung des Leibes und Geistes reinigen und in der Heiligung und Ehrfurcht vor Gott Fortschritte machen. Seht, wie wir es machen: wir haben niemand Leid getan, wir haben niemand verletzt, wir haben niemand übervorteilt.“ (2.Kor 7,1-2). „Wascht und reinigt euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen, lasst ab vom Bösen; lernt Gutes tun, trachtet nach Recht, helft dem Unterdrückten, schafft dem Waisen Recht, führt der Witwe Sache.“ (Jes 1,16-17) „Jeder von euch wisse, wie er sein Gefäß erwerbe in Heiligung und Ehren, nicht in sexueller Gier wie die Heiden, die von Gott nichts wissen; und dass niemand zu weit greife und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn … Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung.“ (1.Thes 4,4-7) 190 191 192 193 siehe „www.matth2323.de/miese-tricks/“. siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#authorisierung“. siehe „www.matth2323.de/miese-tricks/“. siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#ehre“. 76 Die Gemeinde wird durch Duldung von Unrecht zwischen Geschwistern auf Dauer stark verunreinigt: ein Gottesdienst ist nach biblischer Ordnung eigentlich nicht mehr zulässig. “Was zertrampelt ihr meine Vorhöfe… ihr kommt zu den Festen zusammen, aber ich verabscheue sie… betet soviel ihr wollt: ich werde nicht zuhören… lernt wieder Gutes zu tun ! Setzt euch ein für eine gerechte Rechtsprechung, helft den Rechtlosen, den Witwen und Waisen gegen ihre Bedränger!” (Jes 1,12 ff) Angesichts der Tatsache, dass die nahezu “völlige Aushöhlung des christlichen Rechtsbewusstseins” (Prof Th. Schirrmacher) in evangelikalen Gemeinden weithin üblich geblieben ist, ist ein “ernsthaftes Bemühen um Reinheit” nicht glaubhaft. Der Eindruck drängt sich immer wieder auf, dass man nicht um der Reinheit oder Ehrfurcht vor Gott willen an einer rigorosen Verdammung des sexuellen Verlangens festhält, sondern weil sie ein erprobtes Instrument ist, um ein reformfreudiges Kirchenvolk, insbesondere Jugendliche in die Defensive zu drängen. Was die frommen Moralprediger im Privaten tun, wie ernsthaft sie tatsächlich sexuelle Askese praktizieren, bleibt unbekannt. Allen sichtbar und auch leicht zu ändern wäre die Gleichgültigkeit gegenüber Unrecht und die Änderung unfairer Strukturen – nämlich per Abstimmung in der Gemeindeversammlung. Doch es geschieht – wie bereits gesagt – fast nichts. Natürlich ist auch der Missbrauch der Sexualität Unreinheit. Wenn Paulus als Werke des Fleisches aufzählt „Hurerei (πορνεια), Unreinigkeit (ακαθαρσια), Ausschweifung (ασελγεια)“ (Gal 5,19), so sollten wir uns darum bemühen, den Missbrauch deutlich zu erkennen, auch wenn er in ganz unterschiedlichen Formen auftritt, auch wenn er vielleicht inzwischen in Gesellschaft oder sogar in der Gemeinde akzeptiert ist. Offenkundiger Missbrauch wird immer zum Nachteil einer Person sein, d.h. die Rechtssphäre berühren. Missbrauch ist schon eine triebhafte Grundeinstellung, die den Menschen antreibt, quasi „auf die Jagd“ zu gehen, um eine ergiebige „Jagdbeute“einzufangen. 77 Missbrauch ist, einen Partner zu suchen, um seinen Triebstau „legal“ entsorgen zu können, Missbrauch ist das Übertrumpfen eines Konkurrenten durch Herzeigen materieller Vorteile, Missbrauch ist das Ausnutzen der Unerfahrenheit oder Unwissenheit einer Partners, der den Entschluss zu Ehe vermutlich bald bereuen wird, Missbrauch ist das Ausnutzen des Leichtsinns oder der Abenteuerlust eines Menschen (1.Tim 3,6), Missbrauch ist die Verleitung zu sexuellen Beziehungen, die nach dem Neuen Testament unzulässig sind (Rö 1,27 / 1.Kor 5,1), Missbrauch ist das Anlocken und Begehrlich-machen eines Menschen , um ihn abzuweisen und sich an dessen Enttäuschung zu erfreuen, Missbrauch ist das Versagen ehelicher Hingabe, um materielle Leistungen vom Partner zu erpressen, Missbrauch ist Sexsucht in der Ehe, die den Partner überfordert, Missbrauch ist die Inanspruchnahme erotischer Dienstleistungen sowie natürlich auch Seitensprünge („Fremdgehen“) und unverbindlicher Sex („für eine Nacht“). Auch der Bruch des Treueversprechens und der Wechsel zu einem neuen Partner, der mehr materielle Vorteile bietet, gehört zum Missbrauch der Sexualität. Ob eine erotische Phantasie nun bloße Unvollkommenheit oder schlimme Sünde ist, wird immer umstritten bleiben. Tatsache ist: wenn man beginnt, auf miese Tricks in der Gemeinde zu achten, so wird man bald erstaunt feststellen, wie groß die Toleranz für Unreinheit dieser Art in vielen „bibeltreuen“ Gemeinden ist. Das Wort Jesu vom „Mücken aussieben, aber Kamele verschlucken.“ (Mt 23,24) passt hier sehr gut. Schon aus diesem Grunde wirkt der Versuch, sexuelle Perfektion durch Androhung der Höllenstrafe zu erzwingen, sehr fragwürdig – zumal über die unbedingt notwendige Abgrenzung zur Werkgerechtigkeit kaum oder gar nicht nachgedacht wird. Muss man blind gegenüber der Tatsache sein, dass vorehelicher Geschlechtsverkehr unter Jugendlichen längst zur „Norm“, zum „Selbsterfahrungsangebot“ geworden ist und auch für die Jugendlichen in der Gemeinde eine große Verführung darstellt? Entsprechend groß ist die Bedeutung, die der Masturbation einschließlich erotischer Phantasien als Entlastungsmöglichkeit zukommt. Masturbation hat eine deutlich vorbeugende Wirkung. 78 Und Vorbeugung ist die Absicht Jesu hinter den durch die Formel „Ich aber sage euch“ eingeleiteten Verboten des Hassens, des Schwörens und des Ehebrechens (Mt 5, 21 ff) Das Denken perfektionistisch orientierter Bibelausleger ist von Angst bestimmt. Angst macht blind, blind auch für die kontraproduktive Wirkung der verschrobenen Bibelauslegung. Nur das sterile, perfektionistische Ideal interessiert, das aus dem Buchstaben der Bibel heraus konstruiert wurde und am lebensfördernden Sinn der Bibel (Mt 4,4) vorbeigeht. Welche Früchte hat denn die exzessive Sexualitätsfeindlichkeit der katholischen Kirche zustande gebracht ? Ist der Klerikerstand dadurch etwa reiner und heiliger geworden ? Daniel Bühling, der die Ausbildung zum Priester machte, berichtete darüber dass in etlichen Priesterseminaren gut die Hälfte aller Anwärter homosexuelle Neigungen zu erkennen gab. Er wollte mit seinen Vorgesetzten darüber sprechen, aber man wollte davon nichts hören und riet ihm, das Seminar zu verlassen. 194 Im Priesterseminar St.Pölten fand die Kripo insgesamt 11 000 Bilder von “unglaublicher Abartigkeit”, darunter angeblich Vergewaltigungsszenen mit Kleinkindern, Sex mit allerlei Getier und immer wieder homoerotische Szenen, die aus dem Internet von Seminaristen heruntergeladen wurden. Der zuständige Bischof bagatellisierte den Vorfall und behinderte immer wieder die Aufklärung des Vorfalls. 195 Andernorts werden immer wieder Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt. Die Täter werden nicht vom Dienst entlassen, sondern in eine andere Pfarrei versetzt, wo sie wiederum mit Jugendlichen zu tun haben (!), die Opfer werden nur unter öffentlichem Druck angehört, und selten angemessen entschädigt. Die Missachtung des Rechts wird ständig weiter und nahezu reuelos betrieben. Sie verunreinigt die Kirche permanent – und zwar weitaus mehr als wenn ein Jugendlicher ab und zu seinen Triebstau durch Masturbation erleichtert. Jesus warf den “Schriftgelehrten” vor, dass sie “Kamele verschluckten, aber Mücken aussieben” wollten (Mt 23,24) Nachdem wir die skandalösen “Kamele” betrachtet haben, werden wir kurz noch einmal den Blick auf ein paar theologische “Mücken” werfen 194 Daniel Bühling, Das 11. Gebot: Du sollst nicht darüber sprechen. Dunkle Wahrheiten über das Priesterseminar, München, 2014. 195 Stern-Artikel vom 19. Juli 2004. 79 Etliche Gläubige begründen das Masturbationsverbot mit der Pflicht des Christen, „selbstlos“ zu sein. Masturbation sei schon deshalb „Sünde“, weil sie „auf die eigene Person und nicht auf den Partner gerichtet“ ist. Mit anderen Worten, der Gläubige sündigt nur deshalb nicht beim sexuellen Erlebnis, weil sein Motiv allein die Förderung der Lust des Ehepartners sei ! Wie blind, wie realitätsfremd und scheinheilig ist diese Argumentation, die auf den ersten Blick so „heilig“ aussieht und immer wieder gedankenlos nachgeplappert wird! Auch der nach biblischen Maßstäben untadelige Geschlechtsverkehr nicht ohne ein deutliches sexuelles Eigeninteresse vollzogen., das sich u.a. in den lebenslangen finanziellen Verpflichtungen widerspiegelt, die mit einer Ehe verbunden sind und gewöhnlich nur für diesen Zweck investiert werden. Gibt es tatsächlich verheiratete Gläubige, die das Bedürfnis nach sexueller Vereinigung mit ihrem Partner entrüstet als sündige Versuchung von sich weisen, weil sie bei sich ein bisschen „sexuelles Eigeninteresse“ feststellen ? Gibt es tatsächlich Prediger, die vor dieser furchtbaren „Verunreinigung“ in der Ehe warnen ? Warum ist man denn hier so merkwürdig stumm, wenn sexuelles Eigeninteresse „sündig“ ist ? Dieses Eigeninteresse ist folglich nicht nur bei der Masturbation, sondern genauso innerhalb der Ehe erlaubt und neben diesem Eigeninteresse hat auch das Interesse am Partner und die Rücksichtnahme auf ihn Bedeutung. Lassen wir die Bibel zu Wort kommen. Was sagt Paulus dazu? Dein Begehren, lieber Christ, ist höchst einseitig, und deshalb gefährliche, verdammenswerte Sünde? Im Gegenteil, er empfiehlt dem anderen Partner - wo immer es ihm emotional möglich ist - großzügig zu sein und sich nicht zu versagen. Er empfiehlt, dass sich „nicht ein [Partner] dem anderen entziehen“ soll. (in 1Kor 7,5) Das kann ja nur bedeuten, dass eben nicht beide wollen, dass nur einer will. Und das soll nun der „Selbstlose“ sein, der nur die Befriedigung seines Partners im Sinn hat? Das ist doch das genaue Gegenbeispiel! Ob es dem „Schriftgelehrten“ weiterhilft? Indem „strenggläubige“ Christen immer wieder das Märchen von der Sexualität als selbstloser Glanzleistung erzählen, machen sie dem Gläubigen auch noch die Freude am erlaubten Geschlechtsverkehr kaputt. Sie kann ja nichts anderes als verwerflicher Egoismus sein. 80 Auch die bereits zitierte Behauptung, der Gläubige würde mit sexuellen Phantasien einen Menschen „entwürdigen“ und „zum Objekt degradieren“ oder gar ihre „Gottesebenbildlichkeit“ zerstören, hat ein ähnliches Niveau. Mit ein wenig gesundem Menschenverstand kann man eigentlich erkennen, dass Phantasie und Realität zwei voneinander weitgehend unabhängige Bereiche sind und die Gesetze, die in der Realität gelten, nur sehr begrenzt für die Phantasie gültig sind. Der Gläubige kann durchaus in seiner Phantasie eine Torte, die im Schaufenster eines Konditoreigeschäftes zu sehen ist, genussvoll verspeisen, ohne sich hinterher auf dem Polizeirevier wegen Diebstahls anzeigen zu müssen. Und wenn der Gläubige in seiner Phantasie nach Israel reist und sich ohne Pass ins Land begibt, hat er damit gegen gültige Passbestimmungen verstoßen? Muss er dann anschließend zum Passamt, um seinen Pass nachstempeln zu lassen? Oder wenn er sich vorstellt, als Kapitän vor der Küste von Kanada zu fischen, obwohl dort zur Zeit ein Fangverbot gilt, hat er damit gegen geltendes Seerecht verstoßen? Auch wenn er sich diese Fische, die er in seiner Phantasie dort gefangen hat, nach Farbe, Form und Geruch sehr realistisch vorstellt, kann er sie leider nicht zurückgeben und muss es auch nicht. Eine sexuelle Phantasie, die um ihrer selbst willen genossen wird, bezieht sich sowenig auf eine konkrete “Person”, wie sich die anderen Phantasien auf einen konkreten Pass oder einen konkreten Fisch beziehen. Die Phantasie erschafft für die begehrte Frau eine fiktive Zwillingsschwester, die ihr bis aufs Haar genau gleicht und stellt sich schöne Szenen vor, die mit dieser nicht existierenden Zwillingsschwester zusammen erlebt werden. Wie kann man dadurch ein “Recht” einer konkreten Person verletzen ? Nicht einmal ein “Copyright” auf die äußere Erscheinung gibt es. Die Panik, man hätte irgendeine konkrete Person “erniedrigt und misshandelt”. wenn man sich mit einer gedanklichen Kopie romantische Szenen einer Ehe einschließlich des sexuellen Erlebnisses in der Phantasie vorstellt, ist überflüssig und absurd. Auch die Diskussion, ob nur ledige Gläubige solche Phantasien haben dürfen, ist überflüssig. Einer fiktiven „Zwillingsschwester“ kann keine Zeit bzw. jede fiktive Zeit zugeordnet werden, also auch eine Zeit vor der Eheschließung. 81 Wichtige Ausnahme: wenn die Phantasie von Überlegungen begleitet ist, wie man eine tatsächliche (!) unerlaubte sexuelle Beziehung herstellt, dann ist die Rechtssphäre berührt. In diesem Fall darf der Gläubige nicht fahrlässig sein. Um das Hineinrutschen in den Ehebruch zu verhüten, sollte er seine Phantasie sofort stoppen, denn die Folgen können verheerend sein.. Für alle drei Beispiele, das Beleidigen, das Schwören und der Flirt mit der Frau, die zu jemand anderem gehört, gilt die abschließende Warnung Jesu: Fahrlässigkeit ist so gefährlich, dass mancher im Blick auf die Folgen sagen wird: hätte ich mir doch besser rechtzeitig mein Auge, die Hand herausgerissen ! Sehen wir einmal genau hin ! Im ersten Beispiel warnt Jesus vor dem beleidigenden Wort. Man nennt den anderen „Idiot“ (Mt 5,22), weil er sich nicht den eigenen Vorstellungen gemäß verhalten hat. Man ist enttäuscht und kritisiert nicht das Verhalten, sodass der andere als Mensch, als Bruder im Blick bleibt. Stattdessen wird er als minderwertig „eingestuft“. Man sieht in ihm letztlich nur ein störendes „Objekt“, das zur Seite treten soll. Der Beschimpfte ist verletzt und wehrt sich. Das wiederum verletzt den Beleidiger, der sich im Recht fühlt und seine Überlegenheit mit schärferen, noch beleidigenderen Worten behaupten muss. So eskaliert die Situation. Am Ende sieht man im Bruder den Gottlosen, man wünscht ihm die Hölle. Manchmal ist auf diese Weise tatsächlich eine lebenslange, unheilbare Feindschaft entstanden, in der jeder versucht, dem anderen nach Kräften zu schaden: die Hölle auf Erden. Wie heilsam ist da der Rat Jesu: schimpfe nicht fahrlässig! Ja, sei noch wachsamer und hüte dich schon vor dem Zorn über den Bruder, der sich in dir regt und die Herrschaft ergreifen will. Er hätte auch sagen können: beiße dir auf die Zunge! Oder schärfer noch: hättest du dir doch rechtzeitig die Zunge herausgerissen! Jakobus nennt die Zunge 196 das Organ, das „vom Feuer der Hölle entzündet ist“. (Jak 3,6) Dennoch ist Zorn nicht immer etwas Böses. Jesus wurde zornig (Mk 3,5 / Joh 3,14 ff). Auch der Apostel Paulus konnte zornig werden (Apg 17,16). In der Offenbarung bitten die Märtyrer Gott, das Unrecht, das ihnen angetan wurde zu rächen, und Gott kritisiert diesen Wunsch nicht als lieblos oder gehässig, sondern erfüllt ihn. (Offb 6,10) 196 Siehe unter „Was ist Irrlehre ?“, Nr.2 („www.matth2323.de/irrlehre/#zunge“). 82 Jesus griff die Pharisäer an und identifizierte sie als „Heuchler“ (Mt 23,14), „Narren“ (V.19), „getünchte Gräber“ (V.27) und „blinde Blindenführer“. (Mt 15,14), um vor ihnen zu warnen. Der Apostel Paulus redete den Zauberer Elymas, der die Bekehrung des Statthalters zu verhindern versuchte, als “Kind des Teufels“ an (Apg 13,10) Paulus identifizierte die Prediger der Werkgerechtigkeit als „Hunde“ und „bösartige Mitarbeiter“ (Phil 3,2), vor denen sich die Gemeinde zu hüten habe. Wir sehen daran, dass das perfektionistische Ideal der totalen Reinheit von Zorn und negativen Gefühlsaufwallungen bei Jesus gar keine Rolle spielt. Die Schärfe der Formulierung macht nur deutlich, wie überaus wichtig Jesus die Vorbeugung ist. Wer das nicht einsehen kann, dem müssen wir das Wort Jesu entgegenhalten: „Andererseits steht auch geschrieben…“ (Mt 4,4) Im zweiten Beispiel, in dem Jesus vor dem leichtfertigen Schwören warnt, geht es immer noch um den Missbrauch der Zunge. Auch hier stellen wir durch Vergleich mit anderen Bibelstellen fest, dass ein perfektionistisches Ideal, nämlich der gänzliche Verzicht auf das Schwören, gar keine Rolle spielt. Andernorts hat Paulus sich mit einer Eidesformel auf Gott berufen, wenn ihm die Sache wichtig genug erschien: „Gott ist mein Zeuge!“ (Rö 1,9 / 2.Kor 1,23 / Phil 1,8 / 1.Thes 2,5) Nun wird von gläubigen Christen kaum oder gar nicht mehr geschworen, sodass man auf die Idee kommen könnte, dass sich diese Warnung nur auf eine uralte Unart der Pharisäer bezieht, die heute keine Bedeutung mehr hat. Ein folgenschweres Missverständnis ! Schwören ist ja nichts anderes als der leichtfertige Gebrauch des Namens Gottes, für den schon das Zehngebot besondere Bestrafung androhte (2.Mo 20,7). Wie sehr hatten die Apostel doch gegen schlechte Hirten zu kämpfen, die die Gemeinde ausnutzten (2.Kor 11,20), sich als über den anderen stehend ansahen (10,12) oder gar ein anderes Evangelium verkündigten, das besser mit der damals gültigen mosaischen Tradition harmonierte. (11,4) ! „Die Gemeinde Jesu geht nicht an der Anfeindung von außen, sondern an der Fülle der unberufenen Prediger zugrunde“. Ein wahres Wort! Was ist das für eine Verantwortung, wenn jemand mit seiner Predigt Gläubige zu einem kraftlosen und fruchtlosen Glauben verleitet (Tit 1,16 / Offb 3,16)., wenn er den schmalen Weg breit macht, um möglichst viele „Bekehrte“ vorzeigen zu können. 83 Jesus warnt im Zusammenhang mit dem Missbrauch des göttlichen Namens nicht vor der Hölle, denn Prediger sind ohnehin einem “strengerem Urteil” unterworfen. (Jak 3,1). Wenn vor der Hölle schon anlässlich der Beschimpfung gewarnt wird, dann wird sie auch bei missbräuchlicher Predigt eine Rolle spielen. Von den Pharisäern und Schriftgelehrten sagt Jesus, dass sie die Menschen, die sie bekehren, „zu Anwärtern auf die Hölle machen“ (Mt 23,15) Andererseits wird der Gläubige ermutigt, Gott zu bezeugen, und Menschen auf den Glauben hinzuweisen. „Die vielen Menschen den Weg zur Gerechtigkeit gezeigt haben, werden leuchten wie die Sterne für immer und ewig“ (Dan 12,3) Es ist wunderbar, im Himmel Menschen zu treffen, die mit Hilfe des eigenen Dienstes dorthin gekommen sind. (Hebr 2,13) Wie freute sich die Apostel über jeden, dem sie den Weg zu Jesus zu zeigen konnte. Über all diese Menschen freuten sie sich, wie sich ein Vater über seine Kinder freut (1.Kor 4,14 / 2.Joh 1,1 / 3.Joh 1,4). Da es zu den beiden vorangegangenen Maßnahmen trotz der schroffen und absolut klingenden Formulierung Ausnahmen gibt, so ist nicht einzusehen, dass nun bei dem dritten Verbot, nach der Frau des Nächsten zu streben, ein perfektionistisches Ideal hineingelesen werden muss bzw. keine Ausnahmen geben kann. Jesus selbst nennt im Zusammenhang mit dem Scheidungsverbot eine Ausnahme, die für eine vorbeugend wirkende “Gemeindezucht” 197 große Bedeutung hat. Auch bei dem Thema “Ehebruch” geht es wieder um Vorbeugung. Natürlich ist es denkbar, dass eine Phantasie ohne weitere Vorbereitung direkt in die Tat der Vergewaltigung umschlägt. Auch das gibt es. Doch dieser Spezialfall bleibt in diesem Text ganz außer Betracht. Hier geht es um das „Erwerben“, das vielleicht sogar den Schein der Ehrbarkeit haben kann. Dazu ist sind viele kleine Schritte zu gehen. Immer wieder ist eine neue Entscheidung zu fällen, damit der Wunsch Realität werden kann. Man überlegt sich und versucht es herauszubekommen: was sind die Interessen der Frau? Findet sie ihren Mann noch attraktiv? Hat er irgendeine Verhaltensweise, die sie erheblich stört ? Wie kann man sich als attraktive Konkurrenz präsentieren ? 197 Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#zucht“. 84 Wie kann man mit ihr in Kontakt kommen, ihre Aufmerksamkeit erwecken? Welche Möglichkeiten gibt es, häufig in ihrer Nähe zu erscheinen ? Wie kann man sich am besten mit dem Mann anfreunden, um in die Position eines „Hausfreundes“ zu gelangen ? So geht es weiter und weiter. Die Phantasie ist längst zur Obsession geworden. Was kann am Ende stehen? Vielleicht die Zerstörung der Ehe, vielleicht sittliche Verwilderung der Kinder, vielleicht unheilbare Depression, vielleicht Selbstmord, vielleicht die lebenslange Schande, mit seiner Geilheit einen Menschen ruiniert zu haben, vielleicht ein für immer verkrüppeltes Glaubensleben und Liebesunfähigkeit. So mancher wird Jesus im nachhinein zustimmen: der Verlust eines Auges wäre besser für mich gewesen als diese Hölle. Es obliegt nun der Verantwortung des einzelnen, ehrlich gegenüber sich selbst zu sein. Bringt mich die Phantasie zu diesen kleinen praktischen Überlegungen oder ist sie eher eine Entlastung des sexuellen Triebstaus ? Im ersten Fall ist sie gefährlich und sofort abzustellen. Im zweiten Fall macht es keinen Sinn, sich perfektionistischer Selbstzerfleischung hinzugeben. Diese Selbstquälerei bringt überhaupt keine geistlichen Früchte zustande. Genau so schlimm wie die ständige Erpressung durch das schlechte Gewissen ist die positive Version der Werkgerechtigkeit. Man hätte dank seiner Selbstbeherrschung Grund, “sich zu rühmen” (Eph 2,9) und würde sich über andere stellen, die weniger erfolgreich sind. “Lieber Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie…” (Lk 18,11). Gerade damit würde man sich besonders schwer versündigen und den Wahn vom eigenen Beitrag zu Erlösung fördern. Alles, was nicht aus der Liebe kommt, ist Sünde. (1.Kor 13,1 ff) Damit nicht der Teufelskreis der Werkgerechtigkeit in Gang gesetzt wird, müssen wir zwischen wirklicher Sünde und dem, was unvollkommen und unter Gottes Geduld ist, unterscheiden. Fasten um des Reiches Gottes willen ist gut und mit besonderen Erfolgen gesegnet (Mt 17,21). Dennoch kann man Fasten nicht erzwingen. Auch dass der Gläubige alles verschenkt, was er hat, lässt sich nicht erzwingen, obwohl es natürlich gut wäre, möglichst vielen Menschen zu helfen. 85 Er darf in der Freiheit Gottes Geduld leben. 198 Gottes sich frei entscheiden und ohne Furcht unter Dasselbe gilt für sexuelle Phantasien. Würde man eine sexuelle Phantasie, die um ihrer selbst willen genossen wird und nicht die Rechtssphäre berührt, als Sünde werten, so wäre damit bei vielen Gläubigen an Reinheit nichts gewonnen. Stattdessen würde wieder und wieder Werkgerechtigkeit die Seele verschmutzen und vergiften. Wenn wir zur Werkgerechtigkeit nur dann eine klare Abgrenzung ziehen können, wenn wir solche Phantasien als bloße Unvollkommenheiten unter Gottes Geduld bewerten, so müssen wir dies tun. Denn wir müssen “in der Freiheit, zu der Christus seine Jünger befreit hat, bestehen“. Wir dürfen uns „nicht wieder unter das knechtische Joch begeben” (Gal 5,1). Ob das Joch “knechtisch” genannt werden muss, das können wir an den Früchten erkennen - an der Wirkung auf die Seele, auf den Charakter und das geistliche Leben. Werkgerechtigkeit 199 ist heilsgefährliche Unreinheit. Das ist unumstößliche Tatsache, obwohl sie stets unter der Maske bewunderswerter “Heiligkeit” auftritt. Alles, was aus diesem Motiv getan wird, ist destruktiv. Es sind „tote Werke“, über die Gottes Wort sagt: „Wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst ohne allen Fehl durch den ewigen Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen reinigen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott!“ (Hebr 9,14) “Charakterfestigkeit ist eine wunderbare Eigenschaft” (Hebr 13,9). Doch wie kommt sie zustande ? Durch Einschüchterung, Angst vor Strafe, verbissene Willenskraft, durch genügend schlechtes Gewissen ? Nein. “Das geschieht nur durch GNADE“. Aus all diesem kann man auch einen Umkehrschluss ziehen und damit auch dem Gebot in seiner strengsten Form, so wie es Hiob verstand, einen übergeordneten und lebensfördernden Sinn (Mt 4,4) verleihen: gerade weil das Verbot “nicht begehrlich auf eine junge Frau zu blicken“(Hiob 31,2-4) so sinnlos und der menschlichen Natur so zuwider ist, gerade weil es eine solche unverständliche Zumutung ist, ist es trotzdem eine Gelegenheit, Gott Vertrauen zu beweisen. 198 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. 199 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. 86 Paulus redet davon, dass er “seinen Leib betäubt und zähmt, um nicht den anderen zu predigen, und selbst zu versagen.” (1.Kor 9,27). Zweifellos ist freiwillige (!) sexuelle Enthaltsamkeit ein äußerst hilfreiches Mittel, um sich aus der Verstrickung durch das Materielle zu lösen. “Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist.” (Kol 3,2) Sie wird auch besonders belohnt, denn sie ist ja ein Vertrauensbeweis. Im Alten Testament gibt es dazu eine Parallele. Gott lobt das Verhalten der Rechabiter, die allein deshalb auf Weingenuss verzichten, weil es ihr Stammvater geboten hat und Er belohnt ihre Treue. (Jer 35) Freiwillige sexuelle Enthaltsamkeit ist zudem ein Schutz vor der Gefahr der Sexsucht, die der charakterlichen Entwicklung schadet. “Alles steht mir frei, aber nicht alles ist förderlich. Alles ist mir erlaubt, aber ich darf mich von nichts beherrschen lassen.” (1.Kor 6,12 NeÜ) Jesus will, dass seine Jünger freie 200 Persönlichkeiten werden. Ihre Seele soll stark und gesund und fähig zur Selbstdiziplin sein. Das freiwillige Zurückdrängen sexueller Bedürfnisse wirkt sich zweifellos sehr positiv auf das geistliche Wachstum aus – ebenso wie jede andere Einschränkung, die man aus Liebe zu Jesus, seinem Meister, auf sich nimmt. Das ist eine unumstößliche Tatsache: Je mehr man in den Glauben investiert, desto kostbarer wird er. Das Kennzeichen starker Liebe ist freudige Hingabe. Dieses Ziel sollte kein Christ verpassen! Denn die Alternative ist ein verkümmernder und kranker Glaube. Gesunder Glaube lässt sich von der Frage leiten: “Womit kann ich meinem Herrn und Retter am meisten Freude machen ?” Wie freut es Jesus, wenn seine Kinder erkennen, dass das unsichtbare Reich Gottes viel mehr Aufmerksamkeit und Interesse verdient als alle materiellen Güter ! Ihm Freude machen wollen, kann aber nur der, dem der Glaube selbst Freude macht. Ein gequältes und überfordertes Gewissen kann diese Frage nicht stellen. 200 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. 87 Dieses Ziel wird auch durch eine Gemeindeleitung untergraben, die ihre Macht missbraucht, sich an der Unmündigkeit und Abhängigkeit der Gläubigen nicht stört und ihnen die Rechte 201 selbstherrlich verkürzt, die sie gemäß der Bibel haben sollen. 5. Behauptung: “Je mehr du für Gott an Geld und Zeit opferst, desto mehr wirst du in diesem Leben an materiellem Wohlstand zurückbekommen.” Das ist doch der wortwörtliche Sinn des folgenden Bibelwortes ! “Bringt mir den Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf dass in meinem Hause Speise sei, und prüft mich hierin, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle.” (Mal 3,10) Mit Segen darf der Gläubige rechnen. Daran ist nicht zu zweifeln ! Doch wie sieht dieser Segen aus ? Wird er in klingender Münze ausgezahlt ? Soll man wirklich glauben, dass Gott hier an Habgier und Geldliebe appelliert und dem auf materiellen Wohlstand fixierten Gläubigen, der sein Geld inzwischen in Immobilien, Wertpapieren, Edelmetallen, Versicherungen usw. angelegt hat, eine weitere lukrative Anlagemöglichkeit schmackhaft machen will: die Einzahlung auf die Himmelsbank als “todsicherer Tip”, um noch mehr Geld in die Kasse zu bekommen ? Kennt man Jesus wirklich so schlecht ? Lässt er sich wirklich vor den Karren eigensüchtiger und primitiver Wünsche spannen ? Er, der seine Jünger eindringlich ermahnte, sich “nicht Schätze auf Erden zu sammeln, die von Dieben gestohlen werden können” (Mt 6,19), und sie warnte “Hütet euch vor Habsucht, denn niemand lebt davon, daß er viele Güter hat” (Lk 12,15) und darauf das Gleichnis vom reichen Kornbauern erzählte ? Es ist schlecht, wenn der Gläubige Menschen Freundlichkeit erweist und das Motiv nicht Liebe sondern frommer Eigennutz ist. Soll Gott das wirklich noch belohnen? 201 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#authorisierung“. 88 Mit dem Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner (Lk 18,10) zeigt Jesus: der Pharisäer, der mit seinem Zehntenopfer prahlt und mit Belohnung rechnet, verliert am Ende alles, selbst die Gerechtigkeit vor Gott! Welch schrecklicher Irrweg! Wie seltsam, dass so viele Gläubige es nicht erkennen können: Auch diese (optimistische) Form der Werkgerechtigkeit ist völlig wertlos, ja sogar schädlich. Diese Einstellung ist von der echten Liebe, die uneigennützig und ohne Berechnung ist (1.Ko 13,5), weit entfernt. (Lk 18,10 ff) Sie verdirbt den Charakter, macht berechnend und sicherlich niemanden froh. Werkgerechtigkeit ist Aberglaube. Der “Gläubige” ist der Überzeugung, den allmächtigen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, durch sein Verhalten zum eigenen Vorteil beeinflussen und lenken zu können. Genauso gut kann man sagen, der Gläubige versucht, sich den Schöpfer des Universums mit Wohlverhalten zu kaufen. Werkgerechtigkeit ist immer ein frommer Handel. Wenn man sich – wie gewünscht wird – verhält, dann – so glaubt man, erwirbt man einen Anspruch auf die Gegenleistung Gottes, die in diesem Leben in materiellem Glück und nach dem Tode im Erwerb der ewigen Glückseligkeit besteht. Selbstgeschaffene “eigene Gerechtigkeit” wird leider von etlichen Gläubigen gar nicht als Sünde erkannt – besonders wenn die Gemeindelehre an diesem Punkt blind ist. Naiv glaubt man, dass der Wille nicht vom Sündenfall vergiftet worden sei, sondern eine “neutrale Zone” geblieben sei. Manche Gläubige halten sogar die “emotionale Zone” für neutral. Nur die Verstandeskraft soll tief gefallen und verdorben worden sein, weshalb man sich auch wünscht, dass Gläubige den Verstand sparsam benutzen 202 und Theologen und der Tradition “in blindem Vertrauen folgen“ (Mt 15,14) . Eine wahrer Aberglaube des guten Willens, dessen Verstrickung in sündige Motive nicht durchschaut wird. 202 Siehe Seite 166. 89 Optimistische Werkgerechtigkeit ist auch deshalb gefährlich, weil sie – bei plötzlicher Selbsterkenntnis – in Pessimismus 203, Verzweiflung und Angst um das Heil übergehen kann. Die Kirche hat ständig hohen Geldbedarf, und da interessiert das Faktum , dass genug Geld kommt, mehr als die Frage, auf welche Weise es zusammengekommen ist. Verständlicherweise wird nur sehr zurückhaltend oder gar nicht vor einer werkgerechten Motivation beim Geben gewarnt. Etwaige Bedenken lassen sich sehr leicht mit der Berufung auf die wortwörtliche Interpretation von Mal 3,10 zum Schweigen bringen. Unlängst verkündete es wieder ein Fernsehprediger: “Ich hab noch nie gesehen, dass jemand Gott gerne geopfert hat und nicht von Gott materiell belohnt worden ist. Geben zahlt sich immer aus, vorausgesetzt dass der Gläubige ein Leben im Gehorsam gegen Gott lebt.” Nun, das klingt sehr glaubensstark und entspricht sicher auch dem wortwörtlichen Verständnis von Mal 3,10. Doch wenn er noch nie gesehen hat, dass gebefreudige und treue Christen finanziell ärmer werden können, dann hat er wirklich noch nicht viel gesehen in seinem Leben. Oder er hat weggesehen, bei allem, was nicht zur eigenen Ansicht passte. Treue Christen werden genauso von Erdbeben betroffen und ruiniert wie ihre nicht-christlichen Nachbarn. Viele Christen in Nigeria z.B. sind genauso von Dürrekatastrophen und Missernten betroffen wie ihre nicht-christlichen Nachbarn. Ob sie viel oder wenig geben – sie werden durch ihre Gaben nicht in den Wohlstand katapultiert. (Worin der Segen besteht, wird im Kommentar zur nächsten Behauptung ausgeführt.) Natürlich steht auch hierfür eine theologische “Erklärung” bereit: wenn die Verheißung des Segens nicht erfüllt worden ist, wenn Christen leiden, hungern oder verhungern – dann haben sie eben heimliche Sünde in ihrem Leben geduldet und sind zu wenig gehorsam gewesen…” 203 Siehe „Zerrbilder der Heiligung“, Seite 203. 90 Tatsächlich ? Eine “Erklärung”, die umstritten bleiben wird. Manchem erscheint sie sehr plausibel, andere – die sich besser informieren – werden sie als unbarmherzig und unfair empfinden. Der Gläubige hört gerne Botschaften, die hohe Erwartungen wecken. Wenn es doch so einfach wäre, dass Gott das Opfer von Zeit und Geld schon in diesem Leben mit reichem materiellem Segen, beruflichem Erfolg und Erfüllung der eigenen Wünsche belohnt ! Mit diesen Erwartungen kann so manche Kirche Kasse machen, da negative Berichte über enttäuschte Hoffnungen als Beweis für die Sündhaftigkeit des Betroffenen gesehen werden und deshalb nur selten zur Sprache kommen. Und selbst wenn es viele ehrlich bekennen würden, man würde sie nicht anhören. Besonders unverfroren trieb es ein Prediger, der auf seinem Werbeprospekt einen speziellen Segen versprach, falls die genannte Spende bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf seinem Konto eingegangen sei. Was sagt die Heilige Schrift? “Etliche Gläubige haben die Erfüllung des göttlichen Versprechens zu Lebzeiten nicht erlebt.” (Hebr.11,39) Gott lässt sich nicht manipulieren. Jesus lässt sich nicht kaufen ! Seine Ehre und Würde wäre dadurch beschmutzt. Doch mit dem Segen, darf der Gläubige, der mit dem Motiv der Liebe und Barmherzigkeit gibt, fest rechnen. Jesus versicherte, dass Gott Treue belohnt. (Luk 19,12 ff). Berechenbar ist die Belohnung nicht. Sie ist wie das geistliche Leben “in Gott verborgen.” (Kol 3,3) Am Ende wird man es sehen: Gott macht einen “Unterschied zwischen dem Gläubigen, der ihm treu gedient hat, und dem, der es nicht tat.” (Mal 3,18) So kann der Gläubige uneigennützig lieben um der Liebe willen, ohne dabei auf den Lohn und den eigenen Vorteil zu schielen. Ihm genügt die pauschale Verheißung, dass Gott eines Tages dafür sorgen wird, dass er am Ende nicht der Dumme ist. 91 6. Behauptung: Wer seiner Gemeinde nicht den Zehnten seines Einkommens spendet, ist verflucht und wird mit finanziellen Einbußen rechnen müssen. Steht das nicht wörtlich in der Bibel? “Ist’s recht, daß ein Mensch Gott täuscht, wie ihr mich täuscht? Ihr entgegnet: “Womit täuschen wir dich?” Ich sage euch: Am Zehnten und Hebopfer. Darum seid ihr auch verflucht, dass euch alles unter den Händen zerrinnt; denn ihr täuscht mich allesamt. Bringt mir den Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf dass in meinem Hause Speise sei, und prüft mich hierin, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle.” (Mal 3,10) Und doch ist das wörtliche Verständnis kurzschlüssig und falsch. Geben, um materieller Vorteile oder Nachteile willen, das ist Werkgerechtigkeit. Es ist der Versuch, Gott zu manipulieren und für die eigenen Ziele einzuspannen. Dieses Verhalten ist Sünde. Es entehrt Gott und entwürdigt den Nächsten. Das kann man gar nicht genug betonen. Nicht aus Liebe und Erbarmen hilft man dem Nächsten aus der Not: er ist nur Mittel zum Zweck. Die Wirkung der Werkgerechtigkeit auf den Glauben ist immer destruktiv, egal ob sie nun eine optimistische Form 204 oder – wie hier – eine pessimistische Form annimmt. In beiden Fällen wird der Sinn des Textes verdreht. Diese falsche Auslegung richtet den Blick wiederum auf das Materielle, das zeitlich verzögert als Belohnung für das Opfer eintreffen soll. Der eigentliche wohltuende Sinn des Gebotes wird dadurch zerstört. Der Gläubige erhält die 10 % in der Tat am Ende zurück – aber in veredelter Form. Indem er notleidenden Menschen hilft und ihnen Erleichterung, Befreiung, Dankbarkeit und Freude verschafft, erreicht diese Freude auch ihn. Er lebt “viele Leben.” Das ist der Sinn des Gebotes im Alten Testament. 204 Siehe die 5.Behauptung “Je mehr du für Gott ... opferst, desto mehr wirst du in diesem Leben an materiellem Wohlstand zurückbekommen.“, Seite 88. 92 Umgekehrt wird das Herz eines Menschen, der alles für sich selbst verbraucht, hart und gefühllos. Er hat keinen Anteil an der Freude, die der Notleidende empfindet, wenn ihm geholfen wird. Er lebt nur ein einziges Leben: sein eigenes. Den Mangel an Freude versucht er auszugleichen, indem er sich massenhaft Genuss verschafft. Irgendwann stellt er fest, dass dieser Ausgleich nicht funktioniert. Die Bibel nennt das “Unsegen” oder “Fluch”. Hat das Gebot des Zehnten noch eine Bedeutung für die neutestamentliche Gemeinde ? Durch den Apostelkonvent werden alle jüdischen Gebote aufgehoben bis auf vier Ausnahmen (Apg 15,28-29), an denen man festhielt, um den Judenchristen in der Gemeinde nicht unnötig Anstoß zu bieten. Das heißt: als Gebot spielt der Zehnte für die neutestamentliche Gemeinde keine Rolle mehr. Doch nicht wenige Christen nehmen ihn gerne als Anregung, wenn sie regelmäßig Werke und Missionare unterstützen. Die Behauptung einer Gemeindeleitung, Gott würde es bestrafen, wenn nicht 10% des Einkommens an sie abgeliefert werde, entbehrt jeder biblischen Grundlage. Gläubige sollen ihre Prediger unterstützen und nicht materielle Not leiden lassen. “Der aber unterrichtet wird mit dem Wort, der teile mit allerlei Gutes dem, der ihn unterrichtet.” (Gal 6,6) Das ist nur fair. Doch von einem bestimmten Betrag oder Prozentsatz, der gezahlt werden muss, steht dort nichts. Eine alleinerziehende Mutter, die kaum Geld für ihre Kinder hat, handelt angemessen, wenn sie alles verfügbare Geld ihren Kindern zukommen lässt. Geld, das die Kinder brauchen, der Gemeinde zu geben, wäre eine Korban-Sünde (Mk 7,11). 7. Behauptung: “Wer nicht fast alles opfert, um die Not der Menschen zu lindern, lebt in Sünde und unter dem Fluch Gottes.” “Wer etwas Gutes zu tun weiß und tut es nicht, für den ist es Sünde.” (Jak 4,17) Der Apostel ermahnt mit diesen Worten Gläubige, die sich aufs hohe Roß gesetzt haben, angemessen von sich zu denken. Doch ist dieser Satz nicht auch auf das Zurückhalten von Geld anwendbar? Zumal es soviel Not in der Welt gibt? Muss der Gläubige nicht notgedrungen fast alles abgeben, was er hat. 93 Jesus verlangte von seinen Aposteln, alles – sowohl Besitz als auch Leben mit der Familie (Lk 9,61-62) – aufzugeben und mit ihm durchs Land zu gehen. Ein Leben in völliger Selbstlosigkeit lebte auch der Apostel Paulus. Auch der Gläubige ist einerseits zur Bemühen um Vollkommenheit aufgerufen (Mt 5,58) und soll jedem helfen, der in Not ist und Hilfe braucht (Jak 4,17), andererseits wird ihm bei fortgesetztem Ungehorsam der Ausschluss aus dem Himmelreich angedroht (Mt 27). Hierdurch könnte man zu dem Fehlschluss kommen, dass die völlige Selbstaufgabe Bedingung des Heils ist: “Wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren wird, der wird es gewinnen.” (Lk 17,33) Doch diese Auslegung ist kurzschlüssig und falsch. Es wäre absurd, wenn Jesus den Gläubigen davon befreien würde, das mosaische Gesetz zu halten, und ihm dafür das viel schwerere Gebot (!!!) des totalen Verzichts auferlegen würde. Niemand würde dann im Ernst davon sprechen können, dass Jesus den Gläubigen “frei vom Gesetz” (Rö 7,3-6 / vgl. Heb 3,15) gemacht habe. Dass dies ein Missverständnis ist, zeigen Bibelstellen, die vor Selbsterlösungsbemühungen warnen, sehr deutlich: “Ihr habt Christus verloren, die ihr durch die Erfüllung der göttlichen Normen gerecht werden wollt, und habt damit auf die Gnade verzichtet.” (Gal 5,4). Gläubige, die sich wegen der Androhung der Verdammnis zu solcher Selbstaufgabe entschließen, gewinnen damit nichts: Zum einen gibt es keinen Lohn für eine Tat, die nicht aus Liebe geschieht. “Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe mich auf dem Scheiterhaufen verbrennen, und würde es nicht aus Liebe tun, so würde es mir nichts nützen.” (1.Kor 13,3) Zum anderen gewinnen sie nichts für das Leben hier: sie werden es sehr wahrscheinlich in einem Zustand seelischer Überforderung und Depression verbringen, voll Neid auf die Günstlinge Gottes, die ihren Wohlstand in Fülle genießen und sich dennoch am Glauben erfreuen dürfen. 94 Es ist sehr wahrscheinlich, dass von den Jüngern so viel verlangt wurde, weil sie Anteil an einer einzigartigen geschichtlichen Wende hatten. Sie hatten nie den Eindruck, dass sie mit dieser Entscheidung viel verlieren würden. Das zeigte Jesus auch mit dem Gleichnis vom “Schatz im Acker”. “Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und wieder eingrub; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.” (Mt 13,44) Die Jünger lebten im Schauen (!), wenn auch das Reich des Messias noch nicht aufgerichtet worden war. Alle bekamen von Jesus Vollmacht, Kranke, ja selbst Tote zu erwecken (Mt 10,8). Dass dieses Reich kommen würde, war klar. Die Jünger hatten in Jesus den zukünftigen König Israels erkannt und stritten sich – etwas verfrüht – schon um die Ministerposten (Mt 20,20). Eben weil sie soviel von der Herrlichkeit Gottes gesehen hatten (Jo 1,14), schimpfte sie Jesus wiederholt wegen ihres Unglaubens aus (Mt 17,17 / Mk 16,14). Auch Paulus bekam die Vollmacht geschenkt, Tote zu erwecken und Kranke zu heilen (Apg 20, 9 ff). Er durfte sich eine zeitlang im “dritten Himmel” aufhalten (2.Ko 12,2) – eine außerordentliche Glaubensstärkung. Auch Paulus lebte in der Naherwartung, unter dem Eindruck, dass das Reich Gottes unmittelbar bevorstand (1.Thes 4,15). Dass Gott ihn in seinem Dienst soviel leiden ließ, betrachtete er als fairen Ausgleich für die Verfolgung, die die Gemeinde durch ihn einst erleiden musste (Kol 1,24). Aus Gründen, die wir nicht verstehen, hat Jesus die Naherwartung seiner Gemeinde nicht erfüllt. Es folgten die Jahrhunderte der Kirchengeschichte, eine lange Zeit, in der sie im Glauben und “nicht im Schauen” (2.Ko 5,7) leben musste. Für ein Totalopfer würden sie keinen angemessenen “Vorschuss” auf den Himmel erhalten, der dieses Opfer erträglich machen würde. Die großen Forderungen Jesu werden aber nicht aufgelöst. Es sind keine theoretischen Ideale, die man genauso gut vergessen könnte, sondern geistliche Chancen. Es sind große Schuhe, in die der Gläubige ein gutes Stück weit hineinwachsen kann, wenn er sich vom heiligen Geist leiten und erfüllen lässt. 95 Manche Gläubige passen sogar eines Tages ganz in diese Schuhe, wenn sie Gott an einer geschichtlichen Wende teilhaben lässt oder wenn sie in Verfolgungszeiten treu bei Jesus bleiben. Es ist auffällig, dass schon in der Urgemeinde, in der die Gläubigen alles gemeinsam hatten (Apg 2,44-45), in der Frage des Totalopfers kein Zwang mehr bestand. Petrus weist Ananias darauf hin, dass er seinen Acker nicht spenden müsste, sondern hätte behalten können. (Apg 5,4) Das ist etwas Neues, wenn man daran denkt, dass die Jünger für die Nachfolge alles verlassen mussten. (Mt 19,27) Auch sagt Paulus, dass Freude am Wohlstand durchaus in Gottes Sinn ist: “Den Reichen in dieser Welt gebiete, dass sie nicht stolz seien, auch nicht sich auf den unsicheren Reichtum verlassen, sondern auf Gott, der uns alles reichlich anbietet, um es zu genießen” (1.Tim 6,17). Gleichwohl gebietet das NT, sich vor Habgier zu hüten und vor Unehrlichkeit. Einen Bruder mit tröstlichen Worten abspeisen, dessen materielle Not man sehr gut erleichtern könnte, ist üble Heuchelei. “Wenn nun ein Bruder oder eine Schwester keine Kleidung oder nichts zu essen hätte und jemand unter euch spräche zu ihnen: Gott tröste euch, wärme und sättige euch! ihr gäbet ihnen aber nicht, was sie nötig haben: was hülfe ihnen das?” (Jak 2,16). Eine noch engere Verpflichtung, einander beizustehen, besteht zwischen den Mitgliedern einer Familie: “Wenn aber jemand die Seinen, insbesondere seine Hausgenossen, nicht versorgt, der hat den Glauben verleugnet und ist böser als ein Gottloser.” (1.Tim 5,8) 8. Behauptung: “Wer ohne schwerwiegenden Grund vom Gottesdienst fernbleibt, begeht eine schwere Sünde und wird dafür angemessen von Gott bestraft.” “Die sonntägliche Eucharistie legt den Grund zum ganzen christlichen Leben und bestätigt es. Deshalb sind die Gläubigen verpflichtet, an den gebotenen Feiertagen an der Eucharistiefeier teilzunehmen, sofern sie nicht durch einen gewichtigen Grund (z. B. wegen Krankheit, Betreuung von Säuglingen) entschuldigt oder durch ihren Pfarrer dispensiert sind. 96 Wer diese Pflicht absichtlich versäumt, begeht eine schwere Sünde.” 205 Wer eine schwere Sünde wissentlich und willentlich begeht, begeht nach katholischer Definition eine „Todsünde“.206 Geht er zum Gottesdienst und werden ihm weitere Verfehlungen bewusst, die nach katholischer Definition “Todsünde” sind, so darf er nicht an der heiligen Kommunion teilnehmen. Für diese besonders schwere Sünde kann ihm der Priester unangenehme Bußen auferlegen. So ist der Gläubige nicht nur gezwungen, am Gottesdienst teilzunehmen, sondern er wird ggf. auch noch dort durch soziale Kontrolle unter Druck gesetzt, denn die Nichtteilnahme an der Heiligen Kommunion fällt evt. auf. Indem die katholische Kirche dem Gläubigen mit der Hölle droht, wenn er ohne wichtigen Grund vom Gottesdienstbesuch fernbleibt, schafft sie eine starke Bindung, die auf schlechtem Gewissen und Einschüchterung beruht. Sie kann auf diese Weise eine große Menschenmenge an sich ziehen, die zu weiterem Zulauf animiert (“Masse zieht Masse” / “Hier ist was los!”). Die Bibel droht überhaupt nicht, wenngleich sie die Gläubigen ermahnt, “die Versammlungen von Gläubigen nicht zu verlassen“. (Hebr 10,25) Den Gläubigen steht indes zu, selbst zu entscheiden, welche Versammlung sie besuchen wollen. Eine Versammlung, in der werkgerechte Seelenzerfleischung gelehrt wird, sollte der Gläubige möglichst nicht besuchen. Wenn er es doch tut, dann nur, um Gläubige über die ihnen drohende Gefahr aufzuklären. Die Bibel erlaubt dem Gläubigen auch, eine Hausgemeinde zu gründen, in der das Herrenmahl mit Brot und Wein gefeiert werden darf. “Und sie waren täglich und stets beieinander einmütig im Tempel und brachen das Brot hin und her in den Häusern, nahmen die Speise und lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen und hatten Gnade beim ganzen Volk.” (Apg 2,4647). 205 Katechismus der katholischen Kirche [=KKK], Nr. 2181. 206 Katechismus der katholischen Kirche [=KKK], Nr. 1857. 97 Die katholische Lehre sieht das nicht gerne. “Nur gültig geweihte Priester können der Eucharistiefeier vorstehen und Brot und Wein konsekrieren, damit diese Leib und Blut des Herrn werden.” 207 Wenn Laien das Herrenmahl feiern, so findet diese wundersame Verwandlung nicht statt. Es ist ein bloßer Ritus, der an Jesu Opfer erinnert und den Gläubigen keinen besonderen Segen vermittelt, vielmehr kraftlos ist und nur die Nichtzugehörigkeit zur katholischen Kirche bezeugt. “Wer sagt, das Meßopfer sei nur Lob- und Danksagung oder das bloße Gedächtnis des Kreuzopfers, nicht aber ein Sühneopfer, oder es bringe nur dem Nutzen, der kommuniziere, und man dürfe es nicht für Lebende und Verstorbene, für Sünden, Strafen, zur Genugtuung und für andere Nöte aufopfern, der sei ausgeschlossen.” 208 Indem nur geweihte Priester das Herrenmahl leiten dürfen – in der von der Kirche vorgeschriebenen Form – macht die Kirche wieder einmal deutlich, dass sie das Monopol auf Religionsausübung beansprucht und dass nur durch Unterwerfung unter ihre Herrschaft der volle Segen erlangt werden kann – wie auch immer dieser aussehen mag. 9. Behauptung: “Wer seine Mitmenschen nicht missioniert – wo sich die Gelegenheit ergibt – trägt Mitschuld daran, wenn sie in die Hölle kommen und wird dafür angemessen von Gott bestraft.” Diese Sichtweise beruft sich auf Hes 33,8-9: “Wenn ich nun zu dem gottlos lebenden Menschen sage: Du wirst dafür mit dem Tod bestraft werden! und du sagst ihm solches nicht, sodass der Gottlose nicht gewarnt wird, so wird zwar der Gottlose für seine Gottlosigkeit mit dem Tode bestraft; aber ich werde dich dafür zur Rechenschaft ziehen. Warnst du aber den Gottlosen, damit er sich ändern kann, und er hört nicht auf dich, so wird er mit dem Tode bestraft. Du aber hast dein Leben gerettet.” Kinder und Jugendliche mit seelischer Erpressung zum Missionieren motivieren: ein verheerender Irrweg! Da sitzt man zusammen in einem Eisenbahnabteil. Muss man jetzt bis zur Ankunft des Zuges ein Glaubensgespräch geführt haben? Muss man starke Schuldgefühle haben, wenn es zu keinem Gespräch gekommen ist? 207 KKK, 1411. 208 Konzil zu Trient, 1562, 3. Lehrsatz über das Meßopfer. 98 Wie schrecklich kann doch der Alltag mit diesem quälenden seelischen Dilemma belastet werden! Mancher junge Mensch ist bald gar nicht mehr in der Lage, eine harmlose Freundschaft mit jemandem, der nicht zur Gemeinde gehört, anzuknüpfen – immer steht diese Drohung im Hintergrund. Und selbst wenn ein Gespräch zustandekommt: wie nahe liegt hier doch die Gefahr, dass eine Theologie der Selbstgerechtigkeit ahnungslos weiter-gegeben wird, dass man “Zeugnis ablegt”, um sich selbst zu retten oder um Punkte auf der Himmelsbank zu sammeln! Das ist unaufrichtig und unfair! Der, dem Zeugnis gegeben wird, weiß nichts von dem psychischen Druck, unter dem der Zeuge zeit seines Lebens steht und soll es auch möglichst nicht erfahren. Und was wird erreicht ? Vielleicht bewegt eine Illusion von Glück den missionierten Menschen, sich für Religiöses zu interessieren. Es dauert eine Weile, bis bei ihm unversehens ebenfalls die Gewissensfalle zuschnappt und er für immer in der religiösen Zwangsjacke steckt. Soll er jetzt tiefe Dankbarkeit empfinden ? Oder wird er sich eher als “Objekt” religiöser Erfolgssucht sehen ? Entsteht so echte, tiefe Freundschaft ? An den “Früchten“, an der Qualität der Ergebnisse “kann man viel erkennen” (Mt 7,16), sofern man bereit ist, über diese Qualität nachzudenken. Die “Pharisäer und Schriftgelehrten” waren zweifellos sehr eifrig im Missionieren. Waren sie damit auch der an Hesekiel ergangenen Warnung gehorsam ? Jesus sagte von ihnen, dass sie “weit über Land und Wasser fahren, um Menschen zu Glaubensgenossen zu machen. Tatsächlich machen sie aber aus Menschen Anwärtern auf die Hölle, die es doppelt so schlimm treiben wie sie selbst.” (Mt 23,15). Offensichtlich hatten sie Erfolge vorzuweisen: rein quantitativ! Das zeigt uns: Ein ehrliches Zeugnis kann nicht erzwungen werden! Hes 33,8-9 und Apg. 20,26-28 scheinen dem zu widersprechen. Der Widerspruch entsteht aber nur dadurch, dass die besondere Berufung von Hesekiel und Paulus nicht angemessen wahrgenommen wird. Beide “standen mit einem Bein im Himmel”, sahen in großartigen Visionen die unsichtbare Welt (Hes 1,4 ff / 2.Kor 12,1). 99 Damit verloren auch die irdischen Zwänge viel von ihrer Bedeutung. Paulus konnte es gar nicht erwarten, endlich zu sterben und bei seinem Herrn zu leben (Phil 1,23). Vom Auftrag des Paulus hing das Schicksal der gesamten christlichen Gemeinde ab! In seiner Hand lag es, ob die Botschaft von Jesus nach Ablehnung durch die Juden nunmehr die Nichtjuden erreichte. An diese große Verantwortung hat ihn Gott erinnert. (Apg 9,15-16) Er konnte es tun, ohne dass die Qualität der Botschaft darunter litt. Zwischen beiden Verkündern gibt es eine Parallele: Paulus arbeitete in erster Linie außerhalb Palästinas. Hesekiel war der erste Prophet, der außerhalb des heiligen Landes berufen wurde und dort verkündete. Wer dieses einzigartige Programm wahllos jedem Gläubigen aufzwingt, der muss die Tatsache leugnen, dass als eindrücklichstes Erlebnis gar nichts Einzigartiges, weder der Blick in Gottes Herrlichkeit, noch eine besondere Berufung und Begabung, sondern nur Primitivität und Frustration, nur ständig schlechtes Gewissen und seltsame seelische Verformung zurückbleibt. Um über seinen Glauben froh berichten zu können, darf der Gläubige keinem Zwang ausgesetzt sein. Ein glaubwürdiges Zeugnis wird immer im Einklang mit den Qualitätsstandards Jesu, d.h. im Einklang mit Barmherzigkeit, Liebe zum Recht und Verlässlichkeit sein. Gott kann sogar Kinder und Jugendliche zum Zeugnis gebrauchen! Gläubige dazu zu zwingen, indem man ihnen ein schlechtes Gewissen macht, ist religiöser Missbrauch! 10. Behauptung: “Man kann durch ein einziges unüberlegtes Wort in die Hölle kommen.” Diese schreckliche Behauptung findet sich leider auch in der beliebten McArthur Studienbibel 209, die ansonsten mit Gewinn zu lesen ist. In der Anmerkung zu Mt 12,36 heißt es ausdrücklich, , dass bereits ein “Ausrutscher” der Zunge genügt, um mit der ewigen Höllenqual bestraft zu werden. 209 e-Book 2013 oder 6.Auflage 2009. 100 Diese Fehleinschätzung fußt auf der fehlerhaften Lehraussage: “Je enger sich eine Auslegung an den Wortlaut der Schrift hält, desto zuverlässiger 210 ist sie.” Im biblischen Text selbst, d.h. in drei der vier Evangelien, wird vor einer schrecklichen Sünde gewarnt, die niemals vergeben werden kann: die Lästerung des Heiligen Geistes: “Darum sage ich euch: Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben; aber wer den Geist lästert, dem wird nicht vergeben. Und wer etwas sagt gegen Jesus, den Menschensohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas sagt gegen den Heiligen Geist, dem wird’s nicht vergeben, weder auf Erden noch im kommenden himmlischen Reich.” (Mt 12,31-32) Nach Ansicht mancher Theologen kann bereits ein negatives Wort über Brüder, über ein Bibelwort, über etwas, was der heilige Geist will, die unvergebbare Sünde sein. Diese Auffassung zieht große Risiken nach sich! Denn immer wieder sieht sich der Christ vor die Frage gestellt, ob etwas “geistlich” oder “fleischlich”, ob es göttlichen oder nur menschlichen Ursprungs ist. Er unterliegt einem Entscheidungs- und Urteilszwang! Wie leicht ist es da möglich, dass er falsch urteilt, dass er etwas schlecht oder falsch nennt, was der Heilige Geist will, und dass ein sündiges Motiv bei diesem Urteil eine Rolle spielt. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass sensible und sorgfältige Gläubige, die durch ein buchstabentreues Verständnis 211 der Bibel geprägt sind, hier in einen schrecklichen Zweifel und panische Angst hineingeraten können. Diese Angst kann u.U. jahrelang andauern, da die im Rahmen der traditionellen bibeltreuen Theologie angebotenen Lösungen erhebliche Mängel haben 212, die selten offen diskutiert werden. Üblicherweise meiden die Betroffenen die Gemeinden, da sie dort den Verlust der Glaubensgewissheit besonders schmerzlich empfinden. 210 Siehe die 19.Behauptung: “Das Textverständnis, das sich am engsten an den Wortlaut hält, ist das beste.”, Seite 130. 211 Siehe ebd. 212 Siehe Seite 235 ff. 101 Auch die Gemeindemitglieder halten sich von ihnen fern, da sie das Elend nicht mitansehen können und zudem vielleicht befürchten, ebenfalls mit Zweifeln infiziert zu werden. Da die angebotenen Lösungen nicht bezweifelt werden, liegt der Schluss nahe, dass die Betroffenen selbst an ihrem Leid schuld sind – auch wenn man nicht weiß, warum. Tatsache ist nun, dass sich niemand an alle negativen Worte erinnern kann, die er jemals gesagt hat. So wenig wie an alle Einschätzungen und Entscheidungen. Somit bleibt die Frage, ob der Gläubige nun erlöst oder verdammt ist, ungeklärt und unbeantwortbar. Dieses Ergebnis erscheint logisch, ist aber absurd. (Auch der ansonsten mit Gewinn zu lesende Bibelausleger Adolf Schlatter vertritt in seinem haarsträubenden Aufsatz zur “Sünde gegen den heiligen Geist” 213 diese absurde These, dass der Gläubige in dieser Frage keine Gewissheit haben kann.) Es ist auffällig, dass das Problem bei ihm nicht zu der Frage hinführt, welchen Charakter Gott hat. Wenn man den Charakter einer Person kennt, dann kann man ihre Reaktion einschätzen. Diese Frage des Charakters bleibt bei Schlatter und vielen anderen evangelikalen Theologen ausgespart. Ein grundsätzliches Defizit der traditionellen auf den Wortlaut fixierten Theologie wird hier sichtbar: ihre Schwierigkeit, eine konsistente, widerspruchsfreie Vorstellung vom göttlichen Charakter zu vermitteln. Ist die Kenntnis des göttlichen Charakters nicht wichtig für die Frage, ob der Gläubige Gott lieben kann ? Die auf den Wortlaut fixierte Interpretation lässt Gott als unehrlichen Kaufmann erscheinen, der dem Kunden einen Vertrag aufschwatzt, obwohl er ganz genau weiß, dass das Kleingedruckte alles, was im Hauptvertrag steht, zunichte macht. 213 Siehe zu Schlatters Aufsatz über die unvergebbare Sünde, Seite 225. 102 Unendlich viel wird versprochen: vollständige Vergebung und Reinigung von aller Schuld, ewige Geborgenheit bei Gott, göttlicher Schutz in jeder Situation des Lebens, königliche Würde, Annahme an Sohnes Statt durch Gott selbst – und dann ist plötzlich alles weg. Ein versehentlicher “Ausrutscher” der Zunge war die Ursache – wo doch die Bibel selbst sagt, dass kein Mensch die Zunge beherrschen kann. (Jak 3,8) Wenn das so wäre, hätte man dann wirklich noch Grund zum Jubeln? Warum müsste man dann missionieren und die “frohe Botschaft” allerorten mitteilen? Das wäre doch unbeschreiblich grausam und heimtückisch. Es wäre dann wirklich besser, wenn Menschen nie etwas von dieser Religion erfahren. C.H.Spurgeon hat mit Recht darauf hingewiesen, dass Gottes Ehre mit der Errettung seines Jüngers verknüpft ist. “Der Herr mag für einige Zeit verstoßen, aber nicht für immer. Eine Frau wird ihren Schmuck für ein paar Tage ablegen, aber sie wird ihn nicht gänzlich vergessen oder auf den Misthaufen werfen. So geht unser Herr nicht mit denen um, die er liebt, denn ‘er liebt die Seinen in der Welt und er wird sie weiter lieben bis ans Ende.’ (Jo 13,1) Manche sprechen über das Bleiben in der Gnade, als wären wir Karnickel, die in ihre Höhle hinein- und wieder herauslaufen. So ist es nun gar nicht! Die Liebe unseres Herrn ist eine viel ernstere und zuverlässigere Sache. Er liebte uns schon von Ewigkeit her und er wird uns bis in alle Ewigkeit lieben. Er liebte uns so, dass er für uns starb. Deshalb dürfen wir sicher sein, dass seine Liebe zu uns niemals sterben wird. Seine Ehre ist so sehr mit der Errettung des Gläubigen verbunden, dass er sie so wenig wegwerfen kann wie ein König sein Amtsgewand wegwerfen würde. Nein, nein! Der Herr Jesus, das Haupt, wird die Glieder seines Leibes nicht von sich werfen. Er, der Bräutigam, wird niemals seine Braut davonjagen. Dachtest du, du seist verstoßen ? Warum denkst du so schlimm über deinen Herrn, der sich dir verlobt hat ? Verjage diese Gedanken und gib ihnen nie wieder Raum in deiner Seele. ‘Der Herr hat sein Volk nicht verstoßen, das er sich ausersehen hat.’ (Rö 11,2). ‘Er hasst das Verstoßen.’” (Mal 2,16). 214 214 übersetzt aus C.H.Spurgeon, “Gems”, for the 12th of Januar). 103 Leider wird von perfektionistischen Theologen die Ehre 215 Gottes eher mit seiner Macht zu strafen, zu zerstören und zu verdammen, in Verbindung gebracht. Hier sind wichtige Prioritäten falsch gesetzt. Natürlich sollen wir Gott viel mehr fürchten als de Menschen: “Fürchtet euch nicht vor denen, die nur den Leib töten können…” (Mt 10,28) Doch Gott hat sich nicht den Ehrentitel “Zerstörer” (Απολλυων) gegeben. Das ist der “Ehren”-Titel des Teufels. (Offb 9,11) Gott bevorzugt andere Ehrentitel, z.B. “wunderbarer Gott, weiser Ratgeber und Kämpfer, Vater der Ewigkeit, Friedensfürst.” (Jes 9,5) Der höchste Ehrentitel Gottes ist der Name Jesu, der bedeutet “Gott rettet.” Barmherzigkeit ist für Gott eine Frage der Ehre. Er ist “barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue.” (Ps 86, 15 / 103,8 / 145, 8) Er ist der “barmherzige und gnädige Herr.” (Ps 111, 4) Wer behauptet Gott zu kennen, soll bekennen, “dass ich der HERR bin, der für Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf der Erde sorgt! Denn das gefällt mir” (Jer 9,24) Jesus nennt die “Barmherzigkeit” als das erste der Gebote, die Gott am wichtigsten sind. (Mt 23,23) Gott liebt Barmherzigkeit so sehr, dass manche Gläubige daran sogar Anstoß nehmen. (Jona 4) Es ist der Wille Gottes, gerade denen Menschen Liebe und Hoffnung zu geben, die aufgrund eigener Schuld schon längst von ihren Mitmenschen abgeschrieben und ausgestoßen worden sind (Luk 7,36 ff / 19,2 ff). Jesus wurde beschimpft als “Freund der Zolleintreiber und Sünder.” (Luk 7,34) Gott ist immer viel barmherziger als Menschen. Er wirbt ständig um das Vertrauen des Menschen: “Vertraut Gott!” sagte Jesus (Mk 11,22), selbst wenn es um das scheinbar Unmögliche geht, selbst wenn man Gott bitten wollte, einen Berg zu versetzen. Der Glaube eines Menschen ist Gott unendlich kostbar und genügt zur Rettung. (Jo 3,16) Deswegen kann eine unwiderrufliche Trennung nicht versehentlich oder in Übereilung geschehen. Dadurch würde die frohe Botschaft unglaubwürdig werden. Das Vertrauen würde aufs Schwerste erschüttert oder ganz unmöglich. 215 Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#ehre“. 104 Das unwiderrufliche Gericht ist die Endstation einer notorischen, unverbesserlichen Feindschaft gegenüber Christus, die mit der Verachtung seiner Barmherzigkeit in ihrer deutlichsten Form verbunden ist. Die Pharisäer damals hatten ja die Gelegenheit, den Sohn Gottes persönlich kennenzulernen und sich von seiner Freundlichkeit und Güte zu überzeugen. Sie waren nicht auf das Hörensagen oder auf Vermittler angewiesen. Sie wurden auch nicht abgestoßen durch die Schwächen oder Sünden dieser Vermittler. Sie standen dem Sohn Gottes und seiner Liebe persönlich gegenüber. Sie hätten ihm alle Zweifel und Nöte sagen können. Sie hätten nur die Hand auszustrecken brauchen, um geheilt zu werden. Dennoch haben sie Christus als “Teufel” beschimpft im Bemühen, dass ihn auch die hilfesuchenden Menschen für einen “Teufel” halten sollten: “Das alles ist böse und bleibe mir ewig fern!” Jesus warnt eindringlich davor, trotz klarer Einsicht in seine göttliche Autorität und Barmherzigkeit eine grundsätzliche Haltung der Feindschaft zu ihm einzunehmen. Es könnte sein, dass eines Tages die Möglichkeit der Umkehr nicht mehr vorhanden ist. Der Sohn Gottes hat auch mit undankbaren und boshaften Menschen sehr viel Geduld. Aber er lässt sich nicht alles gefallen. Der freche Satz von Voltaire, Jesus müsse ja vergeben, denn es sei ja “sein Job”, ist ein schrecklicher Irrtum ! Allerdings ist auch die Warnung vor der unvergebbaren Sünde eine Aussage im biblischen Pauschalstil: 216 auf wichtige Ausnahmen geht die Bibel an dieser Stelle nicht ein. Das sind z.B. Glaubensgeschwister, die unter einer neurotischen, quälenden Verformung des Glaubens leiden (Werkgerechtigkeit 217) Sie schimpfen nur deswegen, weil sie die Freiheit und Herrlichkeit des Glaubens eben nicht klar erkennen und sind hier schon deshalb nicht betroffen. 216 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#pauschal“. 217 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. 105 Lang ertragenes Leid wird sehr oft zur Not der Gottverlassenheit. Dann kann Gott als der erscheinen, dem es niemand recht machen kann, der gleichgültig und wenig mitfühlend ist, eben als Rabenvater, der seine Hausgenossen nicht versorgt, und der “sich schlimmer aufführt als ein Heide” (1.Tim 5,8). Gott erscheint “gottlos”. Hier kann es durchaus dazu kommen, dass man beginnt, auf Gott, auf Jesus, auf die Bibel, auf das angebliche Evangelium zu schimpfen. Je härter das Leid, desto exzessiver die Beschimpfung. Zweck hat das keinen: Gott wird sich nicht entschuldigen. Das weiß der Gläubige auch. Nachträglich ärgert er sich darüber. Denn eigentlich will er ja doch zu Gott gehören und schon gar nicht möchte er ihn zum Feind haben. Das Schimpfen ist ein Überdruck-Ventil. Ihm platzt der Kragen: er muss sich Luft machen. Beschimpfungen gegen einen Gott, der lieblos und ohne Mitgefühl erscheint, richten sich gegen ein Zerrbild 218 seiner Person. Wie kann die Beschimpfung eines abstoßenden Zerrbildes den wahren Gott treffen und beleidigen? Wie kann sie das Heil gefährden? Ob sie sich in der Wortwahl gegen den heiligen Geist richtet, ändert an dieser Tatsache nichts, weil nach der Bibel der Inhalt grundsätzlich Vorrang hat vor der Form. (Rö 2, 28.29) Der Mensch sieht nur das Äußerliche, aber Gott sieht ins Herz (1.Sam 16,7). Dies ist ein biblisches Prinzip mit höchster Priorität 219 ! Solche Gläubigen dürfen mit der Hilfe und Zustimmung Jesu rechnen, der Zerrbilder 220 ebenfalls verabscheut. Dennoch können diese Gläubigen – dank einer dilettantischen Theologie – sehr intensive Verdammungsängste haben, deren Intensität sie als Beweis für tatsächliche Verdammnis betrachten werden. Sie sollten Mitchristen, die sich durch gutes Urteilsvermögen auszeichnen, um eine Beurteilung ihrer Lästerungssituation bitten. 218 Siehe Seite 203. 219 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#polaritaet“. 220 Siehe den Abschnitt „Zerrbilder“ im Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 203. 106 Auf der Grundlage der Maßstäbe Jesu (Mt 23,23) dürfen sie sich darauf verlassen, dass es im menschlichen Verantwortungsbereich 221 keine gravierenden Unterschiede zwischen Gottes Gerechtigkeitssinn und dem, was im Glauben gereifte Christen nach bestem Wissen und Gewissen als gerecht und angemessen empfinden. Zwar wird Erkenntnis oft „Stückwerk“ (1.Kor 13,9) bleiben, werden Entscheidungen nicht selten mit Unsicherheit behaftet sein – niemals aber wird Gott – so wie ihn uns Jesus Christus in aller Deutlichkeit gezeigt hat (Jo 14,9) - etwas wollen, was treue und gewissenhafte Gläubige als pervers und als Verachtung der Menschenwürde empfinden. Wenn wir uns darauf verlassen dürfen, dann ist keine diffizile theologische Kasuistik mehr nötig, um die quälende Frage zu beantworten, ob die aus-gesprochene Beschimpfung nun vergeben werden kann oder nicht. Es ist nicht danach zu fragen, ob sie laut oder leise, ob sie privat oder vor anderen ausgesprochen oder nur gedacht worden ist. Man kann sich auch die Erörterung sparen, ob eine andere Wortwahl die Vergebung wahrscheinlicher machen würde. Denn was hatte Jesus nach der Anklage frommer Leute gesagt, die von ihm das Todesurteil über eine ertappte Ehebrecherin hören wollten? “Jesus aber fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.” (Joh 8,10-11) Schon im Alten Testament wird dieser Grundsatz erwähnt. Johannes der Täufer bezieht sich auf diesen Text von Jesaja in seiner Warnung vor dem Feuer des Gerichts (Mt 3,10-12) so wie auch Jesus (Joh 15,6). Jesaja erzählt das Gleichnis vom Weinstock im Acker, der mühsam gehegt und gepflegt wird, um doch noch etwas Frucht aus ihm herauszuholen. Bevor ihn aber der göttliche Weingärtner aus dem Boden herausreißt und verbrennt, wendet er sich an Menschen (!) als Schiedsrichter: “Nun entscheidet selbst, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Juda’s, in dem Streit zwischen mir und meinem Weinberge. Hätte irgendjemand noch mehr für meinen Weinberg tun können, das ich nicht für ihn getan hätte? 221 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unterscheidung der Verantwortungsbereiche“, („www.matth2323.de/stichworte/#unterscheidung“). 107 Warum hat er trotzdem bloß bittere Früchte gebracht? Durfte ich nicht mit guten Trauben rechnen?” (Jes 5,3-4) Die Frage nach dem persönlichen Heil wird also von Gott selbst zurückgegeben an den menschlichen Verantwortungsbereich. 222 Denn der Gläubige soll ja anderen froh von seiner Errettung berichten und sie zum Glauben einladen. Das kann er nur, wenn seine Errettung nicht zweifelhaft bleibt. Zur Wiedergewinnung der Glaubensfreude reicht indes das geschwisterliche Urteil nicht aus. Es ermutigt aber, die Bibel mit neuem Vertrauen zu lesen. Diese reagiert in lebendiger Weise auf die innere Einstellung des Lesers. So wird sich der Gläubige auch seines eigenen geistlichen Lebens bewusst und allmählich kehrt die Glaubensfreude zurück. Wichtiger Hinweis: diese Lösung setzt voraus, dass die Rangfolge von Bibelworten in der Gemeindelehre überzeugend begründet wird. Wird gelehrt, dass alle Bibelworte gleichen Rang haben, 223 so muss der Gläubige in seinem Denken Lehrsätze nebeneinander dulden, die sich widersprechen. Diese Glaubensschizophrenie macht eine klare Vorstellung von Fairness und Gerechtigkeit weitgehend unmöglich. Gott erscheint weiter willkürlich, unberechenbar und bedrohlich. Dasselbe gilt, wenn in der Gemeinde Korruption und offene Missachtung der Qualitätsmaßstäbe Jesu geduldet werden. Wenn die Gemeinde dann noch gedeiht und wächst, dann entsteht der Eindruck, dass Gott willkürliche Günstlingswirtschaft betreibt und seinen “Lieblingen” alles durchgehen lässt, den anderen aber, die er schon vor Grundlegung der Welt zu “Gefäßen des Zorns” (Rö 9,22) bestimmt hat, keine großen Chancen gibt. Wenn Gott selbst kein Interesse an Gerechtigkeit zu haben scheint, dann ist es auch sinnlos, die Geschwister um eine Einschätzung zu bitten, welche Reaktion Gottes auf beschimpfende Worte ihnen angemessen erscheint. 222 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unterscheidung der Verantwortungs-bereiche“, („www.matth2323.de/stichworte/#unterscheidung). 223 Siehe die 20.Behauptung “Die ethischen Aussagen des Neuen Testamentes haben alle die gleiche Autorität., Seite 135. 108 Die deprimierende Vorstellung eines Gottes, der gerne unfair ist, lässt sich mit einer Bibel, in der jeder Satz gleichen Rang haben soll, nicht mehr widerlegen. 11. Behauptung: “Wer eine schwerwiegende Sünde (“Todsünde”) begangen hat und stirbt, ohne sie vorher gebeichtet zu haben, kommt direkt in die Hölle.” Die katholische Lehre unterscheidet zwischen “läßlichen Sünden” und “Todsünden”. Eine Todsünde liegt vor, wenn der Verstoß eine schwerwiegende Sache betrifft, und wenn er freiwillig und mit voller Erkennntnis begangen wurde. 224 Was sind nun Beispiele für Todsünden ? Erstaunt erfährt man folgendes: Eine Todsünde ist bereits das Fernbleiben vom sonntäglichen Gottesdienst ohne wichtigen Grund. Weiter gilt auch die Empfängnisverhütung z.B. durch Kondom oder Sterilisation als “schwerer Verstoß gegen die Sittlichkeit” und damit als schwerwiegende Sache, als Todsünde. 225 Weiter gilt Masturbation als “schwerer Verstoß gegen die Keuschheit”: “Zu den Sünden, die schwer gegen die Keuschheit verstoßen, gehören Masturbation, Unzucht, Pornographie und homosexuelle Praktiken.” 226 Auch jemand, der geschieden wurde und sich noch einmal verheiratet hat, lebt in “dauerndem Ehebruch”, also in Todsünde, solange er sich nicht von seinem Partner trennt. 227 Nach katholischer Lehre führt eine Todsünde führt generell zum „Ausschluss aus dem Reich Christi und zum ewigen Tod in der Hölle, wenn sie nicht durch Reue und göttliche Vergebung wieder gutgemacht wird.“ 228 Der Gläubige muss – will er diese Gefahr vermeiden – die Sünde zu Lebzeiten einem geweihten Priester bekennen und dessen Absolution empfangen. 229 Andere Formen von Beichte reichen nicht aus. 224 225 226 227 228 229 Katechismus der katholischen Kirche [=KKK], Nr. 1857. KKK, Nr. 2370. KKK, Nr. 2396. KKK, Nr. 2384. KKK, Nr. 1861. KKK, Nr. 1395. 109 Schon gar nicht genügt die bloße Reue; sie erlangt aber die Vergebung der Todsünden, “wenn sie mit dem festen Entschluss verbunden ist, sobald als möglich das sakramentale Bekenntnis nachzuholen”. 230 Dies muss mindestens einmal im Jahr stattfinden: “Jeder Gläubige ist nach Erreichen des Unterscheidungsalters verpflichtet, seine schweren Sünden wenigstens einmal im Jahr aufrichtig zu bekennen.” 231 Der Politiker Hans-Jochen Vogel kommentierte die Todsündenethik in Christ und Welt 232 unter der Überschrift “Warum droht uns ewige Verdammnis?” mit dem Resümee, seine Analyse hätte ihn erschreckt, “zeige sie doch, dass die deutliche Mehrheit aller Katholiken nach der kirchlichen Lehre im Zustand einer drohenden ewigen Verdammnis lebt.” Ist die Ablehnung der Todsündenlehre des Papstes oder anderer speziell katholischer Lehren wie z.B. die Lehre des Ablasses “Todsünde”? Hier ist die kirchliche Lehre ziemlich inkonsequent. Einerseits werden Lehrer, die den Ablass bezweifeln, durch ein Dekret des Konzils von Trient“ von 1551 „verflucht“. 233 Als Verfluchte werden sie schwerlich in die Seligkeit eingehen können. Andererseits bezeichnet der katholische Katechismus Gläubige nicht katholischen Bekenntnisses als “Brüder im Herrn:” „Wer an Christus glaubt und in der rechten Weise die Taufe empfangen hat, steht dadurch in einer gewissen, wenn auch nicht vollkommenen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche … Nichtsdestoweniger werden sie aufgrund des Glaubens in der Taufe gerechtfertigt, Christus einverleibt, und darum gebührt ihnen der Ehrenname des Christen, und mit Recht werden sie von den Kindern der katholischen Kirche als Brüder im Herrn anerkannt.“ 234 230 231 232 233 234 KKK, Nr. 1452. Codex Iuris Canonici [CIC], Nr 989. Ausgabe 26/2013. DS 1712:Kan.12 / 1713:Kan.13. KKK, 1271. 110 Andernorts heißt es: „Denen aber, die jetzt in solchen Gemeinschaften geboren sind und mit dem Glauben an Christus erfüllt werden, können keine Vorwürfe wegen der Sünde der Trennung gemacht werden und die katholische Kirche begegnet ihnen in brüderlicher Achtung und Liebe … sie werden aufgrund des Glaubens in der Taufe gerechtfertigt, Christus einverleibt, und darum gebührt ihnen der Ehrenname des Christen, und mit Recht werden sie von den Kindern der katholischen Kirche als Brüder im Herrn anerkannt.”235 Was geschieht mit denen, die “in solchen Gemeinschaften geboren werden“, aber ihre Mitchristen mit Hilfe der Bibel belehren, dass die katholische Lehre vom Ablass falsch und Verführung zur Werkgerechtigkeit sind ? Tragen sie nun den “Ehrennamen des Christen” oder sind sie “verflucht” ? Oder sollen wir annehmen, dass nicht-katholische Gläubige sich größerer Rechte erfreuen und weniger bedroht sind, weil sie die beengenden Papstlehren ablehnen können und dennoch in den Himmel kommen ? Wozu muss man dann Katholik sein ? Oder sind sie samt und sonders verdammt und haben wie die Mehrheit der Katholiken von dem furchtbaren Schicksal, das auf sie wartet, keine Ahnung ? Betrachten wir einzelne Fälle angeblicher Todsünden, so stellen wir auch dort Inkonsequenz und unnötige Grausamkeit fest. Die Einstufung der Empfängnisverhütung z.B. durch Kondom oder Sterilisation Todsünde 236 hat zur Folge, dass in armen Ländern viele Kinder gezeugt werden, die gar nicht ernährt werden können. Verzweifelten Menschen wider besseres Wissen und Gewissen zu verbieten, mit einer einfachen Maßnahme dieses namenlose Elend abzuwenden, das soll keine schwere Sünde sein ? Unbarmherzig ist auch die pauschale Verdammung von Menschen, die geschieden wurden und wiedergeheiratet haben. Es gibt Fälle, wo die Fortführung einer Ehe auch für einen gutwilligen Menschen nicht mehr zumutbar ist (Gewaltätigkeit oder kriminelle Betätigung des Partners, Vergewaltigung in der Ehe, Spielsucht, Drogensucht etc.). Hier sollte – vor allem um die Kinder vor Verwahrlosung zu bewahren – über eine neue Ehe mit einem verantwortungsbewussten Partner nachgedacht werden können. 235 KKK, Nr. 818. 236 KKK, Nr. 2370. 111 Alle in Mt 5 gennanten Verbote (Beschimpfung, Eidesmissbrauch, Trennung vom Ehepartner) sind keine ausnahmslos gültigen Gebote, sondern dienen der Vorbeugung. Die Bibel selbst nennt etliche Ausnahmen. 237 Das Verbot der Masturbation verleitet junge Menschen zu voreiligen und unvernünftigen Eheschließungen mit dem vorrangigen Ziel, den Triebstau legal entsorgen zu können. Und selbst diese legale Möglichkeit wird den Eheleuten durch das sinnlose Verbot der Empfängnisverhütung schwer gemacht. Schauen wir lieber in die Bibel selbst ! Die Worte “lässliche Sünde” und “Todsünde” gibt es in dort gar nicht. In Joh 1,16 wird eine “Sünde, die zum Tode führt” erwähnt: “Wenn jemand sieht seinen Bruder sündigen eine Sünde nicht zum Tode, der mag bitten; so wird er geben das Leben denen, die da sündigen nicht zum Tode. Es gibt eine Sünde zum Tode; für die sage ich nicht,dass jemand bitte.” Die “Sünde zum Tode” wird nicht im einzelnen erläutert. Johannes mag hier an Gläubige gedacht haben, die infolge ihrer Sünde vorzeitig aus dieser Welt abberufen wurden. Wenn wir nach Beispielen suchen, so finden wir sie in 1.Kor 11,30 “Darum (wegen ungebührlichen Verhaltens beim Abendmahl) sind auch so viele Schwache und Kranke unter euch, und etliche sind sogar gestorben.” Ob sie ihr Fehlverhalten eingesehen haben, wird nicht berichtet. In die Hölle ging es deshalb nicht, wie der Leser im übernächsten Vers erfährt: “wenn wir eine strenge Strafe empfangen, so werden wir damit gezüchtigt, damit wir nicht mitsamt der Welt in die Verdammnis kommen.” (V.32) Das ist viel tröstlicher als die Schreckensbotschaft, die die katholische Lehre mit ihrem fragwürdigen Todsündenkatalog vermittelt. Auch Ananias und Sapphira mussten sterben, da sie die Gemeindeversammlung belogen hatten. (Apg 5) Davids Sohn starb, da eine öffentliche Strafe für seinen Mord und Ehebruch auferlegt werden musste. (2.Sam 12,14-18) 237 Siehe unter der 4.Behauptung (sexuelle Sünden), S 63 ff. 112 Heute denken wir an Fälle von Drogenmissbrauch, Verkehrsrowdytum oder anderem rücksichtlosen Verhalten, wo Gläubige unversehens erkranken oder sterben und man unter dem Eindruck steht, dass die Folgen angemessen sind und dass Fürbitte nichts daran ändern wird. Ohne Zweifel können wir hier auch an sehr fromm scheinende Sünden denken, wie es z.B. Selbsterlösungbemühungen sind, die die katholische Kirche mit ihrer Ablasslehre zur Pflicht macht. Sie zerstören die Seele, den Glauben an die aufrichtige Liebe Gottes und die Wirksamkeit seiner Erlösungstat und können einen Punkt erreichen, an dem es zur Auflösung der Beziehung zwischen Jesus und dem Gläubigen kommt. Dann ist der Abfall vollendet, der ewiges Verderben zur Folge hat: “Ihr habt Christus verloren, die ihr durch Erfüllung des Gesetzes Gottes Anerkennung erzwingen wollt. Ihr seid aus der Gnade herausgefallen.” (Gal 5,4) Was ist nun der Zweck der katholischen Todsündenlehre ? Ich denke doch, dass dieser Zweck sehr durchsichtig ist. Zum einen macht sie den Gläubigen von der katholischen Organisation abhängig. Sein Seelenheil hängt davon ab, ob er , “seine schweren Sünden wenigstens einmal im Jahr aufrichtig (einem Priester mit Beicht-Lizenz) bekennt.” 238 Die biblische Sicht der Beichte ist vergleichsweise befreiend. Dort ist Beichte keine einseitige, sondern eine zweiseitige Angelegenheit: “Bekennet einander eure Sünden und betet füreinander, damit ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstgemeint ist.” (Jak 5,16) Eine Beichte kann jeder Mitchrist abnehmen, und sie ist gültig, wenn die Schuld wirklich bereut wird. Eine sinnvolle Voraussetzung für das Anhören einer Beichte ist einzig die Tatsache, dass man sie selbst gelegentlich in Anspruch nimmt. Ist das wahr ? Oder sollen wir jetzt sagen: “Wie gut, dass wir katholische Theologen haben, die klarstellen, dass das Gebet eines “gerechten Gläubigen” weitaus weniger vermag als der Apostel Jakobus glaubt” ? 238 Codex Iuris Canonici [CIC], Nr 989. 113 Die Behauptung des Jakobus muss man – wenn man der katholischen Sicht folgt – sogar verantwortungslos nennen (!), da hier Gläubige hier den falschen Eindruck vermittelt bekommen, dass sie auf diese Weise “gesund werden” können, während sie doch – mangels der Lossprechung durch den geweihten Priester – ewige Verdammnis erwartet. Was für eine schreckliche Falle! Soll man das wirklich glauben ? Wenn Gläubige sich an derartig absurden Aussagen nicht stören, dann ist Zweifel angebracht, ob sie auf diese Weise im Glauben jemals “gesund werden” können. Wieso soll die Weihe, d.h. Rituale, vollzogen durch den Oberzeremonienmeister, einen Vertreter der Institution Kirche exklusiv authorisieren, schwere Sünden zu vergeben ? Niemand weiß, welch unreifer Glaube, welche fragwürdigen Motive hinter zur Schau getragener Frömmigkeit stehen. Ist der Genuss von Macht über geängstete Gewissen und Selbstüberhebung etwa keine schwere Sünde ? Zusätzlich erfährt man bei Gelegenheit Peinliches, das mit sexueller Frustration und Verklemmtheit zusammenhängt. Immer wieder wird sexueller Missbrauch an Schutzbefohlenen von Bischöfen unter den Teppich gekehrt. Die grundsätzliche Einstellung, das große Leid der Betroffenen zu ignorieren und bei Bedarf zu heucheln, ändert sich nicht. Wieso sollen solche Leute exklusive Autorität haben, schwere Sünden zu vergeben ? In Kirche und Gemeinde präsentiert sich eine bunte Mischung von guten und schlechten Hirten, wobei die guten Hirten in der Überzahl zu sein scheinen. Dieser Eindruck ist nicht verlässlich, da die schlechten Hirten getarnt sind. Sie kommen als Wölfe in Schafskleidern in die Gemeinde. Sie ahmen gute Hirten täuschend ähnlich nach, aber machen Menschen nicht zu Nachfolgern Jesu, sondern zu Anhängern der eigenen Person. (Apg 20,29 ff) Viele Gläubige fallen auf sie herein. Was werden solche Leute mit Informationen machen, die sie in der Beichte erfahren ? Man kann nicht ausschließen, dass sie in irgendeiner Weise zum Nachteil des Beichtenden missbraucht werden. Schon deshalb kann es einen Beichtzwang nicht geben. 114 Der richtige Adressat für das Sündenbekenntnis ist Gott allein. Fällt es schwer, sich von einer bestimmten Sünde zu lösen, so kann man gemeinsam mit einem Freund Gott darum bitten, wie es der Apostel Jakobus empfohlen hat: “Bekenne einer dem andern seine Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstgemeint ist.” (Jak 5,16) So einen Freund, dem man alles sagen kann, wünscht der Apostel jedem Gläubigen in der Gemeinde. 12. Behauptung: “Ein Versprechen, das der Gläubige Gott gegeben hat, muss auf jeden Fall eingehalten werden, auch wenn es dumm und destruktiv war. Wenn der Gläubige es nicht einhält, muss er damit rechnen, dass Gott sein ganzes Leben ruiniert.” Hier beruft man sich auf 5.Mo 23,21: “Wenn du dem Herrn etwas gelobst, so sollst du nicht zögern, dein Versprechen zu halten ; denn der Herr, dein Gott, wird’s von dir fordern, und es wird dir Sünde sein.” sowie auf Pred 5,3-5. “Wenn du Gott etwas versprichst, so zögere nicht, es zu halten; denn er hat kein Gefallen an den Narren. Was du gelobst, das halte. Es ist besser, du gelobst nichts, als dass du nicht hältst, was du gelobst. Erlaube deinem Mund nicht, dich zu verführen; und sprich vor dem Engel nicht: Es war ein Versehen. Gott könnte zornig über dich werden und alle Werke deiner Hände verderben.” Ein schauderhaftes Beispiel für die Pflicht, auch unbarmherzige Versprechen einhalten zu müssen, liefert die Jephta-Geschichte. Jephta verspricht zum Dank für den Sieg in der Schlacht das, was ihm bei seiner Rückkehr zuerst entgegenkommt, als Brandopfer darzubringen. (Ri 11,30-31). Leider lief ihm seine Tochter entgegen, sodass er sein leichtsinniges Ver-sprechen tief bereute. Aber er “tat an ihr, wie er dem Herrn versprochen hatte.” (Ri 11,39) Einen Menschen einem Gott zu opfern, war nach dem Gesetz verboten (5.Mo 12,31) Ersatzweise forderte Jephta von seiner Tochter den Verzicht auf Ehe und Mutterglück, was um so mehr ins Gewicht fiel, als sie sein einziges Kind war. 115 Unklar ist, warum er die Möglichkeit nicht nutzte, die das Gesetz bot, nämlich das Gelobte freizukaufen. Nach 3.Mo 27,4 war für eine Frau 30 Sekel zu entrichten. Diese wären aus der Kriegsbeute leicht zu bezahlen gewesen. Angesichts des überwältigenden Sieges erschien ihm dieser Ausweg wohl als Respektlosigkeit und sein Gewissen konnte sich von dem unsinnigen und zweifellos destruktiven Gelübde nicht mehr lösen. Da das Gelübde auch im Neuen Testament (Apg 18,18 / 21,24 / 1.Tim 5,1112) vorkommt, haben manche Gläubige heute noch große seelische Nöte wegen übereilter und unsinniger Gelübde auszustehen. Wenn man in Geldnot ist, dann neigt man dazu, sich mit Krediten zu helfen, die kurzfristig Erleichterung schaffen, das Problem aber langfristig verschärfen. Wenn man ohnehin unter einem strengen Gewissen leidet, dann ist die Versuchung sehr groß, die Gewissenslast durch Versprechungen zu erleichtern. In bibeltreuen Gemeinden wird ständig zur Hingabe aufgefordert und die Bereitschaft zur Hingabe nimmt nicht selten die Form eines Versprechens an. So kann es geschehen, dass junge Menschen in einer starken, aber vorübergehenden religiösen Begeisterung versprechen, “alles dem Herrn zu weihen”, “als Missionar hinauszugehen”, oder “ehelos zu bleiben” wie es einst Paulus war. Ist der religiöse Rausch verflogen, so erkennen sie, dass sie sich eine Last aufgelegt haben, die sie gar nicht tragen können. Sie stehen vor der Alternative, ein unsinniges Gelübde einzuhalten und damit lebenslang unglücklich zu sein, oder es zu missachten und immer in Angst vor einem Gott zu leben, der den “Kredit” erbarmungslos eintreibt und in der Wahl der Mittel ähnlich wie ein brutales Inkasso-Unternehmen kein Erbarmen kennt. Geben wir dem Wortlaut des alttestamentlichen Gesetzes die höchste Priorität, so ist keine Hilfe möglich. Beachten wir aber, dass die Maßstäbe Jesu Christi die höchste Priorität haben, so ist die Lösung recht einfach. Der Gläubige darf nicht nur, sondern er MUSS barmherzig, fair und glaubwürdig sein. 116 Ist es barmherzig, einen Menschen, den man liebt, erbarmungslos auf ein unüberlegtes Versprechen (z.B. ehelos zu bleiben) festzunageln, das ihn sein Leben lang nur belastet und quält? Ist es fair, mit ständigen Ermahnungen so viel von einem Menschen zu fordern, dass er sich mit Versprechungen helfen muss? Ist es glaubwürdig, “als Missionar hinauszugehen” und vom göttlichen Erbarmen zu predigen, wenn man nur Missionar geworden ist, weil man Angst vor göttlicher Erbarmungslosigkeit hatte? Durch Gelübde geht die klare Abgrenzung zur Werkgerechtigkeit verloren. Wieder ist das eigene Tun im Mittelpunkt, mit dem sich der Gläubige selber rettet. Und das ist verboten! “Ihr habt Christus verloren, die ihr euch durch die Erfüllung der göttlichen Normen selber retten wollt.” (Gal 5,4) Die Abgrenzung von der Werkgerechtigkeit muss 100% sauber und kompromisslos sein: “ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig” (Gal 5,9) Daraus folgt: Gelübde haben für den Christen keine Bedeutung. Er stellt sich seinem Herrn jeden Tag neu zur Verfügung und lebt ganz aus der Gnade. Wie sind dann die im Neuen Testament erwähnten Gelübde einzuordnen ? Paulus benutzte das Gelübde, das im Alten Testament und in der jüdischen Kultur eine gewisse Bedeutung hat, um das Vertrauen seiner jüdischen Landsleute zu gewinnen (Apg 18,18 / 21,24). Aus demselben Motiv beschnitt er auch Timotheus (Apg 16,3), der mit ihm zusammen die Juden missionierte. Eine inhaltliche Bedeutung hatte die Beschneidung für ihn nicht. Er warnte die Gläubigen, mit der Beschneidung irgendeine geistliche Bedeutung zu verbinden: “Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, dann wird euch Christus nichts mehr nützen.” (Gal 5,2) 1.Tim 5,11-12 erwähnt Witwen, “die Wünsche haben, die Christus widersprechen und wieder heiraten wollen und haben sich damit das Urteil zugezogen, dass sie die erste Treue gebrochen haben” (wörtlich übersetzt). 117 Es gab damals eine Gruppe von verwitweten Frauen, die sich ganz dem diakonischen Dienst weihte und dafür offensichtlich besondere Privilegien genoss. Wer sich in diese Gruppe aufnehmen ließ und dann doch heiratete, schadete dem Ansehen dieses Amtes (das später in der Kirchengeschichte seine Bedeutung verlor). Darin bestand die Sünde. Die Wortwahl des Paulus ist hier, wie an anderen Stellen auch, sehr missverständlich. Die wortwörtliche Übersetzung macht ähnlich wie in Tit 1,12-1 überhaupt keinen Sinn, sondern lässt den Wahn der Werkgerechtigkeit wieder aufleben, von dem doch Paulus selbst sagte, man müsste sich davon kompromisslos fernhalten. Wie können wir das angemessen übersetzen? Ein Versuch: “Welche Frau kann in das Verzeichnis der Witwen aufgenommen werden? Sie sollte wenigstens sechzig Jahre alt sein… Jüngere Frauen, die sich bewerben, weise zurück. Eines Tages haben sie wieder den Wunsch zu heiraten und müssen sich dann den Vorwurf gefallen lassen, dass sie ihr Wort nicht halten können. Jesus aber will nicht, dass seine Jünger als unzuverlässige Leute gelten.” Wie C.S.Lewis einmal sagte, hat Gott offenbar dem Paulus die Gabe der anschaulichen Darstellung (Didaktik) aus gutem Grunde versagt. Er nimmt also nicht nur die Stärken, sondern auch die Schwächen des Paulus in Seinen Dienst. Eben weil vieles schwer zu verstehen ist, ist die Gemeinde gezwungen, mit dem Text zu arbeiten und immer wieder neu darüber nachzudenken. Fatal ist dann allerdings, wenn Nachdenken, Prüfen und Ergründen zur Sünde erklärt wird und man sklavisch am Buchstaben klebt. “Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig” (2.Kor 3,17). Wie schon zur unvergebbaren Sünde 239 gesagt wurde: Gott macht sich und sein Wort unglaubwürdig, wenn im Kleingedruckten aufgehoben wird, was klar und deutlich im Hauptvertrag steht. 239 Siehe 10. Behauptung: “Man kann durch ein einziges unüberlegtes Wort in die Hölle kommen.”, Seite 100. 118 Wenn der Gläubige “zur Freiheit befreit” (Gal 5,13) und “los vom bösen Gewissen” (Hebr 10,22) und “frei vom Gesetz” (Gal 7,3+4 / 1.Tim 1,9 ! ) ist, dann sind das gültige Versprechen Gottes, die zuverlässig eingehalten werden und durch ein eigenes unüberlegtes Gelübde nicht nachträglich eingeschränkt werden können. Das Eheversprechen übrigens, dass vor der Gemeinde gegeben wird, ist kein echtes Gelübde. Es hat keine rechtsbegründende Wirkung, sondern ist deklaratorischer Natur. Es verkündet nur die göttliche Ordnung, dass Mann und Frau einander lebenslang treu sein sollen: “Habt ihr nicht gelesen, dass, der im Anfang den Menschen gemacht hat, sie als Mann und Frau geschaffen hat und sagte: “Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hängen, und die beiden werden eine Person sein” ? Deshalb sind sie nicht zwei Person, sondern eine. Und was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.” (Mt 19, 4-5) Gültig ist diese Rechtsordnung auch, wenn kein Versprechen in der Kirche gegeben wird. Vor einer Strafe für die willkürliche Verletzung dieser Ordnung schützen solche Umgehungsversuche nicht. Im Ergebnis ist bibeltreuen Theologen recht zu geben, wenn sie feststellen, dass der gläubige Christ ganz und gar Eigentum seines Herrn geworden ist und deshalb nicht etwas, was seinem Herrn ohnehin gehört, noch einmal geloben kann. 13. Behauptung: “Wenn du noch nicht in Zungen redest oder noch kein wunderbares Erleuchtungserlebnis empfangen hast, steht noch irgendeine Sünde zwischen dir und Gott. Dann hast du evt. den Heiligen Geist noch nicht empfangen und bist noch gar kein Christ und noch nicht gerettet.” In der Bibel gibt es für diese Behauptung keinen Beleg. Der Behauptung, dass der Gläubige bei einer echten Bekehrung die Fähigkeit erhalten haben muss, in unverständlicher Sprache zu reden (“Zungenrede”) ist die Frage des Paulus entgegenzuhalten: “Reden sie alle in Zungen?” (1.Kor 12,30) 119 Offensichtlich gab es auch Gläubige ohne Zungenrede. In manchen Zeiten – wie zur Zeit Jesu und der Apostel – geschahen Wunder häufig, zu anderen Zeiten eher selten (Lk 4,25-26). Es ist überheblich und unbarmherzig, Gläubige als zweitklassig abzuqualifizieren und zu deprimieren, bloß weil sie kein spektakuläres Wundererlebnis aufzuweisen haben. Jesus betrachtet Wunder jedenfalls nicht als entscheidend für das Heil: “Es werden nicht alle, die zu mir sagen: HERR, HERR! ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. “Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: HERR, HERR! Haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben, und haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt; weichet alle von mir, ihr Übeltäter!” (Mt 7,21-23) Auch wenn der Gläubige nichts Spektakuläres erlebt, kann er dennoch fest auf die Liebe seines Herrn vertrauen. Das Reich Gottes ist nicht “etwas genießen, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist.” (Rö 14,17). Diese Gelassenheit, dieses Vertrauen sollte der Gläubige sich nicht zerstören lassen, indem er es von spektakulären Ereignissen abhängig macht. In dieser Haltung des Vertrauens wird man auch viel Bewahrung, Hilfe und Güte Gottes im täglichen Leben erkennen, Geschenke, die der Nichtgläubige unter “noch mal Glück gehabt” einsortiert. 14. Behauptung: “Wenn dein Gebet nicht erhört wird, dann gibt es nur einen Grund dafür: eine Sünde steht zwischen dir und Gott.” “Wahrhaftig: die Hand des Herrn ist nicht kürzer geworden, dass er nicht helfen könnte, auch ist sein Ohr nicht taub geworden, dass er nicht hören könnte, sondern eure Gemeinheiten haben einen Graben zwischen euch und Gott aufgerissen. Eure Sünde ist es, die euch hindert auf Gott zu blicken. Eure Sünde ist daran schuld,dass ihr nicht mehr angehört werdet.” (Jes 59,1+2) Wer Gott und seine Weisungen verachtet, der kann nicht erwarten, dass Gott auf seine Bitten achtet. Jeder vernünftige Erzieher wird genauso handeln. 120 Fatal wird die Bibelauslegung, wenn sie Gebetserhörung mit dem Anspruch verknüpft, dass der Gläubige seine Unvollkommenheit überwindet. 240 Wenn das stimmt, dann gibt es überhaupt keine Gebetserhörung – denn das ist unmöglich: “wenn wir behaupten, wir hätten keine Sünde, dann lügen wir.” (1.Jo 1,8) Es bleibt dann nur die Verzweiflung oder religiöser Hochmut. Man kann es nur Hochmut bzw. Blindheit nennen, wenn Gläubige meinen, so untadelig zu sein, dass Gott sie “erhören müsse”. Mit Wohlverhalten lässt sich Gott nicht manipulieren. Die Bibel lädt aber die Gläubigen ein, den Vater im Himmel zu bitten: “Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet“. (Jak 4,2) Dazu gehört aber auch der Hinweis, dass die Bitte nicht egoistisch sein darf: “Manche von euch bekommen nichts, weil sie in übler, egoistischer Weise bitten. Ihr Treulosen, wisst ihr nicht dass Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott bedeutet?” (Jak 4,3-4). Auch Jesus betonte, dass Gott gerne Bitten erhört, die seinem Willen entsprechen: “was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, um den Vater im Himmel zu ehren.” (Joh 14,13) Um zu wissen, was man beten soll, braucht der Gläubige eine enge Beziehung zu Jesus und eine innerliche Ausrichtung auf die unsichtbare Welt: “Bemüht euch eifrig um das, was in der unsichtbaren Welt wichtig ist, und nicht um das, was die Welt irrtümlich für wichtig hält.” (Kol 3,2) Festzuhalten ist: Gott sieht es gerne, wenn seine Gläubigen ihn bitten und gibt grundsätzlich gerne und großzügig. (Luk 11,11 / Jak 1,5) Dessen ungeachtet wird Menschen manchmal schwerstes Leid zugemutet, ohne das Gott die Bitte um Hilfe erhört. Paulus flehte dreimal, dass Gott ihm eine schwer erträgliche Krankheit wegnehmen möge. “Gott antwortete: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.” (2.Kor 12,9) 240 Siehe die 3. Behauptung: “Wenn wir nur wollen, können wir die Sünde lassen. , Seite 58. 121 Diese Tatsache widerspricht einer voreiligen Pauschalisierung von Jes 53,4 (Jesus trägt die Krankheiten des Gläubigen) bzw. von Jak 5,15, wo es heißt, dass das Ältestengebet bei Krankheit helfen soll. Unerträglich war auch die lange Leidenszeit des Hiob, von dem das älteste Buch der Bibel berichtet. Gott schenkte ihm Erlösung noch in diesem Leben. Hebr.11,35 ff berichtet von Gläubigen, die erst im nächsten Leben aus ihrer Not erlöst werden werden. Der Gläubige soll auch in aussichtsloser Situation am Glauben festhalten und Gott mit diesem Vertrauen ehren. Gottvertrauen ist eine grundsätzliche Entscheidung und nicht von Gebetserhörung abhängig. Es wird niemals soviel Gebetserhörung geben, dass sie als “Gottesbeweis” dienen könnte und das Vertrauen überflüssig macht. Der Gläubige lebt hier auf Erden “im Glauben und nicht im Schauen” (2 Kor 5,7) Die Quelle seine Vertrauens sind nicht spektakuläre Wunder (die allesamt bezweifelbar wären !), sondern die Erfahrung, dass Gott die Persönlichkeit und den Charakter 241 prägt. Diese Erfahrung ermutigt dazu, sich Gottes Führung immer mehr anzuvertrauen und Prioritäten im Leben entsprechend zu setzen. Was tut der Mensch mit wunderbaren Gebetserhörungen ? Wieviel Menschen haben jahrelang gebetet, dass doch die Teilung Deutschlands ein Ende haben möge. Gott hat es geschenkt, dass viele Menschen schon zu ihren Lebzeiten die Erfüllung dieser Bitte erlebten – ohne dass ein Mensch dabei zu Schaden kam. Man kann es nun von zwei Seiten sehen: “Die Gläubigen haben die DDR kaputtgebetet”. Oder: “Da die DDR finanziell am Ende war, hätte es über kurz oder lang so kommen müssen…” Tatsächlich? Wieviele Menschen bitten Gott in höchster Not und wenn sie dann das Erbetene erhalten haben, ist alles vergessen. Kein Gedanke mehr an Dankbarkeit. Hinterher heißt es nur: “Glück muss der Mensch haben.” 241 Siehe das Kapitel „Charakter“, Seite 205. 122 15. Behauptung: “Krankheit ist ein starkes Indiz für mangelnden Glauben oder heimliche Sünde.” Krankheit kann die Folge von Fehlverhalten sein: ein sexuell zügellos lebender Mensch kann sich AIDS einhandeln, ein rücksichtsloser Fahrer im Verkehr kann verunglücken, ein Drogenkonsument kann abhängig und gesundheitlich ruiniert werden, ein “Workoholic” kann an seinem Herzinfarkt selbst schuld sein. Doch viel häufiger ist die unverschuldete, schicksalhafte Krankheit. Sie wird auch heute noch immer wieder von gewissen frommen Leuten als Strafe Gottes gedeutet. Wie blind muss man da sein! Was lässt nur Gläubige an solchen erbarmungslosen Ansichten festhalten? Der Pharisäismus hat viele Varianten. Manche führen eben nicht nur ihren Berufserfolg, sondern auch ihre Gesundheit ausschließlich und einzig auf ihre moralische Überlegenheit zurück. Gott hat sie mit seinem Segen bevorzugt er konnte gar nicht anders, als sie zu belohnen (vgl 5.Mo 28), sodass sie nun weniger frommen Menschen, die leiden müssen, als leuchtendes Beispiel dienen. Jesus hat in aller Deutlichkeit das Gegenteil gesagt. Leid ist nicht ein zwingender Beweis für Sünde, sondern eine Gelegenheit für Gott, seine Kraft zu zeigen. (Jo 9, 1-3) Diese Kraft kann heilen, aber auch zum geduldigen Ertragen der Krankheit befähigen. Wieviele Beispiele von Gläubigen gibt es, deren starker Glaube gerade durch ihre Krankheit anderen vor Augen geführt worden ist. Der Apostel Paulus selber hatte Gott gebeten, ihn von einer gesundheitlichen Belastung, “dem Pfahl im Fleisch” zu befreien. Er erhielt die Antwort: “Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.” (1.Kor 12,7-9) Seelische Krankheit, chronische Depressionen, eine ins Merkwürdige hinein verformte Persönlichkeit können ein Hinweis auf sektiererische 242 Elemente in der Gemeindelehre sein. 242 Siehe ausführlich das Kapitel „Was ist Irrlehre“ im Internet. 123 Sie können auch ein Hinweis auf notorische Unehrlichkeit der Gemeindeleitung sein, falls diese den Zusammenhang erkannt hat, sich aber weigert, die Gläubigen darüber aufzuklären. 16. Behauptung: “Bei Krankheit den Arzt zu holen, ist ein Beweis mangelnden Gottvertrauens und daher Sünde.” Und Asa wurde krank an seinen Füßen … und seine Krankheit nahm sehr zu; und er suchte auch in seiner Krankheit nicht den HERRN, sondern die Ärzte.” (2.Chr 16,12). Muss sich der Gläubige entscheiden: Entweder den Herrn bitten oder die Ärzte? “Verflucht sei, der sich auf Menschen verlässt”? (Jer 17,5) In einer kleinen Gemeinde in Indiana liegen schon über 50 Opfer dieser Bibelauslegung auf dem Friedhof. 243. Hat sich nicht Gott verpflichtet zu helfen ? Hatte Jesus nicht versprochen: “alle Dinge sind möglich, dem der da glaubt?” (Mk 9,23). Gegenfrage: hat Jesus nicht gesagt: “hört auf meine Worte: selbst wenn euer Glaube nur so klein ist wie ein Senfkorn, dann könnt ihr zu diesem Berge sagen: bewege dich von hier an jenen Platz, dann wird er sich bewegen. Selbst dann wird euch nichts unmöglich sein.” (Mt 17,20) Wenn man testen möchte, ob der eigene Glaube ausreicht, Gott zur Hilfe zu zwingen, dann sollte man ihn doch erst einmal an einem Berg ausprobieren, bevor man auf den Arzt verzichtet. Gefährliches wörtliches Missverstehen! Es geht Jesus nicht um die Fähigkeiten des Gläubigen, auch nicht darum, dass er ein Höchstmaß an moralischer Vollkommenheit nachweist! Er fordert den kleinen Menschen nicht auf, seine ganze “Glaubenskraft” zusammenzuraffen, um einen unendlich großen, gleichgültigen Gott zu bewegen. Jesus sagt genau das Gegenteil: euer Glaube kann so klein sein, dass man ihn kaum sieht – wie ein Senfkorn. Gott ist aber selbst der kleinste und erbärmlichste Glauben kostbar. Er freut sich darüber, dass überhaupt Glauben vorhanden ist. Dieser ganz kleine Glaube lohnt sich und kann zu größten Erfolgen führen. 243 vgl. Philipp Yancey, Von Gott enttäuscht, Metzingen/Württ., S.16-17. 124 Es gibt keine einzige Bitte, die Gott nicht erhören könnte – bloß weil der Glaube so klein war. Deswegen sagte Jesus: “Alles ist möglich“. Die Wirksamkeit des Gebetes ist eben nicht von der Willenskraft oder Glaubenskraft der Menschen abhängig – sondern nur von der Frage, ob Glauben da ist oder nicht. Schlimm ist es nur wenn der Gläubige den Glauben ganz fahren lässt, bloß weil dieser Glaube nur klein ist. “Ein Mensch, der gar nicht glaubt, sondern zweifelt, soll nicht denken, dass er irgendetwas von Gott bekommen wird.” (Jak 1,7) Mit dem Zweifel, ob Gott ihn überhaupt beachtet und hört, darf der Gläubige nicht liebäugeln. Einst bat ein Vater Jesus, seinem Sohn zu helfen mit den Worten: “Kannst du aber was, so erbarme dich unser und hilf uns!” Hier kommt Zweifel zum Ausdruck, den Jesus zurückweist: “Wenn du doch glauben wolltest! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.” (Mk 9,23) Jesus konnte den Jungen heilen, weil der Vater den Zweifel losließ: “Ich glaube, lieber HERR, hilf mir in meinem Unglauben!” (V.24) 17. Behauptung: “Durch das Anhören weltlicher Musik kann Besessenheit (Dämonen) übertragen werden, die man nur sehr schwer wieder los wird.” Fromme Gruppen, die solche Sonderlehren pflegen, begründen ihre rigorosen Verbote gerne mit der Angst vor dämonischen Einflüssen. Sie warnten, dass der Gläubige keine Musik hören dürfe, deren Rhythmus aus afrikanischen Kulten stammt, da andernfalls “Besessenheit” automatisch übertragen werden könne. Verständlicherweise wird das Gewissen in der Folge jedesmal heftig Alarm schlagen, wenn „afrikanische“ Musik gespielt wird. Ja, es kann noch schlimmer kommen: die Gewissensnöte entstehen möglicherweise auch bei nicht-afrikanischer Musik, da sich die Musikstile vielfältig beeinflussen und ihre Herkunft oft nicht einfach festzustellen ist. 125 Weil von der Vollkommenheitslogik her nur der völlig bedenkenlose Gebrauch zulässig (Röm 14,23) ist, zugleich aber eine ‘Reinheitsprüfung’ niemals mit absoluter Genauigkeit durchgeführt werden kann, hat jede „Infektionstheologie“ die zwangsläufige Tendenz zum Totalverbot. In gewissen schmalspurig denkenden Gruppen wird die Auswahl von vornherein sehr eng gefasst. Von einem Gemeindeleiter wird berichtet, dass er vor Entsetzen außer sich geriet, wenn jemand andere fromme Lieder anstimmte, als sie in dem von ihm genehmigten Kirchengesangbuch vorgegeben waren. Keine Frage, dass auch hier die Gewissen leicht beeinflussbarer Mitmenschen geprägt wurden. Eine ähnliche Infektionshysterie hat das Buch von Vance Packard, “Die geheimen Verführer” ausgelöst. Er zitiert dort einen Zeitungsbericht, in dem behauptet wurde, dass eine Eiscreme-Firma Werbedias in Kinofilme einfügen ließ, die vom Zuschauer nicht bewusst wahrgenommen wurden. Auf diese Weise habe sie ihren Umsatz deutlich steigern können. 244 Obwohl Packard durchblicken ließ, dass man an diesem Bericht auch seine Zweifel haben könne, waren etliche „Strenggläubige“ ihrer Sache desto sicherer und befürchteten, dass in Filmstreifen einzelne Bilder mit gottlosem Inhalt eingefügt seien, die der Betrachter nicht sehen könne, die sich aber in seinem Unterbewusstsein festsetzen würden. In der Folge wurden auch die harmlosesten Filme von den entsprechend indoktrinierten Gläubigen als gefährlich betrachtet. Jedoch war die Sensation nur ein Hirngespinst. Die Wirkungslosigkeit solcher Bildeinfügungen war schon früher auf verschiedene Weise nachgewiesen worden. 245 Diese zwei Beispiele sollten genügen, um aufzuzeigen, dass das Gewissen durchaus auch mit haltlosen Behauptungen geprägt werden kann. 244 Packard, Vance, “Die geheimen Verführer”, Düsseldorf 1967, S.33-34. 245 R.A.Bauer, “The Limits of Persuasion”, Harvard Business Review, Sep-Okt 1958, Seiten 105-110 / J.T.Klapper,”The Effects of Mass Communication”, New York, Free Press, 1960 / Bauer, “The Initiative of the Audience”, Journal of Advertising Research, Juni 1963, Seiten 2-7. 126 Was nimmt man den Menschen alles weg, wenn man alle Musik als giftig verbietet, die nicht von “Strenggläubigen“ produziert wurde! Wie wohltuend kann Musik auf die Seele wirken, die von begabten “weltlichen” Komponisten komponiert wurde! Zugegeben: es gibt manches, was nicht jedem guttut. Der Seele tut es aber erst recht nicht gut, wenn man jedes Hören von Musik zu einer Angelegenheit von Himmel und Hölle macht! Man treibt die Menschen dadurch nur in eine ständige Ängstlichkeit hinein. Verantwortungslos! Für die seelische Gesundheit ist das schädlich! Dem Zusammenhalt einer Sekte nützt es natürlich. Sekten sind typischerweise bemüht, bei ihren Mitgliedern eine phobische Weltsicht zu erzeugen, in der alles, was von außen kommt, als böse und bedrohlich empfunden wird. Um so ängstlicher drängt sich dann die Herde um den unberufenen “Hirten” und frisst ihm quasi aus der Hand. Der “Hirte” mag sich selber weiden und rücksichtslos gegen seine Schäfchen sein – man bleibt trotzdem bei ihm, denn anderswo soll es ja angeblich noch schlimmer sein. In der Tat, der fromme Bruder, der mit der Musik angeblich so genau Bescheid wusste, herrschte in der von ihm gegründeten kleinen Glaubensgemeinschaft wie ein Diktator. 18. Behauptung: “Zwanghafte Lästergedanken sind ein Beweis, dass der Gläubige vom Satan besessen ist. Er kann nur durch Exorzismus befreit werden.” Es ist doch sonnenklar. Lästerung ist eine Entwürdigung Gottes und wer anderes als der Satan könnte dahinter stecken? Und wenn der Gläubige diese Gedanken nicht will, aber dennoch aussprechen muss, so kann doch nur eine viel stärkere Macht als er selbst in ihm wirksam sein und diese Macht ist nicht gut, sondern böse! Tatsächlich? Ein gläubiger Mensch möchte Gott loben und gut von ihm reden und findet Gedanken, die Gott beschimpfen, natürlich sehr störend. 127 Doch woher kommen diese Gedanken? Dass man etwas denken muss, was man nicht denken will, ist ein bekanntes Phänomen. Sagen Sie jemand, dass er auf keinen Fall an eine große Frauenbrust denken soll, die durch die Landschaft rollt und er wird sofort und wiederholt daran denken. Und je mehr Energie er darauf verschwendet, eben das nicht zu denken, desto mehr wird ihn diese Vorstellung beschäftigen. Es ist wie ein Sog. Dieser Mechanismus funktioniert mit lustigen, aber auch mit beschämenden und erschreckenden Gedanken. Die Person Gottes muss dabei gar nicht vorkommen. Die Neigung zu solchen Gedanken kann verstärkt werden durch dazu passende Erlebnisse. Nehmen wir an, jemand war mit einer sehr attraktiven Frau liiert, aber leider hat sie sich von ihm getrennt. Je schöner die gemeinsame Zeit war, desto mehr wird dem Betreffenden das sexuelle Defizit schmerzhaft bewusst. Man darf annehmen, dass ihn deshalb sexuelle Phantasien viel mehr beschäftigen. Wenn jetzt ein Gläubige stark unter religiösen Zwängen leidet, sich durch vermeintlich biblische, aber unbarmherzige Theologie ständig überfordert sieht, und – so sehr er es auch wünscht – Gott gar nicht mehr als liebevollen Vater, sondern eher als Tyrann empfindet, dann wird er gegenüber negativen Gedanken über Gott immer weniger Widerstandskraft haben. Er erkennt diesen Zusammenhang und fühlt sich schuldig, da er die Forderungen der vermeintlich biblischen Theologie nicht erfüllt. Würde er sie alle erfüllen, dann könnte er ja auch positiv über Gott denken. Er erkennt nicht, dass das Gebot, “vollkommen zu sein” (Mt 5,48) gar nicht erfüllt werden kann, und hat nie erfahren, wie Sätze dieser Art tatsächlich gemeint sind. Vollends verzweifelt wird seine Situation, wenn sich die beschimpfenden Gedanken gegen den Heiligen Geist richten, da er weiß, dass die Lästerung des Heiligen Geistes 246 eine Sünde ist, die “niemals mehr vergeben werden kann“. (Mt 12,36) Da er meint, wegen mangelnder Vollkommenheit 247 für diese Gedanken trotz allen Widerstandes teilweise verantwortlich zu sein, kreist sein Denken bald ständig um dieses Thema. 246 Siehe in diesem Kapitel die 10.Behauptung „ “Man kann durch ein einziges unüberlegtes Wort in die Hölle kommen.”, Seite 100. 247 Siehe in diesem Kapitel die 3 Behauptung „“Wenn wir nur wollen, können wir die Sünde lassen.“, Seite 58. 128 Die einzige Möglichkeit, jeden Verdacht einer Mitschuld – der die Seele unheilbar belasten würde – auszuschließen, ist die sofortige Korrektur des Gedankens. Wenn er immer sofort das Gegenteil gedacht hat, dann hat er sich und Gott den Beweis erbracht, dass er die Lästerung nicht wollte. Nur so kann er seinen Seelenfrieden retten. Seine große Angst ist, dass Gott eine einzige ausbleibende Korrektur als Zustimmung werten konnte. Man kann sich leicht vorstellen, wie extrem stark der Sog solcher Gedankengänge und wie grausam diese ständig überfordernde Zwangslage ist. Faktisch ist es aber derselbe Mechanismus, den es auch in harmloser Form bei jedem Menschen gibt. Solche Ängste sind nur möglich, wenn der Gläubige kein verlässliches, positives Gottesbild bilden konnte. Das Gottesbild wird geprägt durch die Theologie, aber auch durch die Biographie. Einem Menschen, der ein weitgehend störungsfreies Leben führen durfte, fällt es nicht schwer, an einen freundlichen und liebevollen Vater im Himmel zu glauben. Ein Mensch dagegen, der immer wieder von Schicksalsschlägen verfolgt wurde, empfindet sich sehr schnell als “verflucht” und Gott als entsprechend fern und ablehnend. Umso wichtiger ist es, Abstand zu schädlicher und verzerrender Theologie zu halten. Menschen, die in dieser Situation stehen, wird ein Exorzismus nicht helfen. Besonders muss man davor warnen, einen Exorzismus gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen, da man ihn damit aufs Äußerste entwürdigt und ihn als willenloses Stück Fleisch sieht, eine Marionette, die von bösen Geistern bewegt wird. Das Neue Testament berichtet, dass Jesus den bösen Geistern gebot und sie daraufhin ausfuhren. Auch von Paulus wird Ähnliches berichtet (Apg 16,18). Doch es ist sicherlich angebracht, darauf hinzuweisen, dass Jesus als der Sohn Gottes und die von ihm bestimmten Apostel eine besondere Autorität hatten. Mit dem Kopieren der Austreibungsformel ist es sicherlich nicht getan. Um den Satan auszutreiben, muss er überhaupt erst einmal in den Betreffenden hineingefahren sein. 129 Wenn das nicht der Fall ist, sondern wenn es sich nur um eine Verklemmung der Seele handelt, dann sind solche Versuche überflüssig und möglicherweise sogar schädlich. 19. Behauptung: “Das Textverständnis, das sich am engsten an den Wortlaut hält, ist das beste.” Selbstredend ist die Grundlage des seriösen Bibelstudiums das sorgfältige Lesen des Urtextes oder von Übersetzungen, die sich eng am Urtext orientieren. Doch das reicht für eine Interpretation nicht immer aus. Denn biblische Aussagen sind nicht gleichwertig. Sie stehen in einer Rangfolge. Aussagen mit geringerem Rang sind im Lichte höherwertiger Aussagen zu deuten. Höchste Autorität haben die Qualitätsmaßstäbe Jesu Christi: Barmherzigkeit, 248 Gerechtigkeit, 249 Verlässlichkeit 250 (Mt 23,23). Man kann keinen biblischen Satz richtig einordnen, wenn man dabei diese Maßstäbe nicht berücksichtigt. Ergänzend sollte man beachten, dass es nicht genügt, über diese Maßstäbe theoretisch nachzudenken. Wenn der Übersetzer ihren tieferen Sinn erfassen will, dann sollte er sie in seinem täglichen Verhalten, insbesondere im Umgang mit Andersdenkenden 251 respektieren. Die Funktion des Buchstabens illustriert ein schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell. 252 Der Buchstabe enthält das Leben nicht selbst. Er selbst gibt kein Leben, sondern “tötet“. (2.Kor 3,6). Aber wenn der Gläubige sich um die Qualitätsmaßstäbe Jesu Christi bemüht, die geistliches Leben aufschließen, kann der Buchstabe selbst wieder zu Leben und Wachstum beitragen. 248 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#barmherzigkeit“. 249 Siehe unter „Häufige Fragen“ den Abschnitt „Warum wird “Gerechtigkeit” (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt? “, Seite 221. 250 Siehe unter „Häufige Fragen“ den Abschnitt „ Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? , Seite 223. 251 Siehe Seite 262. 252 Siehe Seite 268. 130 Es gibt hier eine Ähnlichkeit mit dem biologischem Leben. Die DNS selbst lebt nicht. Sie ist ein Eiweißmolekül, das für das Leben wesentliche Informationen enthält. Aber wenn die DNS eingebettet wird in eine lebendige Zelle, wenn sie mit Leben verbunden wird, dann beginnt sie zu arbeiten und ihre Informationen kommen dem Leben und dem Wachstum zugute. Kommt die DNS nicht in eine lebende Zelle, wird sie ein lebloses Eiweißmolekül bleiben. Nichts wird geschehen. Offensichtlich lehrt uns das inspirierte Wort Gottes, die Rangordnung seiner Aussagen als unveränderliche Eigenschaft zu erkennen und zu respektieren. Um die tatsächliche Bedeutung einer Aussage zu erschließen, müssen wir als erstes eine Verbindung zu den Qualitätsmaßstäben Christi herstellen. Auf diese Weise schützt das inspirierte Wort Gottes seine Autorität gegenüber Auslegern, die Auslegung als pure Denksportaufgabe betrachten, die mit linguistischen und theologischen Instrumenten zu lösen ist. Viele Gläubige meinen ja, dass deshalb ein Professor oder Doktor der Theologie die Heilige Schrift am besten auslegen könne. Wenn wir der Schrift glauben, dann müssen wir entgegnen: auch wenn wir gewiss von mancherlei Detailkenntnissen der Theologie profitieren, versteht ein Professor oder Doktor der Theologie die Bibel so schlecht oder so gut wie andere Gläubige auch. Erkenntnis Gottes hängt nicht vom Wissen ab, sondern vom Geist Gottes. Deswegen sagt Jesus auch: “ihr sollt euch nicht “Lehrer” nennen lassen. Ihr seid alle Brüder” (Mt 23,8) und Paulus sagt durch den Heiligen Geist: “der geistlich gesinnte Gläubige beurteilt alles.” (1.Kor 2,15). Der Heilige Geist kann einen Laien mit besonderem Bibelverständnis begaben. Wer eine intellektuelle Schulung oder Ausbildung über die Erläuterungen solcher Laienboten 253 stellt, versteht von biblischer Inspiration wenig bis gar nichts. Das Gegenteil ist wahr. Die Bibel hat ihre spezielle Weise, intellektuellem Hochmut zu widerstehen. Sie zeigt uns in vielen Beispielen, dass geistloser Intellektualismus immer wieder haarsträubenden Unsinn oder gefährliche Halbwahrheiten erzeugt. “Gott widersteht den Hochmütigen. Aber den Demütigen schenkt er seine Gnade.” (Jak 4,6) 253 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#laie“. 131 Auch wenn der Ausleger oder Übersetzer eines Bibeltextes immer zuerst auf den genauen Wortlaut achten wird, so ist diese Vorgehensweise kein Patentrezept, um biblischen Text immer richtig zu verstehen. Der Sinn, den der “Geist Christi” (1.Kor 2,16) nahelegt, kann in Einzelfällen erheblich davon abweichen. Für diese Tatsache gibt es zahlreiche Hinweise, die im folgenden genannt werden. Eine wortwörtliche Auslegung, die allen Textteilen gleichen Rang zuerkennt, führt zu keinem sinnvollen und praktikablen Verständnis von 1.Kor 6,1-6. Die Ermahnung des Paulus, Rechtskonflikte durch Gläubige entscheiden zu lassen, wird deshalb traditionsgemäß in bibeltreuen Gemeinden ignoriert. (“Dilemma“ 254) Mit einem wortwörtlichen Verständnis von Phil 2,12 läßt sich sogar die Sünde der Werkgerechtigkeit als heilige Pflicht rechtfertigen. Eine sklavisch am Buchstaben klebende Interpretation der Worte Jesu über die Ehescheidung kann notwendige Maßnahmen der Gemeindezucht 255 unglaubwürdig und unwirksam machen. Mit Hilfe der Qualitätsmaßstäbe Jesu erkennen wir, dass heute die Anweisungen des Paulus und des Petrus zur Sklaverei (1.Tim 6,1-2 / 1.Pe 2,18) nicht mehr verbindlich sind und wir fragen nach den Gründen, warum sie damals mit diesen Maßstäben verträglich waren. Wäre das nicht so, dann müssten wir heute die Sklavenhaltung in moslemischen Ländern sowie die Sklaverei der Kinder in Indien nicht nur als gottgegeben tolerieren, sondern sogar unterstützen. Anderes Beispiel. Paulus schrieb: “Es hat einer ihrer eigenen Propheten gesagt: “Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche.” Dieses Zeugnis ist wahr.” (Tit 1,12-13) Das ist ziemlich genau Wort für Wort übersetzt. 254 Siehe den Abschnitt „Dilemma“, Seite 191. 255 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#zucht“. 132 Fahre nie nach Kreta! Dort wirst du nur betrogen und belogen! Tatsächlich ? Wie könnte man die Sätze treffender wiedergegeben? Ein Versuch: “Mancher von euch wird das Paradoxon des griechischen Denkers (Epimenides) kennen, der sagte: “ein Kreter sagte: ein Kreter lügt immer.” Seht ihr den Widerspruch? So gibt es Leute, bei denen weiß man nie, woran man ist. Sie sind nicht nur ans Lügen gewöhnt, sondern sie sind zudem gefährlich wie Raubtiere und immer zu faul, wenn es darum geht, das Richtige zu tun.” Wie man sieht, haben die Empfänger des Paulusbriefes Kenntnisse, die man für den Leser heute ergänzen muss, wenn er die Sätze richtig verstehen will. Wörtliche Auslegung hat zu dem gefährlichen Missverständnis geführt, dass der Gläubige keinen Arzt konsultieren dürfe 256und Heilung nur von Gott erwarten dürfe. Noch grotesker ist das Missverständnis, zu dem wörtliche Interpretation von Mk 16,18 geführt hat. Dort heißt es: “Die Zeichen, die denen folgen, die glauben, sind folgende: in meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, in neuen Sprachen reden, Schlangen vertreiben und falls sie ein tödliches Gift trinken, wird es ihnen nicht schaden…” Rund 100 Kirchen pfingstlerischer Ausrichtung in Tennessee und benachbarten Bundesstaaten im Südosten der USA hantieren unter Berufung auf das Markus-Evangelium im Gottesdienst mit Giftschlangen, um ihre Glaubensstärke zu demonstrieren.257 Ein neues Opfer dieser wahrlichen “giftigen Theologie” war der Prediger Jamie Coots, der in den USA durch die TV-Serie “Snake Salvation” bekannt wurde. Auch er hantierte er im Gottesdienst mit Schlangen herum und starb, nachdem er ärztliche Behandlung nach einem Biss zurückgewiesen hatte.258 256 Siehe die 16. Behauptung “Bei Krankheit den Arzt zu holen, ist ein Beweis mangelnden Gottvertrauens“, Seite 124. 257 http://aktuell.evangelisch.de/artikel/91409/keine-anklage-gegen-schlangen-pastorden-usa, (eingestellt am 10.01.2014). 258 (http://www.youtube.com/watch?v=ZZUdKAYdeeU, (eingestellt am 18.02.2014). 133 Immer wieder hört man von solchen Beispielen destruktiver Schriftauslegung. Es gibt eine Internetseite, die für diese Philosophie werben darf. 259 Weiter ist zu beachten, dass der Wortlaut den irreführenden Eindruck vermitteln kann, dass es keine einzige Ausnahme gibt (biblischer Pauschalstil 260 1). Die Gesamtaussage der Bibel muss bei der Interpretation einer Bibelstelle berücksichtigt werden, wobei die Qualitätsmaßstäbe Jesu Christi höchste Priorität haben. Daraus folgt auch, dass die sinnvolle Verwendung eines Wortes oder Satzes von der Bedeutung abweichen kann und darf, die sich aus dem Zusammenhang ergibt. Beispiel: In 1.Tim5,17 werden die Gläubigen ermahnt, die Ältesten, die gute Arbeit leisten, "zweifacher Ehre wert zu halten". Der vorangehende und der folgende Vers spricht über die materielle Versorgung, sodass manche Ausleger hieraus geschlossen haben, dass Älteste nach dem Willen Gottes doppeltes Gehalt zu beanspruchen hätten im Vergleich zu anderen Gemeindemitarbeitern. Andererseits ermahnt Paulus ein Kapitel weiter, dass Timotheus wie auch allgemein Gläubige sich an "Nahrung und Kleidung genügen lassen sollten" (1.Tim.6,8), weil aus der Frömmigkeit "kein Gewerbe" gemacht werden darf. Was stimmt denn nun ? Man kann natürlich vermuten, dass in Ephesus die Prediger bisher sehr kläglich bezahlt wurden und durch eine Verdoppelung dieses Defizit aufholten. Von etlichen Auslegern aber wird die Mahnung des Paulus gerne verallgemeinert: Predigern und Ältesten steht doppeltes Gehalt zu. Tatsächlich ? "Gute Arbeit" mit einem hohen Einkommensvorsprung zu belohnen, steht mit der Tatsache in Widerspruch, dass sich gute Arbeit eben besonders durch Uneigennützigkeit auszeichnet. Paulus weist genau darauf hin, damit die Gemeinde in Korinth die erbärmlichen Motive seiner Konkurrenten in Korinth erkennt. 259 http://holiness-snake-handlers.webs.com/. 260 siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#pauschal“. 134 Wie sollte man auch "gute Arbeit" definieren ? Soll man Bekehrungen zählen, die möglicherweise durch das Zusammenwirken von mehreren Gläubigen zustandegekommen sind ? (1.Kor 3,6) Ist die harte Arbeit von Streetworkern und Diakonen z.B., die sich verstärkt um Menschen in sozialen Notlagen mühen, oder die von Strapazen geprägte Arbeit von Missionaren in Gebieten fernab der Zivilisation weniger "gute Arbeit" ? Wird der Gemeinde auferlegt, den Zehnten zu geben, so ist die Gewährung doppelten Lohnes sehr unfair. Armen Gläubige wird auferlegt, von dem, was für einfachste Bedürfnisse der Familie kaum ausreicht, 10% abzugeben, damit Gemeindeälteste über diesen Bedarf hinaus Luxuseinkommen anhäufen können. Hat Paulus das in der Tat empfohlen ? Nach dem Wortlaut könnte man das meinen, doch sicherlich hat er das nicht gemeint: es wäre ein klarer Verstoß gegen den Qualitätsstandard der Fairness. Deswegen kann man “doppelte Ehre” nicht guten Gewissens mit “doppeltem Einkommen” übersetzen. Man kann hier deutlich sehen, dass das Wort Gottes dem Übersetzer nahelegt, Erkenntnisse aus dem praktischen Glaubensleben bei der Übersetzung zu berücksichtigen. Wir stellen immer wieder bedauernd fest, dass die üblichen Modelle der Schriftinspiration die überragende Bedeutung der Qualitätsmaßstäbe Jesu für die Auslegung sträflich vernachlässigen und folglich gegen wörtliches destruktives Missverstehen unzureichend abgesichert sind. 20. Behauptung: “Die ethischen Aussagen des Neuen Testamentes haben alle die gleiche Autorität. Der Gläubige muss sie alle einhalten, wenn er nicht ungehorsam sein will.” Unterschiedliches Gewicht von Aussagen ist im biblischen Text selbst festzustellen: Paulus differenziert zwischen einem ausdrücklichen Auftrag, den ihm der Herr gegeben hat, und seiner eigenen Meinung, die er gut begründet hat (1.Kor 7,12). Während auf dem Apostelkonvent noch der Verzehr von Götzenopferfleisch ausnahmslos verboten war (Apg 15), erlaubte ihn Paulus später unter der Bedingung, dass das Gewissen des schwächeren Bruders nicht überfordert wird. (1.Ko 11,29-30) 135 Auch in bibeltreuen Gemeinden werden manche biblischen Aussagen nicht beachtet. Also wird ihnen keine Bedeutung zugemessen. Viele Gläubige halten es für besser, sich nicht danach zu richten: z.B. nach dem Gebot, dass Frauen beim Gebet einen Schleier tragen sollen (1.Ko 11,5). Wie Paulus sagt, soll diejenige Frau, die ohne Schleier auftritt, kahl geschoren werden: “man schneide ihr das Haar ab!” Ob es jemals eine Gemeinde gab, die dieser rabiaten Empfehlung folgte, ist nicht bekannt. Paulus ermahnte, dem Zungenreden “nicht zu wehren“. (1.Kor 14,39) und wünschte sich, dass die ganze Gemeinde diese Gabe hätte (1.Ko 14,5). In sehr vielen bibeltreuen Gemeinden ist genau das Gegenteil der Fall. Auch dieses Gebot wird nicht so wichtig genommen wie andere Gebote des Neuen Testamentes. Es ist schlecht für die Glaubwürdigkeit der Ethik, ein Bibelwort nur deshalb nicht zu beachten, weil man durch die Tradition an die Missachtung gewöhnt ist. Wenn gute Gründe für die eigene Überzeugung entbehrlich sind, weil man alles nur so machen soll, wie es immer war, dann macht man die Ethik zu einer Geschmacksfrage. Wie will man dann junge Menschen überzeugen, dass die biblische Ethik glaubwürdig ist? Die Jugend hat noch sich noch nie nach dem Geschmack der älteren Generation gerichtet. Durch die willkürliche, unbegründete Aufhebung eines biblischen Gebotes wird nicht nur die Ethik zur Geschmacksfrage herabgewürdigt, sondern man macht sich damit selbst zum Papst, zum Mode-Papst, der anderen vorschreibt, welchen Geschmack sie haben müssen. Diese Selbstüberhebung fordert den Widerspruch aller Gläubigen heraus, die sich nicht verpflichtet fühlen, die “Papst-Allüren” eines Gläubigen zu unterstützen. 136 Wenn ein einzelner meint, ein biblisches Gebot willkürlich aufheben zu können, dann muss er dieses Recht auch allen anderen zugestehen. Dies entspricht dem Grundsatz der Gerechtigkeitsliebe 261 und Fairness, den Jesus für äußerst wichtig hielt (Mt 23,23) Damit wäre aber die Ethik aufgelöst. Daraus folgt, dass eine willkürliche Aufhebung auch eines gering erscheinenden biblischen Gebotes nicht erlaubt ist, sondern in jedem Fall mit einem höherrangigen Gebot begründet werden muss. Da Aussagen des Neuen Testamentes unterschiedliches Gewicht haben können, stehen sie in einer Rangfolge, and deren Spitze die Qualitätsmaßstäbe Jesu Barmherzigkeit, 262 Gerechtigkeit, 263 und Verlässlichkeit 264 stehen.” (Mt 23,23). Es darf nicht sein, dass in bibelteuen Gemeinden Gebote unter den Tisch fallen, die diesen höchsten Maßstäben entsprechen: z.B. das Gebot, “alles zu prüfen” (1.Thes 5,21), oder das Gebot, sich für den Schutz der Schwächsten vor Unrecht einzusetzen (Jes 1,12ff / Mt 25,45) oder das Gebot, ehrlich Rechenschaft zu geben. (2.Kor. 7,2) Wer diese Gebote geringachtet, muss, wenn er die Einhaltung der traditionell üblichen Gebote durchsetzen will, sehr bald auf die manipulativen Methoden 265 derer zurückgreifen, die wenig geistliche Autorität haben. Das erzeugt immerfort Spannungen und Spaltungen, wohingegen sich Gläubige auf der Basis biblischer Argumente und Prioritäten verständigen und respektieren können. 261 Siehe unter „Häufige Fragen“ den 9. Abschnitt „Warum wird “Gerechtigkeit” 262 263 264 265 (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt? “, Seite 221. Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Barmherzigkeit, echte“, (Internet). Siehe unter „Häufige Fragen“ den 9. Abschnitt („Gerechtigkeit“), Seite 221. Siehe unter „Häufige Fragen“ den 10. Abschnitt „ Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? “, Seite 223. Siehe „www.matth2323.de/miese-tricks/“. 137 21. Behauptung: Die strengere und härtere Interpretation eines Gebotes ist in jedem Fall die bessere. (siehe hierzu Gegenbeispiele: “In Ordnung bringen“ 266, “Missionsschuld“ 267 , “kleine Sünde“ 268, “Lohn“ 269, “Gelübde“270, “Prügeln“ 271) Für Jesus war eine möglichst strenge Auslegung nicht automatisch die bessere Auslegung. Er legte das Alte Testament so aus, dass der lebensfördernde Sinn (Mt 4,4) aufgeschlossen wurde: “Der Mensch ist nicht gemacht um des Sabbats willen, sondern der Sabbat um des Menschen willen.”(Mk 3,27) Die Pharisäer und Schriftgelehrten bevorzugten eine perfektionistische Auslegung. Sie legten fest, was alles am Sabbat als Arbeit anzusehen ist und nicht getan werden durfte. Sie legten die Anzahl der Schritte fest, die man am Sabbat gehen durfte und entschieden die Frage, ob man ein Licht anzünden dürfe usw. Sie meinten, dass sie am besten erkennen konnten, ob ein Mensch Gott gehorsam war oder ob er gegen Gott sündigte. Jesus warf ihnen vor, dass sie die wichtigsten Gebote “Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Verlässlichkeit” (Mt 23,23) als nebensächlich betrachteten. Dadurch wird man geistlich blind, zum “blinden Blindenleiter“, der andere zur Grube führt und mit ihm zusammen hineinfällt (Mt 15,14). Jede Auslegung, die diese Maßstäbe als nebensächlich ansieht, verbreitet diese Blindheit. 266 Siehe die 1. Behauptung “Gott erwartet vom Gläubigen, dass er jede erkannte Sünde nachträglich in Ordnung bringt“, Seite 42. 267 Siehe die 9. Behauptung „Wer seine Mitmenschen nicht missioniert...“, Seite 98. 268 Siehe die 2 Behauptung „Kleine Sünden sind genauso schlimm wie Verbrechen“ , Seite 49. 269 Siehe die Behauptung „Je mehr du für Gott an Geld und Zeit opferst“ , Seite 88. 270 Siehe Seite 110. 271 Siehe die Behauptung „Prügeln ist ein unentbehrliches Erziehungsmittel des Christen.“, Seite 143. 138 22. Behauptung: “Das Gewissen ist die unfehlbare Stimme Gottes” Die These, dass das Gewissen die „Stimme Gottes“ repräsentiere und „objektiver Maßstab“ sei, geistert immer noch in etlichen Köpfen herum. Sie lässt sowohl durch die Bibel selbst als auch durch einfachste Erfahrung widerlegen. Zunächst der biblische Beweis. Gott befahl Petrus, unreines, d.h. nach dem mosischen Gesetz verbotenes Fleisch zu essen. Petrus weigerte sich, wie sich jeder fromme Jude aus Gewissensgründen geweigert hätte. Aber Gott antwortete ihm: „Was Gott gereinigt hat, das nenne du nicht verboten.“ (Apg 10,15) Das Gewissen des Petrus hat also nach Gottes ausdrücklichem Befehl falsch reagiert. Ein zweites Beispiel: manchen Gläubige verbot das Gewissen, Götzenopferfleisch zu essen. Paulus kommentiert: „Ich weiß und Jesus der Herr bestätigt es mir, dass uns keine Nahrung von Gott trennt, weil sie unrein ist, Wer aber etwas für unrein hält, für den ist es tatsächlich unrein.“ (Röm 14,14) Das Gewissen meldet also keinen objektiven Zustand „Vorsicht! Unrein!“, sondern das Handeln gegen das Gewissen macht immer unrein, egal ob es richtig oder falsch anzeigt. Das Gewissen aber kann durchaus durch überzeugende Argumente „umgeprägt“, neu orientiert werden. Überzeugende Argumente liefern sowohl Gott in der Vision, die er Petrus schenkte, als auch Paulus in seinem Brief. Welche Funktionen hat das Gewissen? Das Gewissen ist ein vom Schöpfer der Seele eingepflanzter Mechanismus, der gewöhnlich durch Erziehung, d.h. durch die Vermittlung der elterlichen Normen „programmiert“ wird. Diese elterlichen Normen befinden sich auch i.d.R. im Einklang mit den Normen des sozialen Umfeldes, in dem die Familie lebt. Verstoß gegen die Normen löst Unwohlsein und Stress aus und den Wunsch, das Verhalten wieder den Normen anzunähern. Solche Orientierungen brauchen oft nur den Bruchteil einer Sekunde. Indem der Mensch in moralischen Fragen instinktiv handeln kann, kann er sich zeitraubende Analysen sparen. 139 Zu bedenken ist hier auch, dass Kinder solche Analysen z.T. noch gar nicht leisten können. Das ist also die erste Funktion des Gewissens: die Entlastung des Denkens. Die andere Funktion ist die der Alarmsirene. Das Gewissen macht sehr starken Druck, wenn der Mensch ein Verhalten erwägt, das für die soziale Gemeinschaft, in die er eingebunden ist, völlig inakzeptabel ist: ein Tabubruch, eine Schändlichkeit oder gar ein Verbrechen. Auch hier ist zu differenzieren. Es gibt Taten, die in jeder Kultur Verbrechen sind: z.B. Mord oder Diebstahl (innerhalb der eigenen Gruppe wenigstens). Bei Schändlichkeiten sieht es schon ganz anders aus. Das, was in einer Kultur schändlich ist, kann in einer anderen ganz harmlos sein. Dazu wieder ein Beispiel aus der Bibel: ein Mann in Israel, der sich weigerte, die Frau seines verstorbenen Bruders zu heiraten, handelte höchst ehrlos. Ihm durfte ins Gesicht gespuckt werden. (5.Mo 25,5-10) Zweifelsohne hat das Gewissen hier auch entsprechend reagiert. Heute ist das überhaupt keine Gewissensfrage mehr! Warum nun ist das Handeln gegen das Gewissen schädlich? Das Gewissen wird gebildet durch einen Überzeugungsprozess, den in erster Linie die Eltern aber auch das soziale Umfeld mitverantworten zum Zwecke automatischer Orientierung. Gegen das Gewissen handeln, heißt daher gegen seine Überzeugung handeln, und das ist selbstzerstörerisch. Dafür ist der Mensch nicht geschaffen. Er soll ehrlich, konsequent und seiner Überzeugung treu bleiben. Der frühere Überzeugungsprozess kann jedoch de facto auf schlechten Argumenten beruhen, also Irrtümer enthalten. Deswegen ist es legitim, mit besseren Argumenten eine stärkere Überzeugung zu bilden, die die frühere ablöst. Dann handelt der Mensch zwar anders, im Widerspruch zu dem, was er früher glaubte, aber wieder im Einklang mit seiner Überzeugung. „Ein jeder sei seiner Meinung gewiss!“ (Röm 14,5) Beispiele sind – wie gesagt – Petrus und Paulus! 140 Also ist das Gewissen ein von Gott geschaffenes Instrument der Seele, mehr nicht. Die Frage, wann dieses Instrument sinnvoll angewendet wird bzw. wie es bei Kindern zu „programmieren“ ist, muss jeder Mensch selber glaubwürdig – in Übereinstimmung mit seinem aktuellen Wissensstand – beantworten. Man braucht wirklich keine besondere Wissenschaft, um festzustellen, dass das Gewissen fast in beliebiger Weise programmiert werden kann. Wenn man über den eigenen Tellerrand hinausschaut, dann kann man die spezifische Prägung des Gewissens in verschiedenen Kulturen wahrnehmen. Solche Unterschiede gibt es zudem bereits innerhalb der eigenen christlichen Kultur. Einige über das biblisch Gebotene hinausgehende Vorschriften, an denen sich selbstverständlich auch das entsprechend geeichte Gewissen orientiert, habe ich bereits genannt. Ein weiteres besonders skuriles Beispiel einer Fehlprägung des Gewissens ist unter dem Punkt “Kann weltliche Musik Besessenheit übertragen ?” 272 nachzulesen. Halten wir fest: das Gewissen tut nicht mehr und nicht weniger, als Gehorsam entsprechend dem augenblicklichen Erkenntnisstand einzufordern. Seine Aufgabe ist, für die Übereinstimmung von Denken und Handeln zu sorgen. Das durch das Gewissen erzwungene Handeln aber kann falsch sein, wenn das Denken bereits fehlerhaft war. Sehr merkwürdig: warum meldet sich das Gewissen sich nicht, obwohl die von der Bibel ausdrücklich gebotene Fürsorge für die Ausländer in etlichen “bibeltreuen” Gemeinden höchst mangelhaft oder gar nicht vorhanden ist? Warum meldet es sich nicht, wenn kein Gemeindeschiedsgericht – wie in Mt 18,17 befohlen – eingerichtet wird und Gläubige auf ihrem Schaden sitzen bleiben? Warum meldet es sich nicht, wenn man „evangelikalen Feminismus“ anstelle der biblischen Eheordnung als Richtschnur für die Ehen anzusehen beliebt? Vom Gewissen zu unterscheiden ist das Schamgefühl. Das Schamgefühl ist ebenfalls kein Beweis für die Sündhaftigkeit des Verhaltens. 272 Siehe Seite 125. 141 Auch der nach dem Maßstab der Bibel untadelige Geschlechtsverkehr wird nicht vor aller Augen auf der Terrasse vollzogen – was das Schamgefühl verletzen würde! -, sondern braucht einen geschützten Raum. Warum haben nicht wenige Eltern Mühe, ihre Kinder aufzuklären? Weil sexuelle Aufklärung überflüssig und schändlich ist? Warum stehen Porzellanklosetts nicht völlig frei in der Landschaft, sondern befinden sich stets in einem Toilettenhäuschen? Weil die Darmentleerung etwas Sündhaftes ist? Es existierte um die Zeit der Zeitenwende eine religiöse Gruppe, die sich aus religiösen Gründen bemühte, die Darmentleerung zu unterdrücken. Flavius Josephus schreibt über die Essäer, die strengste ordensartige Judensekte, dass sie den Sabbat noch strenger als alle anderen Juden beachten und es deshalb nicht einmal wagen, an diesem Tag ihre Notdurft zu verrichten. Wenn man einen Menschen als Gast hat, der völlig ausgehungert ist und der deshalb schlingt „wie ein Scheunendrescher“, dann guckt man ebenfalls nicht allzu sehr hin. Des weiteren entsteht Schamgefühl, wenn man sich bei der Erledigung einer beruflichen Aufgabe besonders dumm angestellt hat. Taktvolle Kollegen überspielen dann die peinliche Situation. All diesen Ereignissen ist gemeinsam, dass sich der Mensch hier von seiner schwachen Seite zeigt, mit einfachen Bedürfnissen, die er mit den Tieren gemeinsam hat, oder anderen allzumenschlichen Mängeln. Ein schwacher Mensch ist verwundbar. Boshafte Menschen nutzen deshalb solche Situationen. Zum Schutz vor ihnen ist dem Menschen das Schamgefühl gegeben. Natürlich entsteht Schamgefühl auch anlässlich falschen Verhaltens, aber der Umkehrschluss ist falsch! Man kann sich durchaus auch für etwas schämen, was – sachlich gesehen – gar nicht schändlich oder falsch gewesen ist. Man kann sich sogar für seinen christlichen Glauben schämen, was man – objektiv gesehen – nicht tun sollte (Mark 8,38 / Rö 1,16). Gewissen und Schamgefühle gehören quasi zur „Exekutive“ (zur ausführenden Gewalt) der Seele, nicht zur „Legislative“ (zur gesetzgebenden Gewalt). Sie sind gewissermaßen die Polizei der Seele. Die Polizei setzt die Gesetze durch. Sie wendet sie an. Aber sie macht die Gesetze nicht. 142 Das, was richtig ist und was falsch, wird von der Regierung bzw. der verfassungsgebenden Volksvertretung festgelegt. Als Regierung der Seele kann man die Erkenntnis des Menschen betrachten, seine Überzeugung. Um Überzeugung zu bilden, muss man gute Argumente bringen. Stehen zwei konkurrierende Gesetze zur Auswahl, zählt nur eines: für welches Gesetz die besseren Argumente sprechen. Überzeugende Argumente aber lassen sich besser der Bibel als der diffusen Gefühlswelt entnehmen. 23. Behauptung: “Die Körperstrafe (Prügeln) ist ein unentbehrliches Erziehungsmittel des Christen.” “Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn bald.” (Spr 13,24). Da steht es ja! Man soll die Rute nicht “schonen“. Wer drauflos prügelt und dabei mehrere Ruten verbraucht, der hat am besten verstanden, was Gott mit “Liebe” meint? Tatsächlich? Wer die Bibel wörtlich verstehen will, der sollte auch andernorts genau lesen. Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: “Soll ich mit der Rute zu euch kommen oder mit Liebe und Sanftmut?” (1.Ko 4,21). Es gibt wohl keinen einzigen Ausleger, der die Ansicht vertritt, dass Paulus tatsächlich mit einer Rute im Gepäck nach Korinth reisen und die Gläubigen durchprügeln wollte. Die Rute ist nur ein Symbol (!) der Bestrafung, die – bei schlimmem Fehlverhalten – entsprechend streng ausfallen kann. Deswegen trifft diese Übersetzung den tatsächlichen Sinn am besten: “wer seinen Sohn nicht für böses Verhalten bestraft, der hasst ihn; wer ihn aber liebhat, der weist ihn zurecht.” Die Israeliten waren damals ein Volk von Viehzüchtern und Ackerbauern. Deshalb illustriert die Bibel so manche Glaubenswahrheit mit Beispielen aus der Landwirtschaft. Gott wird mit dem Hirten verglichen, der den “Stecken” gebraucht, um seine Schafe “zum frischen Wasser zu führen“. (Ps 1) Es hat wenig Sinn, einem Schaf oder einem Rind, das von der Weide wegläuft, um auf dem Feld des Nachbarn zu fressen, einen belehrenden Vortrag zu halten, dass man fremdes Eigentum respektieren müsse. 143 Der Hirte kann nur mit einem unangenehmen Zwangsmittel, einem Stecken oder einem Schäferhund, auf das Tier einwirken. Daraus muss man aber nicht schließen, dass man seine Kinder wie Tiere behandeln und ggf. prügeln müsse. Es gibt wirksamere und würdigere Zwangsmittel, um Einsicht zu erzeugen. Wie wichtig es ist, angemessen zu bestrafen, zeigt die Geschichte des Priesters Eli im Alten Testament. Seine Söhne, die ebenfalls Priester waren, vergingen sich an den Frauen im Tempel und stahlen von den Opfergaben. Anstatt sie – was angemessen wäre – sofort vom Tempeldienst zu suspendieren, beließ es Eli bei einem milden Tadel: “Nicht doch, meine Söhne. Was ich über euch gehört habe, das ist nicht gut. Ihr verleitet das Volk Gottes zum Ungehorsam.” (1.Sam 2,24) Auch nachdem ihn ein Prophet ermahnt hatte, konnte er sich nicht zu strengen Maßnahmen durchringen. Die Folgen waren verheerend. In unserer Zeit hat der gänzliche Verzicht auf Zurechtweisung in Form der antiautoritären Erziehung zu moralischer Haltlosigkeit geführt und die Möglichkeit, sich Gott zuzuwenden, aufs Äußerste erschwert. Bei etlichen Menschen mag aber dieser Irrweg eine Reaktion auf das Erleiden einer primitiven Prügelpädagogik gewesen sein, deren Autorität nicht mehr auf dem Vorbild und überzeugenden Argumenten, sondern im wesentlichen auf brutaler Einschüchterung beruhte. Erziehung braucht Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Fehlt diese, dann kann man das Defizit auch nicht durch körperliche Gewalt ausgleichen. Zweifellos werden sich Kinder dann ihren Eltern äußerlich anpassen, solange sie anwesend sind. Sobald die Kinder aber mit ihren Freunden unter sich sind, werden sie sich nicht mehr an diese Normen halten – und später im Leben auch nicht. Das ist nur konsequent. Wenn die Eltern keine Überzeugungskraft haben, dann heucheln sie. Warum soll das Kind dann nicht auch heucheln dürfen? Das, was die Eltern tun, hat immer viel mehr Gewicht als das, was sie sagen. 144 Es muss davor gewarnt werden, das Kind immer und immer wieder durch Androhung von Prügel in Angst zu versetzen. “Warte, bis Papa nach Hause kommt, dann kannst du was erleben…” Wenn die Theologie das schlechte Gewissen überstrapaziert, verknüpften sich solche Ängste zu leicht mit dem Bild eines Gottes, zu dem man kein Vertrauen mehr fassen kann, weil man ständig Angst hat. Ständige Angst macht selbstbezogen und liebesunfähig, auch unfähig, den Segen der göttlichen Gebote zu erkennen. Ohne Strafen geht es nicht. Ausschluss von einer schönen Unternehmung, Kürzung des Taschengeldes, Wegsperren der Musikanlage oder des Handys und dergleichen mehr sind wirksam genug, erzeugen aber keine Angst. Solche Strafen sind auch nachvollziehbar. Das Kind hat kein eigenes Einkommen. Alles was es hat, verdankt es seinen Eltern. Das, was es zurückgeben kann, ist Respekt und Gehorsam und wenn das fehlt, dann müssen die Eltern dieses Verhalten nicht mit weiterer Großzügigkeit belohnen. Arbeitsaufträge als Strafe sind umstritten, da es ein Vorrecht ist, arbeiten zu dürfen. Das Wohl des Kindes erfordert auch, sich weitergehende Überlegungen zur Effizienz einer Strafe und zu unerwünschten Nebenwirkungen zu machen 273 Auch in der Strafe sollte immer die Liebe der Eltern zu erkennen sein. Strafe darf keine Aktion sein, in der die Eltern ihre Wut abreagieren – und insoweit selber undiszipliniert sind. Schadenfreude, Triumph, eine “Wie du mir- so ich dir” – Mentalität sind unglaubwürdige Verhaltensweisen. Genauso wie die Freundlichkeit kommt auch die Strafe “von Herzen”. Das Motiv ist immer das Wohl des Kindes. 273 Vgl. Michael Dieterich, Psychologie und Seelsorge, Wuppertal und Zürich, 2000, pp. 78-83. 145 II. (Lehrsätze, die den Gläubigen des Rechtes berauben, sich vor Machtmissbrauch zu schützen…) 24. Behauptung: “Ein Gläubiger, der den Anweisungen des Gemeindeleiters nicht gehorcht, macht sich der Rebellion gegen Gott schuldig.” Hier beruft man sich auf Hebr 13,17: “Gehorcht euren Lehrern und folget ihnen…” Der Vers geht aber folgendermaßen weiter: “…denn sie wachen über eure Seelen im Wissen, dass sie dereinst dafür Rechenschaft geben sollen…” Gemeindeleitern und Ältesten ist das Hirtenamt anvertraut. “Gebt Acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in die euch der Heilige Geist als Aufseher eingesetzt hat, damit ihr treue Hirten der Gemeinde Gottes seid. … Ich weiß, dass nach meinem Abschied gefährliche Wölfe bei euch eindringen und erbarmungslos unter der Herde wüten werden. Selbst aus euren eigenen Reihen werden Männer auftreten und die Wahrheit verdrehen, um die Jünger des Herrn zu ihren eigenen Nachfolgern zu machen. Seid also wachsam … ” (Apg 20,28-31) Zum Hirtenamt berufen ist, wer die Herde am besten vor den Wölfen schützen kann. Umgekehrt sagt die Bibel über schlechte Hirten: “Den Schwachen steht ihr nicht bei, und die Kranken heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht und das Verlorene sucht ihr nicht; sondern streng und hart herrscht ihr über sie” (Hes 34,4) ? Deshalb haben Gläubige, die Mitchristen vor giftiger Theologie schützen wollen, in dieser Sache Autorität und göttlichen Auftrag und nicht etwa Gemeindeleiter, die das nicht wollen. “An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen…” (Mt 7,16) “Prüft alles…” – ohne Ausnahme!” Jesus hatte 12 Männer zu Augenzeugen seines Wirkens und zu Aposteln berufen. 146 Er hatte ihnen höchste Autorität gegeben: “Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel ungültig sein.” (Mt 18,18). Man könnte meinen, dass diese hohe Berufung den Aposteln eine Art institutionelle Autorität verliehen hätte, der der Gläubige nicht widersprechen dürfte. Die katholische Kirche behauptet, dass das Papsttum von Jesus selbst eingesetzt worden sei. Als Christus die Zwölf bestellte, „setzte er [sie] nach Art eines Kollegiums oder eines beständigen Zusammenschlusses ein, an dessen Spitze er den aus ihrer Mitte erwählten Petrus stellte“ 274 ” … Der Herr hat einzig Simon, dem er den Namen Petrus gab, zum Felsen seiner Kirche gemacht. Er hat Petrus die Schlüssel der Kirche übergeben und ihn zum Hirten der ganzen Herde bestellt.”275 Papst und Bischöfe seien die rechtmäßigen Nachfolger des Petrus und der Apostel.276 Mit dieser Stellung sei die Autorität verbunden, allen Gläubigen vorzuschreiben, was sie zu glauben hätten. Jesus hätte dafür gesorgt, dass die Entscheidungen des Papstes genauso unfehlbar sind wie er selbst. “Um die Kirche in der Reinheit des von den Aposteln überlieferten Glaubens zu erhalten, wollte Christus, der ja die Wahrheit ist, seine Kirche an seiner eigenen Unfehlbarkeit teilhaben lassen” 277 Folglich kann der Papst blinden Gehorsam für seine Lehrsätze verlangen. “Wenn die Kirche durch ihr oberstes Lehramt etwas „als von Gott geoffenbart“ und als Lehre Christi „zu glauben vorlegt“, müssen die Gläubigen „solchen Definitionen mit Glaubensgehorsam anhangen.“ 278 Sie müssen sich “nicht nur mit ihrem Willen, sondern auch mit ihrem Verstande” unterordnen. 279 Der Zweifel an einer vom Papst verkündeten Lehre ist nicht erlaubt. Klerikern, die sich doch Zweifel erlauben, drohen Disziplinarstrafen. 280 Nun, wer das bereits fest glaubt, steckt in einem Zirkelschluss, aus dem es kein Entrinnen gibt. 274 275 276 277 278 279 280 Katechismus der Katholischen Kirche [KKK], Nr. 880. Katechismus der Katholischen Kirche [KKK], Nr. 881. KKK, Nr. 880. KKK, Nr. 889. KKK, Nr. 891. KKK, Nr. 892. Codex juris canonici [CIC], Nr. 1371. 147 Der Papst argumentiert mit der Bibel, dass er seine Autorität zu Recht besitzt, und missbraucht diese Autorität, um Gegenbeweise zu verbieten. Es ist aber das Recht jedes Gläubigen, “in der Schrift zu forschen, ob es sich also verhält.” (Apg 17,11) Dies galt für den Nachweis, dass Jesus der Messias ist ! Wieviel mehr wird das für die viel geringere Würde eines kirchlichen Amtsinhabers gelten ! Diejenigen aber, die noch ein bisschen denken dürfen, laden wir ein, sich den biblischen Befund genau anzusehen. Petrus wurde von Jesus “Fels” genannt. Wo ist der Beweis, dass dieser Begriff exklusiv gemeint ist ? “Fels” meint im Gegensatz zum Sand einfach ein solides Fundament. (Vgl. Mt 7,24ff) Als ein Fundament werden aber auch andere Gläubige bezeichnet, wenn von der Gemeinde gesagt wird, dass sie “auferbaut ist auf den Grund der Apostel und Propheten.” (Eph 2,20) Jeder Missionar, der die biblische Botschaft zu einem Volksstamm bringt, der sie noch nie gehört hat, ist ein solcher “Fels”. Letztlich verdankt die ganze Gemeinde, die in diesem Volksstamm entsteht, ihre Existenz seinem Dienst. Petrus hatte eine historische Schlüsselstellung bei der Gründung der judenchristlichen Gemeinde – nicht in Rom, sondern in Jerusalem. Die Jerusalemer Gemeinde, die sich an Petrus orientierte, wurde durch die bald einsetzende Verfolgung dezimiert und verlor an Bedeutung. Die Mission unter den Nichtjuden wurde dem Apostel Paulus anvertraut, der bald eine weit größere Bedeutung als Petrus erlangte. Dennoch dachte Paulus sehr bescheiden über sich selbst. Er tadelte die Korinther, dass sie einen Apostel über den anderen stellten: “wenn nun einer sagt, ich bin paulinisch, und der andere: ich bin apollisch, seid ihr da nicht fleischlich ? wer ist schon Paulus ? wer ist schon Apollos ? Diener Gottes sind sie, die euch zum Glauben geführt haben. Ich habe gesät, Apollos hat begossen, aber Gott hat das Gedeihen gegeben.” (1.Kor 3,4-6) Die katholische Kirche will nun Gläubigen weismachen, dass es richtig sei, sich als “kephisch” (1.Kor 1,12), d.h als Anhänger des Apostels Petrus, des “Felsen” zu organisieren. Wie nennt Paulus das ? “Fleischlich“! Überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist der Versuch, die selbsternannten Nachfolger des Petrus für unfehlbar zu erklären und ihnen das Recht zuzugestehen, andere Ansichten mit Disziplinarstrafen zu ahnden. 148 Eine “unfehlbares Apostelkollegium” hat es nie gegeben. Als Jesus den Zwölf die vollmacht, “zu binden und zu lösen” (Mt 18,18) erteilte, gehörte auch noch Judas Ischariot zu den Zwölf ! Erinnern wir uns, dass Paulus den “unfehlbaren” Petrus von Paulus öffentlich streng tadeln musste, da dieser die Wahrheit des Evangeliums verfälscht hatte. (Gal 2,1 ff) Der Grund war, dass Petrus die Kritik der „Hardliner“ fürchtete (Gal 2,12) Die Bibel nennt uns weitere üble Motive genannt, die zur Verfälschung der Wahrheit führen: die Gier nach Anerkennung und Einfluss (Gal 1,10), der Wunsch geehrt zu werden oder Geldgier. All diese Motive spielen im katholischen System eine gewichtige Rolle. Entsprechend gering ist die Fähigkeit, das zu verstehen, was Jesus will. Immer wieder lassen sich in der katholischen Ethik gravierende und völlig reuelos begangene Verstöße gegen die Qualitätsmaßstäbe Jesu nachweisen. Immer wieder erscheint dort das Gesetz weitaus wichtiger als der Mensch, obwohl Jesus doch gesagt hatte, dass “der Sabbat um des Menschen willen gemacht worden ist” (Mk 2,27) - und nicht umgekehrt. Wie einst die Pharisäer “schwere Lasten den Menschen auferlegten” (Mt 23,4) so ignoriert die katholische Lehre immer wieder lebensfreundliche Interpretationen, die zudem noch wahrscheinlicher sind, und verpflichtet die Gläubigen zu ihrer lebensfremden, ja lebensfeindlichen Sicht. Organisationen bieten vielfältige Gelegenheiten, die geistlich kontraproduktiven Bedürfnisse nach hohen Gehältern, Anerkennung und Macht über Menschen zu befriedigen. Organisationen binden Menschen durch Gewährung von materiellen Vorteilen an sich. Sie gehorchen deshalb anderen Gesetzmäßigkeiten als einzelne Menschen. (siehe z.B. das Gesetz der 50jährigen 281 ) Je höher der Anspruch auf Autorität ist, den eine Organisation erhebt, desto größer der Ansehensverlust, wenn lang verteidigte Positionen geräumt werden müssen. Nehmen wir einmal an, die Wachturmsgesellschaft (Zeugen Jehovas) würde endlich einräumen, dass das aus dem mosaischen Verbot, Blut zu essen, abgeleitete Verbot der Bluttransfusion ein theologischer Irrtum war. 281 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#50“. 149 Dann wird sich doch sofort die Frage erheben: warum bemerkt ihr das erst jetzt ? Warum habt ihr so viele Gläubige sinnlos sterben lassen, die die dringend benötigte Bluttransfusion als Sünde ablehnen mussten ? Die Lehrautorität wäre mit einem Schlag stark beschädigt. Deswegen wird die Wachtturmgesellschaft, die vielen Lohn und Brot gewährt, weiter eisern an diesem Irrtum festhalten. Sie wird weiter ihr Herz verhärten müssen gegenüber Menschen, die durch ihre enge Lehre in große Not geraten. Ist es bei der katholischen Kirche anders ? Weil sie die Empfängnisverhütung mit Kondomen verbietet, werden in armen Ländern viele Kinder geboren, die gar nicht ernährt werden können. Hätte ein einzelner Mensch dieses Verbot ausgesprochen, so könnte er seinen Irrtum richtigstellen, seine Anmaßung bereuen und Vergebung empfangen. Die katholische Kirche kann diesen Irrtum nicht eingestehen ! (“Semmelweis-Reflex“ 282 Denn dann würde sie ja mit der Frage konfrontiert werden: warum erkennt ihr das erst jetzt, was jedermann schon längst erkannt hat ? Und wenn ihr es gewusst habt, warum habt ihr nichts gesagt ? Warum habt ihr lieber so viele Kinder sinnlos verhungern lassen ? Deshalb ist die katholische Lehre weder bereit noch in der Lage, diese zwei Güter gegeneinander abzuwägen: auf der einen Seite der Gefühlgewinn durch das Bewusstsein, sich durch besondere sexuelle “Reinheit” auszuzeichnen, auf der anderen Seite der qualvolle Hungertod vieler Kinder. Unter der Überschrift „Giftige Theologie“ haben wir eine Reihe weiterer Beispiele ethischen Versagens genannt. Wie kann man angesichts dieser Lebensfeindlichkeit sich als Überbringer der “frohen Botschaft” präsentieren ? Paulus war bereit, den Gläubigen in Korinth mit der Bibel Rechenschaft zu geben: „in allen Dingen beweisen wir uns als Diener Gottes, …durch ungetrübte Liebe, mit Hilfe des Wortes der Wahrheit, durch die Kraft Gottes, durch die Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken...“ (2.Kor 6,7). „In allen Dingen beweisen wir uns als Diener Gottes – mit Hilfe des Wortes der Wahrheit“ sagte der Apostel. Rechenschaft geben heißt, den Hörern das Recht zur Prüfung einzuräumen. Es ist das Gegenteil von dem, was die katholische Kirche macht, kritiklosen und blinden Gehorsam zu fordern. 282 Siehe Seite 175. 150 Wenn Paulus Rechenschaft gab, dann hat es auch Petrus getan. Eine religiöse Organisation, die ihre Macht um jeden Preis erhalten will, kann das nicht. Das ist der Grund, warum Jesus keine kirchliche Organisation gegründet hat. Die Apostel waren Augenzeugen. (1.Kor 15,5-8 / 1.Joh 1,1-3) Das war ihre wesentliche Funktion. Sie waren keine Theologen - bis auf Paulus. Auch Petrus war im wesentlichen Augenzeuge. Er war Fischer von Beruf, ein schlichter Mensch, kein großer Lehrer, kein Theologe. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass sich die gesamte Christenheit gedankenlos und blind seinen unfehlbaren Lehrsätzen zu unterwerfen hätte. Zweifellos hatten er und die Apostel Autorität. Warum ? Weil die Apostel Augenzeugen und Begleiter Jesu waren, kannten sie den Herrn am besten. Da Jesus selbst nichts aufschrieb, waren sie es, die sich am ehesten an die Worte des Herrn erinnern konnten. Sie waren insbesondere Zeugen der Auferstehung. Deshalb hatte ihre Botschaft überragendes Gewicht. Alle Gläubigen, die keine Augenzeugen Jesu sind, sind in der Gemeindeversammlung gleichberechtigt. Die Gemeindeversammlung wählt aus ihrer Mitte besonders bewährte Gläubige, die gewissen ethischen Kriterien genügen sollen (1.Tim 3,1ff), für die Aufgabe der Leitung, und wählt sie wieder ab, wenn sie für diese Aufgabe schlecht geeignet sind. Wer gut informiert ist, der kann nicht mehr mit gutem Gewissen sagen: “Ich glaube an die heilige katholische Kirche“. Die katholische Kirche ist nicht heilig und wird es niemals sein, da sie das Bösartige in ihrer Theologie weder bereuen noch abschaffen kann. “Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen” – diesen Satz kann man guten Gewissens sagen, sofern mit “Gemeinschaft” nicht die eigene religiöse Gemeinschaft oder Kirche gemeint ist, sondern die unsichtbare Einheit aller Gläubigen in allen Kirchen und Gemeinden, die Gott ehrlich Rechenschaft geben, die dem Licht Gottes erlauben, in ihr Leben hineinzuleuchten und Falsches aufzudecken: “wenn wir im Licht leben, so wie Er im Licht ist, dann haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu Christi reinigt uns von aller Sünde.” (1.Joh 1,7) 151 25. Behauptung: “Es ist Hochmut, die theologische Tradition der Gemeinde mit der Bibel zu prüfen.” Am weitgehendsten hat sich die katholische Kirche ein Auslegungsmonopol vorbehalten. Nach § 1371, 1° des Codex iuris canonici [CIC] macht sich jeder Gläubige strafbar, der eine vom Papst oder von einem Ökumenischen Konzil verworfene Lehre vertritt oder eine Lehre, gleichgültig ob sie den Status einer endgültigen Entscheidung erlangt hat oder nicht, hartnäckig ablehnt und nach Verwarnung nicht widerruft. Damit wird der Papst Herr über den Verstand der Gläubigen. Wie viel bleibt dann noch von ihrem Recht, “ALLES zu prüfen” (1.Thess 5,2) übrig ? Selbst der Maßstab, an dem man prüfen könnte, nämlich “Barmherzigkeit, Fairness, Verlässlichkeit“, ist nicht mehr vorhanden, da der Papst oder sein Konzil definieren können, wie diese Maßstäbe verstanden werden müssen. Die Möglichkeit, Gewissheit und seelischen Frieden durch tiefere Einsicht zu bilden, ist daher stark eingeschränkt. Übrig bleiben irrationale Methoden: der Glaube an die Heilswirkung der Sakramente, die nur Priester spenden oder versagen können, was natürlich eine starke seelische Abhängigkeit vom religiösen Machtsystem begünstigt. Für Gläubige, die sich mit katholischen Lehrsätzen herumquälen, und zugleich glauben, dass “Alles zu prüfen” Sünde sei, gibt es keine Hilfe. “Verflucht ist, wer sich auf Menschen verlässt!” (Jer 17,5) Um klar zu sehen, genügt blinder Glaube an Menschen nicht, man muss das Licht des Verstandes einschalten, der – wie die Bitte des jungen Salomo zeigt (1.Kö 3,11-12) – eine der wichtigsten Gottesgaben ist. 283 Mit Verstand kann dann in die Kirchengeschichte sehen, um festzustellen, ob Papst und Konzilien niemals geirrt oder widersprochen haben. Man kann sich mit dem aktuellen Missbrauchsskandal befassen und sich fragen, ob das Vertuschen, die Gleichgültigkeit gegenüber Geschädigten, die Gleichgültigkeit gegenüber potentiellen neuen Opfern nicht ein hinreichender Beweis für die Unfähigkeit ist, die Qualitätsmaßstäbe Jesu zu verstehen. Wenn man sie selbst nicht versteht und respektiert, wie kann man dann anderen Gläubigen verbindlich vorschreiben wollen, wie sie zu interpretieren sind ? 283 CIC 1378,2°-3°. 152 Wer den Verstand der Gläubigen derart knebelt und bevormundet, versündigt sich gegen ihre von Gott geschenkte Berufung 284 , dereinst König und Priester zu sein. (Offb 1,6) Wenn in der katholischen Kirche vom “allgemeinen Priestertum aller Gläubigen” gesprochen wird, so ist anderes gemeint – schon gar nicht die Ausübung der exklusiven Rechte geweihter Priester wie Zusprache der Sündenvergebung (Absolution) und Halten des Herrenmahles (Eucharistie). Wer das tut, macht sich nach katholischem Recht strafbar. 285 Ist die Verkündung “allgemeinen Priestertums” dann nicht Propaganda 286 , die den allzu offensichtlichen Widerspruch vernebeln soll ? Man sollte besser ernstnehmen, was der Apostel Petrus an alle Gläubigen in der Welt in aller Deutlichkeit schrieb: “ihr seid die lebendigen Steine. Erbaut euch miteinander zum Gotteshause und zum heiligen Priestertum, um Gott Opfer zu bringen, die ihm gefallen.” (1.Petr 2,5) Etwas weiter wiederholt er: “ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, berufen dazu, die Herrlichkeit dessen zu verkünden, der euch aus der Finsternis berufen hat in sein Licht.” (1.Petr 2,9). Das sind keine Phrasen, sondern verbriefte Rechte ! Jeder Gläubige ist zum Priester berufen – durch den Heiligen Geist. Und jeder Gläubige, der sich vom Heiligen Geist leiten lässt, hat die “Einstellung Jesu”, die ihn zu verlässlichem Urteil befähigt. (1.Kor 2,16) Er kann “alles prüfen” (1.Thess 5,21) und er darf es. Auch evangelikal-bibeltreuen Gemeinden können mit einem “päpstlichem” Autoritätsanspruch auftreten, der den Gläubigen bevormundet und mit den Aussagen der Heiligen Schrift über die Würde des Gläubigen 287 in Widerspruch steht. Keine Gemeinde ist gegen sektiererische Tendenzen 288 und gefährlichen Irrtum automatisch immun! Viele Dinge des Glaubens sind unsichtbar. Man sieht auch die schädliche Folgen für die Seele selten sofort. Das führt zweifellos leicht zu Fehleinschätzungen. 284 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#authorisierung“. 285 CIC 1378,2°-3°. 286 CIC 1378,2°-3°. 287 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#authorisierung“. 288 Siehe das Kapitel „Was ist Irrlehre?“ („www.matth2323.de/irrlehre/“) 153 Zum Prüfen braucht man Urteilsvermögen und Verstand! Er ist – wie das Beispiel Salomos zeigt (1.Kö 3, 5 ff) – eine der wichtigsten Gottesgaben. Paulus hielt überhaupt nichts davon, dass man sich leichtgläubig wie ein Kind auf das Denken der “Erwachsenen” verlässt. Der Verstand, den Gott gegeben hat, soll angemessen gebraucht werden: “Denkt nicht wie Kinder, liebe Brüder! Im Tun sollt ihr unschuldig wie Kinder sein, aber denken müsst ihr wie erwachsene Menschen!” (1.Kor 14,20) Verständig sein muss geübt werden! 26.Behauptung: Der Gläubige darf Unrecht in der Gemeinde nur dann beim Namen nennen, wenn bei ihm selbst keine Fehler zu sehen sind. Diese Behauptung ist bei Gemeindeleitungen mit gewissenloser Amtsführung sehr beliebt. So kann man sich ganz selbstverständlich Korruption, Lüge, Übervorteilung und Verleumdung leisten und braucht keine Angst zu haben, dass irgendjemand das Thema anspricht. Falls es jemand doch versucht, richtet man das Vergrößerungsglas auf ihn und sein Verhalten, ob da nicht doch etwas Unvollkommenheit zu sehen ist. Was für ein Glück, wenn man etwas findet: da war etwas Sorge um den Arbeitsplatz zu spüren, man hat von einem Streit in der Familie gehört, und dergleichen mehr. Und wenn man nichts findet, dann war da ein liebloser Ton in der Stimme, die vom Unrecht gesprochen hat, über den man sich entrüstet. Und jemandem, der lieblos ist, dem braucht man doch erst recht nicht zuzuhören. “Wer Sünde tut, der ist vom Teufel” (1.Jo 3,8). Der soll erst mal vor seiner eigenen Tür kehren. Und schon ist das Thema erledigt. Diese Behauptung fußt auf dem bereits genannten (falschen!) Lehrsatz, dass kleine Sünden oder Unvollkommenheiten so schlimm seien wie schwere Verbrechen. 289 So etwas kann man nur denken, wenn man sich über die tatsächlichen Auswirkungen einer Tat überhaupt keine Gedanken macht. Welche negativen Folgen hat ein liebloser oder stressiger Ton in der Stimme ? 289 Siehe Seite 53. 154 Überhaupt keine Folgen als diejenigen, die der, der dieses Argument gebraucht, selbst mutwillig herbeiführt! Dagegen haben Korruption, Lüge, Übervorteilung und Verleumdung möglicherweise erheblichen Schaden für die Betroffenen zur Folge. Deshalb ist jeder Versuch, die Gemeinde auf diese Vorgänge aufmerksam zu machen, vollauf gerechtfertigt und geschieht im Gehorsam gegen das Gebot: “Helft das Böse in der Gemeinde aufzudecken.” (Eph.5,11 ff) 27. Behauptung: “Mit der Forderung, Schäden und Beschwerden in der Gemeinde zu dokumentieren, schadet man dem “Zeugnis” der Gemeinde.” Hätten Jesus oder Paulus tatsächlich so geredet ? Was soll denn ein “Zeugnis” wert sein, wenn es ohne das übliche Vertuschen und Beschönigen kein “Zeugnis” mehr ist ? Man müsste es ehrlicherweise “Propaganda” nennen, einen von oben verordneten Jubel, wie ihn sich Diktatoren bestellen. Jeder weiß, dass es nicht stimmt, aber alle müssen mitmachen. Wenn “Lügen für Gott” keine schwere Sünde mehr ist, sondern etwas, was man in der Gemeinde für notwendig hält, dann vergiftet der Krebsschaden der Unglaubwürdigkeit am Ende auch all das, was dort noch heilig, gut und richtig ist. Die Grenzen zwischen dem Aufruf zum Glauben und der Aufforderung, sich und anderen etwas vorzuschwindeln, werden immer unklarer. Wahrhaftigkeit (πιστις) ist eines der drei wichtigsten Qualitätsstandards Jesu. Die ganze Botschaft des Neuen Testamentes beruht darauf, dass es zwölf Männer aus dem Volk gab, die Jesus zu Jüngern erwählte, und die berichteten, „was sie mit eigenen Augen gesehen, was sie mit ihren Händen betastet haben“ (1.Jo 1,1). Diese Männer waren Handwerker, Fischer, Zollbeamter, kurz: einfache Leute, die ehrlich Zeugnis gaben von dem, was jeder gesehen hat, der damals dabei war. Auf diesem schlichten, unverfälschten Zeugnis beruht der ganze christliche Glaube. 155 Wenn sich die Gemeinde als “Gemeinschaft der Heiligen” bekennt, dann muss sie sich auch von dem distanzieren, was unheilig, falsch und schädlich ist. Wenn sie andere belehren will, darf sie nicht selbst unbelehrbar sein. Wenn sie die Offenbarung des Heils bezeugen will, darf sie selbst nicht blind gegenüber dem Unheil in ihrer Mitte sein. 28. Behauptung: “Ein Christ darf sich nicht wehren, darf auch nicht Ersatz des Schadens fordern. Er muss Unrecht, das ihm zugefügt wird, hinnehmen, muss vergeben und vergessen. Andernfalls ist er ein “Schalksknecht” (Mt 18,32 ff) und wird von Gott mit der Hölle bestraft!” Sich alles gefallen lassen müssen, um nicht von Gott bestraft zu werden… ? Was wird bei dieser deprimierenden Einstellung anderes herauskommen als erlernte Hilflosigkeit und Anfälligkeit für Depression ? Der Geschädigte wird ja doppelt geschlagen und erniedrigt, einmal durch den Übeltater, dann aber auch durch Gott selbst, der sich durch Missachtung des Rechtes auf die Seite des Täters stellen und dem Starken gegen den Schwachen beistehen würde. Wer das Gleichnis Jesu vom “Schalksknecht” (Mt 18, 23 ff) so versteht, der verfälscht den Inhalt. Man muss genau lesen. Die Pflicht, eine ver-gleichsweise kleine Schuld zu bezahlen, wird nicht in Frage gestellt. Der Kleinschuldner will ja zahlen. Das Furchtbare ist, dass der Schalksknecht, dem selbst eine Riesenschuld erlassen wurde, nicht bereit ist, geduldig zu warten. Ohne jedes Mitgefühl fordert er brutal das Unmögliche, die sofortige Bezahlung, um den Kleinschuldner ins Gefängnis zu bringen, wo er die Schuld vielleicht gar nicht mehr abarbeiten kann. Diese Hartherzigkeit empört den König aufs Äußerste, sodass er den Erlass der großen Schuld widerruft. Das Bezahlen einer vergleichsweise kleinen Schuld ist nichts Anrüchiges, sondern eine Selbstverständlichkeit. Auch im Kleinen soll der Gläubige treu sein (Lk 16,10) bzw. niemandem etwas schuldig bleiben (Rö 13,8). Umgekehrt darf er faires Verhalten auch von anderen, insbesondere von Mitchristen erwarten. “Behandelt die Menschen so, wie ihr von ihnen behandelt werden wollt.” (Mt 7,12) 156 Wäre es anders, dürfte der Gläubige von anderen nichts zurückfordern, weil ihm ja Christus alle Schuld vergeben hätte, so wäre der Gläubige sehr bald wirtschaftlich ruiniert. Es wäre geradezu dumm von ihm, sich als Christ zu erkennen zu geben, wenn er sich an solche Regeln halten müsste. Daran glaubt im Ernst niemand! Und doch wird man in etlichen Gemeinden immer noch mit destruktiven Behauptungen, die dem Gläubigen das Recht auf faire Behandlung absprechen, konfrontiert. Worum geht es Jesus wirklich ? Jesus sagte in der Tat: “Wenn dich einer auf die eine Backe schlägt, dann biete ihm die andere auch dar.” (Mt 5,39) Der Gläubige soll nicht Böses mit Böses vergelten! Vielleicht ist der andere nur deshalb böse, weil er auch verletzt wurde und unglücklich ist. Wenn man nicht mit gleicher Münze heimzahlt, sondern großzügig reagiert, dann wird der Konflikt nicht verschlimmert, sondern kann einschlafen. Jünger hat seine Jünger aufgerufen, für ihre Feinde zu beten (Mt 5,44) – ein Gebot, das den christlichen Glauben deutlich vor den Religionen der Welt auszeichnet. Der Gläubige darf beten, dass sie auch Christus finden und durch ihn mit einem neuen Leben beschenkt werden. Wenn Christen sich böse verhalten, dann sollte er für sie bitten, dass sie zu Christus zurückfinden. “Lass nicht das Böse über dich siegen, sondern überwinde das Böse mit Gutem“. (Rö 12,21) Das ist ein Versprechen! Das Böse kann überwunden werden. Ein Feind kann zum Freund werden! Das alles ist möglich bei Gott! Durch diese Haltung nähert sich der Jünger der Haltung Jesu, der aus Liebe zu Menschen, die es nicht verdienten, viel Leid auf sich nahm. Und so wie Jesus später dafür vom Vater geehrt und belohnt wurde, so wird auch der Gläubige, der sich wie Jesus verhält, am Ende wiederhergestellt. “Welche Waffe auch immer gegen dich gerichtet wurde – sie wird nicht über dich siegen. Was immer auch Menschen gegen dich sagen – du wirst sie im Gericht dafür verurteilen. Dieses Recht gehört zum Erbe der Menschen, die mir dienen. Ich, Gott, habe es gesagt, und das gilt. (Jes 54,17) 157 Es ist ein wunderbares Geschenk, dass der Gläubige nicht dem Hass unterworfen ist, der nach einer bösen Tat aufsteigt und alles weitere bestimmen will. Der Verzicht auf Vergeltung annulliert nicht das Recht, sich vor weiteren Übergriffen mit erlaubten Mitteln zu schützen. Notorisch schädlich handelnde Menschen müssen zurechtgewiesen werden, damit sie vorsichtiger werden und damit der Respekt vor dem Recht in der Gemeinschaft gestärkt wird . Natürlich immer mit erlaubten Mitteln. Paulus bestand auf einer öffentlichen Entschuldigung der Stadtobersten, nachdem man ihn zu Unrecht ausgepeitscht hatte. (Apg 16,35-39) Jesus wies den Mann zurecht, der ihm grundlos geohrfeigt hatte. (Jo 18,22+23) Jeder Pädagoge oder Lehrer weiß, dass es sinnlos ist, eine Regel aufzu-stellen, ohne ihre Missachtung zu bestrafen. Wer die Missachtung einer Abmachung stillschweigend toleriert, wird nicht mehr ernstgenommen. Seine Autorität ist erheblich geschrumpft. Je wichtiger eine Regel, desto nachdrücklicher muss auf ihre Missachtung reagiert werden. Der Gläubige dient “dem Besten der Stadt“, (Jer 29,7) seinen Mitmenschen und sich selbst, wenn er für den Respekt vor dem Recht eintritt. Keine Gemeinschaft kann ohne Regeln der Fairness gedeihen. Deshalb kann der Gläubige guten Gewissens in einem Betriebsrat mitarbeiten und auf diese Weise dazu beitragen, dass Mitarbeiter vor willkürlichen Übergriffen und Machtmissbrauch geschützt werden. Er darf erfahren: Gott ist der “Freund des Rechts“. (Ps 37,28) Sein Wort hat Macht und das Recht, das sein Wort beachtet und den Nächsten schützt, sollte die Macht haben, die ihm zusteht. (Jes 32,1 ff) In der “Gemeinschaft der Heiligen” gilt das noch viel mehr. Es darf dort nicht geduldet werden, dass ein Christ den anderen mit bösem Verhalten schädigt. Denn eine Gemeinde untersteht der Autorität Jesu, des “guten Hirten” (Jo 10,12), der um den Schutz der schwachen Mitglieder besonders besorgt ist. Würde man das Böse hinnehmen, so würden sich andere daran ein schlechtes Beispiel nehmen, die Predigt über “Heiligung”290 oder die “Pflichten eines Hirten” würde unglaubwürdig. 290 Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. 158 “Weh den Hirten, die sich selbst weiden! … Auf den Schwachen passt ihr nicht auf, den Kranken versorgt ihr nicht, den Verwundeten verbindet ihr nicht, den Verirrten holt ihr nicht und den Verlorenen sucht ihr nicht.” (Hes 34,2-4) Deshalb ist die Sache zu klären. Zunächst soll der Betroffene mit dem Übeltäter reden, um ihn zu gewinnen. Gegebenenfalls soll er Zeugen hinzuziehen und – falls das erfolglos bleibt – das Sache vor die Gemeinde bringen. 291 (Mt 18,15-18) Die letzte Konsequenz der Unverbesserlichkeit ist der Hinauswurf: “Trennt euch von dem, der böse ist“. (1.Kor 5,13) Diese Trennung gilt grundsätzlich immer für alle Gemeinden. Eine Gemeindeleitung, die den reuelosen Täter aufnimmt, versündigt sich. Gemeinden, die Übeltäter dulden, rechtfertigen dies gerne mit dem Wort Jesu, dass man “Unkraut und Weizen zusammen bis zur Ernte aufwachsen lassen” soll. (Mt 13,29-30) Dieser Hinweis Jesu kann sich aber nicht auf einen Rechtsstreit beziehen, da für diesen Fall klare Anweisungen gegeben sind. Hier geht es ihm darum, dass man über die geistliche Einstellung anderer Mitglieder der Gemeinde nicht vorschnell urteilen soll. Wie schnell ist ein pharisäisches Urteil in vermeintlicher Erkenntnis gefällt, bloß weil man die eigene geistliche Unreife nicht erkennt. Wie schnell geschieht es, dass die Liebe erkaltet, weil man sich in theologischen Nebensächlichkeiten nicht mehr einig ist. Mit Unfreundlichkeit und Distanz wird man den andersdenkenden Bruder erst recht nicht überzeugen und bringt damit für ewige Zeiten den Geist der Spaltung in die Gemeinde. Obwohl so häufig betrieben, ist das in der Tat eine Sünde, die vom Himmel ausschließen kann (Gal 5,21). Auf diese Weise kann es dazu kommen, dass jemand Unkraut herausreißen will und am Ende vom Herrn selbst als Unkraut betrachtet wird! Deswegen der treue Rat Jesu: Überlasse das Urteil dem Herrn! Lass es deine Liebe nicht trüben, dass der andere dir manchmal nicht fromm genug erscheint. Du kannst in das Herz eines Menschen nicht hineinsehen. Die Gefahr ist zu groß, dass du ungerecht urteilst und nur sinnlos verletzt. 291 Siehe die Skizze eines schiedsgerichtlichen Verfahrens, Seite 188. 159 Gott wird das Leben des Bruders am Ende gerecht beurteilen so wie dein Leben auch. Jeder wird ganz allein vor Gottes Richterstuhl stehen und ob er sich selbst in positivem Licht gesehen hat, das fällt nicht ins Gewicht: “Mir ist es nicht so wichtig, wie ihr oder andere über mich urteilen. Wie ich über mich urteile, spielt auch keine Rolle. Zwar bin ich mir keiner Schuld bewusst, aber damit bin ich noch nicht freigesprochen. Entscheidend ist allein Gottes Urteil! Deshalb urteilt nicht voreilig über mich. Wenn Christus kommt, wird er alles ans Licht bringen, auch unsere geheimsten Gedanken. Dann wird Gott jeden so loben, wie er es verdient hat.” (2.Kor 10,18) 29. Behauptung: “Ein Christ darf nicht vor Gericht gehen, wenn ihm ein anderer Gläubiger geschadet hat. Andernfalls sündigt er und wird dafür von Gott bestraft.” In der Tat sagte Paulus: „Wenn jemand von euch mit einem Gläubigen Streit hat, wie bringt er es dann fertig, vor das Gericht der Ungläubigen zu gehen, anstatt sich von den Heiligen Recht sprechen zu lassen?“ (1.Kor 1,6 / NeÜ) Dennoch ist obige Behauptung ein grober Fehlschluss, der durch oberflächliche am Buchstaben festhängende Interpretation zustandekommt. Achten wir darauf, das das ganze Thema mit der Aufforderung beginnt, dass sich die Gemeinde mit einer fairen Entscheidung bewähren soll. Zugleich scheint Paulus die Inanspruchnahme der staatlichen Justiz zu verbieten: “Wie könnt ihr nur bei diesen alltäglichen Dingen solche Menschen über euch Recht sprechen lassen, die in der Gemeinde nichts gelten? Ihr solltet euch schämen!” (1.Kor 6,4 / NeÜ) Diese Aussage ist nach dem Glaubensbekenntnis bibeltreuer Gemeinden wie alle anderen Aussagen der Bibel “völlig zuverlässig!” 292 Und viele Gläubige ziehen aus diesem Satz den Schluß, dass die Inanspruchnahme des Staates Sünde ist. Doch inwieweit kann die Gemeinde staatliche Rechtsprechung ersetzen? Hat Paulus das wirklich gemeint? Gerade bei schweren Schäden ist eine schnelle, möglichst objektive Beweissicherung notwendig, auf die die Interessen des Schädigers keinen verfälschenden Einfluss nehmen dürfen. 292 Siehe „http://www.ead.de/die-allianz/basis-des-glaubens.html“. 160 Ein entsprechend hoher angemessener Schadenersatz führt evt. zu einem erheblichen Verlust an materieller Lebensqualität bei dem Schädiger und kann deshalb nur mit Hilfe des Justizapparates erzwungen werden. Die Gemeinde verfügt über derartige Zwangsmittel nicht. Sie kann sich nur aufs Bitten und allenfalls auf die Androhung des Ausschlusses beschränken. Die Unwirksamkeit dieser Mittel bei hohen Schadenersatzforderungen ist vorhersehbar. Wenn dem Gläubigen verwehrt wird, sein Recht vor Ablauf der Verjährungsfrist wahrzunehmen, wird es sehr wahrscheinlich untergehen. Und dennoch werden sich Gläubige in ihrem Gewissen an die fragwürdige Interpretation gebunden fühlen. Das Dilemma hat in vielen bibeltreuen Gemeinden dazu geführt, dass man sich so verhält, als ob Paulus gar nichts gesagt hätte. Die ersten 6 Verse des Kapitels werden ein “unerforschlicher” weißer Fleck, über den der Gläubige möglichst nicht nachdenken soll. Wenn man über 1.Kor 6 predigt, dann pflegt man man automatisch bei dem Vers 7 zu beginnen: “Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber benachteiligen?” Infolgedessen wird ein geschädigter Bruder, der sein Recht vor Gericht sucht, manchmal mehr als der Schädiger kritisiert, vielleicht sogar als “Schalksknecht”, der die geschenkte Vergebung mit Undank vergelten würde (Mt 18,23 ff), beschimpft. Man lässt dem Geschädigten nicht nur auf seinem Schaden sitzen, sondern sorgt auch noch dafür, dass er sich für seinen Wunsch nach fairem Ausgleich schuldig fühlt, anstatt an das Gewissen des Täters zu appellieren. Wenn der Apostel Paulus in der Bibel klar und deutlich ermahnt, Streitfälle fair zu schlichten und der Gläubige darauf reagiert, indem er den Kopf in den Sand steckt und behauptet, gerade diese Ermahnung wäre unerforschlich und man dürfe darüber nicht nachdenken, so ist das ein intellektuell unredliches, inakzeptables und peinliches Verhalten! Von der Schädigung des Bruders und der lieblosen Gleichgültigkeit gegenüber seinem Leid ganz zu schweigen! Die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge! 161 Der Fehler liegt keinesfalls in der Ermahnung des Paulus, sondern vielmehr in der Starrheit der Interpretation, die klare Aussagen von Jesus und Paulus zur staatlichen Autorität unzureichend berücksichtigt. Sollte Paulus nicht wissen, dass der Staat das Recht des einzelnen auf effiziente Weise zu schützen vermag ? Andernorts betont er nämlich sehr wohl die Aufgabe des Staates, im Auftrag Gottes vor Unrecht zu schützen! “Jede Regierung … steht ja zu deinem Besten im Dienst Gottes. Tust du aber Böses, hast du allen Grund, sie zu fürchten, schließlich ist sie nicht umsonst die Trägerin von Polizei- und Strafgewalt. Auch darin ist sie Gottes Dienerin. Sie zieht den Schuldigen zur Verantwortung und vollstreckt damit Gottes Urteil an denen, die Böses tun.” (Rö 13,4) Wenn die Regierung das im Strafrecht so vortrefflich tun kann, warum nicht auch in zivilrechtlichen Konflikten ? Wollte Paulus das sagen ? Nein ! Wie sooft, auch hier: man muss wirklich genau lesen! Der Schwerpunkt des Abschnitts liegt in Vers 2: “… warum betrachtet ihr euch als unzuständig für solche Bagatellen ?” Das griechische Wort “ελαχιστων” bezeichnet Kleinigkeiten! Sogar wegen Kleinigkeiten, die man mit ein bischen Weisheit vernünftig regeln könnte, rennen die Gläubigen zum Zivilgericht. Und dann beschimpfen sie sich womöglich noch vor den weltlichen Richtern als unwürdig, zur “Gemeinschaft der Heiligen” zu gehören. Welchen Schluß können die Richter und das Publikum im Gerichtssaal daraus wohl ziehen? Sie können daraus doch nur schließen, dass das ethische Niveau in der “Gemeinschaft der Heiligen” sehr gering sein muss. Was für ein erbärmliches Zeugnis! Diese “Schande” will Paulus der Gemeinde ersparen. Jesus argumentiert ähnlich: “Wenn du jemand eine Schuld zu bezahlen hast, einige dich schnell mit deinem Gegner, solange du noch mit ihm auf dem Weg zum Gericht bist. Sonst wird er dich dem Richter ausliefern, und der wird dich dem Gerichtsdiener übergeben, und du kommst ins Gefängnis. Ich versichere dir, du kommst dann wieder heraus, wenn du den letzten Cent bezahlt hast.“ (Mt 5,25-26) Auch Jesus war die Effizienz der weltlichen Justiz gut bekannt und er bewertete diese Effizienz nicht negativ. Vielmehr empfiehlt er: “Einige dich schnell mit deinem Gegner!” Ja, für Jesus hat die Einigung mit dem Geschädigten sogar Vorrang vor einem Opfer, das man ins Gotteshaus bringt: 162 “Wenn du also deine Opfergabe zum Altar bringst und es fällt dir dort ein, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass deine Gabe vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder! Dann komm und bring Gott dein Opfer.” (Mt 5,24) Paulus will die Gemeinde nicht nur davor bewahren, sich vor weltlichen Richtern lächerlich zu machen. Er will sie auch herausfordern. Jawohl, göttliche Weisheit kann auch in schlimmen Fällen die Not erheblich lindern. Es ist gar nicht einzusehen, dass schweres Unrecht, das zwischen Geschwistern steht, unbearbeitet und unkommentiert stehen bleibt. Die Gemeinde kann durchaus ein seriöses Schlichtungsverfahren einrichten, in dem sich geistliche Weisheit als wichtige Ergänzung zur weltlichen Rechtsprechung bewähren kann und in dem Maßnahmen gegen Befangenheit und Willkür getroffen werden – so wie es man es von einem weltlichen Verfahren ganz selbstverständlich erwarten darf. Deshalb tritt gerade auch in Fällen, in denen es nicht um Kleinigkeiten geht, neben die weltliche Rechtsprechung die seelsorgerliche Klärung in der Gemeinde. Die Konfliktgegner müssen die Möglichkeit erhalten, sich zu versöhnen und den Groll gegeneinander zu überwinden. Die Gemeinde ist in der Pflicht, Gottes Weisheit für diese Aufgabe in Anspruch zu nehmen. (Spr 4,5 / Kol 2,3) Denn sie darf sich hier nicht entziehen – auch wenn der Erfolg manchmal hinter den Hoffnungen und Erwartungen zurückbleibt. Dieses nicht zu tun, hieße Unrecht zu dulden – und das widerspricht einer durch beide Testamente gehenden grundsätzlichen und wichtigen Aussage der Schrift. Schon im Alten Testament wird wieder und wieder betont, dass die Gleichgültigkeit gegenüber Unrecht in der Gemeinschaft ein Kennzeichen gottloser Gesinnung ist. “Was zertrampelt ihr meine Vorhöfe… ihr kommt zu den Festen zusammen, aber ich verabscheue sie… betet soviel ihr wollt: ich werde nicht zuhören… lernt wieder Gutes zu tun ! Setzt euch ein für eine gerechte Rechtsprechung, helft den Rechtlosen, den Witwen und Waisen gegen ihre Bedränger!” (Jes 1,12 ff) “Hört auf mit dem Geplärr eurer Lieder, ich mag eure Musik nicht hören! Bemüht euch endlich um ein faires Miteinander! Die Liebe zum Recht soll das ganze Land durchströmen wie ein mächtiger Fluss!“ (Amos 5,23-24) 163 Dem entspricht die abschließende Warnung des Apostels, dass “ungerechte Menschen” gar nicht zur Gemeinde gehören, auch wenn sie das meinen, auch wenn andere in der Gemeinde das meinen: “Wisst ihr denn nicht, dass ungerechte Menschen keinen Platz im Reich Gottes haben werden? Täuscht euch nicht!” (1.Kor 6,9) Der Vers “Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber benachteiligen?” (V.7) hat deshalb das vergleichsweise geringste (!) Gewicht im Text. Paulus richtet ihn auch nicht an die Geschädigten, sondern an die Täter, denn er fährt fort: “Stattdessen tut ihr selbst Unrecht und benachteiligt andere – und das unter Brüdern!” (V.8) Die übliche Theologie unterstellt dem Vers 7 beharrlich das größte Gewicht im Absatz. Dadurch wird der ganze Text so unsinnig, dass er zum weißen, unerforschlichen Fleck geworden ist. Gegenüber Unrecht und Schädigung gleichgültig zu sein, zerstört die Einheit des Leibes Christi: “wenn ein Körperteil leidet, so leiden alle anderen Teile mit“. (1.Kor 12,26) Was bleibt denn davon noch wahr? Es wird übelste Propaganda! 293 ! Somit existiert das Dilemma des “Entweder – Oder” gar nicht. Wenn wir uns den lebensfördernden Sinn (Mt 4,4) von 1.Kor 6 bemühen wollen, dann werden wir erkennen, dass in vielen Fällen beide Alternativen notwendig sind: sowohl die Justiz – als auch die seelsorgerliche Klärung. 30. Behauptung: “Ein Christ darf in Notwehr niemand töten. Er ist verpflichtet, sich töten zu lassen, damit der Täter nicht in die Hölle kommt.” Was kann man mit einer solchen Lehre, die man Jugendlichen vorsetzt, hervorrufen ? Eine wahrhaft ausweglose Situation: die junge Seele eingesperrt zwischen der Aussicht der physischen Selbstauslöschung und der grauenhaften Aussicht, für den Rest des Lebens mit einem aufs Äußerste beschwerten Gewissen leben zu müssen. Was soll die Frucht einer solchen Belehrung sein? Tiefere Liebe für die Mitmenschen? 293 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#propaganda“. 164 Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass hier Hilflosigkeit und Depression gründlich eingeübt wird seelische Defekte, mit denen man Familie und Mitmenschen später zur Last fällt ? Die stabile Seele braucht den gesunden Selbsterhaltungstrieb – er ist nichts Böses oder Verwerfliches. Doch solche skurrilen Blüten gedeihen auf dem Sumpf einer allgemeinen Geringschätzung des Rechts. Auch wenn man solche grotesken Behauptungen selten offen und in aller Deutlichkeit hören wird, so ergeben sie sich dennoch aus einem konsequent mechanistisch-wörtlichen Bibelverständnis. Jesus gab sein Leben für die, die ihn hassten, der Jünger ist verpflichtet, dem Vorbild des Meisters in “vollkommener” Weise (Mt 5,48) zu folgen. Dabei soll er die Bereitschaft haben, „sein eigenes Leben zu verlieren” (Mt 10,39). Wer seinen Nächsten nicht missioniert hat, obwohl er Gelegenheit dazu hatte, ist schuld an dessen Bestrafung mit vorzeitigem Untergang und wird dafür angemessen von Gott bestraft. 294 Wer einen Menschen tötet – auch aus Notwehr -, der nimmt ihm endgültig die Gelegenheit, missioniert zu werden und sich zu bekehren, denn “nach dem Tode folgt nur noch das Gericht” (Hebr 9,27). Diese Tat ist wesentlich schlimmer, als nicht missioniert zu haben. Was würde dafür die angemessene Strafe sein? Müsste sie nicht um ein Vielfaches schlimmer sein ? “Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und die Seele nicht können töten; fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.” (Mt 10, 28). Wird Gott nicht grenzenlos brutal reagieren ? Alles scheint ganz logisch – oder ? Der Denkfehler liegt in einer Verwechslung von göttlichem und menschlichem Verantwortungsbereich. 295 Es ist Gott, der das Unglück zulässt (Amos 3,6 b), mithin auch die lebensbedrohliche Situation. Es ist Gott, der entscheidet, ob er jemandem nach dem Tod noch das Heil verkündigt (1Pe 3,19) oder nicht. Es ist Zweifel angebracht 296, dass der Gläubige gezwungen wird, diese Entscheidungen Gottes durch Opfern des eigenen Lebens zu verbessern oder zu kompensieren. 294 Siehe die 9.Behauptung, Seite 98. 295 Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#unterscheidung“. 296 Siehe Seite 7. 165 Das Opfer Jesu erfolgte völlig freiwillig (Jo 10,17-18). Das gerade macht seinen Wert aus. (Eph 2,6 ff) Es ist absurd anzunehmen, dass Gott ein solches Opfer von Gläubigen durch Androhung schlimmster Strafe erpressen würde. Hinter der Behauptung erblicken wir wieder den bekannten “Pferdefuß” des Bösen: der ganze Wahn ist nichts anderes als Werkgerechtigkeit 297 und Scheinheiligkeit. 9. Persönlichkeit ? Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde prägt Deine Persönlichkeit. Welchen der beiden gegensätzlichen Charaktertypen wird dort der Vorzug gegeben ? 297 Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. 166 Im Zusammenhang mit dem Idealbild Typ A taucht immer wieder eine merkwürdige, destruktive Verformung des Charakters 298 auf. Der nach Mündigkeit strebende Gläubige (Typ B) dagegen macht sich die Mühe, über die Bildung von Charakter 299 und Persönlichkeit selbstkritisch nachzudenken. Beide Typen reagieren ganz unterschiedlich auf: - riskante bzw. giftige Theologie 300 - offenbares Unrecht 301 , das Gläubige anderen Gläubigen zufügen. - Manipulation 302 und Machtmissbrauch in der Gemeinde. 10. Die negative Verformung der Persönlichkeit durch giftige Theologie Die Arbeit mit der Bibel, das Lehren und das Lernen soll – wie die Bibel selbst es deutlich sagt – zur Wertschätzung der Gerechtigkeit 303 führen. Zitat: “Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nützlich zur Lehre, zur Beurteilung, zur Besserung und zur Erziehung in der Gerechtigkeit (δικαιοσύνη), damit ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt.” (2.Tim 3,16) Man erlebt es leider gar nicht so selten, dass die Bemühung, einer “bibeltreuen” Gemeinde das Nachdenken über die Wertschätzung von Fairness und Gerechtigkeit zu ermöglichen, auf Desinteresse, ja Widerstand stößt. Dennoch fühlen sich auch solche Gemeinden berufen, den Mann auf der Strasse zur “Bekehrung” und zur “Umkehr” aufzurufen. 298 299 300 301 302 303 Siehe nächstes Kapitel. Siehe Seite 205. Siehe Seite 35. Siehe Seite 179. Siehe Seite 263. Siehe unter „Häufige Fragen“ die Frage 9, Seite 221. 167 Das wirft die Frage auf: was wird dort mit der Seele der Menschen gemacht? Was für eine seltsame Art von “Charakterbildung” findet dort statt? Auch in solchen Gemeinden arbeiten ja bekanntermaßen viele treue und liebenswerte Christen gutgläubig mit. Wir wünschen uns, dass sie es bemerken können, wenn ihre Persönlichkeit in einer scheinbar christlichen und verdrehten Weise geprägt und ihre Widerstandskraft gegen giftige Theologie 304 geschwächt wird. Insbesondere den jungen, leicht lenkbaren Menschen in der Gemeinde wünschen wir, dass sie ein Gespür für diese Gefahr entwickeln und sich gegen unredliche Manipulationen rechtzeitig wehren können. Um zu sehen, wohin die Entwicklung gehen kann, beschreiben wir ein Extrembeispiel einer negativen charakterlichen Entwicklung eines Gläubigen. (Dabei sollte ein vergleichender Blick auf die vorbildliche Persönlichkeit eines im Glauben gereiften Gläubigen nicht fehlen… ) 305 Ein Zerrbild des “bibeltreuen” Gläubigen (im schlimmsten Fall) Eine Bibelstunde oder ein Gottesdienst hat für ihn nur eine Funktion: binnen 45 Minuten schöne religiöse Gefühle hervorzurufen. Die Stärke seines Glaubens beruht darauf, dass möglichst viele Leute um ihn herum dasselbe glauben. Er plappert immer nach, was die Mehrheit meint, um “dazu zu gehören”. Falls der Verdacht aufsteigt, dass ihm eine Halbwahrheit vermittelt wurde, geht er diesem Gedanken lieber nicht nach. Wenn jemand über die praktische Anwendung der Qualitätsmaßstäbe Christi sprechen möchte, fühlt er sich emotional überanstrengt und hält er es für seine heilige Pflicht, das Denken sofort abzuschalten. 304 Siehe das Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. 305 Siehe das Kapitel „Charakter“, Seite 205. 168 Den Glaubensbrüdern und -schwestern, die daran erinnert haben, ist er ernstlich böse. Sie kommen für eine freundschaftliche Beziehung nicht mehr in Frage. Er redet nicht mehr mit ihnen, sondern nur noch über sie. Nur Gläubige, die wie er allergisch reagieren, wenn auf eine Verletzung dieser Maßstäbe hingewiesen wird, haben Anspruch auf seine Herzlichkeit. Falls ihn eine tiefer gehende Frage beunruhigt, wendet er sich an den Herrn Gemeindeleiter. Wenn ihm dieser versichert, dass alles in bester Ordnung sei, dann denkt er nicht mehr darüber nach, sondern wendet sich erleichtert anderen Dingen zu. Der Gemeindeleiter ist ja in besonderer Weise mit dem heiligen Geist ausgestattet und muss es schließlich wissen. Weisheit und gründliches Nachdenken empfindet er von vornherein als störend, verdächtig und negativ. Nach seiner Meinung kann nur der Herr Gemeindeleiter damit richtig umgehen. Um nicht durch Neues und Unbekanntes verunsichert zu werden, wünscht dieser Gläubige, dass ihm in der Bibelstunde möglichst dünne “Milchsuppe” serviert wird, d.h. etwas Bekanntes, was in erster Linie Emotionen erzeugt. Ein Häppchen Neues, eine Anekdote oder ein Scherz sollte aber auch dabei sein, damit es nicht allzu langweilig wird. Wenn ein Mitchrist in der Gemeinde durch ungerechtes Verhalten eines Gläubigen geschädigt worden ist, so fühlt er sich aufgefordert, tröstende Bibelworte zu zitieren. Damit hat er nach seiner Ansicht mehr als genug geleistet. Die Bitte, den Betroffenen durch Teilnahme an einem Klärungsgespräch ( Mt 18, 16) zu unterstützen, weist er zurück. Auch darf man nicht auf seine Hilfe rechnen, wenn die Sache vor die Gemeinde zu bringen ist. (Mt 18,17) Er ist der Ansicht, dass der Betroffene sich mit seinen Worten des Mitgefühls zufriedenzugeben hat. Falls dieser sich nun auf die Anweisungen Jesu beruft, versucht er dem Geschädigten klarzumachen, dass er ein liebloser Störenfried ist, der die Bibel missbraucht und vermeidbaren Unfrieden in die Gemeinde hineinbringt. Diese Art Gläubiger hat es eilig Mitgefühl zu bekunden, da er sich selbst mit dieser Aktion beweisen will, dass er nicht ohne Mitgefühl ist. Tatsächlich aber ist ihm das Leid des Geschädigten gleichgültig. 169 Falls nun gar jemand von außen kommen und sich über das böse Verhalten eines Mitgliedes beschweren sollte, ist er sofort der Ansicht, es sei seine heilige Pflicht, sich ohne Prüfung solidarisch mit diesem Mitglied zu erklären. Gewissensbedenken kommen ihm dabei nicht. Falls Hinweise kommen, dass sich ein Gemeindeleiter falsch verhält oder in einem bestimmten Bereich inkompetent ist, dann hält er sich die Ohren zu, weil er eine Korrektur für unzumutbar hält. Jegliche Korrektur – selbst im Falle offenbarer Korruption - wird von ihm grundsätzlich als “Vatermord” empfunden. Glaubensgeschwister, die für böses Verhalten Beweise liefern, hält er für Schurken, den Gemeindeleiter aber in jedem Fall für das Opfer, da er nun einmal der “Gesalbte des Herrn” ist. Er ist der Ansicht, dass man auch einem Gemeindeleiter, der böses Verhalten nicht korrigiert, die Aufgabe anvertrauen kann, die Gläubigen der Gemeinde in der Heiligung und Gottesfurcht weiterzubringen und dass die Austeilung des Heiligen Abendmahls sein selbstverständliches Recht ist, dass nicht bezweifelt werden darf. Obwohl ein Gläubiger dieser Art tiefer gehende Fragen eigentlich nie an sich heranlässt und das Denken bei allem, was ihn beunruhigt, sofort abschaltet, hält er sich nach einigen Jahren für einen theologischen Experten, für einen “alten Hasen”, dem man in Sachen Bibelkunde nichts vormachen kann. Diese Einstellung ist später kaum noch korrigierbar, sodass die Bezeichnung „Verstockung“ den Sachverhalt recht gut trifft. Der christliche Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827): formulierte es so Wenn bei einem Menschen das Herz einmal hart geworden ist, dann ist es aus. Was er auch sonst Gutes hat, man kann nicht mehr auf ihn zählen. 170 11. Destruktive Motive Es lohnt sich für den Gläubigen, seine Motive zu prüfen. Taten, die äußerlich beeindruckend erscheinen, können dennoch vor Gott völlig wertlos sein, wenn dahinter falsche Motive stehen. Sie werden dann nicht belohnt (1.Kor 3,14-15) und der ganze Aufwand war vergebens. Der Gläubige tut gut daran, seine eigenen Motive zu prüfen und nicht über die Motive seiner Mitchristen zu spekulieren. Die Gefahr von Unterstellungen und Fehleinschätzungen ist zu groß. “Verurteilt also nichts vor der von Gott bestimmten Zeit, wartet bis der Herr kommt! Er wird das im Finstern Verborgene ans Licht bringen und die geheimen Motive der Menschen offenbaren. Dann wird jeder das Lob von Gott erhalten, das er verdient.” (1.Kor 4,5 / NeÜ) Gerichtet muss und darf dagegen offensichtlich bösartiges Verhalten: “Schafft also den Bösen aus eurer Mitte weg!” (1.Kor 5,13) Wenn wir also über üble Motive sprechen, dann sollte dies in erster Linie in der Absicht der Selbstprüfung 306 und Selbsterkenntnis 307 geschehen. Die Motive von Gläubigen in Lehre und Leitung haben einen starken Einfluss auf das geistliche Leben anderer Christen. Sind die Motive der Gemeindeleitung nicht rein und lauter, dann ist es wahrscheinlich, dass sie neben vielem Richtigen zugleich geistliche Blindheit vermitteln. Die Evangelien berichten, dass hinter dem frommen Engagement der Schriftgelehrten als wesentliches Motiv der Eigennutz stand: das Streben nach Ehre, Einfluss und Geld. Diese unreinen Beweggründe machten es ihnen sehr schwer, auf Jesus zu hören: 306 Siehe das Kapitel „Prüfe Dich selbst“, S.210. 307 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#selbsterkenntnis“. 171 (a) Ehre: “Sie sitzen gern auf den Ehrenplätzen bei Tisch und in den Synagogen und haben’s gern, dass sie von den Leuten mit dem Titel “Meister” angeredet werden. Aber ihr sollt euch nicht “Meister” nennen lassen; denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder.” (Mt 23,6-8) Bibelgemäßer Kommentar: Theologische Titel werden von Jesus Christus nicht anerkannt und sollten deshalb unter Christen und in der Gemeinde keine Bedeutung haben! Es kann jemand einen theologischen Professorentitel haben und wie Nikodemus geistlich ganz unreif und uneinsichtig sein (Jo 3,10). Der Priester Amazja wollte die Botschaft, die ihm Gott durch den Landwirt Amos übermittelt hatte, nicht anerkennen. Dafür wurde er von Gott bestraft 308 Der Wunsch, geehrt zu werden, ist glaubenszerstörend: “Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht?” (Joh 5,44). Obwohl Jesus klar und deutlich gesagt hat, dass der Doktortitel in der Gemeinde Jesu nichts gilt, lassen sich etliche bibeltreue Theologen von Mitchristen ohne Titel auch durch bessere biblische Argumente nicht mehr korrigieren. Sie reagieren mit Hochmut und Wichtigtuerei 309 (“ein großer Mann wie ich ist zu beschäftigt, um wissenschaftlich ungebildeten Leuten zuzuhören”). Genau das wollte Jesus nicht! Wer so mit Geschwistern umgeht, der zeigt in der Tat, dass er vor dem Wort Jesu keine Ehrfurcht hat. (b) Einfluss: “Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Wunder. Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.” (Joh 11,47-50). 308 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#laie“. 309 Siehe unter „www.matth2323.de/miese-tricks/“. 172 Bibelgemäßer Kommentar: Das Motto etlicher “entschieden bibeltreuer” Gemeindelehrer heißt: Die Wahrheit muss auf den Tisch. Aber über Wahrheit, mit der ich mich bei meiner frommen Klientel unbeliebt mache, schweige ich lieber. Die Bibel sagt aber: “Wer Menschen gefallen will, ist Christi Diener nicht!” (Gal 1,10). Als sich Jesus Jünger über seine Worte ärgerten, machte Jesus dennoch keine Abstriche: Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm. “Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt ihr auch weggehen?” (Joh 6,66-67) Wenn man mit der Wahrheit allein bleibt, dann ist das schmerzlich, aber man muss es aushalten: “Weh mir, meine Mutter, dass du mich geboren hast, auf den jeder wütend ist im ganzen Lande! Ich habe weder Geld mit Wucherzinsen ausgeliehen, noch hat man mir geliehen, und doch flucht mir jedermann”. (Jer 15,10) (b) Geldgier: “Das alles hörten die Pharisäer. Die waren geldgierig” (Lk 16,14 a) Bibelgemäßer Kommentar: Diese Geldgier war bei den Pharisäern fromm getarnt. Wie die Evangelien berichten, nahmen sie Opfergaben entgegen, obwohl sie wussten, dass von diesem Geld eigentlich die Eltern versorgt werden mussten (“Korban“: Mk 7,11). Auffällig ist, dass heutzutage auch in “entschieden bibeltreuen” Gemeinde über unerlaubte Spenden so gut wie nicht gepredigt wird. Insbesondere sind die Gemeinden schlecht darüber informiert, dass Spenden nicht angenommen werden dürfen, wenn der Spender einen Mitchristen mutwillig geschädigt hat und Schadensausgleich schuldig geblieben ist. 310 In der katholischen Kirche fallen die drei genannten destruktiven Motive sehr unangenehm auf. Die auf die Seele giftig wirkende Ablasslehre 311 dürfte ein gut genutztes Hintertürchen sein, um die Gier der Kirche nach immer mehr Geld zu befriedigen. 310 siehe dazu im Detail die Broschüre „Liebe ohne Fairness“ (Download Internet) 311 Details siehe unter der 1.Behauptung der giftigen Theologie, S.42. 173 Zwar dürfen keine Ablasszettel mehr verkauft werden, aber was wird ein alter Mensch wohl noch an guten Werken tun können, um seine zwar "zeitlich begrenzte" aber möglicherweise doch Jahrhunderte dauernde Qual (wie kann man das schon genau wissen ?) im Fegefeuer abzukürzen ? Für Wallfahrten und andere anstrengende Bußübungen vor dem Sterben fehlt die Kraft. Da hat mancher ein offenes Ohr, wenn ihm der Beichtvater im Gegenzug für ein Optimum an Ablass die Möglichkeit anbietet, der Kirche große Teile seines Vermögens testamentarisch zu vermachen. Ein Beichtvater, der viele solche Abmachungen aufzuweisen hat, dürfte sicherlich seinen Vorgesetzten positiv auffallen. Wieviel bedürftige Erben hat es wohl gegeben, die auf diese Weise um ihr Erbe gebracht wurden ! Offizielle Verlautbarungen, dass es “kein Geschäft mit der Gnade” geben dürfe, schließen nicht aus, dass es in der Praxis anders gehandhabt wird – zumal die Abmachungen unter vier Augen getroffen werden. Destruktive Motive sind in der katholischen Kirche geradezu die Stütze des ganzen Systems. Mit der Vergabe von Titeln, vielfältigen Privilegien, Befugnissen und vor allem durch die Garantie einzigartiger materieller Sicherheit 312 motiviert man die Kleriker, mit der Kritik an dem, was von oben verordnet wird, äußerst zurückhaltend zu sein. Je weiter Kleriker in der Hierarchie aufsteigen, desto besser haben sie sich angepasst, desto vorsichtiger sind sie. Wenn diese Leute die Worte Jesu den Gläubigen erklären wollen, was können ihre Einschätzungen wert sein ? Ziehen wir den Vergleich zu wirklichen Autoritäten: der Apostel Paulus ermahnte die Gläubigen, “sich an Nahrung und Kleidung genügen zu lassen“. (1.Tim 6,6) Der Apostel Petrus hat sich sicherlich ebenfalls an diese Norm gehalten. Scharf kritisierte er Gläubige, “die sich wie der Prophet Bileam verhielten und Unrecht taten um des Geldes willen. … Ein Esel war es schließlich, der den Propheten daran hinderte, seinen wahnwitzigen Plan auszuführen.” (2.Petr 2, 17-18) Jesus selbst hatte überhaupt kein Geld (Mt 17,27), nicht einmal eine Wohnung, “wo er sein Haupt hätte hinlegen können.” (Luk 9,57) 312 siehe Details der Klerikerfinanzierung unter: www.stop-kirchensubventionen.de/bischoefe.html 174 Jesus und die Apostel banden überhaupt niemanden an sich, indem sie mit materiellen Vorteilen lockten. Sie setzen nur ihre Überzeugungskraft ein, die auf einer vorbildlichen Lebensweise beruhte. Ja, sie verprellten sogar Interessenten, indem sie deutlich auf materielle Nachteile hinwiesen. (Mt 19,22 / 2.Tim 3,12) Wenn ihnen deshalb die Leute wegliefen, so nahmen sie das hin. (Joh 6,67) 12. Der Semmelweis-Reflex Der Semmelweis-Reflex bezeichnet die automatische, nicht auf besseren Argumenten beruhende Ablehnung einer nützlichen Information, eines Verbesserungsvorschlags oder wissenschaftlichen Entdeckung, weil sie mit etablierten Denkmustern und Verhaltensweisen schwer oder gar nicht vereinbar ist. Die Ablehnung erfolgt aus rein emotionalen Gründen, zur Vermeidung von Prestigeverlust oder Schuldgefühlen oder weil die Verbesserung Reformen notwendig macht, die als unbequeme Zumutung empfunden werden. (Vgl. “Das Gesetz der 50-Jährigen“ 313). Der Unterschied der Sichtweisen kann nicht auf der argumentativen Ebene ausgetragen und entschärft werden: er entwickelt sich schnell zu einem Interessen- und Machtkonflikt, in dem die Bemühungen um Verbesserung von den etablierten Meinungsmachern nicht honoriert, sondern bestraft werden. Benannt ist dieser Mechanismus nach dem ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis, der als Ursache für Erkrankungen an Kindbettfieber unzureichende Hygiene vermutete und vom Klinikpersonal die Beachtung strenger Desinfektionsregeln forderte (sorgfältige Desinfektion mit Chlorkalklösung zusätzlich zum Händewaschen). Obwohl seine Vorschläge zu einem deutlichen Rückgang der Todesfälle führte, wurden sie von Vorgesetzten und Kollegen (von einigen Ausnahmen abgesehen) abgelehnt. Semmelweis erkrankte infolge der Anfeindungen psychisch und wurde von Kollegen in eine Irrenanstalt eingeliefert, wo er zwei Wochen später starb. (Quelle: wikipedia) 313 Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#50“. 175 Die katholische Kirche kann sich von destruktiven Lehrsätzen in ihrer Theologie nicht distanzieren, ohne ihre Autorität überhaupt in Frage zu stellen. Die Unfähigkeit zu Reformen ist für Organisationen, die um jeden Preis ihren Einfluss sichern müssen, typisch. 314 Die von uns genannten schädlichen Lehrsätze der “giftigen Theologie” 315 entwickeln sich aber auch fast zwangsläufig auf dem Boden eines gedankenlos-mechanisch-wörtlichen Verständnisses der Bibel, das in bibelgläubigen Gemeinden und Gemeinschaften immer wieder Fuß fasst. Dieses Verständnis spiegelt Unsicherheit sowie ein unreifes Urteilsvermögen 316 wider: Je ängstlicher Gläubige sind, desto mehr flüchten sie sich unter die Macht des Buchstabens, in der Meinung, dort Schutz gegen verunsichernde Veränderung zu finden. Zu spät erkennen manche, dass sich diese Macht irgendwann sehr destruktiv gegen sie selbst, gegen ihre Glaubensfreude, gegen ihre seelische Gesundheit und auch gegen ihre Heilsgewissheit 317 richten kann. “Der Buchstabe tötet.” (2.Kor 3,6). Aber “der Geist macht lebendig” ! (V.7) Doch wie versteht man die betreffenden Bibelstellen richtig, in einer lebendigen, lebensfördernden Weise (Mt 4,4) ? Dazu bedarf es natürlich guter Argumente, die die Macht des Buchstabens im Gewissen entkräften können, insbesondere eines übergeordneten Prinzips (“Schlüssel“ 318 ), um den Rang eines Bibelwortes einschätzen zu können. Das Gewissen 319 lässt sich nur durch gute Argumente überzeugen. Wird der Buchstabe nicht entkräftet und widerlegt, bleibt das Gewissen wund. 314 315 316 317 318 319 Siehe Seite 146. Siehe Seite 35 ff. Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#urteilsvermögen“. Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#heilsgewissheit“. Siehe Seite 6. Siehe Seite 139. 176 Obwohl die Schädlichkeit der genannten Lehrsätze für jeden Laien unmittelbar nachvollziehbar ist, und auch offensichtlich ist, dass eine offene Diskussion über die Beweiskraft möglicher Argumente unentbehrlich ist, und obwohl die Würdigung der Beweiskraft solcher Argumente im deutschen Internet (nach unseren Recherchen) kaum präsent ist, haben Mitglieder unseres Arbeitskreises so gut wie keine Anerkennung, Beachtung oder gar Förderung (durch Bekanntmachung) gefunden. Wie würden sie sich freuen, wenn man sie wenigstens einmal einladen und ihnen ein Podium zur Diskussion geben würde ! Unermüdlich haben sie seit Jahren viele bibelgläubige Gemeinden (siehe “Beispielbrief“ 320), Ethik-Lehrer und theologische Institute angeschrieben. Es kam bisher kaum Antwort. Man hielt in der Regel nicht einmal eine Empfangsbestätigung für nötig. Gibt es das Problem wirklich nicht? Gelegentlich kam eine beleidigte Reaktion: man fühlte sich “verletzt” oder “belästigt” oder “zu Unrecht verunsichert”. Andere, die sich “rechtgläubige Christen” nennen, reagierten gar mit Feindschaft und übler Nachrede. Dass Gläubige durch “giftige Theologie” 321 zeitlebens seelischen Schaden davongetragen haben oder gar ganz am Glauben verzweifelt sind, interessierte nicht. (“Blinder Fleck“322). Kann man das mit dem Gebaren einer mafiosen Baufirma vergleichen, die in einem armen Land mit mangelhafter Rechtsprechung tätig ist ? Sie errichtet beeindruckende Bauwerke, die der Allgemeinheit dienen Krankenhäuser, Schulen und Kirchen -, womit sie sich viel Unterstützung und Sympathie der Bevölkerung sichert. Ein kleiner Schönheitsfehler: um Geld zu sparen, werden Sicherheitsmaßnahmen vernachlässigt. Gelegentlich stürzt ein Bauarbeiter vom Gerüst in die Baugrube hinab, wo ihn niemand mehr sieht. Da es nur selten passiert und alle gut entlohnt werden, stört sich kaum jemand daran. Die Bauleitung ist der Ansicht, wer stürzt, sei unaufmerksam gewesen und habe sich das selbst zuzuschreiben. 320 Siehe „An alle Vorstände“ („www.matth2323.de/vorstaende/“). 321 Siehe Seite 35 ff. 322 Siehe „www.matth2323.de/#fleck“. 177 Die Belegschaft darf über Unfälle nicht informiert werden. Die Belegschaft vermeidet selbst, über dieses Thema zu sprechen, da niemand das “gute Betriebsklima” gefährden will. Niemand “will in die Hand beißen, die ihn füttert.” Doch wenn eine Kirche sich mit sozialen Projekten profiliert (wobei der Löwenanteil durch ehrenamtliche Arbeit ehrlich gesinnter Gläubiger beigesteuert wird), aber gleichzeitig hinnimmt, dass einzelne Menschen durch destruktive und dilettantische Theologie schwer geschädigt werden, kann dann das Motiv 323 der leitenden Personen tatsächlich aufrichtige Liebe sein ? Können sie für sich beanspruchen, dass sie die wichtigsten Qualitätsstandards Jesu 324 – Barmherzigkeit, Liebe zum Recht, Verlässlichkeit – respektieren ? Oder muss man sie eher den “Schriftgelehrten und Pharisäern” zuordnen, die sich über diese Maßstäbe hartnäckig hinweggesetzt haben ? (Mt 23,23) Haben sich das Recht, sich für ihr Tun auf Jesus Christus zu berufen ? Wie wird wohl später einmal die Nachwelt – viel wichtiger: wie wird Jesus – über diese Leute urteilen, die sich jetzt noch selbstbewusst für “gute Hirten” und “Verteidiger der Wahrheit” halten ? Wird er sagen: “O ihr treuen und frommen Diener, was habt ihr doch für beeindruckende Erfolge vorzuweisen, insbesondere ein volles Gotteshaus!” Wird er sagen: “Oh ihr treuen Diener, wie seid ihr doch fromm, das ihr die meisten Besucher zufriedengestellt habt ? ” Oder wird er sagen: “Was ihr dem Geringsten unter meinen Brüdern angetan habt, das habt ihr mir angetan” ? (Mt 25,40) 323 Siehe Seite 171. 324 Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 178 13. Prüfe Dein Urteilsvermögen Urteilsvermögen wird durch Übung gestärkt. Wenig Urteilsvermögen hat, wer alles gedankenlos hinnimmt. “Macht euch nicht mitschuldig an finsteren Machenschaften. Helft vielmehr das Böse in der Gemeinde aufzudecken.” (Eph.5,11 ff) In evangelikalen und pietistischen Gemeinden ist dieses wichtige Gebot weithin vergessen. 1. Ist das wirklich wahr ? 2. Naheliegende Fragen ... 325 3. Eine einfache Lösung, die immer möglich ist ! 326 4. Skizze eines bibelgemäßen Schlichtungsverfahrens 327 5. Das Dilemma der wortwörtlichen Interpretation 328 Wir wollen uns einmal einen typischen Fall anschauen, um Urteilsvermögen zu üben … (weitere Fälle sind in Vorbereitung…) 13.1 Ist das wirklich wahr ? Es war einmal ein Mensch. Er bekehrte sich und wurde gläubig. In einer bibeltreuen Gemeinde. In allen bibeltreuen Gemeinden, die er kannte, versicherte man ihm, dass die Bibel Gottes Wort und „völlig zuverlässig“ sei. Nun geschah es, dass ihm ein Mitchrist aus einer anderen Gemeinde einen schlimmen Schaden zufügte und sich nicht weiter darum kümmerte. Normalerweise bringt man den Streitfall vor Gericht. 325 326 327 328 Siehe Seite 182. Siehe Seite 184. Siehe Seite 188. Siehe Seite 191. 179 Er aber konnte das nicht tun, denn in der Bibel hatte er gelesen, dass das eine „schändliche Sünde“ sei. (1.Ko 6,5) Die Bibel sagte ihm, er sollte einen Rechtsstreit vor „die Weisen“ der Gemeinde bringen. Sehen wir uns die betreffende Bibelstelle einmal genau an! „Wie kann jemand von euch wagen, dass ihr als Christen euren Rechtsstreit vor ungläubigen Richtern austragt, anstatt vor Menschen, die zur Gemeinschaft der Heiligen gehören? Wisst ihr nicht, dass die Heiligen einmal über die Welt richten werden? Müsstet ihr dann nicht erst recht eure Rechtsstreitigkeiten unter euch regeln können? Habt ihr vergessen, dass wir sogar über Engel richten werden? Wie viel mehr über Dinge des täglichen Lebens. Müsstet ihr dann nicht erst recht eure alltäglichen Streitigkeiten schlichten können? Ihr aber lauft damit zu Richtern, die noch nicht einmal Christen sind. Euch zur Schande muss ich das sagen. Gibt es denn gar keinen weisen Menschen bei euch, nicht einmal einen einzigen, der in einem Rechtsstreit zwischen Gläubigen fair entscheiden könnte?“ (1.Kor 6,1-5). Leider wusste der Gläubige nicht, wer der „Weise“ sein sollte, der hier in Frage kam. Denn über faire Schlichtung wurde in den Gemeinden weder gesprochen noch nachgedacht. Das tat nun der Geschädigte und schrieb einiges dazu auf. Wie konnte man einen geeigneten Schiedsrichter finden ? Wie wird Befangenheit nach Möglichkeit vermieden ? Was muss getan werden, damit der Täter seine Verantwortung erkennt ? Darauf bat er den Pastor der bibeltreuen Gemeinde, zu der der Täter gehörte, zu diesen Gedanken Stellung zu nehmen. De Pastor teilte ihm mit, dass er dafür „keine Zeit“ hätte. Er wollte nur den Namen des Täters wissen und dann den Fall entscheiden. Der Geschädigten aber konnte nicht mehr glauben, dass Pastor „der Weise“ war, da dieser weder Zeit noch Lust hatte, über völlig selbstverständliche Fragen nachzudenken. Als er ihn nun bat, ihn bei der Suche nach geeigneten Gläubigen zu unterstützen, weigerte sich der Pastor. Ebenso weigerte er sich, als der Gläubige fragte, ob er die Angelegenheit nach dem Scheitern des Vermittlungsgesprächs „vor die Gemeinde bringen“ könnte – wie es die Bibel fordert. (Mt 18,17). 180 Der Pastor sagte, dass er das nicht zulassen würde, da der Geschädigte „nicht Mitglied seiner Gemeinde“ sei. Die Angelegenheit sei damit für ihn erledigt. Und so blieb der gläubige Bruder auf seinem beträchtlichen Schaden sitzen – bis zum heutigen Tag. Kaum zu glauben: Dieses skandalöse Ergebnis ist in evangelikalen Gemeinden keine Ausnahme! Schon vor eineinhalb Jahrzehnten (!) hat Prof. Dr. Dr.Thomas Schirrmacher in seiner „Ethik zum Selbststudium“ die „völlige Aushöhlung des christlichen Rechtsbewusstseins“ in evangelikalen Gemeinden beklagt. 329 Geändert hat sich bisher so gut wie nichts! Wie kann man da behaupten, dass sich das übliche Verfahren, dass der Herr Pastor mit beiden Konfliktparteien spricht und dann “nach seinem Ermessen” entscheidet, bewährt habe ? Immer wieder passiert es: Immer wieder passiert es: gläubige Christen erleiden einen Schaden durch einen Mitchristen. Aber in der Gemeinde wird an der gemeinsamen Lösung des Konflikts nicht gearbeitet. Vielmehr stellt man sich dort auf die Seite des Täters, der den Fall unter den Teppich kehren möchte und so tut, als ob nichts geschehen wäre. Die Mitglieder werden nicht einmal darüber informiert, dass sie ihren Fall vor das weltliche Gericht bringen dürfen, sondern sogar noch kritisiert, wenn sie es tun – unter Berufung auf eine wörtliche – und falsche ! – Auslegung von 1.Kor 6. 330 Kommt der geschädigte Bruder oder die Schwester gar noch aus einer anderen Gemeinde, so sind die Chancen auf eine faire Konfliktschlichtung noch viel geringer. 329 Band 2, Neuhausen-Stuttgart, 1994, Seiten 593 – 594. 330 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 28. Behauptung: “Ein Christ darf sich nicht wehren, darf auch nicht Ersatz des Schadens fordern“, Seite 156. 181 Die Tatsache, dass der heilige Geist alle Gläubigen über Grenzen und Sprengel hinweg zu einem Leib zusammenfügt, und dass diese Einheit heilig ist und viel höher steht als der Zusammenhalt eines religiösen Vereins oder einer Kirchgemeinde macht leider auf manchen Pastoren, der sich als „bibeltreu“ betrachtet, keinen nennenswerten Eindruck. Was sagt das Neue Testament, die “Verfassung” aller gläubigen Gemeinschaften? “Nun seid ihr also nicht mehr Fremde und Leute ohne Bürgerrecht, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und gehört zur Familie Gottes. Die Familie Gottes, die Gemeinde, ist ein ständig wachsender Bau, der auf dem Fundament der Apostel und Propheten steht. In ihm ist Jesus Christus der wichtigste Stein, der das ganze Haus zusammenhält, ein Haus, das sich der heilige Gott selbst zur Wohnung erwählt hat.” (Eph 2,19-21) Das ist gültiges biblisches Recht! 13.2. Naheliegende Fragen … a) Welche Folgen hat das Verhalten des Pastors für die Seele des Geschädigten ? Ist es nicht wahrscheinlich, dass er zusätzlich zu den Folgen der Tat auch noch die quälende Erkenntnis aufgeladen bekommt, dass seine Mitchristen de facto Partei für den Schädiger ergreifen und ihn im Stich lassen ? 182 b) Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass er bald an den tröstenden Worten Jesu zu zweifeln beginnt, weil seine Geschwister ihm beweisen, dass die Anweisungen Jesu zur Konfliktschlichtung nur bedeutungsloses Geschwätz sind ? c) Ist es nicht wahrscheinlich, dass der Geschädigte sehr bald seinen Geschwistern nicht mehr glauben kann, die ihre “Liebe” zu ihm beteuern ? Gibt es Liebe ohne Fairness ? d) Ist es nicht möglich, dass ihn sogar noch einzelne Geschwister anfeinden und als “Schalksknecht” beschimpfen, und ihm es als Sünde vorwerfen, dass er eine faire Lösung erwartet ? e) Kann der Pastor noch glaubwürdig über die Einheit des Leibes Christi (1.Kor 12,12) und über die Aufgabe des Gläubigen “mitzuleiden” (1.Kor 12,26) und “die Last des anderen zu tragen” (Gal 6,2), predigen oder ist das als unredliche Propaganda anzusehen? f) Ist die Einheit des Leibes Christi ein nebensächliches oder ein ganz zentrales Thema ? g) Welche Folgen hat das Verhalten des Pastors für die Seele des Täters ? Ist es möglich, dass sie zu einer Haltung der Verstocktheit und der Schadenfreude beiträgt ? Wie sind dann die Aussichten des Täters auf Errettung, wenn die Bibel sagt, dass “ein unbarmherziges Gericht ergeht” (Jak 2,13) über den, der nicht barmherzig sein wollte ? h) Welche Motive mag wohl der Pastor haben, wenn er dazu aufruft, eifrig zu missionieren und zu evangelisieren, um “Seelen zu retten”, wenn ihm das Schicksal des Täters gleichgültig ist ? i) Jeder Betrieb hat seinen Betriebsrat, mit dessen Hilfe sich auch der unbedeutendste Mitarbeiter gegen Willkür, Übervorteilung und Gemeinheit wehren kann. Doch was hat die christliche Gemeinde? Wie könnte eine bibelgemäße Lösung des Problems aussehen? 183 13.3. Eine einfache Lösung, die immer möglich ist … I) Vorbereitung der Konfliktlösung durch Predigt und Bibellehre... Wie einfach ist das: immer wieder in der Predigt aufzurufen, sich um “aufrichtige Liebe” zu bemühen. (Röm 12,9) Es gibt ja auch jede Menge oberflächliche Freundlichkeit, die im Konfliktfall versagt. Dann wird man eiskalt, sieht geflissentlich weg, wenn der geschädigte Bruder vorbeikommt, schlimmer noch, man rechtfertigt sein Tun, indem man negativ über ihn redet und Gleichgesinnte sucht, die ihn ebenfalls ablehnen. Wenn Konflikte im Untergrund weiterschwelen, entstehen in der Gemeinde sehr oft Cliquen, d.h. “Parteiungen“, Die Bildung von Parteiungen im Leib Christi ist eine schwere Sünde. In der Aufzählung der “Werke des Fleisches” in Gal 5,19-20 steht sie zwischen den Sünden Feindschaft und Mord. Deswegen ist die Predigt so wichtig: “Erleichtere dem, dem du weh getan hast, das Vergeben!” Bei Beleidigungen hat sehr oft schon die Entschuldigung und nachträgliche Wertschätzung ein gutes Ergebnis, bei schwerer Schädigung wird das nicht ausreichen, sondern hier ist angebracht, dem Geschädigten im täglichen Leben mit praktischen und finanziellen Hilfen etwas Ausgleich zu verschaffen. Was angemessen ist, lässt sich durch Beantwortung der Frage feststellen: ” Was würde mir selbst das Vergeben erleichtern, wenn ich in der Lage des geschädigten Bruders wäre..?” Jeder Gläubige, der die Gesinnung Christi hat, wird so handeln. Über die Mitglieder der unsichtbaren Gemeinde sagt Paulus “Wir aber haben Christi Sinn.” (1.Kor 2,16) Auch wenn es manche materielle Nachteile bringen mag, so weiß doch jeder, dem der Glaube wichtig ist: ohne Bemühen um aufrichtige Liebe wird der Glaube schwächer, ärmer und trostloser. Ganz wichtig dabei ist: das Bemühen um Ausgleich muss freiwillig bleiben und Distanz zur Werkgerechtigkeit halten. Wiedergutmachung ist niemals eine Bedingung für Vergebung ! Sie muss aus Liebe geschehen, weil man den Blick der Liebe auf den anderen richtet. Der Antrieb durch das schlechte Gewissen macht die Glaubensfreude kaputt. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Geschädigten natürlich auch. 184 II) Klärung der Situation durch Anhörung Nicht nur der Schädiger, sondern auch die Gemeinde kann sich gegenüber dem Leid des geschädigten Mitchristen gleichgültig zeigen. Beides wirkt sich auf das Glaubensleben destruktiv aus. Wie soll da “aufrichtige Liebe” (Röm 12,9) gedeihen ? Wie soll die Gemeinde etwas von der Fülle des Geistes erfahren können? Es besteht nicht der geringste Zweifel. Durch solche Gleichgültigkeit nimmt der Glaube Schaden, ist umso mehr Raum für scheinbare Liebe und für scheinbare Glaubensstärke. Niemand, der um das geistliche Wohl seiner Gemeinde besorgt ist, wird diesen Zustand akzeptieren. Der erste Schritt aus der Gleichgültigkeit heraus ist die Anhörung. Zunächst hören die Ältesten beide Konfliktparteien zur Sache. Beide Parteien dürfen Fragen an den Gegner stellen, die der Aufhellung dienen. Auch die untersuchenden Ältesten werden eigene Fragen stellen. Verweigert der Beschuldigte die Teilnahme an der Anhörung, so hören die Ältesten nur den Geschädigten und formulieren Fragen an den Beschuldigten. Die Befragung wird protokolliert, das Protokoll in der Mitgliederversammlung vorgetragen. Befindet sich der Geschädigte und der Beschuldigte in verschiedenen Gemeinden, so werden die Mitgliederversammlungen beider Gemeinden informiert. Auch diese Mitglieder können Fragen zur Sache stellen. III) Bestellung der Schiedsrichter Die Mitgliederversammlung(en) bestellen dann mindestens zwei oder drei “weise” (1.Kor 6, 5), d.h. geeignete Gläubige zu Schiedsrichtern (4.Mo 11,16-17), die stellvertretend für die Gemeinde prüfen, ob und welche Wiedergutmachung im vorliegenden Fall angemessen ist. Dies ist wohl der effizienteste Weg, um den guten Ruf des mutmaßlichen Schadensverursachers zu schützen und um eine Beeinträchtigung des Gemeindelebens zu vermeiden. 185 Geeignet sind Gläubige, die sich durch Wertschätzung der Fairness (Ps 37, 28 / 94, 15 / Jes 1, 17), Liebe zu den schwachen Geschwistern (Mt 25,40 / 1.Kor 12, 22 -24) und durch Fähigkeit zur Selbstkritik (Rö 2,21a / 2.Kor 10,12-13+18 / 15,5) auszeichnen. Diese Eigenschaften kann man leider nicht bei allen Mitgliedern, (auch nicht zwingend bei jedem Mitglied des Vorstandes !) voraussetzen. Manchmal bringt eine Konfliktpartei kein Vertrauen in die Unparteilichkeit eines Schiedsrichters auf. Dieser Einwand ist ernstzunehmen, da in der Gemeinde vielfältige Bindungen (Verwandtschaft, gemeinsame Vorhaben, geschäftliche Verbindung) vorhanden sind. Wer zum Schiedsrichter vorgeschlagen wird, sollte selbst prüfen, ob er eine Entscheidung frei von Sympathie oder Antipathie fällen kann. Wenn es gewünscht wird, sollte die Gemeinde auf bewährte Gläubige einer anderen Gemeinde zurückgreifen. Das kann sie übrigens auch tun, wenn sie sich den Aufwand, Schiedsrichter zu wählen, ersparen will. Das alles ist ganz einfach! Diese kleine Lösung hätte der Pastor im oben genannten Fall vorschlagen können. Es entsteht kaum Aufwand, da die Entscheidungen auch durch Mitglieder einer anderen Gemeinde getroffen werden können. Es ist nur Offenheit und Ehrlichkeit nötig. Mit der Bemühung um Transparenz ist bereits sehr viel erreicht. Wenn die untersuchenden Ältesten aus zwei verschiedenen Gemeinden stammen, dann werden beide noch mehr um eine glaubwürdige Leitung der Untersuchung bemüht sein. Die Qualität der Entscheidungen, die die Mitgliederversammlung trifft, lässt sich erheblich verbessern, wenn man das ganze Verfahren noch mehr an der Bibel ausrichtet (siehe folgender Abschnitt). 186 Ein Pastor, der die kleine Lösung unterstützt, sollte natürlich auch selbst bereit sein, sich bei einer Beschwerde gegen ihn selbst einer unparteiischen Anhörung zu stellen. Wenn die untersuchenden Ältesten aus zwei verschiedenen Gemeinden stammen, dann werden beide noch mehr um eine glaubwürdige Leitung der Untersuchung bemüht sein. Die Qualität der Entscheidungen, die die Mitgliederversammlung trifft, lässt sich noch weiter verbessern, wenn man das ganze Verfahren enger an der Bibel ausrichtet (siehe folgender Abschnitt). Ein Pastor, der die kleine Lösung unterstützt, sollte natürlich auch selbst bereit sein, sich bei einer Beschwerde gegen ihn selbst einer unparteiischen Anhörung zu stellen. Für jemand, der sein Amt redlich versieht, ist das kein Problem. IV) Ganz wichtig: kein Ausschluss, keine Werkgerechtigkeit ! Der Beschluss über Wiedergutmachung darf nicht mit Androhung des Ausschlusses durchgesetzt werden. Wiedergutmachung ist und bleibt eine freiwillige Sache. Wer sie unterlässt, muss weder den Verlust der Vergebung noch die Trennung von der Gemeinde fürchten, wie sie beispielsweise im Falle von Hurerei notwendig ist. (1,Kor 5,1). Doch Wiedergutmachung ist eine Dienstleistung innerhalb der Gemeinde, die Vorrang hat vor anderen Dienstleistungen. Die Gemeinde ist berechtigt und verpflichtet, niemanden zu Gemeindediensten zuzulassen, der vorrangige Dienstpflichten missachtet. Sie ist berechtigt und verpflichtet, Spenden zurückzuweisen, die dem Schadensausgleich dienen könnten. (Mk 7,11: “Korban“) Solange das schädigende Mitglied angemessene Wiedergutmachung verweigert, kann es nur den Status eines Hörers oder Gastes haben, nicht aber den eines Mitarbeiters. 187 13.4. Skizze eines bibelgemäßen Schlichtungsverfahrens: a) Wichtig: das Schlichtungsverfahren ist eine Notordnung für Straftaten und regelt deshalb keine Erbschaftsstreitigkeiten. (Luk 12,14) Die Gemeinde muss auf den Ernstfall einer Straftat, die von einem Mitglied begangen worden ist, vorbereitet sein. Ohne Vorbereitung ist es sehr wahrscheinlich, dass bei Rechtsbruch und Schädigung weggesehen und verdrängt wird, anstatt die Wunden im Geiste Jesu zu verbinden. Die Bemühung um gegenseitige Versöhnung bleibt unerläßlich, auch wenn die weltliche Justiz für Bestrafung und Schadensausgleich gesorgt hat. b) Wenn die Gemeinschaft der Gläubigen in die Konfliktschlichtung nicht in sinnvoller Weise einbezogen werden kann (Mt 18, 17; 1.Kor 11,13b), bleibt nicht selten die Vorstufe, das Mediations- oder Vermittlungsgespräch (Mt 18,16), ergebnislos oder findet erst gar nicht statt. Bevor man sich an die Ältesten wendet, sollte man immer einen Vermittlungsversuch mit einem Freund oder Fürsprecher machen, die auch als Zeugen dienen. (Mt 18,16) Wenn dieser scheitert, bleibt nur der beschriebene Weg. (Mt 18,17) Die Gemeinde wird damit eine echte Chance gegeben, auf der Basis ungeschönter Information zu entscheiden. Diese Chance hat sie heute häufig nicht. Sie sollte sie auf jeden Fall haben, weil eine faire Entscheidung für ihre geistliche Gesundheit wichtig ist. c) Am wirksamsten und sinnvollsten wird die Gemeinde einbezogen, indem sie mindestens zwei oder drei “weise” (1.Kor 6,5), d.h. geeignete Gläubige zu Schiedsrichtern (4.Mo 11,16-17) wählt, hinter deren Entscheidung sie sich stellen kann. Dies ist der effizienteste Weg, um den guten Ruf des Schadensverursachers zu schützen und um eine Beeinträchtigung des Gemeindelebens zu vermeiden. Geeignet sind Gläubige, die sich durch Wertschätzung der Fairness (Ps 37, 28 / 94, 15 / Jes 1, 17), Liebe zu den schwachen Geschwistern (Mt 25,40 / 1.Kor 12, 22 -24) und durch Fähigkeit zur Selbstkritik (Rö 2,21a / 2.Kor 10,12-13+18 / 15,5) auszeichnen. Diese Eigenschaften kann man leider nicht bei allen Mitgliedern voraussetzen. 188 c) Das vorrangige Ziel der Konfliktschlichtung ist die Förderung des Verantwortungsgefühls (1.Mo. 4,9 / 1.Kor 12, 26) und nicht die materielle Wiederherstellung. Der Täter soll erkennen, dass sein Gottesdienst jetzt darin besteht, die Wunden des geschädigten Mitchristen zu verbinden. (Mt 5, 23-24) Bibelgemäße Konfliktschlichtung versucht, eine Brücke zwischen den Konfliktgegnern herzustellen. d) Die Predigt muss diesen Prozess der Gewissensbildung unterstützen und Wertschätzung der Fairness lehren, zumal die ganze Gemeinde ja geeignete Schiedsrichter wählen soll. Sie tut das am wirksamsten, indem sie deutlich darauf hinweist, dass sie Spenden und Mitarbeit eines Gläubigen zurückweisen muss, der gegenüber dem geschädigten Mitchristen gleichgültig bleibt („Korban“ – Predigt: Mk 7, 11-13). Wertschätzung der Fairness ist die unverzichtbare Grundlage „ungeheuchelter Bruderliebe“ (Rö 12,9 / 2Kor 6,6 / 1Pe 1,22). Gegebenenfalls müssen zusätzlich geeignete Prediger für diese Aufgabe bestellt werden. e) Auch wenn eine Gemeinde selber keinen schiedsgerichtlichen Dienst einrichten möchte und hier lieber die Hilfe einer anderen Gemeinde in Anspruch nimmt, sollte sie die Charakterbildung 331 fördern, in dem sie die 3 Maßstäbe Jesu 332 „Barmherzigkeit, Liebe zum Recht, Verlässlichkeit“ (Mt 23,23) als wichtigste Gebote bekanntmacht. f) Die Konfliktpartner bekräftigen ihre Aussagen in der Untersuchung, indem sie Gott zum Zeugen ihrer Wahrhaftigkeit anrufen, so wie auch Paulus Gott zum Zeugen anrief, wenn ihm die Sache wichtig genug erschien. (Rö 1,9 / 2.Kor 1,18 / Phil 1,8) Die Anrufung Gottes ist angemessen, da ungelöste oder lange schwelende Konflikte die Gemeinschaft erheblich belasten können. g) Wenn die Gemeinde sich hinter ihr Urteil stellen soll, müssen diese Gläubigen mit entsprechender Autorität ausgestattet werden. Sie legen deshalb so wie hauptamtliche Mitarbeiter einen Amtseid ab, indem sie sich verpflichten, unparteiisch zu urteilen (Jes 50, 20-24a / Jak 2,9) und das Gewissen nicht fahrlässig zu erleichtern. (Jer 6,14) 331 Siehe das Kapitel „Charakter“, Seite 196. 332 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 189 h) Wer Einkommen von der Gemeinde bezieht, ist in Rechtsentscheidungen, die möglicherweise zu Parteiungen, zu Stress an der Arbeitsstelle und zu einer Einbuße von Spenden führen können, nicht unbefangen. Deshalb ist es unfair, ihn zum Schiedsrichter zu bestellen, der ja einen Amtseid abzulegen hat. (1.Thess 5,22) i) Der Gläubige, der den Mitchristen geschädigt hat, kann sich seiner Verantwortung ebenfalls leicht durch Wechsel der Gemeinde entziehen. Deshalb müssen die Schiedsrichter verschiedener Gemeinden zusammenarbeiten (vgl Ri 19-20) und die Beurteilung des Täters sollte in der Gemeinde geschehen, in der man ihn und sein Verhalten gut kennt. j) Wer andere prüft oder zum Gehorsam aufruft, muss auch selbst bereit sein, sich prüfen zu lassen. Deshalb sollte es selbstverständlich sein, dass jeder, der eine Funktion oder ein Amt in der Gemeinde hat, sich und sein Verhalten an der Bibel prüfen lässt. (2.Kor 4, 2 / 6,7 / 7,2) Die Prüfung der charakterlichen Eignung eines Schiedsrichters (siehe Punkt c) ist schon deshalb selbstverständlich, da der Geschädigte in der Regel nur einen einzigen Versuch (!) hat, sein Anliegen vorzubringen und es (anders als in der Welt) keine übergeordneten Instanzen gibt, die man zur Überprüfung der Entscheidung anrufen könnte. k) Falls sich ein Gemeindeleiter bösartig und ungerecht verhält, dann darf die Gemeinde nicht gezwungen sein, dazu zu schweigen, weil ja “über dem Leiter niemand mehr steht”. Wie soll ein solcher Leiter dann das Abendmahl austeilen, mit welchem Recht kann er noch Mitglieder ermahnen, sich selbst zu prüfen und ihre Sünde zu bereuen ? Dies ist dann ja unmöglich, ohne zu heucheln. Es muss daher möglich sein, eine Beschwerde gegen einen böse handelnden Gemeineleiter an geeigneter Stelle vorzubringen, wo unparteiisch und ohne Ansehen der Person darüber geurteilt werden kann. Der beste Ort dazu sind Älteste einer anderen bibeltreuen Gemeinde, die keine persönlichen Beziehungen oder Kooperationen mit der Gemeinde des Beschuldigten haben. 190 Diese hören beide Seiten an, bilden sich ein Urteil nach biblischen Maßstäben und berichten auch in den Mitarbeiterversammlungen beider Gemeinden, der Gemeinde des Klägers und der Gemeinde des Beschuldigten. Diese entscheiden dann – nunmehr vollinformiert – selbständig über Schadensausgleich bzw. über den Ausschluss von Gemeindediensten. Wenn Du Details wissen willst, steht Dir kostenlos die Broschüre „Liebe ohne Fairness ?“ unter “Downloads” (Kurzversion und Vollversion) zur Verfügung. Bitte mache Deine Mitchristen auf die Notwendigkeit eines seriösen (!) Verfahrens aufmerksam! 13.5. Das Dilemma der wortwörtlichen Auslegung Wenn der Apostel Paulus in der Bibel klar und deutlich ermahnt, Streitfälle fair zu schlichten und der Gläubige darauf reagiert, indem er den Kopf in den Sand steckt und behauptet, gerade diese Ermahnung wäre unerforschlich und man dürfe darüber nicht nachdenken, so ist das ein intellektuell unredliches, inakzeptables und peinliches Verhalten! Von der Schädigung des Bruders und der Gleichgültigkeit gegenüber seinem Leid ganz zu schweigen! Der Fehler liegt aber nicht in der Ermahnung des Paulus, sondern vielmehr in der Starrheit der Interpretation, die andere Bibelverse unzureichend berücksichtigt.Die bibelgemäße Lösung 333 ist klar, konsistent und überzeugend. 333 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 28.Behauptung: „Ein Christ darf sich nicht wehren, darf auch nicht Ersatz des Schadens fordern“, Seite 156. 191 13. Zu Gott gehören 1. “Ein geheiligtes Leben führen” heißt die Freundschaft mit Gott im Lebensstil zu zeigen a) Negative Definition der Heiligung b) Positive Definition 2. Heiligung ist keine nur private Angelegenheit ! 334 3. Die Echtheit der Heiligung ist an der Qualität (!) der Früchte zu erkennen ! 335 4. Der Weg aus der Werkgerechtigkeit 336 5. Zerrbilder der Heiligung 337 14.1. “Ein geheiligtes Leben führen” heißt, die Freundschaft mit Gott im Lebensstil zu zeigen Wer die Gnade Gottes und Seine beglückende Freundschaft erlebt hat, möchte nun auch seinerseits seine Freundschaft mit Gott mit seinem Lebensstil zeigen. Diese Einstellung heißt “Heiligung”. Gott möchte, dass Seine Gläubigen Ihn mit ihrem Lebensstil ehren (Eph 4,1). Er möchte, dass ihr Charakter der Person Jesu ähnlicher wird (Rö 8,29, 2.Kor 3,18), sodass andere Menschen ermutigt werden, Gott ebenfalls ihr Vertrauen zu schenken. Durch Heiligung wirkt der Heilige Geist im Innersten der Seele, sodass auf diese Weise beim Gläubigen selbst Glaubensgewissheit und Gotteserkenntnis verstärkt werden: “Gott schenke euch aus seinem unerschöpflichen Reichtum Kraft, damit ihr durch seinen Geist innerlich stark werdet, und Christus durch den Glauben in euren Herzen wohnt und ihr in der Liebe eingewurzelt und fest gegründet seid. Denn nur so könnt ihr mit allen anderen Christen das ganze Ausmaß seiner Liebe erkennen, die wir doch mit unserem Verstand niemals fassen können, die aber uns selbst und unser Leben völlig ausfüllen kann. ” (Eph 3,16-19). 334 335 336 337 Siehe Seite 198. Siehe Seite 199. Siehe Seite 201. Siehe Seite 203. 192 Obwohl der Apostel Paulus die Formung der christlichen Persönlichkeit sehr positiv beschreibt, ist der Begriff “Heiligung” leider bei vielen Gläubigen eher mit negativen Emotionen verbunden. a) Negative Definition der Heiligung: Nicht wenige verbinden mit dem Begriff “Heiligung” eher negativ empfundene Verhaltensweisen: überzogene Bravheit, Unselbständigkeit im Denken, moralinsaure Überheblichkeit und servilen, selbstquälerischen Perfektionismus. Auch wenn man immer wieder einmal unter Gläubigen auf solche “Vorbilder” trifft – hat Jesus wirklich das mit “Heiligung” gemeint ? Zerrbilder der Heiligung entstehen durch eine falsche oder unklare Beziehung des Gläubigen zum Gesetz. Echte Heiligung wird unabhängig vom Gesetz geschenkt, denn der gläubige Christ ist “tot für das Gesetz“. (Gal 2,19) Wäre er noch dem Gesetz unterworfen, so müsste er es komplett einhalten, um Gottes Wohlgefallen zu erhalten. “ Die sich von der Beachtung des Gesetzes Gottes Segen versprechen, sind verflucht. Denn so steht es im Gesetz: Verflucht ist jeder, der nicht alles ausnahmslos einhält, was im Gesetz gefordert wird.” (Gal 3,10). Deswegen kann echte Heiligung nicht darin bestehen, möglichst viele Gebote einzuhalten, d.h. moralische Leistung quantitativ nachzuweisen, um sich des göttlichen Segens zu versichern. Paulus weist deutlich darauf hin: auch der Gläubige, der ganz viele Gebote einhält, ist kein bisschen besser dran als der, der nur wenige einhält. Die Tatsache, dass ein einziges Gebot nicht eingehalten werden kann, genügt, um verflucht zu sein. (Gal 3,10) Wer kann alle Gebote einhalten ? Nur Jesus konnte das. (Jo 8,46) Selbst Paulus, der sich aufopferte wie selten jemand, sagte, dass er sich lieber nicht auf seine Gerechtigkeit verlassen wolle. (Phil 3,9) 193 Wieviel Gläubige sonst schaffen es denn, vollkommen selbstlos zu leben 338, täglich ihr Leben zu riskieren und alles zu einzusetzen, was sie haben, um Menschen zu retten ? Auch wenn es vereinzelt solche Gläubige gibt – wenn sie es tun, ist es ganz und gar freiwillig. Sie sind nicht gezwungen, es zu tun. 339 Der Segen Gottes, seine Liebe, die Erlösung wird ganz und gar aus Gnaden geschenkt und ist nicht von der moralischen Leistung des Gläubigen abhängig.”Ganz aus Gnaden seid ihr gerettet worden – nicht etwa aufgrund treuer Gesetzeserfüllung, deren sich irgendjemand rühmen könnte.” (Eph 2,9-10) Echte Heiligung ist ein durch Freundschaft und Liebe motiviertes Verhalten und hat nichts mit quantitativer Leistung zu tun. Die innere Befreiung und Heilung ist dabei die Grundlage des äußerlichen Tuns. Der Apostel bezeichnet Heiligung als ein Geschehen in der Seele des Gläubigen (“innerlich stark werden“). Das ist das Entscheidende. Bei der unechten, vermeintlichen Heiligung, der Gesetzesknechtschaft ist es umgekehrt. In der Seele wird die größte Fäulnis und Unfreiheit geduldet, denn es kommt nur auf die äußerliche moralische Fassade an. (Mt 23,27-28) D.h. es genügt dann, eifrig die Bibel zu lesen, zum Gottesdienst zu gehen, nicht die Ehe zu brechen, nicht zu stehlen, nicht zu betrügen, eifrig zu spenden, neben der beruflichen Arbeit in der Gemeinde Dienste zu übernehmen. Schwieriger wird es dann schon bei den Wortsünden: nicht schlecht über andere reden, nicht beleidigen, verhöhnen und verspotten, nicht täuschen oder lügen. Etliche Gesetzesknechte bewerten diese Verhaltensweisen eher als Bagatelle, die ihnen sogar entschuldbar scheinen, wenn sie dazu dienen, die eigene Rechtgläubigkeit anderen aufzuzwingen. Von den Gedankensünden ganz zu schweigen. 338 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Hundertprozentige Buchstabentreue ist eine Illusion“. („www.matth2323.de/stichworte/#hbi“). 339 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 7. Behauptung: “Wer nicht fast alles opfert, ... lebt in Sünde und unter dem Fluch Gottes.”, Seite 93. 194 Doch selbst, wenn man sich bei den Wort- und Gedankensünden zurückhalten würde: Falsche Heiligung, die nur mit der eigenen Willenskraft (vgl Joh 1,13) zustande gebracht wird und nicht aus Liebe und Freundschaft entstanden ist, bleibt ein Fremdkörper in der Seele. Sie ist Heuchelei, weil sie sich als Freiheit ausgibt (“Propaganda“ 340), und dabei doch mit ständiger Überforderung, Einschüchterung und Bedrohung verbunden ist. Wer unter Heiligung hauptsächlich äußerliche Verhaltensweisen versteht und das innerliche Geschehen als zweitrangig betrachtet, der verfällt sehr leicht in den Wahn, dass er Gott mit seiner äußerlichen Leistung zufriedengestellt habe. Dann sieht er auf andere, die seiner Meinung nach weniger “leisten”, von oben herab: “Der Pharisäer betete : Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner da.” (Luk 18,11) Durch moralischen Hochmut wird Gott nicht würdig repräsentiert. Ein fataler Irrtum und Mangel an Selbsterkenntnis ! Der Pharisäer gab sich selbst die Ehre, dagegen ist echte Heiligung ein Werk des Heiligen Geistes, das allein Gott ehren soll. “Kann man da noch selbst auf etwas stolz sein? Das ist ausgeschlossen.” (Rö 3,27 / Eph 2,9) Moralischer Hochmut und die Lust, Mitmenschen mit dem moralischen Knüppel auf den Kopf zu hauen, ist eine leider weit verbreitete und sehr traurige und schäbige Sache. Wie blind muss man sein, um dieses Verhalten mit der Heiligung, dem Werk des Heiligen Geistes, zu verwechseln! Wie blind muss man sein, um zu glauben, dass man mit diesem trostlosen Verhalten Gott würdig repräsentiert ! 340 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#propaganda“. 195 b) Positive Definition der Heiligung: Heiligung ist eine frohmachende Lebensweise, die den Gläubigen selbst, seine Mitchristen und Gott erfreut. Paradoxerweise ist die Voraussetzung dieser Freude ehrliche Selbstprüfung 341 und Selbsterkenntnis 342. Wenn der fromme Moralist sich eines Tages zu dieser Haltung entschließt, dann steht auch ihm der Weg zu dieser Freude offen. “Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meiner menschliche Natur, nichts Gutes wohnt. Es fehlt mir nicht am Wollen, aber das wirklich Gute bringe ich nicht zustande.” (Rö 7,18) Realistische Einsicht in die Verdorbenheit der alten menschlichen Natur ist das erste Werk des Heiligen Geistes, der die Menschen von ihrer Sündhaftigkeit überzeugt (Jo 16,8), die “nicht durch die Willenskraft eines Menschen” (Jo 1,13) überwunden werden kann. Mit Selbsthaß oder Selbstverachtung hat diese Einsicht nichts zu tun. Denn Gott bietet dem Menschen, der seine Sünde bereut, eine neue Natur als Geschenk an, die sein eigentliches Wesen wird. Im Himmel angekommen, wird er nur noch diese Natur haben. Vor dem physischen Tod hängt ihm zugleich noch die alte Natur wie ein Klotz am Bein. Weil er das erkennt, bleibt er vor moralischem Hochmut bewahrt. Selbsterkenntnis 343 wird er immer positiv als Chance sehen. Sie macht ihn nicht mehr depressiv, weil die alte Natur ja nur etwas Vorläufiges ist. Um den Einfluss der alten bösen Natur zurückzudrängen, bleibt der Gläubige bis zu seinem Lebensende auf die Hilfe des Heiligen Geistes angewiesen: “Wenn ihr aber durch den Geist die Interessen des alten Menschen tötet, werdet ihr leben.” (Rö 8,15) Der Heilige Geist hat im Gläubigen neuartige Interessen geschaffen. Die Qualität des Glaubens und seiner freundschaftlichen Beziehung zu Gott ist ihm nun wichtig. 341 Siehe das Kapitel „Prüfe dich selbst“, Seite 210. 342 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#selbsterkenntnis“. 343 Ebd. 196 Weil es um Qualität geht, kann alles, was er für diese Beziehung tut, nur freiwillig sein. Die Maßstäbe Jesu Barmherzigkeit, 344 Liebe zum Recht, 345 Verlässlichkeit 346 ermöglichen es ihm, das eigene Tun “von außen” mit den Augen Jesu zu sehen. So kann er die Qualität seiner Entscheidungen verbessern und seinem Tun “Ewigkeitswert” verleihen. Alles, was ein Mensch mit dem Motiv der Liebe getan hat, wird von Jesus Christus gewürdigt und belohnt. (Mt 24,4547 / Lk 12,37 / 19,17-19) Nichts davon wird vergessen. (Mt 11,42) Auf diesem Weg kommt Qualität in das Glaubensleben, Liebe, Vertrauen, Gewissheit, Freude an Gottes heilsamen Ordnungen, Vorfreude auf die Ewigkeit. Der Glaube wird kostbar! 347 Der Gläubige wünscht sich von Herzen, Gott zu ehren, ihn zu lieben und zu loben, über ihn und sein Wort nachzudenken, ihm für alle Hilfe, Bewahrung und Führung dankbar zu sein. Auf diese Weise bildet sich Charakter 348, eine Beständigkeit der Seele, die nicht mehr von Verführungen oder Provokationen hin- und hergeworfen oder gar aus der Bahn geworfen wird. “es ist eine gute Sache, wenn das Herz zuverlässig wird durch die Gnade Gottes.” (Hebr 13,9). Durch solche Gläubigen wird Gott am würdigsten repräsentiert. 344 Siehe den Artikel „Barmherzigkeit, echte“, (…./stichworte/#barmherzigkeit“). 345 Siehe unter „Häufige Fragen“ den Abschnitt „Warum wird “Gerechtigkeit” (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt? “, Seite 221. 346 Siehe unter „Häufige Fragen“ den Abschnitt „ Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? , Seite 223. 347 Siehe den Artikel „Wert des Glaubens“, („www.matth2323.de/stichworte/#wert“). 348 Siehe das Kapitel „Charakter“, Seite 205. 197 14.2. Heiligung ist keine nur private Angelegenheit ! Nicht nur der Gläubige selbst soll “geheiligt” werden, sondern auch die Gemeinde, die „Gemeinschaft der Heiligen“: “So wie Christus die Gemeinde geliebt und sein Leben für sie gegeben hat, um sie zu heiligen und zu reinigen im Wasserbad des Wortes. Wie eine Braut soll seine Gemeinde sein: wunderschön und frei von jeglichem häßlichen Merkmal, weil sie zu Jesus Christus gehört.” (Eph 5,25-27). Da die Gemeinde Jesus Christus repräsentiert, muss sie sich reinhalten vom Bösen, und „das Böse in ihr aufdecken“ und überwinden (Eph 5, 11). “Heiligung” ist also nie eine rein private Angelegenheit, sondern beinhaltet zugleich immer die Sorge für die Gemeinschaft, für die jeder Gläubige mitverantwortlich ist. Leider ist die Gleichgültigkeit gegenüber offenbarem Unrecht in der Gemeinde weitverbreitet. Wenn Gläubige Konflikte unbearbeitet lassen und Böses in der Gemeinde dulden, dann missachten sie wichtige Gebote Gottes und leben keinesfalls in der Heiligung, wie sie vielleicht meinen. Die Weigerung, sich für den geistlichen Zustand seiner Gemeinde mitverantwortlich zu sehen, wird gerne als “geistliche Einstellung” getarnt: als “Friedfertigkeit”. Umgekehrt wird der Versuch, Unrecht nach Mt 18,17 “vor die Gemeinde zu bringen“, als “fleischliche Unversöhnlichkeit”, als “Schalksknecht-Gesinnung” 349 diffamiert. Dass der Geschädigte weiter unter dem Unrecht leidet und sich von der Gemeinschaft im Stich gelassen fühlt, interessiert nicht. Kain, der Sohn Adams war gottgläubig und religiös. Und doch leuchtete ihm diese Tatsache nicht ein: “Soll ich meines Bruders Hüter sein” (1.Mose 4,9). Dank mangelhafter “Erziehung 350 in der Gerechtigkeit” (2.Tim 3,16) zeigen die Gewissen vieler Gläubiger bei diesem falschen Verhalten gar nichts an. 349 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 28.Behauptung: „Ein Christ darf sich nicht wehren, darf auch nicht Ersatz des Schadens fordern“, Seite 156. 350 Siehe Seite 167 ff. 198 14.3. Die Echtheit der Heiligung ist an der Qualität (!) der Früchte zu erkennen ! Da Heiligung eine Wirkung des Heiligen Geistes ist, hat sie auch entsprechende Qualität. Der Gläubige, der durch Gottes Geist motiviert wird, handelt völlig freiwillig, weil er vom Wert seines Tuns restlos überzeugt ist. Sowie Jesus völlig freiwillig handelte – selbst beim Opfern seines Leibes (Jo 10,18). Nur positive Motive können auch andere überzeugen, schlechte nicht. Das Gewissen 351 ist uns als “treuer Wachhund” gegeben, der uns ohne großen gedanklichen Aufwand warnen soll, wenn wir uns gegen Gott und gegen Mitmenschen versündigen. Das Gewissen muss aber an der Heiligen Schrift “geeicht” werden, denn es wird durch die Erziehung geformt, womit menschliche Fehleinschätzungen Einfluss nehmen können. Manche Gewissen zeigen unangemessen eng, andere wieder viel zu oberflächlich an. Letzteres ist häufig dann gegeben, wenn Gemeindelehrer ihrer Gemeinde eine Botschaft vermitteln, die fleischlichen Bedürfnissen entgegenkommt. (2.Tim 4,3) 351 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 22. Behauptung: “Das Gewissen ist die unfehlbare Stimme Gottes”, Seite 139. 199 Umgekehrt gibt es auch Prediger, die die biblischen Forderungen stark übertreiben (Mt 23, 4) um das Gewissen aufs Äußerste zu beschweren und mit einer möglichst großen Zahl an Neubekehrten auftrumpfen zu können. Diese Prediger binden Menschen an die eigene Person, sodass sie nur ihm selbst, der ihnen das schlechte Gewissen auflud, zutrauen, sie ” in Vollmacht” wieder davon zu befreien. Wenn das schlechte Gewissen die zentrale Rolle im Glaubensleben spielt, so ist das Bibelverständnis gründlich krank und zeugt von einem Mangel an Gotteserkenntnis. Gutes tun – um die Pein des schlechten Gewissens zu vermeiden – ist ein übles Motiv, das mit dem Geist der Liebe unvereinbar ist. Nicht der andere und seine Freude ist im Blick, sondern man ist hauptsächlich um das eigene seelische Wohl besorgt. Auch wenn man dieses Motiv nach außen hin verbirgt, so bleibt doch das Tun deshalb wertlos. Werkgerechtigkeit 352 ist nur eine scheinbare Heiligung. Sie ist nicht die Frucht tatsächlicher innerer Erneuerung, sondern kommt nur durch eigene Willenskraft zustande. Sie lässt keine Glaubensfreude entstehen, sondern entmutigt und schädigt den Gläubigen. Sie ist auf keinen Fall eine notwendige Vorstufe zu wirklicher Heiligung. Von diesem Wahn können sich leider etliche betroffene Christen nur sehr schwer verabschieden! Diese Theologie ist lebensgefährlich 353 und kann den ganzen Glauben zerstören. Paulus warnte: “Ihr habt Christus verloren, die ihr euch durch die Erfüllung göttlicher Normen retten wollt.” (Gal 5,4) Er spricht von einem Entweder – Oder. Entweder „Sohn der Sklavin“ oder „Sohn der Verheißung“. (Gal 4,22 ff) Es gibt keine Vermischung und keinen allmählichen Übergang. Werkgerechtigkeit ehrt Gott nicht, da sie ihn als jemanden hinstellt, der Menschen mit seelischer Erpressung Leistungen aufzwingt, die sie ohne diese Drohungen niemals geben würden. 352 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit”. 353 Siehe das Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. 200 14.4. Der Weg aus der Werkgerechtigkeit: 1. Entschärfe das überstrenge Gewissen, indem du seine Funktionsweise erkennst: es ist nicht die Stimme Gottes, sondern ein notwendiger Mechanismus der Seele (siehe: Details 354). 2. Unterscheide zwischen frommen Menschengeboten (Giftige Theologie 355) und dem, was Gott wirklich will, indem du die Wirkung des Gebotes auf den Charakter 356 beurteilst. 3. Denke viel über die Gebote nach, die Jesus Christus für die wichtigsten hielt: “Barmherzigkeit, 357 Gerechtigkeit, 358 Verlässlichkeit 359” (Mt 23,23) und interpretiere jedes Gebot so, dass diese Maßstäbe respektiert werden. 4. Halte fest, dass Jünger Jesu freie Menschen 360 sind und dass du dich nicht bestechen oder erpressen lassen darfst. Werkgerechtigkeit 361 zerstört den Glauben gründlich ! Tue dann lieber nichts, sondern bete um die richtige Einstellung. 5. Glaube daran, dass Jesus grundsätzlich große Geduld mit dir hat, auch wenn du nicht perfekt bist. Geduld mit dem, der schwach ist, ist ein Kennzeichen echter Liebe. (1.Kor 13, 4-7) Wenn es heißt, dass Jünger Jesu “vollkommen sein sollen” (Mt 5,48), so ist dies ein großer Wunsch Jesu, aber nicht ein Gesetz, das die Nichterfüllung unter Strafe stellt. 354 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 22. Behauptung: “Das Gewissen ist die 355 356 357 358 359 360 361 unfehlbare Stimme Gottes”, Seite 139. Siehe das Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. Siehe das Kapitel „Charakter“, Seite 205. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#barmherzigkeit“. Siehe unter „Häufige Fragen“ den 9. Abschnitt „Gerechtigkeit”, Seite 221. Siehe unter „Häufige Fragen“ den 10. Abschnitt „ Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? , Seite 223. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit des Christen“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“.. 201 Man kann nicht befehlen, vollkommen zu sein, man kann es nur wünschen, weil das wesentliche Element der Vollkommenheit die Freiwilligkeit ist. Der Vollkommene tut das Gute um seiner selbst willen, weil er davon restlos überzeugt ist und nicht weil er Belohnung erhofft oder Strafe fürchtet. Halte also fest, dass du unvollkommen sein darfst. 362 Nicht nur für den Gläubigen des alten Testaments, sondern auch für den Christen heute können äußerliche Regeln, die er dem Neuen oder Alten Testament entnimmt, eine Glaubenshilfe sein und ihm ermöglichen, sich an die Notwendigkeiten der unsichtbaren Wirklichkeit zu erinnern. Es gibt Gemeinden, die mehr äußerliche Regeln beachten als andere, wobei dieser äußerliche Unterschied nicht zu Qualitätsunterschieden in der Liebe und Treue führen muss. Für manche Gläubigen sind viele äußerliche Regeln eher störend, für andere eher hilfreich. Genauso wie es einst bei den mosaischen Schriftgelehrten geschah, können auch in der christlichen Gemeinde äußerliche Regeln und Traditionen mehr Bedeutung als die Qualitätsmaßstäbe Christi 363 “Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Verlässlichkeit” (Mt 23,23) erlangen. Infolge der Missachtung der biblischen Priorität wird die Persönlichkeit Gottes nur noch verzerrt wahrgenommen. 362 Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Unvollkommenheit – gefährdet sie das Heil ?“, („www.matth2323.de/stichworte/#unvollkommenheit“). 363 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitätsmassstäbe Jesu“. 202 14.5. Die Zerrbilder der Heiligung Parallel entstehen die typischen Zerrbilder der Heiligung: a) Man befolgt den Wortlaut der Gebote in sklavischer Weise wenn man damit einem anderen Menschen Schaden zufügt, 364 , auch b) Man glaubt, Gott durch sklavischen Gehorsam gegenüber dem Wortlaut der Bibel in Dienst nehmen, verpflichten, manipulieren zu können (Werkgerechtigkeit 365), c) Das ständig schlechte Gewissen 366 ist der Motor des Handelns, der Gläubige fühlt sich erniedrigt und terrorisiert, d) Die biblischen Begriffe der Freiheit 367 und Mündigkeit des Gläubigen sind nur noch inhaltsleere Propaganda 368, e) Die Leitung erwartet von Gläubigen kritiklosen Gehorsam wo sie selbst sich nicht an biblisches Recht hält, 369 auch dort, f) Weisheit und Urteilen 370 nach bestem Wissen und Gewissen werden als sündige Anmaßung, als gottlose Autonomie diffamiert, g) Gebote werden missbraucht, um über den Glauben anderer zu herrschen, statt zur Freude zu helfen (2.Kor 1,24), 364 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 19. Behauptung: “Das Textverständnis, das sich am engsten an den Wortlaut hält, ist das beste.”, Seite 130. 365 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. 366 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 22. Behauptung: “Das Gewissen ist die 367 368 369 370 unfehlbare Stimme Gottes”, Seite 139. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#propaganda“. Siehe unter „Giftige Theologie“ die 24.Behauptung: “Ein Gläubiger, der den Anweisungen des Gemeindeleiters nicht gehorcht, lebt in Rebellion gegen Gott.”, Seite 146. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#urteilsvermögen“. 203 h) man ist hochmütig (Lk 18,9 ff) und lieblos gegenüber allen Gläubigen, die sich an die eigene Glaubenstradition nicht anpassen, sogar dann, wenn sie es aus Gewissensgründen gar nicht können, i) Gläubige verletzen und verdächtigen 371 einander unnötig (Gal 5,15), Feindschaften, Rivalitäten, Spaltungen und Parteiungen entstehen (Gal 5,20), der Umgangston und das Klima in der Gemeinde ist durch Unfreundlichkeit geprägt. Die Zerrbilder der Heiligung führen bei Nichtgläubigen zum Fehlschluss, dass der ganze Glaube unglaubwürdig ist. Sie sind für ihn ein objektives Glaubenshindernis, ein Fallstrick. “Denn »euretwegen wird Gottes Name gelästert von den Heiden«, wie geschrieben steht” (Jesaja 52,5). Gotteserkenntnis ist nicht durch philosophische “Gottesbeweise” 372 herzustellen. Der einzige Weg dorthin ist echte Heiligung. Heiligung ist der “sechste Sinn”, mit dem jeder, der will, die unsichtbare Wirklichkeit wahrnehmen kann. Deswegen sind Glaubensvorbilder so wichtig. Die Bibel warnt uns: Wenn Gott Menschen gläubig werden lässt und sie herausruft aus der Masse in seine Gemeinde, so besteht das Privileg in der Chance, das Geschenk echter Heiligung zu erhalten. Ein Privileg, weniger streng von Gott beurteilt zu werden, wird damit nicht erworben. Weil eben diese Chance so groß ist, hat ihre Ablehnung strengere Bestrafung (!) zur Folge. “Ihr seid das einzige Volk, dass ich mir zum Eigentum erwählt habe. Und deshalb werde ich euch für all eure Untreue zur Rechenschaft ziehen” (Amos 3,2). “Weigert euch nicht, auf den zu hören, der jetzt zu euch redet. Die Israeliten wollten damals nicht hören und sind ihrer Strafe nicht entgangen. Uns wird die Strafe noch viel härter treffen, wenn wir den zurückweisen, der jetzt vom Himmel her zu uns spricht.” (Hebr 12,25). 371 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#selbsterkenntnis“. 372 Siehe „www.matth2323.de/stichworte/#gottesbeweis“. 204 Manche Gemeindelehrer lehren das leider überhaupt nicht, bestreiten es u.U. sogar. Dabei ist es sehr wichtig, dass der Gläubige, der echte Heiligung überhaupt ablehnt oder das Zerrbild der Heiligung bevorzugt, über die mit seinem Verhalten verbundene Gefahr klar und deutlich informiert wird. “Ohne Heiligung wird niemand den Herrn sehen.” 373 (Hebr 12,14) 15. Kleine Charakter-Skizze des im Glauben gereiften Christen Der im Glauben gereifte Christ erkennt, dass 2.Tim 3,16 wesentliche Bedeutung für das Schriftverständnis hat und dass dieser zentrale Vers die Notwendigkeit einer “Erziehung in der Gerechtigkeit” (προξ παιδείαν τήν εν δικαιοσύνη) besonders hervorhebt und dass Gerechtigkeitsliebe zu den wichtigsten Maßstäben (βαρυτερα του νομον) des Neuen Testamentes gehört (Mt 23,23). Entsprechend ist er daran interessiert zu verstehen, was das Neue Testament mit “Erziehung in der Gerechtigkeit” 374 meint. Dabei wird er sich nach bestem Wissen und Gewissen der Frage stellen, was denn als unbefriedigende oder gar missglückte Erziehung bzw. Charakterbildung 375anzusehen ist. “Wer sich nach dem Willen dessen richtet, der mich gesandt hat, der wird feststellen, ob meine Lehre von Gott kommt…” (Jo 7,17). Keine Glaubensgewissheit ohne Respekt vor dem heilsamen Willen Gottes ! Deswegen wird ein Christ, der statt Illusionen Gewissheit haben und im Glauben “auf eigenen Füßen stehen” möchte, sich für die biblische Sicht echter Heiligung 376 interessieren, die der Freiheit 377 und Würde des Gläubigen 378 entspricht. 373 Siehe weiter unter „Stichworte“ den Artikel „Heilsgewissheit ohne Heiligung ?“, 374 375 376 377 378 („http://www.matth2323.de/stichworte/#ohne“). Siehe im Kapitel „Häufige Fragen“ die 9.Frage „Warum wird “Gerechtigkeit” (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt?“, Seite 221. Siehe das Kapitel „Die negative Verformung der Persönlichkeit durch giftige Theologie“, Seite 167. Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit des Christen“. Siehe unter „Stichworte“ den Artikel „Authorisierung und Berufung des Gläubigen“, („www.matth2323.de/stichworte/#authorisierung“). 205 Der gereifte Gläubige weiß, dass man nicht andere Menschen zur Umkehr auffordern sollte, wenn man selbst klare Anweisungen, die allen Jüngern Jesu gegeben sind, ignoriert. (Rö 2) Eine Gemeinde, die evangelisieren will, muss sich um die praktische Anwendung der Qualitätsmaßstäbe Jesu Barmherzigkeit, 379 Gerechtigkeit, 380 Verlässlichkeit 381 (Mt 23,23) bemühen. Der im Glauben gereifte Gläubige wünscht sehnlich, dass sein Leben durch diese Maßstäbe bestimmt wird und “erfüllt ist mit den Früchten der Gerechtigkeit“. (Phil 1,11) Deswegen ist er gewöhnt, zuerst sich selbst zu prüfen 382 , ob er barmherzig, fair und ehrlich mit seinen Mitmenschen umgeht. Niemand soll durch ihn verletzt oder geschädigt werden. So wie Jesus als gutem Hirten die Sorge für ein einziges verlorengegangenes Schaf am Herzen lag (Mt 18,12), so ist es auch für den gereiften Gläubigen ein wichtiges Anliegen, sich für verletzte und vergessene Menschen in seiner Nähe verantwortlich zu fühlen. Wie ein guter Hirte hat er für Menschen, denen es schlimm ergangen ist, tiefes Mitgefühl. Er wird es unerträglich finden, wenn solchen Menschen in der Gemeinde durch gedankenlose, hochmütige oder rücksichtlose Menschen noch mehr Schaden zugefügt wird. Ihm wird deshalb ihr Schutz nicht gleichgültig sein. Das Vorbild Jesu zeigt, dass ein starker, gesunder Glaube sich nicht abhängig macht von dem, was andere Gläubige glauben. (Jo 6,67) Lebendige Fische schwimmen GEGEN den Strom … tote oder halbtote Fische treiben mit ihm … Jeder muss seine Überzeugung selber bilden nach bestem Wissen und Gewissen (Rö 14,5) – allein auf der Grundlage der Heiligen Schrift. Dass viele Leute dasselbe glauben, ist überhaupt keine Garantie für die Richtigkeit dessen, was geglaubt wird. 379 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#barmherzigkeit“. 380 Siehe unter „Häufige Fragen“ den Abschnitt „Warum wird “Gerechtigkeit” (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt? “, Seite 221. 381 Siehe unter „Häufige Fragen“ den Abschnitt „ Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? “, Seite 223. 382 Siehe das Kapitel „Prüfe dich selbst“, Seite 210. 206 Keine Gemeinde ist gegen sektiererische Tendenzen (Mt 24,24 / Apg 20,29) 383 automatisch immun. Seien wir uns der Tatsache bewusst, dass theologische Rechthaberei und Bevormundung bestenfalls vor prüfendem Nachdenken schützt, aber keine echte Glaubensgewissheit erzeugt. Deshalb wird sich der gereifte Gläubige auch Versuchen selbstherrlicher Lehrer widersetzen, Christen auf die eigene Person zu fixieren und ihre Glaubensgewissheit von der eigenen abhängig zu machen. (2.Kor 4,5) Wenn der Gläubige über seinen Glauben nur mit geliehenen Worten sprechen kann, ist dies ein starkes Indiz dafür, dass er noch sehr unselbständig im Glauben ist und Anschauungen seiner Lehrer ungeprüft übernimmt. Wenn echte Glaubensgewissheit fehlt, dann wird sie durch Leichtgläubigkeit ersetzt, die den notwendigen Seelenfrieden liefert. In der Regel werden einfach die religiösen Vorstellungen der Eltern oder der Gemeinde, in der man sich bekehrt hat, ungeprüft übernommen, weil sie mit einer eindrücklichen Nestwärmeerfahrung verbunden sind. Der gereifte Gläubige weiß, dass jeder Christ das gleiche Recht hat, eine glaubwürdige und tragfähige Antwort auf die Fragen zu suchen, die sich aus persönlich erlebten Nöten notwendigerweise ergeben. Er weiß, dass jeder das gleiche Recht hat, eine Antwort abzulehnen, die unglaubwürdig ist, weil sie der Heiligen Schrift oder offenkundigen, beobachtbaren Tatsachen widerspricht. Er weiß, dass niemand das Recht hat, solche Fragen zu verbieten, bloss weil die damit verbundenen Nöte im eigenen Lebenslauf nicht vorgekommen sind. Er hütet sich auch vor der Sünde, über den Glauben anderer Christen “herrschen” (2.Kor 1,24) zu wollen, sie erbarmungslos in das Schema der eigenen Biographie zu pressen und sie mundtot zu machen. Die unabdingbare Voraussetzung der Wahrhaftigkeit ist die Möglichkeit, über divergierende Ansichten in einer fairen und liebevollen Weise zu sprechen so wie es Jesus und die Apostel getan haben. 383 Siehe das Kapitel „Was ist Irrlehre“ („www.matth2323.de/irrlehre/“). 207 Die unabdingbare Basis dieser Gespräche ist das Festhalten an den in der Heiligen Schrift deutlich genannten Heilstatsachen. 384 Wenn ein geistlich gereifter Christ feststellt, dass der andersdenkende Gesprächspartner bessere Argumente hat, wird er diesem das Recht, so zu denken, zugestehen und sich niemals unfairer und übler Methoden bedienen, die “unter die Gürtellinie zielen” – wie z.B. Verachtung, Verleumdung oder üble Nachrede. Ein geistlich gereifter Christ wird sich immer um eine Kultur der Fairness 385 in seiner Gemeinde bemühen, um ein freundliches Klima, in dem ein offener Austausch möglich ist und hier auch eine wichtige pädagogische Aufgabe an Gläubigen sehen, die die Notwendigkeit dieses Niveaus nicht erkennen. Es ist ein alarmierendes Zeichen, wenn Gläubige nur dann freundschaftlich mit Geschwistern umgehen können, solange die eigene religiöse Meinung bestätigt wird. Der gereifte Gläubige weigert sich, von dem Qualitätsstandard der Glaubwürdigkeit 386 und Verlässlichkeit (πιστις) Abstriche zu machen, auch wenn ihn Gläubige dazu mit bösen Blicken und Unfreundlichkeit zwingen wollen. Er hält es für feige und würdelos und erinnert sich daran, dass andere Christen um des Glaubens willen weitaus Schlimmeres ertragen müssen. Ebenso weigert er sich, von dem Qualitätsstandard der Gerechtigkeit und Fairness 387 Abstriche zu machen und bei Unrecht in der Gemeinde wegzusehen, bloss weil die Mehrheit der Mitglieder ihre oberflächlichen Harmoniebedürfnisse für wichtiger als die Not des Betroffenen hält und vor dem ausdrücklichen Gebot, sich für den Schutz des Schwachen einzusetzen (Jes 1,12 ff / Amos 5,23-24) und sich um die “Erziehung zur Gerechtigkeit” zu kümmern (2.Tim 3,16), wenig Respekt hat. 384 385 386 387 Siehe Nr. 8 und 9 unter „www.matth2323.de/irrlehre/“. Siehe im Kapitel „Widerstandskraft“, Seite 263. Siehe unter „Häufige Fragen“, Seite 223. Siehe unter „Häufige Fragen“, Seite 221. 208 Der gereifte Gläubige erkennt, dass es unbarmherzig ist, wenn Gläubige auf ihrem Schaden sitzen bleiben, bloß weil sie mangels einer glaubwürdigen Interpretation 388 die Anweisung des Apostels Paulus (1.Kor 6,1 ff) wörtlich verstehen und sich deshalb bei einer Schädigung nicht an das Gericht gewandt haben. Er erkennt, dass diese Situation eine der wichtigsten Qualitätsmaßstäbe Jesu, das Gebot der “Barmherzigkeit” (Mt 23,23) eklatant verletzt. Ebenfalls steht diese Situation in krassem Widerspruch zum Gebot “mitzuleiden” (1.Kor 12,26) und “mitzutragen” (Gal 6,2). Die Geschwister legen nicht etwa Geld zusammen, um den Schaden auszugleichen, sondern der Betroffene muss für alles selbst aufkommen. Der gereifte Gläubige erkennt, wie scheinheilig und verletzend unter diesen Umständen die üblichen Floskeln des Bedauerns sind. Deswegen wird er ein seriöses Schlichtungsverfahren 389 in seiner Gemeinde befürworten. Der gereifte Gläubige glaubt dem Apostel, wenn er sagt, dass die Gemeinde “eine wunderschöne Braut Christi” sein soll, “ohne ein hässliches Merkmal” (Eph 5,15) und er gehorcht deshalb der Aufforderung des Apostels, “das Böse in der Gemeinde aufzudecken“ (Eph.5,11 ff), damit sie Christus vor der Welt glaubwürdiger repräsentieren kann. Deshalb ist es für den gereiften Gläubigen nicht schwer zu erkennen, dass die Gemeinde nur von geistlich gereiften Persönlichkeiten geleitet werden kann, die sich den wichtigsten Qualitätsmaßstäben Jesu Barmherzigkeit, 390 Gerechtigkeit, 391 Verlässlichkeit 392 (Mt 23,23) verpflichtet sehen. Er kann erkennen, dass Gläubige, die selber unrecht tun, ungerecht oder unfair handeln und dieses Verhalten nicht korrigieren, nicht andere Gläubige in der “Heiligung” 393 anleiten und auch nicht das Heilige Abendmahl austeilen können – wenn man nicht will, dass “Gottes Ehre beleidigt” wird. (Rö 2,24) 388 Siehe unter „Giftige Theologie“ die 28. Behauptung: “Ein Christ darf sich nicht 389 390 391 392 393 wehren, darf auch nicht Ersatz des Schadens fordern.“, Seite 156. Siehe im Kapitel „Urteilsvermögen ?“, Seite 179. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#barmherzigkeit“. Siehe unter „Häufige Fragen“, Seite 221. Siehe Seite 223. Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. 209 Ist man hier gleichgültig, dann wird die Gemeindelehre entsprechend dieser Defizite verbogen. Manipulation und Desinformation 394 werden unentbehrlich, um die fromme Fassade zu wahren. Deshalb muss es möglich sein, jeden Gläubigen in der Gemeinde ohne Ausnahme auf Fehlverhalten hin anzusprechen, ihn zur Umkehr aufzufordern und bei Starrsinnigkeit geeignete Maßnahmen zu treffen, unabhängig davon, welche Funktion oder welchen Rang oder welche früheren Verdienste er hat. Für den geistlich reifen Gläubigen ist es nicht schwer zu sehen: niemand in der Gemeinde, auch der hauptamtliche Mitarbeiter nicht, steht über dem Recht, sondern alle Gemeindeglieder müssen bereit sein, sich nach dem Scheitern eines Vermittlungsgesprächs einer Untersuchung durch ein unparteiisches Schiedsgericht zu stellen, das im Auftrag der Gemeinde entscheidet – wenn sie denn die Gültigkeit des biblischen Maßstabs “Gerechtigkeit” respektieren und Wert auf eine Kultur der Fairness 395 legen. 16. Prüfe Dich selbst …, bevor Du andere prüfst! Erlaube anderen, Dich auf Fehlverhalten hinzuweisen! Bleibe selbst korrigierbar! Die Fähigkeit der Selbsterkenntnis 396 ist eine wertvolle Eigenschaft – unverzichtbar für tiefe Freundschaft und echte Brüderlichkeit. Barmherzigkeit, 397 Gerechtigkeit, 398 Verlässlichkeit 399 sind notwendig , damit Liebe und gegenseitige Achtung das Klima in der christlichen Gemeinde prägen. 394 Siehe unter „www.matth2323.de/miese-tricks“. 395 Siehe das Kapitel „Widerstandskraft“, Seite 263. 396 Ebd. 397 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#barmherzigkeit“. 398 Siehe unter „Häufige Fragen“ den Abschnitt „Warum wird “Gerechtigkeit” (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt? “, Seite 221. 399 Siehe unter „Häufige Fragen“ den Abschnitt „ Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? “, Seite 223. 210 Glaubst Du Jesus Christus, wenn Er sagt, dass dies die wichtigsten Maßstäbe (Mt 23,23) sind ? Ist es Dir wichtig, dass sie in Deinem Leben praktische Bedeutung erlangen ? 1. Barmherzigkeit - prüfst Du Dich, weil Du Dir wünscht, der Persönlichkeit Jesu Christi ähnlicher zu werden und „Deines Bruders Hüter“ zu sein ? - prüfst du Dich und andere, weil Du die schlimmen Folgen des frommen Selbstbetrugs kennst und Menschen davor bewahren willst ? - zeigst Du Geduld mit Geschwistern, die im Irrtum befangen sind und hilfst ihnen “mit sanftmütigem Geist” (Gal 6,1) zurecht ? (Siehe dazu die Hilfe zum richtigen Umgang… 400 ) - Achtest du den anderen trotz seines Irrtums höher als dich selbst ? (Phil 2,3) oder … - prüfst Du in erster Linie jemand anderen, weil du rechthaberisch, schadenfroh und streitsüchtig bist, weil Du deinerseits gerne Macht ausübst, weil Du über den anderen triumphieren willst, weil Du Antipathie gegen ihn empfindest ? 2. Liebe zum Recht, Gerechtigkeit, Fairness - wendest Du deine Maßstäbe auf Dich selbst an? - möchtest Du grundsätzlich fair mit deinen Mitmenschen umgehen, selbst wenn Du dadurch vielleicht Nachteile hast? - gibst Du dem, den du korrigierst, ausreichend Gelegenheit, entlastende Argumente vorzubringen ? - bist Du bereit, einen Menschen, den Du mutwillig geschädigt hast und der unter Deinem Verhalten leidet, wieder aufzuhelfen und ihm das Ver geben zu erleichtern? Oder … 400 Siehe Seite 262. 211 - verlangst Du von anderen mehr als von Dir selbst? - bist Du nur fair, solange es nichts kostet? - weist Du nur Menschen auf Fehlverhalten hin, die schwächer sind als Du selbst ? - redest Du negativ über jemanden und trägst weiter, was andere über ihn sagen, bevor Du mit ihm selbst gesprochen hast ? - hältst Du an einer einmal gefassten Meinung über jemanden fest, sodass man Dich nicht mehr auf Fehleinschätzungen hinweisen kann? - gibt es jemanden, dem Du das Vergeben erleichtern solltest ? 3. wahre Treue, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit - stehst Du selbst ehrlich Rede und Antwort für das, was Du vertrittst und glaubst? - bemühst Du Dich um klares, nachvollziehbares und widerspruchsfreies Denken? - kannst Du Dir vorstellen, dass in dem, was Dir ein unsympathischer Gesprächsgegner sagen will, eine Wahrheit enthalten könnte, die Du unbe dingt anhören und beachten solltest, - bist Du bereit, die Wahrheit auch dann anzuerkennen, wenn sie Dir von einem unbedeutenden, wenig attraktiven, ja unwürdigen Menschen gesagt wird? oder - lässt Du den anderen nicht ausreden, weil Du fürchtest, mit einer wahren Aussage konfrontiert zu werden, - beschönigst, verharmlost, übertreibst, manipulierst oder lügst Du im Gespräch, um deine Interessen zu wahren? - stört es Dich nicht, wenn Du Dir selbst widersprichst? - stört es Dich nicht, wenn Du freundlich mit jemand redest, aber lieblos gegen ihn handelst? – lässt Du wahre Aussagen nicht gelten, weil Du die Person, die sie mit teilte, nicht respektierst? 212 Das Entscheidende ist das Motiv 401 , das der Gläubige immer wieder mit Gebet überprüfen sollte. Das Recht des Gläubigen zu prüfen, wird gerne bestritten. Falsch ist z.B. die Behauptung: Wer andere prüft, muss nahezu perfekt sein 402 oder ein “besonderes moralisches Niveau” erreicht haben. (Wie sollte man das auch messen und beurteilen?) Jeder kann und musss im Rahmen seiner Möglichkeiten prüfen und tut es auch ganz selbstverständlich im täglichen Leben, um sich vor Schaden zu schützen. 401 Siehe Seite 171. 402 Siehe unter „Giftige Theologie die 26.Behauptung: „Der Gläubige darf Unrecht in der Gemeinde nur dann beim Namen nennen, wenn bei ihm selbst keine Fehler zu sehen sind.“ , Seite 154. 213 Und ausgerechnet dann, wenn es um Dinge von ewiger Bedeutung geht, soll Prüfung überflüssig oder anstößig sein? Das soll man glauben? Die Wahrheit hat eine innewohnende, natürliche Autorität. Was wahr ist, bleibt wahr, selbst wenn es von einem Kind, einem geistig Behinderten oder einem wenig attraktiven Menschen gesagt wird. Deswegen sagt die Bibel auch ganz lapidar ALLEN Gläubigen: (1.Thes 5,21) Prüfet alles ! 17. Chancen warten ... Liebe Schwester, lieber Bruder im Glauben, Eine Gemeinde kann nur dann geistlich gesund bleiben, wenn sie die Maßstäbe, die unserem Herrn und König Jesus Christus so wichtig waren, angemessen beachtet. Vielleicht ist Dir schon aufgefallen, wie groß hier die Defizite in manchen Gemeinden sind. Doch wo liegen jetzt die Chancen, die Du nutzen kannst ? Manche Gläubige denken, dass es besser ist, ihre Gemeinde zu verlassen 403 , wenn sie dort Machtmissbrauch und sektiererische Tendenzen 404 feststellen. Doch das ist nicht unbedingt die beste Reaktion. Viele wertvolle Beziehungen sind dort entstanden und auch etliche Freunde sind dort zu Hause. Wenn Du ihnen hilfst, die Verhältnisse angemessen zu beurteilen, so können sie sich vor Manipulationsversuchen 405 und fatalen Irrtümern schützen. 403 Siehe unter „www.matth2323.de/fragen/#flucht“. 404 Siehe unter „www.matth2323.de/irrlehre ?“. 405 Siehe unter „www.matth2323.de/miese-tricks“. 214 Mache die Qualitätsmaßstäbe Jesu 406 und die dadurch geprägten charakterlichen Eigenschaften 407 in Deiner Gemeinde immer wieder zum Thema. Spreche darüber – wenn sich dazu eine gute Gelegenheit ergibt. Je mehr Gläubige durch Deine Hilfe klarer sehen, desto schwieriger wird es die Maßstäbe Jesu als nebensächlich abzutun. Dadurch wird auch schädliche und giftige Theologie 408 entlarvt, und einzelne Menschen in der Gemeinde werden durch Dich möglicherweise vor schwerem Schaden bewahrt. Die christliche Gemeinde soll ein Ort sein, an dem es schön ist (Eph 5,15) und an dem die Liebe regiert. Ohne Fairness gibt es keine Liebe. Eine Kultur der Fairness 409 aber entsteht, indem sich Gleichgesinnte verbünden und dem Recht “ihre Stimme geben”. Du kannst mit Freunden eine kleine Aktionsgruppe gründen, die sich für die Förderung einer Kultur der Fairness in deiner Gemeinde einsetzt, indem sie “Augensalbe” 410 (Offb. 3,18) verteilt. Dabei wirst du feststellen, dass dieses Vorhaben Missionsarbeit ist und du immer wieder mit starkem Widerstand konfrontiert sein wirst. Sei niemals böse auf Menschen, die anderer Meinung sind oder dich nicht verstehen. Damit du deine Kräfte schonst und die Arbeit Freude macht, sprich möglichst nur mit Menschen, die dir gerne zuhören. Gott wird die richtigen Türen auftun. Besonders unter jungen Menschen gibt es viele, die ein natürliches starkes Interesse für Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit haben und noch nicht an ein Missbrauchssystem angepasst sind. Gott hat ihnen den Wunsch eingepflanzt, es in ihrer Generation besser zu machen. Ganz wichtig ist, dass Dich das Motiv der Liebe antreibt und nicht etwa das Motiv der Rechthaberei oder des Hochmuts. Mögen andere unfair kämpfen. 406 407 408 409 410 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitätsmaßstäbe“. Siehe das Kapitel „Charakter“ , Seite 205. Siehe das Kapitel „Giftige Theologie“ , Seite 35 ff. Siehe das Kapitel “Widerstandskraft“ , Seite 263. Siehe unter „www.matth2323.de/augensalbe/“ 215 Ein Anliegen gewinnt erheblich an Überzeugungskraft, wenn der, der es vertritt, in der Auseinandersetzung Charakter zeigt 411 und fair kämpft. 412 Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich selbst korrigieren zu lassen. 413 Wir wollen überzeugen und gewinnen, nicht taktieren oder austricksen. Überzeugen kann man nur, wenn die Freiheit des anderen geachtet wird. Bedenke immer eines: ein Feind, den man mit Liebe und seriösen Argumenten eines Tages überzeugt, kann zum wertvollen Partner werden - ein Saulus kann durch Gottes Gnade zum Paulus werden! Wenn du das 18.Lebensjahr erreicht hast, dann stehen dir noch ganz andere Möglichkeiten zu Verfügung. Dann kannst du Mitglied im Gemeindekonvent werden und hast dort Stimmrecht. Eure Aktionsgruppe kann dort weitere Mitglieder überzeugen, wirksame Maßnahmen gegen Machtmissbrauch zu beschließen. Wenn sich viele beteiligen, kann man sogar die Verfassung zum Guten verändern. Unserer Kapitel “Stichworte” 414 macht dazu eine ganze Reihe von Vorschlägen. “Was immer ihr tut, lasst es immer in der Liebe geschehen …” (1.Kor 16,14) 411 412 413 414 Siehe das Kapitel “Charakter“ , Seite 205. Siehe unter „www.matth2323.de/irrlehre ?“. Siehe das Kapitel “Prüfe Dich selbst“ , Seite 210. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/“. 216 Anhang 217 218 A 1. Häufige Fragen (Die Fragen 1-7 sind im Internet zu finden. 415) Frage 8: 416 Wie kann man NICHT erkennen, ob die Forderung der „Barmherzigkeit“ (ελεος), die Jesus als erste der wichtigsten Gebote in Mt 23,23 nennt, tatsächlich den höchsten Rang im Denken der Gemeindeleitung einnimmt ? Frage 9: 417 Warum wird “Gerechtigkeit” (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt? Ist “Liebe zum Recht” im Umgang mit dem Nächsten nicht eine typisch alttestamentliche Forderung, die für die Gemeinde heute nicht mehr relevant ist? Wird sie nicht im Neuen Testament durch die Aufforderung ersetzt, sich zu Jesus zu bekehren, der unsere “Gerechtigkeit” ist ? Frage 10: 418Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? Antworten (Die Antworten auf die Fragen 1-7 sind im Internet zu finden.) Frage 8. Wie kann man NICHT erkennen, ob die Forderung der Barmherzigkeit (ελεος), die Jesus als erste der wichtigsten Gebote in Mt 23,23 nennt, tatsächlich den höchsten Rang im Denken eines Gemeindemitarbeiters einnimmt ? Gläubige beteiligen sich an vielfältigen missionarischen und sozialen Programmen, die in der Gemeinde organisiert werden und einen unverzichtbaren gesellschaftlichen Beitrag darstellen. Vielen Menschen erfahren auf diesem Wege Segen und Hilfe. 415 416 417 418 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/“. Siehe unten. Siehe die Antwort, Seite 221. Siehe die Antwort, Seite 223. 219 Andererseits dienen die Aktivitäten der Gemeindeleitung und der -mitarbeiter dazu, sich selbst zu präsentieren und die eigene Position zu legitimieren, was dem eigenen Einkommen und Einfluss sowie der Arbeitsplatzsicherung zugute kommt. So segensreich die Aktivitäten sein können, so wenig aussagekräftig sind sie mitunter, was die tatsächlichen Motive betrifft. Deswegen kann es zu der paradoxen Situation kommen, dass ein Gemeindemitarbeiter, der sich vielfältig engagiert, dennoch mit einzelnen Menschen in der Gemeinde hartherzig und unbarmherzig umgeht. Das kann die Verweigerung von Hilfe sein, die leicht zu leisten wäre, oder das willkürliche Verbot, die Gemeindemitglieder über Gefahren zu informieren, oder auch die unfaire und bösartige Behandlung eines Hilfesuchenden in der Seelsorge. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter gehen Levit und Priester am Verletzten vorbei und die Auslegung hat immer wieder den Gedanken aufgegriffen, dass sich beide sehr wohl auf dem Weg zum Gottesdienst befunden haben können. Sie handeln nur innerhalb eines frommen Programms gottgemäß. Abseits dieses Programms reagieren sie aber unbarmherzig, sodass man die Frage nach ihren wirklichen Beweggründen 419 stellen muss. Es liegt im Interesse der Gemeinde, solche Vorfälle nicht als überflüssige Störung des Betriebs zu sehen und zu ignorieren, sondern sie als Chance zu sehen, das geistliche Urteilsvermögen zu üben. Die Gemeinde wird daran erinnert, dass “Liebe ohne Heuchelei sein” (Rö 12,9) soll und dass diese Liebe etwas Heiliges ist im Unterschied zur Freundlichkeit im eigenen Interesse. Geht eine Gemeindeleitung mit einem einzelnen Menschen unbarmherzig um, so sollte die Gemeinde diesem das Recht zugestehen, die Angelegenheit nach Mt 18,17 vorzubringen. Sie sollte ihm außerdem das Recht zugestehen, eine miserable Seelsorge zu protokollieren und der Gemeinde zur Beurteilung zu geben. Das Beichtgeheimnis 420 schützt nämlich nur den Ratsuchenden. Wenn nach der Ermahnung des Gemeindemitarbeiters wenig Einsicht zu sehen ist, sollten die Mitglieder nicht zögern, die Aufgabe einem geeigneteren Mitarbeiter zu übertragen. 419 Siehe Seite 171. 420 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#beichte“. 220 Sehr nachteilig ist es, wenn die Verfassung der Gemeinde eine Betrauung mit geringeren Aufgaben nicht zulässt, sondern die Gemeinde zu einer “Alles oder nichts” – Lösung zwingt. Da erfolgreiche Gemeindemitarbeiter rar sind, kann es äußerst schwierig sein, ihn in die zweite Reihe zu versetzen oder ihm gar zu kündigen. Leider ist es auch in vielen evangelikalen Gemeinden so wie in der Welt: letztlich zählt nur der Erfolg – auch wenn er nur mit Heuchelei zustandekommt. Als Alternative zu einer undurchführbaren Alles-oder-Nichts-Lösung könnte ein ehrenamtlich besetztes Schiedsgericht nachdrückliche materielle Sanktionen verhängen oder sie von vornherein in einem geänderten Arbeitsvertrag unterschreiben lassen, um eine Wiederholung üblen Verhaltens unwahrscheinlicher zu machen. In manchen Fällen wird aber auch das nicht durchführbar sein: es besteht die Möglichkeit, dass der erfolgreiche Mitarbeiter nun seinerseits mit Kündigung droht, falls die Gemeinde sein übles Verhalten nicht ignoriert. So manche Gemeinde wird sich tatsächlich erpressen lassen und den damit verbundenen Dauerzustand der Heuchelei in Kauf nehmen. Frage 9. Warum wird “Gerechtigkeit” (δικαιοσύνη) mit “Liebe zum Recht” übersetzt? Ist “Liebe zum Recht” im Umgang mit dem Nächsten nicht eine typisch alttestamentliche Forderung, die für die Gemeinde heute nicht mehr relevant ist? Wird sie nicht im Neuen Testament durch die Aufforderung ersetzt, sich zu Jesus zu bekehren, der unsere “Gerechtigkeit” ist ? Jesus warf den Pharisäern vor, dass sie nur religiös waren und “die Vorbereitung auf das Gericht (κρισις) für zweitrangig hielten.” (Mt 23,23) Die richtige Vorbereitung auf das Gericht ist ein geheiligtes Leben, wozu immer faires, “gerechtes” Verhalten gegenüber dem Nächsten gehört: “Hieran sind die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels zu erkennen. Jeder, der nicht Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) übt, gehört nicht zu Gott, und wer nicht seinen Bruder liebt.” (1.Jo 3,10) Jesus forderte von seinen Jüngern, dass sie “in erster Linie nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) streben” sollten. (Mt 6,33) 221 Damit hat er sicherlich nicht das Vertrauen auf seinen stellvertretenden Opfertod gemeint. Den hat er den Jüngern zwar einschließlich seiner Auferstehung angekündigt, aber sie verstanden es nicht. Deswegen waren sie ja auch nach seiner Hinrichtung völlig verzweifelt und hielten Jesus tatsächlich für gescheitert. Das Gespräch Jesu mit den Jüngern, die auf dem Weg nach Emmaus waren, zeigt dieses Nicht-Verstehen in aller Klarheit. (Luk 24,13 ff) Wenn nicht einmal die gutwilligen Jünger die Notwendigkeit des Sühnetodes begriffen haben, bevor Jesus von den Toten auferstanden war, wie sollten es da die Schriftgelehrten verstehen ? “Gerechtigkeit” und “Ungerechtigkeit” bezog sich also auf etwas anderes, nämlich das, was ALLE Gläubigen des alten Bundes darunter verstanden: auf das faire Verhalten im Alltag. “Gerechtigkeit” ist also kein philosophisches Ideal, mit dem sich in erster Linie theologische Fachleute befassen, sondern etwas, das jeden angeht. Denn niemand möchte selbst ungerecht behandelt werden. Jesus warf den Schriftgelehrten genau das vor, dass sie das Gebot der Fairness nicht respektierten, dass sie Kollekten einnahmen, durch die anderen das Nötige vorenthalten wurde (Mk 7,11: „Korban“) oder dass sie “der Witwen Häuser fraßen” (Mt 23,14). Das Neue Testament warnt die Gläubigen genauso wie das alte vor ungerechten Verhaltensweisen, die das Verständnis für die Wahrheit verdunkeln können. (Rö 1,18 / 2.Thess 2,10-12). Es fordert sie auf, Unrecht zu lassen und Recht zu tun. (Apg 10,35 / Kol 3,25 / 1.Jo 2,29 / 3,10) Ohne diese Einstellung ist eine Bekehrung Selbsttäuschung. (Jak 2,17) Durch unbeirrbares, boshaftes Festhalten am Unrecht schließt man sich selbst vom Reich Gottes aus: “Wisset ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Macht euch bitte nichts vor! ” (1.Kor 6,9) Es gibt keine Liebe ohne Fairness. Dass, was der unfair Handelnde als “Liebe” missversteht, sind bestenfalls gute Manieren bzw. Umgangsformen. Sie lassen jemanden “lieb” erscheinen, der in Wahrheit hart, lieblos und unbarmherzig ist. 222 Viele Gläubige werden hier zustimmen. Doch weit weniger Gläubige erkennen, dass sie auch dafür Verantwortung tragen, dass die von ihnen gewählte Gemeindeleitung diese unumstößliche Regel auch nach der Wahl weiter respektiert. Ist das nicht der Fall, wird also damit das gegebene Wahlversprechen, die Gemeinde im Sinne Jesu zu leiten, nachträglich gebrochen, dann kann die Gemeinde – um der Ehre Gottes willen – nicht dabei tatenlos zusehen. Vielmehr sollte dann baldmöglichst ein weiterer Wahltermin angesetzt werden mit einem ernstzunehmenden Kandidaten. Leider betrachten immer mehr Gläubige die geistliche Einstellung des Bewerbers als zweitrangig. Viel wichtiger ist ihnen die Frage, ob er ein Zugpferd ist und viele Leute in die Gemeinde bringt. Herrscht diese Meinung in der Gemeinde vor, so ist sie bereit geistlich sehr krank und wird durch die Wahl noch kränker. Wenn eine Gemeinde wächst auf Kosten von Wahrheit und Gerechtigkeit, dann ist es das Beste, wenn möglichst viele Gläubige abwandern und eine Gemeinde aufsuchen, wo sie lernen können, wie man ehrlicher und fairer mit dem Nächsten umgeht. Die Weigerung der Gemeinde, eine Gemeindeleitung, die Unrecht tut, zurechtzuweisen, bloß weil sie beliebt und erfolgreich ist, wertet Gott als Verachtung seiner Person. (1.Sam 2,30 b) Deshalb traf den Priester Eli am Ende eine ähnlich schwere Strafe wie seine Söhne, deren Fehlverhalten im Amt er nicht bestrafte. Frage 10. Warum wird das Wort “Treue” (πιστις) in Mt 23,23 zusammen mit dem Attribut “wahr” genannt ? Wir haben “pistis” eine Zeitlang mit “Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit” übersetzt und wurden unlängst dafür kritisiert, dass bei dieser Übersetzung die Hauptbedeutung der “Treue” zu wenig berücksichtigt wird. (Zum Vorwurf der Verfälschung und zu den voreiligen Argumenten der Kritik siehe unseren Beitrag im nächsten Kapitel dieses Buches). 223 Das Adjektiv πιστοξ bezeichnet eine Person, der man trauen kann und bedeutet glaubwürdig, zuverlässig, treu. (Quelle: ww.zeno.org/Pape1880/πιστοξ; Wilhelm Pape, Handwörterbuch der griechischen Sprache, Braunschweig 1914, 3.Aufl., Bd.2, Seite 620-621). Das Substantiv πιστιξ steht mit diesem Bedeutungsfeld in engstem Zusammenhang. In heutigem Griechisch wird πιστιξ “Glaube” im Sinne von “Glaubwürdigkeit” verwendet, ähnlich wie auch “Glaube” im Deutschen nichts mit religiösem Glauben zu tun haben muss: Κατα την καλη πιστη “nach Treu und Glauben”, womit Seriosität und Ehrlichkeit im täglichen Geschäftsleben gemeint ist. Jesus sprach nicht griechisch, sondern aramäisch mit seinen Jüngern. In der hebräischen Übersetzung des NT, das dem Aramäischen sehr verwandt ist, (was man vom Griechischen nicht sagen kann) werden die Worte “mischpat” (Gericht), “chesed” (Barmherzigkeit) und “ämuna” verwendet. “ämuna” bedeutet in äußerlichem Sinn: “Festigkeit, Sicherheit”, im seelischen Sinn “Treue, Glauben”, aber auch “Wahrhaftigkeit”, “Zuverlässigkeit”. “Jafiach ämuna” in Spr. 12,17 ist jemand, “der die Wahrheit spricht” im Gegensatz zum falschen Zeugen (Quelle: Wilhelm Gesenius, Hebräisches und aramäisches Wörterbuch über das AT, Heidelberg, 1987). Die Evangelienhandschriften der Peshitta, die im syrischen Aramäisch verfasst sind, verwenden das Wort “wehaymanuta”, das mit “trustworthiness” („Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit” übersetzt werden kann. (Quelle: The New Testament in Syriac, Hrsg: British and Foreign Bible Society: “http://dukhrana.com/peshitta/index.php“) Auch das syrische Aramäisch steht sehr wahrscheinlich in größerer Nähe zu dem, was Jesus sagte, als der griechische Text. Wir nahmen an, dass sich der Gegensatz zwischen Jesus und den Pharisäern in den drei wichtigsten Geboten am schärfsten und deutlichsten darstellt, m.a.W. dass die drei Punkte keine nebensächlichen Konfliktpunkte sind. Dass die Pharisäer gegen die erste Forderung in Mt 23,23, gegen die Barmherzigkeit, verstießen, leuchtete sofort ein, denn sie „legten den Menschen unnötigerweise schwere, unerträgliche Lasten auf“ (Mt 23,4). Auch der Verstoß gegen die zweite Forderung, die Liebe zum Recht, war offensichtlich, denn die Pharisäer “fraßen die Häuser der Witwen” (Mt 23,14) und nahmen unerlaubte Spenden entgegen (Mk 7,11: “Korban“). Durch beide Anklagen konnten sich die Pharisäer, gegen die sich die Rede in Mt 23 richtet, bis ins Herz getroffen fühlen. 224 Konnte man das auch von dem dritten Vorwurf, der Treulosigkeit sagen ? Die Pharisäer hatten sich auf den Stuhl des Mose gesetzt. (Mt 23,1) Sie waren der Ansicht, dass sie es mit der Treue besonders genau nahmen. Der allgemeine Eindruck, den uns das NT vermittelte, dass die Pharisäer sehr stolz auf ihre Treue waren. Da ist der Pharisäer, der auf den Zöllner herabsieht und Gott alles aufzählt, was er an Gebotserfüllung leistet. (Lk 18,11 ff) Er meint es wirklich so, wie er es sagt und ist aufs Höchste mit sich zufrieden. Wie Gott tatsächlich über ihn denkt, bekommt er gar nicht mit. Auch Paulus war vor dem Damaskuserlebnis sehr stolz auf seine Werkgerechtigkeit (Phil 3,4-5). Jesus hat die Pharisäer wegen ihrer Ehescheidungspraxis konkret der Treulosigkeit beschuldigt. Hier hatten sich die Pharisäer auf Mose berufen, der Ehescheidung nicht verbot und Segen jedem verhieß, der das mosaische Gesetz befolgte. Der Prophet Maleachi allerdings hatte sich Jahrhunderte später ganz konkret zur Ehescheidung geäußert und sie unter den Unsegen Gottes gestellt (Mal 2,14-16). In der Tradition wurde seine Warnung nicht beachtet. Den Alten wurde gesagt “Wer sich von seinem Weibe scheidet, der soll ihr einen Scheidebrief geben.” (Mt 5,32). Somit war für Jesus leicht, nachzuweisen, dass die Pharisäer in der Ehescheidungsfrage gegen den Willen Gottes verstießen. Für die Ehe zwischen Gläubigen wünscht sich Jesus, dass sich beide Partner die gegenseitige Treue bewahren können. Auch im Alter soll diese Liebe bestehen bleiben, ohne Konkurrenz fürchten zu müssen. Römer 2,16 eröffnet eine umfassendere Beurteilung der Treue, indem die Beurteilung des Herzens am Tag des Gerichts einbezogen wird. Die Anklage nennt ein ganzes Spektrum möglicher Verstöße und fordert zur Selbstprüfung auf: “Nun lehrst du andere, und lehrst dich selber nicht; du predigst, man solle nicht stehlen, und du stiehlst; du sprichst man solle nicht ehebrechen, und du brichst die Ehe; dir greuelt vor den Götzen, und du raubest Gott, was sein ist; du rühmst dich des Gesetzes, und schändest Gott durch Übertretung des Gesetzes…” (Rö 2,21-22) Die zahlreichen Konflikte der Pharisäer mit Jesus zeigen, wie unterschiedlich die Formen der Treulosigkeit sein können. Immer wieder steht der Gläubige vor der Frage: Wahre Treue oder nur vermeintliche Treue ? Mt 23,23 ist eingebettet in eine Aufzählung frommer Tricks bzw. in die Verdammung der Heuchelei. Das ist die Stoßrichtung des kompletten Kapitels: Meidet die Heuchelei ! Bemüht euch um Selbsterkenntnis und Echtheit ! 225 Da Jesus Mt 23,23 als wichtigstes Gebot authorisiert hat, kann dieses Gebot dazu dienen, den Rang weniger wichtiger Gebote zu bestimmen. Diese Bestimmung ist unbedingt nötig, um schädliche Auslegung entlarven zu können, wie wir beispielhaft unter “giftige Theologie” zeigen. Solche Auslegung wird den Gemeinden durch etablierte “Schriftgelehrte” vermittelt, denen ein theologisches Auslegungsmonopol zuerkannt wird. Sie haben sich nunmehr “auf den Stuhl” Jesu und der Apostel gesetzt. Heute haben sich die Schwerpunkte der Treulosigkeit verschoben. Bei Vertretern des bibeltreuen Auslegungsmonopols ist es heute unstrittig, dass Ehepartner einander lebenslang treu sein sollen. Im Gegenteil: das Pendel ist gefährlich nach der anderen Seite ausgeschlagen: viele evangelikale sowie katholische Bibellehrer vertreten heute eine lebensfeindliche, überzogene Sexualmoral. 421 Gerade dieser Rigorismus wird als “Beweis” für die außerordentliche Glaubenstreue gesehen. Das große Problem heute in bibeltreuen Gemeinden ist nicht eine laxe Ehescheidungspraxis, sondern vielmehr eine starke Neigung zur Unehrlichkeit. Miese Tricks 422 zur Sicherung des Einflusses, Angst vor ehrlichen Fragen, Machtmissbrauch 423, Duldung von Unrecht 424 und Bevormundung ohne schlechtes Gewissen sind heute ganz selbstverständlich an der Tagesordnung. Wir brauchen in dieser neuen Situation Orientierung durch die Heilige Schrift. Es ist nachvollziehbar, dass sich Gläubige, die sich mit der Barmherzigkeit und der Liebe zum Recht keine große Mühe geben, desto mehr auf ihre Glaubenstreue zugute halten. Das, was sie für Treue halten, ist bei genauerem Hinsehen einfach geistige Unbeweglichkeit, Denkfaulheit, Selbstzufriedenheit, Angst vor notwendigen Verbesserungen, Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid von Mitchristen und der Wunsch, nicht durch zu gründliches Nachdenken auf eigene Mängel hingewiesen und beunruhigt zu werden. 421 422 423 424 Siehe „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. Siehe unter „www.matth2323.de/miese-tricks“. Siehe Seite 179 ff. Siehe Seite 263 ff. 226 Als Treue tarnt sich auch blindgläubige Unterwürfigkeit (“Nibelungentreue”) gegenüber einer Gemeindeleitung , die Unrecht tut. Es gibt wohl kaum einen Begriff, der so beliebig gefüllt und missbraucht werden kann wie der Begriff “Treue”. Was ist von der “Treue bis in den Tod” der christlichen Kreuzfahrer oder von ähnlichen Treueschwüren in pseudo-christlichen rassistisch eingestellten Organisationen im Süden der USA zu halten ? Trotz eines Höchstmaßes an Hingabe und Engagement handelt es sich um Perversionen der Treue, die Jesus meinte. Allezeit treu sein kann man nur Inhalten und Personen, die wahr und deshalb verlässlich sind. Nur, was wahr ist, wird immer zuverlässig sein. Wahrheit und Verlässlichkeit finden wir bei Jesus: “wir sahen seine Herrlichkeit – voller Gnade und Wahrheit.” (Joh 1,14) Um diese Herrlichkeit zu sehen, muss der Gläubige selbst „Heuchelei meiden“ (Mt 12,1) und nach ehrlicher Selbsterkenntnis streben. Deswegen gehören Verlässlichkeit und Treue immer mit der Bemühung um Ehrlichkeit zusammen. Nur diese Treue ist “wahre”, echte Treue – weil sie den Charakterzügen Jesu nacheifert. Jesus ging es um Echtheit und Glaubwürdigkeit. Der Apostel Johannes sprach in seinen Briefen von der Notwendigkeit “in der Wahrheit zu sein” (Jo 17,19 / 1.Jo 1,6 / 2.Jo 1,4 / 3.Jo 1,3). Dieses Grundmotiv durchzieht alle Evangelien und Briefe, und schließt das Festhalten an dem, was als wahr erkannt worden ist, natürlich ein. Eph 5,9 bringt den Sinn des dreifachen Gebotes in Mt 23,23 besser zum Ausdruck: “die Frucht des Lichtes ist … Güte (αγαθωσυνη), Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) und Wahrheit ( αληθεια).” Deswegen versehen wir den Begriff “Treue” mit dem Attribut “wahr”, um gleich daran zu erinnern, dass es auch viel vermeintliche Treue gibt, der die Ehrlichkeit fehlt. A 2. Zum Vorwurf der Verfälschung von Mt 23,23 Unlängst wurde ich heftig kritisiert: ich hätte die letzte Forderung Jesu in Mt 23,23 nach “Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit” falsch übersetzt und den Sinn absichtlich “verfälscht”. Das Wort πιστιξ habe im biblischen Kontext die Bedeutung “Treue” oder “Glauben”, nicht aber “Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit”, wie ich übersetzte. 227 Zum ersten: ich bin dankbar für jede Kritik. Sie gibt Gelegenheit, sich selbst noch einmal Rechenschaft zu geben. Niemand ist gegen Oberflächlichkeit gefeit. Ich will nicht so tun, als ob ich keine Fehler einzusehen hätte. Es ist wirklich schlimm, wenn auf kritische Anfragen nicht geantwortet wird, so wie es bei etlichen bibeltreuen Institutionen üblich ist. So wollen wir uns nicht verhalten. Dank der Kritik habe ich inzwischen eine bessere Übersetzung gefunden: “wahre Treue” und diese Übersetzung auch in der Antwort zur 10.Frage im vorigen Kapitel erläutert. Kritik ist eigentlich der Einstieg in einen Austausch. Es muss mir erlaubt sein, meine Absichten und Gründe darzulegen. Die Erläuterung dient dem Verständnis und ist keine Selbstrechtfertigung oder Bekundung der Unverbesserlichkeit. Doch leider brach der Austausch abrupt ab. Der Gesprächspartner hatte nur den Wunsch, uns seine Position zu präsentieren, die er selber nicht hinterfragt sehen wollte. Leider wurde der Schreiber des Mails auch noch in negativer Weise persönlich. Für meine “absichtlich falsche” Übersetzung wurde mir das Motiv des “Eigennutzes” und “Hochmuts” unterstellt. Ich wäre jemand, der “zum Wort Gottes etwas dazugetan oder weggenommen” hätte, was Offb 22,18-29 unter strenge Strafe gestellt hat. Lieber Kritiker! Es wäre sehr nett, wenn du die Aufgabe, ins Herz zu schauen und finale Urteile auszusprechen, dem allweisen und allwissenden Gott überlassen könntest. Dem Austausch ist das nicht dienlich. Hinterher kann man doch nur abtauchen und das Weite suchen, weil man eine unfreundliche Reaktion befürchtet. Da wir auf guten Stil achten 425 , müssen wir nicht unfreundlich reagieren. Es empfiehlt sich grundsätzlich ganz sachlich zu bleiben. Der Verfasser des Emails hat offensichtlich noch nie etwas von der “freien Zitierweise” gehört, die wir gelegentlich in der Bibel selbst finden. 425 Siehe Seite 262. 228 Ein Beispiel: In Hebräer 10, 5 lesen wir: “einen Leib hast du mir bereitet”, während es in Psalm 40, dem diese Stelle entnommen ist, heißt: “Ohren hast du mir bereitet“ (V. 6). Unzweifelhaft sind “Ohren” etwas anderes als der “Leib”. Ist das ein Beispiel für “Verfälschung” ? Adolf Küpfer (Quelle: bibelkommentare.de) hat folgende Erklärung angeboten: “Ohne Frage redet Ps 40 prophetisch von der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Als Mensch war Er gehorsam bis zum Tode, indem Er Seinen Leib als Opfer hingab. Das Ohr nun ist das Symbol des Gehorsams. Der Schreiber des Hebräerbriefes hat nun die Stelle aus Ps 40 sinngemäß wiedergegeben – natürlich auch unter der Leitung des Heiligen Geistes, denn ihm war der Wortlaut ohne Frage wohlbekannt. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass der Herr Mensch wurde: “Einen Leib hast du mir bereitet”, um ihn auf dem Altar des Kreuzes hinzugeben, während: “Ohren hast du mir bereitet” sagen will, dass Er gehorsam war bis zum Tode.” Dies leuchtet ein. Doch halten wir einmal fest, dass der Schreiber des Hebräerbriefes die Freiheit hat, die lexikalische Bedeutung zu vernachlässigen, um die Intention des Verses zu verstärken. Ein weiteres Beispiel. In Jes 28,16 S heißt es: “Siehe, ich lege in Zion einen Eckstein, einen kostbaren, bewährten Stein ein sicheres Fundament, wer (an ihn) glaubt, der flieht nicht.” Wie wird diese Bibelstelle in 1.Pe 1,6 zitiert ? Dort heißt es: “In der Schrift steht: Siehe, ich lege in Zion einen kostbaren, bewährten Eckstein. Wer an ihn glaubt, soll nicht zu Schanden werden.” Wieder eine Abweichung von der lexikalischen Bedeutung im Zitat! “Fliehen” ist nicht dasselbe wie “Zu Schanden werden, sich Verachtung zuziehen.” Wenn unser Kritiker recht hätte, dann müsste man hier ebenfalls von “Verfälschung” sprechen. (Zu weiteren Beispielen für “freie Zitierweise” siehe: Eduard Böhl, Die altestamentlichen Zitate im NT, Wien 1978). Wenn die biblischen Autoren mit ihrer freien Zitierweise nicht verfälscht haben, dann ist es auch Gläubigen heute erlaubt, so zu zitieren, sofern die Intention des Textes damit unterstützt wird. 229 Wenn jemand uns dafür kritisiert, dann muss er den Nachweis führen, warum dasselbe Verfahren Gläubigen heute nicht erlaubt ist. Ich behaupte, dass ein Beweis hier unmöglich ist. Zweifellos wird der Kritiker an seiner Sicht festhalten, aber es bleibt eben nur eine Behauptung, die zu übernehmen, niemand verpflichtet ist. Wir hatten uns für die Übersetzung “Ehrlichkeit, Glaubwürdigkeit” entschieden, weil das große Problem heute unter etablierten bibeltreuen Schriftgelehrten nicht wie zur Zeit Jesu Geringschätzung der ehelichen Treue ist, sondern Unehrlichkeit, Manipulation und miese Tricks 426, um trotz mangelhafter Argumentation Einfluss und Macht zu behalten. (Details siehe in der Antwort zur 10.Frage im vorigen Kapitel.) Getreu dem Worte Jesu “Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden” (Mt 22,32) haben wir so übersetzt, dass der Schlüssel Mt 23,23 zur heutigen Situation passt und dennoch den Grundgedanken der “Treue” einbezieht. War das falsch ? Sind wir Museumswächter, die darüber wachen müssen, dass der alte lexikalische Sinn erhalten bleibt, der treffend in eine Situation hineingesprochen hat, die vor Jahrtausenden aktuell war ? Ist das die vordringliche Aufgabe der Gläubigen ? Oder gefällt es Gott mehr, wenn wir uns darum sorgen, dass das Wort Gottes möglichst treffend in die heutige Situation hineinspricht ? Nachdem unser Kritiker meinte, mir “Verfälschung” nachgewiesen zu haben, wurde ich belehrt, dass Mt 23,23 kein Schlüssel sein könne. Der Schlüssel für richtige Auslegung sei allein die “Liebe”. Abschließend fand er noch ein paar tröstliche Worte: Gott hätte mich trotzdem lieb und er würde mich auch nicht mit der Hölle bestrafen für den “Mist”, den ich geschrieben hätte. Das war gut gemeint, und doch liefert er damit glanzvoll den Beweis, dass der Begriff “Liebe” kein Schlüssel ist. 426 Siehe unter „www.matth2323.de/miese-tricks“. 230 Das ist doch genau das Problem, dass Bibellehrer, Theologen, Seelsorger unablässig von “Liebe” reden, dass aber die tödliche Härte des biblischen Buchstabens (2.Kor 3,6), die nicht sachgemäß entschärft wird, den Eindruck der “Liebe” ständig aufweicht. Auch unser Kritiker kommt mit der Härte des Buchstabens nicht klar. Er ersetzt sie durch seine eigenen, gutgemeinten Trostworte. Ist das keine Verfälschung ? Wenn ich etwas vom Wort Gottes unterschlagen und Gläubige falsch belehrt habe, dann “wird Gott mir meinen Anteil vom Holz des Lebens wegnehmen.” So heißt es in dem zitierten Vers der Offenbarung. Wenn ich keinen Anteil daran habe, dann dürfte ich wohl tot sein. Und das hätte mir der Kritiker androhen müssen. Da bleibt kein Raum für Trost. Trost ist nur dann möglich, wenn ich die Sünde der Verfälschung bereue und korrigiere. Das ist genau das Dilemma der Auslegung. Man täuscht sich über die tödliche Härte des Buchstabens hinweg und verteilt großzügig Segnungen, die nach dem Wortlaut der Bibel gar nicht vorhanden sind oder zumindest bezweifelt werden können. Wie soll man mit dieser Arbeitsweise destruktive Auslegung entschärfen können ? Das wortreiche Beteuern der Liebe ändert nichts daran, dass einzelne Gläubige an den Lehrsätzen giftiger Theologie 427 zugrundegehen werden. Somit bleiben sie in genau derselben Lage, die schon Jesus beklagte: sie bleiben draußen und kommen nicht hinein in das Reich der Freude und des Friedens, und das haben sie der werkgerechten Theologie bibelgläubiger “Schriftgelehrten” zu verdanken, die unter den Anklage Jesu stehen (Mt 23,13): “ihr habt ihnen die Tür verschlossen” (κλείτε). Kann das Wort “Liebe” ein Schlüssel sein, ein Instrument, um aus diesem Eingeschlossensein zu befreien ? Das ist doch das Problem, dass jedermann an seine gute Absichten glaubt, sie gar für Liebe hält, nicht zuletzt die unberufenen Lehrer, die andere mit ihrer dilettantischen Theologie krank machen. 427 Siehe Seite 35 ff. 231 Schauen wir doch einmal hinein in die lehrreiche Geschichte des Christentums. Was wurde nicht schon alles mit dem Wort “Liebe” begründet – immer im Wahn, mit Brutalität die Seelen vor Verführung schützen zu müssen: Inquisition, Hexenjagd und nicht auch zuletzt die Judenverfolgung, die selbst der große Reformator Martin Luther 428 meinte unterstützen zu müssen. Wie viele der blutigen Akteure waren überzeugt, im Namen Jesu, in der Autorität der größten Liebe zu handeln ! Und da soll das Wort “Liebe” ein Schlüssel sein ? Tatsache ist: Liebesbeteuerungen sind kein Schlüssel, wenn die inhaltliche Konkretisierung der Liebe fehlt. Und diese Konkretisierung stellt Mt 23,23 bereit. So wie die Liebe Gottes das Höchste und Wichtigste ist, so ist Mt 23,23 das höchste und wichtigste Gebot. Beides hat dieselbe Priorität. Keine andere Bibelstelle kann so gut zur Konkretisierung der Liebe dienen. Sie hilft uns, zu überlegen: was ist denn Liebe und was nicht. Liebe ist “Barmherzigkeit, Wertschätzung des Rechts, Verlässlichkeit” (Mt 23,23). Selbst bei diesen Begriffen müssen wir noch einmal genau prüfen und unterscheiden: ist es echte Barmherzigkeit 429 oder eingebildete Barmherzigkeit 430 , ist es echte Liebe zum Recht 431 oder nicht, ist es tatsächlich die Treue und Wahrhaftigkeit, die Jesus meinte 432. Wenn wir hier genau prüfen, dann kann mit Hilfe von Mt 23,23 giftige Theologie 433 sehr leicht entschärft werden, wie diese Webseite zeigt. Ich vermute sehr stark, die etablierte bibeltreue Theologie kann das nicht. Oder sollte ich mich irren ? Jedenfalls kam bisher auf den von uns vorgelegten Seelsorge-Kompetenztest 434, der typische Notsituationen präsentiert, keine Antwort. Keine Antwort ist auch eine Antwort. 428 429 430 431 432 433 434 Siehe unter „www.matth2323.de/irrlehre/#sekte_vaeter“. Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#barmherzigkeit“. Siehe Seite 219. Siehe Seite 221. Siehe Seite 223. Siehe Seite 35 ff. Siehe Seite 257. 232 Es ist erschreckend, wie schnell und leichtfertig unter bibeltreuen Christen überflüssiger Streit, Spaltung und Distanzierung entstehen. Die Ursache dafür ist, dass man sich zum Anwalt Gottes berufen fühlt, der die Rechte Gottes zu verteidigen hat. Alles im Namen der Liebe, obwohl der Wunsch Recht zu behalten, viel wichtiger genommen wird als die Liebe und der Respekt vor dem anderen und vor seinem mühevollen Ringen um Klarheit. Ein Mensch als Anwalt Gottes ? Ist das nicht eine Selbstüberschätzung ? Wäre es nicht besser, man würde von sich bescheidener denken ? Niemand ist gegen Oberflächlichkeit, Einseitigkeit und Irrtum gefeit. Nicht jeder versteht alles sofort. Und jeder bringt durch seine Biografie wertvolle Einsichten ein, die der andere, dem entsprechende Erfahrungen fehlen, nicht hat. Die eigenen Erlebnisse und Erfahrungen erweitern nicht nur die Sicht, sondern sie begrenzen sie auch. Niemand hat die Weisheit mit Löffeln gefressen. Auch die Tradition stellt keine unfehlbare Weisheit bereit. Unser Kritiker war, nachdem er mir das Etikett “Fälscher” umgehängt hat, an einem weiteren Austausch nicht mehr interessiert. Wie es scheint, stand für ihn damit fest, dass unsere Webseite nur “Mist” enthalten konnte und des weiteren Lesens nicht wert war. Ich kann es nirgends in der Schrift finden, dass Gott Gläubige authorisiert, in dieser Weise mit der geistigen Arbeit anderer umzugehen. (Eine dazu passende Satire ist die Geschichte von Ephraim Kischon: “Wie man ein Buch bespricht, ohne es zu lesen.” 435) Wenn uns der Apostel auffordert, “alles zu prüfen” (1.Thess 5,21), so mutet er uns damit zu, auch Texte zu lesen, in denen manches steht, was uns stört, was wir für mangelhaft oder falsch halten. Das Mangelhafte oder Falsche brauchen wir ja nicht zu übernehmen. “Das Gute behaltet.” heißt es. Wenn man sich nur mit Texten befassen will, die nirgends stören oder provozieren, dann gibt man Betriebsblindheit und Selbstgerechtigkeit eine große Chance und muss sich nicht wundern, wenn man Jahrzehnte später nur wenig dazugelernt hat. Haben Jesus und die Apostel zu ihrer Zeit sich etwas bemüht, so zu formulieren, dass um Gottes willen niemand Anstoß nimmt oder gar provoziert wird ? Haben sie auf theologische Empfindlichkeit je Rücksicht genommen ? 435 Siehe unter „www.matth2323.de/irrlehre/#sektierer“. 233 Handeln wir wirklich im Sinne Jesu, wenn wir von Christen erwarten, dass sie mit ihren Texte auf theologische Empfindlichkeit Rücksicht nehmen sollen ? Was ist aus der “herrlichen Freiheit der Kinder Gottes” (Rö 8,21) geworden, wenn Gläubige nicht einmal die Freiheit haben, in Ruhe über neue Anregungen nachzudenken, abzuwägen und sich auszutauschen, sondern sich bei der geringsten Unstimmigkeit sofort eins mit der Bibel über den Schädel geben müssen ? Für viele weltliche Menschen ist eine faire Gesprächskultur völlig selbstverständlich. Viele Gläubige sind leider noch weit davon entfernt und man fragt sich, ob sie jemals dieses Niveau erreichen werden. Um überempfindlichen Mitchristen doch ein Stück weit entgegenzukommen (nach 1.Kor 9,19), habe ich mich entschlossen, die dritte Forderung Jesu in Mt 23,23 mit “wahre Treue” zu übersetzen. Damit sind sowohl der lexikalische Sinn als auch die Erfordernisse der aktuellen Situation berücksichtigt. A 3. Die Angst vor der unvergebbaren Sünde und seelsorgerliche Hilfsangebote Die Angst, den Heiligen Geist gelästert zu haben und unwiderruflich der ewigen Verdamnis verfallen zu sein, ist wahrscheinlich eine der grausamsten menschlichen Angsterfahrungen – nicht nur wegen ihrer kaum noch zu steigendernden Intensität, sondern auch wegen ihrer möglicherweise jahrzehntelangen Dauer – sofern sie nicht zu einem gesundheitlichen Zusammenbruch und frühem Tod führt wie z.B. bei Francesco Spira. 436 Für die gesundheitlichen Folgen ist die Frage sehr wichtig, inwieweit die permanente Angstbelastung zu Schlaflosigkeit führt. Der totale Verlust der Fähigkeit zu schlafen (Asomnie) wird nach etlichen Monaten lebensbedrohlich. Die extreme Schädlichkeit der seelischen Erkrankung steht in auffälligem Missverhältnis zu den oft halbherzigen Bemühungen, die Ursache der seelischen “Verriegelung” aufzuspüren. 436 Karl Roenneke, Francesquo Spiera – eine Geschichte aus der Zeit der Reformation in Italien, Hamburg 1874. 234 Eine Lösung mit höchster Autorität und Glaubwürdigkeit muss auf die Qualitätsmaßstäbe Jesu gegründet sein. Siehe dazu die Lösung im Detail unter Behauptung Nr.10 der “giftigen Theologie” 437 sowie im folgenden verschiedene (unzureichende) Lösungsansätze in der Seelsorge. 1. Oberflächliche seelsorgerliche Antworten 1.1. Aufforderung zur Auswahl und Verdrängung 1.2. Luthers Kunstgriff: formale Zustimmung zum Verdammtwerden 1.3. Visualisierungen des Leidens Christi 2. Antworten der “nouthetischen” Seelsorge (Jay Adams) 3. Definition der unvergebbaren Sünde als “nationale Sünde” (Arnold Fruch tenbaum) 4. Am Buchstaben klebende “Lösung” als verheerender “Kunstfehler” (Adolf Schlatter) 1. Oberflächliche seelsorgerliche Antworten „Gott-ist-tot“ – Theologen machen es sich hier sehr einfach, indem sie die biblische Warnung vor der Lästerungssünde als allzumenschliche Übertreibung abtun. Diese Sicht kann ein Mensch, der von der Autorität und Zuverlässigkeit der heiligen Schrift überzeugt ist, nicht übernehmen, ohne seinen ganzen Glauben in Frage zu stellen. Er müsste damit etwas tun, was er für zutiefst gottlos hält: sein eigenes Urteil willkürlich über das göttliche Wort stellen. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass sich dadurch bei ihm die Gewissheit, nunmehr endgültig auf die gottlose Seite zu gehören, und damit die Verdammungsangst noch verstärkt. Eine schnell wirksame Lösung erscheint deshalb nur „systemimmanent“ möglich. Das heißt: man muss sie mit Hilfe der Bibel und biblisch gut begründeter Interpretationsmethoden finden. Man erweist dem Ratsuchenden keinen guten Dienst, wenn man ihn nicht ernstnimmt und seine Not von vornherein und ausschließlich als irrationale Wahnerkrankung einstuft. Damit ist der Weg zu einer sachlichen Analyse versperrt. 437 Siehe die Widerlegung der 10. Behauptung, Seite 100. 235 Auch wenn Gott unsichtbar ist, ist er dennoch eine reale Person und auch die Ankündigung seiner Strafe ist – selbst wenn sie lange auf sich warten lässt – eine reale Bedrohung. Auf reale Bedrohungen reagiert der Mensch normalerweise mit Angst. Eine unendlich hohe Bestrafung ist nach Aussage der Bibel die Folge einer bestimmten Tat. Der Gläubige hat etwas getan, was dieser Tat sehr ähnlich ist und bezieht deshalb die furchtbaren Drohungen auf seine Person. Der Seelsorger geht davon aus, dass eben dieser Bezug ein Missverständnis ist. Das muss er beweisen. Weil das Thema schwierig ist, sind Lösungsversuche mit geringstem gedanklichen Aufwand beliebt. Nicht wenige Seelsorger behelfen sich mit dem Zitieren einiger ermutigender Bibelstellen, verbunden mit der Aufforderung, sich ihrer optimistischen Sicht anzuschließen. Wenn der Verzweifelte es nicht kann, dann ist er eben krank oder verrückt, der arme Kerl und kann sich seine Situation nur noch mit Medikamenten erleichtern. Eine Reflexion, warum die Seelsorge scheiterte, unterbleibt häufig. 1.1. Aufforderung zur Auswahl und Verdrängung So wird manchmal behauptet, wer Jesus seinen Herrn nennt, könne die unvergebbare Sünde nicht begangen haben, denn “Niemand kann Jesus einen Herrn nennen, es sei denn durch den Heiligen Geist.” (1.Kor 12,3) Tatsächlich ? Dabei heißt es andernorts: “es werden nicht alle, die Herr zu mir sagen, ins Himmelreich kommen, sondern nur die, die den Willen meines Vaters im Himmel tun…” (Mt 7,21) Offenbar war das Phänomen des biblischen Pauschalstils 438 unbekannt. Oder hat der Seelsorger die entgegengesetzte Aussage in Mt 7,21 gekannt und sie einfach ignoriert 439 ? 438 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#pauschal“. 439 Siehe im Kapitel „Alternativen“ den Abschnitt Nr 3, Seite 22. 236 Eine seriöse Antwort wird immer auch entgegengesetzte Aussagen einbeziehen. Wird der zweite Vers berücksichtigt, dann ist klar, dass für eine saubere Trennung zwischen Heiligung und Werkgerechtigkeit zu sorgen ist. Denn die Erfüllung des Willens Gottes, die Heiligung 440,ist Voraussetzung, um das Heilsversprechen Gottes in Anspruch zu nehmen. 1.2. Luthers Kunstgriff: formale Zustimmung zum Verdammtwerden Luther hatte sich eine besonders originelle Methode ausgedacht: wer Angst hat, in die Hölle zu kommen, der braucht bloß damit einverstanden zu sein. Ein Mensch, der in jeder Hinsicht wünscht, dass Gottes Wille geschehe und sei es die eigene Bestrafung mit der Hölle, kann dies nur durch den Geist Gottes und hat damit den Beweis erlangt, dass er gerettet ist: “Diejenigen, welche Gott in Wahrheit und Freundschaft lieben,… fügen sich aus freien Stücken in jeglichen Willen Gottes, auch in die Hölle und den ewigen Tod, wenn es so Gottes Wille sein sollte, nur damit sein Willen ganz geschehe; so wenig suchen sie das Ihre. Doch ebenso, wie sie sich dem Willen Gottes ohne Vorbehalt gleichförmig machen, ist es auch unmöglich, dass sie in der Hölle bleiben. Denn es ist ausgeschlossen, dass der außerhalb Gottes bleibt, der sich mit Leib und Seele in seinen Willen hineinwirft. Er will ja was Gott will – also findet er Gottes Gefallen. Findet er sein Gefallen, so ist er geliebt; ist er geliebt, so ist er gerettet.” 441 Eine Lösung, die nicht überzeugt. Wie soll ein Christ, der vor der Hölle zittert, Gott lieben können? Er kann formal seiner Verdamnis zustimmen, zweifellos – aber nur mit dem Hintergedanken, sie eben dadurch zu vermeiden. Die Zustimmung geschieht also aus Berechnung – und keinesfalls freiwillig. Sich mit einem Kunstgriff, einer beispiellosen psychologischen Verrenkung der Liebe Gottes Gottes versichern müssen – wie soll dabei Liebe entstehen ? Und welcher Gläubige “fügt sich in jeglichen Willen Gottes” und überwindet alles in seinem Leben, was unvollkommen ist, um sein Heil zu sichern ? Eben das wäre ja wieder äußerste Verknechtung der Seele, da Gläubige eben nicht vollkommen sind 442, auch wenn ihr Herr wünscht, dass sie es sich wünschen. (Mt 5,48) 440 Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. 441 Aus der Römerbriefvorlesung (1515/16) Scholie zu Rö 9,3 nach Ficker I,2, Seite 217,26ff. 442 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#unvollkommenheit“. 237 1.3. Visualisierungen des Leidens Christi Visualisierungen oder Veranschaulichungen des Leidens Christi können äußerst kontraproduktiv sein: mit einem spitzen Nagel in die Handfläche pieken, einen Stamm als “Kreuzesholz” anrühren, eine brutale Kreuzigungsszene im Film anschauen. Die gezeigte Brutalität vergrößert nur die Angst, wenn das Sühneopfer Jesu nicht als Beweis der Liebe Gottes gesehen werden kann. 443 2. Antworten der “nouthetischen” Seelsorge (Jay Adams)” Adams geht davon aus, dass die unvergebbare Sünde nur von einem Menschen begangen werden kann, der so “verhärtet” und gegen den heiligen Geist abgestumpft ist, dass er auch keine Angst mehr vor dem Gericht Gottes empfindet. Gerade die Besorgnis ist ein Indikator für das Heil. 444 Das ist in der Tat der Eindruck, den das Verhalten der religiösen Führer Israels im weiteren Verlauf der Geschichte vermittelt. Sie bringen nicht nur Jesus ans Kreuz, sondern versuchen auch später die Gemeinde auszurotten. Nirgends wird etwas von Reue und Bedenklichkeit berichtet. Dieser Punkt wird von etlichen Ratsuchenden zu wenig beachtet. Da Gott jeden Menschen aufrichtig liebt, wird er nichts unversucht lassen, um ihn zu retten. Diese Absicht lässt er sich sogar von Menschen bestätigen (Jes 5,4-5 ). 445 Man darf deshalb davon ausgehen, dass der “point of no return” den Abschluss einer beispiellos gottlosen Lebenszeit bildet, bei dem eine Umkehr nach menschlichem (!) und göttlichen Ermessen nicht mehr zu erwarten ist. 443 Siehe ausführlich unter „www.matth2323.de/stichworte/#liebesbeweis“ den Arti- kel „Beweis der Liebe nachvollziehbar?“ 444 Jay Adams, Handbuch für Seelsorge, Wuppertal 1976, S.311. 445 Siehe ausführlich dazu unter “Giftige Theologie” die 10. Behauptung: “Man kann durch ein einziges unüberlegtes Wort in die Hölle kommen.”, Seite 100. 238 Leider betrachten sehr oft die falschen Leute, die sensibel, schwach und ängstlich sind und deren Sünden sich in vergleichsweise kleinem Rahmen halten, die Warnung Jesu vor der unvergebbaren Sünde wie auch andere Warnungen, die an verhärtete und an Bosheit gewöhnte Menschen gerichtet sind, als an sich gerichtet. (Sorgfaltsparadox 446) Der an sich richtige Hinweis von Adams greift indes zu kurz, wenn das Gewissen des Ratsuchenden durch perfektionistische Theologie geprägt ist. (“Giftige Theologie“ 447) Auch kleine Schwächen und Unzulänglichkeiten erzeugen dann den Eindruck, ein “beispiellos gottloses Leben” geführt zu haben, an dessen Ende nun das unvermeidliche Verdammungsurteil stehen muss. Adams erwähnt eine perfektionistische Sicht der Sexualität, die darin gipfelt, dass bereits der unreine Gedanke als unvergebbare Sünde betrachtet wird. 448 (Vgl. den Artikel “sexuelle Sünden verunreinigen am stärksten.” 449 ) Deshalb muss als erster Schritt die seelische Fesselung durch perfektionistische Theologie aufgelöst werden, was nur mit “systemimmanenter” Argumentation geschehen kann, d.h. mit einer Methode, die die fundamentalistisch-perfektionistische Sicht “mit ihren eigenen Waffen” widerlegt. Gleichzeitig ist es wichtig, den positiven Charakter bibelgemäßer Heiligung 450 umfassend und glaubwürdig zu vermitteln. Richtig ist der Hinweis von Adams, dass die Angst vor der unvergebbaren Sünde nicht die Frage nach anderen Fehlverhaltensweisen überflüssig machen darf. Wird an groben Sünden (Ehebruch, Unversöhnlichkeit, Neid) festgehalten, dann kann beim Bibellesen das lebendige Reden, Wirken und Bevollmächtigen nicht entstehen, die Interaktion zwischen Bibel und Gläubigen, die für geistliches Leben typisch ist. Dann ist es auch um die Gewissheit des Heils schlecht bestellt. 446 447 448 449 450 Siehe unter „http://www.matth2323.de/stichworte/#sorgfaltsparadox“. Siehe das Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. Jay Adams, Handbuch für Seelsorge, Wuppertal 1976, S.311. Siehe unter „Giftige Theologie“ die 4.Behauptung, Seite 63. Siehe das Kapitel „Zu Gott gehören“, Seite 192. 239 Kontraproduktiv ist dieser Ansatz, wenn der Seelsorger ohne konkretes Wissen von vornherein unterstellt, dass der Ratsuchende die Angst vortäuscht, weil er “von anderen Sünden ablenken will”. Ohne es zu wollen, können Seelsorger sehr grausam reagieren. Das zeigt auch die am Buchstaben klebende Antwort von Adolf Schlatter. 451 3. Definition der unvergebbaren Sünde als “nationale Sünde” (Arnold Fruchtenbaum) Nach Fruchtenbaum bildet der Hinweis auf “dieses böse Geschlecht” (Mt 12,41+42+45) den Schlüssel für das Verständnis der unvergebbaren Sünde. Nur eine einzige Generation hatte die Möglichkeit, dem Messias direkt zu begegnen und sich von seinem sündlosen Charakter und seiner göttlichen Vollmacht zu überzeugen. Jesus vollbrachte zudem die Wunder, die in der jüdischen Tradition nur der Messias tun konnte: die Heilung von Aussätzigen, das Austreiben eines stummen Dämons und die Heilung eines Blindgeborenen. Bessere Beweise für die Vollmacht des Messias konnte es nicht geben. Auch ging Jesus auf die Menschen mit vollkommener Liebe zu. Niemals war es leichter, mit der Liebe Gottes, seiner Hilfe und seiner heilenden Kraft in Berührung zu kommen. In dieser einzigartigen Situation gab es Menschen, die Jesus als Verkörperung des Bösen bezeichneten, als Boten Satans. Wieder werden als Schiedsrichter im Endgericht Menschen bemüht, die Leute von Ninive und die Königin von Saba (VV.41-42), die das verdammende Urteil aussprechen. Das Verdammungsurteil ist also keine überlogische, unverständliche Grausamkeit Gottes: die Einstellung der Pharisäer ist so boshaft, dass auch Menschen um der Fairness willen darüber ähnlich urteilen würden. Wer Jesus unter diesen Bedingungen und in dieser Weise ablehnt, der hat den endgültigen Bruch mit dem Messias vollzogen. Am Ende des Kapitels 12 wird der Bruch mit Israel und der Übergang des Heils zu den Heiden angedeutet. 451 Siehe Abschnitt 4 in diesem Kapitel, Seite 242. 240 Jesus wertete seine verwandtschaftlichen Beziehungen ab, und bezeichnete nur noch die als zugehörig zum Gottesvolk, die den Willen Gottes respektieren. (Mt 12,47-50). Der endgültige Bruch wurde bald offenkundig, als der Tempel samt Jerusalem zerstört und das jüdische Volk in alle Welt vertrieben wurde. “Wahrlich, all dieses wird über dieses Geschlecht kommen.” (Mt 23,36) Dieses Gericht war unvermeidlich, da Gott die Verwerfung des Messias der gegenwärtigen Generation nicht vergeben konnte. Sehr hilfreich an der Lösung von Fruchtenbaum ist die Tatsache, dass sie die geistliche Katastrophe mit der Verwerfung des Messias verknüpft und nicht mit einer falschen Bezeichnung von Wundern. In pfingstlerischen und charismatischen Gruppen wird manchmal behauptet, dass jemand, der die dort gezeigten Wunder in Frage stelle, eine unvergebbare Sünde begangen hätte. Wie verantwortungslos ist diese Behauptung ! Wunder, die Menschen vorzeigen, sind nicht eindeutig. Wie viel Betrug hat es da schon gegeben – auch in christlichen Gruppen. Wenn ein Christ so leicht verloren gehen könnte, weil er ein Wunder für unecht hält, was wären dann die Verheißungen Jesu und seine Kraft zu bewahren, wert ? Ebenso positiv ist zu sehen, dass das menschliche Fairnessurteil eine wichtige Rolle spielt, sodass die endgültige Tennung von Jesus nicht wie ein willkürliches Verhängnis über den Menschen hereinbricht. Positiv an der Lösung von Fruchtenbaum ist auch zu sehen, dass er auf die einzigartige privilegierte Stellung der Generation Jesu hinwies. Auch die Zeit der Apostel, die Zeichen und Wunder im Namen des Messias vollbrachten, die göttliche Liebe beispielhaft vorlebten und Anschluss an die göttliche Inspiration hatten (Apostelbriefe!), ist noch als eine privilegierte Situation der Urgemeinde zu sehen. Dieses Faktum mildert den Satz des Hebräerbriefes, dass Gläubige “das Blut des Bundes, durch das sie geheiligt sind, für unrein achten und den Geist beleidigen” können. (Hebr. 10,29) Man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass diese Hebräerstelle bei manchem Gläubigen dennoch wieder Ängste aufsteigen lässt und dass deshalb zusätzlich Überlegungen zur Fairness 452 notwendig sein können. 452 Siehe ausführlich dazu unter “Giftige Theologie” die 10. Behauptung: “Man kann durch ein einziges unüberlegtes Wort in die Hölle kommen.”, Seite 100. 241 4. Am Buchstaben klebende “Lösung” als verheerender “Kunstfehler” (Adolf Schlatter) Seelsorge, die sklavisch am Buchstaben klebt Hoffnung zerstören. 453 ,kann den Rest jeglicher Dies soll anhand der Ausführungen des Theologieprofessors Adolf Schlatter (1852-1938), der für eine ganze Reihe ähnlich denkender Theologen steht, veranschaulicht werden. Auch er hat sich mit der Frage befasst, wie man Menschen helfen könnte, die Angst haben, die unvergebbare Sünde begangen zu haben. Es tut uns leid, ihn hier kritisieren zu müssen, denn er hat in seinen Werken der Gemeinde viele wertvolle Erkenntnisse hinterlassen. Viele haben ihn mit großem Gewinn gelesen. Doch in der Frage der unvergebbaren Sünde hat er leider schwerwiegende Fehler begangen, die angesprochen werden müssen. Seine Antwort lautet, dass in diesem Fall Hilfe unmöglich ist. Niemand könne wissen, ob jemand diese Sünde begangen habe. Der Mensch, der von dieser Angst gequält wird, natürlich auch nicht. Nach Schlatters Ansicht ist selbst das Glaubensleben kein Beweis: der Feigenbaum, den Jesus verflucht hatte (Mt 21,19), trüge ja auch noch Blätter und wäre doch längst tot. 454 Diese Argumentation zeigt, dass eine orthodoxe Auslegungsregel (“Schrift erklärt die Schrift” = “Sola Scriptura!”) bei Schlatter die entscheidende Beurteilungsgrundlage bildet. Zweifellos macht die Anwendung der Auslegungsregel “Schrift erklärt die Schrift” in einer dem Heiligen Geist gemäßen (!) Weise Sinn: die Bibel erklärt sich selbst, wenn Jesus das Alte Testament auslegt (Mt 5,21ff / Mt 22,42-46) oder wenn im Hebräerbrief Zusammenhänge zwischen Altem und Neuem Testament erläutert werden. 453 Siehe dazu unter “Giftige Theologie” die 19. Behauptung: “Das Textverständnis, das sich am engsten an den Wortlaut hält, ist das beste.”, Seite 124. 454 Adolf Schlatter, Jesus – der Christus, Gießen 1978, Seite 55. 242 Doch ein gedankenlos mechanischer “Schriftbeweis” auf der Basis des nurwörtlichen Verständnisses kann – wie man hier sieht – auch zu haarsträubenden Ergebnissen führen. Es ist fürwahr eine schaurige Vorstellung, dass vielleicht viele Brüder und Schwestern, die sich ihres Glaubens freuen, gerne in der Gemeinde mithelfen, den Herrn freudig bekennen und anderen den Weg zu Christus zeigen, gar nicht wissen, dass sie selber nichts anderes als leichenkalte Untote sind, weil sie mal irgendwann ein unüberlegtes Wort gegen geistliche Dinge gesagt haben. Der Denkfehler liegt bereit darin, dass das Problem als eine Art Denksportaufgabe gesehen wird und ein Lösungsansatz ausschließlich mit “neutraler”, dogmatischer Logik versucht wird. Das funktioniert schon deshalb nicht, weil es keine allgemeine Auskunftspflicht Gottes dem Bibelleser gegenüber gibt. Die Bibel ist kein Prospekt für die Reise ins Jenseits, der jedem Kunden “unpersönliche” Informationen anbietet, für deren Richtigkeit der Veranstalter der Reise (Gott) haftet. Die Bibel erkennt vielmehr den inneren Zustand und Lebensstil des Lesers und reagiert darauf. (Selbstverstärkung 455) Sie schenkt keinesfalls automatisch Klarheit. Soweit der Leser Wahrheitsliebe vermissen lässt, fördert sie Irrtum und Missverständnis. „Deshalb schickt Gott ihnen wirksame Täuschung, sodass sie der Lüge Glauben schenken. So wird jeder gerichtet, der die Wahrheit nicht glauben will, sondern das Unrecht liebt“ (2Thes 2,11-12). „Euch lässt Gott die Geheimnisse seiner neuen Welt verstehen, anderen sind sie verborgen. Denn wer viel hat, der bekommt noch mehr dazu, ja, er wird mehr als genug haben. Wer aber nichts hat, dem wird auch noch das Wenige, das er hat, genommen” (Mt 13,10 ff.). Auch enthält der Buchstabe der Bibel nicht alle Informationen, die zum Glaubenswachstum notwendig sind. 455 Siehe unter “www.matth2323.de/stichworte/#selbstverstaerkung“. 243 Damit Glaubenswachstum stattfinden kann, müssen weitere Informationen hinzukommen, die nicht in der Bibel enthalten sind und diese Informationen werden nur durch die geistliche Lebenspraxis, durch die Interaktion zwischen göttlichem Wort und dem Gläubigen, der darauf hört, geliefert. (Das wäre etwa so, als würde jemand behaupten, dass nur der DNS-Code das Leben enthalten würde, während doch die Interaktion zwischen DNS und lebendiger Zelle für das Leben typisch ist. Die isolierte DNS ist aber nur totes Eiweiß. 456 Wie kann Schlatter der Ansicht sein, dass das, was die Bibel direkt zur unvergebbaren Sünde sagt, völlig ausreicht? Gerade in der alles entscheidenden Frage, ob man bei Gott nun noch eine Chance hat oder keine mehr, sind diese Informationen so dürftig und sparsam, dass es mehr als auffällig ist. Warum werden Merkmale eines geistlichen Lebens, die der Betroffene zeigt, von Schlatter von vornherein als bedeutungslos abgetan? Muss man hier nicht fragen: wenn geistliches Leben nicht einmal für den Gläubigen selber einen Zeugniswert hat, welchen Zeugniswert kann es dann für andere haben? Welchen Wert hat dann das christliche Zeugnis überhaupt? Wenn es genausogut Einbildung sein kann, warum muss man denn unbedingt seine Mitmenschen mit diesem brutalen Glauben belästigen? Dürftig und trostlos muss man nennen, was Schlatter als Ratschlag anzubieten hat. Der Gläubige soll am Glauben festhalten, dass Jesu Opfer für wirklich alle Sünden ausreicht, und soll sich dann durch die Warnung vor der unvergebbaren Sünde „erschrecken lassen“. 457 Schlatter hat sich offenbar mit der Lebensgeschichte von Christen, die diese Ängste haben, niemals sorgfältig befasst. Hätte er das getan, so würde er auch wohl kaum diesen praxisfernen „Rat“ gegeben haben. 456 Siehe das Kapitel „Schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell“, Seite 268. 457 Adolf Schlatter, Jesus – der Christus, Gießen 1978, Seite 44. 244 Welchen Nutzen soll es haben, wenn “man sich erschrecken lässt”? Die Angst vor der unvergebbaren Sünde rückt die Hölle 458 in unmittelbare Nähe, sie lässt sie bereits in diesem Leben beginnen. Es ist gar keine Frage, dass dieses unmenschliche Grauen bei ängstlichen Gläubigen ein Höchstmaß an serviler Unterwerfung erzwingt, mit dem sie sich gegen ein mögliches Widersprechen gegen den heiligen Geist abzusichern versuchen. 459 Doch das ist – wie gesagt – eine Illusion. Wie sollte der Gläubige aus Liebe die Gebote beachten können, wenn alles Tun vom Motiv begleitet ist, es sich auf keinen Fall mit einem derartig grausamen Herrn zu verderben? Kein Mensch kann das! Hier haben wir die klassische Situation, die Paulus in Römer 7 schildert – und zwar bei bekehrten Christen! Um sich abzusichern, flüchten sie in freudlose Werkgerechtigkeit. 460 Um einen Widerspruch zu Gottes Willen gar nicht erst aufkommen zu lassen, der in ein Widersprechen gegen den heiligen Geist ausufern könnte, schinden sie sich nach Kräften, um den Forderungen Gottes möglichst vollständig zu entsprechen. Da das Neue Testament “Vollkommenheit” verlangt (Mt 5,48), kann man sich das Ausmaß der Belastung vorstellen. Dass ihr Verhalten der allsonntäglich verkündeten “Erlösung aus Gnaden” (Eph 2,8) widerspricht, nehmen sie kaum noch wahr. Die falsche theologische Grundlage zwingt sie konsequent auf diesen fatalen Kurs. Dabei werden Zusagen Gottes wie z.B. Hebr 2,15 (“Gott hat die erlöst, die durch Furcht vor dem Tod ihr ganzes Leben lang Sklaven sein mussten”) weder vergessen noch bestritten. Sie sind aber etwas, was nur in der Theorie existiert und nie existenziell erfahren wurde. Sie sind im Grunde genommen reine Propaganda. befohlen, „die frohe Botschaft weiter zu sagen“. 458 459 460 461 461 Gott hat nun einmal Siehe unter “www.matth2323.de/stichworte/#hoelle“. Vgl. Adolf Schlatter, Jesus – der Christus, Gießen 1978, Seiten 44+53. Siehe unter “www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. Siehe unter “www.matth2323.de/stichworte/#propaganda“. 245 Und weil der Gläubige, der sich dieser Pflicht entzieht, Gott ungehorsam ist und Strafe zu erwarten hätte, muss auch mit durch Theologie zerrütteten Nerven gejubelt und gelobt werden. Kritik an Gott ist ohnehin hochgefährlich und unvorstellbar. Deswegen ist es auch zwecklos, sich über die Tatsache, dass man selber das genaue Gegenteil erlebt, den Kopf zu zerbrechen. Für aufkeimende Zweifel steht immer das erlernte Totschlagargument der “göttlichen Unerforschlichkeit” bereit. Oder das Totschlagargument der geforderten “Demut”, mit dem man Gläubige an die Geringschätzung des Urteilsvermögens 462 und des geheiligten Verstandes gewöhnt hat. In der Meinung, dass Gott wie weltliche Diktatoren bestellten und erpressten Jubel liebt, zeigt sich die erlernte Unfähigkeit zu einer realistischen Einschätzung des göttlichen Charakters. Ohne theologisch verbildet worden zu sein, würde kein Mensch so krumm denken. Eben diese erlernte Unfähigkeit kann zu abstrusen Absicherungshandlungen führen. Es ist wahrscheinlich, dass gerade die eifrig zum Zwecke der Absicherung betriebene Werkgerechtigkeit 463 zu guter Letzt genau das bewirkt, was man unter allen Umständen vermeiden wollte: nämlich den verbalen Exzess in der Lästerung. Ständig wehrlos der Angst vor der Ungnade Gottes ausgesetzt zu sein, und keine andere Hilfe zu haben als eine unehrliche Theologie – das erzeugt schließlich Hass. Auch Luther hasste vor seinem Turmerlebnis Gott schließlich aus tiefster Seele 464 , was ihn aber in noch tiefere Ängste stürzte, da ihm dieser Hass ein Beweis dafür zu sein schien, dass er zur Verdammnis bestimmt war. 462 Siehe unter “www.matth2323.de/stichworte/#urteilsvermoegen“. 463 Siehe unter “www.matth2323.de/stichworte/#werkgerechtigkeit“. 464 TR 2,2654a, Sep 1532. 246 Wird in der Gemeinde gar noch gelehrt, dass der Gläubige mit der Bekehrung eine allumfassende Begabung erhalten hat, die ihm ermöglicht, alle Gebote leicht zu erfüllen (“Totalbegabungswahn” 465 ), so bedarf es noch nicht einmal einer exzessiven Lästerung, um in panische Angst zu geraten. Die erkannte Unfähigkeit, vollkommen zu leben, kann bereits zu ähnlich grausamen Ängsten Anlass geben, nämlich zur Angst, den heiligen Geist möglicherweise verloren zu haben (Hebr 6,4-6). Zwar fällt dem Gläubigen keine konkrete unvergebbare Lästerung ein, aber er kann das Ereignis ja schlicht vergessen haben, zumal er sich der Bedeutung dieses Vorgang möglicherweise gar nicht bewusst war. Ist eine despektierliche Bemerkung über den heiligen Geist und seine Absichten nicht ohnehin sehr wahrscheinlich? Dem Gläubigen ist doch geboten, zwischen „geistlich“ (im Interesse des heiligen Geistes) und „fleischlich“ (im Interesse des Menschen, dessen „Fleisch“ konkurrierende Ansprüche stellt) zu unterscheiden. “Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene” (Rö 12,2). Er unterliegt also einem Entscheidungs und Urteilszwang! Dann ist es doch leicht möglich, dass er irgendwann einmal – weil er sich durch geistliche Dinge überfordert sieht – Geistliches zu Alibizwecken als fleischlich deklarieren könnte (z.B. Diffamierung des schiedsgerichtlichen Dienstes 466 gemäß 1.Kor 6,1ff als „ungeistliches Richten“ usw.) Wer sehr eng denkt, könnte darunter bereits „ein Wort gegen den heiligen Geist“ verstehen. An solchen Punkten spitzt sich der Widerspruch zwischen pauschalen Heilszusagen und dem heilsrelativierendem „Kleingedruckten“ 467 in nicht mehr zu übersehender Deutlichkeit zu! 465 Siehe ausführlich dazu unter “Giftige Theologie” die 3. Behauptung: “Wenn wir nur wollen, können wir die Sünde lassen. , Seite 58. 466 Siehe unter “www.matth2323.de/stichworte/#schiedsgericht“. 467 Siehe ausführlich dazu unter “Giftige Theologie” die 10. Behauptung: “Man kann durch ein einziges unüberlegtes Wort in die Hölle kommen.”, Seite 100. 247 Wie bewertet Gott lästernde Gedanken 468 die von einem schwachen Willensimpuls begleitet waren? Wertet er diesen Willensimpuls als Genehmigung und Zustimmung? Bestraft er sie möglicherweise, als ob sie gesprochen worden wären? Warum soll der Gebrauch der Stimmbänder das entscheidende Instrument sein, das die Weiche zur endgültigen Vernichtung stellt? Wie soll der Gläubige auf diese Gedanken reagieren? Wie soll er den Willensimpuls bewerten, wenn seine Seele längst vom Abscheu gegenüber einem Gott erfüllt ist, der tyrannisiert und erpresst und dabei ständig von Liebe redet? Je mehr er sich vor diesen Gedanken fürchtet, desto häufiger kommen sie, dutzendemal, hundertemal am Tag, oder noch häufiger. Und jedesmal muss er sich rechtzeitig davon distanzieren. Das wenigstens muss er tun, denn die negativen Gefühle gegenüber Gott wird er nicht los, so sehr er es wünscht. Deswegen wird der Willensimpuls, der lästernde Gedanken begleitet, auch immer stärker. Bald kann er sich nicht mehr erinnern, ob er rechtzeitig etwas gegen den lästernden Gedanken gedacht hat. Jetzt muss er laut formulieren, dass er sich distanziert, denn an das laut Gesprochene erinnert er sich besser. Bald ist er im Zweifel, ob er eine Lästerung gedacht hat. Um sich zu vergewissern, spricht er die lästernden Gedanken nach. Bald ist er im Zweifel, ob er einen lästernden Gedanken gewollt hat oder nicht. Er versucht nun den Willensimpuls zu rekonstruieren, um sich besser zu erinnern. Dieser Prozess geht weiter und weiter und eines Tages genügt ein relativ kleiner Anlass, um die Lästerung in aller Deutlichkeit hinauszubrüllen, sie minutenlang richtig und gut zu finden, um dann das tonnenschwere Gewicht einer grenzenlosen Angst auf sich herabstürzen zu sehen. Es erfordert wenig Phantasie, sich das Ausmaß der Traumatisierung vorzustellen. Es ist dem Leben in der Todeszelle vergleichbar. Der Gläubige sieht sich an ein Starkstromkabel gekettet. Er vegetiert dahin in der ständigen Erwartung des tödlichen Stromschlages. Wann die Katastrophe eintritt, ist nur eine Frage der Zeit. 468 Siehe ausführlich dazu unter “Giftige Theologie” die 18. Behauptung: “Zwang- hafte Lästergedanken sind ein Beweis, dass der Gläubige vom Satan besessen ist.”, Seite 127. 248 Solche Prozesse, die die Persönlichkeit des Menschen quasi auslöschen, seine Würde und seelische Gesundheit bis auf den Grund ruinieren, markieren die Endstation, die gutwillige und ahnungslose Gläubige auf der Schiene der traditionellen Überbewertung des Buchstabens auf Kosten des Verstandes erreichen können. Wie sinnlos ist das alles! Wie leicht vermeidbar! Wie würde sich der wahre Gott dazu äußern, der keine zweideutige Persönlichkeit hat? Dessen Ethik nicht willkürlich und widersprüchlich ist? Bei dem die Begriffe “Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Glaubwürdigkeit” (Mt 23,23) nicht umgedeutet und ausgehöhlt werden, sondern das beinhalten, was sie aussagen? Die Möglichkeit, solche Gedankenprozesse durch ein christusgemäßes Schriftverständnis zu stoppen, ist der handgreifliche Beweis, dass es sich bei solchen tragischen Entwicklungen nicht um eine Geisteskrankheit handelt, wie von gewissen Theologen vorschnell behauptet wird. Eine Geisteskrankheit, die auf schwer erforschbare Ursachen wie hirnorganische Schädigung, charakterliche Fehlprägung, geistige Minderbegabung usw. zurückzuführen ist, wäre in der Regel als unabänderliches Schicksal hinzunehmen. Natürlich können solche Ursachen im Einzelfall vorhanden sein. Doch in jedem Fall muss doch die naheliegendste Ursache erst einmal ausgeschlossen werden, zumal sie zuverlässig beseitigt werden kann! Das ist die Zweideutigkeit im Gottesbild, in der Ethik und in der Heilszusage! Wenn alles zweideutig ist, dann können Gläubige mit sensiblem Gewissen und gedanklicher Sorgfalt sehr leicht in den mörderischen Sog frommer Absicherungsbemühungen hineingeraten. Ein paar Interviews mit solchen Gläubigen hätten eigentlich Schlatter die Einsicht vermitteln können, dass wenigstens in solchen Fällen seine große Ahnungslosigkeit, was denn nun aus solchen Leuten wird, unangebracht ist. Es scheint ihn wenig zu stören, dass harmlose Christen jahrzehntelang eine völlig sinnlose seelische Folter erleiden, bis sie dann endlich wieder Mut zum Glauben fassen und auch Erfahrungen mit der Hilfe Gottes machen. Ein hilfreiches, die Panik lösendes Wort ist nach seiner Einschätzung überflüssig. 249 Ist das der langen kirchengeschichtlichen Schulung zu verdanken, in der man gründlich gelernt hat, auf entsetzliches Leid von Gläubigen zu blicken und nur gleichgültig mit den Achseln zu zucken? Keiner bezweifelt, dass Schlatter selbst keine Angst hatte, als er seinen Text schrieb. Sein Seelenfrieden beruht jedoch nicht auf nachvollziehbaren Gründen, sondern auf dem ihm zur Verfügung stehenden Optimismus bzw. der Stärke seiner Einbildungskraft, es werde schon bei ihm selber nicht so schlimm sein. Nach seinen eigenen Worten kann bereits ein negatives Wort über Brüder, über ein Bibelwort, über etwas, was der heilige Geist will, die unvergebbare Sünde sein.469 Tatsache ist aber, dass sich niemand an alle negativen Worte erinnern kann, die er jemals gesagt hat. Somit bleibt die Frage, ob der Gläubige nun erlöst oder verdammt ist, nach Schlatter ungeklärt und unbeantwortbar. Schlatter erklärt, dass man „ganz fest“ (Einbildungskraft! Optimismus! 470) daran glauben soll, dass die Gnade Jesus „ausreicht“, „alle“ Sünden außer der unvergebbaren zu bedecken. In dem Wort „alle“ sieht er angeblich „den ganzen Reichtum göttlichen Vergebens vor uns ausgebreitet“. 471 Was hier vor den Lesern “ausgebreitet” wird, ist etwas ganz anderes. Man nennt das wohl “Frohe Botschaft”. Aber so richtig froh will dem Gläubigen dabei nicht werden. Auch wenn etliche Schriftgelehrte mit ihrem abgebrühtem, frommem Stoizismus und Optimismus bei unsicheren Gläubigen mächtig Eindruck schinden werden. Absurd ist Schlatters “Rat”, der verzweifelnde Gläubige müsse in dieser wichtigen Frage auf Klarheit verzichten, dürfe aber außerdem noch den Lobpreis der „Wohlgefälligkeit“ (Mt 11, 26!) anstimmen. (Schlatter benutzt in diesem Zusammenhang tatsächlich dieses Zitat! 472 Das ist wirklich der Gipfel der Gefühlsabstumpfung! 469 Adolf Schlatter, Jesus – der Christus, Gießen 1978, Seite 52-53.) 470 Siehe im Kapitel „Alternativen?“ den Abschnitt 1 „Eine optimistische Einstellung ist Pflicht“, Seite 18. 471 Adolf Schlatter, Jesus – der Christus, Gießen 1978, Seite 44. 472 Adolf Schlatter, Jesus – der Christus, Gießen 1978, Seite 55. 250 Vielleicht will er ja gerne barmherzig sein. Aber er kann es nicht. Sein theologisches Denksystem zwingt ihn, unmenschlich zu denken. Und weil das Unmenschliche dem Menschen widerlich ist, erscheint ihm möglicherweise gerade das “treue” Festhalten an der Unmenschlichkeit als ein Kennzeichen besonders konsequenter Frömmigkeit. Dann ist es nur folgerichtig, wenn sich der Gläubige über Mitchristen, die in der Psychiatrie möglicherweise bis zum Lebensende in grausamstem Seelenleid dahinvegetieren, keine weitergehenden Gedanken macht. Retten braucht man daraus auch niemand. Man kann ja in Ruhe warten, bis die „Blätter“ von selber abfallen! Das ist auch das weitverbreitete Verhalten von bibeltreuen Gläubigen gegenüber Mitchristen, die befürchten, gegen den heiligen Geist gelästert zu haben. Man lässt sie einfach im Stich! Mögen sie sang- und klanglos aus den Gemeinden verschwinden. Dann muss man das Elend wenigstens nicht mitansehen! Ist die Verkündung des “geschenkten Heils” dann noch glaubwürdig ? Sagt nicht die Bibel, dass es Gott verabscheut, wenn fromm vom Frieden geredet wird, „obwohl kein Friede da ist“ (Hes 13,9-10), dass er es hasst, wenn aus schwarz weiß und „aus sauer süß gemacht“ wird (Jes 5,20) ? Dass das so ist, ist nicht schwer nachzuvollziehen. Wie sehr wird seine Ehre durch Heilspropaganda und verlogenen Jubel verletzt! Wie sehr leidet der Respekt, wenn Gott zur Sicherung seines Einflusses der frommen Lüge und des bestellten Beifalls bedarf! Dabei hat er es doch mit der Erlösung so ernst gemeint, dass ihm dafür kein Opfer zu teuer war, nicht einmal das Opfer seines lieben Sohnes. Wie lächerlich muss sein Bemühen nun jedermann erscheinen. Ist es nicht besser, wir respektieren konsequent, was die Bibel über sich selbst sagt: es ist die Absicht JEDES Bibelwortes, Leben zu geben ? “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von ALLEM, was aus dem Mund des HERRN geht” (5.Mo 8,3) 251 Somit kann es nur ein lebensförderndes, ermutigendes Verständnis dieser problematischen Textstelle geben oder gar keines! Ein lebensförderndes Verständnis (!) 473, das einen klaren pädagogischen Nutzen hat (2.Tim 3,16). Nützlich ist es sicher, zu erkennen, dass die wichtigste Frage (!) nicht mit einem “Schriftbeweis” auf der Basis des nur-wörtlichen Verständnisses 474 zu beantworten ist, nämlich die Frage, ob man selbst auf den Himmel hoffen darf oder nicht. Das Sola-Scriptura-Prinzip versagt an dieser entscheidenden Stelle. Die Frage nach dem persönlichen Heil ist und bleibt aber die wichtigste Frage, weil ihre negative Beantwortung alle weiteren Fragen überflüssig macht. A 4. Kann ein Christ verlorengehen ? Die Bibel „verspricht“ dem Gläubigen, dass sein Heil beständig ist. “Sie werden niemals umkommen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.” (Joh 10,28) Paulus ist “gewiss, dass weder Tod noch Leben, … weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges … (den Gläubigen) von der Liebe Gottes trennen kann.” (Röm 8,38-39) Andererseits gibt es in der Bibel Aussagen, die auch dem bemühten Gläubigen den Charakter Gottes sehr düster und bedrohlich erscheinen lassen. Wenige typische Bibelstellen mit exzessiver Strenge lassen moralische Mängel und Unvollkommenheiten zu einer Quelle von Unsicherheit, ja Angst werden. Ein hier häufig angeführtes Beispiel ist Hebr 10,28: “wenn wir mutwillig sündigen, haben wir kein Opfer mehr für unsere Sünden zur Verfügung, sondern nur noch ein schreckliches Warten auf das Gericht.” Somit haben wir es mit drei “schicksalsbestimmenden Mächten” zu tun: mit Gott, mit seinen Gläubigen und mit der Tat. 473 Wie es unter “Giftige Theologie” bei der Widerlegung der 10. Behauptung: beschrieben wird, Seite 100. 474 Siehe dazu unter “Giftige Theologie” die 19. Behauptung: “Das Textverständnis, das sich am engsten an den Wortlaut hält, ist das beste.”, Seite 130. 252 Erstens: Gott. Gottes Ehre hat überragende Bedeutung in der Bibel: Er hat die ganze Schöpfung geschaffen, die auf seine Schöpfermacht hinweist. (Ps 104) Er hat die Gläubigen geschaffen, damit sie “zu seiner Ehre” leben. (Eph 2,10) und seine Güte und Gnade rühmen. (Ps 103) Doch man trifft sie immer wieder an: Gläubige, die ihren Mitmenschen von dem Reichtum der Gnade Gottes erzählen, sie „bezeugen“, und zugleich selbst unter mangelhafter Heilszuversicht leiden. Vielleicht in der Hoffnung, dass gerade das Missionieren diesen Mangel mildert: “wenn du mit deinem Munde Jesus als Herrn bekennst, so wirst du gerettet…” (Rö 10,9) Doch redlich ist das wohl kaum. Wer will in dieser Weise den Glauben „bezeugt“ bekommen ? In einer Diktatur zahlt es sich mehr aus, dem Diktator zuzujubeln, als wenn man es nicht tut. Soll man Gott zujubeln, weil es sich in Form stärkerer Heilszuversicht auszahlt ? Inwiefern wird Gott durch ein “Zeugnis” dieser Art geehrt ? Für die Ehre Gottes kann nur die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit der Errettung zeugen. (Jes 53,11 ff / Eph 1,4 ff) Eine schwache oder halbherzige Errettung würde Gottes Ehre abträglich sein. Er stünde da als jemand, der den Mund zu voll nimmt, “der einen Turm baut“, aber nicht die Mittel hat, das Werk zum Abschluss zu führen. (Luk 14,28) Paulus ist gewiss, dass Gott, der in seinen Mitchristen in Philippi “das gute Werk angefangen hat, es auch zu einem guten Ende bringen wird“. (Phil 1,6) Jesus trägt deshalb den Ehrentitel “Begründer und Vollender des Glaubens.” (Hebr 12,2) Die Geschichte des Jona zeigt, dass Gott sogar noch vergibt, wo das Gericht bereits beschlossen und der Zeitpunkt dafür längst festgesetzt ist. Gott hat bisweilen soviel Mitgefühl, dass Gläubige daran Anstoß nehmen. (Jona 4) Umgekehrt wird Gott kein Verdammungsurteil fällen, dass seine Gläubigen als unfair und maßlos beurteilen würden. Zu der ertappten Ehebrecherin sagte Jesus: “Hat dich niemand verdammt ? … Dann verdamme ich dich auch nicht !” (Joh 8, 10-11) 253 Zweitens: seine Gläubigen. Jesu Jünger sind seine Freunde, seine Brüder und “zur Freiheit 475 befreit“. (Gal 5,1) Dem Gläubigen ist ausdrücklich zugesichert, dass er keine einzige Tat tun muss, um sich selbst zu retten. “Ihr habt Christus verloren, die ihr durch Erfüllung des Gesetzes gerecht werden wollt.” (Gal 5,3) Alle erlaubten Motive 476 sind positiv und werden völlig frei gewählt. Hebr 10,28 macht etlichen Gläubigen Angst, die hier als negatives Motiv ins Spiel kommt. Sicher sind diese Widersprüche menschliche Wahrnehmungen, doch das menschliche Zeugnis kann sich nun einmal nur auf solche stützen. Die menschliche Seele ist auf Eindeutigkeit festgelegt. Es scheint in fundamentalistischen Kreisen selbstverständlich zu sein, beides gleichzeitig zu denken: Gottes Erbarmen und Gottes Erbarmungslosigkeit. Doch wenn wir Heilsfreude und Vertrauen stärken wollen, dann müssen wir einen Weg finden, zu theologischer Eindeutigkeit zu kommen. “Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen.” (Mt 18,3) Das Herz eines Kindes gewinnt man immer noch durch Eindeutigkeit der Liebe und Zuwendung, und nicht durch schizophrenes “Einerseits” und “Andererseits.” So wie Jesus es ablehnte, die vom Gesetz befohlene Steinigung einer Ehebrecherin zu vollziehen (Joh 8) so wird auch der Gläubige der christlichen Urgemeinde manchen Vorschriften – etwa der, einer Frau, die ihren Mann mit unziemlichem Griff verteidigt, “die Hand abzuhacken” (5.Mo 25,11-12) – ein klares Nein entgegenhalten müssen. Das ist klar. Selbst wenn diese Vorschrift im Neuen Testament stünde, würde kein Gläubiger auf ihrer Einhaltung bestehen – sie würde genauso missachtet wie die Vorschrift des Apostels, einer Frau, die ihren Kopf beim Beten nicht bedeckt, “das Haar abzuschneiden“. (1.Kor 11,6) 475 Siehe dazu „www.matth2323.de/stichworte/#freiheit“. 476 Siehe Seite 199. 254 Auch ist klar, dass es nicht sinnvoll ist, aus beiden Vorschriften Schlussfolgerungen auf den Charakter Gottes zu ziehen. So klar das alles auch ist, liegt die Schwierigkeit in der Begründung, in einer Beweisführung, die nicht zu Lasten der Vertrauenswürdigkeit der Heiligen Schrift gehen darf. Manche Gläubige werden die Vorschriften als “inhaltlich falsch” und als “von Anfang an verbesserungsbedürftig” bezeichnen, andere wiederum werden behaupten, dass sie die betreffenden Aussagen für richtig und vollkommen halten, sie aber nicht verstehen und begründen könnten, warum das so sei. Die Aussage, die ignorierten Aussagen seien “inhaltlich falsch”, sei unzulässig, da ein einziger Fehler die Autorität der gesamten Schrift zunichte mache. Der Mensch stelle sich über die Schrift, wenn er zwischen Gottes und Menschenwort unterscheiden wolle – was anmaßend sei. Wer immer das versuche, sei ein Zerstörer des Glaubens, mit dem man keine Gemeinschaft haben könne. Wenn Gläubige darauf verzichten, Aussagen über den “Wahrheitswert” derartiger Aussagen zu machen, entspricht das sicherlich der Absicht des Heiligen Geistes, dem “Spaltungen” in der Gemeinde zuwider sind. (Gal 5,20) Welchen Sinn soll eine solche Diskussion über den “Wahrheitswert” machen angesichts der Erkenntnis, dass sich die Bibel unaufrichtigen Lesern ohnehin verschließt (“Selbstverstärkung“ 477) – egal ob sie nun weltlich-liberal oder fundamentalistisch-linientreu sind ? Eine verlässliche Aussage über den geringen Rang der betreffenden Stellen genügt völlig, um sich voll und ganz zur verlässlichen Gnade Gottes bekennen zu können. Wenn der Gläubige eine bedrohliche Aussage mit geringerem Rang einstuft, so muss diese Einstufung immer mit höchstrangigen Ordnungsprinzipien 478 der Heiligen Schrift begründet werden. Nur dann wird der Fehler vermieden, dass sich der Gläubige mit einer subjektiven und willkürlichen Einstufung “über die Heilige Schrift stellt”. 477 Siehe dazu „www.matth2323.de/stichworte/#selbstverstaerkung“. 478 Siehe dazu „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. 255 (Dieses Verfahren bezeichnen wir als “schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell“ 479) Indem die Heilige Schrift Zweideutigkeit vorgibt, zwingt sie uns, mit Hilfe ihrer wichtigsten Gebote in Mt 23,23 Eindeutigkeit herzustellen, d.h. Mt 23,23 als maßgeblichen Schlüssel der Auslegung zu verwenden. Damit bekennen wir uns zu der Tatsache, dass Aussagen über Gnade eindeutig sein müssen und dass der Gläubige berechtigt ist, alle Verwässerungen dieser Eindeutigkeit anzuzweifeln und zu verwerfen. 480 Nur wenn wir so vorgehen, dann werden die Aussagen über Gnade ein vielfach größeres Gewicht als alle Warnungen und Drohungen in der Bibel haben. Die Alternative ist unakzeptabel: wenn Christen wegen ihrer Mängel und Unvollkommenheiten angstschlotternd und depressiv durchs Leben gehen müssen, so kann die Welt daraus nur den Eindruck gewinnen, dass christliche Ethik und Erlösung unausgegorene, kindische Konzepte sind. Drittens: die Tat. Die Tat des Glaubens ist ein Geschenk (Eph 2,10) und darf deshalb nicht durch werkgerechte Motive verunreinigt werden. (Gal 5,9: “Sauerteig“). Jede Tat, die mit der Absicht getan wird, “sich das Heil zu sichern” ist böse und gefährdet das Heil direkt: “Ihr habt Christus verloren, die ihr durch Erfüllung der gesetzlichen Normen gerechtfertigt werden wollt.” (Gal 5,4) Sklavischer Gehorsam gegenüber einer biblischen Aussage, die den Maßstab der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeitsliebe oder der Treue verletzt, ist selbst wieder Sünde. 481 Jesus ist Beziehung wichtig, nicht Leistung. Ihm ist Charakter und Persönlichkeit wichtig “Es ist kostbar, wenn das Herz beständig wird, was nur durch Gnade geschieht.” (Hebr 13,9). Der Gläubige ist sein Freund und soll sich mit seinem Verhalten auch zu dieser Freundschaft bekennen. 479 Siehe Seite 268. 480 Siehe siehe “http://konsequentegnade.wordpress.com“. 481 Siehe dazu das Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. 256 Gerade wenn der Gläubige schwach ist und sich falsch verhält, darf er mit dem Mitgefühl Jesu rechnen. Jesus hat “Mitgefühl mit denen, die schwach sind.” (Hebr.4,15) Das Bewusstsein der eigenen Unsauberkeit trotz allem ehrlichen Bemühen sollte den Gläubigen nicht deprimieren, denn es ist eine Tugend ! Es ist ein Kennzeichen für Reife und Selbsterkenntnis. “All unsere Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid.” (Jes 64,5) Es gibt kein moralisches Niveau, das der Gläubige zum Zweck der Errettung erreichen müsste. Es gibt aber unterschiedlichen Lohn entsprechend der Hingabe. (1.Kor 3) Reinheit wird nicht durch ein beeindruckendes Maß an Selbstbeherrschung und Willenskraft erworben, sondern ist ein Geschenk, dass sehr leicht erworben werden kann: durch bloße Aufmerksamkeit für das verkündete Wort: “ihr seid schon rein um des Wortes willen, dass ich zu euch geredet habe.” (Jo 15,3) Jesus wertet den Wunsch, sich an ihm zu orientieren, bereits als geschehene Tat. A 5. Seelsorge-Kompetenztest Viele Theologen schätzen sich selbst als kompetente Seelsorger ein und bieten Seelsorge an für Menschen, die durch ihr Bibelverständnis in seelische Not geraten. Doch sind die Seelsorger selbstkritisch genug ? (“Blinder Fleck”) 482 Du kannst ihre tatsächliche Kompetenz feststellen mit Hilfe der 6 SeelsorgeFälle, die wir im folgenden kurz beschreiben. Auch zur Zeit Jesu gab es diese Not. Die “Schriftgelehrten” zwangen den Gläubigen eine lebensfremde, lebensfeindliche Interpretation der biblischen Botschaft auf.(“Gesetzlichkeit”, Mt 23,4: “schwere Lasten“) Jesus hingegen forderte die Gläubigen auf, sich selbst um eine aufbauende und freundliche Interpretation zu bemühen: “Der Mensch ist nicht um des Sabbats willen geschaffen, sondern der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen.” Dieser Gegensatz spiegelt sich auch in den Sätzen: “die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und Leben” (Jo 6,63) einerseits und andererseits: “Der Buchstabe tötet” (2.Kor 3,6). 482 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#fleck“. 257 Eine hilfreiche Interpretation orientiert sich immer an den wichtigsten Geboten “Barmherzigkeit, Liebe zum Recht, wahre Treue“, die Vorrang vor allen anderen Geboten und Interpretationen haben. Ist der Seelsorger selbst durch ein destruktives Bibelverständnis geprägt und nicht in der Lage, sich davon mit Hilfe der wichtigsten Gebote (Mt 23,23) zu distanzieren, so wird die Seelsorge schädlich. (“Giftige Theologie”) 483 Im folgenden nennen wir 6 typische Seelsorgefälle für die Not mit dem Gesetz. Sie betreffen Gläubige, die a) belehrt wurden, dass Gott absolute Hingabe fordert, dass der Heilige Geist den Gläubigen dazu befähigt und dass deshalb jedes – auch das kleinste – Versagen unverzüglich zu beichten und nachzubessern ist, weil es sonst die frohmachende Gemeinschaft mit Gott wieder zerstört (Joh 3,8: “Wer Sünde tut, ist vom Teufel” / Spr 28,13: „Wer seine Sünde bekennt und lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen.“ b) gelernt haben, dass jedes Bibelwort unfehlbar, richtig, gleich wertvoll und unauflöslich ist, sofern es nicht ausdrücklich durch spätere biblische Offenbarung aufgehoben ist. Theologen, die in dieser Weise belehren, haben nur eine sehr eingeschränkte Vorstellung von totaler Hingabe und schätzen ihre Leistung wenig selbstkritisch als befriedigend ein. Autorität hat für sie nur der Buchstabe und sie selbst, die das Monopol seiner Auslegung beanspruchen. Die Tatsache, dass Mt 23,23 den Gläubigen authorisiert, mit Hilfe der wichtigsten Gebote “Barmherzigkeit, Liebe zum Recht, wahre Treue” allen anderen Bibelworten einen angemessenen Rang zuzuerkennen, wird als ärgerliche Konkurrenz empfunden, die abzuwehren ist. Unter diesen Voraussetzungen kann es zu den 6 beschriebenen Notfällen kommen. Wie kann die Seelsorge helfen ? Eine Lösung darf nicht subjektiv und willkürlich sein. Sie darf keine widerlegbaren Behauptungen enthalten. Sie muss das Gewissen überzeugen können. Das heißt: sie muss die Autorität Jesu respektieren, den absoluten Vorrang seiner wichtigsten Gebote stringent darlegen, und dem Zweifelnden einen Weg zu neuer Glaubensfreude und gestärktem Vertrauen eröffnen. 483 Siehe das Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. 258 Du kannst die Kompetenz von Theologen und Seelsorgern testen, indem du sie aufforderst, Lösungen für die folgenden 6 Fälle zu skizzieren. Diese Lösungen müssen veröffentlichungsfähig sein (!!!), da wir es leider schon oft erleben mussten, dass im stillen Kämmerlein das Gegenteil von dem gesagt wurde, was man auf der Kanzel sagte. Fall 1 Ein Gläubiger liest er in der Bibel: “wer etwas Gutes zu tun weiß und tut’s nicht, dem ist es Sünde…” (Jak 4,17). Ihm fällt ihm auf, dass er Hobbies hat, die Geld kosten, während Menschen, ja sogar Christen sterben müssen, weil sie kein Geld für Brot oder medizinische Versorgung haben. Manche geben den Zehnten, aber Johannes, der Vorläufer Jesu, hatte wenigstens von einer Halbe-halbe Lösung gesprochen: “wenn du zwei Mäntel hast, dann gib einem dem, der keinen hat.” (Luk 3,11) Somit ist die Halbe-Halbe-Lösung etwas Besseres, was der Gläubige zu tun weiß. Bis er auf den Rat Jesu stößt: „Verkauft, was ihr habt, und gebt’s den Armen.“ (Lk 12,33). An dieser Forderung zerreibt sich sein Gewissen, denn es gelingt dem Gläubigen nicht, zu beweisen, dass sie nicht zum „Guten“ gehört, dass er tun könnte. Es ist ihm auch keine Hilfe, dass er andere Gläubige sieht, die sich am Zehnten genügen lassen. Die Bibel macht ganz klar: wer ein empfindliches Gewissen hat, der hat einfach Pech gehabt. Wer gegen sein Gewissen Götzenopferfleisch isst, der wird “sterben“, „verderben“ (Rö 14,15),. Ende – aus ! Das zeigt: auch wenn das Gewissen anderer Gläubiger großzügiger ist, auch wenn sie dieses Fleisch gefahrlos essen können, kann der, der Bedenken hat, sich darauf nicht berufen. Da der Gläubige weiß, dass er sich nicht zu einem Leben in Armut entschließen wird, muss er fortan mit einem schlechten Gewissen leben. Mit seiner Glaubensfreude ist es vorbei. Fall 2 Ein anderer Gläubiger ist der Ansicht, dass er sein Bestes geben muss, um Menschen zu missionieren, wenn er nicht an ihrer Verdammnis schuld sein will. So hat es ihm sein Pastor unter Berufung auf Hes 33,8-9 deutlich gemacht. Zweifellos ist der Bedarf in den Ländern am größten, in die kaum ein Missionar geht, weil es lebensgefährlich ist. Auch in diesem Gewissenskonflikt sollte die Entscheidung ganz leicht fallen, denn Jesus sagte ja: “wer sein Leben retten will, wird es verlieren, aber wer es verliert um meinetwillen, der wird es retten.” (Mt 10,39). 259 Dass andere Gläubige sich weniger problematische Missionsziele stecken, ist für das eigene Gewissen ohne Bedeutung (s.o.). Nun steht er unter dem „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predige…“ (1.Kor 9,16). Er weiß, dass er nicht hinausziehen wird. Der Frieden im Gewissen und mit die Heilsgewissheit bleibt beschädigt. Er sieht fortan sein geistliches Leben gefährdet, weil er das leibliche nicht aufs Spiel setzen will. Fall 3 Ein Jugendlicher hat in einem emotionalen Rausch während einer Evangelisation Gott versprochen, wie der Apostel Paulus ehelos zu bleiben, um sich ganz dem Reich Gottes widmen zu können. Als der Rausch verflogen ist, bereut er seine Worte, erfährt aber aus der Bibel, dass er nun ehelos zu bleiben hat, wenn er nicht will, dass Gott wegen dem Bruch eines Versprechens sein ganzes Leben ruiniert und „all seine Arbeit misslingen lässt.“ (Pred 5,35) Angesichts der sinnlosen Härte des Bibelwortes kann er an einen fürsorglichen und lieben Vater im Himmel nicht mehr glauben. Fall 4 Eine Christin hat zwei Kinder. Ihr Ehemann geht ständig fremd. Sie lässt sich scheiden und heiratet einen gläubigen Menschen, dem sie vertrauen kann. Die Gemeinde verlangt, dass sie sich vom neuen Partner trennt und ehelos mit ihren Kindern lebt. In ihrer jetzigen Situation könne sie nicht zum Abendmahl zugelassen werden, da Wiederverheiratung Ehebruch sei und sie in ständiger Sünde lebe. Sie kann sich von ihrem neuen Partner nicht trennen, hat jetzt aber Angst, in die „mutwillige Sünde“ hineinzugeraten, die nicht vergeben werden kann. (Heb 10,28) Fall 5 Wieder ein junger Mensch liest in einem Bibelkommentar, dass auch ein Wort, das man gegen Brüder gesagt hat, die „Sünde gegen den Heiligen Geist“ sein kann, die “bis in alle Ewigkeit nicht mehr vergeben wird” (Mt 12,36). Er hat früher so einiges gegen manche Brüder geredet, kann sich sich aber gar nicht mehr erinnern, was im einzelnen gesagt worden ist. Die Angst vor einer möglichen Höllenstrafe wird immer größer. Er versucht sich an den Verheißungen der Bibel aufzurichten, doch sie geben ihm keinen Trost mehr, denn sie gelten ja nur für Gläubige, die keine unvergebbare Sünde begangen haben. 260 Fall 6 Andere Gläubige haben schreckliche Angst, dass sie den Heiligen Geist verloren haben, weil sie bei ehrlicher Selbstprüfung merken, dass sie die von einigen Theologen propagierte weitgehende Sündlosigkeit gar nicht erreichen können, selbst wenn sie sich darum bemühen. “Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.” (Phil 4,13) Vermag ich trotz Gutwilligkeit nicht alles, dann ist es klar: dann muss der Geist Christi ja wohl in der Vergangenheit verlorengegangen sein. „Wer den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm.“ (Rö 8,9) Auf ihn wartet die Hölle. Dies sind die 6 Test-Fälle. Verantwortbare Lösungen gemäß Mt 23,23 findest du auf der Seite “Giftige Theologie”. 484 Welch ein Schicksal, jahrelang, vielleicht lebenslang unter Todesangst, unter Angst vor ewig dauernder Höllenqual zu leiden ! (siehe Vergleich zwischen sexuellem und religiösem Missbrauch) Diese enorm hohe Belastung hat gewöhnlich auch den Verlust der Arbeitskraft, Armut, schwere familiäre Konflikte und eine erhöhte Anfälligkeit für weitere Krankheiten zur Folge.Wer kann da zusehen, ohne tiefes Mitgefühl zu haben ? Hier ist schnelle und sachkundige Hilfe geboten ! Ebenso wichtig ist es, vor Hirten zu warnen, die keine sind (Hes 34,4), vor “Blinden, die andere Blinden den Weg zeigen wollen” (Mt 15,14), vor Helfern, die Arzt spielen wollen, ohne sich ein ärztliches Gewissen zu leisten. Jesus jedenfalls hat ausgiebig vor ihnen gewarnt. (Mt 23) Ebenso warnten auch seine Jünger, die Apostel, immer wieder die Gemeinde. (Gal 1,6 ff / Phil 3,2 / Kol 2,16 ff) 484 Siehe das Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. 261 A 6. Wie gehe ich angemessen mit ideologisch denkenden Gläubigen um? 1. Bleibe nach Möglichkeit immer freundlich und betrachte sie nicht als deine Feinde, sondern als Menschen, die im Gefängnis ihrer eigenen Bedürfnisse sitzen und so denken müssen. Sei dir immer bewusst, dass Gott auch sie liebt und möchte, dass sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Bete deshalb viel für sie. 2. Bedenke stets, dass Gott eines Tages auch alle deine innersten Gedanken und Motive offenbar machen wird. Prüfe deine eigenen Motive 485 an der Bibel, damit du weißt, warum du anders denkst. Aggression entsteht oft aus Hilflosigkeit heraus. Wenn du über Gegenargumente wütend wirst, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass deine eigenen Argumente schwächer und schlechter sind. Dann solltest du erst einmal dir selber ehrlich Rechenschaft geben. Hüte dich, das Denken der Menschen nach deinen eigenen fleischlichen Bedürfnissen formen zu wollen. Du schadest deinem Anliegen, wenn du von dir selber groß denkst. Verweigere deshalb niemandem eine Antwort, der an dich eine kritische Frage stellt. 3. Achte die Würde deiner Gesprächspartner, diffamiere und beleidige sie nicht! Hilf ihnen, ihr Gesicht zu wahren, damit sie nicht ihre Person mit ihren Irrtümern identifizieren. Nenne ihren Namen nur, wo es unumgänglich ist (Quellenangaben). Meide alle niederträchtigen und manipulativen Methoden! Arbeite viel mit Fragen, statt mit Behauptungen und Anschuldigungen! Wenn Gott der gerechten Sache den Sieg geben sollte, dann triumphiere niemals über den, der unterlegen ist, und sei niemals schadenfroh! 4. Wenn du die Wahrheit erkennen darfst, die viele ablehnen, dann ist Gottes Auftrag an dich ergangen, für sie einzutreten. Die Wahrheit hat viel Geduld. 486 Sie wird auf jeden Fall gewinnen und alle, die ihr widerstanden haben, werden sich eines Tages dafür schämen müssen. Versuche nicht, ein Ergebnis vor der Zeit zu erzwingen, die Gott bestimmt hat. 485 Siehe das Kapitel „Prüfe dich selbst“, Seite 210. 486 Siehe „www.matth2323.de/irrlehre/#wahrheitdauert“. 262 Das erzeugt Frustration, die viel von der Kraft aufzehren kann, die du brauchst, um durchzuhalten. Ehre Gott und seine Wahrheit durch Gelassenheit und durch Vertrauen auf den Sieg. Lasse deine Gesprächspartner aber auch erkennen, dass du niemals aufgeben oder resignieren wirst, sondern dass du jede Möglichkeit nutzt, die Gott dir schenkt. 5. Wenn du einmal zornig geworden bist, weil du das Leid siehst, das Menschen mit Ideologie sinnlos zugefügt wird, dann habe nicht so viel Schuldgefühle. Es ist nicht so schlimm, einmal böse zu werden 487 als unverbesserlich böse zu sein. Bedenke, dass unser Herr Jesus Christus auch manchmal ganz ähnlich gefühlt hat. Bedenke aber immer: ein Feind, den man mit Liebe und seriösen Argumenten eines Tages überzeugt, kann zum wertvollen Partner werden – ein Saulus kann durch Gottes Gnade zum Paulus werden! A 7. Anzeichen für die Widerstandskraft einer Gemeinde gegen Machtmissbrauch und Korruption Zwischen Theologie und persönlichen Machtinteressen besteht ein Zusammenhang. Dem Einfluss giftiger Theologie 488 kann besser vorgebeugt werden, wenn Gläubige lernen, den Manipulationsspielraum, den gewisse Strukturen bieten, realistisch einzuschätzen. Die Widerstandskraft ist umso größer, je besser die Gemeinde Verhaltensweisen überwinden kann, die zwar verbreiteter Tradition entsprechen, aber nach biblischer Sicht ungeistlich und unfair sind. Sich geistlich verhalten heißt dem Nächsten gegenüber Gerechtigkeit üben (Jes 64,4), den fairen Umgang mitander lieben und pflegen (Kultur der Fairness). Fairness ist die Voraussetzung ungeheuchelter (Rö 12,9) Liebe. (Die Details zeigt die Tabelle auf den nächsten Seiten) 487 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#boese“. 488 Siehe das Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 35 ff. 263 Starke Widerstandskraft Schwache Widerstandskraft Innige Verbundenheit mit Jesus Christus Mt 23,23 Die praktische Anwendung der Quali- Die praktische Anwendung der Qualitätsmaßstäbe Jesu Christi ist ein wichti- tätsmaßstäbe Jesu interessiert kaum ges Thema in der Gemeinde oder gar nicht. Würde des Gläubigen Apg 26,29, Die Lehre hat das Ziel, möglichst alle Die Hauptamtlichen sehen die GeEph 4,13 Mitglieder der Gemeinde zu geistlich meindemitglieder nur als zu Betreuebenbürtigen Mitarbeitern zu machen. ende, deren Streben nach geistlicher Mündigkeit nicht ernstzunehmen ist. Lu 22, 28- Durch besondere Bewährung in einer 29 / 2.Kor Aufgabe kann jedes Gemeindemitglied 4,2 / 2.Ti entsprechende Autorität erwerben. 2,1 Hauptamtliche haben in allen Fragen höchste Autorität, auch in Aufgaben, in denen sie sich vergleichsweise wenig auskennen und bewährt haben. 1.Kor 12, Ehrenamtlicher Dienst hat grundsätz22-25 / Phil lich den gleichen Rang wie die Arbeit 2,3 der hauptamtlichen Mitarbeiter, sofern die ehrenamtliche Arbeit an Umfang und Qualität ebenbürtig ist. Ehrenamtliche Arbeit gilt als geringwertiger als die Arbeit der hauptamtlichen Mitarbeiter, selbst wenn sie in Umfang und Qualität ebenbürtig ist. Mt 25,40 „Geringe“ Gläubige, auf die die Gesell- „Geringe“ Gläubige schaft herabsieht, fühlen sich in der Gemeinde. Gemeinde wohl. meiden die Predigt des unverkürzten Gotteswortes Gal 1,10 Das Wort Gottes wird ohne Abstriche gepredigt: der Gemeinde wird keine Wahrheit erspart, bloß weil man sich vielleicht damit unbeliebt machen könnte. Es ist nicht erkennbar, dass der Prediger die Liebe zu Wahrheit und Gerechtigkeit über den Wunsch stellt, beliebt zu sein. Mt 7, 20-23 Der Tenor der Predigt ist: Niemand / 25,1-13 betrüge sich selbst. Auch innerhalb der Gemeinde scheidet der Geist Gottes zwischen Menschen, die "drinnen" sind, und solchen, die "draußen" sind. Der Tenor der Predigt ist: Leute, ihr seid alle schon o.k. Aber es könnte etwas mehr sein... Bereits der Besuch der Gemeinde gilt als Beweis für die richtige Einstellung, sodass auf eine Bußpredigt verzichtet werden kann. Apg 7,56 / Jeder hat das Recht, von der Tradition Gal 2,5 abweichende Erkenntnisse vorzutragen, wenn sie biblisch gut begründet sind und der Qualitätssicherung dienen. Der Informationsfluss wird mutwillig behindert, oder seine Störung wird geduldet, um bibelgemäße Argumente ignorieren zu können 264 Starke Widerstandskraft Schwache Widerstandskraft Korrigierbarkeit Amos 7, 12- Die Gemeinde nimmt Korrektur von 15 / 3.Jo 10, außen an, wenn sie auf Missstände oder 11 Gefahren hingewiesen wird, die nach dem NT zu vermeiden sind. Korrektur von außen wird grundsätzlich als Angriff auf die Gemeinde empfunden und nicht an der Bibel geprüft. 1.Tim 5,19 Wenn zwei oder drei Gläubige auf Fehlverhalten eines Gemeindeleiters hinweisen, dann ist dieser bereit, sich an der Bibel prüfen zu lassen. Auf Beschwerden über falsches Verhalten des Leiters wird erst dann reagiert, wenn sich eine starke Fraktion gegen ihn gebildet hat. Mt 23,23 Man erkennt die Notwendigkeit, die Über biblisches Recht wird wenig Gemeinde am Maßstab des biblischen oder gar nicht nachgedacht. Die Rechtes zu messen. Gemeindemitglieder werden darüber nicht informiert. Die Tradition bestimmt, was gilt. Rechtsschutz für die Schwachen Dan 12, 2 / Jes 28, 6 / Mt 5, 6 / 2.Tim 3,16 Unter “Heiligung” wird die Formung der Persönlichkeit durch das Vorbild Jesu Christi verstanden. Das schließt das Bemühen ein, die Gemeinde Liebe zur Gerechtigkeit zu lehren, damit in der Gemeinde ein faires und gerechtes Miteinander aller Gläubigen, die zum Leib Christi gehören, möglich ist und sie in der Welt Salz und Licht sein kann. Unter “Heiligung” wird nur das eifrige Streben nach Verbesserung des ganz privaten moralischen Niveaus verstanden. Die Aufarbeitung von Konflikten in der Gemeinde gehört nicht zur Heiligung. Mt 5,25-26 Es wird daran erinnert, dass der Gläu- Unrecht zwischen Gläubigen ist deren bige Unrecht in Ordnung bringen und Privatangelegenheit, in die sich die sich mit Geschwistern versöhnen sollte, Gemeinde nicht einmischen sollte. um sich auf die Wiederkunft Jesu zu vorbereiten. 1.Kor 6,1ff Zu diesem Zweck wird der schieds- Es existiert kein auf die Bibel gegrüngerichtliche Dienst eingerichtet. detes Konzept des schiedsgerichtlichen Dienstes. Mt 18,15 ff Konflikte werden nach dem dreistufigen Verfahren bearbeitet, das Jesus vorgegeben hat: 4-Augen-Gespräch, Mediation, Entscheidung der Gemeinde. 265 Die Gemeindemitglieder haben keine Entscheidungsbefugnis, da sie auf die Aufgabe, in Konflikten zu entscheiden, nicht vorbereitet worden sind. Starke Widerstandskraft Schwache Widerstandskraft 1.Thess 5,22 Der schiedsrichterliche Dienst ist die Aufgabe ehrenamtlicher Mitglieder, damit die Entscheidungen nicht in der Verdacht der Befangenheit geraten. Die schiedsrichterliche Entscheidung ist das selbstverständliche Recht von Personen, die Einkommen aus der Gemeinde beziehen. Mk 7,11 Die Gemeinde ist darüber informiert, Über das Thema "Korban" (= verbotene dass sie weder Spenden noch Mitar- Spenden) wird sehr selten oder mögbeit einzelner annehmen darf, die lichst gar nicht gepredigt. Angehörigen und Geschädigten geschuldet werden. Ri 19-20 / Ein Außenstehender, der durch ein Spr 18,10 Mitglied der Gemeinde geschädigt worden ist, darf darauf vertrauen, dass er angehört und seine Sache gerecht entschieden wird. 266 Der Schaden von außenstehenden Gläubigen, die zum Leib Christi gehören, wird nicht ernstgenommen, sondern nur die Anliegen der Gemeindemitglieder. A 8. Schockierender Vergleich zwischen religiösem Missbrauch und sexuellem Missbrauch Vergleichspunkt Sexueller Missbrauch Feststellung Beobachtbarer, leicht beschreib- Komplizierter, schwer durchbarer Vorgang. schaubarer, in unauffällig kleinen Schritten kumulierender Prozess seelischer Zerstörung. Machtquelle Bedrohung eines Kindes oder eines Jugendlichen durch eine Person, die intellektuell oder kräftemäßig überlegen ist. Bedrohung durch eine unsichtbare, allgegenwärtige Person, ausgestattet mit unbegrenzter Macht und zweideutigem (sowohl Gutes als auch Bösartiges zeigenden) Charakter, die ein Höchstmaß an ethischer Leistung fordert, diese ständig überwacht und ungenügende Leistung mit ewiger Höllenqual bestraft („zweideutiges Gottesbild“) Höchstmaß der Bedrohung Gefühl ständiger Bedrohung und Erniedrigung durch einen überlegenen Menschen, körperliche Gewalteinwirkung. Unablässig quälende Angst vor ewiger Folter und Verlassenheit in der Hölle und vor ewiger Trennung von allem, was lieb, gut und schön ist. Psychologische Macht- Scham, schlechtes Gewissen, basis Befürchtung durch Aufdeckung der Tat der Familie oder einer Institution zu schaden. Religiöser Missbrauch Zunehmende „Gewissheit“, wegen ungenügender Beachtung des unfehlbaren göttlichen Gesetzes die Bestrafung mit der Hölle „verdient“ zu haben. Häufig unterstellte Ursachen Verdächtigung der Mittäterschaft Nicht falsche Theologie sei Ursaoder Verführung (ab einem che der Angst, sondern ein orgagewissen Alter) nischer Hirndefekt. Oder man hält die Angst für Schauspielerei, die von schwerwiegendem moralischen Versagen ablenken soll. Zugrunde liegender Denkfehler „Ich habe das Recht, meine pädophile Veranlagung auszuleben.“ „Kinder mögen solche frühzeigen, sexuellen Erfahrungen.“ 267 Höchste Priorität bei der Auslegung der Bibel hat a) in der katholischen Kirche: die Entscheidung des Papstes, b) in bibeltreu-evangelikalen Gemeinden: die Fixierung auf den Buchstaben (2.Kor 3,6). Die wichtigsten Gebote (Mt 23,23) sind nachgeordnet,d.h zweitrangig. Vergleichspunkt Sexueller Missbrauch Religiöser Missbrauch Motiv der Täter Sexuelle Gier, Machterlebnis Wahn der Täter, dem Geschädigten durch Indoktrinierung zu „helfen“ und dadurch eigene Bedrohung zu vermeiden (siehe Punkt 9 unter „Giftige Theologie“) Position des Täters nach Aufdeckung Täter steht alleine da, das Die religiöse Gemeinschaft soliUmfeld distanziert sich von ihm. darisiert sich mit dem Täter, der sich auf die allgemein akzeptierte Ideologie berufen kann. Bildung von Einsicht in Der Täter kann allgemeine der Verwerflichkeit der gesellschaftliche Ablehnung milTat dern, indem er Einsicht in die Verwerflichkeit seiner Tat zeigt. Die Täter zeigen keine Einsicht, sondern sind überzeugt, böswilliger Kritik unschuldig leidend wie ein Märtyrer ausgesetzt zu sein Wiederholungsgefahr nach Aufdeckung Die Bedrohung kann minimiert werden durch Berufsverbot oder durch räumliche Trennung von Täter und Opfer. Die Bedrohung kann nicht beseitigt werden, da sie fest im Denken verankert ist und überall mit hin genommen wird. Rechtsfolgen für den Täter Strafrechtliche Ahndung (sofern die Tat nicht verjährt ist), evt. zivilrechtlicher Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Überhaupt keine ! Schadenersatzregelungen wären möglich (siehe „Gemeindehaftpflicht“), waren aber bisher in evangelikalen Gemeinden nicht durchsetzbar. Solidarisierung der Opfer. Opfer können sich solidarisieren Opfer bleiben isoliert und vergesdank eines breiten öffentlichen sen. Solidarisierung macht wenig Interesses. Sinn, da es an einem öffentlichen Interesse fehlt. Auch innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft finden sie kaum Gehör. A 9. Schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell Die Bibel ist ein einzigartiges Buch. Sie informiert den Menschen über Geheimnisse, über Fakten der unsichtbaren Welt. Sie stammt aus Gottes Geist und kann nur mit Hilfe dieses Geistes verstanden werden. “Der natürliche Mensch aber versteht das, was der Geist Gottes will, nicht. Er hält es für eine Dummheit. 268 Er kann den Wert nicht erkennen, was durch geistliches Urteilen möglich ist. Ein Mensch, der vom Geist Gottes geleitet wird, kann den Text richtig beurteilen und muss nicht befürchten, dass sein Urteil später von jemandem als Irrtum verworfen werden muss.” (1:Kor 2,14-15) Menschen haben nicht automatisch geistliche Urteilskraft, weil sie gläubig oder weil sie evangelikale Theologen geworden sind. Durch eigennützige Motive, mangelnde Reife, charakterliche Mängel kann der Heilige Geist stark “gebremst” (1. Thes 5,19) und die Urteilskraft entsprechend eingeschränkt sein. Dann werden Gläubige Aussagen der Bibel falsch interpretieren, ohne die Schwächen ihrer Interpretation zu erkennen. Es ist zu beachten, dass Gott “Laienboten” 489 authorisieren kann, denen theologische Experten widersprechen. Das heißt auch, dass die Methoden, mit denen üblicherweise Literatur erschlossen wird, hier nur teilweise – in Einzelfällen gar nicht – anwendbar sind. Eine möglichst eng am Wortlaut orientierte Interpretation 490 kann in manchen Fällen falsch sein. Über die angemessene Art, mit der Bibel umzugehen, informiert uns diese selbst. Wenn wir die biblische Arbeitsweise akzeptieren, erkennen wir den hilfreichen und guten Sinn ihrer Aussagen. Eine hilfreiche und lebensfördernde (Mt 4,4) Interpretation des biblischen Textes ist unmöglich, wenn alle Sätze gleiches Gewicht haben und insoweit Sätze mit gegensätzlichen Aussagen (Heilszusagen und Drohungen) sich gegenseitig entkräften oder aufheben. Eine hilfreiche und ermutigende Interpretation ist gleichermaßen unmöglich, wenn alle Sätze des neutestamentlichen Vertragstextes gleiches Gewicht habe. Konkurrieren zwei Aussagen miteinander, so muss ihre Rangfolge 491 festgestellt werden. (“Polarität der Bibel) 489 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#laie“. 490 Siehe im Kapitel „Giftige Theologie“, Seite 130. 491 Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#polaritaet“. 269 Die unterschiedliche Rangfolge biblischer Aussagen darf nicht willkürlich festgelegt werden. Zu einer eindeutigen, zuverlässigen Festlegung gelangt man nur mit Hilfe eines höheren, von der Heiligen Schrift authorisierten Ordnungsprinzips – den drei Qualitätsmaßstäben Jesu. 492 Auch das vom Schöpfer konzipierte biologische “Lebensbuch”, die Erbsubstanz, wird mit Hilfe übergeordneter Mechanismen ausgelesen. Um das Leben zu entwickeln und zu erhalten, werden Abschnitte des genetischen Codes nach einem sinnvollen Plan aktiviert (“Fokussierungsstil“ 493), zeitweilig deaktiviert oder ganz stillgelegt. Eine gleichzeitige und dauerhafte Aktivierung aller Abschnitte findet niemals statt. Ähnliches sehen wir auch bei der Bibel. (schöpfungsgemäßes Inspirationsmodell) Dieser Denkansatz ist ein “Modell”, eine Denkmöglichkeit, für die etliche gute Argumente sprechen, und kein Dogma. Mit diesem Modell ist es möglich, an der Vertrauenswürdigkeit der Heiligen Schrift festzuhalten und gleichzeitig offen zuzugeben, dass man bestimmte negativ wirkende Aussagen der Schrift kennt, sie nicht ignoriert, verschweigt oder verharmlost, aber sie mit niederem Rang einstuft, nicht eigenmächtig, sondern weil ein höherrangiges biblisches Prinzip den Gläubigen dazu authorisiert. Damit kann der Gläubige eine klare Grenze zur Propaganda 494 ziehen – was ihn im Gespräch mit Andersdenkenden erheblich glaubwürdiger macht. Die Bibel ist kein totes Buch. So wie im Lebensprozess Erbmolekül (DNS) und lebendige Zelle interagieren, so wird auch die Bibel nicht einfach passiv “gelesen” und “analysiert” wie andere Bücher, sondern sie reagiert auf den geistlichen Zustand des Lesers positiv oder negativ entsprechend seiner Einstellung. Sie kann nicht nur mitteilen, sondern auch Information zurückhalten (“Selbstverstärkung“ 495). Deswegen ist geistliche Disziplin 496 des Lesers und Auslegers wichtig. 492 493 494 495 496 Siehe unter Siehe unter Siehe unter Siehe unter Siehe unter „www.matth2323.de/stichworte/#qualitaetsmassstaebe“. „www.matth2323.de/stichworte/#fokus“. „www.matth2323.de/stichworte/#propaganda“. „www.matth2323.de/stichworte/#selbstverstaerkung“. „www.matth2323.de/stichworte/#disziplin“. 270 Wenn ein Hirte hundert Schafe hat und eines davon läuft ihm weg, was wird er dann wohl tun ? Wird er bei den Hundert bleiben oder wird er sich auf die Suche machen nach dem einen Schaf, das ihm verloren gegangen ist ? (Luk 15,4) 271